9783941216129_Einleitung

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Einleitung
Buchheims Romane sind nicht nur Werke eines Malers und ehemaligen Marine-Leutnants, sondern sie sind in besonderem Maße
auch die Arbeit eines ehemaligen Kriegsberichterstatters der Deutschen Wehrmacht.5 Es wird im Folgenden deutlich werden, dass
sich Buchheims Romane ohne Beachtung dieses Hintergrundes
nicht erschließen lassen. Um deutlich zu machen, was die Tätigkeit
als Kriegsberichterstatter für diesen Autor bedeutete, in welchem
Umfeld er sich bewegen und arbeiten musste, ist eine kurze Einführung in das Wesen der Propaganda und in Aufbau und Arbeitsweise der Propaganda-Kompanien (PK) der Deutschen Wehrmacht
unerlässlich.
Die Aufgabe der PK war — das muss festgestellt werden — das
genaue Gegenteil einer Berichterstattung, die etwa zu einer wirklichkeitsadäquaten Vorstellung des Krieges hätte führen können.
Die Frage, inwieweit sich Buchheim mit diesem Aspekt seiner Vergangenheit auseinandersetzt, ist ebenso unverzichtbar wie sie sich
nicht in letzter Konsequenz beantworten lässt, wenn Propaganda
und PK nicht zumindest oberflächlich dargestellt werden. Tatsächlich ist ja Buchheim selbst von mindestens einem Literaturwissenschaftler seine Vergangenheit als Offizier einer Propaganda-Kompanie vorgeworfen worden. Als Beleg diente sein 1943 fertig gestelltes Buch „Jäger im Weltmeer“6, welches zugleich Buchheims erste
intensivere literarische Beschäftigung mit dem Thema des U-BootKrieges darstellt. Die Frage, ob „Jäger im Weltmeer“ tatsächlich
ein Propaganda-Werk im damals geforderten Sinne darstellt oder
nicht, ist in der Tat grundlegend zur Beurteilung seines Romanwerkes. Träfe nämlich der Vorwurf zu, Buchheim habe mit „Jäger im
Weltmeer“ der Propaganda des Dritten Reiches in der gewünschten Weise zugearbeitet, dann hätten wir es bei seiner Person mit
jemandem zu tun, der seinerzeit (wie so viele andere) massiv geirrt
hätte und dessen Romane im Wesentlichen die Korrektur dieses Irr5
6
Nachweis siehe Kap. 3
Nachweis siehe Kap. 2
DAS BILD VOM KRIEG
11
tums darstellten (die moralische Ehrlichkeit von Buchheims Romanen ist nie angezweifelt worden). Mit anderen Worten, die häufig
so giftigen Polemiken Buchheims wären hauptsächlich vom typischen Hass des Renegaten angetrieben, was dann tatsächlich seine
Romane in ein besonderes, weniger günstiges Licht setzen würde.
Trifft dieser Vorwurf aber nicht zu, dann stellen Buchheims
Romane tatsächlich den vorläufigen Endpunkt einer außergewöhnlich gradlinigen Entwicklung der Ablehnung des Krieges und des
ihn tragenden Regimes dar. Es wird sich zeigen, dass diese Linie
sogar deutlich in die Zeit vor „Jäger im Weltmeer“ zurückzuverfolgen ist.
Der „Jäger im Weltmeer“, das war für Buchheim seinerzeit ganz
konkret ein bestimmtes U-Boot, nämlich U 96 unter Kapitänleutnant Lehmann-Willenbrock, dessen siebte Feindfahrt die Grundlage für den Roman „Das Boot“ darstellt. Die Schilderung dieser
Fahrt, an der Buchheim teilnahm, lässt zum ersten Mal eine hinlänglich fundierte Stellungnahme zu Buchheims Behauptung, sein
Werk beschreibe reale Ereignisse, zu. Darüber hinaus liefert sie erste
Hinweise auf Buchheims schriftstellerischen Umgang mit dieser
Realität.
Heinrich Lehmann-Willenbrock, der Kommandant von U 96, stellt
als „Der Alte“ die zentrale Figur in „Das Boot“ dar, während er in
„Die Festung“ indirekt, über weite Strecken auch direkt, ebenso
omnipräsent ist. Ohne eine ausführliche Darstellung des Charakters
des „Alten“ sind Buchheims Romane schlechterdings nicht zu verstehen. In Buchheims Beschreibung dieser Figur manifestiert sich
im Grunde genommen sein gesamter Kommentar zur Situation des
deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Es zeigt sich, dass eine
Beurteilung derselben sich nicht an plumpen Kriterien allgemeiner
Schuldzuweisung oder ebenso allgemeiner Apologetik orientieren
kann.
