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Forschungsbericht
Nr. 3 / 2007
Teilhabe am Arbeitsleben durch
Betriebliches Gesundheitsmanagement
Ricardo Baumann, Matthias Czarny,
Thorsten Flach, Christian Hetzel,
Matthias Mozdzanowski, Marcus Schian,
Max Überle, Holger Wellmann
In der Reihe Forschungsberichte stellt das iqpr Arbeitsergebnisse aus laufenden und
abgeschlossenen Projekten der Fachöffentlichkeit vor.
Der vorliegende Forschungsbericht ist im Rahmen des Projektes "Förderung der
Teilhabe am Arbeitsleben" entstanden. Das Projekt wurde gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln der Ausgleichsabgabe. Die Projektleitung hatten Univ.-Prof. Dr. Ingo Froböse, Matthias Mozdzanowski, Dr. Hans-Martin
Schian, Univ.-Prof. Dr. Klaus Schüle und Prof. Dr. habil. Andreas Weber.
Impressum
iqpr Forschungsbericht
Nr. 3/2007
Herausgeber
Institut für Qualitätssicherung in Prävention
und Rehabilitation GmbH an der Deutschen
Sporthochschule Köln
ISBN
3-9811175-4-9
978-3-9811175-4-7
Wellmann, H (2007) Qualitätssicherung in
der Betrieblichen Gesundheitsförderung. In:
iqpr Forschungsbericht Nr. 3/2007 Teilhabe
am Arbeitsleben durch Betriebliche Gesundheitsförderung. iqpr, Köln. S. 74-90
Hetzel, C; Flach, T; Mozdzanowski, M (2007)
Betriebliches Eingliederungsmanagement
und Disability Management. In: iqpr Forschungsbericht Nr. 3/2007 Teilhabe am
Arbeitsleben durch Betriebliche Gesundheitsförderung. iqpr, Köln. S. 91-113
Zitiervorschlag
Schian, M; Wellmann, H (2007) IntegrationsRechte
vereinbarungen. In: iqpr Forschungsbericht
Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit
Nr. 3/2007 Teilhabe am Arbeitsleben durch
Genehmigung des iqpr
Betriebliche Gesundheitsförderung. iqpr,
Köln. S. 4-28
Technische Herstellung
Torsten Alles
Baumann, R; Czarny, M (2007) Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse als iqpr im Internet
Basis betrieblicher Gesundheitsförderung. In: www.iqpr.de
iqpr Forschungsbericht Nr. 3/2007 Teilhabe
Rückfragen zum Inhalt an
am Arbeitsleben durch Betriebliche GesundRicardo Baumann
heitsförderung. iqpr, Köln. S. 29-38
[email protected]
Wellmann, H (2007) Betriebliche GesundThorsten Flach
heitsförderung. In: iqpr Forschungsbericht Nr.
[email protected]
3/2007 Teilhabe am Arbeitsleben durch
Betriebliche Gesundheitsförderung. iqpr, Christian Hetzel
[email protected]
Köln. S. 39-48
Wellmann, H; Überle, M (2007) Ökonomi- Matthias Mozdzanowski
sche Aspekte der BGF. In: iqpr Forschungs- [email protected]
bericht Nr. 3/2007 Teilhabe am Arbeitsleben Marcus Schian
durch Betriebliche Gesundheitsförderung. [email protected]
iqpr, Köln. S.49-73
Köln, März 2007
Inhaltsverzeichnis
Seite
Matthias Mozdzanowski
1
Einleitung .................................................................................................................. 1
Marcus Schian, Holger Wellmann
2
Integrationsvereinbarungen ...................................................................................... 4
Zusammenfassung ................................................................................................... 4
Hintergrund ............................................................................................................... 4
Forschungsziel.......................................................................................................... 7
Methode .................................................................................................................... 7
Auswertung vor dem 01.05.2004 abgeschlossener InVen ....................................... 8
Auswertung nach dem 01.05.2004 abgeschlossener InVen................................... 11
Stichprobenvergleich – Aussagen zur Verankerung allgemeiner Maßnahmen der
Ausgliederungsverhinderung sowie zur Rezeption des erweiterten gesetzlichen
Auftrags und der gewonnenen Erkenntnisse zu Strukturprinzipien von InVen ....... 13
2.7.1
Verankerung allgemeiner der Ausgliederung entgegenwirkender Maßnahmen,
die nicht im neuen § 83 Abs. 2a SGB IX enthalten sind ................................... 13
2.7.2
Rezeption des hinsichtlich Prävention erweiterten gesetzlichen Auftrags
hinsichtlich der Regelungsfelder des § 83 Abs. 2a SGB IX .............................. 13
2.7.3
Rezeption gewonnener Erkenntnisse zu Strukturprinzipien.............................. 14
2.8
Gründe für die geringe Zahl an neuen InVen – Zusammenfassung eines
Experteninterviews.................................................................................................. 15
2.8.1
Entwicklung des Bestandes der InV-Datenbank bei REHADAT ....................... 15
2.8.2
Zugangswege und Schwierigkeiten beim Erhalt von InVen .............................. 15
2.8.3
Gründe für nachlassende Aktivität bezüglich aktuellerer Vereinbarungen........ 16
2.8.4
Der neue § 83 Abs. 2a SGB IX und seine Auswirkungen ................................. 16
2.8.5
Stand der Umsetzung – allgemein und in Bezug auf die Neuregelung des § 83
Abs. 2a SGB IX ................................................................................................. 17
2.8.6
Vorschläge für eine verbesserte Umsetzung des Instruments
„Integrationsvereinbarung“ ................................................................................ 17
2.9
iqpr-Empfehlungen zur Gestaltung einer InV.......................................................... 18
2.9.1
Verankerung der Integrationsvereinbarung in der Unternehmensstruktur ........ 18
2.9.2
Zusammenfassung der bei der Gestaltung einer Integrationsvereinbarung zu
beachtenden Strukturprinzipien, Formalia und Regelungsfelder ...................... 20
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
2.6
2.7
Ricardo Baumann, Matthias Czarny
3
3.1
3.2
3.3
3.4
3.5
3.6
3.7
3.8
3.9
3.10
Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse als Basis betrieblicher
Gesundheitsförderung ............................................................................................ 29
Exposé .................................................................................................................... 29
Gegenstand, Ziele und Nutzen einer zweistufigen betrieblichen Gesundheitsanalyse
................................................................................................................................ 29
Anforderungen an eine betriebliche Gesundheitsanalyse ...................................... 29
Grundlagen für die Entwicklung des Konzeptes ..................................................... 30
Theorien.................................................................................................................. 30
Studie im Einzelhandel (N=367) ............................................................................. 30
Literaturrecherche zu Einflussfaktoren auf Fehlzeiten ............................................ 30
Ergebnisse .............................................................................................................. 32
Nutzungsmöglichkeit im Rahmen der Gesundheitsanalyse.................................... 33
Studie in einem Unternehmen der Automobilindustrie (N=107).............................. 33
3.11
3.12
3.13
3.14
3.15
3.16
3.17
3.18
Nutzungsmöglichkeit im Rahmen der Gesundheitsanalyse .................................... 35
Studie in einem metallverarbeitenden Betrieb (N=173) .......................................... 36
Nutzungsmöglichkeit im Rahmen der Gesundheitsanalyse .................................... 36
Eigene Studie in einem Setting der beruflichen Rehabilitation (N=53, siehe ASKOR)
................................................................................................................................ 36
Ergebnisse .............................................................................................................. 36
Zusammenfassung der Ergebnisse......................................................................... 37
Entwurf einer zweistufigen Gesundheitsanalyse im Betrieb.................................... 37
Ausblick ................................................................................................................... 38
Holger Wellmann
4
4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
4.6
4.7
Betriebliche Gesundheitsförderung ......................................................................... 39
Bedeutung der Betrieblichen Gesundheitsförderung .............................................. 40
Ziele der Betrieblichen Gesundheitsförderung ........................................................ 41
Gesetzliche Regelungen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung......................... 42
Legitimation der Betrieblichen Gesundheitsförderung ............................................ 43
Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung............................................ 44
Akteure der Betrieblichen Gesundheitsförderung ................................................... 45
Qualitätssicherung der Betrieblichen Gesundheitsförderung .................................. 46
Holger Wellmann, Max Überle
5
Ökonomische Aspekte der BGF.............................................................................. 49
5.1
Einleitung ................................................................................................................ 49
5.2
Konzeption einer Kosten-Nutzen-Analyse der BGF ................................................ 49
5.2.1
Lebensweltspezifische Erfahrungen mit Interventionen der Betrieblichen
Gesundheitsförderung....................................................................................... 51
5.2.2
Kennzahlen und Kennzahlensysteme ............................................................... 53
5.2.3
Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse (EWA) .................................................... 55
5.2.4
Balanced Scorecard .......................................................................................... 56
5.2.5
Wirkungsketten.................................................................................................. 58
5.3
Vorstellung und Diskussion des 5-Stufen-Modells .................................................. 59
5.3.1
Posterpräsentationen ........................................................................................ 59
5.3.2
Vorträge............................................................................................................. 59
5.3.3
Expertengespräch zum 5-Stufen-Modell ........................................................... 64
5.4
Umsetzung des 5-Stufen-Modells ........................................................................... 66
5.4.1
1. Stufe: Lebensweltspezifische Erfahrungen ................................................... 68
5.4.2
2. Stufe: Kennzahlengenerierung...................................................................... 69
5.4.3
Fazit................................................................................................................... 72
Holger Wellmann
6
6.1
6.2
6.3
6.4
6.5
6.6
6.7
6.8
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung .............................. 74
Ausgangssituation ................................................................................................... 74
Begriffsabgrenzung ................................................................................................. 75
iqpr-Konzeption zur Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
................................................................................................................................ 76
Grundsätzliche Qualitätskriterien ............................................................................ 79
Ziele der Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung ............... 80
Zielgruppen der Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung .... 81
Prämissen ............................................................................................................... 85
Qualitätssicherung der Ebenen des BGM-Hauses.................................................. 86
6.8.1
6.8.2
6.8.3
Betriebliche Gesundheitspolitik und Planung und Steuerung ........................... 86
Analyse ............................................................................................................. 88
Handlungsfeldbezogene Interventionen............................................................ 89
Christian Hetzel, Thorsten Flach, Matthias Mozdzanowski
7
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management ................. 91
7.1
Ausgangslage ......................................................................................................... 91
7.2
Qualitätskriterien für ein „gutes“ betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) 94
7.2.1
Der Standard des BEM ..................................................................................... 95
7.2.2
Der Standard des BEM in Abhängigkeit von der Komplexität des Unternehmens
.......................................................................................................................... 99
7.3
BEM in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) .............................................. 102
7.3.1
Befragung von Geschäftsführern in KMU ....................................................... 103
7.3.2
Modellvision .................................................................................................... 105
7.3.3
Der Standard des BEM in Kleinunternehmen ................................................. 108
7.3.4
Arbeitshilfen für KMU ...................................................................................... 110
7.4
Qualitätssicherung: CBDMATM / BEM-Audit .......................................................... 112
8
Anhang.................................................................................................................. 114
8.1
Anhang Kapitel 6 – Integrationsvereinbarungen................................................... 114
8.1.1
Stichprobe 1 .................................................................................................... 114
8.1.2
Stichprobe 2 .................................................................................................... 116
8.2
Veröffentlichungen ................................................................................................ 119
8.3
Ergebnisse einer Befragung von kleinen und mittleren Unternehmen zur
frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit .................. 120
Abkürzungsverzeichnis
BEM
Betriebliches Eingliederungsmanagement
BIH
Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen
CBDMATM
Consensus Based Disability Management Audit
CDMPTM
Certfied Disability Management Professional / Disability Manager
DM
Disability Management
DVfR
Deutsche Vereinigung für Rehabilitation
IDMSCTM
International Disability Management Council
IFD
Integrationsfachdienst
ILO
International Labour Organization / Internationales Arbeitsamt
HVBG
Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften
KMU
Kleine und mittlere Unternehmen
Einleitung
1 Einleitung
Matthias Mozdzanowski
Das wachsende Interesse an Gesundheitspolitik und Gesundheitsmanagement im Unternehmen, das sich insbesondere in den vergangenen 10 Jahren seit der Luxemburger
Deklaration deutlich (wenn auch noch nicht flächendeckend) abzeichnet, ist einerseits
notwendige Reaktion auf erhöhte Anforderungen an die Beschäftigungsfähigkeit in Zeiten
der Globalisierung und der veränderten demografischen Entwicklung. Dies gilt für die
fachlichen Anforderungen, für die gestiegenen Ansprüche an die Qualität der Arbeitsprodukte und es gilt auch für die Quantität, insbesondere die Dauer der gesellschaftlich notwendigen Lebensarbeitszeit im Hinblick auf die Alterssicherung. Dies gilt schließlich - nicht zu
vergessen - auch für die Zunahme prekärer, flexibler und mehrfacher Beschäftigungsverhältnisse im unteren Segment der Arbeitsgesellschaft. Die Beanspruchung durch Arbeit wächst.
Während aber aus der nationalökonomischen Perspektive Gesundheit und Wohlbefinden als
Produktionsfaktoren qualitativ hochwertiger Waren und Dienstleistungen notwendig werden
und damit auch einen sozialen Mehrwert erzeugen – also die „win-win-Situation“ ermöglichen, ist aus der globalen Perspektive, namentlich in den Niedriglohnregionen der Welt,
gleichzeitig eine fast frühkapitalistische Beschäftigungssituation für die preisorientierte,
qualitativ oft minderwertige Produktion geschaffen worden. Arbeits- und Gesundheitsschutz
oder gar Gesundheitsförderung sind hier in aller Regel Fremdworte.
Diese Betrachtung dient der Einordnung in einen umfassenden Hintergrund, soll aber nicht
den Eindruck vermitteln, in Deutschland sei bereits das Optimum erreicht. Auch hier ist
Betriebliches Gesundheitsmanagement bislang nur bei einer Minderheit der Unternehmen
verankert. Die Bedingungen, neben den oben geschilderten insbesondere auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, sind jedoch gut, die existierenden Modelle guter Praxis auf eine
breitere Anwendungsbasis zu transferieren, die Datenlage aus praktischer Erkenntnis zu
erweitern und entsprechende Verbesserungsprozesse in Gang zu setzen.
Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) bezeichnet ein System von innerbetrieblichen Strukturen und Prozessen, das eine Steuerung von gesundheitsrelevanten Analysen
und Interaktionen zulässt. Dies setzt regelmäßig voraus, dass sowohl die Unternehmensleitung, als auch ggf. die Arbeitnehmervertretung dieses System unterstützen.
Neben den strukturellen und organisationalen Faktoren spielt der „Faktor Mensch“ eine
entscheidende Rolle. In vielen Fällen bedarf die Implementierung eines Betrieblichen
Gesundheitsmanagements des überzeugten, ausdauernden und fachkundigen Agierens
einzelner „Überzeugungstäter“. Für die Unterstützung dieser Akteure stehen inzwischen
sowohl zahlreiche Publikationen, als auch geeignete Fortbildungen zu Verfügung.
1
© iqpr Köln
Integrationsvereinbarungen
Betriebliches Gesundheitsmanagement
Betriebliche Gesundheitspolitik
Vision, Konzept, Leitbild
Planung und Steuerung
Analyse
Handlungsfeldbezogene Interventionen
Gesundheitsförderung
Eingliederung
Arbeits- und
Gesundheitsschutz
Evaluation & Qualitätssicherung
iqpr-Modell des betrieblichen Gesundheitsmanagements (Erläuterungen s. S. 78)
Die Praxis des BGM vollzieht sich in den Handlungsfeldern Arbeits- und Gesundheitsschutz,
Betriebliche Gesundheitsförderung und Wiedereingliederung (bzw. Verhinderung von
Ausgliederung). Hier kann es durchaus verschiedene Akteure, Aktionen und Methoden
geben, es braucht aber eine gemeinsame Steuerung, wenn nicht gar eine noch weiter
integrierte Managementstruktur, in der Qualitäts- und Umweltmanagement eingeschlossen
sind.
Die Verantwortung des Unternehmens gilt dabei insbesondere der gesundheitsförderlichen
Arbeitsgestaltung einschließlich unternehmenskultureller Aspekte. Dies ist die eine Seite der
Medaille – die der Verhältnisprävention.
Die andere Seite der Medaille ist die Verhaltensprävention und damit die Verantwortung der
Arbeitnehmer für ihre eigene, auch „private“ Gesundheit. Allerdings braqucht auch diese
persönliche, individuelle Seite der kollektiven Unteerstützung, z.B. durch motivierende
Aktionen wie Gesundheitstage und andere Aktivitäten mit Anregungen zu Bewegung,
Ernährung, Stressbewältigung etc. Hilfreich sind auch Instrumente, die das eigene Verhalten
dokumentieren und – möglichst vor dem Hintergrund eigener Zielformulierungen – kontrollierbar machen. Die individuelle Seite braucht darüber hinaus – insbesondere wenn Leistungswandlung oder Krankheit ins Spiel kommen – des Datenschutzes, der Schweigepflicht
und des Vertrauens. BGM ohne eine Struktur und Kultur des Vertrauens kann nicht funktionieren.
Der Verlauf des Projekts „Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben“ fiel zeitlich – mindestens
teilweise - zusammen mit
© iqpr Köln
2
Einleitung
•
der Einführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) in das Sozialgesetzbuch Mitte des Jahres 2004;
•
der Erweiterung und Präzisierung der Regelungsmöglichkeiten mittels Integrationsvereinbarung durch die Revision des § 83 SGB IX. Der neue Abs. (2a) lässt Regelungen zum BEM und zur Betrieblichen Gesundheitsförderung zu - auf Initiative der
Schwerbehindertenvertretung, aber mit einer Geltung für alle Arbeitnehmer;
•
Bericht der Expertenkommission Betriebliche Gesundheitspolitik der Hans-BöcklerStiftung und der Bertelsmannstiftung ihre Empfehlungen zur betrieblichen Gesundheitspolitik und Gesundheitsmanagement - ebenfalls 2004;
•
der Entwicklung und Re-Importierung 1 des kanadischen Disability Management Systems (standardisierte Ausbildung von Fachkräften und Auditierung/Zertifizierung von
Betrieben) ab 2003.
Der Projektverlauf und die bearbeiteten Themen sind u.a. vor diesem Hintergrund zu sehen.
Der vorliegende Forschungsbericht ist daher keine vollständige Arbeit über das Betriebliche
Gesundheitsmanagement, er stellt vielmehr Beiträge zu wesentlichen Aspekten des BGM
zur Verfügung:
•
der Vergleich von Integrationsvereinbarungen vor und nach der Erweiterung durch
den revidierten § 83 SGB IX zeigt u.a., dass die neuen Möglichkeiten wohl bei Weitem noch nicht genutzt werden;
•
die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse stellt einen effizienten Beitrag zur
methodischen Verbesserung des BGM dar;
•
eine aktuelle Standortbestimmung der BGF mit dem Fokus der ökonomischen Wirksamkeit bzw. Messbarkeit sowie der Qualitätssicherung gesundheitsfördernder Maßnahmen dient der angemessenen Bewertung von BGF und der Überzeugungsarbeit
vor Ort;
•
die Eingliederung ist insbesondere ein Stiefkind in den kleinen und mittleren Unternehmen – Praxishilfen in diesem Bereich sind ein Projektergebnis, das auch in anderer Form – ein Paxishandbuch (Universum Verlag 2007) – die Umsetzung des § 84
(2) unterstützen soll.
1
„Re“-Import bezieht sich auf die Tatsache, dass das kanadische Institut NIDMAR und sein deutschstämmiger Geschäftsführer Wolfgang Zimmermann insbesondere auch aus Deutschland einen KnowHow-Transfer genutzt haben, entsprechende Delegationen wurden auf deutscher Seite von Dr.
Hartmut Haines angeführt, seinerzeit Ministerialrat und Referatsleiter im BMA.
3
© iqpr Köln
Integrationsvereinbarungen
2 Integrationsvereinbarungen
Marcus Schian, Dr. Holger Wellmann
2.1 Zusammenfassung
Durch den neuen § 83 Abs. 2a SGB IX wurden die Möglichkeiten zur Nutzung der Integrationsvereinbarungen (InVen) als Steuerungsinstrument auch der Prävention erweitert. Wie
diese Möglichkeiten in der Praxis genutzt wurden und genutzt werden können, wurde in
diesem Teilprojekt untersucht. Die Auswertung von 95 vor der Neuregelung des § 83 Abs. 2a
SGB IX am 01.05.2004 abgeschlossenen InVen (Stichprobe 1, N = 95) ergibt dabei erwartungsgemäß, dass die darin enthaltenen Maßnahmen insbesondere an die schwerbehinderten Mitarbeiter gerichtet und nicht auf Gesundheitsförderung, sondern auf Arbeitsplatzerhaltung fokussiert sind. Es stellen sich bezogen auf die Anforderungen des SGB IX Umsetzungsdefizite heraus. Entgegen der Annahme, die dem ursprünglichen, auch im Zwischenbericht dargestellten, Untersuchungsdesign zugrunde lag, waren InVen, die seit der Neuregelung nach dem 01.05.2004 abgeschlossen wurden, in deutlich geringerer Anzahl zu
erlangen. Die Größe der Stichprobe 2 (InVen, die nach Inkrafttreten des § 84 Abs. 2a SGB
IX abgeschlossen wurden) ist entsprechend kleiner ausgefallen (N = 21). Die Vermutung,
dass dies in nachlassenden Abschlusszahlen begründet ist, wird im Rahmen eines Experteninterviews bestätigt. In diesem Interview werden auch mögliche Ursachen aufgezeigt. Trotz
der geringeren Stichprobengröße ergeben sich aber Anhaltspunkte dafür, dass von den in §
83 Abs. 2a Nr. 5 SGB IX angelegten neueren Regelungsfeldern zumindest die Regelung des
betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX tatsächlich zu einer
entsprechenden Veränderung der Inhalte von nach Inkrafttreten des § 83 Abs. 2a SGB IX
abgeschlossenen Integrationsvereinbarungen geführt hat. In Wissenschaft und Praxis in den
vorausgehenden Jahren gewonnene Erkenntnisse zu Strukturprinzipien von Integrationsvereinbarungen wurden teilweise besser umgesetzt. Aus den gewonnenen Ergebnissen lassen
sich Merkmale ableiten, die gelungene Integrationsvereinbarungen kennzeichnen. Diese
wurden zu Empfehlungen zur Gestaltung von InVen ausgearbeitet.
2.2 Hintergrund
Im Zuge der Revision des SchwbG zum 01.02.2000 wurde mit der Integrationsvereinbarung
(InV) ein neues Instrument zur beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen
geschaffen. Die Regelungen des § 14b SchwbG wurden mit Inkrafttreten des SGB IX am 1.
Juli 2001 in § 83 SGB IX übernommen. Dessen Revision zum 01.05.2004 hat die inhaltliche
Ausgestaltung der Integrationsvereinbarungen präzisiert. Unter anderem ist seitdem in § 83
Abs. 2a Nr. 5 SGB IX ausdrücklich festgelegt, dass Regelungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM, § 84 SGB IX) und zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF)
Regelungsgegenstand einer InV sein können.
© iqpr Köln
4
Integrationsvereinbarungen
Für die Schwerbehindertenvertretung, die für die Aufnahme von Verhandlungen über
Integrationsvereinbarungen ein Initiativrecht hat 2, mit welchem wiederum unausgesprochen
ein entsprechender Auftrag korrespondiert, ging schon mit § 14b SchwbG ein erheblicher
Bedeutungszuwachs hinsichtlich Mitwirkung an innerbetrieblichen Steuerungs- und Planungsprozessen einher. Erstmals konnte sie verbindliche Vereinbarungen 3 abschließen und
somit auch entsprechend aktiv inhaltlichen Einfluss auf diese Prozesse nehmen. Oft
übersehen wird, dass schon seit Inkrafttreten des SGB IX nach § 83 Abs. 1 Satz 3 dieses
Initiativrecht der betrieblichen Interessenvertretung nach § 93 SGB IX – meist: Betriebsrat –
zusteht (und somit auch der entsprechende Auftrag), wenn eine Schwerbehindertenvertretung nicht vorhanden ist.
Durch die gesetzliche Verankerung der präventionsorientierten Regelungsfelder BGF und
BEM (§ 83 Abs. 2a Nr. 5 SGB IX) führt die Neuregelung, wie an anderer Stelle ausführlicher
dargestellt wird 4, nunmehr nicht allein, aber insbesondere dazu, dass die Integrationsvereinbarung für alle Beschäftigten abgeschlossen werden kann und das Potenzial bietet, als
zentrales Instrument zur Regelung und Steuerung des gesamten betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) eingesetzt zu werden. Insoweit ist mit § 83 Abs. 2a SGB IX für
Schwerbehindertenvertretung und betriebliche Interessenvertretung nach § 93 SGB IX ein –
hinsichtlich der Interessenvertretung subsidiärer – gesetzlicher Auftrag für die Verankerung
eines umfassenden BGM in der Betriebskultur geschaffen worden.
Dabei lassen sich innerhalb der gesetzlich angelegten oder aber der mit diesen unmittelbar
zusammenhängenden Maßnahmen unter präventiven Gesichtspunkten grob zweierlei Arten
von Maßnahmen unterscheiden. Zum einen die Maßnahmen, deren Zweck in allererster
Linie die unmittelbare oder mittelbare Arbeitsplatzerhaltung ist. Zu nennen wären beispielhaft
insbesondere die Prävention nach § 84 Abs. 1 und 2 SGB IX und die Arbeitsplatzanpassung,
aber neben vielen anderen Maßnahmen auch die Qualifizierung gesundheitlich beeinträchtigter Mitarbeiter oder auch flexible Arbeitszeiten. Zum anderen sind Maßnahmen erwähnt,
die zumindest auch einen starken Fokus auf der Gesundheit des Beschäftigten haben. Vor
allem trifft dies auf die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) zu. Aber auch die Regelungen des klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind natürlich hier einzuordnen.
Über die gesetzlich verankerten Neuerungen auf dem Gebiet der inhaltlichen Regelungsfelder hinaus sind im Laufe der vergangenen Jahre auch Strukturprinzipien für die Organisation
eines auch die Prävention erfassenden betrieblichen Gesundheitsmanagements identifiziert
worden 5. Von besonderer Bedeutung sind insoweit folgende Prinzipien:
¾ Verankerung in der Unternehmensstruktur
¾ Festlegung eindeutiger Interventionssignale
2
Statt vieler: Seel in Ernst/Adlhoch Seel, SBG IX, § 83 Rz. 19 (Stand: 9. Lfg.) mwN.
Vgl. den klaren Gesetzeswortlaut des § 83 Abs. 1 SGB IX.
4
Gagel/Dalitz „Regelung des betrieblichen Eingliederungsmanagements durch Betriebsvereinbarung
und/oder Integrationsvereinbarung“, Behindertenrecht 2006, S. 39–42 ; vgl. auch
Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, § 83 Rz. 35ff..
5
PRVE (iqpr 2004); Feldes, Handbuch Integrationsvereinbarung, Frankfurt 2003; IGMetall (Hrsg.), Die
Integrationsvereinbarung, Frankfurt 2003; Maja Heiner (Hrsg.): Qualitätsentwicklung durch Evaluation.
Freiburg 1996.
3
5
© iqpr Köln
Integrationsvereinbarungen
¾ Prinzip der Vernetzung der betriebsinternen Akteure und des Betriebes mit betriebsexternen Akteuren sowie das
¾ Prinzip des lernenden Systems.
Im Hinblick auf die in der Regel größere Verbindlichkeit und somit zwangsläufig gesteigerte
Umsetzungstiefe ist zudem die Möglichkeit, den § 83 SGB IX in Themenfeldern statt in einer
Integrationsvereinbarung in Form einer Betriebsvereinbarung regeln zu können, zu erwähnen.
Die Verankerung in der Unternehmensstruktur kann durch viele Maßnahmen erfolgen.
Wichtig sind die Verankerung im Unternehmensleitbild, die umfassende Information und die
Einbeziehung der Mitarbeiterschaft. Für letzteres ist u.a. ein weiter persönlicher Geltungsbereich einer Integrationsvereinbarung ein Indiz.
Ebenfalls bedeutsam ist die Festlegung eindeutiger Interventionssignale. Da es bei der
Verhinderung der Ausgliederung um gesundheitsbezogene Fragestellungen geht, bietet es
sich an, auch gesundheitsbezogene Informationen zur Grundlage eines Interventionssignals
zu machen. Andererseits ist jedoch aus datenschutz- und arbeitsrechtlichen Gründen der
Zugriff des Betriebs auf gesundheitsrelevante Informationen grundsätzlich gering. Es bietet
sich insoweit am ehesten die Festlegung einer bestimmten Fehlzeitenmenge, die ohnehin
vom Betrieb erhoben wird, als Interventionssignal an.
Die Vernetzung der betriebsinternen Akteure erfolgt nach dem Stand der Erkenntnisse am
besten im Rahmen eines Integrationsteams. Eine Vernetzung mit externen Akteuren setzt
als Mindestmaßstab voraus, dass diese den jeweiligen betriebsinternen Akteuren auch
bekannt sind und dass zumindest in Umrissen klar wird, in welchen Fällen sie zu kontaktieren sind. Dies kann durch entsprechende Regelungen in Integrationsvereinbarungen
gewährleistet werden.
Die Verankerung eines lernenden Systems setzt voraus, dass Maßnahmen zur Überwachung der Wirksamkeit sowohl der Vereinbarung insgesamt als auch einzelner Maßnahmen
getroffen werden. Ebenfalls ist eine kontinuierliche Berichterstattung an die betriebliche
Öffentlichkeit, zumindest aber die wesentlichen Akteure und Betroffenen erforderlich.
Es besteht auch die Möglichkeit, die in § 83 SGB IX genannten Themenfelder in einer
Betriebsvereinbarung zu regeln, was den Vorteil einer höheren Verbindlichkeit bietet
(Normwirkung). Eine Vereinbarung allein zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber reicht jedoch,
wenn eine Schwerbehindertenvertretung vorhanden ist, nach hier vertretener Auffassung
nicht aus, da diese ansonsten ihres gesetzlich verankerten Verhandlungs- und Abschlussmandats für eine Integrationsvereinbarung beraubt wäre. Als Ausweg wäre denkbar, die SBV
mit in den Kreis der Betriebsvereinbarungsparteien aufzunehmen, was jedoch weitere, noch
nicht geklärte Fragen aufwirft. Dagegen spricht schon der Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 1
BetrVG, der nur ArbG und BR erwähnt 6. Sollte dieses Vorgehen daher nicht möglich sein, so
kann auf die Form der Betriebsvereinbarung auch ganz verzichtet werden. Aus mitbestimmungsrechtlicher Sicht jedenfalls ist auch in den der zwingenden Mitbestimmung nach § 87
BetrVG unterliegenden Regelungsbereichen die Zustimmung des Betriebsrats zur Integrati-
6
So wohl Lorenz in Düwell (Hrsg.), Betriebsverfassungsgesetz Handkommentar § 77 Rz. 10.
© iqpr Köln
6
Integrationsvereinbarungen
onsvereinbarung eine ausreichende Ausübung des Mitbestimmungsrechts 7. Eine höhere
Verbindlichkeit könnte dann wohl auch durch eine ggf. gesonderte ausdrückliche Vereinbarung hergestellt werden 8.
2.3 Forschungsziel
Ziel dieses Teilprojekts ist es, durch Auswertung von in der Praxis abgeschlossenen
Integrationsvereinbarungen aufzuzeigen, wie mit Hilfe dieses Instruments die genannten und
andere präventionsorientierte Aspekte eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements in der
betrieblichen Realität ausgestaltet werden, wie sich die Neuregelung des § 83 Abs. 2a SGB
IX auf die Praxis ausgewirkt hat und wie die identifizierten Strukturprinzipien eines guten
BGMs in Integrationsvereinbarungen vor und nach der Einfügung des § 84 Abs. 2a SGB IX
aufgenommen worden sind. Hinsichtlich der Möglichkeit des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung soll dabei lediglich die tatsächliche Verbreitung untersucht werden. Die aus der
Auswertung gewonnenen Erkenntnisse sollen in Empfehlungen für die Gestaltung von
Integrationsvereinbarungen einfließen.
2.4 Methode
Untersucht werden in der Praxis abgeschlossene Integrationsvereinbarungen unter besonderer Berücksichtigung der in § 83 Abs. 2a n.F. enthaltenen neuen Regelungsfeldern, auf
1. Maßnahmen, die allgemein der Arbeitsplatzerhaltung dienen 9,
2. Maßnahmen, die der Gesundheitsförderung bzw. dem Gesundheitsschutz dienen,
3. Strukturprinzipien, die in der bisherigen Literatur als mögliche Kriterien für die Beurteilung einer Integrationsvereinbarung angeführt werden.
Unter Integrationsvereinbarungen werden dabei auch Betriebsvereinbarungen verstanden,
die die Inhalte des § 83 SGB IX zum Gegenstand haben (Integrationsvereinbarungen im
weiteren Sinne).
Dazu werden zunächst im ersten Schritt (vgl. 2.5) Integrationsvereinbarungen, die vor der
Einführung des § 83 Abs. 2a SGB IX verabschiedet wurden (Stichprobe 1), ausgewertet.
Untersucht werden u.a. die gewählte Form und die Parteien der Vereinbarungen, der
persönliche Geltungsbereich, Maßnahmen mit dem Zweck der Erhaltung von Arbeitsplätzen,
Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit, die Nutzung von Fehlzeiten als Interventionssignal, die benannten betriebsinternen und -externen Akteure sowie Regelungen zum Monitoring der Vereinbarung. Das Monitoring umfasst hier zum einen konkret an betriebliche
Akteure adressierte Regelungen zur Überwachung der Vereinbarung insgesamt oder
einzelner Teile. Da eine solche Überwachung aber nur auf Grundlage von Informationen
erfolgen kann und Integrationsvereinbarungen und ihre Inhalte zudem auch Akzeptanz in
7
Gagel/Dalitz „Regelung des betrieblichen Eingliederungsmanagements durch Betriebsvereinbarung
und/oder Integrationsvereinbarung“, Behindertenrecht 2006, S. 39–42.
8
Vgl. Lorenz aaO.
9
Aspekte der Einstellung, Personalauswahl etc. wurden beispielsweise nicht berücksichtigt.
7
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Integrationsvereinbarungen
den betrieblichen Strukturen benötigen, werden zum anderen auch die verschiedenen
Berichtspflichten betrachtet.
In einem zweiten Schritt (vgl. 2.6) werden Integrationsvereinbarungen, die nach dem
01.06.2004 abgeschlossen wurden (Stichprobe 2), nach den gleichen Kriterien ausgewertet
wie die aus der ersten Gruppe.
Im dritten Schritt (vgl. 2.7) soll ein Vergleich der Stichproben 1 und 2 Rückschlüsse auf die
Entwicklung unter dem Eindruck der Neuregelung des § 83 Abs. 2a SGB IX und der gewonnenen Erkenntnisse zu den der Integration förderlichen Strukturen ermöglichen.
Schließlich werden die gewonnenen Erkenntnisse in Empfehlungen für die Gestaltung von
Integrationsvereinbarungen in Form eines universellen Leitfadens umgesetzt (vgl. 2.9).
2.5 Auswertung vor dem 01.05.2004 abgeschlossener InVen
Im ersten Projektjahr sind 95 Integrationsvereinbarungen ausgewertet worden, die vor der
Revision ausgearbeitet worden sind 10 (Stichprobe 1). Ausgewählte Ergebnisse sind in
Tabelle 1 zusammengefasst.
Tabelle 1: Auswertung vor dem 01.05. 2004 abgeschlossener InVen
Untersuchungsgegenstand Ausgewählte 11 Ergebnisse (n = 96)
Pers. Geltungsbereich
Schwerbeh. Mitarbeiter
+ behind. Mitarbeiter
+ Sonstige Mitarbeiter
Maßnahmen zur
- Arbeitsplatzerhaltung
- Gesundheitsförderung
Fast die Hälfte aller InV regelt ausschließlich die Belange
schwerbeh. Mitarbeiter (46). Weitere 18 InV regeln zusätzlich Maßnahmen auch für behinderte Mitarbeiter. In 31 InV
werden schließlich Maßnahmen aufgenommen, die sich
zusätzlich an sonstige Mitarbeiter richten. Anzumerken ist,
dass der Geltungsbereich oftmals nicht klar definiert ist.
In jeder InV werden Maßnahmen zur Arbeitsplatzerhaltung
erwähnt, insbesondere zur Arbeitsplatzgestaltung (63), aber
auch zur Prävention nach § 84 Abs. 1 SGB IX (36).
53 InVen trafen Regelungen zur Qualifizierung, in 56 fanden
sich Vereinbarungen zu flexiblen Arbeitszeiten.
Jedoch finden sich nur in 26 InVen Maßnahmen der
Gesundheitsförderung.
Interventionssignal
- längere Erkrankung
Ein eindeutiges, durch die AU-Zeiten definiertes und über
die Bestimmungen des § 84 SGB IX a. F. hinausgehendes
Interventionssignal bleibt die Ausnahme (vier Mal „mehr als
10
Quelle: REHADAT-Datenbank für Integrationsvereinbarungen
(http://db1.REHADAT.de/REHADAT/Reha. KHS?State=15010 Zugriff am 14.01.2005); REHADAT ist
ein vom BMAS gefördertes Projekt des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln; für
weitere Informationen vgl. www.rehadat.de.
11
Für detailliertere Ergebnisse vgl. Anhang.
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8
Integrationsvereinbarungen
- mehr als drei Monate
- mehr als sechs Wochen
Die Schwerbehindertenvertretung (SBV) ist der interne
Hauptakteur (88), gefolgt vom Betriebsrat (68) und dem
Arbeitgeberbeauftragten (48). Immerhin in 44 Fällen wurde
ein Integrationsteam gebildet. Externe Ansprechpartner sind
in erster Linie das Integrationsamt (65) und das Arbeitsamt
(30).
Akteure
- Intern
- Extern
Parteien und
Vereinbarung
sechs Wochen“). Unpräzise formulierte „Längere Erkrankungsphasen“ werden in 15 Fällen angegeben.
Form
der In insgesamt 18 Fällen wurde eine Betriebsvereinbarung
abgeschlossen, in 15 war die SBV Partei der Vereinbarung.
Zwei InVen wurden ohne Betriebsrat abgeschlossen, eine
ohne Beteiligung einer Schwerbehindertenvertretung.
Monitoring
43 Integrationsvereinbarungen beinhalteten Überwachungs- Berichts- und Über- und Berichtspflichten verschiedener Akteure, in 14 wurde
nur die Überwachung, in 20 wurden nur Berichtspflichten
wachungspflichten
geregelt. 18 Vereinbarungen enthielten keinerlei Regelunversch. Akteure
gen zu Überwachungs- oder Berichtspflichten
Nicht überraschend ist die starke Betonung der Maßnahmen zur Arbeitsplatzerhaltung im
Vergleich zu den gesundheitsfördernden Aktivitäten. Letztere waren schließlich bis zur
Ergänzung des Absatzes 2a in § 83 SGB IX nicht gesetzlich vorgesehen. Die Berücksichtigung der BGF in immerhin 24 Fällen (25%) ist zwar bemerkenswert. Jedoch werden in
diesen Vereinbarungen im Gegensatz zur Arbeitsplatzerhaltung kaum detaillierte Einzelmaßnahmen genannt.
In immerhin 18 Fällen (19%) wurden Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, was mit Blick
auf den noch umstrittenen Rechtscharakter der Integrationsvereinbarung 12 insofern vorteilhaft für die Beschäftigten ist, als sie aus Betriebsvereinbarungen aufgrund ihrer normativen
Wirkung unmittelbare Ansprüche herleiten können. Umso positiver ist die Bereitschaft der
jeweils beteiligten Unternehmensführungen zu bewerten, sich hier mehr zu binden, als es
vom Gesetz in § 83 Abs. 1 SGB IX eindeutig gefordert wird. Weiterhin interessant ist, dass in
15 von diesen Betriebsvereinbarungen die SBV als Vereinbarungspartei aufgeführt ist. Auch
hier ist positiv zu vermerken, dass die Beteiligten damit zusammenhängende rechtliche
Fragen mit Blick auf die eindeutige Sinnhaftigkeit dieser Art von Vereinbarung als nachrangig
eingestuft zu haben scheinen. Von der im Gesetz vorgesehenen Möglichkeit, das Integrationsamt in beratender Funktion hinzuzuziehen (§ 83 Abs. 1 Satz 4 SGB IX), wurde nur in
zwei Fällen Gebrauch gemacht. In zwei Fällen wurde eine Integrationsvereinbarung ohne
Betriebsrat abgeschlossen, in einem Fall ohne Schwerbehindertenvertretung. Ein nahe
liegender Grund dafür könnte sein, dass in den jeweiligen Betrieben das betreffende
Vertretungsgremium nicht vorhanden war.
12
Vgl. Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, § 83 Rz. 4f.; Schröder in Hauck-Noftz, SGB IX, § 83 Rz.
22f. jeweils mwN.
9
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Integrationsvereinbarungen
Bezüglich des Controllings/Monitorings der Integrationsvereinbarungen stellt sich heraus,
dass in 43 Fällen (45%) sowohl Berichts- als auch Überwachungspflichten geregelt werden.
In 14 Fällen (15%) sind nur Regelungen zur Überwachung, in 20 nur Regelungen zu
Berichtspflichten vereinbart. 18 Integrationsvereinbarungen (19%) wiesen weder Überwachungs- noch Berichtsregelungen auf, bzw. erschöpften sich diesbezüglich in allgemein
gehaltenen Bekundungen der Absicht guter Zusammenarbeit. An dieser Stelle zeigt sich ein
auffälliges Defizit der untersuchten Integrationsvereinbarungen. Dass in insgesamt nur 57
Fällen (60%) Überwachungsregelungen getroffen wurden, obwohl solche Maßnahmen als
Prinzip steuerungsbezogenen Handelns anerkannt sind, lässt sich kaum allein aus dem
sinnvollen Bemühen heraus erklären, die in Integrationsvereinbarungen geregelten Handlungsfelder dem Primat der Freiwilligkeit zu unterwerfen. Dieses Bemühen ist zwar in der
Sache richtig, sollte jedoch nicht dazu führen, dass die als wichtig und regelungsbedürftig
erkannten Handlungsfelder der Beliebigkeit überlassen werden. Schon in Anbetracht der
Regelungen der §§ 83 Abs. 3 und m.E. auch 96 Abs. 2 SGB IX ist das Fehlen von Regelungen zur Berichterstattung in mehr als einem Drittel der Vereinbarungen bemerkenswert.
Hinzu kommt, dass die in der Integrationsvereinbarung zu regelnden Themen auch im
Unternehmen gelebt werden müssen, sollen sie richtig umgesetzt werden. Auch unter
diesem Gesichtspunkt ist ein funktionierendes Berichts- und Kommunikationswesen daher
als wichtig anzusehen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang eine Vereinbarung, der
zufolge das Integrationsteam an Betriebsrat, Betriebsversammlung und Versammlungen
schwerbehinderter Menschen berichten sowie via Betriebszeitung und Intranet informieren
soll.
Hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs werden in den InV erwartungsgemäß
überwiegend „nur“ die schwerbehinderten Mitarbeiter angesprochen. Begrüßenswert ist,
dass in einigen Unternehmen die Möglichkeit erkannt wurde, weitere Personengruppen
(behinderte und sonstige Mitarbeiter) einzubeziehen. Die Gruppe der Sonstigen ist sehr
heterogen zusammengesetzt, z.B. werden Regelungen für Langzeiterkrankte, Rehabilitanden und von Behinderung bedrohte Mitarbeiter aufgenommen. Allerdings wurde oftmals
versäumt, den Geltungsbereich der InVen generell und die einzelnen Maßnahmen präzise
den einzelnen Gruppen zuzuordnen.
In vielen Fällen ist ein eindeutiges Interventionssignal Voraussetzung für die Einleitung
konkreter Maßnahmen. Umso kritischer muss bewertet werden, dass trotz der eindeutigen
Regelungen des § 84 Abs. 2 SGB IX a. F. gerade einmal in 18 Fällen (19%) eine AU-Zeit
von mehr als drei Monaten als Handlungsanlass festgelegt wurde. In Anbetracht der
gesetzlichen Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX a. F., demzufolge nach drei Monaten AU
reagiert werden musste, liegt, soweit man davon ausgeht, dass über das in InVen Geregelte
hinaus in Betrieben wenig geschieht, hier ein klares Umsetzungsdefizit vor.
Die wichtigsten internen Akteure werden in der Regel erwähnt. Deren Zusammenwirken ist
jedoch häufig nicht präzise ausgestaltet. Abhilfe bietet die Schaffung eines Integrationsteams, das in 44 Fällen (46%) gebildet wurde. Mit dem Integrationsamt und der Agentur für
Arbeit werden bedeutende externe Akteure regelmäßig eingebunden. Defizitär ist demgegenüber die Einbindung der gemeinsamen Servicestellen (nur einmal erwähnt).
© iqpr Köln
10
Integrationsvereinbarungen
2.6 Auswertung nach dem 01.05.2004 abgeschlossener InVen
Das oben dargelegte Untersuchungsdesign (Vergleich von vor der Einführung des § 83 Abs.
2a SGB IX abgeschlossenen InVen mit solchen, die danach abgeschlossen wurden) ging
von der Annahme aus, dass in die der Auswertung zugrunde liegende Datenbank 13 kontinuierlich aktuelle InVen eingestellt werden. Wie sich bei erneuten Zugriffen auf die Datenbank
in den Monaten März und April 2006 zeigte, traf diese Annahme nicht zu. Es fanden sich
lediglich vier nach dem 01.05.2005 abgeschlossene InVen in der Datenbank. Die Gründe für
den im Vergleich zu den vergangenen Jahren stark verminderten Zugang aktueller InVen 14
wurden im Rahmen eines Experteninterviews mit dem bei REHADAT für den Bereich InVen
zuständigen Projektmitarbeiter (Zusammenfassung vgl. 2.8) versucht zu klären.
Auch im Zuge eigener Recherchen konnten zunächst zusätzlich zu den in REHADAT
eingestellten neueren InVen (insg. 13) nur acht weitere aktuelle InVen untersucht werden
(Stichprobe 2), so dass insgesamt nur ein n von 21 erreicht werden konnte. Insgesamt
stellen sich die Ergebnisse bezogen auf die in Tabelle 1 dargestellten Kriterien wie folgt dar:
Tabelle 2: Auswertung nach dem 01.05.2004 abgeschlossener InVen
Untersuchungsgegenstand Ausgewählte 15 Ergebnisse (n = 21)
Parteien und
Vereinbarung
Form
der Eine Vereinbarung wurde in Form einer Betriebsvereinbarung abgeschlossen, deren Partei auch die Schwerbehindertenvertretung war. In einem Fall wurde von der Möglichkeit der Beratung durch das Integrationsamt Gebrauch
gemacht.
Pers. Geltungsbereich
Schwerbeh. Mitarbeiter
+ behind. Mitarbeiter
Zwölf Vereinbarungen treffen Regelungen ausschließlich für
schwerbehinderte Beschäftigte, in den übrigen neun
Vereinbarungen finden sich Regelungen für sonstige
Beschäftigte.
+ sonstige Mitarbeiter
Maßnahmen zur
- Arbeitsplatzerhaltung
- Gesundheitsförderung
Jede Vereinbarung enthält Maßnahmen zur Arbeitsplatzerhaltung, jeweils 16 regeln Maßnahmen zur Arbeitsplatzgestaltung und Qualifizierung, in 18 finden sich Regelungen zur
Arbeitszeitgestaltung.
Prävention nach § 84 Abs. 1 SGB IX wird in zehn Vereinbarungen geregelt. Das BEM nach § 84 Abs. 2 SGB neue
Fassung ist in sieben InV verankert.
In vier Vereinbarungen sind Regelungen zur Gesundheitsförderung enthalten, zwei enthalten einen sehr detaillierten
13
Vgl. Fn. 10.
Der zudem in Widerspruch steht mit den in noch in aktuellerer Literatur zu findenden
Einschätzungen, vgl. z.B. Dopatka/Ritz in Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz, SGB IX, 1. Auflage 2006 § 83
Rz. 4ff..
15
Für detailliertere Ergebnisse vgl. Anhang.
14
11
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Integrationsvereinbarungen
Angebotskatalog.
Interventionssignal
- längere Erkrankung
- mehr als drei Monate
Sechs InV regeln eine längere Erkrankung als Interventionssignal, zwei Vereinbarungen sehen Intervention nach
mehr als dreimonatiger AU vor. In sieben InV ist ein
Tätigwerden nach sechs Wochen AU geregelt.
- mehr als sechs Wochen
Akteure
- Intern
- Extern
An internen Akteuren wird die SBV über die Eigenschaft als
Vereinbarungspartei hinaus ausdrücklich in allen Vereinbarungen erwähnt, der Betriebsrat wird in 19 Fällen, der
ArbG/die Personalabteilung in 21 Fällen aufgeführt. Ein
Integrationsteam als solches wird in elf Vereinbarungen
erwähnt.
Von den externen Akteuren wird das Integrationsamt am
häufigsten einbezogen (17). Die Agentur für Arbeit wird
zwölfmal, der IFD siebenmal, andere Rehaträger viermal
und der behandelnde Arzt dreimal berücksichtigt.
Monitoring
Acht InVen beinhalten Überwachungs- und Berichtspflichten
- Berichts- und Über- verschiedener Akteure, in drei wird nur die Überwachung
geregelt. Acht Vereinbarungen enthält keine detaillierten
wachungspflichten
Regelungen zu Überwachungs- oder Berichtspflichten
versch. Akteure
Die Möglichkeit, eine Betriebsvereinbarung abzuschließen, wurde auch bei den neueren
Vereinbarungen genutzt, wenn auch deutlich seltener (einmal). Auch wurde einmal das
Integrationsamt als Berater schon bei Vereinbarungsabschluss hinzugezogen.
Ein Monitoring in Form von Überwachungs- und Berichtspflichten wird in 38% der Vereinbarungen geregelt (acht). In ebenso vielen Fällen gibt es keine Regelungen zu Überwachung
und Berichtspflichten, bzw. erschöpfen sich die diesbezüglichen Aussagen in allgemein
gehaltenen Bekundungen der Absicht guter Zusammenarbeit. Insgesamt scheint dies für
eine verminderte Ausgestaltung der Überwachungs- und Berichtspflichten in den neueren
InVen zu sprechen.
Hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs treffen neun Vereinbarungen (43 %)
Regelungen für sonstige Beschäftigte, sechs für wirklich alle Beschäftigten. Dies könnte auf
die nunmehr bestehende Möglichkeit, das BEM und die BGF – die jeweils alle Beschäftigten
betreffen – auch in InVen zu regeln, zurückzuführen sein.
Dafür spricht auch, dass immerhin in einem Drittel der Vereinbarungen (sieben) das BEM
ausdrücklich geregelt wird, wenn es auch in zwei Fällen auf schwerbehinderte Beschäftigte
beschränkt wird.
In vier InVen (19 %) werden Maßnahmen der Gesundheitsförderung erwähnt.
In zwölf der ausgewerteten Vereinbarungen (57 %) wurde eine Auffälligkeit bezüglich
Arbeitsunfähigkeitszeiten (z.B.: AU von mehr als sechs Wochen im Jahr) als Interventions© iqpr Köln
12
Integrationsvereinbarungen
signal festgelegt. Dieser hohe Anteil spricht ebenfalls für die Vermutung, dass die entsprechenden Erkenntnisse aus der Forschung und die Neuregelungen der §§ 83f. SGB IX
allmählich Verbreitung finden.
