Hubert Seliger E-Mail: Thema der

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Hubert Seliger E-Mail: Thema der
Hubert Seliger
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Thema der Dissertation: „Die andere Seite“: Die Verteidigung in den Nürnberger Prozessen
und ihr späteres Wirken in der Bundesrepublik Deutschland dargestellt an ausgewählten
Strafverteidigern [Arbeitstitel]
Gegenstand des Dissertationsprojekts ist die Strafverteidigung in den Nürnberger Prozessen
und ihre umfangreiche Tätigkeit in der frühen Bundesrepublik. Ziel der Studie ist es durch die
Auswahl einiger zentraler Persönlichkeiten aus der Nürnberger Strafverteidigung einen
Querschnitt
der
Motivationen,
Zielsetzungen,
Strategien,
Außendarstellungen
und
Wirkungsmächtigkeit dieser Verteidiger zu erstellen.
Viele der sich selbst als die „andere Seite“ der Nürnberger Prozesse titulierenden Anwälte
zeigten ein weit über die legitime juristische Auseinandersetzung hinausgehendes
Engagement für ihre Mandanten. Mit ihren vielfältigen Aktivitäten leisteten die Nürnberger
Verteidiger einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur „Vergangenheitspolitik“ (Norbert
Frei) in der frühen Bundesrepublik Deutschland. Einerseits gelang es diesen Anwälten
erfolgreich Strafbefreiungen für NS-Täter direkt vor Gericht und indirekt durch Publizistik
und Lobbyarbeit durchzusetzen. Ihnen kam ein breiter gesellschaftlicher Resonanzboden zu
Gute dank einer Öffentlichkeit, die in ihrer großen Mehrheit eine schnelle Beendigung des
Kriegsverbrecherproblems verlangte, sei es um diese sichtbare Erinnerung an die alliierte
Besatzung abzuschütteln, sei es um einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und
(ein
Anliegen
der
ehemaligen
Wehrmachtsangehörigen)
die
„soldatische
Ehre“
wiederherzustellen. Andererseits waren die Verteidiger auch aktiv an der Grenzziehung
(innerhalb den eigenen Reihen genauso wie innerhalb der Nachkriegsgesellschaft) von noch
erlaubtem Einsatz für die Kriegsverbrecher und nicht mehr konsensfähigen Meinungen
beteiligt.
Mit eine wahren Flut von Publikationen verschiedenster Art (Veröffentlichungen von
Plädoyers,
juristischen
Stellungnahmen,
Autobiographien,
Zeitschriften
und
Quelleneditionen) versuchten die Anwälte im Sinne ihrer Mandanten Einfluss auf die
Nachkriegsöffentlichkeit zu nehmen. Unterstützt wurden sie hierbei von kirchlichen
Würdenträgern besonders aus Süddeutschland und nach Gründung der Bundesrepublik von
staatlichen Stellen wie der Zentrale Rechtsschutzstelle für im Ausland inhaftierte NS-Täter.
Fokus der Lobbyarbeit waren die in Landsberg inhaftierten Verurteilten der Nürnberger- und
Dachauer Prozesse. Bedeutende Lobbygruppen der Verteidiger waren der regierungsnahe
Heidelberger Juristenkreis, in welchem sich bekannte Nürnberger Verteidiger wie Otto
Kranzbühler (Verteidiger von Karl Dönitz) oder Hans Laternser (Verteidiger des
Generalstabes und des OKW) zusammengefunden hatten, oder das überkonfessionelle
„Komitee für kirchliche Gefangenenhilfe“ in München, das von dem Nürnberger Verteidiger
Rudolf Aschenauer geleitet wurde. Keineswegs war diese Lobbyarbeit einheitlich. Der
regierungsnahe
Heidelberger
Maximalforderungen
eines
Juristenkreis
„Vorbereitenden
grenzte
sich
Ausschusses
etwa
zur
bewusst
von
Herbeiführung
einer
Generalamnestie“ unter dem ehemaligen Nürnberger Verteidiger Ernst Achenbach oder
diversen kleineren nationalistischen Gruppen um Prinzessin Helene Elisabeth von Isenburg
ab. Trotz ihrer Verschiedenheit war aber allen diesen Organisationen gemeinsam, dass
ehemalige Nürnberger Verteidiger eine bedeutende Rolle in ihnen spielten.
Neben der Untersuchung der Rolle der Verteidiger für die Vergangenheitspolitik ist es auch
ein Anliegen der Studie zu ergründen, welche Motivationen diese Verteidiger hatten, sich
derart für ihre Mandanten zu engagieren. In einigen Fällen kann offensichtlich von einer
echten Überzeugung von der Unschuld der Mandanten gesprochen werden. So spielte
anscheinend für Kriegsteilnehmer und spätere Nürnberger Anwälte wie Hans Laternser die
„Ehrenschuld“ gegenüber „untadeligen“ Kameraden eine wichtige emotionale Rolle. Zu
klären ist auch, inwieweit der soziale Hintergrund der Anwälte maßgeblich war. Auffallend
ist etwa, dass sehr viele Nürnberger Strafverteidiger aus einem nationalkonservativen bzw.
klerikal-konservativen Milieu entstammten, dagegen Emigranten oder Anhänger der
demokratischen Linken aus der Weimar Republik ausschließlich auf Seite der Anklage zu
finden waren.
Ein weiterer Aspekt der Dissertation wird zu fragen sein, inwieweit die Tätigkeit der Anwälte
als
Gradmesser
für
den
Umgang
der
bundesdeutschen
Öffentlichkeit
mit
den
nationalsozialistischen Gewaltverbrechen gelten kann. Etliche frühere Nürnberger Anwälte
wie Hans Laternser oder Rudolf Aschenauer traten im Zuge der erneuten Ermittlungen gegen
Gewaltverbrechen der NS-Zeit ab 1958 wieder vor Gericht auf, besonders augenfällig im
Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 – 1965. Anders aber als noch 15 Jahre zuvor sahen sich
diese Verteidiger nun, die oft die gleichen oder ähnlichen Verteidigungsstrategien anwandten
wie in Nürnberg, herber Kritik der Öffentlichkeit ausgesetzt.
Methodisch
versucht
die
Studie
einen
biographisch-hermeneutischen
Ansatz
mit
Theorieangeboten der Diskursanalyse zu verbinden, um einen optimalen Ausgleich zwischen
dem individuellen auf die Persönlichkeit der Verteidiger und den Mechanismen der
Beeinflussung der bundesdeutschen Öffentlichkeit zu erreichen. Kernstück der für die Arbeit
herangezogenen Quellen werden die Nachlässe ausgewählter Strafverteidiger und die
umfangreiche Publizistik der Verteidigerseite sein. Diese Überlieferung wird ergänzt durch
Material von mit der Kriegsverbrecherfrage befassten staatlichen deutschen und alliierten
Stellen sowie einer umfangreichen Aktenüberlieferung aus den Archiven der beiden großen
Kirchen.