Buchheim hat immer wieder betont, dass seine Romane „kein
Werk der Fiktion“7, sondern dass die dort geschilderten Ereignisse „authentisch“8 seien. Dennoch charakterisiert er seine beiden
Erzählungen als Romane, d.h. als fiktionale Literatur. Aus der Position des Berichterstatters heraus erzählt Buchheim Ereignisse, die
7
8
12
Buchheim 1981, S. 7.
Buchheim 1995, S. 9.
DAS BILD VOM KRIEG
im Wesentlichen seine eigenen Erlebnisse sind, manchmal auch solche, die ihm zugetragen wurden. Mit einfachen Mitteln verwandelt
er reale Ereignisse in fiktionale, ohne — und das ist eine der Besonderheiten Buchheimscher Literatur — dabei in bedeutendem Maße
auf Erfindungen zurückgreifen zu müssen. Buchheims Anspruch
ist nicht derjenige eines Romanciers, sondern eines Berichterstatters. Die Fiktion wählt er nur, um in größerem Maße Herr über sein
Material zu bleiben und es so in einer Weise aufarbeiten zu können, die es für den Leser akzeptabel macht.
Das, wovon Buchheim erzählt, ist die Situation des Menschen im
Krieg, und dass er seine Darstellung nicht nur als für den Seekrieg
gültig ansieht, zeigt die Tatsache, dass „Die Festung“ zum allergrößten Teil an Land spielt. Es ist das Schicksal des Menschen im
modernen Krieg, der ein technischer Krieg ist, welches im Zentrum
von Buchheims Interesse steht. Die Technik dieses Krieges drückt
den einzelnen Soldaten so sehr zur schieren Bedeutungslosigkeit
herunter, dass der Begriff „Kanonenfutter“ vielleicht nie aktueller
als im modernen Krieg war, jedenfalls, wenn man Buchheims Sicht
akzeptiert. Und es scheint, als ob man sie akzeptieren müsse.
Buchheims Romane sind das Werk eines Malers. Dieser Aspekt
ist häufig genug erwähnt worden, so dass er beinahe schon banal
erscheint. „Bei der Landschafts- und. Witterungsbeschreibung zeigt
sich der Maler und Kunsthistoriker Buchheim“, schreibt Hans Wagener.9 Allerdings ist der Maler Buchheim nicht nur in der Charakterisierung bestimmter Natureindrücke durch den Vergleich mit Bildern bestimmter Künstler oder mit „ein bißchen [...] zerlaufendes
Deckweiß“ erkennbar, wie Wageners Darstellung vermuten ließe.10
Tatsächlich wäre eine solche Ansicht allzu oberflächlich.
Dieselbe Feststellung gilt auch für den Zweck solcher Ästhetisierungen Buchheims, bei denen Kunst und Natur tatsächlich weit
mehr darstellen als nur „das Echte, das er der Lüge der NS-Propaganda entgegenstellt“, wie Wagener vermutet.11 Der Einfluss des
Malers Buchheim auf den Schriftsteller geht wesentlich tiefer, so
9 In: Wagener (1997), S 338.
10 Vergl. ebenda
11 Vergl. ebenda
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tief, dass man seine Romane beinahe schon als eine Fortsetzung
der Arbeit des Malers mit anderen Mitteln sehen könnte.
Auch in einem anderen Punkt befindet sich Wagener offensichtlich im Irrtum. Er bestreitet, dass „Das Boot“ und „Die Festung“ als
Einheit, als „zwei Teile einer Dilogie“ zu sehen seien.12 Dies lässt
sich bei genauerer Betrachtung nicht aufrechterhalten. Wagener
stellt als gewichtiges Indiz fest, dass in „Das Boot“ der U-BootKrieg im Mittelpunkt der Darstellung stehe, dies aber in „Die Festung“ nicht der Fall sei.13 Hierbei übersieht er allerdings, dass es in
beiden Fällen um eine Darstellung des Krieges an sich geht, dass
der U-Boot-Krieg in Buchheims erstem Roman nur Stellvertreter ist.