Während die Benennung von SBV und Betriebsrat in nahezu jeder Vereinbarung zu erwarten
war, kann die Konstituierung eines Integrationsteams in elf Vereinbarungen (52%) als ein
Zeichen für die Verbreitung der entsprechenden Erkenntnisse der vergangenen Jahre
angesehen werden.
Sehr hoch ist auch der Anteil der Erwähnungen des Integrationsamtes (17 Erwähnungen/
81%) und der Bundesagentur für Arbeit (zwölf/57%) als möglicherweise in die geregelten
Prozesse einzubeziehende externe Akteure.
2.7 Stichprobenvergleich – Aussagen zur Verankerung allgemeiner
Maßnahmen der Ausgliederungsverhinderung sowie zur Rezeption des erweiterten gesetzlichen Auftrags und der gewonnenen Erkenntnisse zu Strukturprinzipien von InVen
Unter Berücksichtigung der geringen Größe der Stichprobe 2 (n=21) lassen sich im Vergleich
zu den älteren InVen folgende Trends vermuten:
2.7.1 Verankerung allgemeiner der Ausgliederung entgegenwirkender
Maßnahmen, die nicht im neuen § 83 Abs. 2a SGB IX enthalten
sind
Maßnahmen der Arbeitsplatzanpassung wurden in 66% der Stichprobe 1 getroffen, in
Stichprobe 2 betrug dieser Wert 76 %. 38% der Stichprobe 1 enthielten Maßnahmen zur
Prävention nach § 84 Abs. 1 – bzw. inhaltsgleiche Regelungen –, während in 48% der
Stichprobe 2 solche Maßnahmen verankert wurden. Die Qualifizierung der Beschäftigten
wurde in 56 % der Stichprobe 1, aber in 76% der Stichprobe 2 geregelt. Schließlich weisen
68% der Stichprobe 1 und 86 % der Stichprobe 2 Regelungen zu flexiblen Arbeitszeiten auf,
wozu auch die in § 83 Abs. 2a SGB IX erwähnte Teilzeitarbeit gezählt wurde.
Aus diesen Zahlen lässt sich der Schluss begründen, dass die neueren Integrationsvereinbarungen der Stichprobe 2 in den genannten Handlungsfeldern deutlich mehr konkrete
Maßnahmen aufweisen als die der Stichprobe 1. Dies kann im Zusammenhang mit den trotz
der verlangsamten Verbreitung (vgl. 2.8) doch insgesamt größeren Erfahrungen mit dem
Instrument Integrationsvereinbarung stehen.
2.7.2 Rezeption des hinsichtlich Prävention erweiterten gesetzlichen
Auftrags hinsichtlich der Regelungsfelder des § 83 Abs. 2a SGB IX
Hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs hat sich wenig geändert. Nach wie vor liegt
der klare Schwerpunkt auf der Geltung nur für schwerbehinderte Beschäftigte (Stichprobe 1:
48%, Stichprobe 2: 57%). Immerhin treffen sechs der neueren Vereinbarungen Regelungen
für wirklich alle Mitarbeiter (29 %). Dies ist im Vergleich zu der unklaren Gemengelage bei
13
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Integrationsvereinbarungen
den sonstigen angesprochenen Beschäftigten in der Stichprobe 1 als echte Steigerung
anzusehen. Der Grund liegt aller Wahrscheinlichkeit nach in der Regelung des BEM nach §
84 Abs. 2 SGB IX, die in Stichprobe 2 fünfmal uneingeschränkt und zweimal beschränkt auf
schwerbehinderte Mitarbeiter (insgesamt 33%) in die Vereinbarungen aufgenommen wurde.
Die zuletzt genannte Beschränkung kann wahrscheinlich auf die juristisch nicht haltbare,
aber aufgrund der Einordnung des § 84 Abs. 2 in das SGB IX bei oberflächlicher Betrachtung
durch den Laien zunächst diskussionswürdige Auffassung, das BEM solle nur für Schwerbehinderte gelten, zurückgeführt werden. Hinsichtlich des § 84 Abs. 2 SGB IX fällt zudem auf,
dass in nur 17% der Stichprobe 1 die Regelung des § 84 Abs. 2 a.F. SGB IX, der bereits
einige Elemente der aktuellen Fassung enthält, ausdrückliche Erwähnung fand. Insgesamt
kann also mit der aufgrund der geringen Größe der Stichprobe 2 gebotenen Vorsicht von
einer Rezeption der erweiterten Regelung des § 83 Abs. 2a SGB IX und einer damit einhergehenden stärkeren Berücksichtigung präventiver Aspekte zumindest hinsichtlich des BEM
gesprochen werden.
In die gleiche Richtung weist die im Vergleich zur Stichprobe 1 höhere Quote von AU-Zeiten
als Interventionssignal (57% in Stichprobe 2, 20 % in Stichprobe 1).
Gesundheitsfördernde Maßnahmen wurden hingegen nur in 19 % der Stichprobe 2, aber in
27 % der Stichprobe 1 geregelt. Andere in § 83 Abs. 2a SGB IX genannte Regelungsfelder
konnten der Stichprobe 2 nicht entnommen werden. Eine Rezeption des erweiterten § 83
Abs. 2a SGB IX kann insofern nicht belegt werden.
Der gestiegene Anteil an Regelungen zu flexiblen Arbeitszeiten (vgl. oben, 2.7.1) kann hier
nicht als Indiz für eine Rezeption des § 83 Abs. 2a SGB IX herangezogen werden, da bei der
Auswertung eine Fülle verschiedener Regelungen, nicht nur die in § 83 Abs. 2a Nr. 3 SGB IX
erwähnte Teilzeitarbeit, unter diesem Stichwort zusammengefasst wurden.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die neue gesetzliche Regelung des § 83 Abs. 2a SGB IX
sehr wahrscheinlich nur hinsichtlich der BEM-Komponente tatsächlich in der Praxis ihren
Niederschlag gefunden zu haben scheint.
2.7.3 Rezeption gewonnener Erkenntnisse zu Strukturprinzipien
Die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse zu Strukturprinzipien von InVen wurden
hinsichtlich der zu beteiligenden Akteure (Integrationsteam), der Maßnahmen zum Controlling/Monitoring und der konkreten Vereinbarungsform untersucht.
In den älteren InVen wurde in 46% ein Integrationsteam ausdrücklich erwähnt, in Stichprobe
2 waren es 52 %. Trotz der geringen Größe der Stichprobe 2 kann man von einem Trend zur
stärkeren Verbreitung dieses Strukturprinzips sprechen. Externe Akteure wurden anscheinend in den neueren InVen deutlich häufiger mit einbezogen. So erwähnen 81% der
Stichprobe 2 das Integrationsamt und 57% die Agentur für Arbeit, während dies in Stichprobe 1 nur in 68% bzw. 32 % der Fälle getan wurde.
Das Controlling/Monitoring war hingegen in den älteren InVen deutlicher ausgeprägt. In
Stichprobe 1 enthielten immerhin 45% Regelungen zu Überwachungs- und Berichtspflichten.
In nur 19% waren keinerlei Regelungen zu Überwachung und Berichten zu finden. Demge-
© iqpr Köln
14
Integrationsvereinbarungen
genüber ist in Stichprobe 2 diese Verteilung 38% zu 38%. Diese Art von Strukturprinzip
(lernendes System) ist scheinbar nicht rezipiert worden.
2.8 Gründe für die geringe Zahl an neuen InVen – Zusammenfassung eines Experteninterviews
Aufgrund der geringen Anzahl zugänglicher neuerer, nach dem 01.05.2004 abgeschlossener
InVen, sowohl bei REHADAT als auch über sonstige Wege, konnten mit dem ursprünglichen
Untersuchungsdesign im Projektzeitraum keine hinreichend verlässlichen Aussagen zu den
aufgeworfenen Fragen gefunden werden. Es drängte sich die Frage nach den Ursachen für
diesen nachlassenden Informationsfluss auf. Um diese zu identifizieren, wurde am
18.05.2006 ein Experteninterview mit dem bei REHADAT, einem Projekt des Instituts der
Deutschen Wirtschaft e.V., für den Bereich InVen zuständigen Mitarbeiter Peter van Haasteren durchgeführt, das im Folgenden zusammengefasst wiedergegeben wird.
2.8.1 Entwicklung des Bestandes der InV-Datenbank bei REHADAT
Bis Ende Dezember 2004 wurden 89 Integrationsvereinbarungen neu eingestellt, seither
acht.
Insgesamt wurden zwar ca. 400 InVen REHADAT zugeleitet, diese unterliegen jedoch einem
doppelten Filter: Zum einen werden aus Branchen, für die bereits eine Vielzahl von InVen in
der Datenbank vorhanden sind, zunächst nur noch wenige neue aufgenommen. Zudem wird
eine inhaltliche Bewertung vorgenommen, so dass inhaltsleere „Alibi“-Vereinbarungen oder
solche, die sich auf das bloße Abschreiben von Leitfäden beschränken, nicht aufgenommen
werden. Davon abgesehen, spiegeln die obigen Zahlen ungefähr die Entwicklung bei der
Einreichung von InVen bei REHADAT wider.
2.8.2 Zugangswege und Schwierigkeiten beim Erhalt von InVen
Üblicherweise erhält REHADAT InVen über Kontakte zu Schwerbehindertenvertretungen. Zu
insgesamt ca. 3000 bestehen im Rahmen des Projekts Kontakte. Weitere Quellen sind
Gewerkschaften, seltener Betriebs- und Werksärzte, einige wurden REHADAT über Arbeitgeberbeauftragte für die Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen übermittelt. Die
InVen werden vor ihrer Einstellung in die Datenbank anonymisiert. Trotz dieser Anonymisierung ist es schwierig, von Integrationsämtern InVen zu erhalten. Nach entsprechender
Einigung auf Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) werden InVen durch die Integrationsämter aus Gründen des Daten- und
Geheimnisschutzes grundsätzlich nicht an externe Stellen herausgegeben. Auch dort wird
aber vermutet, dass in den letzten Jahren weniger InVen neu abgeschlossen werden.
Das Vorgehen der Integrationsämter deckt sich nach Herrn van Haasterens Angaben nicht
immer mit seinen persönlichen Erfahrungen, denen zufolge das Thema Geheimnisschutz
eher selten Bedenken von Unternehmensseite gegen eine Veröffentlichung auslöse.
15
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Integrationsvereinbarungen
2.8.3 Gründe für nachlassende Aktivität bezüglich aktuellerer Vereinbarungen
Die wesentlichen Probleme sind aus Sicht Herrn van Haasterens Akzeptanz und Bekanntheitsgrad des SGB IX im Allgemeinen und der InV im Besonderen sowie die Rolle der
Schwerbehindertenvertretungen, wobei diese Aspekte vor dem Hintergrund der aktuellen
gesamtwirtschaftlichen Lage zu bewerten sind.
So werde das SGB IX, wenn überhaupt, von Unternehmensseite häufig als gut gemeintes,
aber eben nicht mehr zeitgemäßes Gesetz angesehen, das vor allem ein erhöhtes Maß an
Bürokratie bedeute und daher erheblichen Akzeptanzschwierigkeiten begegne. Gleiches
gelte in Bezug auf die InV. Auch Betriebsräte seien kaum mit dem Instrument der InV und
seinen Möglichkeiten vertraut.
Die Schwerbehindertenvertretungen selbst wiederum haben nach Kenntnis Herrn van
Haasterens derzeit häufig einen schweren Stand. Die wirtschaftliche Großwetterlage und die
Situation in den einzelnen Unternehmen ließen häufig die Bedenken gegenüber einem allzu
forschen Durchsetzen nicht akzeptierter gesetzlicher Regelungen wie des § 83 SGB IX
überwiegen, zumal man nicht nur sich selbst, sondern auch das bisher für schwerbehinderte
Beschäftigte Erreichte gefährdet sehe. Im Verhältnis zu Betriebsräten seien die Schwerbehindertenvertretungen oft eher geduldet oder gar belächelt. Die Fülle an Aufgaben, die eine
umfassende Qualifizierung wünschenswert erscheinen lasse, trage ihr Übriges dazu bei.
Diese Faktoren führten ihrerseits dazu, dass selbstbewusst auftretende Schwerbehindertenvertretungen eher selten sind. Solche Ausnahmen fänden sich am häufigsten im öffentlichen
Dienst, oder aber dann, wenn Schwerbehindertenvertretungen öffentlichkeitswirksam
eingebunden seien.
Darüber hinaus hätten auch die Unternehmen, die zunächst rasch InVen abgeschlossen
haben, häufig keine aktuelleren mehr aushandeln können, d.h. viele Vereinbarungen, die
veraltet wirkten, seien tatsächlich aktuell. Ein Grund dafür sei wohl auch, dass man ungerne
einräumen wolle, ausgehandelte Ziele nicht erreicht zu haben.
2.8.4 Der neue § 83 Abs. 2a SGB IX und seine Auswirkungen
Die durch den neuen § 83 Abs. 2a SGB IX geschaffenen Möglichkeiten sind laut Herrn van
Haasteren in der Sache positiv zu bewerten. Die Möglichkeiten würden aber selten gesehen,
es herrsche Schubladendenken vor.
Auswirkungen dieser Neuregelungen auf die Motivationen von Unternehmen zum Abschluss
oder zur Veröffentlichung von InVen sieht Herr van Haasteren kaum. Viele Unternehmen
hätten für das BGM insgesamt aber bereits umfassende Betriebsvereinbarungen, in die
InVen dann eingepasst werden könnten, so dass ein zusätzlicher Anreiz zum Abschluss von
InVen nicht geschaffen würde. Allerdings seien umgekehrt im ohnehin bisweilen nicht ganz
spannungsfreien Verhältnis zu Betriebsräten Zuständigkeitsquerelen gerade im Bereich
Gesundheitsförderung durchaus vorstellbar, was ein Grund für die nachlassenden Aktivitäten
zum Abschluss von InVen sein könne.
© iqpr Köln
16
Integrationsvereinbarungen
Hinsichtlich BGF und BEM könne ein weiteres Akzeptanzproblem beim Beschäftigten
entstehen, der in der Regel ein Interesse daran habe, dass der Arbeitgeber möglichst wenig
über seine gesundheitliche Situation erfahre.
2.8.5 Stand der Umsetzung – allgemein und in Bezug auf die Neuregelung des § 83 Abs. 2a SGB IX
Eine Schätzung der Bundesregierung geht für Anfang 2003 auf Grundlage der vom DGB
vertretenen Annahme, dass nur jeder vierte Abschluss einer InV gemeldet wird, von einem
Bestand von ca. 1400 InVen aus. 16
Laut Angaben des Integrationsamts Köln waren Ende 2004 dort 120 InVen gemeldet. Herr
van Haasteren rechnet dies unter Berücksichtigung der Anzahl der im Einzugsbereich des
LVR lebenden Einwohner (ca. 9,5 Mio.) 17 und unter Berücksichtigung der scheinbar nachlassenden Abschlusszahlen dahingehend hoch, dass derzeit gut 1.000 InVen bei den Integrationsämtern gemeldet seien, so dass insgesamt von höchstens 4.000 InVen auszugehen sei,
was ungefähr 2% der beschäftigungspflichtigen Betriebe entspräche. In der Folge geht Herr
van Haasteren davon aus, dass ca. 10% der InV bisher bei REHADAT eingereicht wurden.
Aus o.g. Gründen sei davon auszugehen, dass nur ein sehr geringer Teil aktuelleren Datums
sei und die Möglichkeiten des neuen § 83 Abs. 2a SGB IX nutze.
2.8.6 Vorschläge für eine verbesserte Umsetzung des Instruments
„Integrationsvereinbarung“
Zunächst sollten nach Ansicht Herrn van Haasterens die Arbeitgeber durch die Bildung von
Netzwerken mehr „ins Boot“ geholt werden. Die Arbeitgeberverbände sollten angesprochen
und aktiviert werden. Ein kaum verzichtbares Mittel für diese Schritte sei auch in Bezug auf
InVen eine nachvollziehbare Darstellung der Kosten-Nutzen-Rechnungen und die Verbreitung von auch aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht erfolgreichen Engagements wie Ford
oder Real. Ein verbessertes gesetzliches Bonus-System für die Einführung von BEM/BGF
könne auch hilfreich sein.
In inhaltlicher Hinsicht sah Herr van Haasteren vor dem Hintergrund auch der sonstigen bei
REHADAT bearbeiteten Themenfelder – wie z.B. praktische Integrationsbeispiele aus
Unternehmen – folgende Bereiche als besonders wichtig für eine wirksame InV an: IstAnalyse, detaillierte Zielvereinbarungen auch und gerade in Bezug auf BGF, Zieldefinition,
Teilzieldefinition, Beteiligung aller Zuständigen, Zuständigkeits- und Verantwortungsklärung,
Berichtspflicht, Controlling. Sanktionen in einer Vereinbarung zu regeln, könne nicht generell,
aber für den einen oder anderen Einzelfall befürwortet werden.
16
17
Vgl. Bericht der Bundesregierung nach § 160 SGB IX vom 16.12.2004, BT-Drs. 15/1295, S. 27.
Vgl. http://www.lvr.de/derlvr/organisation/gebiet/ ; Zugriff am 30.12.2006.
17
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Integrationsvereinbarungen
2.9 iqpr-Empfehlungen zur Gestaltung einer InV
Die folgenden Empfehlungen stellen eine Zusammenfassung der bisher gewonnenen
Erkenntnisse über Qualitätsmerkmale von Integrationsvereinbarungen und deren Verankerung in der Betriebs- und Unternehmenskultur dar. Dabei liegt der Schwerpunkt nicht wie in
den vorhergehenden Abschnitten auf den präventionsorientierten Aspekten.
Von ausformulierten Regelungsvorschlägen, die bereits von anderen ausführlich dargestellt
und begründet wurden, 18 wird hier abgesehen. Diese müssten ohnehin den jeweiligen
betrieblichen Besonderheiten angepasst werden. Der Fokus liegt auf der Darstellung der
neueren, im Rahmen des Teilhabeprojekts, des Vorgängerprojekts (PRVE), des Diskussionsforums „Teilhabe und Prävention“ und im Rahmen anderer unter Beteiligung des iqpr
bearbeiteter Projekte und Praxiserfahrungen gewonnenen, Erkenntnisse zu den Inhalten
einer Integrationsvereinbarung. Diesen wird eine Checkliste der übergreifend zu beachtenden Regelungsprinzipien sowie der zu regelnden Handlungsfelder beigefügt.
Dabei gehört es zu den Grunderkenntnissen jeglicher betriebsorientierten Arbeit, dass es
keine umfassende Musterlösung für jede denkbare betriebliche Konstellation geben kann.
Die folgenden Ausführungen sind daher lediglich als eine Empfehlung zu verstehen, die vor
konkreter Anwendung noch an die Besonderheiten der jeweiligen Situation angepasst
werden muss. Sie gliedern sich auf in grundsätzliche Überlegungen zur Verankerung einer
Integrationsvereinbarung in der Unternehmensstruktur und eine Zusammenfassung der bei
der Gestaltung einer Integrationsvereinbarung zu beachtenden Strukturprinzipien, Formalia
und Regelungsfelder
2.9.1 Verankerung der Integrationsvereinbarung in der Unternehmensstruktur
Neben den einzelnen in der Integrationsvereinbarung geregelten Maßnahmen zur Verankerung der mit ihr geregelten Themenfelder in der Unternehmensstruktur stellt sich auch die
Frage, wie die Integrationsvereinbarung ihrerseits in die bestehenden Strukturen eingebunden werden sollte. Diese Frage lässt sich aufgliedern in die aufeinander bezogenen Fragen
nach der Vereinbarungsform bzw. deren Verbindlichkeit und die Frage nach dem Verhältnis
der Integrationsvereinbarung zu anderen betrieblichen Vereinbarungen, insbesondere
Vereinbarungen zum BEM.
2.9.1.1 Form der Vereinbarung
Bei der Wahl der Vereinbarungsform sind die Vorteile hinsichtlich der Verbindlichkeit, die
durch Wahl der Form der Betriebsvereinbarung oder durch ausdrücklich vereinbarte Normwirkung gewonnen werden können, unter Berücksichtigung der konkreten betrieblichen
Situation abzuwägen mit Nachteilen, die durch ggf. entstehende Rechtsunsicherheiten (SBV
als Partei einer BV?, Regelung von Themenfeldern des § 83 SGB IX ohne SBV?) und der
damit ggf. verbundenen Verschärfung des Klimas verbunden sein können. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates können jedenfalls auch durch Zustimmung zu einer Integrati18
Vgl. Feldes aaO. (Fn. 78).
© iqpr Köln
18
Integrationsvereinbarungen
onsvereinbarung ausgeübt werden. Die gewählte Form der Vereinbarung ist insofern vor
allem eine Frage der jeweiligen Betriebskultur.
2.9.1.2 Verhältnis der Integrationsvereinbarung zu anderen Betriebsvereinbarungen, insbesondere zum BEM
Die Entwicklung hat gezeigt, dass in vielen Betrieben für einzelne nach § 83 SGB IX
eigentlich für die Integrationsvereinbarung vorgesehene Themenfelder gesonderte Vereinbarungen getroffen werden. Das gilt insbesondere für das BEM. Diese Praxis spiegelt unter
anderem wider, welche unterschiedlichen Dringlichkeitsgrade den einzelnen Themenfeldern
des § 83 SGB IX beigemessen werden. So hat das BEM aufgrund seines weiten persönlichen Geltungsbereiches und seiner bereits Mitte 2004 erstmals von Dr. Alexander Gagel im
iqpr-Diskussionsforum „Teilhabe und Prävention“ dezidiert dargelegten kündigungsschutzrechtlichen Implikationen 19 eine entsprechend große Thematisierung erfahren, die auch weit
über das in dieser Untersuchung gefundene Maß an Verbreitung in abgeschlossenen
Integrationsvereinbarungen hinaus geht. Im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts von iqpr
und der Arge der Berufsförderungswerke, EIBE, sind beispielsweise entsprechende Vereinbarungen gesammelt worden.
Diese Entwicklung wird hier eher kritisch betrachtet. So ist es natürlich wichtig, dem BEM
und anderen laut § 83 SGB IX für die Integrationsvereinbarung vorgesehenen Themenfeldern eine besondere Bedeutung beizumessen, die sich grundsätzlich auch in gesonderten
Vereinbarungen niederschlagen kann. Auch ist zu beachten, dass eine Regelung aller für die
jeweiligen Themengebiete und insbesondere das BEM bedeutsamen Details in einer
Integrationsvereinbarung diese auf einen beeindruckenden Umfang anwachsen lassen
kann 20. Dennoch sollte man sich nicht der Vorteile begeben, die eine Zusammenfassung
aller für das BGM relevanten Themen in einer Vereinbarung, an der die wesentlichen
betrieblichen Akteure mitgewirkt haben, bietet. Sie ermöglicht eine wirklich vom gesamten
Betrieb getragene Steuerung des vor dem Hintergrund des demografischen Wandels
wichtigen Themenfelds BGM. Mögliche Überschneidungen zwischen den
einzelnen
Themenfeldern können hier am sinnvollsten gelöst werden. Andernfalls müsste immer
wieder einzelfallbezogen nach Synergien/Abgrenzungen gesucht werden, was die Arbeit in
der Sache sehr verzögern kann. Die rechtliche Zulässigkeit einer übergreifenden Integrationsvereinbarung, die auch Regelungen für nicht schwerbehinderte Beschäftigte trifft, darf im
Übrigen als gesichert gelten 21.
Zu konzedieren ist wiederum, dass es unter Umständen aus betriebspraktischer Sicht
erforderlich sein kann, einzelne Themenfelder jeweils aktuellen Erfordernissen oder
(Rechts)Entwicklungen anzupassen. Dies könnte bei Regelung aller relevanten Themenfelder in einer einzigen – ggf. mühsam ausgehandelten – Gesamtvereinbarung deren Kündi19
Vgl, Gagel „Bedeutung des Eingliederungsmanagements (§ 84 Abs. 2 SGB IX) für den Kündigungsschutz“ in Gagel/Schian (Hrsg.), Diskussionsbeiträge zum Schwerbehindertenrecht und betrieblichen
Gesundheitsmanagement, Köln 2006 und auf www.iqpr.de > Diskussionsforum > Forum B, Beiträge
Nr. 4–6/2004.
20
So hat die Mustervereinbarung des EIBE-Projekts (www.eibe.de) für das BEM allein schon einen
Umfang von über 20 Seiten.
21
Vgl. Gagel/Schian (Hrsg.) Diskussionsbeiträge zum Schwerbehindertenrecht und betrieblichen
Gesundheitsmanagement, Teil III.
19
© iqpr Köln
Integrationsvereinbarungen
gung und somit Neuverhandlung erforderlich machen, auch wenn es sich nur um einen
einzigen Teilbereich handelt. Je nach konkreter betrieblicher Situation insbesondere
hinsichtlich der Zusammenarbeit und des Klimas zwischen Arbeitgeber, Betriebsrat und
Schwerbehindertenvertretung, kann es daher tatsächlich angebracht sein, eine im Vergleich
zur umfassenden Gesamtregelung etwas flexiblere Lösung zu wählen.
iqpr gelangt unter Berücksichtigung der zuletzt genannten Argumente zu folgenden Mindestanforderungen an die Verankerung der Integrationsvereinbarung in der Unternehmensstruktur:
Integrationsvereinbarung
Enthält gemäß den Strukturprinzipien die grundlegenden
Regelungen insbes. zu der Verankerung der Themen des
BGM in der Unternehmensstruktur
und zu allen
Regelungsfeldern sowie die Verknüpfungen zu den
konkreten Untervereinbarungen.
z.B. Vereinbarung zum BEM
Enthält
Detailregelungen
zu
Voraussetzungen & Verfahren, z.B.
Kontaktaufnahme, Datenschutz etc.
und Bezüge zur Integrationsvereinbarung.
z.B. Vereinbarung
Teilzeit
zur
Enthält Details zu Voraussetzungen und Verfahren und Bezüge
zur Integrationsvereinbarung.
Es sollten alle in § 83 Abs. 2a SGB IX sowie die weiter unten (vgl. 2.9.2) aufgelisteten
Themenfelder in der Integrationsvereinbarung selbst in ihren Grundzügen geregelt, zumindest aber angesprochen werden. Für nicht im Einzelnen geregelte Themenfelder sollte ein
klarer, aber mit Blick auf mögliche Änderungen in den Untervereinbarungen dynamischer
Verweis auf die konkrete Untervereinbarung gesetzt werden.
2.9.2 Zusammenfassung der bei der Gestaltung einer Integrationsvereinbarung zu beachtenden Strukturprinzipien, Formalia und Regelungsfelder
Im Folgenden werden im Sinne eines Leitfadens die beim Aufsetzen einer Integrationsvereinbarung zu beachtenden Strukturprinzipien, Formalia und einzelnen Regelungsfelder
benannt. Da das Ziel des Projekts ist, übergreifende Erkenntnisse darzustellen, werden
jeweils nur die Grundzüge benannt und wird ggf. auf interessante in den ausgewerteten
Integrationsvereinbarungen enthaltene Details hingewiesen. Konkrete Formulierungsvorschläge sind demgegenüber immer bereits auf bestimmte betriebliche Gegebenheiten
© iqpr Köln
20
Integrationsvereinbarungen
abgestimmt und können insofern nicht allgemeingültig vorgeschlagen werden. Für den
interessierten Leser finden sich zahlreiche Formulierungsvorschläge in der Literatur 22 sowie
– nach Branchen gegliedert – in der Datenbank von REHADAT (www.rehadat.de).
2.9.2.1 Strukturprinzipien einer Integrationsvereinbarung
Aus den Ergebnissen dieses Projekts, rechtlichen Erwägungen und anderen Erfahrungen
des Institutes lassen sich folgende Strukturprinzipien ableiten, deren Einhaltung zwar kein
Garant für ein erfolgreiches, auch die Prävention erfassendes BGM ist, ein solches aber
wesentlich erleichtern kann.
2.9.2.1.1 Verankerung in der Unternehmensstruktur
Ganz wesentlich ist die effektive Verankerung des BGM in der Unternehmensstruktur. Dabei
geht es zum einen um Schritte zur Verankerung der inhaltlichen Themen im Unternehmen,
zum anderen aber auch um die möglichst effektive Nutzung insbesondere der gesetzlich
vorgegebenen Instrumente zur Steuerung eines von allen Beteiligten getragenen BGM.
2.9.2.1.1.1 Verankerung der Vereinbarung selbst
a) Wahl der passenden Vereinbarungsform
Hier ist zunächst die Form der Vereinbarung zu wählen: Betriebs- oder Integrationsvereinbarung. Zu den Einzelheiten vgl. 2.9.1.1und 2.2.
b) Verhältnis der Integrationsvereinbarung zu anderen Vereinbarungen zum BGM
Weiterhin ist wichtig, zu entscheiden, welche Funktion die Integrationsvereinbarung
haben soll. iqpr plädiert für eine zentrale Integrationsvereinbarung, die die wesentlichen Strukturprinzipien enthält bzw. klärt, gleichzeitig aber bei besonders umfangreichen einzelnen Regelungsfeldern die Möglichkeit gesonderter Einzelvereinbarungen
zulässt. Dafür bietet sich beispielsweise das BEM an. Wird eine Vereinbarung für alle
Regelungsfelder des § 83 SGB IX gewählt, sollte ggf. für einzelne Bereiche die Möglichkeit isolierter Nachverhandlungen festgeschrieben werden.
2.9.2.1.1.2 Verankerung der Themen des BGM in der Unternehmensstruktur
a) Verankerung der Themen des BGM im Unternehmensleitbild
Die Verankerung im Unternehmensleitbild ist nicht nur eine effektive Methode, um
wirklich alle Ebenen des Unternehmens für das Thema BGM zu sensibilisieren. Es
kann auch die entsprechenden Zielsetzungen und Aktivitäten des Unternehmens
imagewirksam nach außen kommunizieren, was wiederum Rückwirkungen auf das
Unternehmen selbst haben kann.
22
Feldes aaO (Fn. 78), IG-Metall aaO (Fn. 78), Britschgi, Krankheit und betriebliches Eingliederungsmanagement, Bund-Verlag, Frankfurt 2006; Diskussionsforum B, Beiträge Nr. 2/2005, 3/2005 und
8/2005 auf www.iqpr.de > Diskussionsforen > Forum B.
21
© iqpr Köln
Integrationsvereinbarungen
b) Schulung der Interessenvertretung, der SBV und der Führungskräfte
Es hat sich immer wieder gezeigt, dass ein funktionierendes BEM voraussetzt, dass
die Führungskräfte es mittragen. Das wiederum kann nur erreicht werden, wenn diese entsprechend geschult werden. Entsprechend gilt dies für die anderen ganz zentralen Akteure im BGM, nämlich die betrieblichen Interessenvertretungen nach § 93
SGB IX und die Schwerbehindertenvertretung.
c) Information der und regelmäßige Berichte an die Mitarbeiter
Damit das BGM wirklich vom gesamten Unternehmen getragen wird, reicht es nicht
aus, nur die Führungsebene zu unterrichten. Schließlich kommt es ja auch entscheidend auf das Verhalten der einzelnen Beschäftigten an. Die Betriebsöffentlichkeit
sollte also neben den spezielleren Maßnahmenangeboten auch regelmäßig allgemein
über Sinn, Zweck und Fortschritt des BGM informiert werden.
d) Ggf. spezielle Schulung der Kollegen
Wenn gesundheitlich beeinträchtigte Beschäftigte möglichst umfangreich in den Arbeitsprozess reintegriert werden sollen, steht und fällt dieses Ziel mit der Unterstützung durch die unmittelbare Arbeitsumgebung. Diese sollte durch spezielle auf den
Einzelfall angepasste Informationen erleichtert werden.
2.9.2.1.2 Vernetzung der betriebsinternen Akteure
Solange es mit der Betriebsgröße vereinbar ist, sollte zu diesem Zweck ein Integrationsteam
gebildet werden, dem zumindest Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat, ein Arbeitgeberbeauftragter und der Betriebsarzt angehören sollten. Die Beiziehung anderer für die jeweiligen Aufgaben qualifizierter Fachkräfte (z.B. Fachkraft für Arbeitssicherheit) sollte vorgesehen werden.
Für jedes Handlungsfeld sollten klare Verantwortlichkeiten und ein Ansprechpartner im
Integrationsteam (dessen Festlegung wiederum kann dem Integrationsteam überlassen
bleiben) festgelegt werden. Bloße Zitierungen ggf. einschlägiger gesetzlicher Regelungen
reichen nicht. Leitlinie sollte dabei sein, dass derjenige, der sich nicht auskennt, nicht mehr
als die Integrationsvereinbarung (ggf. zzgl. der jeweiligen Untervereinbarung), Bekanntmachungen des Integrationsteams und ein Telefon benötigt, um für sein Anliegen den richtigen
Ansprechpartner zu finden.
Für jeden Regelungskomplex zu den einzelnen Regelungsfeldern sollten zudem klare
Verfahrensregelungen getroffen und Verantwortlichkeiten festgelegt werden (wer veranlasst
welche weiteren Schritte?).
Sollte es sich z.B. wegen der möglichen personellen Verschiebungen im Integrationsteam
als nicht opportun herausstellen, Ansprechpartner und Verfahrensweisen innerhalb des
Integrationsteams direkt in der Integrationsvereinbarung zu regeln, ist es sinnvoll, das
Integrationsteam zur Festlegung entsprechender Verfahren und Verantwortlichkeiten zu
verpflichten. Die getroffenen Regelungen müssten dann öffentlich gemacht werden.
© iqpr Köln
22
Integrationsvereinbarungen
Neben dem Ansprechpartner aus dem Integrationsteam sollten für jeden Regelungskomplex
der einzelnen Handlungsfelder weitere beizuziehende Akteure benannt werden, z.B. die
Fachkraft für Arbeitssicherheit bei den Regelungen zum Arbeitsschutz.
2.9.2.1.3 Vernetzung mit betriebsexternen Akteuren
Auch hier gilt es, für jedes Handlungsfeld bezüglich der Kontaktaufnahme mit betriebsexternen Akteuren (z.B. Rehabilitationsträger, Integrationsamt) klare Verfahren und Verantwortlichkeiten festzulegen, bzw. das Integrationsteam zu einer klaren Regelung, die kommuniziert werden muss, zu verpflichten.
2.9.2.1.4 Eindeutige Interventionssignale
Wichtig ist hier vor allem in Anlehnung an § 84 Abs. 2 SGB IX die Beobachtung längerer AUZeiten. Dabei ist jedoch zu beachten, dass aus Gründen der Selbstbestimmung und des
Datenschutzes die Verarbeitung der AU-Daten zu anderen Zwecken als zu denen des
gesetzlich geregelten BEM (beispielsweise um eine Intervention schon nach vier Wochen
einzuleiten) nicht allein in einer Integrations-/Betriebsvereinbarung geregelt werden kann,
sondern zusätzlich der vorherigen Einwilligung eines jeden Beschäftigten bedarf.
Auch andere Interventionssignale können festgelegt werden, die allerdings ebenfalls nicht
unangemessen in die Persönlichkeitsrechte des betroffenen Beschäftigten eingreifen dürfen.
2.9.2.1.5 Lernendes System
Eine Integrationsvereinbarung und das zu Grunde liegende BGM können nur dann wirklich
gelebt werden, wenn von vornherein Möglichkeiten zur Fehlerverbesserung eingebaut sind,
um eine fortlaufende Anpassung an die betrieblichen Notwendigkeiten und Zielsetzungen zu
ermöglichen:
a) Ist-Analyse
Wo Kennzahlen vorhanden sind, bietet sich eine Ist-Analyse an, auf deren Grundlage
die weiteren Schritte geplant werden können. Ein Beispiel dafür ist die Schwerbehindertenquote im Unternehmen, die meist einigermaßen verlässlich beziffert werden
kann.
b) Festlegung von Handlungszielen
Ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Umsetzung von Vereinbarungen ist die
Setzung von Handlungszielen, die ggf. direkt auf der Ist-Analyse aufbauen können.
c) Regelmäßige Berichte und Kontrolle
Um Fortschritte in der Bearbeitung der Themen des BGM im Unternehmen zu erzielen, ist es wichtig, Fortschritte messen und eventuelle Defizite und Entwicklungen identifizieren zu können. Dafür ist eine regelmäßige allgemeine Berichterstattung an
die Entscheider und Interessenvertretungen (samt SBV) des jeweiligen Betriebes ebenso wichtig wie die Verankerung von Mechanismen, die die konkrete Erfolgskontrolle von einzelnen Maßnahmen (z.B. stufenweise Wiedereingliederung im Rahmen
23
© iqpr Köln
Integrationsvereinbarungen
eines BEM) ermöglichen. Letzteres sollte sinnvollerweise Aufgabe des Integrationsteams sein.
2.9.2.1.6 Datenschutz
Da es im gesundheitlichen Bereich häufig um sensible Informationen geht und die Persönlichkeitsrechte des Beschäftigten somit im besonderen Maße betroffen sein können, ist in
allen Regelungsfeldern der Datenschutz zu beachten. Eine entsprechende Kultur zum
vertraulichen Umgang mit Daten sollte geschaffen und durch klare Regelungen hinterlegt
werden. Insbesondere im Handlungsfeld BEM und Rehabilitation sind diese zu beachten. Die
zu beachtenden Grundsätze hat Sabine Dalitz im Diskussionsbeitrag Nr. 3/2006 im Diskussionsforum B auf www.iqpr.de hinsichtlich des BEM aufgezeigt. Diese Grundsätze gelten
aber auch allgemein im BGM, sobald es um sensible Daten geht. Im Rahmen des EIBEProjekts (Abschlussbericht wird im März 2007 veröffentlicht) wurde auf dieser Grundlage
eine entsprechend ausformulierte Mustervereinbarung zum BEM entwickelt.
2.9.2.2 Wichtige Formalia
Auch eine Integrationsvereinbarung sollte gewisse formale Anforderungen erfüllen, um den
Vereinbarungsrahmen für die Beteiligten und die Betriebsöffentlichkeit transparent zu
machen. Im Einzelnen sind zu beachten:
¾
¾
¾
¾
¾
¾
¾
¾
Nennung der Vereinbarungsparteien
Festlegung des Geltungsbereichs
Regelungen zur Beilegung von Streitigkeiten
Schlussbestimmungen
In-Kraft-Treten
Salvatorische Klausel
Gültigkeitsdauer und Kündigung
(ggf. Fristenregelung für Pilotphase; ggf. Nachwirkung)
2.9.2.3 Einzelne Handlungsfelder einer Integrationsvereinbarung
Im Folgenden werden die Regelungsfelder aufgeführt, die in einer Integrationsvereinbarung
zumindest in ihren Grundzügen geregelt werden sollten. Über 1.1.9.2.3.1 hinaus sollte in
allen Regelungsfeldern beachtet werden, dass Sonderregelungen für schwerbehinderte
Menschen angezeigt sein können. Den einzelnen Regelungsfeldern sind Regelungskomplexe zugeordnet, die sich in den ausgewerteten Integrationsvereinbarungen fanden und
seitens des iqpr als in der Regel besonders sinnvoll betrachtet werden.
2.9.2.3.1 Besondere Personalplanung mit Blick auf schwerbehinderte Mitarbeiter
Angezeigt sind eine Ist-Analyse und eine Zielvereinbarung zur Beschäftigungsquote nach
§ 71 SGB IX.
Konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Quote sollten formuliert werden. In einigen
Integrationsvereinbarungen wurde diesbezüglich beispielsweise ein Bonus-Malus-System für
einzelne Abteilungen eingeführt.
© iqpr Köln
24
Integrationsvereinbarungen
Besonderheiten bei der Personalakquise mit Blick auf schwerbehinderte Menschen sollten
unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitgerichts 23
geregelt werden. Als einzelne Regelungskomplexe sind beispielhaft zu nennen: Stellenausschreibungen, innerbetriebliche Auswahlrichtlinien, Auswahl- und Einstellungsverfahren,
Beteiligungsrechte der SBV und des Betriebsrates.
In dieses Handlungsfeld gehören auch Einzelheiten bei der Ausbildung schwerbehinderter
Menschen sowie Regelungen zu Möglichkeiten für Praktika und Probebeschäftigung
schwerbehinderter Menschen.
2.9.2.3.2 Qualifizierung
Hier sollte festgelegt werden, ob und in welchem Maße gesundheitlich beeinträchtigte
Beschäftigte bei der Qualifizierung bevorzugt werden können.
Besonders wichtig ist hier die Vernetzung zu den Rehabilitationsträgern und deren Unterstützungsangeboten.
Hilfreich ist die Etablierung einer Routine für die Feststellung von Fortbildungsbedarf und wunsch eines Beschäftigten vorzugsweise in Abstimmung mit dem jeweiligen Vorgesetzten.
2.9.2.3.3 Versetzungen und andere Änderungen im Arbeitsverhältnis
Hier bietet es sich insbesondere an, den Einfluss von Versetzungen auf den beruflichen
Status des betroffenen Beschäftigten zu klären.
Manche Integrationsvereinbarungen sahen die Möglichkeit vor, dass Versetzungen und
sonstige AP-Wechsel bei Bedarf begleitet werden durch innerbetriebliche Fachleute, z.B.
durch das oder Mitglieder des Integrationsteam/s, oder durch externe Fachleute wie
beispielsweise den IFD oder andere Dienstleister, das Integrationsamt oder auch die
Rehabilitationsträger.
2.9.2.3.4 Arbeitsplatz- und Arbeitsumfeldgestaltung
Die Barrierefreiheit sollte bereits bei der Planung und Gestaltung neuer Arbeitsplätze
und/oder deren Umfeld beachtet werden.
Auch die Erfordernisse des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bei der Planung und Gestaltung neuer Arbeitsplätze und deren Umfeld sollten eingehalten werden. Ein Verweis auf das
Handlungsfeld Arbeits- und Gesundheitsschutz (vgl. 2.9.2.3.9) bzw. eine entsprechende
Untervereinbarung sollte erfolgen.
Für schwerbehinderte Beschäftigte bietet sich hier eine Reihe von Möglichkeiten der
Sonderregelung, wie beispielsweise die Einräumung von Sonderparkplätzen, an.
2.9.2.3.5 Arbeitsplatz- und Arbeitsumfeldanpassung
Verbindliche Regelungen zur Durchführung der gesetzlichen Pflicht zur Arbeitsplatzbegehung.
23
Vgl. z.B. BAG, Urteil vom 15.02.2005 – 9 AZR 635/03 –.
25
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Integrationsvereinbarungen
Dabei Berücksichtigung der Belange des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie der
Barrierefreiheit. Ein Verweis auf das Regelungsfeld Arbeits- und Gesundheitsschutz (vgl.
2.9.2.3.9) bzw. eine entsprechende Untervereinbarung sollte erfolgen.
Darüber hinaus Regelung zur anlassbezogenen Untersuchung des Arbeitsplatzes auf
Möglichkeiten zur Anpassung an die gesundheitlichen Erfordernisse des AP-Inhabers.
Verbindliches und transparentes Verfahren zur Behebung aufgefundener Mängel bzw. zur
Nutzung der identifizierten Anpassungsmöglichkeiten der Arbeitsplätze.
Für schwerbehinderte Beschäftigte sollten gerade in diesem Regelungsfeld Sonderregelungen getroffen werden.
2.9.2.3.6 Arbeitsorganisation (Leistungsbeurteilung, Arbeitsassistenz)
Ein wichtiges und für betroffene Beschäftigte heikles Thema ist die Arbeitsorganisation. Hier
ist es schwierig, eindeutige Empfehlungen auszusprechen. Daher wird nur darauf hingewiesen, dass sich in den Integrationsvereinbarungen unterschiedlichste Regelungen zu diesem
Handlungsfeld finden. Teilweise werden schwerbehinderte, in manchen Fällen auch generell
gesundheitlich betroffene Mitarbeiter, ausdrücklich von Zielvereinbarungen ausgenommen,
hinsichtlich der Leistungsbeurteilung gesonderten Regelungen unterworfen oder es werden
entsprechende Sonderregelungen für Gruppenarbeit getroffen.
2.9.2.3.7 Arbeitszeit
Hier sollten Einzelheiten für Teilzeitarbeit geregelt werden.
Ebenfalls hierher gehören Regelungen zu aus gesundheitlichen Gründen notwendigen
Freistellungen von Arbeit bzw. Anpassungen der Arbeitszeiten an die gesundheitlichen
Erfordernisse des betroffenen Beschäftigten.
2.9.2.3.8 Gesundheitsförderung
Erfahrungen aus Praxisprojekten zeigen, dass dieses Regelungsfeld sich schon wegen der
notwendigen Beteiligung der Betriebsparteien für eine Regelung in einer Integrationsvereinbarung besonders empfiehlt. Dem steht eine bislang geringe Berücksichtigung in tatsächlich
abgeschlossenen Vereinbarungen gegenüber.
In den Vereinbarungen finden sich Regelungen zu einzelnen Maßnahmen der BGF wie
¾
¾
¾
¾
¾
¾
¾
Einrichtung von Gesundheitszirkeln,
Diät-Speisen und -Lebensmittel,
Rückenschule,
Schulungen für das Heben und Tragen von Lasten,
Schulungen für Bildschirm-Arbeitsplätze,
Schulungen für Stressbewältigung,
Behindertensport, Mobilitätstraining,
und darüber, wie diese Maßnahmen angeboten und seitens des Unternehmens unterstützt
werden (beispielsweise durch teilweise Freistellung, Finanzierung der Anbieter solcher
Maßnahmen etc.).
© iqpr Köln
26
Integrationsvereinbarungen
2.9.2.3.9 Arbeits- und Gesundheitsschutz, Notfallunterstützung
Aufgrund der Fülle der beim Arbeitsschutz zu beachtenden gesetzlichen und berufsgenossenschaftlichen Regelungen und Verfahrensweisen bietet sich dieses Regelungsfeld für eine
gesonderte Vereinbarung an.
Wichtig ist, dass in der Integrationsvereinbarung zumindest ein klares Bekenntnis zur
Einhaltung der genannten Regelungen enthalten ist und dass in Grundzügen Ansprechpartner/Verantwortliche und Verfahrensweisen benannt werden.
In einigen Integrationsvereinbarungen werden den Beschäftigten Schulungen zum Arbeitsund Gesundheitsschutz sowie zur Notfallunterstützung angeboten.
2.9.2.3.10 Betriebliche Prävention nach § 84 SGB IX
Da es sich hier um ein noch sehr neues, rechtlich in den Details noch immer umstrittenes
und zudem aufgrund der kündigungsschutzrechtlichen Implikation sensibles Handlungsfeld
handelt, bietet sich auch hier an, eine eigene Vereinbarung abzuschließen. In den Integrationsvereinbarungen sollten aber zumindest die Grundzüge festgehalten werden.
Für § 84 Abs. 1 SGB IX bedeutet dies, dass sich immer, wenn Schwierigkeiten in einem
Beschäftigungsverhältnis schwerbehinderter Beschäftigter auftauchen, der Arbeitgeber mit
Betriebsrat, SBV und Integrationsamt beraten muss. Angesichts neuerer Rechtsprechung
des BAG 24 empfiehlt sich zudem eine Klarstellung, wie das Verhältnis zur verhaltensbedingten Kündigung geregelt werden soll.
Hinsichtlich § 84 Abs. 2 SGB IX sollten zumindest die Grundzüge in einer übergreifenden
Vereinbarung geregelt sein (Kontaktaufnahme nach sechs Wochen ununterbrochener oder
wiederholter Arbeitsunfähigkeit innerhalb eines Jahres bei allen Mitarbeitern, Anbieten von
Aufklärungs- und Beratungsgesprächen mit Zustimmung und Beteiligung des Mitarbeiters
sowie unter Beteiligung der Interessenvertretung und ggf. der Schwerbehindertenvertretung).
Darüber hinaus ist eine Fülle von Einzelfragen zu beachten, deren erschöpfende Regelung
wohl nur in einer Detailvereinbarung, die ggf. einer kurzfristigen Anpassung entsprechend
den ersten Erfahrungen bedarf, möglich sein werden.
Von besonderer Wichtigkeit ist in diesem Handlungsfeld der Datenschutz (vgl. 2.9.2.1.6).
Auch dazu sollte sich aber bereits in der übergreifenden Vereinbarung eine grundsätzlcihe
Regelung finden.
Ein Vorschlag für eine (Betriebs)vereinbarung zum BEM findet sich im Diskussionsforum
„Teilhabe und Prävention“, Forum B, Beitrag Nr. 3/2005 auf www.iqpr.de. Auch im Rahmen
des EIBE-Projekts wurden viele wichtige Erkenntnisse gesammelt und in einer Mustervereinbarung zum BEM zusammengefasst. Der Abschlussbericht dieses Projekts wird voraussichtlich im März 2007 veröffentlicht.
24
Urteil des BAG vom 07.12.2006 - 07.12.2006 -2 AZR 182/06 -.Vgl. dazu Gagel „Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Bedeutung des § 84 Abs. 1 SGB IX für den Kündigungsschutz“ in Diskussionsforum B, Beitrag 18/2006 auf www.iqpr.de > Diskussionsforen > Forum B.
27
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Integrationsvereinbarungen
2.9.2.3.11 Rehabilitation
Dieses für das BGM wesentliche Handlungsfeld weist in der Praxis viele Bezüge zum BEM
auf. Auf entsprechende Abstimmung der beiden Handlungsfelder bzw. dieses Handlungsfeldes mit der Untervereinbarung zum BEM sollte daher geachtet werden.
Weiterhin ist hier von größter Bedeutung die Vernetzung mit externen Akteuren wie den
Rehabilitationsträgern, dem Integrationsamt, aber auch Dienstleistern.
Auch hier ist der Datenschutz besonders zu beachten (vgl. 2.9.2.1.6). Regelungen sollten
sowohl zur medizinischen als auch zur beruflichen Rehabilitation getroffen werden.
Ein betriebsnahes, bekanntes und erfolgreiches Instrument der Rehabilitation ist die stufenweise Wiedereingliederung. Hilfreich für ein BGM ist ein klares Bekenntnis zu diesem
Instrument. In manchen Integrationsvereinbarungen finden sich Regelungen, die eine
grundsätzliche Zustimmung zur Durchführung einer stwW auf ärztliches Anraten enthalten.
Weiterhin kann festgelegt werden, ob und in welcher Weise der betroffene Beschäftigte bei
betriebsexternen Rehabilitationsmaßnahmen unterstützt wird.
In einigen Integrationsvereinbarungen wurde seitens des Unternehmens unabhängig von der
Unterstützung der Rehabilitationsträger in Aussicht gestellt, grundsätzlich einen Beitrag zu
ggf. erforderlichen Hilfsmitteln zu leisten.
In einer Vereinbarung wurde sogar eine Wiedereinstellungszusage für diejenigen ausgesprochen, die nach externer beruflicher Rehabilitation/Qualifikation wieder in das Unternehmen zurückkehren wollen.
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28
Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse…
3 Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse als
Basis betrieblicher Gesundheitsförderung
Ricardo Baumann, Matthias Czarny
3.1 Exposé
Auf der Grundlage theoretischer Modelle, umfangreicher Literaturrecherche und mehrerer
eigener empirischer Untersuchungen in verschiedenen Betrieben wurde ein Konzept zur
zweistufigen betrieblichen Gesundheitsanalyse entwickelt. Je nach Betriebsgröße, Voraussetzungen hinsichtlich der Datenlage, betrieblicher Vereinbarungen, organisatorischer
Strukturen und betrieblicher Zielsetzungen ergeben sich unterschiedliche Prozeduren. Dabei
werden folgende Module miteinander kombiniert: Screening, Fehlzeitenauswertung, Detailanalyse, Checkliste „Gefährdungsbeurteilungen“ der BG.
3.2 Gegenstand, Ziele und Nutzen einer zweistufigen betrieblichen
Gesundheitsanalyse
Im Zwischenbericht Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben wurde ein betriebliches
Frühwarnsystem beschrieben, das als integrierter Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements die Funktion des frühzeitigen Signalisierens und Bewertens potenzieller
Gesundheitsgefahren in der Lebenswelt Betrieb erfüllt. Dabei wurde von einem mehrstufigen
prozesshaften Ansatz ausgegangen, der durch in Stufen ansteigende Analysetiefe charakterisiert ist und eine progressive Annäherung an den tatsächlich existierenden Handlungsbedarf ermöglicht. Wir gehen im Folgenden davon aus, dass sowohl das Signalisieren bereits
aufgetretener Gesundheitsprobleme bestehender beruflicher Problemlagen als auch das
Signalisieren potenzieller Gesundheitsgefahren in einer Gesundheitsanalyse berücksichtigt
werden sollte. Wenn bereits bestehende Probleme erfasst werden, die ansonsten erst später
entdeckt würden, z.B. durch eine Langzeiterkrankung eines Mitarbeiters, dann ergibt sich
durch eine systematische Gesundheitsanalyse ein Vorteil für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Der Nutzen einer betrieblichen Gesundheitsanalyse sollte darin bestehen, auf möglichst
ökonomische Art Personen bzw. Personengruppen mit gesundheitlicher Einschränkung,
Gesundheitsgefährdung oder mit hohen Fehlzeiten mit zunehmender Analysetiefe zu
erkennen, um interventionsbedürftige Fälle bzw. Unternehmensbereiche herauszufinden und
Maßnahmen zur Beseitigung bzw. Verminderung der arbeitsbezogenen gesundheitlichen
Problemlage in die Wege leiten zu können.
3.3 Anforderungen an eine betriebliche Gesundheitsanalyse
29
•
Ökonomie
•
Systematische Vorgehensweise
•
Praktikabilität
•
Frühzeitige Erkennung von Handlungsbedarf
•
Theoriebasierte Verfahrensweise
•
Aussagekraft der eingesetzten Instrumente sollte empirisch belegt sein.
© iqpr Köln
Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse…
•
Die Gesundheitsanalyse und die Rahmenbedingungen, unter denen sie stattfindet,
sollten sowohl an den Interessen des Arbeitgebers als auch an denen der Arbeitnehmer orientiert sein.
•
Die Ergebnisse der Gesundheitsanalyse sollten Hinweise sowohl auf verhaltens- als
auch verhältnisorientierte Interventionen geben.
3.4 Grundlagen für die Entwicklung des Konzeptes
•
Literaturrecherche (u.a. Schaarschmidt 1998 und Schläfti 1997 zu Einflussfaktoren
auf Fehlzeiten)
•
Theorien zum Verhältnis von Arbeit und Gesundheit (siehe Weinreich 2001)
•
Eigene Studie in einem Einzelhandelsunternehmen (N=367)
•
Eigene Studie in einem Unternehmen der Automobilindustrie (N=107)
•
Eigene Studie in einem metallverarbeitenden Betrieb (N=173)
•
Eigene Studie in einem Setting der beruflichen Rehabilitation (N=53)
3.5 Theorien
•
Belastungs-Beanspruchungs-Konzept
Problem: nur negative Belastungswirkungen
•
Stresstheorie
Hier werden auch positive Einflussfaktoren berücksichtigt
•
Ressourcentheorie
Fokus: gesundheitsförderliche Faktoren
•
Handlungsregulationstheorie
Fokus: Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten
3.6 Studie im Einzelhandel (N=367)
Ziel
Schwerpunkt
Vorgehen
Entwicklung eines Screeninginstruments
Gruppenebene
Literaturrecherche, Erhebung von Fehlzeiten, Mitarbeiterbefragung, Analyse der Zusammenhänge
Inhalte der Mitarbeiterbefragung Insgesamt 156 Fragen zu persönlichen Einflussfaktoren,
privater Situation, Arbeitsumwelt, Merkmalen der Organisation und sozialen Faktoren im Betrieb
Herkunft der Fragen
Udris, Weinreich, Ducki, Deusinger, eigene Fragen
3.7 Literaturrecherche zu Einflussfaktoren auf Fehlzeiten
Die Tabelle 2 gibt einen Überblick über einige Einflussfaktoren, wie sie der aktuelle Forschungsstand nahe legt.
© iqpr Köln
30
Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse…
Tabelle 1: Ausgewählte betriebliche und persönliche Einflussfaktoren auf die Fehlzeiten (in
Anlehnung an Schläfti, 1997)
Einflussfaktor
Ausprägung des Ausprägung der Kommentar
Einflussfaktors
Fehlzeiten
Gestaltung der Arbeit
hoch
niedrig
Persönlichkeitsabhängig
Verantwortung
hoch
niedrig
Persönlichkeitsabhängig
Entscheidungsmöglichkeit hoch
niedrig
Persönlichkeitsabhängig
Arbeitsumgebung:
physische Belastung
hoch
hoch
abhängig von Person
und Schutzmaßnahmen
Führungsverhalten
gut
niedrig
Gerechte
Behandlung gegeben
durch Vorgesetzte
niedrig
Demokratischer
Führungsstil
gegeben
niedrig
Verhältnis unter Kollegen
gut
niedrig
Gruppengröße
hoch
hoch
Betriebsklima
gut
niedrig
Alter
Insgesamt
Einfluss
Dauer
Fehlzeiten
kein Junge sind öfter krank,
auf dafür sind Alte länger
der krank, gleicht sich aus
Geschlecht
Fehlzeiten
bei
Frauen höher als
bei Männern
Ausbildungsstand
hoch
niedrig
Passung
Ausbildung
Tätigkeit dürfte
Bedeutung sein
von
und
von
Familie
gegeben
hoch
Wegen
familiärer
Verpflichtungen
(z.B.
wenn Kind krank)
Vor dem Hintergrund der Theorien und Forschungsergebnisse wurden im vorliegenden
Projekt Skalen aus verschiedenen Befragungsinstrumenten zusammengestellt. Einige
Fragen wurden selbst entwickelt. Insgesamt entstanden 156 Fragen zu Merkmalen der
Arbeitsaufgabe, Arbeitsbelastungen, organisatorischen Ressourcen, sozialen Ressourcen,
Arbeitsplatzsicherheit, subjektiver Gesundheit, Gesundheitsverhalten und soziographischen
Merkmalen. Die 156 Fragen wurden über 367 Mitarbeitern in insgesamt 23 Filialen einer
Einzelhandelskette im Großraum Niederrhein vorgelegt. Bei den befragten Mitarbeitern
handelte es sich überwiegend um VerkäuferInnen. Führungskräfte in den Filialen erhielten
ebenfalls einen Fragebogen und eine Checkliste mit 16 Items zur Einschätzung gesundheitsbezogener Faktoren im Betrieb. Der Betriebsrat erhielt ausschließlich die Checkliste.
Befragungszeitraum war das zweite Quartal 2005. Ca. 80 % der Belegschaft in den aufgesuchten Filialen hat sich an der Befragung beteiligt. Geringe Selektionseffekte könnten
31
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Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse…
insofern vorliegen, als die Mitarbeiter, die am Befragungstag nicht anwesend waren, gebeten
wurden, den Fragebogen nachzureichen, dies jedoch nicht immer geschehen ist.
Bei immerhin 90 % aller realisierten Programme zur betrieblichen Gesundheitsförderung ist
das Motiv die Senkung von Fehlzeiten. Deshalb wurden für die Entwicklung des Screeninginstruments die Daten aus der Befragung der Mitarbeiter mit den korrespondierenden
Fehlzeiten in Beziehung gesetzt und statistisch ausgewertet. Hypothesengeleitet wurden für
die Erstellung des Screeninginstruments eine überschaubare Anzahl von Fragen extrahiert,
bei denen das Antwortverhalten in der Untersuchung in einem signifikanten Zusammenhang
zu den Fehlzeiten stand.
Nach einer ersten Analyse (nur Mitarbeiter, keine Führungskräfte, kein Betriebsrat) wurde
zunächst ein Fragebogen mit 10 Fragen zusammengestellt, die unten und auf der nächsten
Seite aufgeführt sind. Dieser Fragebogen ist zum Einsatz auf Gruppen-, Abteilungs- bzw.
gesamtbetrieblicher Ebene vorgesehen (Checkliste zu arbeitsbezogenen Gesundheitsfaktoren II). Bei der Auswahl der Fragen wurde darauf geachtet, Merkmale zu nehmen, bei denen
davon auszugehen ist, dass sie in der Regel auch auf Abteilungsebene oder gesamtbetrieblich beeinflussbar sind (Verhältnisprävention). Am Ende der jeweiligen Frage sind in Klammern die Korrelationen in Bezug auf die Fehlzeiten in den Jahren 2003 und 2004 (fett
gedruckt) und die Signifikanzniveaus angegeben, entsprechend der Ergebnisse unserer
oben dargestellten empirischen Untersuchung.
3.8 Ergebnisse
Zusammenhänge zwischen Arbeitsumwelt, Merkmalen der Organisation, Sozialen Faktoren
(AOS) im Betrieb und Fehlzeiten (Korrelation in Klammern)
1. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Tätigkeit (- .462**)?
2. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Unternehmen (- .377**)?
3. Wie zufrieden sind Sie mit dem Betriebsklima (-.491**)?
4. Wie zufrieden sind Sie mit Ihren Arbeitskollegen (-.490**)?
5. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem direkten Vorgesetzten (-.482**)?
6. Wie zufrieden sind Sie mit Ihren Möglichkeiten zur Einflussnahme (.320**)?
7. Ich habe das Gefühl, bei meiner Arbeit etwas Sinnvolles zu tun (-.417**)
8. Wie belastend empfinden Sie Ihre Tätigkeit (.426**)?
9. Ich fühle mich häufig überfordert (.414**)
10. Inwieweit liegt bei Ihnen Stress und Hektik vor (.352**)?
Zum Vergleich:
Wie beurteilen Sie Ihren derzeitigen Gesundheitszustand (-.549**)?
Die einzelnen Korrelationen sind angesichts der vielen in der Literatur genannten Einflussfaktoren auf Fehlzeiten (externe Einflüsse, soziale Faktoren, Bezahlung, Arbeitsumwelt,
Merkmale der Organisation, private Situation, persönliche Einflussfaktoren 25) recht hoch. Alle
25
Schläfli, N. (1997): Untersuchung der Fehlzeitenproblematik bei der SULZER RÜTI AG Zuchwil
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32
Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse…
Ergebnisse sind hoch signifikant. Wie zu erwarten, sind die Zusammenhänge zwischen
Antwortverhalten und Fehlzeiten in Bezug auf die Fehltage in 2004 in den meisten Fällen
größer als in Bezug auf die Fehltage in 2003, da die Befragung im Jahr 2005 stattfand und
somit eine größere zeitliche Nähe zwischen den betrachteten Faktoren und den Fehltagen
gegeben ist. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse kann der Einsatz eines Fragebogens mit
den oben aufgelisteten Fragen sicherlich Hinweise auf Zielbereiche für Detailanalysen und
Interventionsansätze im Betrieb geben.
3.9 Nutzungsmöglichkeit im Rahmen der Gesundheitsanalyse
Die zehn Fragen zu Arbeitsumwelt, Merkmalen der Organisation, Sozialen Faktoren können
für ein Screening auf Gruppenebene verwendet werden.
3.10 Studie in einem Unternehmen der Automobilindustrie (N=107)
Ziel
Schwerpunkt
Vorgehen
Hintergrund
33
Entwicklung eines Screeninginstruments
Individualebene
Durchführung des WAI, Entwicklung eines Auswertungsalgorithmus
für eine WAI-Kurzversion, Vergleich des Gesamt-WAI mit dem KWAI, Ergänzung der Kurzversion um eine Frage.
Positiv bei WAI:
gute Vorhersagekraft bzgl. Erwerbsfähigkeit
Negativ bei WAI:
kein Selbstausfüller, problematische Fragen (z.B. Diagnosen)
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Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse…
Der K-WAI:
1.
Schätzen Sie Ihre derzeitige Arbeitsfähigkeit bitte im Vergleich mit Ihrer besten, je
erreichten Arbeitsfähigkeit ein.
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
derzeit komplett
arbeitsunfähig
10
derzeit
die
beste
Arbeitsfähigkeit
2.a) Wie kommen Sie derzeit mit den körperlichen Anforderungen an Ihrem Arbeitsplatz
zurecht?
1
2
3
4
5
sehr
eher
mittel-
eher
sehr
schlecht
schlecht
mäßig
gut
gut
2. b) Wie kommen Sie derzeit mit den psychischen Anforderungen an Ihrem Arbeitsplatz
zurecht?
1
2
3
4
5
sehr
eher
mittel-
eher
sehr
schlecht
schlecht
mäßig
gut
gut
3.
Glauben Sie, dass Sie Ihre derzeitige Arbeit gesundheitlich auch in den nächsten
zwei Jahren ausüben können? Gehen Sie dabei bitte von Ihrem jetzigen
Gesundheitszustand aus.
1
4
7
unwahrscheinlich
nicht sicher
ziemlich sicher
Auswertungsalgorithmus:
Wert bei Frage 1 < 5*
und/oder
die Summe der Werte bei den Fragen 2a und 2 b < 5*
und/oder
der Wert bei Frage 3 1 bzw. 4 beträgt*,
*Die Cut-off-Werte wurden auf Basis von Auswertungen von über hundert WAI-Bögen von
Ford-Mitarbeitern (Werk Saarlouis, 2005) berechnet. Ausschlaggebend war dabei die
größtmögliche Trefferquote der vier berücksichtigten Fragen (1, 2a, 2b, 3) mit dem GesamtWAI-Index-Wert ≤ 27 (= schlechte Arbeitsfähigkeit).
Die Trefferquote bei den untersuchten Ford-Mitarbeitern:
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34
Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse…
Tabelle 2: Kreuztabelle Wai1,2a,2b,3 - WAI Index
N= 107
WAI Index
WAI ? 27 WAI
> 27 Gesamt
(schlecht)
(mittel
bis
sehr gut)
Wai 1,2a,2b,3
unauffällig
auffällig
Gesamt
Anzahl
0
29
29
In % von WAI 0 %
Index
67,4%
27,1%
Anzahl
14
78
In % von WAI 100,0%
Index
32,6%
72,9%
Anzahl
43
107
100,0%
100,0%
64
64
In % von WAI 100,0%
Index
Aus der Tabelle lässt sich ablesen, dass auf Grundlage der vier Fragen 100% der Mitarbeiter
mit schlechtem WAI richtig erkannt wurden. Keiner wurde übersehen. 67,4 % der Mitarbeiter
mit mittlerem, guten oder sehr gutem WAI wurden richtigerweise als unauffällige Mitarbeiter
erkannt. 32,6 % dieser Gruppe wurden fälschlicherweise als auffällig gescreent. Es handelt
sich hier also um eine restriktive Auslese, die sich jedoch durch einen veränderten Algorithmus modifizieren lässt.
3.11 Nutzungsmöglichkeit im Rahmen der Gesundheitsanalyse
35
•
Einsatz des K-WAI für Screening auf Individualebene
•
Zusätzliche Frage an Mitarbeiter: Erscheint Ihnen ihr Arbeitsplatz bzw. Ihre Arbeitsumgebung gesundheitlich aus irgendeinem Grund problematisch?
•
Ja
•
Wenn ja, warum? ...............................................................................
•
Ist ein Mitarbeiter nach K-WAI auffällig, oder beantwortet er die zusätzliche Frage mit
Ja, dann erfolgt die Ansprache durch betrieblichen Gesundheitsförderer, der der
Schweigepflicht unterliegt (z.B. Betriebsarzt), um weitere Analysen bzw. Interventionen einzuleiten
nein
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Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse…
3.12 Studie in einem metallverarbeitenden Betrieb (N=173)
Ziel
Vorgehen
Ergebnis (u.a.)
Nutzung routinemäßig erhobener Daten für Gesundheitsanalyse
Sichtung und Auswertung der verfügbaren Daten
1. Sorgfältig erstellte Gefährdungsbeurteilungen des Arbeitsplatzes (§
5 Arbeitsschutzgesetz) durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit (z.B.
Arbeitsschwere, Gefahrstoffe,...)
2. Keine personenbezogenen (psychischen) bzw. organisatorischen
Belastungen erfasst
3.13 Nutzungsmöglichkeit im Rahmen der Gesundheitsanalyse
In manchen Betrieben liegen präzise Angaben zu Belastungen und Gefährdungen (physisch
und psychisch) am Arbeitsplatz (Beantwortung der Checkliste „Gefährdungsbeurteilungen“
der BG durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit, siehe MHP Mannesmann Präzisrohr
GmbH) vor. Die Güte der Informationen hängt von der Sorgfalt ab, mit der die Checklisten im
Unternehmen erstellt werden. Bei Einstellungsuntersuchungen, bei Arbeitsunfällen, bei
Routineuntersuchungen und im Rahmen eines Frühwarnsystems (siehe Flussdiagramm zum
Frühwarnsystem I) kann durch den Betriebsarzt ein Abgleich zwischen aktuellem Leistungsbild und Arbeitsplatzanforderungen erfolgen. Bei vermuteten Diskrepanzen zwischen Person
und Arbeitsplatz erfolgt eine Initiative des betriebsärztlichen Dienstes. Bei Beantragung von
med. Reha können die Gefährdungsbeurteilungen zur Unterstützung der Reha-Entscheidung
und Behandlung beigefügt werden.
3.14 Eigene Studie in einem Setting der beruflichen Rehabilitation
(N=53, siehe ASKOR)
(Teil-) Ziel:
Überprüfung der Güte eines Instruments zur Erfassung arbeitsbezogenen Erlebens – und
Verhaltens (AVEM) in Bezug auf Integrationserfolg.
Vorgehen:
1. Fragebogenbearbeitung durch 53 Rehabilitanden, die an einer betrieblichen Integrationsförderung teilnahmen.
2. Erhebung des Integrationserfolgs nach mehreren Monaten (3-7 Monate).
3.15 Ergebnisse
Teilnehmer mit positivem AVEM-Ergebnis (G-Typ) wurden besser integriert als Teilnehmer
mit problematischem AVEM-Ergebnis.
Literaturrecherche:
•
Es wurden Zusammenhänge zwischen AVEM-Ergebnissen und Fehlzeiten gefunden.
•
Es wurden Zusammenhänge zwischen AVEM-Ergebnissen und Rentenantragstellungen gefunden.
Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen der Gesundheitsanalyse: Unterstützung der Detailanalyse auf Individualebene.
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36
Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse…
3.16 Zusammenfassung der Ergebnisse
•
Der K-WAI ist geeignet als individuumsbezogenes Screening-Instrument (keine falsch
negative Auslese).
•
Einige selbst entwickelte Fragen und einige Fragen aus bereits validierten Skalen
(z.B. SALSA) sind geeignet für Screening auf Gruppenebene (deutliche Zusammenhänge mit Fehlzeiten).
•
Gefährdungsbeurteilungen von Arbeitsplätzen können bei sorgfältiger Erstellung in
Einstellungs- und Routineuntersuchungen bzw. nach Arbeitsunfällen hilfreich für Betriebsarzt sein (Detailanalyse).
•
Der AVEM eignet sich zur Erfassung der arbeitsbezogenen seelischen Ressourcen
(Detailanalyse).
3.17 Entwurf einer zweistufigen Gesundheitsanalyse im Betrieb
Ziel
Gesundheitsförderung auf
Individualebene
Gesundheitsförderung auf
Gruppenebene (Abteilungen,
Filialen)
Erste Stufe
Screening
Screening
(personenbezogene Daten, (anonym)
geschützte Erhebung)
Zweite Stufe
Intervention
Detailanalyse
Detailanalyse
(z.B. Arzt)
(z.B. betriebliche
Steuerungsgruppe)
verhaltens– und
verhältnisorientiert
überwiegend
verhältnisorientiert
Beispiel einer zweistufigen Gesundheitsanalyse auf Individualebene
Erste Stufe (je nach Zugänglichkeit von Daten):
•
Routinemäßiges Screening mit K-WAI, ggf. Fehlzeitenanalyse
•
Identifizierung von Mitarbeitern mit potentiellem Handlungsbedarf auf Basis von KWAI.
Zweite Stufe
•
Der Betriebsarzt nimmt Kontakt zu betreffenden Mitarbeitern auf (denkbar ist auch
eine Kommstruktur).
•
Detailanalyse durch med. Diagnostik. Einsatz des AVEM, Heranziehen der Gefährdungsbeurteilungen.
Intervention
•
Bei Einwilligung des betreffenden Mitarbeiters Kontakt zu Vorgesetztem bzw. betriebl.
Steuerungsgruppe zur Umsetzung von Maßnahmen.
Beispiel einer zweistufigen Gesundheitsanalyse auf Gruppenebene
37
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Die zweistufige betriebliche Gesundheitsanalyse…
Erste Ebene (je nach Zugänglichkeit von Daten):
•
Routinemäßiges Screening mit AOS in anonymisierter Form, ggf. Fehlzeitenanalyse.
•
Identifizierung von Abteilungen, Filialen mit potentiellem Handlungsbedarf durch betrieblichen Gesundheitsförderer auf Basis von AOS.
Zweite Ebene
•
Weitergabe von Informationen an eine betriebliche Steuerungsgruppe.
•
Die betriebliche Steuerungsgruppe beschließt die weitere Vorgehensweise für betreffende Abteilungen, z.B. tiefer gehende Befragung von Vorgesetzten, Mitarbeitervertretern.
Intervention
z.B. Führungskräftecoaching
3.18 Ausblick
•
Erprobung und Evaluation zweistufiger Analyse-Prozeduren in Betrieben
•
Umfassende Einbindung betrieblicher Interessensvertretungen bei der Umsetzung
•
Anpassung der Analysetools an spezifische betriebliche Voraussetzungen
•
Evaluation von Interventionen (auch ökonomisch), die auf Basis zweistufiger Gesundheitsanalysen erfolgen
•
Vernetzung der betrieblichen Gesundheitsanalyse mit externer Diagnostik und Behandlung (z.B. med. Reha)
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38
Betriebliche Gesundheitsförderung
4 Betriebliche Gesundheitsförderung
Dr. Holger Wellmann
Mit der Verabschiedung der Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) Ende 1997 einigte sich das Europäische Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung (ENBGF) auf ein gemeinsames Verständnis der BGF. Ihr ganzheitlicher Ansatz
umfasst danach alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und der
Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Das Ziel
„gesunde Mitarbeiter in gesunden Unternehmen“ kann laut der Deklaration dann erreicht
werden, wenn sich die BGF an den folgenden Leitlinien orientiert:
-
-
Die gesamte Belegschaft muss einbezogen werden (Partizipation).
BGF muss bei allen wichtigen Entscheidungen und in allen Unternehmensbereichen
berücksichtigt werden (Integration).
Alle Maßnahmen und Programme müssen systematisch durchgeführt werden: Bedarfsanalyse, Prioritätensetzung, Planung, Ausführung, kontinuierliche Kontrolle und Bewertung der Ergebnisse (Projektmanagement).
BGF beinhaltet sowohl verhaltens- als auch verhältnisorientierte Maßnahmen. Sie
verbindet den Ansatz der Risikoreduktion mit dem des Ausbaus von Schutzfaktoren und
Gesundheitspotenzialen (Ganzheitlichkeit). 26
Im Jahr 2002 wurde das nationale Pendant zum ENBGF in Form des Deutschen Netzwerkes
für Betriebliche Gesundheitsförderung (DNBGF) gegründet. Ausgangspunkt ist die noch zu
geringe Verbreitung von BGF in Deutschland. Die Ziele bestehen in einer verbesserten
Kooperation zwischen den nationalen Akteuren der BGF und deren Verbreitung. Außerdem
sollen der internationale Erfahrungsaustausch intensiviert, Forschungs- und Praxisergebnisse aufbereitet und die Unternehmer vom Nutzen der BGF überzeugt werden.
Die Ansatzpunkte scheinen richtig gewählt worden zu sein. Gestiegene Ansprüche an die
Arbeitswelt (dies betrifft sowohl das Anspruchsdenken des Arbeitnehmers als auch das des
Arbeitgebers) und damit verbundene Investitionen in das Human- und Sozialkapital stehen
nicht selten (auf den ersten Blick) im Widerspruch zu der durch die Globalisierung dringlicher
gewordenen Notwendigkeit der Kostenreduktion. Weiterhin ist es derzeit noch nicht gerechtfertigt, von einem Erfolgsmodell der BGF zu sprechen. Dies bezieht sich zum einen auf ihre
Verbreitung innerhalb der Unternehmenslandschaft, zum anderen aber auch auf ihre
inhaltliche Gestaltung: Im Jahr 2003 sind geschätzte 680.000 Erwerbspersonen und damit
1% der GKV-Versicherten mit Maßnahmen der BGF erreicht worden 27. Von einer Durchdrin-
26
Vgl. Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung in der Europäischen Union,
November 1997.
27
Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen & MDS (2005). Dokumentation 2003
– Leistungen der Primärprävention und der Betrieblichen Gesundheitsförderung gemäß § 20 Abs. 1
und 2 SGB V. Nicht sicher ist, ob es sich um direkt mit den Aktivitäten erreichte Personen handelt
oder ob auch Personen erfasst wurden, die einen indirekten Nutzen aus den Aktivitäten gezogen
haben.
39
© iqpr Köln
Betriebliche Gesundheitsförderung
gung der Arbeitswelt mit seinen 36,3 Mio. Erwerbstätigen 28 ist man demnach noch weit
entfernt. Inhaltlich bleibt zu konstatieren, dass es sich bei der BGF in der Regel um punktuelle, zeitlich befristete Einzelmaßnahmen der Verhaltensprävention handelt, ohne dass damit
ein Prozess der Organisationsentwicklung angestoßen wird 29.
Vor diesem Hintergrund geben die folgenden Kapitel einen Überblick über die derzeitige
Situation der BGF in Deutschland und die an sie zu stellenden Qualitätsanforderungen.
4.1 Bedeutung der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Das Thema Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) erlebt in den letzten Jahren einen
stetigen Aufschwung. Immer öfter wird sie als ein Element betrachtet, um den Herausforderungen des Wirtschaftslebens begegnen zu können. Letztere erschöpfen sich nicht allein in
der viel zitierten demographischen Entwicklung und der damit verbundenen Alterung der
Belegschaften in den Unternehmen. Auch wirkt sich der allgemeine Wertewandel bis in die
Erwerbsgesellschaft aus: Interdisziplinäres Arbeiten in flachen Hierarchieebenen erfordert
neue Organisationsstrukturen; fließende Übergänge zwischen Arbeits- und Freizeit stellen
neue Anforderungen an die Work-Life-Balance; Mitarbeiter sollen allzeit topfit, kreativ,
überdurchschnittlich belastbar, einsatzfreudig sowie niemals krank sein. Hinzu kommt die
paradox erscheinende Situation auf dem Arbeitsmarkt: Das derzeitige Überangebot von ca. 4
Mio. Arbeitslosen 30 wird begleitet von einem zunehmenden Facharbeitermangel, der
Abwanderung Hochqualifizierter ins Ausland und einem eingeengten Rekrutierungsspielraum
in den kommenden Jahren durch den Geburtenrückgang. Alle Trends spielen sich ab vor
einer zunehmenden Beschleunigung des Austausches von Informationen, Dienst- und
Sachleistungen mit der allgegenwärtigen Suche nach den günstigsten Produktions- und
Transaktionskosten. Sprich: vor dem Hintergrund der Globalisierung mit all ihren Chancen
und Risiken.
Wie erwähnt: Die BGF kann nur ein Element innerhalb einer Wirtschafts- und Sozialpolitik
zur Bewältigung dieser Trends sein. Ob Unternehmen ohne Gesundheitsmanagement
tatsächlich ihre Marktposition gefährden, wie von wissenschaftlicher Seite prognostiziert 31,
wird sich herausstellen. Auf jeden Fall können durch solche Aussagen große Erwartungen
geweckt werden, was bei deutschen Unternehmen allerdings noch nicht der Fall zu sein
scheint. So konnten bei einer Umfrage nur rund 16% aller Unternehmen überhaupt aussagekräftige Angaben zum eigenen Gesundheitsmanagement machen 32. Diese zögernde Haltung
kann auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt werden 33:
28
Statistisches Bundesamt – Mikrozensus 2003.
Bertelsmann Stiftung & Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.) (2004). Zukunftsfähige betriebliche Gesundheitspolitik. Vorschläge der Expertenkommission. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.
30
Quelle: Statistisches Bundesamt (http://www.destatis.de/indicators/d/arb110ad.htm).
31
So Badura, Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, in einem Interview mit
der Zeitschrift impulse (Januar 2004, S. 72).
32
Europressedienst Research Studie (2003). Wettbewerbsvorteil Gesundheitsmanagement –
Deutsche Unternehmen haben Nachholbedarf.
33
Bertelsmann Stiftung & Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.) (2004). Zukunftsfähige betriebliche Gesundheitspolitik. Vorschläge der Expertenkommission. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.
29
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40
Betriebliche Gesundheitsförderung
-
-
Immer noch scheint bei den Verantwortlichen für BGF im Unternehmen eine starke
Fixierung auf obrigkeitsstaatliches Denken vorzuherrschen. Neben fehlender Investitionsbereitschaft seitens der Unternehmen wird in erster Linie der Staat in die Pflicht genommen, für Gesundheit etc. zu sorgen.
Damit verbunden ist eine Kultur, die sich nach wie vor in weiten Teilen auf die Reparatur
und Kompensation von Gesundheitsstörungen beschränkt 34.
Als vermeintlich wichtigstes Hemmnis wird die Unterbewertung von Sozial- und Humankapital durch die Unternehmensführung genannt 35.
Die vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Gebiet der BGF werden zu
wenig zur Kenntnis genommen und umgesetzt.
Zudem wird hinterfragt, wann und ob sich Investitionen in die BGF überhaupt rechnen. Aus
den bisherigen Praxiserfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen lässt sich dazu
noch keine überzeugende Antwort ableiten. Aus den Befunden geht zwar hervor, dass sich
BGF insbesondere durch die Reduktion der Krankheitskosten und der Kosten durch (krankheitsbedingte) Fehlzeiten (Absentismus) auszahlt. Dabei liegt der Return on Investment
zwischen 1:2,3 für die Einsparung bzgl. der Krankheitskosten und 1:10,1 bzgl. der Kostenersparnisse durch die Verringerung der Fehlzeiten 36. Dem einzelnen Unternehmen werden
diese Angaben kaum weiterhelfen, weil sie dessen spezifische Ausgangslage und somit
einen wichtigen Baustein der BGF, die Analyse, nicht berücksichtigen. Es fehlt an aussagekräftigen Analysen, für welche Branchen, Mitarbeiterstrukturen etc. sich die BGF
besonders lohnen könnte.
4.2 Ziele der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Die Hauptziele sind durch die Luxemburger Deklaration vorgegeben: Krankheiten am
Arbeitsplatz (einschließlich arbeitsbedingter Erkrankungen, Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und Stress) gilt es vorzubeugen, Gesundheitspotenziale sollen gestärkt und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz soll verbessert werden.
Die für ein einzelnes Unternehmen maßgeblichen Ziele werden konkreter gefasst werden
müssen und spiegeln die Vielfalt der Probleme und Lösungsansätze wider, mit denen das
Unternehmen konfrontiert werden kann, so z.B.: Verbesserung des Betriebsklimas, Verhinderung von Burnout oder innerer Kündigung bei Mitarbeitern, Spannungen und Konflikte
zwischen Mitarbeitern oder zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten reduzieren, Einhaltung
gesetzlicher Vorschriften zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, Kostensenkung durch
krankheitsbedingte Fehlzeiten, Reduzierung der Fluktuationsrate, Imageverbesse34
Als Indiz dafür können die Ausgaben für Primärprävention und BGF seitens der GKV herangezogen
werden. Die laut § 20 Abs. 3 SGB V veranschlagten 2,56 € pro Versicherten für diese Leistungen (für
das Jahr 2000) wurden im Jahr 2003 mit einem Betrag von 1,61 €/Versicherten noch nicht annähernd
ausgeschöpft (GKV-Ausgabenstatistik KJ1 für das Jahr 2003).
35
Laut einer weltweiten Unternehmensumfrage des Managermagazins (Ausgabe 2/97) gilt das
Humankapital als der wichtigste Faktor für den Unternehmenserfolg.
36
Kreis, J. & Bödeker, W. (2003). Gesundheitlicher und ökonomischer Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention – Zusammenstellung der wissenschaftlichen Evidenz. IGA Report 3.
Essen.
41
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Betriebliche Gesundheitsförderung
rung/Reputation, gesundheitsförderliche Gestaltung der Arbeitsumgebung und -organisation
und Verbesserung des gesundheitsrelevanten Verhaltens der Mitarbeiter.
Viele Ziele der BGF stehen in einer Wechselwirkung zueinander. Allerdings können genaue
Ursache-Wirkungshierarchien zum gegenwärtigen Forschungsstandpunkt erst in Ansätzen
identifiziert werden. Als eine den wirtschaftlichen Nutzen maßgeblich beeinflussende
Wirkungskette ist der Zusammenhang zwischen Maßnahmen der BGF und der Ergänzung
und Optimierung von Arbeitsschutzstrukturen und Arbeitsschutzmaßnahmen ermittelt
worden 37. BGF wirkt dabei über eine verbesserte Kommunikation und eine daraus resultierende stärkere Lösungsorientierung schließlich auf die Effizienz des Arbeitsschutzes. Daraus
ergibt sich ein Belastungsabbau (körperliche Entlastung) bei den Mitarbeitern, was eine
Reduzierung des Unfall- und Krankenstandes und eine entsprechende Kostensenkung nach
sich zieht.
Ein nicht zu unterschätzender Erfolgsgarant der BGF besteht darin, dass sich ein
Unternehmen über die Ziele seiner BGF-Aktivitäten Klarheit verschafft. Diese gilt es
sowohl dem Dienstleister gegenüber zu präsentieren als auch der eigenen Belegschaft zu
kommunizieren. Wünschenswert wären darüber hinaus die Gewichtung der einzelnen Ziele
und eine Operationalisierung in überprüfbare Teilziele. Dies erleichtert die Analysen im
Hinblick auf Kosten und Nutzen der durchgeführten Maßnahmen.
Weiterhin sollte bereits im Prozess der Zielabstimmung ein angemessenes Ziel-MittelVerhältnis angestrebt werden. Kurze Projektlaufzeiten und knappe dafür zur Verfügung
gestellte Ressourcen stehen oftmals in einem Missverhältnis zu den angestrebten Projektergebnissen.
4.3 Gesetzliche Regelungen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung
Bisher findet die BGF nur in § 20 Abs. 2 Satz 1 und in § 65a Abs. 3 SGB V ausdrücklichen
gesetzlichen Niederschlag. Diese Paragraphen beschränken sich inhaltlich auf die bloße
Erwähnung der BGF. Aus der ausschließlichen Erwähnung im SGB V ergibt sich, dass unter
den Sozialversicherungsträgern derzeit nur die GKV Leistungen der BGF erbringen bzw.
(teil-)finanzieren kann. Durch die Einbettung in § 20 SGB V wird zudem deutlich, dass die
Durchführung von Maßnahmen der BGF ausschließlich über das nach § 20 Abs. 3 SGB V
bestimmte Budget von derzeit 2,74 € pro Versichertem gefördert werden kann. Der durch
das Gesundheitsmodernisierungsgesetz eingeführte § 65a Abs. 3 SGB V räumt den
Krankenkassen die Möglichkeit ein, in ihrer Satzung sowohl für Unternehmen als auch für
versicherte Beschäftigte, welche an Maßnahmen der BGF teilnehmen, einen Bonus vorzusehen.
Etwas detaillierter ist in § 20 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V, ergänzt durch § 14 Abs. 2 SGB VII,
die Schnittstelle zwischen den betrieblichen Aktivitäten der Krankenkassen und den u.a. im
SGB VII vorgeschriebenen Zuständigkeitsbereichen der UV geregelt. Krankenkasse und UV
37
AOK (Hrsg.) (2004): Wirtschaftlicher Nutzen Betrieblicher Gesundheitsförderung aus Sicht der
Unternehmen. http://www.aok-bv.de/gesundheit/praevention/gu/index_00943.html, Zugriff am
21.01.2005.
© iqpr Köln
42
Betriebliche Gesundheitsförderung
werden zur Kooperation verpflichtet. In Ausprägung dieser Kooperation muss die Krankenkasse ihrerseits gewonnene Erkenntnisse an die UV weiterleiten.
Für Unternehmen bedeutet dies insgesamt, dass die Krankenkassen für sie der primäre
Ansprechpartner für Maßnahmen der BGF sind und dass neben dem möglichen BonusAnreiz hier auch begrenzte Mittel zur finanziellen Förderung der Maßnahmen selbst bereit
stehen. Ob entsprechende Maßnahmen durchgeführt bzw. (teil-)finanziert werden, steht
allerdings im Ermessen der Kassen. Natürlich ist es den Unternehmen aber unbenommen,
auch ohne Unterstützung der GKV eigeninitiativ BGF zu betreiben.
Der ehemalige Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention lieferte
in § 3 Abs. 5 PrävG auch inhaltliche Vorgaben für Maßnahmen der Gesundheitsförderung.
Nach dieser Vorschrift beinhalteten diese zum einen die Unterstützung bei Aufbau und
Stärkung individueller gesundheitsbezogener Ressourcen und Fähigkeiten zum Vermeiden
von Krankheiten, zum anderen die Unterstützung bei Aufbau und Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen. Da das PrävG jedoch eine grundsätzliche Zweiteilung primärpräventiver
Maßnahmen zwischen Maßnahmen der Verhaltensprävention, § 15 PrävG, und der Prävention in Lebenswelten, § 17 PrävG, vorsah, blieb die Verortung der BGF insgesamt unklar.
Auch die Zuständigkeit ergab sich nicht eindeutig aus dem Gesetzentwurf, sie sollte aber
hauptsächlich bei den Krankenkassen verbleiben, § 20b SGB V 38.
Die bisherige Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und UV im Schnittstellenbereich
zwischen BGF und Arbeits-/Gesundheitsschutz sollte nach dem neuen Gesetz intensiviert
werden, § 20b Abs. 3 Satz 1 SGB V. Ein Novum wäre der im § 20b Abs. 3 Satz 2 SGB V
formulierte Appell an die Krankenkassen zur Zusammenarbeit untereinander.
Unklar blieb, inwiefern sich die Lage für Unternehmen als Antragsteller für die
(Teil)Förderung von Maßnahmen der BGF nach dem neuen Gesetz entwickeln wird.
Betrachtet man nur die Vorschrift des § 20b SGB V, so blieb es beim alleinigen Ermessen
der Krankenkassen. Sollte die BGF jedoch auch unter § 17 PrävG fallen, so wäre ein
erweiterter Kreis von potenziellen (Teil-)Finanziers denkbar (zusätzlich RV und PflV), die
Entscheidung obläge dem Gemeinsamen Gremium auf Landesebene, und unter Umständen
könnte sich im Einzelfall sogar ein Anspruch auf die (Teil-)Förderung der BGF konstruieren
lassen. Weiterhin hätten auf der Bundesebene durch die Stiftung Modellprojekte zur BGF
insbesondere in KMU gefördert werden können. Beibehalten wurden jedenfalls die Möglichkeiten des § 65a SGB V.
4.4 Legitimation der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Inwieweit sehen es die Unternehmen als ihre Aufgabe an, für die Gesundheit der Mitarbeiter
zu sorgen? Appellieren sie eher an die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter und gehen
davon aus, dass diese sich in ihrer Freizeit ausreichend gesundheitsbewusst verhalten? Je
nach Gewichtung dieser Fragen wird die Initiierung von Maßnahmen zur BGF unterschiedlich ausfallen. Wenn sich ein Unternehmen zu dem Thema BGF bekennt, erscheint dessen
38
Dieser § sollte durch das Gesetz zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention neu eingefügt
werden.
43
© iqpr Köln
Betriebliche Gesundheitsförderung
Legitimation durch die Unternehmensführung als eine wichtige Erfolgsvoraussetzung.
Demnach hat das Top-Management die Aufgaben,
-
an der Definition der Zielsetzungen mitzuarbeiten,
an deren Erreichung zu glauben und
sich an deren Realisierung unmittelbar zu beteiligen 39.
Damit einher geht die Verankerung der Zielsetzungen der BGF in das Unternehmensleitbild.
Dies scheint jedoch bei den meisten Unternehmen noch keine Selbstverständlichkeit zu sein.
Eine Befragung in der Finanzbranche ergab, dass lediglich 7,3% der befragten Unternehmen
die BGF derart verankert haben 40. Eine weitere Studie, die Unternehmen aus diversen
Branchen einbezogen hat, kommt zu ähnlich ernüchternden Ergebnissen 41.
Diese Art der Legitimation sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einbindung der Mitarbeiter ein ebenso bedeutsames Kriterium darstellt. Letztlich können nur sie die
subjektiven Bedürfnisse formulieren – z.B. in Form der Mitarbeiterbefragung – und damit den
durch gängige Analyseinstrumente eruierten objektiven Bedarf ergänzen. Legitimation
bedeutet demnach auch Akzeptanz bei den Mitarbeitern. Im Ergebnis erhält man eine
Kombination von Top-down und Bottom-up Planung in Form des Sandwich-Modells,
ohne dass sich die beiden Ansätze widersprechen würden.
Für die Legitimation der BGF sind Unternehmen gut beraten, den Krankenstand als einen
wichtigen Indikator für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter heranzuziehen. Eine Reduzierung auf
diesen Faktor birgt jedoch die Gefahr, andere wichtige Ziele der BGF aus den Augen zu
verlieren. Denn der sinkende Krankenstand dürfte auch viel mit der momentanen Situation
auf dem Arbeitsmarkt zu tun haben. Hohe Arbeitslosenzahlen korrelieren erfahrungsgemäß
mit niedrigen Krankenständen, sprechen aber nicht unbedingt für eine gesunde Belegschaft.
4.5 Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Maßnahmen der BGF sind in der überwiegenden Mehrzahl auf freiwillige Aktivitäten eines
Unternehmens zurückzuführen. Parallel dazu gibt es eine Reihe gesetzlicher Vorschriften,
die thematisch im engen Zusammenhang mit der BGF zu sehen sind. Hierzu zählt beispielsweise die Beurteilung der Arbeitsbedingungen – eine Gefährdungsanalyse – nach § 5
Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und auch die Pflicht des Arbeitgebers, Betriebsärzte zu
bestellen. Sie haben nach § 3 Arbeitssicherheitsgesetz (AsiG) die Aufgabe, den Arbeitgeber
beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu
unterstützen.
39
Weinreich, I. & Weigl, C. (2002). Gesundheitsmanagement erfolgreich umsetzen – Ein Leitfaden für
Unternehmer und Trainer. Neuwied: Luchterhand.
40
Umfrage der Commerzbank AG im November 2003 bei 2179 Kreditinstituten und 126 Versicherungsgesellschaften (Rücklaufquote 12,8%).
41
Europressedienst Research Studie (2003). Wettbewerbsvorteil Gesundheitsmanagement –
Deutsche Unternehmen haben Nachholbedarf. Danach haben ca. 13% der befragten Unternehmen
das Thema Gesundheitsmanagement in ihren Grundsätzen festgeschrieben.
© iqpr Köln
44
Betriebliche Gesundheitsförderung
Prävention lässt sich in Verhaltens- und Verhältnisprävention untergliedern. Erstere stellt
Angebote an Einzelpersonen mit dem Ziel der individuellen Verhaltensänderung dar.
Letztere umfasst Leistungen zur gesundheitlichen Prävention in Lebenswelten. Die beiden
Ansätze lassen sich gedanklich und hinsichtlich einzelner Maßnahmen voneinander abgrenzen. Wird jedoch Arbeit als eine dynamische Interaktion zwischen Personen, Situationen und
Organisationen betrachtet 42, muss man die BGF als ein Zusammenspiel zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention betrachten (siehe Abbildung 1). Beispielsweise kann es für
die Durchführung von Gymnastikpausen Voraussetzung sein, dass der Arbeitsplatz anders
gestaltet und Abläufe anders organisiert werden müssen.
Verhaltensprävention
- Sportgruppen
- Ernährungsprogramme
- Antistressprogramme
- Rückencoaching
- Gymnastikpausen
- ...
BGF
Verhältnisprävention
- Arbeitsorganisation
- Arbeitsplatzgestaltung
- Arbeitszeitgestaltung
- Führungskräfteschulung
- Ideenwettbewerb
- ...
Abbildung 1 BGF als Zusammenspiel von Verhaltens- und Verhältnisprävention
Der Präventionsbericht 2003 43 differenziert zwar zwischen verhaltens- und verhältnisbezogenen Aktivitäten (28,3% verhaltens- und verhältnisbezogene Aktivitäten, 34,4% nur
verhaltensbezogene Aktivitäten, 5,9% nur verhältnisbezogene Aktivitäten). Die Kategorien
der inhaltlichen Ausrichtung der BGF verwischen jedoch diese klare Trennung (Reduktion
der körperlichen Belastung (63,9%), gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung (23,8%),
Stressmanagement (19,5%), gesundheitsgerechte Gemeinschaftsverpflegung (16,1%),
Prävention von Genuss- und Suchtmittelgebrauch (13,4%) (Mehrfachnennungen möglich)).
Dies spricht für die integrierte Sichtweise der BGF als Verhaltens- und Verhältnisprävention.
Aktivitäten haben sich außerdem dann als besonders erfolgreich herausgestellt, wenn ganze
Maßnahmenkomplexe im Rahmen eines aufeinander abgestimmten Gesamtprogramms
durchgeführt worden sind 44.
4.6 Akteure der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Die Beteiligten an der BGF werden mit der Unternehmensgröße variieren. Große Unternehmen haben eine eigene Personalabteilung, mehrere betriebliche Interessenvertretungen und
unter Umständen sogar eine eigene Betriebskrankenkasse. Auf diese innerbetrieblichen
42
Kastner, M (2002). Neue Qualität der Arbeit aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht. In
Kilger, G. & Bieneck, H.-J. (Hrsg.), Neue Qualität der Arbeit – Wie wir morgen arbeiten werden (S.
259–267). Frankfurt a. M.: Campus.
43
Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen & MDS (2005). Dokumentation 2003
– Leistungen der Primärprävention und der Betrieblichen Gesundheitsförderung gemäß § 20 Abs. 1
und 2 SGB V.
44
Kreis, J. & Bödeker, W. (2003). Gesundheitlicher und ökonomischer Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention – Zusammenstellung der wissenschaftlichen Evidenz. IGA Report 3.
Essen.
45
© iqpr Köln
Betriebliche Gesundheitsförderung
Strukturen können mittlere, kleine und Kleinstbetriebe oft nicht zurückgreifen. Fehlendes
Know-how werden sie sich eher durch externe Berater aneignen müssen. Andererseits
haben sie den Vorteil einer weniger komplexen Organisation. Die Mitarbeiter sind z.B. über
kürzere Wege zu erreichen und können unmittelbar in die Planungen zur BGF eingebunden
werden. Somit haben die KMU bei einem wichtigen Kriterium für den Erfolg der BGF – dem
Tragen der Aktivitäten von allen betrieblichen Akteuren – einen Vorteil.
Zu den maßgeblichen internen Akteuren können folgende Personen und Gruppen gezählt
werden: Arbeitskreis Gesundheit, Arbeitgeber bzw. Führungskräfte, Personaler, Betriebsoder Personalrat, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Arbeits- oder Betriebsmediziner, Schwerbehindertenvertretung (SBV) und sonstige spezielle Beauftragte.
Zu den externen Akteuren gehören in erster Linie Krankenkassen, Berufsgenossenschaften,
staatliche Aufsichtsämter, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Dienstleistungsanbieter
und sonstige Experten und Berater.
BGF erweist sich in der Regel als erfolgreicher, wenn ein Steuerungsgremium mit internen
und externen Vertretern vorhanden ist (z.B. werden mehr Maßnahmen durchgeführt).
4.7 Qualitätssicherung der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Die Anforderungen an die Qualitätssicherung (QS) nehmen mit fast jedem neuen Gesetz im
Gesundheitsbereich zu. Das geplante Präventionsgesetz sieht vor, dass externe Leistungsanbieter den Qualitätssicherungsnachweis ihrer Angebote selbst erbringen müssen. Und
auch die Unternehmen sind gut beraten, zuerst Konzepte zu entwickeln und Strukturen
aufzubauen, bevor sie im Sinne des gängigen Regelkreises von Analyse, Planung, Intervention, Kontrolle und Evaluation in die Projektumsetzung gehen.
Aufgrund der Bedeutung der Ist-Situation werden an dieser Stelle noch einmal die gängigsten Analyseinstrumente aufgelistet: Mitarbeiter- und Expertenbefragungen, Arbeitsplatzanalyse, medizinische Untersuchungen, Gesundheitsberichte, Präventionsgespräche, Gesundheitszirkel („Düsseldorfer Modell“ mit dem Ziel der Verringerung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren und einer interdisziplinären, hierarchieübergreifenden Zusammensetzung, und
„Berliner Modell“ mit dem Ziel der Verringerung stressbedingter Gesundheitsgefahren und
einer homogenen Zusammensetzung einer Hierarchiestufe), Fehlzeitenanalysen.
Im Folgenden wird eine kurze Übersicht ausgewählter Qualitätsrichtlinien gegeben.
ENBGF 45
Die vom ENBGF aufgestellten Qualitätskriterien sind nicht als ein absoluter Maßstab
anzusehen, sondern geben die Richtung an, in die sich ein Unternehmen entwickeln sollte.
Für die verschiedenen Qualitätsbereiche werden Beispiele angeführt.
-
45
Unternehmenspolitik: z.B. schriftliche Unternehmensleitlinie zur BGF; Betrieb stellt
Ressourcen für die BGF zur Verfügung
ENBGF (1999). Qualitätskriterien für die betriebliche Gesundheitsförderung. Essen.
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46
Betriebliche Gesundheitsförderung
-
Personalentwicklung und Arbeitsorganisation: z.B. Beteiligung der Mitarbeiter an Planung
und Entscheidung; Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Planung der BGF: z.B. Konzept als Voraussetzung; Maßnahmen erstrecken sich auf die
gesamte Organisation
Soziale Verantwortung: z.B. Vorkehrungen, mit denen schädliche Auswirkungen auf
Mensch und Umwelt weitestgehend ausgeschlossen werden
Umsetzung der BGF: z.B. verantwortliche Steuerungsgruppe; systematische Auswertung
aller erforderlichen Informationen
Ergebnisse der BGF: Auswirkungen im Hinblick auf z.B. Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit; auf Gesundheitsindikatoren und wirtschaftlich relevante Faktoren
Die einzelnen Bereiche sind in im europäischen Qualitätsmodell für BGF zusammengefasst
(siehe Abbildung 2).
Abbildung 2 Europäisches Qualitätsmodell für BGF
Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen 46
Die gemeinsamen und einheitlichen Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbände der
Krankenkassen beschreiben Anforderungen an die Anbieter von BGF, an die Krankenkassen
und an die Unternehmen. Letztere orientieren sich an den oben vorgestellten Qualitätskriterien des ENBGF mit der Ausnahme, dass für kleine und Kleinstunternehmen noch besondere Anforderungen entwickelt werden müssen. Für die Krankenkassen gilt, dass sie Maßnahmen der BGF ausschließlich mit Blick auf den betrieblichen Bedarf unterstützen und diesbezügliche Risiken, Risikofaktoren und Gesundheitspotenziale der Beschäftigten ermitteln. Die
Anbieter müssen über eine adäquate Qualifikation verfügen sowie einen Qualitätsnachweis
ihrer Angebote gemäß der im Leitfaden aufgestellten Kriterien (Indikation, Qualitätssicherung, Wirksamkeit, Dokumentation und Evaluation) erbringen.