Buchheim schreibt: „Vor allem aber ist der U-Boot-Krieg so paradigmatisch wie kein anderer Waffengang für a l l e n Wahnsinn im
Krieg.“14 Beide Romane haben also eindeutig dasselbe Grundthema.
Der enge Zusammenhang zwischen beiden zeigt sich auch darin,
dass es kaum möglich ist, den entscheidenden Aspekten in Buchheims Werk nur durch die Betrachtung eines der beiden Romane
in der nötigen Tiefe gerecht zu werden. Dem trägt die vorliegende
Arbeit Rechnung. Schließlich sieht Buchheim selbst „Das Boot“ und
„Die Festung“ als „zwei Bände einer Trilogie“, wie er in Beantwortung eines Briefes feststellt.15
Ein anderer Kritikpunkt Wageners ist wesentlich ernster zu nehmen: „Im Untertitel wird das Werk („Die Festung“, d. Verf.) als
Roman deklariert. Buchheim hat jedoch höchstens einige Ansätze
gemacht, sein Buch zum Roman zu formen.“16 Als Hauptkriterium
für diese Feststellung gilt Wagener „das Fehlen einer durchgehenden, auf das Schicksal von Menschen bezogenen Handlung, denn
eine Romaneinheit durch ein Thema wie ‚U-Boot-Krieg‘, Faszination durch die Technik des Bootes oder einen durchgehend anwesenden Helden wie den `Alten´ gibt es nicht.“17
In der Tat, wenn man als Kriterium die „innere Entwicklung“
zugrunde legt, die v. Wilpert als einen Bestandteil des Romans
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17
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Vergl. Wagenere (1997), S. 326.
Vergl. Ebenda.
Buchheim (1998), S. 7.
Erwiderung Buchheims auf mein Schreiben vom 23. November 1999.
In: Wagener, (1997), S. 342.
Ebenda, S. 341.
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sieht18, dann ist Wageners Einwand wohl zutreffend. Eine charakterliche Entwicklung innerhalb der Handlung von „Die Festung“ ist
bei der einzigen durchgehend anwesenden Figur, dem Ich-Erzähler,
kaum zu finden. Wenn man aber um der Debatte willen v. Wilperts
Definition des Romans weiterhin zugrunde legt, dann finden sich
dort auch entscheidende Kriterien, denen „Die Festung“ sehr wohl
entspricht. v. Wilpert stellt als ein Motiv des Romans die Konfrontation mit dem „Verlust der alten Ordnungen und Geborgenheiten“ sowie „Problematik, Zwiespältigkeiten, Gefahr und die ständigen Entscheidungsfragen des Daseins“ angesichts der „Diskrepanz
von Ideal und Wirklichkeit“ fest.19 Wir werden noch sehen, wie
viele von diesen Punkten angesichts des Chaos‘ des Zusammenbruchs in Frankreich, aber auch des moralischen Zusammenbruchs,
ausgelöst durch Krieg und NS-Herrschaft, zentrale Bestandteile
von „Die Festung“ bilden. Das Agieren des Ich-Erzählers entspricht
ganz zweifellos über weite Strecken einem weiteren v. Wilpert-Kriterium: „[...] die zeit- und raumgebundene, subjektiv-individualistische Intimität der aus dem geordneten Glaubenshorizont losgelösten, einsamen, über die Welt und sich selbst reflektierenden Persönlichkeiten [...]“20
Diese Ausführungen erheben nicht den Anspruch, Wageners Kritikpunkt letztlich überzeugend zu widerlegen. Dementsprechend
ist dieser Aspekt auch im Weiteren nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Auch stütze ich mich ganz bewusst nur auf ein
einziges, zugegebenermaßen willkürlich herausgesuchtes Beispiel
zur Roman-Definition. Es soll lediglich zur Vorsicht gemahnt werden angesichts einer Feststellung, die v. Wilpert ebenfalls trifft:
„Die geringe Formstrenge und die außerordentliche Vielfalt der
R. Lit. [sic] machen e. [sic] restlos zutreffende Aufteilung in einzelne Arten ebenso unmöglich, wie sie sie erfordern. Jede Gliederung muß daher zumal bei der ständigen Entwicklung neuer Formen willkürlich erscheinen.“21
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Vergl. v. Wilpert (1969), S. 692.
Vergl. ebenda
Ebenda, S. 692.
Ebenda.
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