Den prioritären Handlungsfeldern (arbeitsbedingte körperliche Belastungen, Betriebsverpflegung, psychosozialer Stress sowie Genuss- und Suchtmittelkonsum) wird jeweils ein
46
Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen (2000). Gemeinsame und einheitliche Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung von § 20
Abs. 1 uns 2 SGB V vom 21. Juni 2000 in der Fassung vom 12. September 2003.
47
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Betriebliche Gesundheitsförderung
Präventionsprinzip unterlegt. Weiterhin wird differenziert nach Bedarf, Wirksamkeit, Zielgruppen, Zielen der Maßnahme, Inhalten, Methodik und der Anbieterqualifikation.
ENBGF – Kriterien für KMU 47
In einer zweiten Gemeinschaftsinitiative des ENBGF wurden Kriterien und gute Beispiele für
die BGF in KMU auf einzel- und überbetrieblicher Ebene zusammengestellt. Projekte auf der
einzelbetrieblichen Ebene werden vom Unternehmen allein oder mit Hilfe von externen
Dienstleistungsanbietern durchgeführt. Projekte auf überbetrieblicher Ebene werden von
Organisationen getragen (z.B. Handwerkskammer) und sind danach differenziert, ob es sich
um eine zeitlich befristete oder dauerhafte Infrastruktur handelt.
Kriterien der einzelbetrieblichen Ebene werden gegliedert in die Bereiche „Führung und
Beteiligung“, „Geschäftsprozesse“ und „Ergebnisse“.
Die Kriterien der überbetrieblichen Ebene gehen weiter. Sie beziehen sich auf die „Integration der BGF in Politik und Handeln der Trägerorganisationen von Unterstützungsstrukturen“,
die „Strategie und Planung“, die „Umsetzung“ und die „Ergebnisse“.
DNBGF 48
Anlässlich der A & A 2003 wurde im Forum KMU des DNBGF ein Grundsatzpapier vorgelegt,
das relevante Erfolgsfaktoren der BGF in Kleinst- und Kleinunternehmen (0 bis 9 bzw. 10 bis
49 Mitarbeiter) beschreibt (für gewerbliche und landwirtschaftliche Betriebe). Diese beziehen
sich auf die Struktur der Betriebe, die Methoden des Zugangs sowie die gesundheitsfördernden Angebote und werden ausschnittsweise dargestellt.
-
-
-
Struktur: BGF als integraler Bestandteil der Unternehmensführung; Beschränkung auf
signifikante Probleme und praxisnahe, umsetzbare Themen; Berücksichtigung familiärer
Strukturen
Methoden des Zugangs: Betriebe wollen spezifisch angesprochen werden; Entwicklung
regionaler Netzwerke und Kooperationen; vernetzte Berater erleichtern das Wissensmanagement (Informationen aus einer Hand); möglichst persönliche Ansprache
Gesundheitsfördernde Angebote: Die organisatorischen Möglichkeiten eines Kleinbetriebes sind zu berücksichtigen
Gerade die Kriterienmerkmale des ENBGF sind nach ihrer zeitlichen Dimension geordnet.
Quer zu dieser Betrachtung und in Ergänzung zu den übrigen vorgestellten Ansätzen der QS
dürfen die allgemeinen Prinzipien von Prävention und Rehabilitation 49 nicht vernachlässigt
werden: Dialogorientierung und Selbstbestimmung, Frühzeitigkeit, Nahtlosigkeit und
Nachhaltigkeit, Personenorientierung und Ganzheitlichkeit sowie Ressourcenorientierung
müssen bei der QS der BGF mitgedacht und konkretisiert werden.
47
ENBGF (2001). Kriterien und Beispiele guter Praxis betrieblicher Gesundheitsförderung in Kleinund Mittelunternehmen (KMU). Essen.
48
DNBGF (2004). Relevante Faktoren der Gesundheitsförderung in Kleinbetrieben.
49
iqpr (2004). Prävention und Rehabilitation zur Verhinderung von Erwerbsminderung. Köln.
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48
Ökonomische Aspekte der BGF
5 Ökonomische Aspekte der BGF
Dr. Holger Wellmann, Max Ueberle
5.1 Einleitung
Unternehmenserfolge werden zukünftig nicht nur von hochwertigen und gleichzeitig günstigen Produktionsanlagen und -standorten abhängig sein. Zunehmend werden auch Investitionen in das Human- und Sozialkapital an Bedeutung gewinnen. Ein Teil dieser betrieblichen
Investitionsplanung betrifft die Maßnahmen zur BGF, deren Ausgangssituation allerdings von
mehreren Schwierigkeiten gekennzeichnet ist.
-
-
Trotz einer Reihe von Kategorien – untergliedert in die Perspektive der Mitarbeiter, des
Unternehmens und der volkswirtschaftlichen Relevanz – sind nicht alle Kosten- und Nutzengrößen genau zu erfassen.
Hinzu kommt die fehlende Messbarkeit der verwendeten Nutzengrößen – insbesondere
dann, wenn man diese rein monetär betrachten möchte.
Die kausale Verknüpfung von Input- und Outputfaktoren ist bislang nur unzureichend
belegt.
Prävention ist für Unternehmen ein derivates Betriebsziel. Sie stellt ein Mittel zur
optimalen Umsetzung des originären Unternehmensziels – der Herstellung einer Sachoder Dienstleistung mit der Perspektive der langfristigen Gewinnmaximierung – dar.
Den Unternehmensverantwortlichen stellt sich die Frage, ob sich Maßnahmen zur BGF
rechnen bzw. wie deren Auswirkungen beschrieben werden können. Bisher gibt es jedoch
kaum Verfahren zur ökonometrischen Darstellung präventiver Maßnahmen für Unternehmen.
Zudem sollten nicht-monetäre Effekte berücksichtigt werden. Die vorhandenen Instrumente
wurden gesichtet und in Form eines 5-Stufen-Modells zusammengefasst.
5.2 Konzeption einer Kosten-Nutzen-Analyse der BGF
Ziel ist eine anwendungsbezogene Konzeption zur Erfassung der Kosten und Nutzen
präventiver Maßnahmen aus Sicht der Unternehmen. Während sich die Bemessung der
Kosten relativ gut monetär darstellen lässt, gilt es, bei der Nutzenbeschreibung quantitative
und qualitative Faktoren in die Bewertung einfließen zu lassen.
Möglichen Investoren soll anhand des erarbeiteten Modells in verschiedenen Stufen
dargestellt werden, in welcher Relation Input und Output zueinander stehen. Damit wird
Anbietern von BGF ein Instrument zur Verfügung gestellt, das gegenüber Arbeitgebern als
Argumentationshilfe für die Einleitung von Maßnahmen zur BGF dient. Die Konzeption ist
somit für die praktische Anwendung erstellt worden – untermauert durch wissenschaftliche
Expertise.
49
© iqpr Köln
Ökonomische Aspekte der BGF
Auf jeder Stufe (siehe Abbildung 3) lautet die entscheidende Fragestellung: Was bringt dem
Unternehmen BGF?
1. Stufe: Vorhandene Studien zur BGF werden ausgewertet. Das Unternehmen erhält
allgemeine Aussagen zu verschiedenen Interventionen, z.B. zum Return on Investment
(ROI) oder Effektstärken.
2. Stufe: Bekannte Kennzahlen werden exemplarisch zusammengestellt. Dem Unternehmen wird deutlich, durch welche quantitativen und qualitativen Größen die Auswirkungen
von Maßnahmen zur BGF abgebildet werden können.
3. Stufe: Gängige Konzeptionen zur Darstellung von Input- und Outputfaktoren werden
erläutert. Dies beinhaltet sowohl Kosten-Nutzen-Analysen als auch Analysen zu den
mittlerweile gängigen Analysen zur erweiterten Wirtschaftlichkeitsrechnung (EWA).
4. Stufe: Das inzwischen etablierte Controlling-Instrument Balanced Scorecard (BSC) wird
auf Maßnahmen zur BGF übertragen. Das Unternehmen bekommt eine Antwort auf die
Frage, welche Präventionsstrategie im Rahmen der betrieblichen Gesamtstrategie verfolgt werden sollte.
5. Stufe: Auf der letzten Stufe wird ein wesentlicher Bestandteil der BSC – die Analyse von
Wirkungsketten – auf seine Plausibilität geprüft. Dieses Anliegen wird erst dann angegangen werden können, wenn Erfahrungen über die konkrete Maßnahmendurchführung
vorliegen.
5. Stufe
4. Stufe
zunehmender
Aufwand
3. Stufe
2. Stufe
1. Stufe
Wirkungsketten
Balanced Scorecard (BSC)
Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse (EWA)
Kennzahlen
Lebensweltspezifische Erfahrungen mit
verschiedenen Interventionsarten
Abbildung 3 5-Stufen-Modell zur Kosten-Nutzen-Analyse der BGF
Die Komplexität der Fragestellung erhöht sich von Stufe zu Stufe. Entsprechend werden
mehr Ressourcen und eine intensivere Zusammenarbeit zwischen dem Anbieter von BGF
und dem Unternehmen benötigt.
Die einzelnen Stufen werden in den folgenden Abschnitten näher beschrieben.
© iqpr Köln
50
Ökonomische Aspekte der BGF
5.2.1 Lebensweltspezifische Erfahrungen mit Interventionen der Betrieblichen Gesundheitsförderung
In dem ersten Schritt im Rahmen des Stufenmodells zur ökonomischen Bewertung von
Maßnahmen aus der BGF wurde nach Referenzwerten über den betriebswirtschaftlichen
Erfolg von Maßnahmen der BGF gesucht. Erfahrungen aus verschiedenen Unternehmen
sollen für eine erste Abschätzung der Wirkungen und damit die Entwicklung von Faustformeln über die Effizienz verwendet werden.
Aus der überwältigenden Fülle von Wirkungsstudien und Studien mit Aussagen zur gesamtwirtschaftlichen Effizienz wurde die kleine Menge Studien mit streng betriebsökonomischen
Aussagen identifiziert. Maßgabe war dabei die Beschränkung auf drei Interventionsarten:
Maßnahmen zur Stressverarbeitung, Maßnahmen zur Bewegungsförderung und Aussagen
zum Körpergewicht. Die induzierten Interventionen liegen dabei überwiegend auf der
Verhaltensebene; allenfalls im Bereich der Stressreduktion sind verhältnispräventive
Maßnahmen sinnvoll vorstellbar.
Die Auswahl der Interventionen erfolgte aufgrund der interessanten überwiegend USamerikanischen Datenlage:
Korrelationsstudien zeigen, dass die Fehlzeiten fettleibiger Arbeitnehmer mindestens ein
Drittel höher sind als diejenigen nicht fettleibiger Arbeitnehmer (Tabelle 3). Die Annahme,
dass zur Gewichtsreduktion effektive Maßnahmen somit auch betriebswirtschaftlich effizient
sind, liegt nahe – gesichert ist der Zusammenhang jedoch nicht. Offen ist insbesondere, ob
ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Fehlzeit besteht oder
verschiedene Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Erkrankungen des HerzKreislaufsystems zwischengeschaltet sind. 50
Für die Studien zur Bewegungsförderung gilt der interessante Befund, dass zwar die
Teilnahme an Bewegungsprogrammen mit verringerten Fehlzeiten korreliert (Tabelle 4) –
eine relativ hohe kardiovaskuläre Fitness an sich jedoch nicht. Medizinisch gesichert ist der
Zusammenhang zwischen Fitness und Gesundheit sehr wohl; ob sich dieser Zusammenhang auch betriebsökonomisch niederschlägt, ist noch nicht untersucht.
Ein fast umgekehrtes Bild ergibt sich im Handlungsfeld „Stress“. Zwischen der Stressbelastung und den Fehlzeiten ist überwiegend eine positive Korrelation festzustellen. Verhaltenspräventive Maßnahmen wie Schulungen im Umgang mit Stress, Entspannungstechniken
oder Hilfen zum psychischen Stressabbau führen allerdings zu wechselnden Effekten 51
(Tabelle 5).
Der lückenhaften Datenlage zum Trotz kann eine tendenzielle Aussage getroffen werden:
Wichtig ist es, dass überhaupt eine Maßnahme durchgeführt wird. Allein durch den Prozess
stellen sich erste Erfolge ein. Langfristig sollten Maßnahmen in Unternehmen jedoch auch in
Deutschland evaluativ begleitet werden.
Tabelle 3 Kernaussagen: Auswirkungen höheren Körpergewichts
50
Aldana, S. (2001). Financial impact of health promotion programs. A comprehensive review of the
literature. American Journal of Health Promotion, 15 (5), 296–320, S. 308.
51
Murphy, L.R. (1996). Stress Management in Work Settings. A Critical Review of the Health Effects.
American Journal of Health Promotion, 11,112–135, S. 131.
51
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Ökonomische Aspekte der BGF
1. 10 % der Fehlzeiten bei Frauen sind auf Fettleibigkeit zurückzuführen (Schweden). 52
2. Angestellte mit höherem Body-Mass-Index haben höhere Fehlzeiten (USA). 53
3. Fettleibige Arbeitnehmer haben 11 % höhere Fehlzeiten als nicht fettleibige (USA). 54
4. Fettleibige Frauen haben zweifach höhere Fehlzeiten (USA). 55
5. Fettleibige haben im Vergleich zu nicht Fettleibigen mit einer Wahrscheinlichkeit von
1,74 hohe und von 1,61 mittlere Fehlzeiten (USA). 56
6. Fehlzeitenbedingte Kosten bei fettleibigen Frauen betragen 178 % von denen für nichtfettleibige Frauen. Fettleibige Männer verursachen geringere Kosten aus Fehlzeiten als
nicht fettleibige, sie betragen im Vergleich 34 % (USA). 57
Tabelle 4 Kernaussagen: Teilnahme an Fitnessprogrammen
1. Teilnehmer an Fitnessprogrammen verringern ihre Fehlzeiten in Abhängigkeit von der
Intensität der Teilnahme um im Mittel 22 %. 58
2. Nach Teilnahme am Fitnessprogramm im Mittel 1,2 Fehltage pro Jahr weniger. Häufigere Teilnahme führt zu größerer Reduzierung der Fehltage. 59
3. Intensive Teilnahme an einem Fitnessprogramm reduzierte die Fehlzeiten um 4,8 Tage
p. a. 60
4. Training reduzierte bei Frauen die Fehlzeit. 61
5. Teilnahme am Programm führte nicht zu verbesserter Fitness, es gab keine Veränderung der Fehlzeiten. 62
Tabelle 5 Kernaussagen: Teilnahme an Trainings zur Stressverarbeitung
1. Stressmanagementprogramme haben einen positiven Effekt auf Abwesenheit, Kündi-
52
Narbor, K. et al. (1996). Economic consequences of sick-leave and early retirement in obese
Swedish women. International Journal of Obesity, 20, 895–903.
53
Burton, W.N. et al. (1988). The role of health risk factors and disease on worker productivity. Journal
of Occupational and Environmental Medicine, 14, 475–482.
54
Bertera, R.L. (1991). The effects of behavioural risks on absenteeism and health care costs in the
workplace. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 33, 1119–1124.
55
Tsai, S.P. et al. (1997). Illness absence at an oil refinery and petrochemical plant. Journal of
Occupational and Environmental Medicine, 39, 455–462.
56
Tucker, L.A. & Friedman, G. M. (1998). Obesity and absenteeism. An epidemiologic study of 10,825
employed adults. American Journal of Health Promotion, 12, 202–207.
57
Burton, W.N. et al. (1998). The economic costs associated with body mass index in a workplace.
Journal of Occupational and Environmental Medicine, 40, 786–792.
58
Cox, M. & Shepard, R.J. & Corey, P. (1981). Influence of an employee fitness program upon fitness,
productivity and absenteeism. Ergonomics, 24, 795–806.
59
Lynch, W.D. (1990). Impact of a facility-based corporate fitness program on the number of absence
from work due to illness. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 32, 9–12.
60
Lechner, L. et al. (1997). Effects of an employee fitness program on reduces absenteeism. Journal
of Occupational and Environmental Medicine, 39, 827–831.
61
Baun, W.B. & E.J. Bernacki & Tsai, S.P. (1986). A preliminary investigation. Effect of a corporate
fitness program on absenteeism and health care cost. Journal of Occupational and Environmental
Medicine, 28,18–22.
62
Boyce, R.W. & Jones, G.R. & Hiatt, A.R. (1991). Physical fitness capacity and absenteeism of police
officers. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 33, 1137–1143.
© iqpr Köln
52
Ökonomische Aspekte der BGF
gungsintention und Leistung bei Arbeitnehmern, die Effektstärke ist 0,22 (Int.). 63
3. Training in Progressiver Muskelentspannung führte bei Straßenarbeitern zu geringeren
Fehlzeiten, jedoch zu keiner Veränderung der Leistung (USA). 64
4. Das Niederschreiben traumatischer Erfahrungen als Instrument der Stressbewältigung
verringert die Fehlzeiten (USA). 65
5. Die Implementierung eines Trainings in Progressiver Muskelentspannung führte bei
Reinigungsfrauen eines Krankenhauses zu verringerten Fehlzeiten, und zwar auch bei
denjenigen Reinigungsfrauen, die an dem Training zu keinem Zeitpunkt teilnahmen
(Finnland). 66
6. Nach einem Stresstraining stiegen die Fehlzeiten an (USA). 67
7. Die Teilnahme an einem Stressbewältigungsprogramm führte bei Polizisten zu keiner
Verringerung der Fehlzeit (GB). 68
8. Bereits nach geringgradiger Intervention werden bei Arbeitern anhaltend verringerte
Fehlzeiten festgestellt, besonders bei jenen, die ausgangs einen mittleren Stressgrad
aufwiesen (USA). 69
5.2.2 Kennzahlen und Kennzahlensysteme
Gegenstand der zweiten Stufe des Modells sind Kennzahlen. Den Entscheidungsträgern im
Unternehmen wird deutlich, durch welche quantitativen Größen die Auswirkungen von
Maßnahmen zur BGF abgebildet werden können. Durch diese kompakte Art der Informationsbündelung lassen sich Führungskräfte oftmals eher überzeugen als durch das weniger
greifbare Argument der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers hinsichtlich der Mitarbeitergesundheit.
Kennzahlen besitzen für Management und Controlling wichtige Funktionen. Sie unterstützen
maßgeblich die zielorientierte Planung, Steuerung und Kontrolle der Unternehmensaktivitäten und helfen, Risiken bzw. Schwachstellen frühzeitig zu erkennen, aber auch, Chancen zu
63
Bamberg, E. & Busch, C. (1996). Betriebliche Gesundheitsförderung durch Streßmanagementtraining. Eine Metaanalyse (quasi-)experimenteller Studien. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 40, 127–137.
64
Murphy, L.R. & Sorensen, S. (1988). Employee behaviors before and after stress management
training. Journal of Occupational Behavior, 9, 173–182.
65
Francis, M.E. & Pennebaker, J.W. (1992). Putting stress into words. The impact of writing on
physiological, absentee, and self-reported emotional wellbeing measures. American Journal of Health
Promotion, 6,147–163.
66
Toivanen, H. & Helin, P. & Hanninen, O. (1993). Impact of regular relaxation training and psychosocial working factors on neck-shoulder tension and absenteeism in hospital cleaners. Journal of
Occupational and Environmental Medicine, 35, 1123–1130.
67
Higgens, N.C. (1986). Occupational stress and working women. The effectiveness of two stress
reduction programs. Journal of Occupational Behavior, 29, 66–78.
68
Doctor, R.S. & Curtis, D. & Isaacs, G. (1994) Psychiatric morbidity in policemen and the effect of
brief psychotherapeutic intervention: A pilot study. Stress Medicine, 10,151–157.
69
Seamonds, B.C. (1983). Extension of research into stress factors and their effects on illness
absenteeism. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 25, 821–822. Seamonds, B.C.
(1982) Stress factors and their effects on absenteeism in a corporate employee group. Journal of
Occupational and Environmental Medicine, 24, 393–397.
53
© iqpr Köln
Ökonomische Aspekte der BGF
identifizieren. Unter der Voraussetzung der Vergleichbarkeit ist es außerdem möglich, ein
Benchmarking z.B. zwischen verschiedenen Unternehmen, Betrieben oder Abteilungen
durchzuführen. Kennzahlen können somit auch als Frühwarnsystem wirken. Im Kontext des
Stufenmodells übernehmen sie jedoch eher die Funktion der Ergebnispräsentation.
Kennzahlen können auf unterschiedliche Weise strukturiert werden:
-
Absolute Kennzahlen (Basis- oder Grunddaten eines Unternehmens, auch nichtmonetäre Größen wie Mitarbeiteranzahl)
Relative Kenzahlen (Basis- oder Grunddaten werden miteinander in Beziehung gestellt),
die wiederum aufgeteilt werden können in
ƒ Gliederungskennzahlen (Zähler und Nenner mit gleicher Grundgesamtheit)
ƒ Beziehungskennzahlen (ungleichartige Größen aus verschiedenen Grundgesamtheiten werden kombiniert)
ƒ Indexkennzahlen (geben die Entwicklung von absoluten, Gliederungs- und Beziehungskennzahlen an)
Einzelne Abteilungen im Unternehmen benutzen unterschiedliche Kennzahlen. Der Vertrieb
favorisiert z.B. Umsatz- und Auftrageingangskennzahlen, während in der Fertigungsabteilung
die Anzahl der fehlerhaften Produkte minimiert werden soll. Entscheidend ist die Zusammenführung der Vielzahl von Kennzahlen zu einem Kennzahlensystem.
Die Entwicklung eines Kennzahlensystems für den Bereich der BGF steht noch am Anfang.
Dabei ist zum einen auf die Integrationsfähigkeit eines solchen Systems in ein bereits
existierendes Gesamtkennzahlensystem des Unternehmens zu achten. Neben den erwähnten harten sind auch weiche Kennzahlen aufzunehmen, um z.B. die Mitarbeiterperspektive
analysieren zu können. Zum anderen wird empfohlen, sich auf möglichst wenige Kennzahlen
zu beschränken 70. Das derzeit auf dem Markt angebotene Präventionskennzahlen-System 71
(PKZ-System) des Instituts für Betriebliche Gesundheitsförderung berücksichtigt nicht nur
ausgewählte Zielgrößen (z.B. Krankenstand, Zufriedenheit und Motivation der Beschäftigten), sondern integriert darüber hinaus ursachenbezogene Kennzahlen (Gesundheitsgefährdungen und gesundheitsförderliche Potenziale der Arbeit).
Der Erfolg der BGF kann an einer Reihe von kurz-, mittel- und langfristigen Zielgrößen
gemessen werden. Im Rahmen von Projekten zur BGF finden folgende Kennzahlen häufig
Anwendung: Fehlzeiten, Kosten der ungestörten Arbeitsstunde, Fluktuationsrate, Kundenund Mitarbeiterzufriedenheit, Motivation, Leistungsfähigkeit, Produktivität und Inanspruchnahme von Maßnahmen der BGF.
70
Die Beschränkung auf 10 bis 20 Kennzahlen erscheint zweckmäßig. Die Auswahl von Kennzahlen
sollte umso kleiner sein, je kompakter, schneller und klarer die Informationen präsentiert werden
sollen (vgl. Gehringer, J. & Michel, W. J. (2000). Frühwarnsystem Balanced Scorecard. Düsseldorf:
Metropolitan-Verlag.)
71
http://www.bgf-berlin.de/Angebot18.html. Zugriff am 04.01.2005.
© iqpr Köln
54
Ökonomische Aspekte der BGF
5.2.3 Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse (EWA)
Auf Stufe drei sind die Kennzahlen zur Wirtschaftlichkeit zusammenzufügen. Letztlich
handelt es sich um eine Addition der Renditen. Allerdings sind Äpfel mit Birnen zu vergleichen: Auf der Aufwandsseite erscheint es meist recht gut möglich, die Investitions- und die
laufenden Kosten monetär darzustellen. Anders ist es auf der Renditeseite, denn der Nutzen
besteht nicht nur in monetären Größen. Daher müssen indirekte Maßstäbe herangezogen
werden. Wie in Stufe zwei festgestellt, wird häufig die Veränderung in den gesundheitsbedingten Fehlzeiten gewählt.
In einem komplexen Prozess sollten sich diese in monetäre Größen umrechnen lassen.
Andere Erfolgsmaßstäbe lassen sich nur in Prozesszielen wiedergeben, so eine Verbesserung des Betriebsklimas. Hier ist der Zusammenhang mit monetären Größen nur nach
umfänglichen Untersuchungen nachzuvollziehen. Ansonsten liegen wechselnde Zielgrößen
vor, die zunächst vergleichbar gemacht werden müssen. Ein Hilfsmittel dafür ist die Nutzwertanalyse. Das Vorgehen ist aus den Testberichten der Stiftung Warentest bekannt: Es
handelt sich um ein Verfahren zum Vergleich nichtmonetarisierbarer Kosten und Nutzen aus
verschiedenen Handlungsmöglichkeiten. Das Vorgehen dabei ist triadisch. Auf eine Festlegung der Bewertungskriterien – etwa Arbeitszufriedenheit, Außenwirkung oder Ausstoßmenge und deren Gewichtung – folgt für die verschiedenen betrachteten Interventionen eine
Beurteilung hinsichtlich der verschiedenen Kriterien und die Vergabe zugehöriger Punktwerte. Durch Multiplikation von Punkten und Gewichtung ergeben sich Nutzenwerte für die
verschiedenen Investitionsmöglichkeiten, die damit vergleichbar wurden. 72
Die Kosten-Nutzen-Analyse für monetäre Mittelflüsse und die Nutzwerte für die nicht
monetär zu bewertenden Vor- und Nachteile der Investition lassen sich auch gemeinsam
betrachten. Eine Möglichkeit ist es, die monetären Bewertungen ebenfalls in die Nutzwertanalyse einfließen zu lassen. Das zusammenfassende Verfahren ist die Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse. In praxi wird die Analyse EDV-gestützt erfolgen. Programme gibt es
auch speziell für die Verwendung in der BGF; sie sind auf den Einzelfall anzupassen. 73 Das
Zusammenwirken der verschiedenen Bewertungen zeigt Abbildung 4: Durch die Erweiterte
Wirtschaftlichkeitsanalyse können monetäre und nicht monetäre Kennzahlen für Zielgrößen
dargestellt und vergleichbar gemacht werden. Ziel ist es, eine Entscheidungsgrundlage für
eine monetäre Investitionsentscheidung zu liefern.
72
Das Verfahren ist auch auf der Verwaltungsseite zum Vergleich einzelwirtschaftlicher Untersuchungen etabliert. Für eine Darstellung s. Bundesfinanzverwaltung: Arbeitsanleitung Einführung in
Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, Rundschreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 31.
August 1995, Az II A 3 – H 1005 – 23/95, Gemeinsames Mitteilungsblatt 1995, S. 764 ff.
73
z. B. „Nutzwert plus“ der Fa. Zangemeister & Partner, Hamburg, siehe URL: http://www.zpzangemeister.de.
55
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Ökonomische Aspekte der BGF
Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse
Zielrahmen
Ökonomie
Wirtschaftlichkeit
direkt
indirekt
Rentabilität
Interner Zins
Kapitalrückfluß
Fehlzeiten
Absentismus
Ausschuß
Betriebsstörungen
Fluktuation
Nacharbeit
Direkt monetär
Humanität, Image, Sozialverpflichtung
Leistungsfähigkeit
Produktivität
Qualität
Flexibilität
Zuverlässigkeit
Pünktilichkeit
Systemverträglichkeit
Indirekt
monetär
Arbeitsbelastung
Lärm
Schadstoffe
Klima
Beleuchtung
Arbeitssicherheit
Arbeitsqualität
Arbeitsautonomie
Arbeitsmotivation
Gefährdungen
Schutzeinrichtungen
Fachkenntnisse
Verantwortung
Arbeitsinhalte
Handlungsspielraum
Mitwirkungsmöglichkeit
Zeitliche Einbindung
Mitwirkung
Leistungsanreize
Anerkennung
Nutzwertanalyse
Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse
Integration in das Unternehmen via
Balanced Scorecard
Abbildung 4 Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse für die Betriebliche Gesundheitsförderung
5.2.4 Balanced Scorecard
Auf der vierten Stufe bekommt das Unternehmen Unterstützung bei der Formulierung und
Operationalisierung der BGF-Strategie im Rahmen der Unternehmensstrategie und der
dahinter liegenden -vision. Akzeptanz und Erfolg der BGF setzen voraus, dass sich das
Unternehmen offiziell zu dem Anliegen und den Zielen der BGF bekennt. Diesem Umstand
wird mit der Implementierung des Themas in eine Balanced Scorecard (BSC) Rechnung
getragen.
Die BSC ist Anfang der 1990er Jahre von Kaplan und Norton 74 als ein Instrument zur
Umsetzung der Unternehmensstrategie entwickelt worden. Ausgangspunkt war die Kritik an
der einseitigen und unübersichtlichen Erfolgsmessung der Unternehmen – diese würden sich
bei ihrer Analyse fast ausschließlich auf eine nicht nach Bedeutung differenzierbare Vielfalt
an monetären Kennzahlen stützen. Neben der Finanzperspektive wurden daher die Kundenund die interne Prozessperspektive sowie die Potenzialanalyse (Lernen und Entwicklung)
berücksichtigt und nach Zielen, Kennzahlen, Vorgaben und Maßnahmen strukturiert (siehe
Abbildung 5). Die Berücksichtigung der generell auch anders zu besetzenden Entwicklungsgebiete hat zur Folge, dass die Strategie – die zwingend vorhanden sein muss – bis auf
tägliche Routinen und Handlungen einzelner Mitarbeiter operationalisiert werden kann.
Die weite Verbreitung der BSC hat dazu geführt, dass eine Reihe von branchenspezifischen
Erfahrungen mit der BSC existiert. Aspekte der BGF werden bisher jedoch eher selten in das
Steuerungsinstrument implementiert. 75
74
Siehe z.B. Kaplan, R. S. & Norton D. P. (1997). Balanced Scorecard. Stuttgart: Verlag SchäfferPoeschel.
75
Kohstall, D., Lauterbach, D., Lüdeke, A. (2002). Die Balanced Scorecard als ein Steuerungsinstrument für Call Center. Zugriff am 21.01.2005 unter
http://www.hvbg.de/d/bgag/bereiche/oekon/forsch2.pdf. Hier wurden die Kriterien „Krankenstand und
Fluktuation“, „Gründe für Fluktuation“ und „Gesundheitliche Probleme der Mitarbeiter“ in die Mitarbeiterperspektive aufgenommen.
© iqpr Köln
56
Ökonomische Aspekte der BGF
Folglich sind die Umsetzungsschritte für die Realisierung der BGF durch den Einsatz der
BSC noch recht allgemein gehalten:
1. Schritt: Entwicklung eines Zielsystems für die Betriebliche Gesundheitsförderung im
Rahmen der Balanced Scorecard (abgeleitet aus der Unternehmensstrategie)
2. Schritt: Erarbeitung zielkompatibler Kennzahlen und Messgrößen
3. Schritt: Festlegung von Zielvorgaben und -werten
4. Schritt: Maßnahmepakete zur Zielerreichung entwickeln 76
In Abbildung 5 ist die Grundstruktur mit den vier Entwicklungsgebieten einer BSC dargestellt.
Das Thema BGF könnte als fünfte Entwicklungsperspektive hinzugenommen werden. Für
eine „eigene Karte“ spricht, dass dem Thema BGF formal eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Gleichzeitig können damit aber auch Begehrlichkeiten geweckt werden, andere
Inhalte zum Gegenstand einer BSC-Karte zu machen, worunter die Übersichtlichkeit leiden
kann. Alternativ besteht die Möglichkeit, den Komplex BGF in den Bereich „Lernen und
Entwicklung“ zu integrieren. Eine allgemeine Empfehlung, welche Variante zu bevorzugen
ist, kann derzeit nicht gegeben werden. Ausschlaggebend ist die plausible Darlegung der
Ursache-Wirkungsketten zwischen den einzelnen Feldern hinsichtlich der Ziele, Kennzahlen,
Vorgaben und Maßnahmen.
Finanzen
Auftreten gegenüber den
Teilhabern
- Ziele
- Kennzahlen
- Maßnahmen
Kunden/Markt
Vision
&
Strategie
Kundenerwartungen und
Auftritt gegenüber den
Kunden
- Ziele
- Kennzahlen
- Maßnahmen
Interne Prozesse
Prozessoptimierung, um
Kunden und Teilhaber zu
überzeugen
- Ziele
- Kennzahlen
- Maßnahmen
Lernen und
Entwicklung
Veränderungs- und
Wachstumspotenziale
- Ziele
- Kennzahlen
- Maßnahmen
Möglichkeit 2
BGF
Möglichkeit 1
BGF
Abbildung 5 Grundstruktur einer Balanced Scorecard mit möglicher BGF-Platzierung
76
Kentner, M., Janssen, Ph., Rockholtz, C. (2003). Betriebliches Gesundheitsmanagement und
Balances Scorecard – Die Verknüpfung von Prävention und Produktivität bei der Arbeit. Arbeitsmedizinische Praxis, 38 (9), 470–476.
57
© iqpr Köln
Ökonomische Aspekte der BGF
5.2.5 Wirkungsketten
Die letzte Stufe des Modells ist zugleich die anspruchsvollste. Das Unternehmen soll
plausibel nachvollziehen können, ob sich die in der BSC theoretisch vermuteten Wirkungsketten in der Praxis bewahrheitet haben.
Die diesbezügliche Evaluation der BGF ist ein wichtiger Baustein, um die angebotene
Maßnahmenpalette und damit das Verhältnis von Input- und Outputfaktoren optimieren zu
können. Vor überzogenen Erwartungen muss jedoch gewarnt werden. Wenngleich statistisch
eindeutige Korrelationen z.B. zwischen der Mitarbeiterzufriedenheit und dem Betriebsergebnis liegen, sagt dies noch nichts über den tatsächlich bestehenden ursächlichen Zusammenhang dieser beiden Größen aus. Ein positives Betriebsergebnis könnte ebenso durch andere
Faktoren determiniert sein, beispielsweise durch den Ausfall eines Marktkonkurrenten oder
intensivierte Marketingbemühungen.
Nach Belegen über Wirkungsketten oder Instrumenten, welche diesen Nachweis erbringen,
sucht man derzeit vergebens. Ein gangbarer Weg scheint die Befragung der beteiligten
Akteure zu sein. In einer Studie beschreiben Unternehmer und Führungskräfte den von
ihnen selbst erlebten Zusammenhang zwischen konkreten Veränderungen, die durch die
BGF initiiert worden sind, und dem festgestellten wirtschaftlichen Nutzen. 77 Die Ergebnisse
sind in Abbildung 6 zusammengefasst worden. Eine Ergänzung zur Sichtweise der Führungskräfte sollte durch die Berücksichtigung der Mitarbeiterperspektive vorgenommen
werden.
77
AOK (Hrsg.) (2004): Wirtschaftlicher Nutzen Betrieblicher Gesundheitsförderung aus Sicht der
Unternehmen. http://www.aok-bv.de/gesundheit/praevention/gu/index_00943.html, Zugriff am
21.01.2005.
© iqpr Köln
58
Ökonomische Aspekte der BGF
Abbildung 6 Wirkungsketten. Eigene grafische Darstellung von Zusammenhängen aus AOK
2004
5.3 Vorstellung und Diskussion des 5-Stufen-Modells
5.3.1 Posterpräsentationen
Im Rahmen von Posterpräsentationen konnten unterschiedliche Inhalte des 5-Stufen-Modells
dem Fachpublikum vorgestellt werden. Auf der A+A Sicherheit und Gesundheit bei der
Arbeit in Düsseldorf im September 2005 und auf dem 1. Präventionskongress in Dresden im
Dezember 2005 wurden jeweils zwei Posterbeiträge angenommen:
-
Konzeption einer Kosten-Nutzen-Analyse präventiver Maßnahmen im Unternehmen
Erfolgsmessung Betrieblicher Gesundheitsförderung mit Hilfe der Balanced Scorecard
Der erste Posterbeitrag stellt das 5-Stufen-Modell in seiner Gesamtheit dar, während das
zweite Poster die vierte Stufe des Modells intensiver ausleuchtet. Dort werden drei Möglichkeiten beschrieben, wie die Themen BGF und BSC miteinander gekoppelt werden können.
Das Feedback auf die Posterpräsentation auf der A+A war sehr gering. Insgesamt war die
Posterausstellung – auch zur Zeit der offiziellen Begehung – nur sehr mäßig besucht. Ganz
anders war die Resonanz in Dresden auf dem 1. Präventionskongress. Das Feedback
verteilte sich gleichermaßen auf das Modell als Ganzes sowie auf die Implementierung der
BSC. Von Interesse waren vor allem konkrete Hinweise zur Umsetzung vor dem Hintergrund
praktischer Erfahrungen. Anfragen kamen sowohl von Vertretern anderer wissenschaftlicher
Institutionen, von Unternehmensvertretern und von Mitarbeitern der gesetzlichen Krankenkassen. Letztere berichteten von zunehmenden Erwartungen der Unternehmen, die BGF
betreiben und sich dabei durch die GKV unterstützen lassen, die Maßnahmen auch unter der
ökonomischen Perspektive zu betrachten.
5.3.2 Vorträge
5.3.2.1 GVG-Tagung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement
Am 10. Oktober 2005 führte die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung
e.V. (GVG) in Berlin eine Tagung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM)
durch, auf der auch die ökonomischen Aspekte diskutiert wurden. Grundlage war der Vortrag
„Kosten und Nutzen des BEM aus betriebswirtschaftlicher und sozialwirtschaftlicher Perspektive“. Dieser Vortrag stützte sich in erster Linie auf das 5-Stufen-Modell und stellt damit den
Versuch dar, dieses Modell auf die Thematik des BEM zu übertragen. Der folgende kursiv
gedruckte Text ist der Tagungsdokumentation der Veranstaltung entnommen. 78
78
GVG-Informationsdienst (Februar 2006): Betriebliches Eingliederungsmanagement – GVGKonferenz am 10. Oktober 2005.
59
© iqpr Köln
Ökonomische Aspekte der BGF
Dr. Holger Wellmann (Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation an der
Deutschen Sporthochschule Köln) stellte die Potenziale des BEM aus wirtschaftlicher Sicht
dar. Er gab zu bedenken, dass nicht alle Aspekte des BEM aus einer ökonomischen
Perspektive sinnvoll bewertet werden könnten. Obwohl fertige Rezepte nicht zu erwarten
seien, mache die bisher geringe Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen eine eingehendere Beschäftigung notwendig und sinnvoll.
In einem ersten Schritt erörterte Wellmann das zur Verfügung stehende Instrumentarium der
ökonomischen Evaluation. Traditionelle Verfahren zur Kosten-Nutzen-Analyse aus dem
Bereich der Betriebswirtschaftslehre seien für die Bewertung des BEM nicht geeignet.
Vielmehr gelte es hier, die Potenziale einer erweiterten Wirtschaftlichkeitsanalyse zu nutzen.
Die Kosten-Nutzen-Analyse repräsentiere dabei nur einen Ausschnitt und sei um vielfältige
Ansätze zu erweitern, deren Bedeutung in der Einbeziehung qualitativer Faktoren liege. Bei
den Sozialversicherungsträgern sei zu erwarten, dass Einsparpotenziale die anfallenden
Mehrkosten für BEM mehr als ausgleichen würden: Erhöhten Ausgaben für aktive Wiedereingliederungsmaßnahmen stünden geringere Aufwendungen der Unfallkassen beim
Verletztengeld gegenüber. Auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen fielen
Zusatzkosten im Bereich der vermehrt durchzuführenden Reha-Maßnahmen an, während
andererseits geringere Krankengeldzahlungen zu erwarten seien. Schließlich seien bei der
Rentenversicherung Einsparungen zu erwarten, da auf Grund der durch BEM geförderten
Weiterbeschäftigung weniger Mittel für Frühverrentungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufzuwenden seien.
Der Frage, inwieweit sich Investitionen in die Gesundheit der Mitarbeiter für Unternehmen
lohnen, ging Wellmann aus betriebswirtschaftlicher Perspektive mit einem fünfstufigen
Modell nach, das zur Analyse des gesamten betrieblichen Gesundheitsmanagements aus
Unternehmersicht entwickelt wurde. Zunächst seien für die Betriebe Erfahrungsakkumulation
und -austausch notwendig, um Erfahrungen zu systematisieren. Dabei seien Branche und
Größe des Unternehmens und regionale Besonderheiten zu berücksichtigen. In einem
zweiten Schritt müssten die charakteristischen Kennzahlen für das eigene Unternehmen
ermittelt werden, beispielsweise hinsichtlich Fehlzeiten, Produktivität, Mitarbeitermotivation,
Betriebsklima, Firmenimage und Kundenzufriedenheit. Als dritter Schritt müsse eine erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalyse erstellt werden, die zusätzlich zur monetären Dimension eine
Nutzwertanalyse der „weichen“ Faktoren erfolgreichen unternehmerischen Handelns
berücksichtige. Viertens seien mit Hilfe der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse Vision und
Strategie der betrieblichen Gesundheitspolitik eines Unternehmens zu entwickeln: In
Erweiterung einer primär monetären Perspektive um qualitative Aspekte seien die Kundenerwartungen, die Veränderungs- und Wachstumspotenziale des Betriebes sowie die
maßgeblichen internen Prozesse zu berücksichtigen und in eine Balanced Scorecard zu
integrieren. Zwischen den verschiedenen Bereichen könne Betriebliches Gesundheitsmanagement im Allgemeinen und BEM im Besonderen integrativ wirken. In einem fünften Schritt
geht es darum, die in der Balanced Scorecard vermuteten Wirkungsketten auf ihre Plausibilität zu prüfen. In einer einfachen Wirkungskette bedeute dies, dass die Realisierung eines
BEM ein besseres Betriebsklima hervorrufe, dass der Krankenstand gesenkt werden könne
und dass somit neben der Erlangung einer höheren Zufriedenheit innerhalb der Belegschaft
© iqpr Köln
60
Ökonomische Aspekte der BGF
die Kosten der Entgeltfortzahlung gesenkt werden könnten. Doch sei der kausale Zusammenhang dieser Argumentation noch nicht hinreichend wissenschaftlich nachgewiesen.
An zwei Beispielen verdeutlichte Wellmann die betriebswirtschaftlichen Effekte, die sich aus
der Anwendung des BEM ergäben:
Im Falle der Kölner Ford-Werke hätten sich die Arbeitsunfähigkeitszeiten erheblich reduziert.
Beinahe alle leistungsgewandelten Mitarbeiter hätten erfolgreich in die Arbeitsprozesse
reintegriert werden können, u.a. dadurch, dass das Outsourcing von Tätigkeiten zu Gunsten
interner Arbeitsplatzwechsel gestoppt bzw. rückgängig gemacht worden sei. Zudem seien
die Kosten der Sozialversicherungsträger infolge der Vermeidung von Erwerbsunfähigkeitsrenten zurückgegangen.
Im Regensburger BMW-Werk wird ab dem Zeitpunkt von einem BEM-Fall gesprochen – und
werden damit die Kosten für seine Bearbeitung erhoben –, ab dem sich das BEM-Team das
erste Mal zu diesem Fall zusammensetzt. Auch das Ende eines BEM-Falles wird klar
definiert. Die Kosten-Nutzen-Analyse bezieht sich auf den Einzelfall. Verglichen werden die
entstehenden Kosten durch die Fallbearbeitung mit den Kosten, die anfallen, wenn sich das
BEM-Team nicht mit dem Fall beschäftigen würde. Darüber hinaus erbringe das Integrationsteam weitere Leistungen, die die Wiedereingliederung betroffener Arbeitnehmer erheblich
verbessere.
Zusammenfassend stellte Wellmann fest, dass die Untersuchung der ökonomischen Aspekte
nicht auf eine rein monetäre Betrachtung reduziert werden dürfe, sondern im Rahmen einer
gesamtunternehmerischen Zieldefinition erfolgen müsse. Dabei dürfe BEM nicht als isolierte
Einzelmaßnahme betrachtet werden, sondern müsse in Überlegungen zu einem umfassenden Betrieblichen Gesundheitsmanagement eingebettet sein. Auch wenn die Erfolge des
BEM aus betriebswirtschaftlicher Sicht bisher noch nicht eindeutig nachgewiesen werden
könnten, seien entsprechende Untersuchungen notwendig und sinnvoll, zumal die langfristigen Effekte für alle Beteiligten erheblich sein dürften.
Der Vortrag steckt erste grobe Kategorien ab, innerhalb derer sich monetäre Auswirkungen
für die Sozialversicherungsträger ergeben können. In der anschließenden Diskussion wurde
auf diese Kategorien nicht weiter eingegangen. Kritischer betrachtet wurde die Praktikabilität
des 5-Stufen-Modells für Unternehmen. Aus dem Arbeitgeberlager kam die Anmerkung,
dass das Modell in dieser abstrakten Form noch keinen praktischen Nutzen für die konkrete
Anwendung in einem Unternehmen habe. Dieser Kritik ist insofern zuzustimmen, als dass
ein Modell sich immer auf einem gewissen Abstraktionsniveau halten muss, um die gewünschte Allgemeingültigkeit zu wahren. Die spezifische Ausgestaltung der verschiedenen
Stufen bleibt dem Einzelfall überlassen. So wird es z.B. Unternehmen gleicher Branche,
Größe und Region geben, deren Balanced Scorecard sich eher ähneln wird, als die zweier
Unternehmen, welche auf völlig unterschiedlichen Geschäftsfeldern tätig sind. Das Anliegen
des Vortrags war jedoch aufzuzeigen, ob das 5-Stufen-Modell grundsätzlich für die ökonomische Evaluation des BEM geeignet ist. Dieser Funktion wurde nicht widersprochen. Die
einzelnen Stufen sind so flexibel gestaltbar, dass sowohl Aspekte der BGF als auch des
BEM integriert werden können. Ohne dass es im Vortrag thematisiert wurde, kann die These
aufgestellt werden, dass auch der Arbeits- und Gesundheitsschutz abzubilden ist. Somit
61
© iqpr Köln
Ökonomische Aspekte der BGF
wären sämtliche Handlungsfelder des betrieblichen Gesundheitsmanagements einer
ökonomischen Bewertung mit Hilfe des 5-Stufen-Modells zu unterziehen, was sich in der
Praxis allerdings erst noch erweisen muss.
5.3.2.2 Jahrestagung der DGAUM Hannover
Im März 2006 fand in Hannover die Jahrestagung der Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. (DGAUM) statt. Eine der zahlreichen Sessions setzte sich mit
dem Thema BGF auseinander. Hier konnte von Seiten des iqpr der Vortrag „Implementierung der Betrieblichen Gesundheitsförderung in eine Balanced Scorecard“ platziert und somit
die Thematik der Posterpräsentationen der A+A in Düsseldorf und des Präventionskongresses in Dresden eingehender vorgestellt werden. Der folgende kursiv gedruckte Text gibt
einen Ausschnitt des Vortrags aus der Tagungsdokumentation wieder.
Grundzüge der Balanced Scorecard
Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelten Kaplan und Norton (u.a.
Kaplan und Norton (1997)) die BSC, um damit einen Beitrag zur Umsetzung der Unternehmensstrategie zu leisten. Viele Unternehmen – auch eine Reihe von kleineren und mittleren
Unternehmen (KMU) – verfolgen eine bestimmte Vision und eine daraus abgeleitete
Strategie. Diese wird oftmals nur schriftlich niedergelegt, ohne dass sie in der Unternehmenspraxis Relevanz erlangt. Viele klassische Controlling-Instrumente reduzieren zudem die
Erfolgskontrolle der Strategie auf die Ermittlung von Finanzdaten.
An dieser Stelle setzt die BSC an. Sie erweitert die einseitige monetäre Erfolgsmessung
durch die Integration mehrerer Entwicklungsperspektiven bzw. Karten (siehe Abb.1). In der
Grundform der BSC handelt es sich dabei um die Kundenperspektive (wie trete ich am Markt
auf?), die Perspektive der internen Prozesse (Arbeits- und Organisationsabläufe) und die
Potenzialperspektive. Letztere umfasst alle Tätigkeiten, die im Rahmen von Humankapitalinvestitionen diskutiert werden, z.B. das Rekrutierungsverhalten von Unternehmen oder
Weiterbildungsangebote für die Belegschaft.
Es können andere oder weitere Entwicklungsperspektiven berücksichtigt werden. Die
Auswahl hängt z.B. von der Branche des Unternehmens und seiner strategischen Ausrichtung ab. Bei einer gelungenen Operationalisierung ist dem einzelnen Mitarbeiter bewusst,
wie er durch seine täglichen Routinen zur Verwirklichung der Unternehmensstrategie
beiträgt. Strategie erscheint dann nicht mehr als etwas Abstraktes, sondern als etwas
tatsächlich Gelebtes. Wichtig ist, dass das gesamte System aufeinander abgestimmt wird
und Wirkungsketten zwischen den Perspektiven hergestellt werden. Die einzelnen Entwicklungsgebiete handeln also nicht autonom, sondern sind letztlich doch immer auf den
finanziellen Erfolg des Unternehmens ausgerichtet. Inzwischen existiert eine Reihe von
branchenspezifischen Erfahrungen mit der BSC. Zudem hat sie eine Weiterentwicklung in
der Hinsicht erfahren, als dass sie nicht mehr nur zur Umsetzung, sondern bereits als
Instrument zur Entwicklung der Unternehmensstrategie Verwendung findet. Das Thema BGF
wird bisher jedoch eher selten einbezogen. Konzeptionell lässt sich dies auf drei verschiedene Arten verwirklichen.
© iqpr Köln
62
Ökonomische Aspekte der BGF
Implementierungsmöglichkeiten
Die erste Möglichkeit besteht darin, das Thema BGF in das Feld Lernen und Entwicklung
einzubeziehen. Die Leitfrage lautet, welche Ziele hinsichtlich der Potenziale und Kompetenzen des Unternehmens zu setzen sind, um den aktuellen und zukünftigen Marktanforderungen gewachsen zu sein. Einen wesentlichen Beitrag für die benötigte Infrastruktur stellen die
Mitarbeiterressourcen dar. Alle diesbezüglichen Investitionen können in die Potenzialperspektive einbezogen werden. Somit finden auch die Investitionen Berücksichtigung, die im
Rahmen der BGF getätigt werden. Allerdings werden dabei nur wenig BGF-spezifische
Kennzahlen aufgenommen werden können. Folgt man dem Merksatz „Twenty is plenty“ für
eine komplette BSC, wird sich die BGF eventuell nur anhand von ein bis zwei Kennzahlen
wieder finden lassen.
Diese reduzierte Betrachtungsweise weist einerseits den Vorteil auf, dass die BGF-Thematik
mit relativ wenig Aufwand in die Gesamtstrategie eines Unternehmens integriert werden
kann. Die Fokussierung auf ein bis zwei prägnante Kennziffern kann außerdem helfen, sich
über
die
Hauptziele
der
BGF-Maßnahmen
klar
zu
werden.
Andererseits lässt sich auf diese Weise kein komplexes Wirkungsgefüge der BGF abbilden.
Es können zudem falsche Signale an die Belegschaft gesendet werden. Wenn z.B. nur die
Kennzahl „Fehlzeiten“’ Verwendung findet, könnte der Eindruck entstehen, dass es im
Wesentlichen nicht um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Belegschaft geht, sondern
um die Maximierung der Anwesenheitsquote im Unternehmen. Daher ist die Kommunikation
der hinter den Kennzahlen liegenden Ziele und Maßnahmen gerade bei dieser Variante
wichtig.
Man könnte als zweite Möglichkeit die BGF zum Gegenstand einer eigenen Karte machen
und in eine bestehende BSC integrieren bzw. diese Karte bei einer neu zu entwickelnden
BSC mit einfügen. Eine solche Ergänzung erscheint insbesondere dann sinnvoll, wenn zwar
im Unternehmensleitbild die BGF Berücksichtigung findet, jedoch keine explizite, unternehmensspezifische Gesundheitsstrategie formuliert ist. Diese Situation wird oftmals in KMU
vorzufinden sein. Drei bis fünf BGF-spezifische Kennzahlen werden auf diese Weise in die
BSC aufgenommen werden können.
Im Vergleich zu ersten Variante finden somit mehrere Ziele der BGF Beachtung. Darüber
hinaus wird durch die Darstellung in Form einer eigenen Karte deutlicher, in welchem
Wirkungsgefüge die Aktivitäten der BGF mit den übrigen Entwicklungsperspektiven stehen.
Beispielsweise können für die BGF-Karte die Themen Arbeitsplatzgestaltung, Gesundheitsverhalten und Betriebsklima von Belang sein. Dadurch werden sowohl Maßnahmen der
Verhaltens- als auch der Verhältnisprävention bedacht und zu anderen strategischen Zielen
in Beziehung gesetzt. Auswirkungen können z.B. auf die Perspektive der internen Prozesse
erwartet werden, wenn es dort um kommunikative Aspekte, das betriebliche Vorschlagswesen oder Warenausschuss geht.
Als dritte und aufwendigste Möglichkeit kann es sich anbieten, eine eigene BSC für die BGF
zu machen. Damit wird dem Thema BGF im Vergleich zu den beiden anderen Alternativen
die höchste Bedeutung beigemessen. Gerade Großkonzerne formulieren in zunehmendem
Maße neben der eigentlichen Unternehmensstrategie eigene Visionen und Strategien
hinsichtlich der BGF oder sogar eines umfangreichen betrieblichen Gesundheitsmanage63
© iqpr Köln
Ökonomische Aspekte der BGF
ments. Dementsprechend generieren sie eine Reihe von Kennzahlen zur Gesundheitssituation der Belegschaft im Unternehmen. In solchen Fällen erscheint die Abbildung der BGFStrategie durch eine eigene BSC sinnvoll. Bei der Erstellung ist darauf zu achten, dass der
Bezug zur allgemeinen Unternehmensstrategie nicht verloren geht. Dies bringt besondere
Anforderungen an die Darstellung diesbezüglicher Wirkungsketten mit sich. Hilfreich ist die
Beibehaltung von bedeutsamen Kennzahlen aus der allgemeinen Unternehmensstrategie;
hier kann z.B. auf Kennzahlen der Finanzperspektive zurückgegriffen werden.
Der Ablauf der Implementierung gestaltet sich bei allen Möglichkeiten ähnlich, der Aufwand
nimmt jedoch von der ersten bis zur dritten Möglichkeit zu. Die Vorarbeiten beinhalten alle
Tätigkeiten hinsichtlich der Projektorganisation, der Einbindung der Akteure und die Information der Belegschaft sowie als tragendes Element die umfassende Kommunikation des
Vorhabens. Die eigentliche Erstellung der BSC beginnt mit der Erarbeitung strategischer
Ziele für jede Perspektive. Anschließend müssen diesbezügliche Kennzahlen ausgewählt
bzw. entwickelt werden und Zielwerte bis zu einem bestimmten Zeitpunkt festgelegt werden.
Erst dann sollten die Maßnahmen zur Umsetzung der strategischen Ziele bestimmt werden.
Fazit:
Die BSC bietet verschiedene Varianten, um die Thematik der BGF aufzugreifen. Die
Entscheidung für eine Variante hängt u.a. von der Größe des Unternehmens und der Rolle,
welche die BGF spielen soll, ab. Insgesamt kann die BSC einen Beitrag zur Steuerung des
Managementprozesses der BGF leisten. Einschränkend muss derzeit festgestellt werden,
dass die ansonsten weit verbreitete BSC im Handlungsfeld BGF noch nicht angekommen ist.
Aus der Praxis wird bisher – bis auf wenige Ausnahmen zumeist aus Großunternehmen –
nur von wenigen Anwenderfällen berichtet.
Auf Rückfrage des Moderators, ob es unter den Zuhörern Unternehmensvertreter gäbe, die
bereits eine BSC für die BGF eingeführt haben, gab es eine Reihe von Handmeldungen. Es
handelte sich hauptsächlich um Betriebsärzte, die aus großen Unternehmen kamen. Das
unterstützt die These, dass sich das Thema BGF im Allgemeinen und deren ökonomische
Bewertung im Speziellen hauptsächlich auf Großunternehmen konzentrieren.
Die Wortmeldungen lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Erstens erscheint es schwierig,
die in einer BSC angestrebten Zielwerte zu erreichen. Dies u.a. deswegen, weil die im
Unternehmen für die BGF Verantwortlichen nicht immer ihre diesbezüglichen Vorstellungen
in Gänze realisieren können. Damit einher geht der zweite Punkt: Der Erfolgsgarant für die
Umsetzung der BSC läge insbesondere darin, dass sich alle Beteiligten zusammensetzen
und das Anliegen der BSC hinreichend im Unternehmen kommunizieret wird.
5.3.3 Expertengespräch zum 5-Stufen-Modell
Neben den oben beschriebenen Aktivitäten zur Bekanntmachung des 5-Stufen-Modells
konnte im Januar 2006 ein Expertengespräch mit Herrn Dr. Thiehoff von der Bundesanstalt
für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführt werden. Herr Dr. Thiehoff ist ein
© iqpr Köln
64
Ökonomische Aspekte der BGF
jahrzehntelanger Kenner der Diskussion um die Wirtschaftlichkeit insbesondere des Arbeitsund Gesundheitsschutzes und hat entscheidend zur deren Weiterentwicklung beigetragen 79.
Derzeit ist er für die Öffentlichkeitsarbeit der Initiative neue Qualität der Arbeit (INQA) 80
zuständig, deren Geschäftsführer er zuvor war.
Das Expertengespräch diente einer allgemeinen Einschätzung im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeitsdebatte der BGF und der Diskussion um das 5-Stufen-Modell. Folgende Fragen
standen dabei im Mittelpunkt:
1. Wie beurteilen Sie die Chancen für das Thema betriebliches Gesundheitsmanagement
bei einem historisch niedrigen Krankenstand?
Antwort: Bei globalerer Betrachtung lasse sich feststellen, dass die weit entwickelten
Industrienationen am Übergang von der Produktions- zur Wissensgesellschaft stünden.
Die Wellen der wirtschaftlichen Entwicklung entsprängen den spezifischen Knappheiten
einer jeden Zeit. Wir befänden uns gegenwärtig im 6. Kondratjew 81, der charakterisiert
sei durch einen Mangel an Verarbeitungskapazität von unstrukturierten Informationen
(dies sei der gegenwärtige Produktivitätstreiber, vgl. höchst erfolgreiche Unternehmen
wie Ebay und Google) 82. Es ergebe sich eine extreme Abhängigkeit der Unternehmen
von der Leistungsfähigkeit, Flexibilität, Motivation und somit Gesundheit der Mitarbeiter.
Gerade was die Motivation betrifft, habe eine Studie von INQA („What’s a good job“)
ergeben, dass in Deutschland zu schlecht geführt wird. Von der Führung hänge jedoch
primär die Gesundheitssituation im Unternehmen ab. Hauptpunkt sei damit die Verbesserung der Führungsqualitäten des Vorgesetzten bezogen auf dessen Vorbildfunktion, die
auch den Bereich des gesundheitsbewussten Verhaltens einschließt.
Schlussfolgerung: Vor diesem Hintergrund kommt dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement eine enorm hohe Bedeutung zu.
2. Welche Rolle kommt dabei dem ökonomischen Nachweis zu?
Antwort: Diesbezüglich führte Herr Dr. Thiehoff an, dass nur ca. 30 % der Entscheidungen im Unternehmen rational erfolgten. Die restlichen Entscheidungen erfolgten „aus
dem Bauch heraus“ und seien emotional geprägt. Wichtiger als eine streng ökonomische
Begründung sei daher der Marketingaspekt, mit dem das Thema Gesundheit im Unternehmen und den Verantwortlichen verkauft werden müsse. Daher sei die BSC ein sehr
attraktives Instrument, da sie als ein hervorragendes Kommunikationsinstrument gilt.
Insgesamt brauche es mehr Motivationsprozesse bei allen Beteiligten, um das Thema
Gesundheit auf die Agenda innerhalb der Unternehmen zu setzen. In diesem Kontext
79
Siehe u.a.: Thiehoff, R. (2000): Betriebliches Gesundheitsschutzmanagement. Erich Schmidt
Verlag: Berlin.
80
INQA ist ein Bündnis aus Bund, Ländern, Sozialpartnern, Sozialversicherungsträgern, Stiftungen
und Unternehmen, die Verantwortung für die Gestaltung der Arbeitswelt in Deutschland tragen und die
Förderung einer neuen Qualität der Arbeit als eine wichtige Aufgabe zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ansehen. Ziel ist es, ein modernes und ganzheitliches Verständnis von
„Gesundheit – Arbeit – Wettbewerbsfähigkeit“ in der Öffentlichkeit zu verankern und in den Betrieben
umzusetzen.
81
Hier bezieht sich der Interview-Partner auf die vom russischen Wissenschaftler Nikolai Kondratjew
entwickelte Theorie der zyklischen Wirtschaftsentwicklung.
82
Vgl. Händeler, E. (2004): Die Geschichte der Zukunft – Sozialverhalten heute und der Wohlstand
von morgen (Kondratieffs Globalsicht). Verlag Brendow.
65
© iqpr Köln
Ökonomische Aspekte der BGF
steht die schlechte Motivationslage der Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Einstellung zur Arbeit. Jüngste Umfragen (u.a. Infratest in Zusammenarbeit mit der BAuA) belegen, dass
ein Großteil der Belegschaft „aktiv unengagiert“ sei. Hinzu komme der allgemeine Bewegungsmangel, der die Ursache für vielerlei gesundheitliche Beschwerden sei, die auch
die berufliche Leistungsfähigkeit einschränken. Künftig würden sich die Unternehmen
erfolgreich am Markt behaupten, die diesen negativen Entwicklungen mit Maßnahmen
des betrieblichen Gesundheitsmanagements entgegentreten.
Schlussfolgerung: Oberste Priorität besitzt die Implementierung und Umsetzung des
betrieblichen Gesundheitsmanagements. Diese spielt eine wichtige Rolle, u.a. wenn es
um die Verbesserung der Arbeitsmotivation in den Unternehmen geht. Dies ist auf jeden
Fall die Bedingung dafür, dass man sich überhaupt mit dessen ökonomischen Auswirkungen auseinandersetzen kann.
3. Welche Anmerkungen haben Sie zu dem 5-Stufen-Modell?
Antwort: Insgesamt sei die Darstellung vollständig. Es würden alle gängigen Instrumente
der ökonomischen Evaluation erfasst. Das Kapitel „Wirkungsketten“ erscheint allerdings
zu weit hinten im Modell angesiedelt. Weiterhin sieht Herr Dr. Thiehoff die Darstellung in
Form von Stufen als einen Kategoriefehler. Es handele sich nicht um Stufen, da sie jeweils verschiedenen Kategorien zugehörten, sondern um eine Prozessdarstellung.
Schlussfolgerung: Die Darstellung des Modells in Form von Stufen bzw. als Prozess ist
insofern nicht ausschlaggebend, als dass das Unternehmen selbst entscheiden kann, bei
welcher Stufe es bei der Umsetzung einsteigt bzw. welche Stufe mit welcher Intensität
realisiert werden soll.
5.4 Umsetzung des 5-Stufen-Modells
Durch die Kooperation des iqpr mit dem MediClub 83 bei der Konzeption und Auswertung
einer Unternehmensbefragung zur BGF ergab sich die Gelegenheit, Teile des 5-StufenModells in der Praxis anzuwenden. Als günstig erwies sich die Tatsache, dass der MediClub
bereits in einer zweiten Projektphase Maßnahmen der BGF in dem an dieser Stelle nicht
genannten Unternehmen durchführte. Während es sich in einer ersten Phase ausschließlich
um die Erbringung von Gesundheitsleistungen handelte, sollte in der zweiten Phase der
Aspekt der Wirtschaftlichkeit Berücksichtigung finden. Hierzu erging eine Anfrage an das
iqpr.
Da eine komplette Umsetzung von Beginn an als unrealistisch eingeschätzt wurde, konzentrierte man sich auf die beiden ersten Stufen des Modells. Als Ausgangspunkt dienten die
Ziele des Mitarbeiterprogramms:
a) Verbesserung der Leistungsfähigkeit (Gesundheit)
b) Verbesserung der Leistungsbereitschaft (Motivation)
83
Der MediClub bietet Leistungen zur Verbesserung von Gesundheit, Motivation und Produktivität in
Unternehmen.
© iqpr Köln
66
Ökonomische Aspekte der BGF
Die Ziele wurden in einem ersten Schritt von Seiten des iqpr operationalisiert. Zu a) wurden
dem MediClub folgende Parameter vorgeschlagen:
-
Fehlzeiten (Entwicklung der letzten Jahre, Entwicklung im Jahresverlauf, Fehlzeitendauer
in Tagen, Fehlzeiten nach Altersstruktur, Fehlzeitendauer in Bezug zur Altersstruktur)
Altersstruktur
Krankheitsbilder (in Verbindung mit der Altersstruktur)
Krankheitsbedingte Fluktuation
Verbesserung der Befindlichkeit durch Maßnahmen
Verbesserung medizinischer Parameter durch Maßnahmen
Zu b) wurden Kennzahlen zusammengestellt, die eine Analyse der Produktivität zulassen
sollen und in mehrere Bereiche eingeteilt werden können.
Leistung pro Mitarbeiter und Zeitbedarf pro Leistungseinheit (unbewertete Größen)
-
Durchlauf pro Mitarbeiter in der Sachbearbeitung
Kunden pro Außendienstmitarbeiter
Abschlüsse pro Außendienstmitarbeiter
Zeit für die Ausführung einer bestimmten Verrichtung
Anzahl der Verbesserungsvorschläge pro Mitarbeiter (betriebliches Vorschlagswesen)
Bewertete Leistungen pro Mitarbeiter
-
Umsatz pro Mitarbeiter und Jahr
Umsatz pro Mitarbeiterstunde
Bewerteter Personaleinsatz und bewertete Leistungen
-
Anteil der Personalkosten am Umsatz in %
Anteil der Personalkosten an der Wertschöpfung bzw. an anderen Erfolgsgrößen
Anteil der Personalkosten an der Bilanzsumme
Analyse primär „sozialer“ Tatbestände
-
Mitarbeiterzufriedenheit
Betriebsklima
Betriebszugehörigkeit
Analyse Personalaufwand
-
67
Durchschnittlicher Personalaufwand (Gehälter, Löhne, Sozialaufwand einschl. BGF)
Kapitaleinsatz je Arbeitnehmer
© iqpr Köln
Ökonomische Aspekte der BGF
Analyse Absatzstruktur und Umsatzbeurteilung
-
Angebotserfolg
Umsatzstruktur
Umsatzentwicklung
5.4.1 1. Stufe: Lebensweltspezifische Erfahrungen
Der Schwerpunkt des Mitarbeiterprogramms lag bei Maßnahmen für den Rücken. Daher
wurde vom iqpr eine Auswertung von Studien bzgl. der Parameter, mit denen die Effekte der
Intervention gemessen wurden, vorgenommen. Die Tabelle 6 gibt einen Überblick über die in
den Studien verwendeten Parameter.
Tabelle 6 Auswertung von Studien zu Rückeninterventionen
1. Mobilitätsmessung durch 3D-Aufzeichnung mit klinischen Parametern (allgemein sind Daten,
die die Mobilität beschreiben, nur eingeschränkt zu verwenden, da Mobilität mit Haltung, Beschwerden oder pathologischen Befunden nicht sicher korreliert ist).
2.
-
Maße nach Schober und Ott
-
Seitneige nach Debrunner
-
Finger-Boden-Abstand
-
Winkelmaße der HWS-Beweglichkeit
-
Neutral-Null-Methode
Methode von QUEITSCH in Anlehnung an das Verfahren nach JANDA
Testbeschreibung:
a. Bauchmuskulatur: Ausgangsstellung: Rückenlage, Beine angestellt, Arme überkreuzt vor der
Brust. Bewegungen: gleichmäßige Flexion der HWS im vollen Ausmaß der Bewegung und
Anheben des oberen Schulterblattrandes von der Unterlage. Bewertung: Wiederholungszahl in 30
Sekunden.
b. Rückenmuskulatur: Ausgangsstellung: Bauchlage, seitlich gehaltene, angewinkelte Arme (90° ).
Bewegung: Retroflexion der Wirbelsäule. Bewertung: Zeit ohne Veränderung der Endposition der
Retroflexion (in Sekunden). Mit größerem Aufwand verbunden sind apparative Verfahren,
insbesondere das Elektromyogramm (EMG).
3.
Häufigkeit von Rückenschmerzen. Fragestellung im Bundesgesundheitssurvey 1998:
-
„Hatten Sie in den vergangenen 12 Monaten Rückenschmerzen?“
-
„Hatten Sie diese Schmerzen während der vergangenen 7 Tage?“
4.
Selbstaufschreibung aller Tage mit Rückenschmerzen auf der Graphic Rating Scale (GRS 2)
5.
SF-36 (körperliche Funktionsfähigkeit, körperliche Rollenfunktion, körperliche Schmerzen,
allgemeine Gesundheit, Vitalität, soziale Funktionsfähigkeit, psychisches Wohlbefinden, emotionale Rollenfunktion)
6.
Chronifizierung von Schmerzen ermitteln durch höhere AU-Häufigkeit nach einer längeren
Fehlzeit
7.
BMI
8.
Kardiovaskuläre Fitness
9.
Abdominal strength
© iqpr Köln
68
Ökonomische Aspekte der BGF
10. Duration of low back pain
11. No. of low back pain episodes during 3 yrs
12. N. of days of sick leave due to low back pain
13. Job satisfaction
14. Kenntnisse über wirbelsäulengerechtes Verhalten
15. Schmerzintensität anhand einer Analogskala
16. Erfragen des Analgetikaverbrauchs
17. Spinale Mobilität
18. Häufigkeit der Inanspruchnahme des Gesundheitswesens
19. Beeinträchtigung der Teilnehmer in den ATL
20. Skalen zur Erfassung der Lebensqualität (SEL) von Averbeck, Leiberich, Grote-Kusch,
Olbrich, Schröder, Brieger & Schumacher (1997)
21. Fragebogen zur Erfassung des Gesundheitsverhaltens (FEG) von Dlugosch und Krieger
(1995)
22. mehrdimensionaler Befindlichkeitsfragebogen (MDBF) von Steyer, Schwenkmezger, Notz und
Eid (1997)
23. Fragebogen zur Erhebung von Kontrollüberzeugung zu Krankheit und Gesundheit (KKH) von
Lohaus und Schmitt (1989)
24. Fragebogen zur Lebensqualität (WHO-QOL) von Angermeyer, Kilian und Matschinger (2000)
25. sportbezogene Verhaltensstadien (vgl. Fuchs, 1997; Marcus, Rossi, Selby, Niaura & Abrams,
1992; Proschaska & DiClemente, 1986; Schmid, Keller, Jäkle, Baum & Basler, 1999)
26. Psychosoziale Messinstrumente
-
Back Beliefs Questionnaire
-
Fear-avoidance beliefs questionnaire
-
Roland and Morris Disability Questionnaire
-
Pain Locus of Control Questionary
5.4.2 2. Stufe: Kennzahlengenerierung
Während mehrerer Arbeitskreissitzungen mit Vertretern des MediClub und der ControllingAbteilung des Unternehmens wurde diskutiert, welche Kennzahlen mit welcher Differenzierung zur ökonomischen Evaluation des Mitarbeiterprogramms generiert werden sollen. Aus
vier Bereichen standen Kennzahlen zur Verfügung bzw. konnten mit einem vertretbaren
Aufwand gewonnen werden:
a) Daten, die der MediClub im Rahmen des Mitarbeiterprogramms erhoben hat
b) Daten, die das Unternehmen erhebt
c) GKV-Daten
69
© iqpr Köln
Ökonomische Aspekte der BGF
a) Daten, die der MediClub im Rahmen des Mitarbeiterprogramms erhoben hat
Folgende gesundheitsrelevante Daten wurden zu Beginn und zum Ende der Maßnahmen
erhoben:
-
Messdaten von Gesundheitstests
o Rückenscreening
o CardioScan
o BMI
-
Befragungsergebnisse zur Resonanz und Akzeptanz der Maßnahmen
o Teilnehmerzahlen und Nutzerquoten
o Bekanntheitsgrad
o Zufriedenheit bzgl. der Durchführung/der Ergebnisse
b) Daten, die das Unternehmen erhebt
-
Mitarbeiterbefragung
Parallel zum Mitarbeiterprogramm, aber davon grundsätzlich unabhängig, wurde im Herbst
2005 eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt. Die Items des Fragebogens lagen bereits fest,
jedoch konnten noch zusätzlich zwei gesundheitsrelevante Fragestellungen integriert
werden:
o Ich fühle mich an meinem Arbeitsplatz wohl.
o Ich nutze Möglichkeiten, mich auch bei der Arbeit gesund und fit zu halten.
-
Sozialdaten (rückwirkend ab 2003)
Tabelle 7 Basisdaten
weiblich
männlich
insgesamt
Anzahl der Mitarbeiter (gesamt)
Schwerbehinderte Mitarbeiter
Auszubildende
Teilzeitkräfte
Vollzeitkräfte
Ø Betriebszugehörigkeit in Jahren
Ø Altersdurchschnitt in Jahren
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70
Ökonomische Aspekte der BGF
Tabelle 8 Altersstruktur
Altersstruktur
Teilzeit
Vollzeit
Bis 20 Jahre
21 – 30 Jahre
31 – 40 Jahre
41 – 50 Jahre
51 – 60 Jahre
≥ 61 Jahre
Altersstruktur gesamt
Tabelle 9 Fluktuation
Fluktuationsrate
Angabe in %
Natürliche Fluktuation
Kündigung durch Arbeitnehmer
Kündigung durch Arbeitgeber
Einvernehmliche Vertragsaufhebung
Vertragsablauf, Ablauf 65. Lebensjahr, Rente
Fluktuation unternehmensintern
Fluktuation insgesamt
-
Fehlzeitenanalyse (rückwirkend ab 2003)
Tabelle 10 Fehlzeitenquote
Fehlzeitenquote
2003
2004
2005
Krankheit gesamt
Fehlzeiten gesamt
Tabelle 11 Fehlzeitenverlauf
Fehlzeitenverlauf
Krankheit gesamt
Fehlzeiten gesamt
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember
Tabelle 12 Verteilung der Fehlzeitenepisoden
71
© iqpr Köln
Ökonomische Aspekte der BGF
Fehlzeiten
2003
2004
2005
Fehltage bis 42 Tage
Fehlzeiten über 42 Tage
Weitere Differenzierungen erfolgen hinsichtlich:
-
Fehlzeitenquote Innendienst/Außendienst
Fehlzeitenquote Teil-/Vollzeit
Fehlzeitenquote Frauen/Männer
Fehlzeitenquote befristete/unbefristete Verträge bzw. Auszubildende
c) GKV-Daten
Ergänzend zu den unternehmensinternen Daten wird ein Gesundheitsbericht seitens der
Betriebskrankenkasse erstellt. Es werden repräsentative Daten gewonnen werden können,
da ca. ein Drittel der Mitarbeiter am Hauptstandort versichert ist. Weiterhin werden die
Fehlzeiten nach der ICD-10 aufgeschlüsselt und im Hinblick auf die Fehlzeitenepisoden
stärker untergliedert werden können.
5.4.3 Fazit
Die Tabelle 13 stellt einen Abgleich von vorgeschlagenen und gewonnenen Kennzahlen und
Daten zur ökonomischen Evaluation der BGF des Unternehmens dar.
Tabelle 13 Übersicht vorgeschlagene und erhobene Kennzahlen/Daten
vorgeschlagene Kennzahl/Daten
erhoben
durch
a) Verbesserung der Leistungsfähigkeit
Fehlzeiten
√
Fehlzeitenanalyse
Altersstruktur
√
Sozialdaten
Krankheitsbilder (in Verbindung mit der
Altersstruktur)
√
Gesundheitsbericht
Krankheitsbedingte Fluktuation
(√)
Nur Fluktuation durch Sozialdaten
Verbesserung der Befindlichkeit durch
Maßnahmen
√
Befragungsergebnisse zur Resonanz
und Akzeptanz der Maßnahmen
Verbesserung medizinischer Parameter
durch Maßnahmen
√
Messdaten von Gesundheitstests
b) Verbesserung der Leistungsbereitschaft
Durchlauf pro Mitarbeiter im der Sachbearbeitung
-
Kunden pro Außendienstmitarbeiter
-
Abschlüsse pro Außendienstmitarbeiter
-
Zeit für die Ausführung einer bestimmten
Verrichtung
-
Anzahl der Verbesserungsvorschläge pro
-
© iqpr Köln
72
Ökonomische Aspekte der BGF
Mitarbeiter
Umsatz pro Mitarbeiter und Jahr
-
Umsatz pro Mitarbeiterstunde
-
Anteil der Personalkosten am Umsatz in %
-
Anteil der Personalkosten an der Wertschöpfung bzw. an anderen Erfolgsgrößen
-
Anteil der Personalkosten an der Bilanzsumme
-
Mitarbeiterzufriedenheit
√
BGF-unabhängige Mitarbeiterbefragung
Betriebsklima
√
BGF-unabhängige Mitarbeiterbefragung
Betriebszugehörigkeit
√
Sozialdaten
Durchschnittlicher Personalaufwand
-
Kapitaleinsatz je Arbeitnehmer
-
Angebotserfolg
-
Umsatzstruktur
-
Umsatzentwicklung
-
Die empfohlenen Kennzahlen und Daten zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit (Ziel
Gesundheit) werden vollständig erhoben. Anders sieht es bei der Verbesserung der Leistungsbereitschaft (Ziel Motivation) aus. Hier werden nur Informationen über die Mitarbeiterzufriedenheit, über das Betriebsklima und die Betriebszugehörigkeit durch die unabhängig
von der Gesundheitsinitiative durchgeführte Mitarbeiterbefragung und durch die Sozialdaten
gewonnen. Das muss allerdings nicht heißen, dass dem Unternehmen keine diesbezüglichen Daten vorliegen. Zusammengefasst kann jedoch von einer umfangreichen Datensammlung ausgegangen werden, auf deren Grundlage komplexere Analysen der ökonomischen
Evaluation durchgeführt werden können.
73
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Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
6 Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Dr. Holger Wellmann
6.1 Ausgangssituation
Die Bedeutung des Themas QS wird von mehreren Seiten hervorgehoben. Auf Seiten der
Wissenschaft wird bemängelt, dass Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen
Ländern bezüglich der Evidenz, QS und der Evaluation von Maßnahmen der Prävention und
Gesundheitsförderung noch nicht weit entwickelt ist. Stellvertretend kann angeführt werden,
dass es zwar im medizinischen Versorgungssystem seit der Gesundheitsreform von 2004
das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gibt. Ein
Pendant auf Bundesebene, das mit der Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung
beauftragt ist, existiert derzeit noch nicht. Die gesundheitspolitische Gesetzgebung schreibt
jedoch immer stärker eine qualitätsgesicherte Leistungserbringung vor. Die Ausführungen
zur Qualitätssicherung im – letztlich gescheiterten – Entwurf eines Präventionsgesetzes sind
nur ein Beleg hierfür. Die Krankenkassen haben diesen Auftrag in ihrem Leitfaden zur
Umsetzung von § 20 SGB IX 84 übernommen und präzisiert.
Dass QS nicht nur ein theoretisches Gedankengerüst ist, sondern tatsächlich Niederschlag
in der Praxis findet, belegen die Zahlen des Präventionsberichts der Krankenkassen 85.
Dieser Präventionsbericht liefert einen Überblick darüber, welche Leistungen in der Prävention und BGF von der GKV erbracht worden sind (z.B. Kurs- und Seminarangebote in den
Lebenswelten, Methoden zur Ermittlung des Handlungsbedarfs, Einbindung von fachlichsachlichen Ressourcen externer Kooperationspartner, Aussagen über Erfolgskontrollen).
Während im Berichtsjahr 2003 lediglich ein Drittel der Unternehmen bestätigen, dass sie
Erfolgskontrollen von Maßnahmen der BGF durchführen, hat sich der Prozentsatz für das
Berichtsjahr 2004 auf fast 60% erhöht. Weitere 20% der Unternehmen planen, eine Erfolgskontrolle durchzuführen.
Diese Zahlen scheinen auf den ersten Blick dem folgenden Zitat zu widersprechen, in dem
nicht der Mangel an Instrumenten, sondern vielmehr die Motivation und Bereitschaft zu
deren Einsatz kritisiert wird:
„Es besteht (...) kaum ein Mangel an geeigneten Konzepten, Begriffen und Instrumenten der
Qualitätssicherung. Der Engpass dürfte viel mehr in der Motivation und Bereitschaft der
Akteure liegen, diese Instrumente an die Bedingungen der jeweiligen Intervention anzupas-
84
Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen (2000). Gemeinsame und einheitliche Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung von § 20
Abs. 1 und 2 SGB V vom 21. Juni 2000 in der Fassung vom 10. Februar 2006.
85
Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen und Medizinischer Dienst der
Spitzenverbände der Krankenkassen e.V. (MDS) (2006): Dokumentation 2004 Leistungen der
Primärprävention und der Betrieblichen Gesundheitsförderung gemäß § 20 Abs. 1 und 2 SGB V.
© iqpr Köln
74
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
sen, sowie in den Ressourcen, die zur Durchführung einer angemessenen Qualitätssicherung erforderlich sind (...).“ 86
Bei genauerer Betrachtung des Präventionsberichtes der Krankenkassen wird ersichtlich,
dass die Erfolgskontrolle meistens nur einen kleinen Teil dessen einbezieht, was überprüft
werden könnte. Die Zufriedenheit mit der Intervention bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern
wird noch in ca. 64% bzw. 56% der Fälle erfragt. Die Überprüfung mehrerer Bereiche
gleichzeitig unterbleibt dagegen meistens. Am häufigsten, jedoch nur in 25%, wird die
Kombination „Verbesserung des Krankenstandes“, „Akzeptanz bei Zielgruppen, Inanspruchnahme“ und „Zufriedenheit der Beschäftigten mit der Intervention“ kontrolliert. Wenn Qualitätssicherung also umfassend – wie im folgenden Modell dargestellt – betrieben werden soll,
erscheint das obige Zitat wieder zutreffend.
6.2 Begriffsabgrenzung
Wegen der Vielfalt von Begrifflichkeiten erscheint es angemessen, sie in einem ersten Schritt
voneinander abzugrenzen.
Die Evaluation beschreibt die systematische Informationssammlung von Projekten, um sie zu
bewerten 87. Ziel der Evaluation ist es, die Effektivität (Wirksamkeit) und Effizienz (KostenNutzen-Verhältnis) von Programmen zu überprüfen. Der Königsweg der Evaluation ist der
der randomisierten, kontrollierten Studie. Diese stellt allerdings in dem Setting der BGF eher
die Ausnahme dar. Die Gründe liegen darin, dass die Zielgrößen der Gesundheitsförderung
schwierig zu messen sind, die Gesundheitsförderung die Gesundheitsdeterminanten – nicht
jedoch die Gesundheit selbst – beeinflusst und sie einen langfristigen komplexen Prozess in
Gang setzt 88.
Der Begriff der Qualität ist abhängig von der Perspektive. Drei Perspektiven sollten bei
Maßnahmen der BGF eingenommen werden: Erstens die Perspektive der wirtschaftlichen
Verantwortlichkeit. Der Anspruch, dass sich BGF im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse
nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für die Volkswirtschaft auszahlt, muss für jedes
einzelne Projekt belegt werden. Erst bei positiver Kosten-Nutzen-Relation kann unter dieser
Perspektive von Qualität ausgegangen werden. Diese Perspektive kommt dem Ziel der
Evaluation sehr nahe, Effektivität und Effizienz von Programmen zu belegen. Die zweite
Perspektive nimmt die Sicht der Kunden – also der Belegschaft – ein. Wenn die Maßnahmen
der BGF dort positiv wahr- und angenommen werden, kann hier von Qualität gesprochen
werden. Drittens gilt es, die BGF-Expertensicht zu integrieren. Durch ihre Auseinandersetzung mit dem Thema haben sie Wissen und Vorstellungen darüber entwickelt, wie die
86
Rosenbrock, R. (2004): Qualitätssicherung und Evidenzbasierung – Herausforderungen und
Chancen für die Gesundheitsförderung. In: Luber, E.; Geene, R. (Hrsg.): Qualitätssicherung und
Evidenzbasierung in der Gesundheitsförderung. Wer weiß, was gut ist. Wissenschaft, Wirtschaft,
Politik, BürgerInnen? S. 68.
87
Christiansen, G. (1999): Evaluation – ein Instrument zur Qualitätssicherung in der Gesundheitsförderung. Forschung und Praxis in der Gesundheitsförderung Bd. 8. Köln: BZgA.
88
Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) (2006): Prävention und Gesundheitsförderung. Bonn.
75
© iqpr Köln
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
allgemeinen Ansprüche einer qualitätsgesicherten BGF auf das einzelne Unternehmen zu
konkretisieren sind.
Die Qualitätssicherung erstreckt sich demnach nicht nur auf die Bewertung der Ergebnisse,
sondern schließt den gesamten Prozess der BGF ein, angefangen von der Implementierung,
über die Durchführung der Maßnahmen bis hin zur Auswertung. Entsprechend wird auch von
Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität gesprochen. Teilweise wird sogar von einer
Erweiterung dieser Qualitätsdimensionen um die Assessmentqualität ausgegangen (Vierte
Dimension, die folgende Fragen beantworten soll: Wird die Intervention überhaupt benötigt?
Wie ist die Intervention theoretisch verankert? Welche Erfahrungswerte gibt es aus anderen
Maßnahmen? Rahmenbedingungen politischer, kultureller und rechtlicher Art) 89.
Die Evidenz umfasst das gesammelte Erfahrungswissen aus bereits abgeschlossenen
Studien. Diese Evidenz wird bei der Strategieformulierung neuer BGF-Konzepte bzw.
einzelner BGF-Angebote verwendet. Als Beschreibung des „State oft the art“ gilt sie als
Messlatte, ob z.B. Einzelangebote oder Gesamtkonzepte der BGF von der Krankenkasse
finanziert werden. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wird in Deutschland erst
damit begonnen 90, die Evidenz der BGF systematisch zu erfassen.
6.3 iqpr-Konzeption zur Qualitätssicherung in der Betrieblichen
Gesundheitsförderung
Um die iqpr-Konzeption zur QS zu verstehen, muss das iqpr-Modell des betrieblichen
Gesundheitsmanagements (BMG) erläutert werden. Vorangestellt sei die Integration der
Prinzipien zur Verhinderung von Erwerbsminderung aus dem PRVE-Projekt 91. Durch diese
Prinzipien soll dort der Bogen gespannt werden zu der Teilhabe-Orientierung, wie sie durch
die ICF vorgegeben ist. Die Übertragbarkeit der Prinzipien auf die QS der BGF gelingt nicht
vollständig, da es sich um einen anderen Kontext handelt, der nicht auf ein einzelnes
Individuum, sondern auf ein System/eine Konzeption abstellt. Dennoch können einzelne
Prinzipien übertragen werden.
Frühzeitigkeit: Im PRVE-Bericht war hiermit die frühzeitige Identifikation von physischen
Risikofaktoren und psycho-sozialen Erschwernissen gemeint. In diesem Zusammenhang
kann Frühzeitigkeit so verstanden werden, dass, sobald das Thema BGF im Unternehmen
diskutiert wird, auch deren QS mitgedacht wird.
Nahtlosigkeit und Nachhaltigkeit: Insbesondere die Nachhaltigkeit ist bei der QS der BGF ein
ausschlaggebender Faktor. Erstens ist damit gemeint, dass QS kein einmaliges Geschehen,
sondern ein kontinuierlicher Prozess sein sollte. Zweitens wird Nachhaltigkeit dahingehend
89
Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) (2006): Prävention und Gesundheitsförderung. Bonn.
Als ein erster Schritt können die Präventionsberichte der Krankenkassen in Zusammenarbeit mit
den Spitzenverbänden des Medizinischen Dienstes angeführt werden.
91
iqpr (Hrsg.) (2004): Prävention und Rehabilitation zur Verhinderung von Erwerbsminderung. Köln.
90
© iqpr Köln
76
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
verstanden, dass die QS keinen Selbstzweck darstellt, sondern dass aufgrund der QS
Anpassungen und Optimierungen der BGF erfolgen.
Selbstbestimmung und Dialogorientierung: Gerade die Dialogorientierung muss auch bei der
QS der BGF genügend Raum finden. Ohne die Kommunikation zwischen den an der BGF
Beteiligten werden kein Konsens und keine gemeinsam getragene Vorgehensweise gefunden werden können.
Ressourcenorientierung: Das Prinzip der Ressourcenorientierung kann in diesem Kontext so
verstanden werden, dass die QS nicht als Kontroll- und Gängelsystem betrachtet wird.
Natürlich ist mit der Durchführung der QS immer auch das Aufzeigen von bisher nur suboptimal ablaufenden Strukturen, Prozessen und Ergebnissen verbunden. Im Zentrum aller
Bemühungen sollte jedoch immer die Frage stehen, welche Ressourcen genutzt oder
geschaffen werden können, um eine sukzessive Verbesserung der BGF zu erreichen.
Das iqpr-Modell des betrieblichen Gesundheitsmanagements soll veranschaulichen, wie das
Thema Gesundheit in einem Unternehmen zu verankern ist. Damit beinhaltet das Modell
eine Strukturkomponente. Gleichzeitig liegen dem Modell Vorstellungen über den zeitlichen
Ablauf zugrunde. In der Regel wird es ratsam sein, der Implementation/Umsetzung eine
Problemdefinition und Strategieformulierung voranzustellen. Diese Zeitkomponente ist
allerdings ebenso wenig wie die Strukturkomponente in der Art zu verallgemeinern, dass
BGM nur so erfolgreich gestaltet werden kann. Es kommt darauf an, dass durch einen Akteur
im Unternehmen das Thema Gesundheit auf die Agenda gesetzt wird und dass an einer
Stelle mit der Umsetzung des Modells begonnen wird. Im Einzelnen setzt sich das BGMHaus wie in Abbildung 7 dargestellt zusammen:
77
© iqpr Köln
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Betriebliches Gesundheitsmanagement
Betriebliche Gesundheitspolitik
Vision, Konzept, Leitbild
Planung und Steuerung
Analyse
Handlungsfeldbezogene Interventionen
Gesundheitsförderung
Eingliederung
Arbeits- und
Gesundheitsschutz
Evaluation & Qualitätssicherung
Abbildung 7 iqpr-Modell des betrieblichen Gesundheitsmanagements
Betriebliche Gesundheitspolitik: Abhängig von den im Unternehmen herrschenden Werten
und Einstellungen ist die betriebliche Gesundheitspolitik bereits ein Themenfeld, mit dem
sich das Unternehmen befasst. Wenn es dies tut, kommt es wesentlich darauf an, dass ein
Commitment über die Vision besteht, die das Unternehmen mit dem BGM verfolgt. Aufbauend auf dieser Vision können Konzepte und Leitbilder erstellt werden.
Planung und Steuerung: Planen und Steuern sind Managementtätigkeiten. Die Einbindung
der Begriffe in das Modell soll verdeutlichen, dass das Thema Gesundheit genauso wie alle
anderen unternehmensrelevanten Bereiche (z.B. Marketing, Vertrieb, Controlling) den
Managementtätigkeiten zuzuordnen ist. Das heißt auch, dass der BGM die notwendigen
Ressourcen in materieller und personeller Hinsicht zur Verfügung gestellt werden müssen.
Analyse: Die Analyse der Ist-Situation geht im Allgemeinen der Intervention voran. Klassische Analyseinstrumente sind Mitarbeiterbefragungen, Experteninterviews, Gesundheitszirkel und die Gefährdungsbeurteilung.
Handlungsfeldbezogene Interventionen: Während die bisherigen Ebenen des BGM-Hauses
noch nicht konkrete gesundheitsfördernde Maßnahmen beinhalteten, werden auf dieser
Ebene die drei Handlungsfelder angeführt, die Bestandteil eines umfassenden BGM sein
sollten. Neben den in der Literatur meistens zitierten Handlungsfeldern der BGF und des
Arbeits- und Gesundheitsschutzes zählt das iqpr-Modell ausdrücklich den Bereich des
betrieblichen Eingliederungsmanagements dazu. Die Überschneidungen weisen darauf hin,
© iqpr Köln
78
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
dass die Handlungsfelder keine streng voneinander abgegrenzten Bereiche darstellen,
sondern einzelne Maßnahmen durchaus mehreren Handlungsfeldern zugeteilt werden
können.
Evaluation und Qualitätssicherung: Die Elemente Evaluation und Qualitätssicherung bilden
nicht, wie die grafische Darstellung vermuten lässt, das Ende einer Kette, sondern vielmehr
die Basis des BGM-Hauses. Die von dort nach oben führenden Pfeile weisen darauf hin,
dass es sich beim BGM wie bei allen anderen Managementprozessen auch um einen
ständigen Lern- und Verbesserungsprozess handelt, der Auswirkungen auf alle Ebenen des
BGM-Hauses haben kann. So kann z.B. festgestellt werden, dass keine ausreichenden
Ressourcen zur Verfügung gestellt worden sind oder dass die Maßnahmen wegen einer
nicht ausreichenden Analyse der Ausgangssituation nicht die erhofften Ergebnisse nach sich
gezogen haben.
Die iqpr-Konzeption der QS der BGF orientiert sich an diesem Modell. Das bedeutet für die
Praxis, dass sich die QS zum einen auf einzelne Ebenen innerhalb des BGM-Hauses
beziehen kann. Es werden z.B. mit Hilfe von Checklisten etc. die Bereiche „betriebliche
Gesundheitspolitik“ sowie „Planung und Steuerung“ qualitätsgesichert – alle anderen Ebenen
bleiben unberücksichtigt. Zum anderen kann das gesamte BGM-Haus einer QS unterzogen
werden.
Die folgenden Abschnitte definieren die Ziele und Zielgruppen der QS und stellen Prämissen
des Konzeptes auf. Am Anfang stehen einige grundsätzliche Qualitätskriterien, die bei der
BGF Beachtung finden sollten.
6.4 Grundsätzliche Qualitätskriterien
Die hier dargestellten grundsätzlichen Qualitätskriterien wurden aus einer umfangreichen
Literaturrecherche abgeleitet. Sie flankieren die Konzeption und können als generelle
Hinweise angesehen werden, wie gut gemachte BGF gelingen kann.
-
-
-
-
79
Die BGF muss im Unternehmen positioniert werden. Da sie auf das Wohlbefinden der
Belegschaft abzielt und für bessere Arbeitsbedingungen sorgen soll, sollte sie Gegenstand der Personalwirtschaftslehre sein.
Den Aktivitäten der BGF sollte ein theoretisches Konzept (z.B. BelastungsBeanspruchungsmodell) zugrunde liegen.
BGF braucht Ziele bzw. eine Zielhierarchie. Bei der Zielsetzung sollte die SMART-Regel
(die Ziele sollen spezifisch, messbar, aktionsorientiert, realistisch und terminierbar sein)
Verwendung finden.
BGF darf kein Privileg nur für die dauerhaft anwesende Belegschaft im Unternehmen
sein. Zielgruppen der BGF sind auch Auszubildende, Leiharbeiter, Scheinselbständige
und andere Beschäftigte in prekären und ungeschützten Arbeitsverhältnissen.
Die Einteilung in Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität gilt auch für die BGF und kann
auf das BGM-Haus übertragen werden. Der Bereich „betriebliche Gesundheitspolitik“
© iqpr Köln
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
-
gehört zur Strukturqualität. Die Ebene „Planung und Steuerung“ beinhaltet sowohl Aspekte der Struktur- als auch der Prozessqualität. Die „Analyse“ und die „handlungsfeldbezogenen Interventionen“ sind Bestandteile der Prozessqualität. Die Ergebnisqualität wird
durch die „Evaluation und QS“ abgebildet.
Die Qualitätsbeurteilung sollte nicht nur unternehmensintern erfolgen, sondern durch
externe Fachkräfte ergänzt werden.
Die Dokumentation der QS sollte in einem Qualitätsmanagement-Handbuch vorgenommen werden.
6.5 Ziele der Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Das iqpr-Modell fokussiert folgende Ziele der QS der BGF:
1. Qualitätsziele definieren und priorisieren
Die Zieldefinition nimmt in der gesundheitspolitischen Debatte einen immer größeren
Stellenwert ein. Damit verbindet sich die Frage, welche Leistungen das Gesundheitssystem
vorhalten muss, um diese Ziele zu erreichen. Auch im Bereich der BGF besteht eine Reihe
von Zielvorstellungen, die zwar alle in eine ähnliche Richtung deuten, jedoch für das einzelne
Unternehmen konkretisiert werden müssen. 92 Gerade, wenn ein Unternehmen die BGF neu
bei sich einführt, werden voraussichtlich zunächst die inhaltlichen Schwerpunkte festgelegt
werden, ohne dass die Qualitätsansprüche bis ins Detail ausdifferenziert werden. Letztere
genau festzusetzen und zu priorisieren, ist ein Anliegen des QS-Konzeptes. Zwei Fragen
stehen dabei im Mittelpunkt:
-
Welches Qualitätsniveau soll erreicht werden?
Welcher Bereich des BGM-Hauses soll insbesondere einer QS unterzogen werden?
Bei ausreichenden Vergleichsmöglichkeiten besteht darüber hinaus die Chance eines
Benchmarking mit anderen Unternehmen hinsichtlich der Qualitätsziele.
2. Projekt- bzw. Managementplanung unterstützen
Wie unter Punkt 1 erwähnt, werden anfangs die Inhalte der BGF festgelegt und Ressourcen
in ihren Aufbau investiert werden müssen. Dies beinhaltet die Organisation innerhalb des
Unternehmens ebenso wie die Auswahl geeigneter externer Dienstleistungsanbieter. Das
bedeutet jedoch nicht, dass nicht auch von Beginn an die QS berücksichtigt werden kann.
Die Evidenz vorangegangener Projekte kann genutzt werden, um die Projekt- und Managementplanung zu unterstützen. Hilfreich kann dies z.B. bei der Zeitplanung, bei der Planung
der erforderlichen Ressourcen und bei der Integration aller Beteiligten sein.
3. Informations- und Kommunikationsprozess initiieren
92
Siehe z.B. den IGA-Report 8, der sich mit der Entwicklung von arbeitsbezogenen Präventionszielen
auseinandersetzt.
© iqpr Köln
80
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
BGF soll im besten Fall eine win-win-Situation für das Unternehmen, für die Belegschaft und
für die allgemeine Wohlfahrt initiieren. Bis zu diesem Punkt sind eine Reihe von Vorarbeiten
zu leisten, die oftmals weniger mit der eigentlichen Organisation als vielmehr mit der
Kommunikation innerhalb des Unternehmens zu tun haben. Es gilt, alle Ansprechpartner
zum Thema Gesundheit (Betriebsärzte, Fachleute für Arbeitssicherheit, Personalabteilung,
Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat, externe Experten wie z.B. Krankenkassen etc.)
nicht nur zu informieren, sondern mit ihnen in Austausch zu treten. Die Vorstellungen der
verschiedenen Gruppen müssen gesammelt, diskutiert und in eine Zielvorstellung gegossen
werden. QS wird nicht nur ein Bestandteil der Diskussion sein, sondern gleichzeitig immer
wieder als Aufhänger genutzt werden können, um über BGF im Unternehmen zu reden.
Insofern soll das QS-Konzept auch eine Anschubfunktion für die Information und Kommunikation bewirken.
4. Ressourcen und Verbesserungspotenziale identifizieren
Hierbei handelt es sich im Grunde genommen um die ureigenste Aufgabe der QS. Sie dient
in allererster Linie der Identifizierung von noch nicht optimal gestalteten Strukturen und
Prozessen. Zwischen der Definition eines Optimums und der tatsächlich vorgefundenen
Qualität wird in der Regel eine Lücke bestehen. Das Aufzeigen dieser Lücken bewirkt z.B.
wiederum eine intensivere Kommunikation zwischen den Beteiligten.
Bevor die ersten Maßnahmen die Belegschaft erreichen, vergeht mitunter ein längerer
Zeitraum. Ebenso wird ausreichend Zeit einzukalkulieren sein, um die Auswirkungen der
BGF beurteilen zu können. Diese Zeitverschiebungen müssen eingeplant werden, um
Ressourcen und Verbesserungspotenziale angemessen identifizieren zu können.
5. Kontinuierliche Qualitätsentwicklung garantieren
Wie bereits das BGM-Haus verdeutlicht, ist BGF nicht als eine einmalige, zeitlich befristete
Aktion zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um einen Kreislauf. Das bedeutet, dass
Ereignisse und Vorkommnisse auf jeder Ebene des BGM-Hauses Auswirkungen auf andere
Ebenen ausüben können. Dieses Bedingungsgefüge gilt es unter dem Blickwinkel einer
kontinuierlichen Qualitätsentwicklung zu betrachten. Diese kann zum einen aus innerbetrieblichen Veränderungen, zum anderen durch das Einfließen neuen Wissens resultieren.
Beispielsweise können sich Richtlinien ändern, die als Qualitätskriterium für einzelne
Handlungsfelder der BGF verwendet werden.
6.6 Zielgruppen der Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Im vorangegangenen Abschnitt sind bereits wichtige Akteure der BGF angeführt worden. Sie
spielen auch eine entscheidende Rolle, wenn es um die QS der BGF geht. Inwiefern sie mit
der QS zu tun haben bzw. von ihr profitieren, wird im Folgenden aufgezeigt.
1. Arbeitnehmer
81
© iqpr Köln
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
a. als Begünstigte
Die Arbeitnehmer bzw. die Belegschaft ist die Hauptzielgruppe für die Maßnahmen der
BGF. Diese kann weiter aufgeteilt werden, z.B. können spezielle Angebote für Frauen
oder Männer, für die älteren Arbeitnehmer, für die Führungskräfte etc. gemacht werden.
Erst wenn die Maßnahmen der BGF bei der Belegschaft „ankommen“, kann davon gesprochen werden, dass mit der Umsetzung begonnen wurde. Es liegt auf der Hand, dass
die Mitarbeiter besonders dann profitieren, wenn die Qualität der Maßnahmen ausreichend gesichert ist.
b. als Akteure
Die Belegschaft ist nicht nur Empfänger von Angeboten der BGF. Gleichzeitig sind die
Mitarbeiter ihre wichtigsten Gestalter. Erst wenn sie in den Planungsprozess eingebunden werden, wird es gelingen, ihren Belangen Nachdruck zu verleihen. Neben der Erfassung von objektiven Belastungen wird dadurch die individuelle Beanspruchungskomponente integriert.
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82
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
2. Arbeitgeber
a. als Auftraggeber
BGF braucht die Unterstützung des Arbeitgebers. In vielen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wird der Arbeitgeber sich sogar selbst um die BGF kümmern (müssen)
und sie zur „Chefsache“ erklären. In Großunternehmen wird in der Regel ein Steuerungsgremium einberufen und vom Arbeitgeber beauftragt. Egal welche Variante – letztlich ist der Arbeitgeber für die qualitätsgesicherte Durchführung der BGF verantwortlich.
Er muss demnach eine Vorstellung darüber besitzen, welche Qualität erreicht werden
soll, wie dies gelingen kann und wo qualitativ hochwertige Angebote eingekauft werden
können.
b. für die Akquise von Projektgeldern
Komplexe und langfristige Projekte der BGF werden zum Großteil von den Unternehmen
selbst zu finanzieren sein. Genügt die BGF jedoch den von anderen Institutionen aufgestellten Qualitätsanforderungen, kann den Unternehmen eine finanzielle Unterstützung
zukommen. In erster Linie ist an die Finanzierungsmöglichkeiten der Krankenkassen zu
erinnern und an Fördertöpfe im Rahmen von Ausschreibungen und Kampagnen. Nach
dem im letzten Jahr gescheiterten Entwurf eines Präventionsgesetzes war der Nachweis
der Qualität sowohl im Bereich der Verhaltens- als auch der Verhältnisprävention die
Grundlage einer finanziellen Förderung. Es ist zu erwarten, dass solche Qualitätsanforderungen auch zukünftig eine große Rolle für die Bewilligung von Geldern haben werden.
3. Präventionsdienstleister
a. als Auftragnehmer
Maßnahmen der BGF werden nur im geringen Umfang durch das Unternehmen selbst
bereitgestellt werden können. Der Großteil der BGF-Maßnahmen wird extern bei Anbietern von Präventionsdienstleistungen eingekauft werden müssen – entweder direkt durch
das Unternehmen oder durch die Krankenkassen. Die Angebote werden durch den jeweiligen Einkäufer auf seine Qualität überprüft werden. Um überhaupt als Anbieter akzeptiert
zu werden, aber auch als Grundlage für den langfristigen Unternehmenserfolg, werden
sich die Präventionsdienstleister an den Standards der Qualitätsanforderungen auszurichten haben.
4. Geldgeber
a. als Controller über die zielgerechte Mittelverwendung
Geldgeber (insbesondere Krankenkassen und Ministerien, die Projekt- und Forschungsgelder zur Verfügung stellen) werden zunehmend überprüfen müssen, ob die bereitgestellten finanziellen Mittel eine zweckentsprechende effektive und effiziente Verwendung
finden. Die Krankenkassen müssen als Verwalter der Versichertenbeiträge darauf ach-
83
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Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
ten, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V eingehalten wird. Folglich werden
ihre Anforderungen an die Qualität und deren Kontrolle immer mehr ausgeweitet 93.
5. Gesundheitspolitiker
a. zur politischen Legitimation und Weiterentwicklung der BGF
BGF und Prävention sind derzeit feste Bestandteile des Gesundheitssystems, denen
nach Aussage aller im Gesundheitswesen noch mehr Bedeutung und Ressourcen zukommen sollten. Trotz dieser Einhelligkeit muss die Prävention sich in Zeiten knapper
finanzieller Mittel gegen andere Entwicklungen und Begehrlichkeiten innerhalb des Gesundheitssystems und auch sonst im politischen System behaupten. Negative Presse,
die schon einmal zum Aus zumindest der gesetzlich geförderten Prävention geführt hat
(„Bauchtanz finanziert durch Krankenkassen“), gilt es zu vermeiden. Daher brauchen die
auf der Politikebene Verantwortlichen „Erfolgsstorys der BGF“, die auf einem qualitätsgesicherten Fundament beruhen.
Zusammengefasst kann die Interessenlage der einzelnen Akteure an der QS der BGF wie in
Abbildung 8 dargestellt in eine Makro-, eine Meso- und eine Mikrodimension unterteilt
werden.
Makro-Dimension QS der BGF
Gesundheitspolitik
- gesundheitspolitische Legitimation
Meso-Dimension QS der BGF
Präventionsdienstleister und Geldgeber
-
als Auftragnehmer
als Controller
Mikro-Dimension QS der BGF
Arbeitnehmer und Arbeitgeber
-
als Begünstigte und Akteure
als Auftraggeber und zur Akquise
Abbildung 8 Interessenlagen an QS der BGF
93
Siehe Leitfaden zu § 20 Abs. 1 und 2 SGB V der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der
Krankenkassen und deren neu entwickelten Instrumente zur Qualitätssicherung.
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84
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
6.7 Prämissen
Das iqpr-Konzept der QS unterliegt fünf Prämissen, die nachfolgend kurz beschrieben
werden.
1. Nutzung vorhandener QS-Leitfäden und Instrumente
Wie in der Ausgangssituation beschrieben, existiert eher kein Mangel an Instrumenten und
Methoden der QS, sondern es fehlt an der Bereitschaft, diese einzusetzen. Deswegen baut
das QS-Konzept in weiten Teilen auf vorhandenen QS-Leitfäden und Instrumenten auf.
Entweder werden sie den einzelnen Ebenen zugeordnet oder sie werden leicht abgewandelt
für den iqpr-Leitfaden zur QS verwendet.
2. Modul- und Ebenencharakter
Der Modul- und Ebenencharakter des QS-Konzeptes erklärt sich aus der Konstruktion des
BGM-Hauses. Für jede einzelne Ebene können QS-Instrumente gesammelt werden. Dem
Anwender bleibt es überlassen, wie viele und welche Ebenen der QS unterzogen werden
sollen.
3. Kontinuierliche Systemerweiterung und -aktualisierung
Die Nutzung vorhandener QS-Leitfäden und Instrumente macht eine ständige Aktualisierung
und Weiterentwicklung erforderlich. Es handelt sich daher um eine offene Konzeption, die
nicht als abgeschlossen gelten kann.
4. Überschaubarer Ressourcenaufwand
Mit diesem Punkt wird der Wirtschaftlichkeitsaspekt der QS angesprochen. Ebenso, wie es
die Wirtschaftlichkeit der Wirtschaftlichkeitsberechnung gibt, gilt Gleiches für die QS. Ein
überschaubarer Ressourcenaufwand fördert tendenziell die Akzeptanz. Andererseits wird
nicht ohne Grund dafür geworben, ausreichend finanzielle Mittel für die QS einzuplanen.
5. Einfache Anwendung durch eingearbeitetes Personal / im Dialog
QS benötigt fachspezifisches Know-how. Es soll aber gleichzeitig nicht zu einem Expertensystem werden, zu dem nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand Zugang gefunden
werden kann. Das QS-Konzept erhebt daher den Anspruch, dass nach Einweisung die QS
im Wesentlichen von eingearbeitetem Personal des Unternehmens durchgeführt werden
kann. Dies soll einerseits im Dialog mit außerbetrieblichen Ansprechpartnern/Experten
geschehen. Die Dialogorientierung zielt aber auch noch, wie schon angesprochen, darauf
ab, das Thema QS im Unternehmen mit allen relevanten Beteiligten zu erörtern.
85
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Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
6.8 Qualitätssicherung der Ebenen des BGM-Hauses
Im Folgenden werden den Ebenen des BGM-Hauses verschiedene, bereits existierende
Qualitätssicherungsinstrumente zugeordnet. Dies kann nicht immer exakt vorgenommen
werden, da die Instrumente ihrer eigenen Logik und Systematik folgen. Die BGM-Ebenen
„Betriebliche Gesundheitspolitik“ und „Planung und Steuerung“ wurden zusammengefasst,
da die diesbezüglichen Instrumente sich meistens auf beide Bereiche beziehen. Die weiteren
Ebenen sind „Analyse“ und „Handlungsfeldbezogene Interventionen“.
6.8.1 Betriebliche Gesundheitspolitik und Planung und Steuerung
Die drei ersten vorgestellten Papiere (Ottawa- bzw. Bangkok Charta, Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung) sind keine Instrumente im Sinne von Checklisten, sondern besitzen Leitliniencharakter. Sie sind im BGM-Haus noch am ehesten der
Ebene „Betriebliche Gesundheitspolitik“ zuzuordnen. Die Qualitätskriterien des Europäischen
Netzwerks für Betriebliche Gesundheitsförderung (ENBGF), die Datenbanken von quintessenz und die Interviews von GeFüGe betreffen beide Ebenen.
Ottawa-Charta: Bereits im Jahr 1986 ist diese Charta mit dem Ziel „Gesundheit für alle bis
zum Jahr 2000“ verabschiedet worden. Gesundheitsförderung soll danach den Prozess
unterstützen, der zu mehr Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit führt. Gesundheit
wird als wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens angesehen. Gesundheit als ein
positives Konzept betont die individuellen und sozialen Ressourcen für die Gesundheit
inklusive der körperlichen Fähigkeiten.
Auch wenn die Ottawa-Charta nicht speziell für den BGF-Sektor geschrieben wurde, ist es
doch möglich, dass sich ein Unternehmen in seiner Gesundheitsleitlinie auf dieses Papier
beruft und als anzustrebende Zielvorstellung proklamiert. Die dort an die allgemeine Politik
gestellten Forderungen (z.B. Gesundheit als sektorübergreifende Aufgabe) müssten auf das
einzelne Unternehmen heruntergebrochen werden.
Bangkok-Charta: Im Jahr 2005 ist die Ottawa-Charta in Form der Bangkok-Charta aktualisiert worden. Die Anpassung war u.a. wegen der raschen und häufig ungünstigen sozialen,
ökonomischen und demografischen Veränderungen, welche die Arbeitsbedingungen, das
Lernumfeld, Familienstrukturen und den kulturellen und sozialen Aufbau von Gemeinschaften beeinträchtigen, notwendig geworden. Auch diese Charta hat insofern Relevanz für
Unternehmen, als die Gesundheitsförderung hier in den Verantwortungsbereich der Unternehmensführung gestellt wird. Damit werden die Unternehmen einer von insgesamt vier
Schlüsselbereichen der Gesundheitsförderung.
Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (1997): Neben einer
Definition der BGF (moderne Unternehmensstrategie, die darauf abzielt, Krankheiten am
Arbeitsplatz vorzubeugen, Gesundheitspotenziale zu stärken und das Wohlbefinden zu
erhöhen), werden in der Deklaration erstens Faktoren, welche durch BGF beeinflusst werden
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86
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
sollen (Unternehmensgrundsätze und -leitlinien, Unternehmenskultur, Arbeitsorganisation,
Personalpolitik, integrierter Arbeits- und Gesundheitsschutz) aufgeführt. Zweitens werden
Leitlinien genannt, nach denen sich BGF richten sollte (Partizipation, Integration, Projektmanagement, Ganzheitlichkeit). Weiterhin wird dazu aufgefordert, Leitlinien für eine effektive
BGF zu entwickeln.
Qualitätskriterien des ENBGF: Die Qualitätskriterien des ENBGF aus dem Jahr 1999 sind ein
Ergebnis der oben genannten Aufforderung, Leitlinien für eine effektive BGF zu entwickeln.
Erarbeitet wurde u.a. ein Fragebogen zur Selbsteinschätzung über den aktuellen Stand der
BGF-Aktivitäten innerhalb eines Unternehmens. Der Fragebogen orientiert sich an dem
Modell der European Foundation for Quality Management und teilt sich in sechs Bereiche mit
insgesamt 27 Fragen auf. Mit Hilfe des Fragebogens soll eine systematische Selbstbewertung der BGF-Aktivitäten erreicht werden. Er zeigt Stärken auf, gibt aber auch Hinweise für
Verbesserungsmöglichkeiten. Weiterhin dient er der zukünftigen Schwerpunktsetzung und
ermöglicht einen Leistungsvergleich mit anderen Unternehmen. Die Bereiche teilen sich wie
folgt auf (mit Beispielfragen):
-
Unternehmenspolitik: z.B. schriftliche Unternehmensleitlinie zur BGF; Betrieb stellt
Ressourcen für die BGF zur Verfügung
Personalentwicklung und Arbeitsorganisation: z.B. Beteiligung der Mitarbeiter an Planung
und Entscheidung; Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Planung der BGF: z.B. Konzept als Voraussetzung; Maßnahmen erstrecken sich auf die
gesamte Organisation
Soziale Verantwortung: z.B. Vorkehrungen, mit denen schädliche Auswirkungen auf
Mensch und Umwelt weitestgehend ausgeschlossen werden
Umsetzung der BGF: z.B. verantwortliche Steuerungsgruppe; systematische Auswertung
aller erforderlichen Informationen
Ergebnisse der BGF: Auswirkungen im Hinblick auf z.B. Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit; auf Gesundheitsindikatoren und wirtschaftlich relevante Faktoren
Quintessenz: Die Initiative quint-essenz aus der Schweiz richtet sich an Personen, die sich
mit der Planung und Durchführung von Projekten der Prävention und Gesundheitsförderung
beschäftigen. Die zusammengestellten Qualitätskriterien sind das Ergebnis einer mehrjährigen Auseinandersetzung mit Qualitätsfragen im Rahmen von Projektbegleitungen. Sie
gliedern sich in verschiedene Bereiche:
-
87
Konzepte der Gesundheitsförderung
Projektbegründung
Projektplanung
Projektorganisation
Projektsteuerung
Wirkungen
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Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
Neben der Bewertung der einzelnen Kriterien ist vor allem hilfreich, dass sie im Hinblick auf
ihre zeitliche Relevanz überprüft werden. So kann angegeben werden, ob sich die Kriterien
in der Grob- oder der Feinplanung, in der Durchführung oder im Abschluss befinden.
GeFüGe: Bei GeFüGe handelt es sich um ein Modellprojekt, mit dem die Beschäftigungsfähigkeit – schwerpunktmäßig in KMU – durch eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung
verbessert werden soll. Grundannahme ist, dass die BGF eine Aufgabe der Führungskräfte
ist. Für sie wurde ein Interview zu betrieblichem Gesundheitsmanagement/-förderung/-schutz
entwickelt. Der Fragebogen beinhaltet hauptsächlich zwei Themenkomplexe, in denen es um
die derzeitige Ist-Situation und um die angestrebte Soll-Situation geht. Ein dritter Komplex
beschäftigt sich mit dem Nutzen und den Anforderungen an das Gesundheitsprojekt. Neben
geschlossenen Fragen gibt es eine Reihe von offenen Fragen, die eine Vergleichbarkeit mit
anderen Projekten auf den ersten Blick erschweren.
6.8.2 Analyse
Zu den gängigen Analyseinstrumenten können u.a. gezählt werden:
Mitarbeiter- und Expertenbefragungen, Gefährdungsbeurteilung, Gesundheitsberichte,
Gesundheitszirkel und Fehlzeitenanalysen. Für jedes Instrument liegen in der BGF langjährige Erfahrungen in der Praxis vor, weswegen auf die Darstellung entsprechender Qualitätsmerkmale der Durchführung der einzelnen Instrumente an dieser Stelle verzichtet wird.
Stattdessen wird mit dem WELLNESS CHECKPOINT ein Instrument vorgestellt, das
insbesondere dem Anspruch auf Einbindung der Belegschaft gerecht wird.
WELLNESS CHECKPOINT: Beim WELLNESS CHECKPOINT handelt es sich um ein aus
Kanada stammendes Internet-basiertes Präventionsinstrument. Es soll dem Arbeitgeber
einen Überblick über den Gesundheitszustand seiner Mitarbeiter geben. Gleichzeitig werden
diese durch das Instrument aufgefordert, mehr Eigenverantwortung für ihre Gesundheit zu
übernehmen. Es werden Daten zu Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen in beruflicher
und privater Umgebung erhoben, nämlich:
-
Persönliche Angaben
Ernährungsverhalten
Konsum von Genussmitteln
Freizeitaktivitäten
Verhalten am Arbeitsplatz
Familiäre Vorbelastungen
Vorerkrankungen
Medikation
Umweltbedingungen
Gesundheitsindikatoren
WELLNESS CHECKPOINT kann als ein Instrument der Qualitätssicherung betrachtet
werden, da das Unternehmen aufgrund der Datenauswertung Trends und Entwicklungen
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88
Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
erkennen kann, die auf eine mögliche Gesundheitsbelastung im Unternehmen hindeuten.
Darauf aufbauend können Maßnahmen zur Optimierung der gesundheitlichen Situation
eingeleitet werden.
6.8.3 Handlungsfeldbezogene Interventionen
Die QS der handlungsfeldbezogenen Interventionen (insgesamt zählen hierzu die BGF, der
Arbeits- und Gesundheitsschutz und die Eingliederung) kann für den Bereich der BGF auf
zwei Ebenen vorgenommen werden.
1. Ebene:
Auf der ersten Ebene soll QS dahingehend stattfinden, dass die Maßnahmen den Anforderungen 94 des GKV-Leitfadens zur Umsetzung von § 20 SGB V entsprechen. Dieser definiert
Präventionsprinzipien, u.a. für die BGF:
1. Arbeitsbedingte körperliche Belastungen:
-
Vorbeugung und Reduzierung arbeitsbedingter Belastungen des Bewegungsapparates
2. Betriebsverpflegung:
-
Gesundheitsgerechte betriebliche Gemeinschaftsverpflegung
3. Psychosoziale Belastungen (Stress):
-
Förderung individueller Kompetenzen zur Stressbewältigung am Arbeitsplatz
Gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung
4. Suchtmittelkonsum:
-
Rauchfrei im Betrieb
„Punktnüchternheit" (Null Promille am Arbeitsplatz) bei der Arbeit
Diesen Präventionsprinzipien werden Kriterien zugeteilt (Bedarf, Wirksamkeit, Zielgruppe,
Ziel, Inhalt, Methodik und Anbieterqualifikation). Sie dienen der QS der Maßnahmen. So wird
beispielsweise für das Präventionsprinzip „Arbeitsbedingte körperliche Belastungen“ von
folgendem Bedarf ausgegangen: „Rund 30 % aller Arbeitsunfähigkeitstage treten infolge von
Muskel- und Skeletterkrankungen auf, der Schwerpunkt liegt bei den Dorsopathien (ICD M
53.9). Betroffen sind vor allem die Wirtschaftszweige Feinmechanik, Glas-, Stahl-, Gummierzeugung, Baugewerbe, kommunale Entsorgungsbetriebe, Personennahverkehr, Post und
Bahn.“ 95
94
Insgesamt beschreibt der GKV-Leitfaden Anforderungen an die Anbieter von Gesundheitsförderung,
an die Krankenkassen und an die Betriebe.
95
Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen und Medizinischer Dienst der
Spitzenverbände der Krankenkassen e.V. (MDS) (2006): Dokumentation 2004 Leistungen der
Primärprävention und der Betrieblichen Gesundheitsförderung gemäß § 20 Abs. 1 und 2 SGB V, S.
51.
89
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Qualitätssicherung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung
2. Ebene:
Obwohl mit dem GKV-Leitfaden schon eine detaillierte Vorgabe existiert, welche Qualitätsanforderungen den Maßnahmen zugrunde liegen, kann eine weitere Verfeinerung der Ansprüche vorgenommen werden. Mit diesem Schritt wird sozusagen die Lupe auf eine ganz
bestimmte Maßnahme gehalten und überprüft, ob sie nach neuesten Erkenntnissen aus
Wissenschaft und Praxis durchgeführt wird bzw. worden ist.
Beispielsweise könnten sich Interventionen im Handlungsfeld „Betriebsverpflegung“ nach der
Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ der Deutschen Adipositas-Gesellschaft
richten, sofern ein Bedarf in diesem Bereich ermittelt wurde.
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90
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
7 Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability
Management
Christian Hetzel, Thorsten Flach, Matthias Mozdzanowski
7.1 Ausgangslage
Unternehmen stehen vor der Herausforderung, die Leistungsfähigkeit von Beschäftigten mit
chronischen Erkrankungen oder Behinderungen dauerhaft zu sichern. Die wichtigsten
Gründe liegen im demografischen Wandel und in der wirtschaftlichen Entwicklung: alternde
Belegschaften, Mangel an qualifizierten Nachwuchskräften, Verlängerung der Lebensarbeitszeit, der Wegfall der Altersteilzeit und nicht zuletzt die gesetzliche Forderung nach
einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) für länger oder wiederholt kranke
Beschäftigte gem. § 84 Abs. 2 SGB IX. Dabei gilt diese Norm keineswegs nur für privatwirtschaftliche, sondern auch für öffentliche Organisationen einschließlich ihrer beamteten
Bediensteten – insofern ist „Unternehmen“ nachfolgend in einem erweiterten Sinne zu
verstehen 96.
Eine erfolgreiche Umsetzung im Unternehmen muss sich messen lassen an
•
Begrenzung krankheitsbedingter Fehlzeiten und Leistungseinschränkungen,
•
Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit insbesondere älterer, chronisch kranker und behinderter Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Selbstbestimmung
•
Akzeptanz bei den Beschäftigten und
•
Berücksichtigung von Standards und gesetzlichen Vorgaben.
Einige Großunternehmen widmen sich den Herausforderungen erfolgreich 97. Dagegen
besteht ein Umsetzungsdefizit in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) 98, obwohl
gerade sie der Motor wirtschaftlicher Entwicklung sind und fast 60 % der Beschäftigten dort
arbeiten 99.
Auf der Grundlage eines internationalen Forschungsprogramms zur Wiedereingliederung
Behinderter an den Arbeitsplatz 100 hat das Internationale Arbeitsamt im Jahre 2001 Richtlinien zum Umgang mit Behinderungen am Arbeitsplatz formuliert 101. In Kanada hat das
National Institute of Disability Management and Research (NIDMAR) das sog. Disability
96
Gagel, M. Schian „§ 84 Abs. 2 SGB IX gilt auch für Beamte“ in Diskussionsforum B, Beitrag 3/2007
auf www.iqpr.de.
97
Kaiser H. FILM - Förderung der Integration leistungsgewandelter Mitarbeiter. Bewegungstherapie
und Gesundheitssport DVGS (Hrsg.) 2004; 2: 56-59. Magin J, Schnetter B. Die Einführung des
betrieblichen Eingliederungsmanagements – erste Erfahrungen aus der Praxis. Pilotprojekt in einem
bayerischen Unternehmen. Behindertenrecht 2005; 2: 52-59.
98
Es gilt die KMU-Definition der Europäischen Union:
- Mittlere Unternehmen: Mitarbeiter bis 249 und Umsatz bis 50 Mio. € oder Bilanzsumme bis 43 Mio.
€.
- Kleine Unternehmen: bis 49 Beschäftigte, Umsatz bis 10 Mio. € oder Bilanzsumme bis 10 Mio. €
- Kleinstunternehmen: bis 9 Mitarbeiter, Umsatz oder Bilanzsumme bis 2 Mio. €.
99
KMU sind 99,5 % aller Unternehmen in Deutschland, 55,5 % aller Beschäftigten arbeiten in KMU.
Quelle: Statistisches Bundesamt; Sonderauswertung des Unternehmensregister-Systems 95 im
Auftrag des IfM Bonn, Wiesbaden 2006, Berechnungen des IfM Bonn.
100
Albrecht M. Weiterbeschäftigung und Wiedereingliederung von Arbeitnehmern mit Behinderungen:
Internationale Entwicklungen im Spiegel einer ILO-Vergleichsstudie. Impulse 1999; 13.
101
Internationales Arbeitsamt (IAA). Umgang mit Behinderung am Arbeitsplatz. 1. Aufl. Genf 2004.
91
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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
Management forciert und praktisch weiterentwickelt 102. Die wesentlichen Bausteine dieser
Weiterentwicklung sind
•
Auditierung und Zertifizierung von Unternehmen nach einem standardisierten Verfahren (CBDMA™)
•
Ausbildung und Prüfung zum Disability Manager (CDMP™)
•
internationale Qualitätssicherung und Standardisierung durch das so genannte
IDMSC™
In Deutschland trafen diese Entwicklungen auf das seit Mitte 2001 geltende Recht zur
Sicherung der Eingliederung von Beschäftigten. Sie befinden sich inzwischen in der Umsetzung 103, zum Stand der Aus- und Weiterbildung inkl. Prüfung siehe www.disabilitymanager.de und der Auditierung bzw. Zertifizierung siehe www.disability-management.de.
Gem. § 84 Abs. 2 SGB IX sind alle Arbeitgeber in Deutschland zu einem „betrieblichen
Eingliederungsmanagement“ verpflichtet, wenn Beschäftigte – und zwar alle, nicht nur
schwerbehinderte Beschäftigte – länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt
arbeitsunfähig sind. Als Ziele werden benannt: die Arbeitsunfähigkeit überwinden, erneuter
Arbeitsunfähigkeit vorbeugen und den Arbeitsplatz erhalten. Zwingende Voraussetzung für
alle Handlungen ist die Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person. Der Arbeitgeber
oder sein Beauftragter muss dann Kontakt mit der Interessenvertretung, mit der Servicestelle
bzw. dem Integrationsamt und gegebenenfalls mit dem Betriebsarzt aufnehmen. Dabei ist
ein transparenter Umgang mit Daten und Dokumentation nötig. Ohne Durchführung eines
solchen Eingliederungsmanagements wird künftig eine krankheitsbedingte Kündigung
regelmäßig unwirksam sein, ferner werden Schadensersatzforderungen diskutiert (zu
juristischen Fragestellungen siehe auch www.iqpr.de > Diskussionsforum).
Der Begriff BEM entspricht der Nomenklatur des deutschen Sozialgesetzbuchs, der Begriff
DM ist eine spezifische Ausgestaltung des BEM, sozusagen ein (z.B. in Kanada eingetragener) Markenname. Hinter beiden Begriffen steht das gleiche Ziel: die Entwicklung betrieblicher Strukturen und Prozesse, die - unter Einbindung der Beteiligten in der Sozialen
Sicherung - die dauerhafte Eingliederung (und damit die Nichtausgliederung) von gesundheitlich eingeschränkten und behinderten Beschäftigten zum Ziel haben und den Beschäftigten, dem Unternehmen und der Gesellschaft gleichermaßen zugute kommen. Die wesentlichen betrieblichen Strukturen und Prozesse betreffen die Festlegung einer Planungs- und
Steuerungsinstanz, den Aufbau von Kommunikations- und Informationsstrukturen, mehrstufige Analysen zur Problemerkennung, fallbezogene und einzelfallübergreifende Maßnahmen
sowie Evaluation. Insgesamt muss eine Unternehmenskultur geschaffen werden, in der
Beschäftigte auch trotz gesundheitlicher Einschränkungen ihren Beitrag zu Produktivität und
Wirtschaftlichkeit leisten können.
102
National Institute of Disability Management and Research (NIDMAR). Disability Management in the
workplace. A guide to establishing a joint workplace program. 2nd edition, Port Alberni 2003.
103
Mehrhoff F. Ein Konzept zur beruflichen Reintegration von behinderten Menschen. In: Mehrhoff F
(Hrsg). Disability Management. Ein Kursbuch für Unternehmer, Behinderte, Versicherer und Leistungserbringer. Strategien zur Integration von behinderten Menschen in das Arbeitsleben. Stuttgart:
Gentner Verlag, 2004: 9-19. Braun H, Kuwatsch S. Ansatzpunkte für Disability Management im
deutschen System der Hilfen Behinderter. Zentrum für Arbeit und Soziales an der Universität Trier
2000. Kaiser H, Flach T, Greve J, Hetzel C et al. Betriebliches Gesundheitsmanagement. Impulse
2004; 30: 34-41.
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92
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
Die empirische Datenlage ist hinsichtlich Krankenrückkehrgespräche ergiebig 104, während
zur stufenweisen Wiedereingliederung nur wenige Daten vorliegen 105. Erfolgsfaktoren für den
Umgang mit leistungsgewandelten und schwerbehinderten Beschäftigten wurden identifiziert,
beruhen aber hauptsächlich auf Erfahrungen in Großbetrieben 106 oder fokussieren die
Perspektive der Sozialleistungsträger 107. Die Forschung zur kleinbetrieblichen Arbeitswelt ist
auf die Arbeitsbedingungen 108 und auf Aktivitäten zur betrieblichen Gesundheitsförderung
und den Arbeitsschutz beschränkt 109.
Nachfolgend werden zunächst Qualitätskriterien für ein „gutes“ BEM vorgestellt und in
Abhängigkeit der Komplexität des Unternehmens differenziert. Anschließend wird speziell
auf die Situation von KMU eingegangen und entsprechende Arbeitshilfen werden aufgezeigt.
Zuletzt wird das BEM-Audit als eine Möglichkeit der Qualitätssicherung vorgestellt.
104
Pfaff H, Krause H, Kaiser C. Gesund geredet? Praxis, Probleme und Potenziale von Krankenrückkehrgesprächen. Berlin: Edition sigma, 2003.
105
Bürger W. Stufenweise Wiedereingliederung nach orthopädischer Rehabilitation – Teilnehmer,
Durchführung, Wirksamkeit und Optimierungsbedarf. Rehabilitation 2004; 43: 152-161. Oertel M,
Faßmann H. Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. Untersuchung zur Effektivität der stufenweisen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess nach langer
schwerer Krankheit. Forschungsbericht Sozialforschung. Band 249, Bonn: 1995.
106
Niehaus M, Schmal A, Heinrich T. Ansätze betrieblicher Beschäftigungsförderung
(schwer)behinderter Mitarbeiter/innen in der Deutschen Automobilindustrie. Forschungsbericht
Sozialforschung, Band 291, Bonn: 2001. McAnaney D, Wynne R. Employment and disability: Back
to work strategies. Luxembourg: European Foundation for the Improvement of Living and Working
Conditions. 2004: 33. URL: http://www.eurofound.eu.int/publications/EF04115.htm, Stand:
14.09.2005.
107
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (Hrsg.). Case-Management zur Erhaltung von
Beschäftigungsverhältnissen behinderter Menschen (CMB). Zentrale Ergebnisse und Schlussfolgerungen einer Modellinitiative der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation. Frankfurt am Main
2005
108
Werner A. Arbeitsbedingungen in KMU - Besser oder schlechter als ihr Ruf? In: Institut für
Mittelstandsforschung Bonn (Hrsg.). Jahrbuch zur Mittelstandsforschung 1/2004. Wiesbaden:
Deutscher Universitätsverlag 2004
109
Graf H, Grote V. Betriebliche Gesundheitsförderung als Personal- und Organisationsentwicklung in
Klein- und Mittelunternehmen aus Sicht von Führungspersonen. Rosegg: Logo Consult 2003.
McAnaney D, Wynne R. Employment and disability: Back to work strategies. Luxembourg: European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions. 2004: 33. URL:
http://www.eurofound.eu.int/publications/EF04115.htm, Stand: 14.09.2005. Pröll U, Dechmann U,
Georg A. Wirkungsbedingungen, Handlungspotenziale und Interventionsmöglichkeiten überbetrieblicher Akteure bei der Weiterentwicklung von Gesundheit und Sicherheit in Klein- und Mittelbetrieben. Expertise Bertelsmann-Stiftung und Hans-Böckler-Stiftung. 2003
93
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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
7.2 Qualitätskriterien für ein „gutes“ betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
Die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter können die Einführung des betrieblichen
Eingliederungsmanagements durch Prämien oder einen Bonus gem. § 84 Abs. 3 SGB IX
fördern. Damit lassen sich Unternehmen motivieren, wirksame Prozesse und Maßnahmen zu
installieren - gegen lange Abwesenheiten, Produktivitätseinbußen oder vorzeitiges krankheitsbedingtes Ausscheiden von Beschäftigten. Aber: wirksames betriebliches Eingliederungsmanagement verlangt entsprechende Qualität, und die Vergabe eines Bonus verlangt
einen Nachweis von definierten Qualitätskriterien.
In der „Gemeinsame Empfehlung „Prävention nach § 3 SGB IX“ haben sich die Rehabilitationsträger die Entwicklung von Bonuskriterien zur Aufgabe gemacht. In § 7 (4) heißt es dazu:
„Die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter prüfen - auch unter Berücksichtigung
der zur Verfügung stehenden Finanzmittel -, ob durch Prämien oder einen Bonus Arbeitgebergefördert werden können, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement einführen (§
84 Abs. 4 SGB IX). Hierzu stimmen sie sich gemeinsam über Voraussetzungen sowie Art
und Umfang der Förderung ab.“
Bislang gibt es jedoch keine ins Gewicht fallenden Ansätze von Rehabilitationsträgern und
Integrationsämtern 110. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) hat Kriterien für die Gewährung eines eigenen Bonus festgelegt 111.
Allerdings können davon nur einige wenige Unternehmen im Sinne von „best practice“
profitieren. Ob es jedoch eine Ausrichtung finanzieller Anreize in der Breite – entsprechend
der gemeinsamen Empfehlung – geben wird, ist offen und hängt nicht zuletzt von den
Gesprächen der Träger unter dem Dach der Bar sowie dem fachlichen Austausch z.B. in der
Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVFR) ab.
Der nachfolgende so genannte „Standard des BEM“ will dahingehend als Diskussionsgrundlage verstanden werden. Der Standard wurde aus dem internationalen Disability Management-Ansatz heraus an die deutschen Verhältnisse angepasst und ergänzt.
Der Standard
•
beschreibt Zielvorgaben an das BEM und damit Qualitätskriterien, die über die Mindestanforderungen unter anderem des § 84 Abs. 2 SGB IX hinausgehen,
•
ist kompatibel zu den internationalen Standards des Disability Management,
•
ist prozessorientiert,
•
ist strukturell an der DIN EN ISO 9001:2000 (Qualitätsmanagement) orientiert,
•
integriert das Prinzip der Selbstbestimmung,
•
stellt einen Rahmen für BEM unabhängig von Unternehmensgröße und Branche dar,
•
ist in der Praxis entwickelt und erprobt worden.
110
Mehrhoff (2006): Betriebliches Eingliederungsmanagement – Erweiterter Präventionsauftrag an
Betriebe. Die BG, 11, S.500-502.
111
Seidel R: § 102 Anhang VI. In: Masuch P. (Hrsg.): Kommentar zum SGB IX. Berlin: Erich Schmidt
Verlag 2006.
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94
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
7.2.1 Der Standard des BEM 112
Der Standard des BEM beschreibt ein optimales System, im Sinne maximaler Sollgrößen. In
der Regel entsprechen reale Systeme dem nicht in Gänze. Er verfolgt einen prozessorientierten Ansatz, der die Entwicklung, Verwirklichung und Verbesserung der Wirksamkeit des
BEM fördert. Der Standard orientiert sich in seiner Struktur an der DIN EN ISO 9001:2000
und ist daher mit dieser Norm kombinierbar. Eine Nutzung im Rahmen eines integrierten
Managementsystems ist demnach möglich.
In Unternehmen mit geringem Eingliederungsbedarf und wenig komplexer Organisation ist
eher ein einzelfallorientierter und weniger managementorientierter Ansatz notwendig.
Grundsätzlich ist der vorliegende Standard für Unternehmen aller Größenordnungen
kompatibel.
Abb. 1: Prozessorientierter Ansatz des Standards für BEM
Nachfolgend ist der Standard in leicht gekürzter Fassung wiedergegeben (Vollversion siehe
Anhang: Auditierung des betrieblichen Eingliederungsmanagements).
112
Der nachfolgende Text wurde in leicht veränderter Fassung veröffentlicht in Flach T, Hetzel C,
Mozdzanowski M (2006): Auditierung des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Köln: Eigenverlag iqpr. Hetzel C, Flach T, Mozdzanowski M, Schian HM (2006): Wie lässt sich die Qualität des
betrieblichen Eingliederungsmanagements messen? Die BG, 11, 516-519. Flach T, Hetzel C,
Mozdzanowski M, Schian HM (2006): Standard des betrieblichen Eingliederungsmanagements und
dessen Auditierung. Die Rehabilitation, 45, 316-321.
95
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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
I. VERANTWORTUNG DER SOZIALPARTNER
I-1 Eingliederungspolitische Grundsätze und Ziele
Die Leitung der Organisation legt die eingliederungspolitischen Grundsätze wirksam fest. Die
Leitung stellt in Abstimmung mit der Interessenvertretung sicher,
•
dass aus der Eingliederungspolitik messbare und terminierte Ziele abgeleitet, festgelegt und umgesetzt werden,
•
dass die Zielgruppe des BEM definiert ist,
•
dass Zielgruppe und Ziele unternehmensweit gelten und
•
dass die Erfolgskriterien der Eingliederung festgelegt sind.
I-2 Planung des betrieblichen Eingliederungsmanagements
Die Leitung der Organisation muss – in Abstimmung mit der Interessenvertretung – zur
Planung, Durchführung und Verbesserung des BEM den notwendigen Rahmen schaffen:
•
einen Beauftragten für die wesentlichen Prozesse gemäß I – VI bestellen („Disability
Manager“),
•
auf der Basis der eingliederungspolitischen Grundsätze und Ziele einen Arbeits- und
Zeitplan festlegen,
•
die wesentlichen Prozesse gemäß I – VI wirksam festlegen („Manual“ – siehe Kap.
VI-16) und dabei die relevanten gesetzlichen Vorgaben ermitteln und beachten,
•
die erforderlichen Ressourcen ermitteln und bereitstellen (z.B. Festlegung, ob die
Umsetzung allein mit internem Personal erfolgen kann oder externer Unterstützung
bedarf, Budgetierung) – siehe Kap. II,
•
der Organisation die Notwendigkeit des BEM vermitteln – siehe Kap. III-8.
I-3 Sozialpartnerbewertung
Die Leitung der Organisation bewertet regelmäßig und gemeinsam mit der
Interessenvertretung das BEM (Sozialpartnerbewertung), bei Bedarf unter Beteiligung des
Disability Managers/DM-Teams. Einfließen müssen mindestens die wesentlichen Ergebnisse
der Analyse (siehe Kap. V-15) und der Umgang mit betrieblichen Änderungen, die sich auf
das BEM auswirken könnten. Die Ergebnisse der Sozialpartnerbewertung müssen Korrekturund Vorbeugungsmaßnahmen zur Verbesserung des BEM enthalten.
II. MANAGEMENT VON RESSOURCEN
II-4 Disability Manager und DM-Team
Der Disability Manager ist der Beauftragte der Sozialpartner zur Planung und Steuerung des
BEM. Der Disability Manager verfügt über angemessene Kenntnisse und über angemessene
zeitliche und finanzielle Ressourcen; er wird je nach Bedarf und Komplexität der Organisation regelmäßig von einem DM-Team unterstützt.
II-5 Beteiligung der Beschäftigten
Die Beschäftigten werden an der Durchführung und Verbesserung des BEM angemessen
beteiligt. Zur Beteiligung der betroffenen Beschäftigten siehe Kap. IV.
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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
II-6 Kooperation mit externen Partnern
In der fallbezogenen Kooperation mit externen Partnern sollen bereits im Vorfeld Verbindungen hergestellt, gehalten und gepflegt werden. Es sind Bewertungen der externen Partner
vorzunehmen.
II-7 Infrastruktur
Die Organisation hat in allen Bereichen den Bedarf an den Materialien zu ermitteln, die zur
Umsetzung des BEM benötigt werden.
III. KOMMUNIKATION
III-8 Interne und externe Öffentlichkeitsarbeit
Ziel ist es, Bewusstsein und Akzeptanz für das BEM bei Vorgesetzten und Mitarbeitern, bei
Bedarf auch bei externen Partnern (Leistungsträger, Leistungserbringer) zu schaffen.
IV. EINGLIEDERUNG IM EINZELFALL
IV-9 Identifikation von potenziellen Kandidaten
Es ist wirksam festzulegen, mit welchen Methoden potenzielle Kandidaten für das BEM
identifiziert werden können. Mögliche Methoden sind z.B. Fehlzeitenanalysen, ereignisbezogene Mitarbeitergespräche durch die Vorgesetzten, Routinegespräche, Arbeitsmedizinische
Untersuchungen und Altersstrukturanalysen.
IV-10 Kontaktaufnahme
Sobald ein potenzieller Kandidat für das BEM identifiziert ist, muss frühzeitig Kontakt mit
diesem aufgenommen werden und bei längerer Erkrankung der Kontakt regelmäßig gehalten
werden. Wirksam festzulegen sind die Gesprächsthemen und die verantwortliche/n Person/en für die Kontaktaufnahme.
IV-11 Erfassung der Ausgangssituation
Mit Zustimmung des Betroffenen folgt die Phase „Erfassung der Ausgangssituation“:
a) Die Fähigkeiten des betroffenen Mitarbeiters einschließlich Beschäftigungsprognose
sind systematisch zu ermitteln. In einem Gespräch mit dem Beschäftigten ist diesbezüglich die Selbsteinschätzung zu erfragen. Darüber hinaus ist eine arbeitsmedizinische Stellungnahme einzuholen, der Verzicht auf eine ärztliche Stellungnahme ist zu
begründen.
b) Potenzielle Eingliederungsmöglichkeiten einschließlich Tätigkeitsanforderungen sind
systematisch und unternehmensweit zu ermitteln, z.B. den bestehenden Arbeitsplatz
umgestalten, technische Hilfsmittel einsetzen, Teilzeit z.B. im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung, auf einen anderen Arbeitsplatz umsetzen, einen neuen Arbeitsplatz schaffen, Trainings- oder Rehabilitationsmaßnahmen anregen.
erteilt der Beschäftigte im Falle des § 84 Abs. 2 SGB IX seine Zustimmung, ist dies zu
dokumentieren. Dies gilt auch für das weitere Vorgehen.
IV-12 Planung der Maßnahmen
In der Phase „Planung der Maßnahmen“ entscheiden die relevanten Akteure (i.d.R. das DMTeam) unter Beteiligung des Betroffenen über die Umsetzung der Eingliederungsmöglichkeiten. Besteht Beratungs- und Unterstützungsbedarf hinsichtlich Leistungen zur Teilhabe am
97
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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
Arbeitsleben, stellt der Disability Manager sicher, dass die Sozialleistungsträger frühzeitig
eingebunden werden. Es sind Aufzeichnungen zu führen, das Planungsergebnis ist schriftlich festzuhalten (Eingliederungsplan).
IV-13 Durchführung der Maßnahmen
Vor Maßnahmebeginn ist der direkte Vorgesetzte über das geplante Vorgehen zu informieren. Die Durchführung der Maßnahmen und deren Monitoring erfolgt gemäß dem Eingliederungsplan. Auftretende Schwierigkeiten werden zunächst vom direkten Vorgesetzten
angegangen. Bei Bedarf wird dann der Disability Manager eingeschaltet, der dann weitere
Schritte zur Problemlösung (z.B. Arzt einschalten) einleitet. Aufzeichnungen sind zu führen.
IV-14 Bewertung von Prozess und Ergebnis
Am Ende der Eingliederung werden Prozess und Ergebnis vom betroffenen Beschäftigten,
dessen Vorgesetzten und dem DM-Team kritisch bewertet, um Verbesserungspotenziale zu
erkennen. Aufzeichnungen sind zu führen.
V. ANALYSE UND BEWERTUNG
V-15 Analyse und Programmbewertung
Die Organisation muss das BEM regelmäßig in Analyse- und Verbesserungsprozesse
integrieren. Für die Analyse sind Erhebungsmethoden einschließlich des Erhebungszyklus
festzulegen. Mindestens folgende Parameter werden analysiert:
•
Wirksamkeit der eingliederungsrelevanten Prozesse aus Sicht der betroffenen Beschäftigten und der beteiligten Vorgesetzten (siehe Kap. V-14)
•
Wirksamkeit und Effizienz des BEM
• Bei Bedarf die Qualität externer Leistungserbringer
Der Disability Manager stellt sicher, dass aus der Analyse Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen abgeleitet werden. Der Disability Manager trägt Verantwortung dafür, dass die
Sozialpartner bei der Bewertung des betrieblichen Eingliederungsmanagements die Ergebnisse der Analyse mit einbeziehen.
VI. DOKUMENTATIONSANFORDERUNGEN
Die Schritte I-VI sind hinsichtlich der wesentlichen Abläufe, Verfahren, Festlegungen,
Zuständigkeiten, Befugnisse und Ergebnisse zu dokumentieren (Manual). Relevante
(Zwischen)-Ergebnisse sind nachzuweisen (Aufzeichnungen).Genauigkeit, Umfang und Tiefe
der Dokumentation zum BEM entsprechen der Größe sowie den branchen- und betriebsspezifischen Gegebenheiten der Organisation. Manual und Aufzeichnungen stellen die wirksame
Planung, Durchführung und Verbesserung der eingliederungsspezifischen Prozesse der
Organisation sicher. Sie dienen der internen Qualitätssicherung, sie liefern den Qualitätsnachweis für Externe und sie sind die notwendige Datenbasis für die Einschätzung der
Wirksamkeit und Effizienz des BEM.
VI-16 Manual
Der Disability Manager stellt die Aktualität des Manuals und dessen Konformität mit dem
Standard sicher. Die Sozialpartner zeigen ihr Commitment durch Unterschrift des Manuals,
u.U. ist der Status einer Betriebsvereinbarung sinnvoll.
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98
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
VI-17 Aufzeichnungen
Folgende Aufzeichnungen von (Zwischen-)Ergebnissen sind mindestens zu führen: Falldokumentation zu den Prozessen gem. Kap. V sowie Bewertungen des BEM durch die
Sozialpartner und das DM-Team.
7.2.2 Der Standard des BEM in Abhängigkeit von der Komplexität des
Unternehmens
Grundsätzlich ist der Standard des BEM für Unternehmen aller Komplexitätsgrade kompatibel. Jedoch kann sich die Ausgestaltung je nach Unternehmensgröße und Fallzahl unterscheiden (siehe Tab. 1). Aus diesem Grund ist es sinnvoll, das BEM in Abhängigkeit von den
Ausgangsbedingungen in folgende drei Programme zu differenzieren:
•
Interne Komplettstruktur, große Fallzahl (Programm 1)
•
Interne Teilstruktur, kleine bis mittlere Fallzahl (Programm 2)
•
Kleinunternehmen (Programm 3)
Tab. 1: Umfang und Zielvorgaben des Standards des BEM differenziert nach den Ausgangsbedingungen
Programm
1
I. VERANTWORTUNG
DER SOZIALPARTNER
II. MANAGEMENT VON
RESSOURCEN
III. KOMMUNIKATION
2
3
I-1
Grundsätze und Ziele
+++ ++
+
I-2
Planung des BEM
+++ +++
+
I-3
Sozialpartnerbewertung
+++ ++
+
II-4
Disability Manager und DM-Team
+++ ++
+
II-5
Beteiligung der Beschäftigten
+++ ++
+
II-6
Kooperation mit externen Partnern
+++ ++
+
II-7
Infrastruktur
+++ ++
+
+++ ++
++
III-8 Interne und externe Kommunikation
IV-9 Identifikation von potenziellen Kandidaten +++ +++ +++
IV-10 Kontaktaufnahme
+++ +++ +++
IV-11 Erfassung der Ausgangssituation
+++ ++
++
IV-12 Planung von Maßnahmen
+++ ++
++
IV-13 Durchführung der Maßnahmen
+++ ++
++
IV-14 Bewertung von Prozess und Ergebnis
+++ ++
++
V. ANALYSE UND
BEWERTUNG
V-15 Analyse und Programmbewertung
+++ ++
+
VI. DOKUMENTATIONSANFORDERUNGEN
VI-16 Manual
+++ ++
+
VI-17 Aufzeichnungen
+++ ++
+
IV.EINGLIEDERUNG IM
EINZELFALL
Legende: Programm 1: Unternehmen mit interner Komplettstruktur und großer Fallzahl; Programm 2: Unternehmen mit interner Teilstruktur und kleiner bis mittlerer Fallzahl; Programm 3: Kleinunternehmen; +++ / ++ / +
Umfang und Zielvorgaben in hohem / mittlerem / geringem Maße
99
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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
Die Programme unterscheiden sich hinsichtlich ihres Formalisierungsgrades, des Umfangs
und der jeweiligen Zielvorgaben. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten:
•
eine zentrale interne Verantwortlichkeit (Ansprechpartner, Kümmerer),
•
die interne Kommunikation, um Akzeptanz zu schaffen,
•
die Identifikation von potenziellen Kandidaten,
•
die Kontaktaufnahme mit potenziellen Kandidaten und
•
die frühzeitige Signalgebung an Experten.
Im Folgenden wird zunächst der Standard des BEM für Unternehmen mit interner Komplettbzw. Teilstruktur (Programm 1 bzw. 2) skizziert. Das Programm 3 für Kleinunternehmen wird
erst in Kap. 7.3.3 beschrieben, weil dies zunächst eine tiefere Analyse der Ausgangsbedingungen erfordert.
7.2.2.1 Der Standard des BEM bei interner Komplettstruktur und großer
Fallzahl
Große Unternehmen haben zum einen mit ihren internen Strukturen (Personalwesen,
Betriebs-/ Personalrat, Schwerbehindertenvertretung, Betriebs-/Werksarzt, Arbeitssicherheit
etc.) Artikulationsinstanzen für Fragen der Gesundheit, Krankheit und Behinderung. Zum
anderen ist die Fallzahl an potenziellen Kandidaten hoch. Dies erfordert die komplette
Erfüllung des Standards des BEM im Sinne eines managementorientierten und von den
Sozialpartnern getragenen Ansatzes (Programm 1 in Tab. 1). Der Kernprozess der betrieblichen Eingliederung wird in erster Linie von internen Akteuren geplant, durchgeführt und
abschließend bewertet. Dafür gibt es in der Regel einen (teilweise) freigestellten und
qualifizierten Mitarbeiter. Die relevanten Prozesse sind wirksam festgelegt. Das Thema BEM
wird im Unternehmen strategisch kommuniziert. Regelmäßige Programmbewertungen finden
statt, was insbesondere systematische Aufzeichnungen erfordert. Programme dieser Art sind
in der Literatur beschrieben 113.
7.2.2.2 Der Standard des BEM bei interner Teilstruktur und geringer bis
mittlerer Fallzahl
Mittlere Unternehmen haben teilweise interne Strukturen (Personalwesen, Betriebs-/
Personalrat, Schwerbehindertenvertretung, Betriebs-/Werksarzt, Arbeitssicherheit etc.) und
eine geringe bis mittlere Fallzahl an potenziellen Kandidaten. Dies erfordert eine Mischform
aus management- und fallorientiertem Ansatz, der mit der Interessenvertretung – sofern
vorhanden – abgestimmt ist (Programm 2 in Tab. 1). Dabei soll der Aufwand im Verhältnis zu
113
siehe u.a. Kaiser H, Flach T, Greve J, Hetzel C et al. Betriebliches Gesundheitsmanagement.
Impulse 2004; 30: 34-41. Mehrhoff F. Ein Konzept zur beruflichen Reintegration von behinderten
Menschen. In: Mehrhoff F (Hrsg). Disability Management. Ein Kursbuch für Unternehmer, Behinderte, Versicherer und Leistungserbringer. Strategien zur Integration von behinderten Menschen in das
Arbeitsleben. Stuttgart: Gentner Verlag, 2004: 9-19. Kaiser H. FILM - Förderung der Integration
leistungsgewandelter Mitarbeiter. Bewegungstherapie und Gesundheitssport DVGS (Hrsg.) 2004; 2:
56-59. Magin J, Schnetter B. Die Einführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements – erste
Erfahrungen aus der Praxis. Pilotprojekt in einem bayerischen Unternehmen. Behindertenrecht
2005; 2: 52-59.
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100
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
den Fallzahlen liegen. Der Kernprozess der betrieblichen Eingliederung wird mit internen,
geschulten Akteuren durchgeführt. Gleichzeitig werden die Schnittstellen zwischen Unternehmen und externen Partnern gepflegt, damit frühzeitig Beratung und Unterstützung
eingebunden werden kann. Je nach Fallzahl erfolgt die Ausrichtung eher Richtung Programm 1 (siehe Tab. 1 und Kap. 7.2.2.1) oder Programm 3 (siehe Tab. 1 und Kap. 7.3.3).
101
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7.3 BEM in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) 114
BEM erfordert ein komplexes Zusammenwirken verschiedener Funktionen und Aufgaben,
das durch „fünf Rollen“ beschrieben werden kann. Das Denken in Rollen ist eine Hilfe zur
flexiblen Aufteilung von (Teil-)Aufgaben, ohne den Blick für den Gesamtprozess zu verlieren.
In Großunternehmen können alle fünf Rollen innerbetrieblich ausgefüllt werden und eine
Rollenaufteilung auf verschiedene Personen ist sinnvoll. Aus Mangel an personellen,
fachlichen oder zeitlichen Ressourcen sind die Rollen in KMU meist auf eine oder wenige
Personen konzentriert und müssen teilweise von externen Akteuren übernommen werden.
•
„Entscheider“: Die strategische Ebene entscheidet z.B. über Ressourcen und die
operative Ebene über konkrete Aktivitäten am Arbeitsplatz.
•
„Signalgeber“: Zum einen müssen potenzielle Kandidaten für das BEM frühzeitig
identifiziert werden, z.B. über Fehlzeitenanalyse oder Präventionsgespräche. Zum
anderen muss bei Bedarf ein Korrektursignal im Sinne eines Controllings während
des Eingliederungsprozesses erfolgen.
•
Der „Berater“ hat das notwendige Expertenwissen zu fähigkeits- und arbeitsplatzbezogenen Aspekten, zu rechtlichen Fragen, zu Fördermitteln etc.
•
Der „Macher“ ist für die konkrete Umsetzung beschlossener Maßnahmen verantwortlich, räumt Hindernisse aus dem Weg, beantragt Fördermittel etc.
•
Der „Netzwerker“ bringt die beteiligten internen Akteure zusammen und baut Kontakte zu Sozialleistungsträgern und Leistungserbringern auf.
Unbestritten besteht für KMU die Notwendigkeit der exogenen Unterstützung. Folgende
Institutionen kommen für die exogene Unterstützung von Unternehmen in Frage:
•
Die Servicestellen könnten wegen des gesetzlichen Auftrags eine Schlüsselrolle einnehmen. Problematisch sind jedoch die primäre Zuständigkeit für behinderte und von
Behinderung bedrohte Menschen (Individualberatung) 115, der geringe Bekanntheitsgrad, die geringe Personalkapazität, teilweise fehlende Entscheidungsbefugnis und
die strategische Ausrichtung als „Komm-Struktur“.
•
Die Integrationsfachdienste stehen in der Strukturverantwortung der Integrationsämter. Sie bieten ein Beratungs- und Betreuungsangebot „aus einer Hand“ an und genießen bei Arbeitgebern und Beschäftigten vielfach ein hohes Ansehen. Fraglich ist,
ob sie sich auch für nicht-schwerbehinderte Menschen öffnen können.
•
Die Experten der einzelnen Sozialleistungsträger, d.h. die Case- oder Fallmanager,
die Reha-Berater, die Berufshelfer, werden in der fallbezogenen Arbeit ohnehin eingebunden – allerdings in der Regel erst dann, wenn das „Kind schon in den Brunnen
gefallen ist“.
114
Der überwiegende Teil des nachfolgenden Textes incl. Literaturangaben wurde veröffentlicht in:
Hetzel C., Flach T., Weber A., Schian H.-M. (2006): Zur Problematik der Implementierung des
betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen. Das Gesundheitswesen, 68, S. 303–308.
115
siehe § 22 SGB IX; allerdings haben die Rehaträger mit der „Gemeinsame Empfehlung „Prävention
nach § 3 SGB IX“ vom 16. Dezember 2004 eine weitgehende Selbstverpflichtung zur Beraqtung und
Unterstützung der Unternehmen vereinbart (vgl. §§ 7,8)
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102
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
•
Die Berufsförderungswerke vereinen die nötigen Kompetenzen unter einem Dach,
z.B. im Bereich Assessment und Case-Management. Ein entsprechendes Dienstleistungsangebot für KMU ist in der Entwicklung und teilweise bereits in der Umsetzung.
•
Die Gewerkschaften sowie das institutionelle Umfeld von KMU nehmen einen Großteil der Funktionen wahr, die in Großunternehmen von internen Stäben erbracht werden. Sie sind damit Teil der sozialen Infrastruktur und könnten eine aktive Rolle übernehmen.
•
Arbeitsmedizinische Dienste, sofern sie sich über die Regelbetreuung hinaus öffnen.
•
Andere private Beratungsdienstleister, die in der Lage sind, die entsprechenden Vernetzungen operativ nutzbar zu gestalten.
Aber nur auf exogene Unterstützung zu setzen, ist teuer und hemmt die Eigeninitiative und
Eigenaktivität. Das führt zu folgender Ausgangsthese: Nur wenn KMU ein Mindestmaß an
Bewusstsein, Akzeptanz und Kompetenz für die Thematik haben, werden sie sich der
(bislang nur suboptimal vorhandenen) exogenen Unterstützung öffnen.
7.3.1 Befragung von Geschäftsführern in KMU 116
Die Sicherung der Leistungsfähigkeit von Beschäftigten mit gesundheitlichen Einschränkungen und damit die dauerhafte Eingliederung im Unternehmen ist eine Führungsaufgabe, die
mit entsprechender Personal- und Organisationsentwicklung einhergehen sollte. Ziel der
Befragung ist es, diesbezüglich Einstellungen, Aktivitäten sowie konkrete Vorschläge und
Erwartungen von Geschäftsführern in KMU zu erfassen, um daraus Erkenntnisse für die
Gestaltung von Unterstützungskonzepten ableiten zu können.
Kollektiv und Methode
Ein Mengengerüst an Informationen ist zunächst von sekundärer Bedeutung, eine Hypothesenprüfung steht nicht im Vordergrund. Vielmehr sollen Einstellungen, Vorschläge und
Erwartungen mit Blick auf Unterstützungskonzepte exploriert und diskutiert werden. Aus
diesem Grund und aus Mangel an empirischer Datengrundlage wird ein qualitatives Vorgehen gewählt.
Es wird eine mündliche leitfadenorientierte Befragung von Geschäftsführern von KMU
durchgeführt (Gesprächsdauer 30-45 Min.) und inhaltsanalytisch ausgewertet. Bei der
Auswahl wurde keine Positivselektion vorgenommen, sondern lediglich „Offenheit zum
Thema krankheitsbedingte Abwesenheit und frühzeitige Rückkehr zur Arbeit“ vorausgesetzt.
Die befragten Unternehmen (N=13) weisen folgende Strukturmerkmale auf:
•
Anzahl der Beschäftigten: 1-9 (n=3), 10-49 (n=4), 50-99 (n=1), 100-250 (n=5).
•
Tätigkeitsanforderungen: hohe (n=6) bzw. wechselnde (n=5) körperliche Anforderungen, Bürotätigkeit (n=2)
• Branchen: Gartenbau, Produktion, Altenpflege, Fachhandel, Behörde, Dienstleistung
Als Gesprächspartner wurden die Geschäftsführer ausgewählt, weil Eingliederungsarbeit
auch Führungsaufgabe ist und weil in KMU dem Unternehmer eine besondere Rolle in
116
Der Volltext zu dieser Befragung ist im Anhang abgedruckt.
103
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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
gesundheitsbezogenen Fragen zukommt: „Er kann Motivator und treibende Kraft sein oder
hemmend einwirken“. Allerdings waren die Geschäftsführer in größeren KMU teilweise nur
mittelbar in die Thematik eingebunden, weshalb nicht alle Aspekte in gleicher Tiefe eruiert
werden konnten.
Barrieren und Förderfaktoren für die Einführung von BEM
Zusammenfassend nehmen die Geschäftsführer das Thema BEM kaum als Handlungsfeld
wahr. Meistens bauen sie auf passives, aber teilweise sehr engagiertes Ad-hocManagement, d.h. sie reagieren auf Notfälle, setzen auf die Eigenverantwortung der
Mitarbeiter und betreiben Schadensbegrenzung. Frühzeitige Maßnahmen sind die Seltenheit.
In der Literatur werden als Kernbarrieren für gesundheitsbezogenes Handeln in KMU der
hohe Kosten- und Leistungsdruck sowie das Fehlen innerbetrieblicher Kompetenz und
Artikulationsinstanzen aufgeführt; dem gegenüber stehen Förderfaktoren, wie soziale
Unterstützung, geringe Verantwortungsdiffusion, kurze Entscheidungswege und die Fähigkeit zu pragmatischen Lösungen.
In der Befragung konnten folgende Barrieren für die Einführung eines Eingliederungsmanagements identifiziert werden:
•
Informationsdefizit. Der demografische Wandel wird noch nicht als zukünftiges Problem wahrgenommen. Die gesetzlichen Verpflichtungen zum Eingliederungsmanagement sind nahezu unbekannt, ebenso Servicestellen, Integrationsämter und fachdienste sowie gesetzliche Fördermittel.
•
Fehlende Prioritätensetzung. Häufige, aber teilweise widerlegbare Argumente für
„Nicht-Engagement“ waren: „bei dem gegenwärtigen Kosten- und Leistungsdruck haben wirtschaftliche Investitionen Vorrang“, „nur gesunde Mitarbeiter sind zu gebrauchen“ oder „es gibt keine Fälle, die länger als 6 Wochen krank sind“.
•
Eingeschränkte Eingliederungsmöglichkeiten. Sicherlich haben KMU im Gegensatz
zu den Großunternehmen einen geringeren Spielraum hinsichtlich Arbeitsplatzgestaltung und -organisation, aber zum Teil auch aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit.
•
Eingliederung ist Aufwand. Richtig, aber externe Unterstützung und konkrete Handlungshilfen können den Aufwand reduzieren, insbesondere wenn die Chancen des
BEM transparent gemacht werden und pragmatische Lösungen gefunden werden
können.
•
Teilweise geringe Eigenverantwortung der Beschäftigten, zumindest in den Augen
von einigen Geschäftsführern. Die einen bleiben länger als nötig zu Hause, die anderen schleppen sich krank zur Arbeit. Beides ist suboptimal und bedarf der Überzeugungsarbeit.
•
Krankheit ist ein Tabuthema. Sicherlich ist Krankheit Privatsache. Allerdings kann ein
BEM nur funktionieren, wenn dieses sensible Thema Teil der betrieblichen Kommunikation wird. Wegen der sozialen Nähe ist dies in KMU häufig eine Selbstverständlichkeit.
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104
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
Schlussfolgerungen
Soll BEM mehr als eine Notfalloperation am Einzelfall sein und auf die Prioritätenliste der
Geschäftsführer gelangen, dann:
•
Problembewusstsein und Nutzenklarheit sind zu schaffen;
•
Kompetenz ist zu fördern durch pragmatische und unbürokratische Umsetzungshilfen, was konkret zu tun ist und von wem Hilfe zu erwarten ist;
•
Wissen über und Kooperationsbereitschaft mit externen Partnern ist zu fördern;
•
Auf dieser Basis sind dann vom Betrieb Verantwortlichkeiten und transparente Verhaltensregeln festzulegen;
•
die einflussreichsten Mitarbeiter als Promotoren zu gewinnen, um innerbetriebliche
Akzeptanz und ein mitarbeiterorientiertes Betriebsklima zu schaffen;
•
die Eigenverantwortung der Beschäftigten ist zu fördern. Dazu sind den Beschäftigten
zum einen die Chancen, zum anderen auch die Arbeitgeberpflicht und die Konsequenzen fehlender Mitwirkung zu vermitteln. Beteiligungsmöglichkeiten sind zu fördern und zu fordern, z.B. in dem Verhaltensregeln gemeinsam festgelegt werden.
7.3.2 Modellvision
Auf dieser Basis lässt sich ein Modell (siehe Abb. 2) skizzieren, für das folgende Thesen
handlungsleitend sind:
105
•
Ein pragmatisches und unbürokratisches Handlungsmodell, was ein Unternehmen im
Falle längerer oder wiederholter Krankheit konkret zu tun hat – im Idealfall in einem
Handbuch fixiert.
•
So, wie in größeren Unternehmen die Fäden an einer Stelle zusammenlaufen sollten,
muss in kleineren Unternehmen überhaupt jemand die Verantwortung übernehmen –
die betriebliche Ansprechperson im Sinne eines „Kümmerers“.
•
Erst auf dieser Basis kann der externe Unterstützungsbedarf konzipiert werden. Die
externe Unterstützung sollte wie „aus einer Hand“ und als Gehstruktur erbracht werden – hier käme z.B. der Disability Manager nach dem Bildungsangebot des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften in Frage.
•
Bei welcher Institution dieser Experte angebunden wird, ist nachrangig - das „Wie“ ist
entscheidend. Die Qualitätssicherung kann anknüpfen an bestehende Standards, z.B.
im Rahmen des DM und an bestehende Forschungsergebnisse.
•
Das System „betriebliche Ansprechperson – externer Disability Manager – Handbuch“ ist für Dritte transparent und Einheit der Qualitätssicherung, operationalisiert
über das BEM-Audit. Auf dieser Grundlage können dann Boni oder Prämien gem. §
84 Abs. 3 SGB IX vergeben werden.
•
Das institutionelle Umfeld, d.h. Kammer, Innung, Verbände, ist von den KMU grundsätzlich akzeptiert und sollte für operative Aufgaben der Promotion und der Intervention im Bereich Eingliederung integriert werden.
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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
Abb. 2: Modell für betriebliches Eingliederungsmanagement in KMU (die dargestellten Zahlen
werden im Text erläutert)
Strukturelle Voraussetzung im Unternehmen ist die Ansprechperson im Sinne eines „Kümmerers“, die im Wesentlichen die Rolle des „Signalgebers“ übernimmt; außerhalb des
Unternehmens eine zentrale Anlaufstelle (Disability Manager) als „Berater“ und „Netzwerker“,
angegliedert bei welcher Institution auch immer.
Prozess 1: Akzeptanz im Unternehmen schaffen, und zwar bei der Unternehmensführung als
strategischer Entscheider und bei den Vorgesetzten als operativer Entscheider. Diesen
Prozess gestalten die Ansprechperson und/oder der externe Disability Manager. Auch
bestehende Kanäle sind zu nutzen, wie z.B. das Innungs- und Kammerwesen, Fachzeitschriften oder im Rahmen des Unternehmermodells der Berufsgenossenschaften.
Prozess 2: potenzielle Kandidaten für das BEM identifizieren. Mindestens über die gesetzliche 6-Wochen-Regelung. Effektiver wäre aber schon früher und mit zusätzlichen Informationsquellen, z.B. regelmäßige oder ereignisbezogene Mitarbeitergespräche, betriebsärztliche
Untersuchungen.
Prozess 3: Kontakt mit dem Mitarbeiter aufnehmen mit dem Ziel, ihn für das BEM zu
gewinnen. Für das weitere Vorgehen ist die Zustimmung und die Beteiligung des Mitarbeiters
eine zwingende Voraussetzung. Eine Verweigerung stoppt den Eingliederungsprozess, der
Mitarbeiter kann sich dann allerdings nicht mehr auf den Schutz vor krankheitsbedingter
Kündigung berufen.
Prozess 4: Einzelfallarbeit mit festem Regelkreislauf.
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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
1. Die Ausgangslage erfassen (z.B. ärztliche Gutachten einholen)
2. Maßnahmen planen über den Abgleich von Fähigkeiten und Anforderungen und
schriftlich in einem Eingliederungsplan festlegen. In Frage kommen Maßnahmen
•
zur Technik (z.B. Arbeitsplatzanpassung, technische Hilfen)
•
zur Organisation (z.B. stufenweise Wiedereingliederung, Umsetzung an
anderen oder neuen Arbeitsplatz) und
• zur Person (z.B. Qualifizierungs- oder Rehabilitationsmaßnahmen).
3. Die beschlossenen Maßnahmen werden durchführt und kontrolliert, um ggf. Änderungen vorzunehmen und
4. nach erfolgreichem Abschluss bewertet, um für zukünftige Fälle zu lernen.
Sofern vorhanden, sind bei diesem Kernprozess der Betriebs-/Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung einzubinden.
Prozess 5 ist das eigentliche Kernproblem. Kann der Betrieb den Fall nicht alleine lösen,
wendet sich die Ansprechperson in Abstimmung mit dem betroffenen Mitarbeiter an den
externen Disability Manager. Hier muss die Bereitschaft der Betriebe gefördert werden,
frühzeitig Bedarf nach außen zu signalisieren.
Prozess 6 betrifft den externen Disability Manager, der bei Bedarf Sozialleistungsträger und
Leistungserbringer an einen Runden Tisch holt und dadurch den Eingliederungsprozess
unterstützt. Insgesamt sollte dieser „Berater und Netzwerker“ niederschwellig erreichbar
sein, aktiv auf KMU zugehen, gemeinsam mit der Ansprechperson die wesentlichen Prozesse verbindlich festlegen und Dokumentationsaufgaben übernehmen.
107
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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
7.3.3 Der Standard des BEM in Kleinunternehmen
Die Ausgangsbedingungen in Kleinunternehmen sind skizziert und darauf aufbauend wurde
eine Modellvision für das BEM abgeleitet. Kleinunternehmen haben nicht den regelmäßigen
akuten Bedarf an BEM. Der Aufbau von aufwändigen innerbetrieblichen Strukturen für die
Umsetzung der betrieblichen Eingliederung ist daher nicht sinnvoll, vielmehr ist externe
Unterstützung bei der Fallarbeit notwendig. Es gilt, den Aufwand des BEM gering zu halten
und gleichzeitig die Basis für eigenverantwortliches Handeln zu legen.
Im Folgenden soll der Standard des BEM für Kleinunternehmen (siehe auch Kap. 7.2.2)
umrissen werden. Praxishilfen für Anwender werden in Kap. 7.3.4 vorgestellt. Damit kann der
Aufwand für Kleinunternehmen reduziert werden.
Eingliederungspolitische Grundsätze, Ziele und Planung
Die Betriebsführung legt die eingliederungspolitischen Grundsätze und Ziele sowie die
Zielgruppe entsprechend der betrieblichen Gegebenheiten fest (siehe Praxishilfen Kap.
7.3.4). Es muss eine Person bzw. eine Systematik geben,
•
die innerbetriebliche Handlungsmöglichkeiten kennt,
•
die die Potenziale externer Unterstützung insbesondere in der Region kennt,
•
die regelmäßig Bewusstsein in der Belegschaft für das Thema schafft,
•
die den Kernprozess „Eingliederung im Einzelfall“ sicherstellt und
•
die frühzeitig Unterstützungsbedarf gegenüber den Rehabilitationsträgern / der Servicestelle bzw. dem Integrationsamt signalisiert (das ist der Schwerpunkt).
Die Betriebsführung muss entscheiden, ob sie diese Aufgaben selbst übernehmen will oder
teilweise an eine „Ansprechperson“ delegiert. Die wesentlichen Handlungsschritte inklusive
der Verantwortlichkeiten werden unter Berücksichtigung des Datenschutzes und der
Selbstbestimmung des betroffenen Mitarbeiters wirksam festgelegt (sofern eine Interessenvertretung vorhanden ist, bedarf dies der Mitbestimmung).
Management von Ressourcen
Die Fallarbeit wird je nach Komplexität der Problemlage entweder komplett intern gesteuert
oder auf externe Hilfe zurückgegriffen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, bereits im Vorfeld
Kontakte zu externen Partnern aufzubauen (Liste von Ansprechpartnern). Für die interne
Arbeit sind angemessene Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Kommunikation
Um Problembewusstsein, Nutzenklarheit und Akzeptanz in der Belegschaft zu schaffen,
muss das Thema BEM und die wesentlichen Handlungsschritte kommuniziert werden, z.B.
über Betriebsversammlung, Workshop, Aushänge, Jahresgespräche, leichte Zugänglichkeit
von Informationsmaterial.
Eingliederung im Einzelfall
Der Kernprozess der Eingliederung im Einzelfall wird von internen und ggf. externen
Akteuren in Kooperation durchgeführt. Der erste Schritt, die Identifikation von potentiellen
Kandidaten, erfolgt unternehmensintern. Dies ist die zentrale Aufgabe des Kleinunternehmens, nämlich die frühzeitige Erkennung von Bedarf. Die Ansprechperson spricht den
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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
Mitarbeiter an und informiert ihn über ein mögliches weiteres Vorgehen. Sehen beide die
Notwendigkeit, dann führen beide ein weiteres Gespräch, um die Ausgangslage zu erfassen
und Lösungsansätze zu finden. Sehen beide die Notwendigkeit, dann findet ein Gespräch
mit dem Vorgesetzten oder der Betriebsführung statt, um über das Machbare zu entscheiden. Konkrete Maßnahmen werden geplant. Bei Bedarf werden Experten eingeschaltet (zum
Beispiel Arzt, Fachkräfte der Rehabilitation, Fachkräfte der Arbeitssicherheit). Die Maßnahmen werden durchgeführt. Regelmäßig überprüfen die Beteiligten, ob die Maßnahmen die
erhofften Ergebnisse erzielen und nehmen bei Bedarf Änderungen vor.
Analyse und Bewertung
Regelmäßig (z.B. jährlich) wird der Stand der Dinge hinsichtlich der Wirksamkeit und
Effizienz überprüfet und ggf. verbessert, am besten gemeinsam mit ausgewählten Mitarbeitern.
Dokumentationsanforderungen
Aus Gründen der Rechtssicherheit, der Qualitätssicherung und der Transparenz sollten die
wesentlichen Handlungsregeln wirksam festgelegt sowie wichtige (zwischen-)Ergebnisse
aufgezeichnet werden (siehe Praxishilfen Kap. 7.3.4).
109
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Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
7.3.4 Arbeitshilfen für KMU
Zurzeit existieren zwei getrennte und zudem weit auseinander liegende Welten „KMU“ und
„Rehabilitation“. Soll BEM ein Handlungsfeld auch für KMU werden, dann müssen diese
Welten ineinander greifen. Dazu müssen zum einen im Unternehmen Bewusstsein, Akzeptanz und Kompetenz gefördert werden durch Information und Schulung über vielfältige
Kanäle, insbesondere unter Einbeziehung des institutionellen Umfelds der KMU. Zum
anderen muss sich die Welt der Rehabilitation bewegen, in dem der Reha-Dschungel für
KMU ein zentrales Gesicht bekommt und in dem dieses zentrale Gesicht aktiv, pragmatisch,
unbürokratisch, aber dennoch qualitätsgesichert auf die Unternehmen zugeht. Darüber
hinaus müssen auch KMU in den Genuss von Bonus und Prämien gem. § 84 Abs. 3 SGB IX
kommen können, sei es als direkter finanzieller Anreiz oder indirekt über eine kostenlose
Schulung. Zur Förderung von Bewusstsein, Akzeptanz und Kompetenz hinsichtlich der
systematischen Umsetzung des BEM in KMU wurden im Rahmen des Projektes nachfolgende Arbeitshilfen erstellt und erprobt.
Broschüre (12 Seiten): Mitarbeiter krank – was tun!? Informationen und Handlungsempfehlungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2
Sozialgesetzbuch IX.
Ziel: Bewusstsein für das Thema Eingliederung schaffen, erste Handlungshilfen geben
Zielgruppe: Personalverantwortliche in KMU, Interessierte
Inhaltsverzeichnis:
•
Vorteile: Eingliederung sichern – es
lohnt sich!
•
Aus der Praxis: Eingliederung sichern
statt Ausmustern
•
Auf einen Blick: Eingliederung sichern – so geht’s!
•
Tipps: Das können die „Kleinen“ tun!
•
Interview: Dr. Alexander Gagel über
die rechtlichen Verpflichtungen des
Arbeitsgebers zum Eingliederungsmanagement
•
Ansprechpartner: Hier gibt es Unterstützung!
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Abb. 3: Titelbild der Broschüre
„Mitarbeiter krank – was tun!?“
110
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
Praxishilfen: Mitarbeiter krank – was tun!? Praxishilfen zur Umsetzung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen.
•
Ziel: Bewusstsein für das Thema Eingliederung schaffen, Konkrete Handlungshilfen
(Vordrucke, Anschreiben, Checklisten, Leitfäden etc.) bereitstellen insbesondere zur
Umsetzung des Standards des BEM in KMU
•
Zielgruppe: Personalverantwortliche in KMU, Sicherheitsfachkräfte, Betriebsärzte
•
Textausschnitt „Fundament legen“:
Die ersten Schritte
1. Der
Chef
legt
die
Ziele
fest,
bestimmt
die
betriebliche
Ansprechperson und versorgt diese mit Informationsmaterial (zum
Beispiel Praxishilfen, Schulung)1.
2. Chef oder Ansprechperson knüpfen erste Kontakte zu externen
Partnern, um das Fundament auszubauen und um für den Ernstfall
vorbereitet zu sein.
3. Chef und Ansprechperson legen wichtige Regeln fest, zur Steigerung
der Akzeptanz am besten gemeinsam mit Führungskräften und
ausgewählten Mitarbeitern1.
4. Die gesamte Belegschaft über Ziele und wichtige Regeln informieren.
5. Mögliche Kandidaten erkennen und sie der Ansprechperson nennen.
6. Der Chef kann einen Antrag auf Bonus und Prämien bei den
Rehabilitationsträgern und beim Integrationsamt stellen.
____________
1)
Sofern ein Betriebs-/Personalrat vorhanden ist, bedarf dieser Schritt der Abstimmung.
Eine vorhandene Schwerbehindertenvertretung sollte gehört werden.
Die Langfassung wird zeitnah im Universum-Gentner-Verlag veröffentlicht.
111
© iqpr Köln
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
7.4 Qualitätssicherung: CBDMATM / BEM-Audit
CBDMATM steht für „Consensus Based Disability Management Audit”. Dieses Audit wurde,
wie eingangs erwähnt, von NIDMAR in Kanada entwickelt und basiert auf Forschungsergebnissen des Internationalen Arbeitsamts. CBDMATM wurde an die deutsche Rechts- und
Sozialordnung angepasst und wird daher auch unter dem Titel „BEM-Audit“ kommuniziert.
Zertifizierungsstelle ist der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften
(HVBG). Im Jahr 2006 wurden drei Unternehmen auditiert und zertifiziert.
Unter einem Audit versteht man die Untersuchung und Bewertung von Prozessabläufen.
Beim BEM-Audit wird über Stichproben systematisch und unabhängig untersucht, wie
wirksam das BEM ist. Um ein Audit sinnvoll durchführen zu können, sind zwei Dinge
erforderlich. Zum einen ein innerbetriebliches System, das die entsprechenden Strukturen,
Abläufe und Verhaltensregeln zur Wiedereingliederung enthält. Zum anderen ein externes
Auditsystem, das geeignete Qualitätskriterien (siehe Kap. 7.2.1) und Prüfroutinen definiert.
Das BEM-Audit will die Qualität des BEM nachweisen sowie Verbesserungspotenziale
erkennen, Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen empfehlen (hier liegt der Schwerpunkt).
Unternehmen können mit dem BEM-Audit
•
klare und transparente Strukturen und Abläufe sichern,
•
die Abläufe in Richtung des Standards verbessern,
•
den Qualitätsnachweis als Marketing-Instrument einsetzen und
•
die Chancen erhöhen, Prämien oder einen Bonus von Seiten der Rehabilitationsträger und Integrationsämter zu erhalten.
Das Zertifizierungsverfahren ist in
Abb. 4 schematisch dargestellt.
Abb. 4: Das Zertifizierungsverfahren
© iqpr Köln
112
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management
Das Audit vor Ort dauert je nach Komplexität der Organisation und Reifegrad des BEMSystems 1,5 bis 2 Tage (siehe Abb. 5).
Abb. 5: Ablauf und Zeitbedarf des BEM-Audits im Unternehmen
113
© iqpr Köln
Anhang
8 Anhang
8.1 Anhang Kapitel 6 – Integrationsvereinbarungen
Details zu den Auswertungsergebnissen
8.1.1 Stichprobe 1
Auswertungsergebnisse Integrationsvereinbarungen, die vor dem 01.06.2004 abgeschlossen wurden (n = 95)
1. Persönlicher Geltungsbereich
- Nur Schwbeh. Mitarbeiter:
46
- Behind. Mitarbeiter:
18
- Sonstige Mitarbeiter:
31
2. Aufgeführte Maßnahmen
- Zur Arbeitsplatzerhaltung: in insgesamt 95 IntVereinbarungen
Arbeitsplatzgestaltung:
Arbeitsplatzanpassung:
Flexible Arbeitszeiten:
Qualifizierungsmaßnahmen:
Sonderparkplätze:
§ 84 Abs. 1 SGB IX:
§ 84 Abs. 2 SGB IX:
Vorgesetztenqualifizierung:
Stufenweise Wiedereingliederung:
Integrationsprojekte:
Arbeitsassistenz:
Anpassung der Arbeitsorganisation:
Kontakterhaltung bei Langzeiterkrankung::
Wiedereingliederungsgespräche:
inkl. Beratung:
o Qualifizierung SBV:
o Bonus-Malus-System:
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
62
23
65
53
42
36 (davon 2x auch für Behind.)
16
40
18
6
5
15
3
7
2
3
- Zur Gesundheitserhaltung: in insgesamt 26 Intvereinbarungen, (33 inkl. Unfallverhütungsregelungen)
o
o
© iqpr Köln
Gesundheitsfördernde Maßnahmen:
Behindertensport fördern:
14
7
114
Anhang
o
o
o
Gesundheitszirkel:
Wiederherstellung der Gesundheit:
Diätspeisen und -lebensmittel:
9
3
1
3. AU-Zeit als Interventionssignal
(z.T. doppelt gezählt)
- längere Erkrankung:
7
- mehr als 3 Monate:
18
- mehr als 6 Wochen:
4
4. In den IntVereinbarungen genannte Akteure
- Intern
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
SBV:
88
Betriebs/Personalrat:
68
Personalabteilung:
37
Arbeitgeber:
34
JAV:
4
Arbeitsassistenz:
2
Vorgesetzte:
37
Arbeitsmedizinischer/personalärztl. Dienst:44
/ Betriebsarzt:
Arbeitgeberbeauftragter:
45
Fachkraft für Arbeitssicherheit:
28
Techn. Beratungsdienst:
3
Dienststelle:
5
Betriebliche Sozialberatung:
3
Frauenbeauftragte:
5
Verwaltung:
2
Parkplatzkommission:
1
Führungskräfte:
8
Integrationsteam:
43
o
o
o
o
o
o
o
Gemeinsame Servicestellen:
Reha-Träger:
Integrationsamt:
Fürsorgestellen:
Techn. Dienst des Integrationsamtes:
Behindertenbeauftragter:
IfbG:
o
o
o
o
o
o
o
o
- Extern
115
1
19
58
2
7
1
1
© iqpr Köln
Anhang
o
o
o
o
o
o
o
o
IFD:
Behandelnder Arzt:
Arbeitsamt:
Techn. Dienst des Arbeitsamtes:
BG:
Sozialdienst:
Stadtverwaltung:
Berufsbegleitender Dienst:
13
7
27
3
3
2
2
1
5. Besondere Arten von IntVereinbarungen:
o
o
o
o
o
BV:
BV ohne SBV:
InV ohne BR:
InV ohne SBV:
InV mit IA:
15
3
2
1
2
6. Überblick über Regelungen zum Monitoring der Integrationsvereinbarungen
Überblick über Anzahl der IntV mit Regeln zu Berichts- und/oder Überwachungspflichten
Nur Berichtspflichten
Nur Überw.pflichten
Überw.- und
Berichtspflichten
Weder Überw.- noch
Berichtspflichten
20
14
43
18
8.1.2 Stichprobe 2
Auswertungsergebnisse neuer Integrationsvereinbarungen(IntVen)
(Abschluss nach dem 01.06.2004; n = 21)
1. Persönlicher Geltungsbereich
- Nur Schw. Mitarbeiter:
12
- Behind. Mitarbeiter:
0
- Sonstige Mitarbeiter:
9
2. Aufgeführte Maßnahmen
- Zur Arbeitsplatzerhaltung: in insgesamt 21 IntVereinbarungen
o
o
o
o
o
© iqpr Köln
Arbeitsplatz/-umfeldgestaltung:
Arbeitsplatzanpassung:
Anpassung der Arbeitsorganisation:
Flexible Arbeitszeiten:
Qualifizierungsmaßnahmen:
16
20
8
18
16
116
Anhang
Sonderparkplätze:
§ 84 Abs. 1 SGB IX:
§ 84 Abs. 2 SGB IX a.F:
Vorgesetztenqualifizierung:
Stufenweise Wiedereingliederung:
Integrationsprojekte:
Arbeitsassistenz:
Kontakterhaltung bei Langzeiterkrankung:
Wiedereingliederungsgespräche
inkl. Beratung/besonderen Angeboten:
o Qualifizierung SBV:
o Bonus-Malus-System zur SB-Quote
o
o
o
o
o
o
o
o
o
11
10
4
11
6
3
6
6
1
1
In den neuen Integrationsvereinbarungen erstmals genannte Maßnahmen:
o Aufnahme ins Unternehmensleitbild
2
„Beschäftigung Schwerbehinderter“
o Bes. Begleitung eines AP-wechsels
10
o § 84 Abs. 2 SGB IX:
7 (davon 2mal nur für SB)
- Zur Gesundheitserhaltung: in insgesamt 4 IntVereinbarungen
o
o
o
o
o
o
Gesundheitsfördernde Maßnahmen allg.:
Behindertensport fördern:
Gesundheitszirkel:
Wiederherstellung der Gesundheit:
Diätspeisen und -lebensmittel:
Mobilitätstraining:
2
2
1
Erstmals in den neuen IntVereinbarungen erwähnte Maßnahmen
o Spezielle Angebote des BÄD
2
o Rückenschule
2
o Schulung Heben und Tragen von Lasten 2
o Schulung Unfallverhütung/ASi
2
o Schulung Bildschirm-AP:
2
o Schulung Stressbewältigung
2
3. AU-Zeit als Interventionssignal
(in insgesamt 12 der neuen IntVereinbarungen, z.T. doppelt gezählt)
- längere Erkrankung:
6
- mehr als 3 Monate:
2
- mehr als 6 Wochen:
7
117
© iqpr Köln
Anhang
4. In den IntVereinbarungen genannte Akteure
- Interne
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
SBV:
Betriebs/Personalrat:
Personalabteilung:
Arbeitgeber:
Vorgesetzte:
Arbeitsmedizinischer/personalärztl. Dienst
/ Betriebsarzt:
Arbeitgeberbeauftragter:
Integrationsteam:
Betr.-int. Arbvermittlung:
JAV:
FaSi:
Frauen/Gleichstellungsbeauftragte:
21
19
8
15
11
10
5
11
2
3
2
2
Akteure, die zum ersten mal in den neuen IntVereinbarungen benannt wurden:
o Fortbildungsbeauftragte:
2
o Betriebspsychologen:
2
o Ausbildungsleitung:
2
- Externe
o
o
o
o
o
o
o
Reha-Träger:
Integrationsamt (IntA):
IFD:
Behandelnder Arzt (behA)
Arbeitsamt (BA):
Unfallversicherung (UV):
Rentenversicherung(RV)
4
17
7
3
12
1
2
5. Besondere Arten von IntVereinbarungen:
o
o
Betriebsvereinbarung:
IntVereinbarung mit IntA:
1
1
6. Überblick über Regelungen zum Monitoring der Integrationsvereinbarungen
Überblick über die Anzahl der Integrationsvereinbarungen, in denen sich Regelungen zur
Berichts- und/oder Überwachungspflichten finden
Nur Berichtspflichten
Nur Überw.pflichten
Überw.- und
Berichtspflichten
Weder Überw.- noch
Berichtspflichten
2
3
8
8
© iqpr Köln
118
Anhang
8.2 Veröffentlichungen
Im Rahmen des Projektes "Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben" sind zur Thematik
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management folgende Veröffentlichungen entstanden. Die Veröffentlichungen im Eigenverlag (kursiv gesetzt) sind zudem im
Volltext abgedruckt.
119
•
Hetzel C, Flach T, Mozdzanowski M (geplant 2007): Mitarbeiter krank – was tun!?
Praxishilfen zur Umsetzung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen
und mittleren Unternehmen. Universum-Gentner-Verlag.
•
Hetzel C, Flach T (2006) Mitarbeiter krank – was tun!? Praxishilfen zur Umsetzung
des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen
(Kurzfassung). Köln: Eigenverlag iqpr.
•
Flach T, Hetzel C, Mozdzanowski M (2006): Auditierung des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Köln: Eigenverlag iqpr.
•
Hetzel C, Flach T, Mozdzanowski M, Schian H-M (2006): Wie lässt sich die Qualität
des betrieblichen Eingliederungsmanagements messen? Die BG, 11, 516-519.
•
Flach T, Hetzel C, Mozdzanowski M, Schian H-M (2006): Standard des betrieblichen
Eingliederungsmanagements und dessen Auditierung. Die Rehabilitation, 45, 316321.
•
Hetzel C., Flach T., Weber A., Schian H.-M. (2006): Zur Problematik der Implementierung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen. Das Gesundheitswesen, Heft Nummer 68, S. 303–308.
•
Hetzel C, Dalitz S, Schian H-M, Flach T (2005): Mitarbeiter krank – was tun!? Wichtige Informationen für kleine und mittlere Unternehmen. Informationen und Handlungsempfehlungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch IX. Köln: Eigenverlag iqpr.
•
Hetzel C, Flach T, Schian H-M (2005): Betriebliches Eingliederungsmanagement zur
Verhinderung von Ausgliederung - Akzeptanz und Kompetenz in kleinen und mittleren Unternehmen. Journal of Public Health Zeitschrift für Gesundheitswissenschaften, Volume 13 Supplement 1, November 2005, S61-S62.
•
Hetzel C, Flach T, Marquardt D (2005): Ergebnisse einer Befragung von kleinen und
mittleren Unternehmen zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer
Krankheit. Materialien aus dem Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln, Juli 2005, Köln: iqpr
© iqpr Köln
Anhang
8.3 Ergebnisse einer Befragung von kleinen und mittleren Unternehmen zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach
längerer Krankheit
© iqpr Köln
120
Anhang
8 Anhang
8.1 Anhang Kapitel 6 – Integrationsvereinbarungen
Details zu den Auswertungsergebnissen
8.1.1 Stichprobe 1
Auswertungsergebnisse Integrationsvereinbarungen, die vor dem 01.06.2004 abgeschlossen wurden (n = 95)
1. Persönlicher Geltungsbereich
- Nur Schwbeh. Mitarbeiter:
46
- Behind. Mitarbeiter:
18
- Sonstige Mitarbeiter:
31
2. Aufgeführte Maßnahmen
- Zur Arbeitsplatzerhaltung: in insgesamt 95 IntVereinbarungen
Arbeitsplatzgestaltung:
Arbeitsplatzanpassung:
Flexible Arbeitszeiten:
Qualifizierungsmaßnahmen:
Sonderparkplätze:
§ 84 Abs. 1 SGB IX:
§ 84 Abs. 2 SGB IX:
Vorgesetztenqualifizierung:
Stufenweise Wiedereingliederung:
Integrationsprojekte:
Arbeitsassistenz:
Anpassung der Arbeitsorganisation:
Kontakterhaltung bei Langzeiterkrankung::
Wiedereingliederungsgespräche:
inkl. Beratung:
o Qualifizierung SBV:
o Bonus-Malus-System:
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
62
23
65
53
42
36 (davon 2x auch für Behind.)
16
40
18
6
5
15
3
7
2
3
- Zur Gesundheitserhaltung: in insgesamt 26 Intvereinbarungen, (33 inkl. Unfallverhütungsregelungen)
o
o
© iqpr Köln
Gesundheitsfördernde Maßnahmen:
Behindertensport fördern:
14
7
112
Anhang
o
o
o
Gesundheitszirkel:
Wiederherstellung der Gesundheit:
Diätspeisen und -lebensmittel:
9
3
1
3. AU-Zeit als Interventionssignal
(z.T. doppelt gezählt)
- längere Erkrankung:
7
- mehr als 3 Monate:
18
- mehr als 6 Wochen:
4
4. In den IntVereinbarungen genannte Akteure
- Intern
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
SBV:
88
Betriebs/Personalrat:
68
Personalabteilung:
37
Arbeitgeber:
34
JAV:
4
Arbeitsassistenz:
2
Vorgesetzte:
37
Arbeitsmedizinischer/personalärztl. Dienst:44
/ Betriebsarzt:
Arbeitgeberbeauftragter:
45
Fachkraft für Arbeitssicherheit:
28
Techn. Beratungsdienst:
3
Dienststelle:
5
Betriebliche Sozialberatung:
3
Frauenbeauftragte:
5
Verwaltung:
2
Parkplatzkommission:
1
Führungskräfte:
8
Integrationsteam:
43
o
o
o
o
o
o
o
Gemeinsame Servicestellen:
Reha-Träger:
Integrationsamt:
Fürsorgestellen:
Techn. Dienst des Integrationsamtes:
Behindertenbeauftragter:
IfbG:
o
o
o
o
o
o
o
o
- Extern
113
1
19
58
2
7
1
1
© iqpr Köln
Anhang
o
o
o
o
o
o
o
o
IFD:
Behandelnder Arzt:
Arbeitsamt:
Techn. Dienst des Arbeitsamtes:
BG:
Sozialdienst:
Stadtverwaltung:
Berufsbegleitender Dienst:
13
7
27
3
3
2
2
1
5. Besondere Arten von IntVereinbarungen:
o
o
o
o
o
BV:
BV ohne SBV:
InV ohne BR:
InV ohne SBV:
InV mit IA:
15
3
2
1
2
6. Überblick über Regelungen zum Monitoring der Integrationsvereinbarungen
Überblick über Anzahl der IntV mit Regeln zu Berichts- und/oder Überwachungspflichten
Nur Berichtspflichten
Nur Überw.pflichten
Überw.- und
Berichtspflichten
Weder Überw.- noch
Berichtspflichten
20
14
43
18
8.1.2 Stichprobe 2
Auswertungsergebnisse neuer Integrationsvereinbarungen(IntVen)
(Abschluss nach dem 01.06.2004; n = 21)
1. Persönlicher Geltungsbereich
- Nur Schw. Mitarbeiter:
12
- Behind. Mitarbeiter:
0
- Sonstige Mitarbeiter:
9
2. Aufgeführte Maßnahmen
- Zur Arbeitsplatzerhaltung: in insgesamt 21 IntVereinbarungen
o
o
o
o
o
© iqpr Köln
Arbeitsplatz/-umfeldgestaltung:
Arbeitsplatzanpassung:
Anpassung der Arbeitsorganisation:
Flexible Arbeitszeiten:
Qualifizierungsmaßnahmen:
16
20
8
18
16
114
Anhang
Sonderparkplätze:
§ 84 Abs. 1 SGB IX:
§ 84 Abs. 2 SGB IX a.F:
Vorgesetztenqualifizierung:
Stufenweise Wiedereingliederung:
Integrationsprojekte:
Arbeitsassistenz:
Kontakterhaltung bei Langzeiterkrankung:
Wiedereingliederungsgespräche
inkl. Beratung/besonderen Angeboten:
o Qualifizierung SBV:
o Bonus-Malus-System zur SB-Quote
o
o
o
o
o
o
o
o
o
11
10
4
11
6
3
6
6
1
1
In den neuen Integrationsvereinbarungen erstmals genannte Maßnahmen:
o Aufnahme ins Unternehmensleitbild
2
„Beschäftigung Schwerbehinderter“
o Bes. Begleitung eines AP-wechsels
10
o § 84 Abs. 2 SGB IX:
7 (davon 2mal nur für SB)
- Zur Gesundheitserhaltung: in insgesamt 4 IntVereinbarungen
o
o
o
o
o
o
Gesundheitsfördernde Maßnahmen allg.:
Behindertensport fördern:
Gesundheitszirkel:
Wiederherstellung der Gesundheit:
Diätspeisen und -lebensmittel:
Mobilitätstraining:
2
2
1
Erstmals in den neuen IntVereinbarungen erwähnte Maßnahmen
o Spezielle Angebote des BÄD
2
o Rückenschule
2
o Schulung Heben und Tragen von Lasten 2
o Schulung Unfallverhütung/ASi
2
o Schulung Bildschirm-AP:
2
o Schulung Stressbewältigung
2
3. AU-Zeit als Interventionssignal
(in insgesamt 12 der neuen IntVereinbarungen, z.T. doppelt gezählt)
- längere Erkrankung:
6
- mehr als 3 Monate:
2
- mehr als 6 Wochen:
7
115
© iqpr Köln
Anhang
4. In den IntVereinbarungen genannte Akteure
- Interne
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
SBV:
Betriebs/Personalrat:
Personalabteilung:
Arbeitgeber:
Vorgesetzte:
Arbeitsmedizinischer/personalärztl. Dienst
/ Betriebsarzt:
Arbeitgeberbeauftragter:
Integrationsteam:
Betr.-int. Arbvermittlung:
JAV:
FaSi:
Frauen/Gleichstellungsbeauftragte:
21
19
8
15
11
10
5
11
2
3
2
2
Akteure, die zum ersten mal in den neuen IntVereinbarungen benannt wurden:
o Fortbildungsbeauftragte:
2
o Betriebspsychologen:
2
o Ausbildungsleitung:
2
- Externe
o
o
o
o
o
o
o
Reha-Träger:
Integrationsamt (IntA):
IFD:
Behandelnder Arzt (behA)
Arbeitsamt (BA):
Unfallversicherung (UV):
Rentenversicherung(RV)
4
17
7
3
12
1
2
5. Besondere Arten von IntVereinbarungen:
o
o
Betriebsvereinbarung:
IntVereinbarung mit IntA:
1
1
6. Überblick über Regelungen zum Monitoring der Integrationsvereinbarungen
Überblick über die Anzahl der Integrationsvereinbarungen, in denen sich Regelungen zur
Berichts- und/oder Überwachungspflichten finden
Nur Berichtspflichten
Nur Überw.pflichten
Überw.- und
Berichtspflichten
Weder Überw.- noch
Berichtspflichten
2
3
8
8
© iqpr Köln
116
Anhang
8.2 Veröffentlichungen
Im Rahmen des Projektes "Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben" sind zur Thematik
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Disability Management folgende Veröffentlichungen entstanden. Die Veröffentlichungen im Eigenverlag (kursiv gesetzt) sind zudem im
Volltext abgedruckt.
117
•
Hetzel C, Flach T, Mozdzanowski M (geplant 2007): Mitarbeiter krank – was tun!?
Praxishilfen zur Umsetzung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen
und mittleren Unternehmen. Universum-Gentner-Verlag.
•
Hetzel C, Flach T (2006) Mitarbeiter krank – was tun!? Praxishilfen zur Umsetzung
des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen
(Kurzfassung). Köln: Eigenverlag iqpr.
•
Flach T, Hetzel C, Mozdzanowski M (2006): Auditierung des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Köln: Eigenverlag iqpr.
•
Hetzel C, Flach T, Mozdzanowski M, Schian H-M (2006): Wie lässt sich die Qualität
des betrieblichen Eingliederungsmanagements messen? Die BG, 11, 516-519.
•
Flach T, Hetzel C, Mozdzanowski M, Schian H-M (2006): Standard des betrieblichen
Eingliederungsmanagements und dessen Auditierung. Die Rehabilitation, 45, 316321.
•
Hetzel C., Flach T., Weber A., Schian H.-M. (2006): Zur Problematik der Implementierung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in kleinen und mittleren Unternehmen. Das Gesundheitswesen, Heft Nummer 68, S. 303–308.
•
Hetzel C, Dalitz S, Schian H-M, Flach T (2005): Mitarbeiter krank – was tun!? Wichtige Informationen für kleine und mittlere Unternehmen. Informationen und Handlungsempfehlungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch IX. Köln: Eigenverlag iqpr.
•
Hetzel C, Flach T, Schian H-M (2005): Betriebliches Eingliederungsmanagement zur
Verhinderung von Ausgliederung - Akzeptanz und Kompetenz in kleinen und mittleren Unternehmen. Journal of Public Health Zeitschrift für Gesundheitswissenschaften, Volume 13 Supplement 1, November 2005, S61-S62.
•
Hetzel C, Flach T, Marquardt D (2005): Ergebnisse einer Befragung von kleinen und
mittleren Unternehmen zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer
Krankheit. Materialien aus dem Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln, Juli 2005, Köln: iqpr
© iqpr Köln
Anhang
8.3 Ergebnisse einer Befragung von kleinen und mittleren Unternehmen zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach
längerer Krankheit
© iqpr Köln
118
Ergebnisse einer Befragung
von kleinen und mittleren Unternehmen
zur frühzeitigen Eingliederung
von Mitarbeitern nach längerer Krankheit
Christian Hetzel, Thorsten Flach, Daniela Marquardt
Juli 2005
Hetzel, Christian; Flach, Thorsten; Marquardt, Daniela (2005): Ergebnisse einer Befragung
von kleinen und mittleren Unternehmen zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach
längerer Krankheit. Materialien aus dem Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln, Juli 2005, Köln: iqpr
iqpr
Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH
an der Deutschen Sporthochschule Köln
Sürther Str. 171
50999 Köln
Tel.:
Fax:
0221/3597-550
0221/3597-555
Mail:
[email protected]
Internet : http://www.iqpr.de
Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit
Inhalt
1
2
3
Fragestellungen ................................................................................................................4
Beschreibung des Samples ..............................................................................................4
Handlungsvoraussetzungen..............................................................................................6
3.1
Erfahrungen und grundlegende Einstellungen zum Thema Wiedereingliederung ...6
3.2
Problembewusstsein ................................................................................................7
3.3
Potenzielle Eingliederungsmöglichkeiten .................................................................8
3.4
Nutzenbewertung ...................................................................................................10
4 Aktivitäten........................................................................................................................12
4.1
Kontakt zum Mitarbeiter..........................................................................................12
4.2
Experten einbinden.................................................................................................13
4.3
Kollegen und Vorgesetzte einbinden ......................................................................13
4.4
Anreize für Mitarbeiter einsetzen ............................................................................13
4.5
Durchführung der Wiedereingliederung..................................................................14
4.6
Aktivitäten zur Gesundheitsförderung und Prävention ...........................................14
5 Konkrete Erwartungen an externe Unterstützung ...........................................................14
5.1
Externe Experten ....................................................................................................14
5.2
Externer zentraler Ansprechpartner „Disability Manager“.......................................15
6 Fazit: Förderfaktoren und Barrieren ................................................................................16
iqpr Köln
Seite 3 von 18
CH,TF,DM
Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit
1 Fragestellungen
Demographischer Wandel und § 84 Abs. 2 SGB IX erfordern vom Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement, wenn Beschäftigte länger oder wiederholt arbeitsunfähig
sind. Ziel ist es Ausgliederung zu verhindern. Wegen fehlender personeller, zeitlicher und
fachlicher Ressourcen besteht in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ein Umsetzungsdefizit.
Wiedereingliederung von Mitarbeitern ist eine Führungsaufgabe, die mit entsprechender
Personal- und Organisationsentwicklung einhergehen sollte. Daher ist es Ziel der Untersuchung, Einstellungen, Aktivitäten sowie konkrete Vorschläge und Erwartungen von Geschäftsführern in KMU hinsichtlich frühzeitiger Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer
oder wiederholter Krankheit zu erfassen, um daraus Erkenntnisse für die Gestaltung von
Unterstützungskonzepten ableiten zu können.
Folgende Fragestellungen stehen im Vordergrund:
• Wie relevant ist das Thema „längere Erkrankung / gesundheitliche Einschränkung“ für
den Betrieb?
• Welche Möglichkeiten bestehen und wie wird der Nutzen bewertet, Mitarbeiter nach
längerer Erkrankung frühzeitig einzugliedern und weiter zu beschäftigen?
• Welche Erfahrungen liegen vor, gesundheitlich beeinträchtigte Mitarbeiter weiter zu
beschäftigen, d.h.
o Welche Aktivitäten (Kontakt zum Mitarbeiter, Einbindung von Experten, Fördermittel, Arbeitsplatzanpassung, Umsetzung, Teilzeit etc.) wurden durchgeführt?
o Welche Faktoren waren förderlich bzw. hinderlich?
• Kennen die Unternehmen die gesetzlichen Regelungen zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement gem. § 84 SGB IX?
• Welche konkreten Erwartungen an externe Unterstützung (überbetriebliche Akteure,
Disability Manager) werden formuliert?
• Welche Indikatoren lassen sich finden, die frühzeitige Eingliederung nach längerer
Erkrankung fördern bzw. behindern?
• Wie müssten Unterstützungskonzepte für die Weiterbeschäftigung von gesundheitlich
beeinträchtigten Mitarbeitern ausgestaltet sein?
Es wird eine mündliche leitfadenorientierte Befragung durchgeführt. Die Interviews wurden
mit Einverständnis der Befragten aufgezeichnet. Fast alle Interviews wurden transkribiert,
von einem Interview wurde ein Gedächtnisprotokoll angefertigt. Das zentrale Kriterium für die
inhaltsanalytische Auswertung der Gespräche liegt auf der Beschreibung der Geschäftsführer hinsichtlich deren Kenntnisse, den grundlegenden Einstellungen, den bisherigen betrieblichen Aktivitäten und den konkreten Erwartungen an externe Unterstützung.
2 Beschreibung des Samples
Die befragten Unternehmen weisen nachfolgende Strukturmerkmale auf. Vor dem Hintergrund der Tätigkeitsanforderungen wurden die Unternehmen kategorisiert:
• hohe körperliche Anforderungen: verarbeitendes Gewerbe, Bau, Gesundheitsdienst
• überwiegend sitzende Bürotätigkeit: Verwaltung
• wechselnde körperliche Anforderungen: Handel, Dienstleistung
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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit
verarb. Gewerbe, Bau,
Gesundheitsdienst
„hohe körperliche
Anforderungen“
Verwaltung
Handel, Dienstleistung
„Büro“
„wechselnde körperliche Anforderungen“
2
1
3
6
1
1
2
2
2
1
5
Unternehmen mit ... MA
• 1-9
• 10-49
• 50-99
• 100-250
Σ
Σ
3
4
1
5
13
Nachfolgend werden die befragten Unternehmen kurz charakterisiert. Es wird die Branchenzuordnung, das Tätigkeitsspektrum, relevante Strukturen und die Anzahl der Mitarbeiter angegeben. Zitate aus den Interviews werden unter Angabe des entsprechenden Kürzels angegeben.
Kürzel
A_5
B_8
C_8
D_13
E_14
F_16
G_27
H_55
I_160
J_173
Kurzcharakteristik
Dienstleister für Audio- und Video-Produkte
Bürotätigkeiten
Fachhandel Haustechnik
überwiegend Bürotätigkeiten, Lagertätigkeiten
Fachhandel für Messtechnik
überwiegend Bürotätigkeit; 2 Geschäftsführer,
QM-System geplant
Gärtnerei und Landschaftsbau
hohe körperliche Anforderungen (heben, bücken, Klima)
externe Personalverw.
Veranstaltungstechnik
Bürotätigkeiten; im Außendienst: Auf-/Abbau
von Ausstattung, Arbeitszeitspitzen
EDV-Handel und Dienstleistung
Bürotätigkeiten, im Außendienst geringe körperliche Anforderungen
Kunststoffverarbeitung
z.T. sehr hohe körperliche Anforderungen
(schweres Heben), 3-Schicht-Betrieb; überwiegend ungelernte Mitarbeiter
Altenpflege
sehr hohe körperliche Anforderungen (Heben,
Bücken);
Sozialtherapeutische Dienstleistungen
Beratung, Betreuung, Beschäftigung und Vermittlung von Behinderten; QM-System in Teilbereichen
Metallverarbeitung
körperliche Anforderungen
K_280
Maschinenbau
körperliche Anforderungen
L_270
Finanzamt
Bürotätigkeiten
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Strukturen
MA
5
8
externe Personalverw.
8
externer Betriebsarzt
12
externe Personalverw.
14
16
externer Betriebsarzt und
FaSi
23 gewerbl.,
4 admin.
Mitarbeitervertretung, Betriebsarzt
55
Mitarbeitervertretung
Schwerbeh.-vertretung
externer Betriebsarzt und
FaSi
Mitarbeitervertretung
Schwerbeh.-vertretung
FaSi
externer Betriebsarzt
Mitarbeitervertretung
Schwerbeh.-vertretung
FaSi
externer Betriebsarzt
Mitarbeitervertretung
Schwerbeh.-vertretung
Gleichstellungsbeauftragte
Gesundheitsbeauftragte
Personalverwaltung
110 geistig,
40 körperliche
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153 gewerbl., 20
admin.
260 gewerbl., 20
admin.
270
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3 Handlungsvoraussetzungen
Aktivitäten hinsichtlich frühzeitiger Wiedereingliederung setzen voraus, dass ein Problembewusstsein vorliegt, dass Eingliederungsmöglichkeiten bestehen und dass die Aktivitäten als
nutzenbringend bewertet werden. Positive oder negative Erfahrungen mit Wiedereingliederung wirken ebenfalls handlungsleitend.
3.1 Erfahrungen und grundlegende Einstellungen zum Thema Wiedereingliederung
Die Geschäftsführer wurden gefragt nach grundlegenden Einstellungen und nach Erfahrungen im Umgang mit Mitarbeitern, die gesundheitliche Einschränkungen haben oder längere
Zeit krank waren.
Die meisten der befragten Unternehmer haben Erfahrungen im Umgang mit gesundheitlich
eingeschränkten Mitarbeitern gesammelt, sei es mit Wiedereingliederung oder Neueinstellung. Die Erfahrungen in den kleineren Unternehmen beschränken sich auf wenige Einzelfälle, in den mittelständischen Unternehmen sind die Erfahrungen vielfältiger. In den kleinen
Unternehmen sind die befragten Führungskräfte wegen der flachen Hierarchien meist direkt
in Wiedereingliederungsaktivitäten eingebunden. In den mittelgroßen Unternehmen haben
die Befragten häufig eine mittelbare Rolle, weil die operative Umsetzung dann bei den direkten Vorgesetzten oder Arbeitnehmervertretern liegt.
Aus der Sicht der befragten Führungskräfte ist Eingliederungsarbeit in der Regel dann erfolgreich, wenn der jeweilige Mitarbeiter motiviert ist und zur Arbeit zurückkehren will. Die Eigenverantwortung des Mitarbeiters wird als der Kern zum Wiedereingliederungserfolg bewertet.
Darüber hinaus muss ein Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten gegeben sein.
„Wenn das ein vernünftiger Mitarbeiter ist, dann würde ich auch alles dafür tun.“
(B_8)
„Eine Gruppe von kranken Mitarbeitern will wieder arbeiten, die andere genießt
das Fernbleiben vom Betrieb.“ (K_280)
Als weitere Erfolgsfaktoren werden genannt kooperativer Führungsstil, aufgeschlossenes
Vorgesetztenverhalten, kooperatives Kollegenverhalten und eine faire Personalpolitik. Dabei
kommt dem Arbeitgeber eine tragende Rolle zu. Beispielsweise solle die Kooperationsbereitschaft ein Kriterium für die Leistungsbeurteilung von Vorgesetzten sein.
„Man muss offen mit den Mitarbeitern umgehen ... alles andere funktioniert nicht.“
(F_16)
„Ich glaube das Entscheidende [bei der Eingliederung] ist das Betriebsklima, das
spielt die größte Rolle ... gegenseitige Kooperation ... Zusammenhalt in der Belegschaft.“ (L_270)
Es wurden auch weniger förderliche Einstellungen deutlich. So werden von einer Führungskraft die Mitarbeiter zu reinen Kostenfaktoren degradiert. In einem anderen Betrieb werden
Mitarbeiter nach Ende der Entgeltfortzahlung so schnell wie möglich durch eine Ersatzkraft
ersetzt. In den Augen eines anderen Befragten können Mitarbeiter nur ganz oder gar nicht
arbeiten, Zwischenstufen werden nicht zugelassen. Bei einigen Befragten ist der Gedanke
völlig fremd, durch frühen Kontakt zum Mitarbeiter und entsprechende Maßnahmen eine
Eingliederung beschleunigen zu können.
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3.2 Problembewusstsein
Es wurde danach gefragt, wie relevant die Themen Krankheit und Wiedereingliederung für
den Betrieb sind, ob erhöhte Risiken auf Mitarbeiter- bzw. Arbeitsplatzseite vorhanden sind
und ob die gesetzlichen Verpflichtungen zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement bekannt sind.
Das Thema Krankheit wird in den Unternehmen grundsätzlich als relevant eingestuft. Insbesondere in Kleinunternehmen werfen krankheitsbedingte Fehlzeiten erhebliche organisatorische Schwierigkeiten auf, z.B. Aufträge können nicht oder nicht fristgerecht abgearbeitet
werden, Kollegen werden noch mehr belastet, Qualifikation fehlt, Maschinen stehen still.
Dies kann sogar soweit führen, dass die betriebliche Existenz gefährdet ist. In vielen Unternehmen, insbesondere in den kleineren, wurden in diesem Zusammenhang weitere Belastungen wie der hohe Kosten-, Konkurrenz- und Leistungsdruck, die eingeschränkte Kreditwürdigkeit und die hohen Lohnnebenkosten thematisiert. Die Leiterin eines kleinen Dienstleistungsbetriebs erklärt:
„Ich meine klar, nur wenn man gesunde Mitarbeiter hat kann man gut arbeiten.
Ganz klar. Es spielt, denke ich, auch eine sehr große Rolle, sobald hier ein Mitarbeiter ausfällt und sei es nur für eine Woche krank, spüren das natürlich die
anderen Mitarbeiter erheblich. Das heißt, die sind alle schon sehr stark mit Arbeit
ausgelastet. Also können wir uns eigentlich fast gar nicht leisten, dass wir krank
werden.“ (A_5)
Insgesamt wird Krankheit – und auch Gesundheit – einerseits als wichtig bewertet. Andererseits sind diese Themen eher Randthemen und kein potenzielles Handlungsfeld, die meisten
Unternehmen verhalten sich eher passiv. Das Thema frühzeitige Wiedereingliederung ist für
die kleineren Unternehmen erst dann wichtig, wenn konkrete Fälle vorliegen. Man baut auf
„Feuerlöschen“ und „Notfallmanagement“: die Dinge werden dann geregelt wenn sie anfallen. Langzeiterkrankungen sind in den meisten kleineren Unternehmen die Ausnahme.
„Krankheit ist ein Thema, was wir hoffen erst möglichst spät angehen zu müssen
... Im Moment haben wir das Glück, dass unsere Belegschaft relativ fit ist.“ (C_8)
Für den Leiter eines mittelgroßen Altenpflegeheims ist Wiedereingliederung nach längerer
Erkrankung überhaupt kein Thema. Er begründet seine abwehrende Haltung damit, motivierte Mitarbeiter sollten eingliederungsbezogene Themen mit dem Betriebsarzt besprechen.
„Dann versuchen wir, wenn die 6-Wochen-Frist erfüllt ist, d.h. also dass er aus
der Lohnfortzahlung raus ist, dass wir das irgendwie ersetzen können ... Externen oder Teilzeitmitarbeitern eine volle Wochenarbeitszeit geben.“ (H_55)
In einem mittleren Produktionsbetrieb spielt das Thema langfristige Integration von leistungsgewandelten Mitarbeitern eine wichtige Rolle. Während früher Frühverrentung und
Werksrente mit gegebenenfalls einer Abfindung häufig das Mittel der Wahl gewesen sind,
müssen jetzt integrative Lösungen gefunden werden. Der Krankenstand in diesem Betrieb
liegt über dem Branchendurchschnitt.
Abgesehen von dieser Ausnahme werden die Krankenstände in den befragten Unternehmen
als unauffällig, normal oder durchschnittlich beschrieben. Eine systematische Auswertung
der Fehlzeiten wird allein in dem zuvor beschriebenen mittleren Betrieb des produzierenden
Gewerbes vorgenommen. Als Kernergebnis wird genannt, dass ca. 1/3 der Krankheiten
Scheinkrankheiten im Kurzzeitbereich sind.
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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit
Ein erhöhtes Erkrankungsrisiko wird in allen Unternehmen gesehen, in denen hohe körperliche Anforderungen vorliegen. Hier werden überwiegend Rückenbeschwerden genannt. In
einigen Unternehmen werden hohe psychische Belastungen beschrieben durch Arbeitsverdichtung, hohe Flexibilitätsanforderungen, Arbeitszeitschwankungen. In all diesen Unternehmen wird frühzeitige Eingliederung als schwierig bewertet, vielmehr wird der Prävention
eine größere Bedeutung beigemessen – entsprechende Maßnahmen werden jedoch nur
eingeschränkt umsetzt.
Einzelne Mitarbeiter mit erhöhtem Krankheitsrisiko gibt es in den meisten Unternehmen. Die
befragten Führungskräfte haben zu diesen Fällen mehr oder weniger begründete Theorien
im Kopf. Diese reichen von „Abstempeln als Simulant“ über „Verdacht auf Alkoholabusus“ bis
hin zu „Wissen über Krankheiten“ und „altersbedingt“. Im Falle von Verdachtsmomenten
wünschen sich einige Befragte einen kompetenten Ansprechpartner, bei dem Sie das nötige
Wissen über nächste Handlungsschritte erhalten können.
In den mittleren Unternehmen wurde zusätzlich danach gefragt, ob es Mitarbeitergruppen mit
einem erhöhten Krankheitsrisiko gibt. Die Gruppe „ältere Mitarbeiter“ wurde von keinem Betrieb als Problemgruppe thematisiert. Das bedeutet aber nicht, dass die Problematik nicht bei
einzelnen Mitarbeitern gesehen wird. Den schwerbehinderten Mitarbeitern werden meistens
unterdurchschnittliche Fehlzeiten bescheinigt. Ein Betrieb führt jedoch an:
„Schwerbehinderte sind teilweise häufiger krank. Ob man jetzt zu denen schwarze Schafe sagt oder nicht, sie wissen ja wie es ist. Die einen nehmen ihre
Schwerbehinderung als Entschuldigung, die anderen sind tatsächlich krank.“
(K_280)
Das Unternehmen für sozialtherapeutische Dienstleistungen beschäftigt eine größere Zahl
von psychisch erkrankten Mitarbeitern. Diese sind durchschnittlich krank. Allerdings fehlen
sie lange, wenn sie einmal krank sind.
Die gesetzlichen Verpflichtungen zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement sind nur in
zwei der insgesamt 14 Unternehmen bekannt gewesen. Die befragten Führungskräfte bewerteten die Verpflichtungen aus § 84 Abs. 2 SGB IX teilweise als überflüssig, teilweise reagierten sie mit Unverständnis. Das Unternehmen für sozialtherapeutische Dienstleistungen
war mit den Regelungen vertraut. Der Leiter eines Finanzamts war informiert, bewertet die
Regelungen aber für seine Behörde als unproblematisch.
„Das was der § 84 will, ich sag mal, das ist für uns kein Problem ... ich glaube
dass das hauptsächlich ein Problem ist, die körperlich arbeiten. Bei uns ist
Schreibtischarbeit, der Kopf ist ja noch klar. Man muss nur sitzen können.“
(L_270)
Allerdings will der Befragte auch eine Zunahme psychischer Erkrankungen in anderen Behörden feststellen, was im Erkrankungsfall die obige Argumentation entkräftet.
3.3 Potenzielle Eingliederungsmöglichkeiten
Im Dialog mit der Führungskraft wurden Möglichkeiten diskutiert, wie ein Mitarbeiter mit gesundheitlichen Einschränkungen oder nach längerer Erkrankung frühzeitig wieder arbeiten
kann. Thematisiert wurden Teilzeitmodelle insbesondere im Rahmen einer Stufenweisen
Wiedereingliederung, innerbetriebliche Umsetzung, technische Arbeitsplatzanpassung und
Veränderung der Arbeitsorganisation.
Grundsätzlich konnten in fast allen befragten Unternehmen Möglichkeiten zur frühzeitigen
Eingliederung identifiziert werden, allerdings ist die Vielfalt der Möglichkeiten häufig eingeiqpr Köln
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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit
schränkt. Keine Möglichkeiten zur Wiedereingliederung sieht nur ein Betrieb, und zwar das
Altenpflegeheim.
„Ich sehe keine Möglichkeiten. Entweder ganz oder gar nicht arbeiten.“ (H_55)
In den kleineren Unternehmen können in der Regel individuelle Wiedereingliederungsmöglichkeiten geschaffen werden, solange die gesundheitliche Einschränkung nur temporärer Art
ist. Dann werden Teilzeitmodelle, Umsetzung und Veränderung der Arbeitsorganisation sowie Kombinationen aus diesen Möglichkeiten häufig umgesetzt. Die Kollegen werden von
Mehrarbeit entlastet und unterstützen den Betroffenen, der Chef bzw. der Vorgesetzte nimmt
den erhöhten organisatorischen Aufwand in Kauf.
Teilzeitmodelle sind fast immer möglich und werden auch häufig umgesetzt. Es gibt aber
auch Ausnahmen. Bei einem kleinen Produktionsbetrieb ist wegen Schichtbetrieb eine Stückelung der täglichen Arbeitszeit nur mit erheblichem organisatorischem Aufwand möglich –
eine tageweise Wiedereingliederung wäre aber möglich, wurde bislang aber noch nicht erwogen. In einem Altenpflegeheim wird Teilzeitarbeit als sinnlos bezeichnet, weil die hohen
körperlichen Anforderungen schließlich gleich bleiben – auch hier ist tageweise Wiedereingliederung derzeit kein Thema.
Innerbetriebliche Umsetzungen werden von den kleineren Unternehmen insgesamt eher als
schwierig bewertet, weil häufig keine Arbeitsplätze mit den entsprechenden Anforderungen
zur Verfügung stehen, weil alle Arbeitsplätze ähnliche Anforderungen haben, weil jeder Mitarbeiter Spezialist auf seinem Gebiet ist und/oder Qualifikationsgefälle bestehen.
„Bei uns muss jeder alles können.“ (C_8)
In zwei Kleinunternehmen mit überwiegender Bürotätigkeit könnten Heimarbeitsplätze zwar
mit technischem Aufwand, aber immerhin eingerichtet werden. In einem anderen Betrieb
wurde eine Umsetzung vom Außen- in den Innendienst realisiert.
Allen Kleinunternehmen gemeinsam: besteht die Leistungseinschränkung des Betroffenen
längerfristig oder sogar permanent, dann wird eine dauerhafte Integration schwierig. Die Zusatzbelastungen für die Beteiligten sind dann nur noch bedingt tragbar. Die dauerhafte Leistungseinschränkung wird zum Unternehmensschicksal, das die betriebliche Existenz gefährdet.
„Ja, ich meine gerade im Bereich der Pflege ist das natürlich ein Problem, weil es
da schon leichtere Tätigkeiten gibt, weil die Kollegen des Betreffenden aber dann
auch sagen, wir sind doch nicht bekloppt und arbeiten für dich doppelt und dreifach, nur damit du hier eine leichtere Tätigkeit bekommen kannst.“ (H_55)
„Die Möglichkeit für andere Tätigkeiten ist relativ gering, das ist bei uns fast wie
die Nadel im Heuhaufen. Vielleicht ein oder zwei Fälle von 100 [...] Wir haben
bestimmte Einsatzgebiete und da wird überall gehoben und wenn da einer ein
Rückenleiden hat und kann deswegen nicht arbeiten, da kann ich da nichts machen. Da kann ich nur sagen, ist jetzt Chance auf Heilung, irgendwann ist wieder
gut und du kannst den Job wieder so ausüben – aber wenn die Krankheit dauerhaft ist oder sich immer wiederholt, dann muss man sich überlegen ob der Arbeitsvertrag dann aufrecht erhalten werden kann.“ (G_27)
In den mittleren Unternehmen kommen potenzielle Eingliederungsfälle absolut gesehen
häufiger vor. Es gibt innerbetriebliche Instanzen, die die Thematik artikulieren und umsetzen
(sollten). Die Möglichkeiten zur Eingliederung von Mitarbeitern mit gesundheitlichen Einschränkungen sind vielfältiger als in den kleineren Unternehmen. Problematisch wird es
dann, wenn die Maßnahmen bestehende Arbeitszeitregelungen oder Abteilungsgrenzen überschreiten.
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Teilzeitmodelle, insbesondere im Rahmen einer Stufenweisen Wiedereingliederung, werden
in den befragten mittleren Unternehmen regelmäßig eingesetzt. Dies trifft nicht auf die befragten produzierenden Unternehmen mit Schichtsystem zu. Dort müssen entweder temporär neue Arbeitsplätze geschaffen werden oder zwei Personen teilen sich eine Schicht. Letzteres kommt jedoch aus organisatorischen Gründen kaum zur Anwendung. Wie auch in dem
Kleinbetrieb mit Schichtsystem ist die Möglichkeit einer tageweisen Stufenweisen Wiedereingliederung nicht bekannt gewesen.
Arbeitsplatzumgestaltung, technische Hilfen und Umsetzung an einen neuen Arbeitsplatz
können häufig eingesetzt werden. Allerdings wird der organisatorische Aufwand für derartige
Maßnahmen häufig betont, insbesondere wenn Abteilungsgrenzen überschritten werden
oder Kooperationen mit externen Stellen eingegangen werden müssen.
Im befragten Finanzamt sind die Eingliederungsmöglichkeiten sehr vielfältig: Stufenweise
Wiedereingliederung wird routinemäßig eingesetzt, es gibt Fahrdienste für den Weg zur Arbeit und nach Hause, es gibt für Mitarbeiter mit Schwierigkeiten bei längerem Sitzen höhenverstellbare Stehtische, bei Langzeiterkrankungen (mehr als 2 Jahre) ist eine behördlich finanzierte Nachqualifizierung möglich. Kann ein Mitarbeiter krankheitsbedingt sein Arbeitspensum nicht erfüllen, dann kann ein Springer personelle Unterstützung leisten. Schwieriger
ist eine innerbetriebliche Umsetzung, weil in der Regel Spezialkenntnisse nötig sind und weil
organisatorische Schwierigkeiten bestehen.
Ein mittlerer Produktionsbetrieb führt an, dass leistungsgewandelte Mitarbeiter nur eingeschränkt wiedereingegliedert werden können, weil entweder die intellektuellen Voraussetzung für eine weniger körperliche und mehr geistige Arbeit fehlt, oder die Abteilungen schon
mehrere Leistungsgewandelte beschäftigt.
3.4 Nutzenbewertung
Die Führungskräfte wurden gefragt, welche Vor- oder Nachteile bzw. welchen Nutzen oder
Aufwand sie bei frühzeitiger Eingliederung sehen, insbesondere nach längerer Erkrankung
oder bei gesundheitlicher Einschränkung.
Die befragten Führungskräfte differenzieren zwischen mitarbeiter- und arbeitgeberbezogenen Argumenten.
„Ich denke es ist für beide Seiten gut, im Betrieb bleibt nicht so viel liegen, es
können auch Informationen weitergegeben werden. Und andererseits: jemand
langweilt sich nicht zu Hause und kann auch wieder etwas tun und wird auch
wieder gebraucht.“ (F_16)
Der Nutzen für den Mitarbeiter wird in folgenden Punkten gesehen: Selbstbewusstsein
steigern, positives Selbstbild schaffen, Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg vermeiden, nach
längerer Krankheit die volle Einsatzfähigkeit beschleunigen. Am häufigsten werden die Argumente Selbstbewusstsein und Selbstbild genannt. Es wird betont, dass eine frühzeitige
Eingliederung jedoch nur dann den erhofften Nutzen bringt, wenn der entsprechende Wille
des Mitarbeiters sowie die medizinischen Voraussetzungen gegeben sind.
„Stufenweise Wiedereingliederung ist sinnvoller als so ad-hoc-Geschichten, es
immer wieder zu versuchen.“ (I_160)
Allerdings werden auch Nachteile hervorgehoben. So besteht bei zu früher Eingliederung
eine Rückfallgefahr, die zu Unsicherheit bei der Personaleinsatzplanung und damit zu Unmut
bei den Kollegen führt. Ein weiterer Betrieb argumentiert, dass genau aus diesem Grund
keine Aktivitäten zur frühzeitigen Eingliederung unternommen werden.
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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit
In einem produzierenden Betrieb wird ein Nachteil darin gesehen, dass qualifizierte Arbeitskräfte bei einer innerbetrieblichen Umsetzung dann minderwertige Tätigkeiten verrichten
müssen. Dies könne zu Demotivation führen.
Nutzenargumente für den Arbeitgeber sind sowohl monetärer Art, aber auch intangible
Werte werden angesprochen. Kleinere Unternehmen betonen, dass die Kollegen von ihrer
Mehrarbeit entlastet werden. Dadurch können Aufträge schneller bzw. überhaupt erst abgewickelt werden und das Betriebsklima wird positiv geprägt– sofern der Mitarbeiter nicht „simuliert“. Ein Betrieb für sozialtherapeutische Dienstleitungen mit vielfältigen Eingliederungserfahrungen stellt fest, dass die Motivation der gesamten Belegschaft steigt, wenn die Kollegen frühzeitig in die Planung eingebunden werden, sei es für eine individuelle Eingliederung
oder für Maßnahmen auf Betriebsebene. Derselbe Betrieb sieht den Imagefaktor als nicht zu
unterschätzendes Argument an, auf dem Markt als sozial engagiertes Unternehmen zu gelten.
Kostenaspekte werden von allen Führungskräften angesprochen. Für einige liegt der Hauptgrund für ein Engagement hinsichtlich frühzeitiger Wiedereingliederung darin, Fehlzeiten in
den ersten 6 Wochen und damit die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu minimieren.
„Richtig interessant ist es nur in den ersten 6 Wochen, danach ändert sich das
schlagartig, dann habe ich ja auch nicht mehr den Druck.“ (G_27)
In der Diskussion wurden Möglichkeiten externer Förderung angesprochen: u.a. die Finanzierung der Stufenweise Wiedereingliederung, Eingliederungszuschüsse, Finanzierung von
Arbeitsanpassungen, Boni und Prämien für die Einführung eines Betriebliches Eingliederungsmanagement. Insbesondere kleinere Unternehmen betonen den hohen Kosten- und
Leistungsdruck, unter dem sie stehen. Sie sehen in den Möglichkeiten einer externen Förderung starke Argumente, die Lohnnebenkosten senken zu können und damit wettbewerbsfähig zu bleiben.
„Bonus [§ 84 Abs. 4 GB IX] hört man gerne – alles was hilft die Lohnnebenkosten
zu begrenzen ist natürlich sehr willkommen. Die Frage ist natürlich wie viel Aufwand man da rein stecken muss, um diesen Bonus zu erhalten.“ (C_8)
Umso erstaunlicher ist, dass viele Unternehmen über Möglichkeiten der Förderung nicht oder
nur unzureichend Bescheid wissen. Mögliche frühzeitige Wiedereingliederungen werden unterlassen, der mögliche Nutzen bleibt aus. Nachfolgend ist die Finanzierung der Stufenweisen Wiedereingliederung unklar:
„Interessant für mich wäre, wenn die [Kostenträger] sagen würden: Der Mitarbeiter ist 3 Wochen krank für die Tätigkeit, die er normal macht und wenn du den
vorher beschäftigen kannst, welche Position auch immer, dann zahlen wir 50 %
des Gehaltes ... was sich aber nach 6 Wochen schon wieder schlagartig ändert,
dann kostet der mich letztendlich gar nix mehr, dann habe ich auch nicht mehr
den Druck.“ (G_27)
Für einen mittleren Betrieb sind Fördermöglichkeiten kein Argument für gesteigertes Engagement seinerseits, obwohl die Mittel natürlich mitgenommen werden würden.
„3-4 Mark mehr von der Kasse für einen Mitarbeiter der frühzeitig wieder eingegliedert... das bringt mir nichts.“(J_173)
Ein weiteres häufig genanntes Argument ist, dass erfahrene Mitarbeiter und die damit verbundenen Bildungsinvestitionen erhalten bleiben. Aufwändige Neueinstellungen können
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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit
vermieden werde. Dieses Argument zählt jedoch nicht für einen produzierenden Betrieb, der
überwiegend ungelernte und damit relativ leicht zu ersetzende Arbeitskräfte beschäftigt.
Insgesamt sieht ein Großteil der Führungskräfte in einem verstärkten Engagement hinsichtlich Eingliederung weniger einen Zusatznutzen als vielmehr „Schadensbegrenzung“.
4 Aktivitäten
Zu den Aktivitäten der Wiedereingliederung zählen die Planung, Durchführung und Monitoring der Wiedereingliederung auf Einzelfallebene und Programmebene. Auf der Einzelfallebene geht es um die konkreten Maßnahmen zur Eingliederung eines Betroffenen. Von Interesse dabei sind der Kontakt und die Kommunikation, die Vernetzung/Verbindung zu externen Experten bzw. Wissen darüber, wer die Ansprechpartner zum Thema betriebliche Wiedereingliederung sind. Auf Programmebene interessiert, ob formale Handlungsanleitungen
(Standards) vorliegen und diese im konkreten Fall angewendet werden.
4.1 Kontakt zum Mitarbeiter
Im Gegensatz zu Großunternehmen bestehen bei den KMU in der Regel keine Kontaktdefizite. Allen gleich ist die Krankmeldung durch den Betroffenen. Danach ist es häufig im Einzelnen nicht explizit geregelt, wer im Falle einer langandauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit den Kontakt aufrechterhält. Teilweise fließt die Information über die Kollegen oder direkten Vorgesetzten zum Geschäftsführer, oder dieser informiert sich persönlich. Dabei
zeigte sich, dass die meisten Geschäftsführer in den kleineren Betrieben in einem solchen
Anruf keinen Kontrollaspekt sehen.
„Man nimmt automatisch Kontakt auf, weil in so einem Kleinunternehmen muss
die Arbeit ja weitergehen. Man bespricht die Arbeit und dabei spricht man auch
über die Krankheit – das ist das normalste von der Welt.“ (F_16)
„ ... frühzeitige Kontaktaufnahme ist eine Selbstverständlichkeit. Wenn man an
größere Unternehmen denkt, die sind wahrscheinlich froh, wenn einer wegfällt,
dann ist der schnell abgeschoben, erledigt... bei uns, wir sind so klein, da ist der
Kontakt immer da, da will man das beste für seinen Mitarbeiter.“ (B_8)
Bei mittelständischen Unternehmen wird von Seiten der Geschäftsführung seltener Kontakt
zu den Betroffenen aufgenommen oder aufrechterhalten. Es kümmert sich ein Vertreter aus
dem Betriebsrat, der direkte Vorgesetzte oder Abteilungsleiter. Teilweise wird von Betriebsseite bis zu 6 Wochen nach Fehlzeitenbeginn kein Kontakt aufgenommen. Deutlich wurde
mit steigender Betriebsgröße die Skrupel der Unternehmensseite während AU-Zeiten in Kontakt mit dem Betroffenen zu treten. Hier wird davon ausgegangen, dass die Kontaktaufnahme nicht erlaubt sei und dass diese einen Kontrollaspekt habe.
„Als Personalkraft hat man eine schlechte Position bei Krankenkontakten.“
„Also nur insofern, wenn jetzt eine freundschaftliche Beziehung zwischen Mitarbeitern besteht, ja. Ansonsten von uns aus nicht.“ (H_55)
„Ich habe mich in der Vergangenheit nie getraut einen anzurufen, weil ich dann
immer das Gefühl hatte, darfst du gar nicht, den auszufragen, das ist ne Belästigung oder so was ... Die [arbeitsunwilligen Langzeitkranken] sind ja nicht ansprechbar in dem Sinne. Ich sag mal, selbst wenn ich die anrufen würde oder einen Brief schreiben, melden Sie sich mal bitte oder ein Formular zum ankreuzen,
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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit
es geht mir gut oder schlecht – mal Butter bei die Fische, wie soll das aussehen?“ (G_27)
Krankenrückkehrergespräch im Sinne des Wortes und nicht einer Methode wird in allen Unternehmen durchgeführt. In der Regel geschieht es nicht nach expliziten Regeln, so auch in
den Kleinunternehmen und in einigen mittelständischen Unternehmen. Teilweise werden in
mittelständischen Unternehmen auch formale Krankenrückkehrgespräche geführt.
4.2 Experten einbinden
Das Einbinden von Experten stellt sich für die KMU als schwierig dar. Es wird deutlich, dass
auf Grund der bisher peripheren Behandlung des Themas Wiedereingliederung geringe bis
gar keine Kenntnisse über die Ansprechpartner vorliegen. Am ehesten wurde der Integrationsfachdienst als bekannter Ansprechpartner benannt. Hilfe erhoffen sich KMU-Akteure in
erster Linie von der Krankenkasse, “...da es sich um Erkrankungen handelt“, teilweise wurde
auch die BG benannt; Servicestellen sind den KMU-Akteuren unbekannt.
Das Einleiten einer Stufenweisen Wiedereingliederung und die Kommunikation zwischen den
Akteuren wurden in erster Linie von dem Betroffenen geführt. Teilweise wurde von Betriebsseite der Betriebsarzt bzw. der externe betriebärztliche Dienstleister hinzugezogen.
4.3 Kollegen und Vorgesetzte einbinden
Die Kollegen und Vorgesetzte im Falle einer Wiedereingliederung einzubinden stellt die KMU
nicht vor eine große Herausforderung, da auch hier die soziale Nähe von Geschäftsleitung
und Mitarbeiter Kontakte und Kommunikation einfach gestaltet. Bis auf 2 Ausnahmen sah die
Geschäftsführung der Unternehmen keinen Grund an die Solidarität der Kollegen zu zweifeln. Sie gehen davon aus, dass eine temporäre Teilarbeitsübernahme von den Kollegen
möglich sei. Auch wird es als wichtig betrachtet, dass die unmittelbaren Kollegen und Vorgesetzten im Vorfeld einer Wiedereingliederung darüber informiert werden.
In einem Kleinstbetrieb werden die Kollegen zu einem Krankenrückkehrgespräch (im Sinne
des Wortes) dazu eingeladen, wo das Team den Krankenrückkehrer über den neusten Betriebsstand informiert und gleichzeitig über eventuelle Veränderung auf Seiten des Betroffenen erfährt.
4.4 Anreize für Mitarbeiter einsetzen
Alle befragten Unternehmer sind sich darin einig, dass externale Anreize, um Mitarbeiter früher wieder einzugliedern, nicht sinnvoll seien. Vor allem finanzielle Anreize wurden hier einstimmig abgelehnt. Vielmehr erwarten die Geschäftsführer das Engagement ihrer Mitarbeiter
zum frühestmöglichen Termin in Arbeit wieder zurückzukehren. Sie gehen davon aus, dass
sich die Mitarbeiter moralisch verpflichtet sehen müssen, frühestmöglich wieder am Arbeitsplatz zu erscheinen, um die direkten Kollegen zu entlasten. Man setzt also eine intrinsische
Motivation (Verantwortung) zur frühst möglichen Wiedereingliederung bei den Mitarbeitern
voraus, die man nicht durch externale Anreize schaffen kann.
Ein Betrieb sieht das Problem eher in Übermotivation als in fehlender Motivation.
„Wir haben eher das Problem, dass Leute hier halb tot ankommen, die man dann
hier raus prügeln muss, damit sie nach Hause gehen und man denen sagt, ruhe
dich mal drei Tage aus.“ (F_16)
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Ergebnisse einer Befragung von KMU zur frühzeitigen Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer Krankheit
4.5 Durchführung der Wiedereingliederung
Die befragten KMU beschrieben sich in der Planung und Durchführung einer Wiedereingliederung als passive Teilnehmer. Potenzielle Eingliederung werden von Unternehmensseite im
Vorfeld nicht systematisch geplant, sondern eher ad hoc und nach Initiative von Betroffenen
oder Externen durchgeführt. Über die Hälfte der Befragten verfügen über Erfahrung mit Wiedereingliederung. Die Wiedereingliederung wird vom Betroffenen selbst, den Kollegen oder
von den direkten Vorgesetzten gesteuert und überwacht.
4.6 Aktivitäten zur Gesundheitsförderung und Prävention
Gesundheitsförderung und Prävention wird in der deutlichen Mehrzahl der Unternehmen
mittels verschiedener Aktivitäten umgesetzt. In erster Linie versucht man im Arbeits-, Unfallschutz und Ergonomie präventiv zu handeln. Auf der Seite der Gesundheitsförderung wird in
den KM-Unternehmen deutlich weniger angeboten. Themen im Bereich Gesundheitsförderung sind in den befragten KMU: Ernährung, Vorsorgeuntersuchung, Rückengerechtes Heben. Im Weiteren Nichtraucherangebote, Entspannungsseminare und Fitness. Dabei ist dem
überwiegenden Teil der Interviewten die Notwendigkeit der Gesundheitsförderung bewusst,
sie sehen sich aber nicht in der (wirtschaftlichen) Lage, in angemessener Weise Maßnahmen anzubieten. Häufig – gerade in den Kleinstunternehmen - könne der Arbeitgeber nur an
die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter appellieren oder durch „gute Laune“ das Betriebsklima positiv beeinflussen.
KM-Unternehmer, die im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung nicht tätig sind, sehen diese Aufgabe in der Eigenverantwortung der Mitarbeiter oder in der Zuständigkeit der
Betriebsärzte.
5 Konkrete Erwartungen an externe Unterstützung
In diesem Kapitel werden die Erwartungen der KM-Unternehmer an externer Unterstützung
im Rahmen einer Wiedereingliederung wiedergegeben. Teilweise wurden keine akteurspezifischen Erwartungen formuliert, sondern externe Unterstützung in Form von finanziellen Zuschüssen bei der Eingliederung erwünscht. Auch wurde in einem Fall das Modell der externen Unterstützung abgelehnt. Hier wurde die Meinung vertreten, dass dem Unternehmer
durch Senken der Lohnnebenkosten und mehr Eigenverantwortung in diesem Bereich besser geholfen sei.
5.1 Externe Experten
Der überwiegende Teil der KM-Unternehmer erwarten von einer externen Unterstützung im
Rahmen einer Wiedereingliederung einen direkten, zentralen und kompetenten Ansprechpartner. Dieser sollte in der Lage sein, wichtige Informationen zeitnah zu vermitteln. Die konkrete Maßnahme soll dadurch u.a. in ihrer Planung beschleunigt werden. Des Weiteren wünschen sich die KM-Unternehmer einen externen „Sozialen Dienst“, wo Fachberater (Ärzte,
Psychologen und Sozialarbeiter) mit Schweigepflicht Mitarbeiter bei körperlichen, psychischen oder sozialen Problemen beraten.
„Als Selbstständiger hat man nicht die Information darüber, an wen man sich in
einen bestimmten Fall wenden soll.“ (D_13)
„Von wem die Hilfestellung kommt, ist mir letztendlich egal.“ (C_8)
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5.2 Externer zentraler Ansprechpartner „Disability Manager“
Wie schon oben erwähnt, wird ein zentraler und kurzfristig erreichbarer Ansprechpartner von
den KM-Unternehmern präferiert. Uneins ist man sich hingegen bei der Frage, ob überhaupt
und welcher Institution ein externer Disability Manager angehören soll. Hier gehen die Meinungen auseinander. Die Notwendigkeit einer institutionalen Anbindung wurde von einem
Teil betont, vom Gegenteil abgelehnt. Als mögliche Institutionen wurden die Berufsgenossenschaften, die Bundesagentur für Arbeit, Integrationsämter und die Krankenkassen benannt. Die wesentliche Fertigkeit des Disability Managers soll aus Sicht der KMUnternehmer die Kenntnis über die Arbeitsplätze im jeweiligen Betrieb sein.
„Ich würde mich an so einen Disability Manager wenden, wenn es brennt. Insofern muss er kurzfristig zu erreichen sein, sonst hätte ich ja nichts davon.“ (I_160)
„Wenn das [erfolgreiche Eingliederung] dann gut gelaufen ist, dann hätte man als
Disability Manager einen Fuß in der Tür und könnte dann kucken, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, also in einem zweiten Schritt dann Dinge umgestalten,
dass Leute weniger krank werden.“ (I_160)
„Das ist wie früher mit dem Arbeitsamtberater – wenn sie einen haben, der noch
nie hier war, das können Sie vergessen. Wenn Sie einen kriegen, der schon einmal hier war, dann kriegen Sie eine super Beratung ... früher hätte ich dem Arbeitsamt ne eins gegeben.“ (F_16)
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6 Fazit: Förderfaktoren und Barrieren
Weiterbeschäftigung und frühzeitige Eingliederung von Mitarbeitern nach längerer oder wiederholter Krankheit wird von den befragten Geschäftsführern in KMU nur bedingt als Handlungsfeld gesehen. Meistens bauen sie auf passives ad-hoc-Management, d.h. sie reagieren
auf Notfälle, setzen auf die Eigenverantwortung der Mitarbeiter und betreiben Schadensbegrenzung.
Durch die Befragung konnten Gründe für mangelnde Umsetzung aktiver betrieblicher Eingliederungsarbeit identifiziert werden. Daraus können Überwindungsmöglichkeiten abgeleitet
werden, die die innerbetriebliche Kompetenzentwicklung und mögliche Unterstützungskonzepte betreffen.
1. Informationsdefizit und unzureichende Handlungskompetenz
• Problembewusstsein unzureichend: Der demographische Wandel und die damit verbundene Verknappung der Arbeitskraft wird häufig noch nicht als zukünftiges Problem wahrgenommen. Die gesetzlichen Verpflichtungen zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement sind nahezu unbekannt. Häufig sind bei langzeiterkrankten Mitarbeitern Frühverrentung, Abfindung oder Kündigung die Methoden der Wahl.
• Unzureichende Kenntnis über Unterstützungspotenziale: Sind KMU mit potenziellen
Eingliederungsfällen konfrontiert, wird auf die Eigenverantwortung des Mitarbeiters
verwiesen. Externe Unterstützungspotenziale, z.B. der Servicestellen und der einzelnen Sozialleistungsträger, sind wenig bis überhaupt nicht bekannt. Daher werden
diese auch nicht aktiv um Unterstützung ersucht, eine Förderung der betrieblichen
Handlungskompetenz bleibt damit aus.
• Eine mögliche Ursache für das Informationsdefizit ist, dass in KMU nicht das nötige
Personal mit dem entsprechenden Wissen vorhanden ist. Dies zieht eine fachliche
und zeitliche Überforderung nach sich.
Konsequenz: Informationsdefizit multimodal ausgleichen und Umsetzungshilfen entwickeln
Wissen ist die Voraussetzung für kompetentes Handeln. Fehlendes Wissen führt zu Überforderung und Inaktivität. Daher sind Beispiele gelungener Praxis zu vermitteln. Notwendig sind einfache und konkrete Umsetzungshilfen, d.h. Informationen darüber was
bei gesundheitlich beeinträchtigten Mitarbeitern konkret zu tun ist. Diese Hilfen sind zu
entwickeln in unterschiedlicher Informationstiefe und Aufbereitung (Flyer, Handbuch,
Checklisten, Schulung, Webseite etc.). Bestehende Kommunikationskanäle sind zu nutzen (Innung, Kammer, arbeitsmedizinische Zentren, Fachzeitschriften etc.). Ferner sollten Informationsveranstaltungen im Rahmen von bestehenden Ausbildungen (Berufsschulen, Meisterschulen, Innungen etc.) stattfinden, um Multiplikatoreneffekte zu erzielen. In KMU fehlende Personalstrukturen können durch betriebliche Netzwerk-Modelle
kompensiert werden. Es sind – wie im Bereich „Arbeit und Gesundheit“ – betriebliche
Netzwerk-Modelle in Kombination mit Expertenwissen zu bilden bzw. bestehende Netzwerke um das Themenfeld „Eingliederung“ zu erweitern.
2. Fehlende Akzeptanz der Geschäftsleitung
• Das Thema Wiedereingliederung hat bei vielen Geschäftsführern keine Priorität. Vorgebrachte Argumente sind: keine akuten Fälle insbesondere in Kleinunternehmen 1 ,
hoher Kosten- und Leistungsdruck, nur gesunde Mitarbeiter sind zu gebrauchen, keine Eingliederungsmöglichkeiten vorhanden, wirtschaftliche Investitionen haben Vor1
zwar kommen potenzielle Fälle in der Regel selten vor, aber wenn doch, dann ist die betriebliche
Leistungsfähigkeit gefährdet
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rang. Im Rahmen der Interviews hat sich jedoch gezeigt, dass die Argumente zwar
nicht im Ganzen zu widerlegen sind, aber durch konstruktiven Dialog teilweise entkräftet werden können.
unzureichende Nutzenklarheit: Fördermöglichkeiten sind nur dann bekannt, wenn bereits Erfahrung mit schwerbehinderten Mitarbeitern vorliegen. Die meisten KMU sehen den Nutzen für die „Weiterbeschäftigung von Mitarbeitern mit gesundheitlichen
Einschränkungen“ darin, dass Schaden begrenzt wird, ein Zusatznutzen wird nur für
den betroffenen Mitarbeiter gesehen.
Maßnahmen zur Eingliederung nach Krankheit sind in KMU in der Regel „Chefsache“. Gleichzeitig fehlt meist eine Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Insofern
hängt der Erfolg betrieblicher Eingliederungsarbeit in hohem Maße von der Persönlichkeit des Geschäftsführers ab. Ist dessen Akzeptanz für entsprechende Maßnahmen nicht gegeben, ist ein Scheitern vorprogrammiert. Allerdings zeigten sich in der
Befragung die meisten Geschäftsführer dann engagiert und kompromissbereit, wenn
der Mitarbeiter aktiv ist und der Aufwand überschaubar bleibt.
Konsequenz: Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit
Geschäftsführer sind vom Nutzen frühzeitiger Eingliederung und Weiterbeschäftigung
von gesundheitlich eingeschränkten Mitarbeitern zu überzeugen. Bestehende Negativargumentationen sind zu entkräften und positive Argumentationsketten sind aufzubauen.
Insbesondere der Zusammenhang zwischen Investitionen in Wiedereingliederung (und
gesundheitsförderliche Maßnahmen) und die Chance auf erhöhte Mitarbeiterzufriedenheit, -loyalität, Imagegewinn, Kosteneinsparung muss nachvollziehbar verdeutlicht werden. Finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten der Sozialleistungsträger sind aufzuzeigen.
Die Akzeptanz von Maßnahmen zur frühzeitigen Eingliederung hängt entscheidend vom
Nachweis ihrer Wirksamkeit und Praktikabilität ab. Hilfen zur (Selbst-)Evaluation von Eingliederungsmaßnahmen sind zu entwickeln. Best practice ist zu vermitteln, den Entscheidern wie auch der Belegschaft.
3. Eigenverantwortung der Mitarbeiter
Einerseits fehlen bei einigen Mitarbeitern die Motivation und die Eigenverantwortung zu
frühzeitiger Rückkehr an den Arbeitsplatz – zumindest in den Augen von einigen Geschäftsführern. Andererseits sind insbesondere in Kleinunternehmen Mitarbeiter häufig
übermotiviert und schleppen sich krank zur Arbeit, was früher oder später zum Bumerang
werden kann.
Konsequenz:
Krankheit und frühzeitige Wiedereingliederung sind sicherlich auch Privatangelegenheiten und von der Einstellung der Mitarbeiter abhängig. Allerdings unterliegen Unternehmen den Verpflichtungen aus § 84 SGB IX, ein Eingliederungsmanagement unter Wahrung der Selbstbestimmung zu organisieren. Dabei kann das Unternehmen die Akzeptanz und die Eigenverantwortung der Mitarbeiter zur Wiedereingliederung fördern. Sinn
und Zweck des Betrieblichen Eingliederungsmanagements sind den Mitarbeitern zu erläutern, ferner sind diese bei der Festlegung von Regeln zu beteiligen (jährlicher Workshop, regelmäßiges Besprechungsthema, Flyer etc.). Wenn keine formale Interessenvertretung der Mitarbeiter vorhanden ist, sind einflussreiche Mitarbeiter wertvolle Promotoren und damit für die Eingliederungsarbeit zu gewinnen. Darüber hinaus kann das Unternehmen das Bewusstsein und das Verhalten der Mitarbeiter hinsichtlich Gesundheit und
frühzeitige Wiedereingliederung fördern. Dazu zählen z.B. vorbildliches Vorgesetztenverhalten, positives Feedback, gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen, Gesundheitsangebote (z.B. der Krankenkassen).
4. Fehlende Eingliederungsmöglichkeiten
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In kleinen Unternehmen sind weniger Eingliederungsmöglichkeiten für Mitarbeiter mit gesundheitlichen Einschränkungen im Vergleich zu größeren Unternehmen vorhanden. Erfahrungen mit Casemanagement und Expertenmeinungen unterstreichen dies. Gleichwohl konnten in konstruktiver Diskussion mit den befragten Geschäftsführern z.T. Möglichkeiten gefunden werden, die zunächst nicht in Erwägung gezogen wurden.
Konsequenz:
Sicherlich sind Eingliederungsmöglichkeiten vor allem in den kleinen Unternehmen beschränkt. Trotzdem können derartige Möglichkeiten bei kompetenter Unterstützung und
Kooperationsbereitschaft des Unternehmens rekrutiert werden. Demnach sind Arbeitgeber bei der Identifizierung von Eingliederungsmöglichkeiten zu unterstützen. Hier ist einerseits aktiv auf die Unternehmen zuzugehen, wenn potenzielle Eingliederungsfälle von
extern identifiziert werden können (z.B. durch die Krankenkasse oder Unfallversicherung) 2 . Andererseits müssen die Unternehmen dazu befähigt werden und dazu bereit
sein, möglichst frühzeitig externe Partner einzuschalten. Dies setzt auf Seiten dieser externen Partner kompetente, pragmatische und kosteneffiziente Lösungen voraus, auf Seiten der Unternehmen Kooperationsbereitschaft und Wissen über den Partner.
5. „Krankheit ist (kein) Tabu“
Wegen der flachen Hierarchien und der personalisierten, teils familiären Arbeitsbeziehungen sind in KMU die Themen Krankheit und Gesundheit in der Regel kein Tabu
(„man spricht darüber“). Im Gegensatz zu Großunternehmen sind Daten aus dem privaten Umfeld häufig bekannt. Allerdings besteht auch die Gefahr der sozialen Kontrolle,
wenn Krankheit als Schwäche gewertet wird.
Konsequenz:
Die Vorteile der sozialen Nähe können genutzt werden im Rahmen der frühzeitigen Einleitung von Eingliederungsmaßnahmen. Hier sind den KMU Hilfen an die Hand zu geben,
was die konkreten ersten Schritte sind. Ähnliches gilt für das Monitoring der individuellen
Eingliederung. In allen Unternehmen – aber insbesondere dort, wo Gesundheit und
Krankheit Tabuthemen sind – sollte klar kommuniziert werden, dass Krankheit nicht
gleich Schwäche bedeutet. Chancen und Möglichkeiten frühzeitiger Eingliederung sollte
transparent gemacht werden.
6.
„Wiedereingliederung ist Aufwand“
Viele Geschäftsführer thematisieren den Aufwand von Eingliederungsmaßnahmen. Hinzu
kommt, dass in KMU nur begrenzte Erfahrungen diesbezüglich vorliegen sowie zeitliche,
personelle und fachliche Ressourcen minimiert sind.
Konsequenz:
Sicherlich bedeutet Eingliederungsarbeit eine Störung im Tagesgeschäft. Um die meist
unter hohem Kosten- und Leistungsdruck stehenden KMU zu entlasten, ist der Aufwand
möglichst klein zu halten und der Forderung nach pragmatischen Lösungen entgegen zu
kommen. So sind Dokumentationspflichten und „Hintergrundarbeit“ (z.B. Zuständigkeitsklärung, Antragsformulare) minimal zu halten bzw. müssen von der externen Betreuung
übernommen werden. Expertenwissen muss schnell und einfach verfügbar sein. Ferner
ist der entstehende Aufwand zu kalkulieren und damit transparent zu machen, entweder
von der externen Betreuung oder über Handlungshilfen. (Noch zu setzende) Signale von
Staatsseite zur Entlastung der Unternehmen sind hilfreich, z.B. transparenter und niederschwelliger Zugang zu Bonus und Prämien gem. § 84 Abs. 4 SGB IX.
2
siehe CMB-Projekt der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), Informationen unter
http://www.ifes.uni-erlangen.de/pub/bestell.php
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