Lyrikmappe Romantik und Expressionismus

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Lyrikmappe Romantik und Expressionismus
Lyrikmappe
Romantik und Expressionismus
Annalena Kill
Carl Friedrich von Weizsäcker-Gymnasium Ratingen
Karl-Mücher-Weg 2
40878 Ratingen
Deutsch GK Q2 2014/2015
Herr Weigandt
Abgabe Datum: 09.03.2015
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung.......................................................................................................4
2. Romantik ca.1795-1840............................................................................4
a. Allgemeingeschichtlicher Hintergrund....................................4
b. Weltbild und Lebensauffassung..................................................5
c. Literarische Epoche der Romantik............................................6
i. Frühromantik.........................................................................6
ii. Hochromantik.........................................................................9
iii. Spätromantik.........................................................................10
d. Allgemeine literarische Motive und Themen........................10
e. Autoren und Werke.........................................................................14
i. Karoline von Günderrode..................................................14
1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Die eine
Klage (1804) ..............................................................16
ii. Clemens Brentano ...............................................................17
1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Der
Spinnerin Nachtlied (1802) ...................................19
iii. Joseph von Eichendorff..................................................... 19
1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Das
zerbrochene Ringlein (1813).................................21
f. Gedichtanalyse Sehnsucht von Joseph von Eichendorff....21
g. Eigenes romantisches Gedicht Mondschein...........................26
3. Expressionismus ca. 1910-1925...........................................................30
a. Allgemeingeschichtlicher Hintergrund..................................30
b. Weltbild und Lebensauffassung.................................................32
c. Literatur..............................................................................................33
d. Erörterung: Expressionismus Heute........................................37
e. Autoren und Werke........................................................................40
i. Elisabeth Lasker-Schüler...................................................40
1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Mein blaues
Klavier (1941) ............................................................42
ii. Georg Trakl.............................................................................43
1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Grodek
(1914) ...........................................................................44
iii. Georg Heym............................................................................45
1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Der Gott der
Stadt (1910) ..............................................................46
f. Gedichtanalyse Die Vorstadt von Georg Heym......................47
g. Standbilder .......................................................................................54
i. Apokalypse.............................................................................55
ii. Ich-Zerfall/Deformation.....................................................56
2
h. Gegengedicht zu Gottfried Benn Mann und Frau gehn durch
die Krebsbaracke.............................................................................57
i. Comic........................................................................................57
ii. Eigenes Gedicht Die Frau in der Krebsbaracke..........57
i. Ophelia – Schönheit und Tod: Die Ästhetik des
Hässlichen. ........................................................................................60
4. Fazit.................................................................................................................64
Literaturverzeichnis.............................................................................................65
3
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den literarischen Epochen der Romantik und des
Expressionismus, ihren Merkmalen sowie ihren Vertretern. Ich habe dabei versucht
einen kreativen Ansatz zu einem doch sehr theoretischen Thema zu finden, um
schwierige Sachverhalte einfacher darstellen zu können. Des Weiteren war es für mich
wichtig mein Verständnis für die Lyrik zu erweitern und das Verfassen von eigenen
Gedichten selbst einmal auszuprobieren.
Außerdem stellten sich mir Fragen, für die ich in der folgenden Arbeit Antworten
herausarbeiten möchte:

Was macht die Epoche der Romantik aus und wer sind ihre
Hauptvertreter?

Warum sind viele Gedichte des Expressionismus so düster?

Sind die Themen dieser Epochen heute noch aktuell?
2. Romantik ca.1795-1840
Die Bezeichnung „Romantik“ stammt aus dem Französischen „romant“ was
„zurückführen“ bedeutet. Das Adjektiv „romantisch“ bedeutet dabei so viel wie
„fantasievoll“ oder „ wunderbar“. Daraus lässt sich auch auf den Inhalt vieler
Schriftstücke dieser Epoche schließen, welche sich vor allem mit traumhaften,
verschönerten Realitäten beschäftigen.1
a. Allgemeingeschichtlicher Hintergrund
Die Romantik als gesamteuropäische Bewegung ist zeitlich schwer abzugrenzen, da sie
unterschiedliche Anfangs- und Endpunkte in jeder Nation besitzt. Die französische
Revolution 1789 und die darauffolgenden napoleonischen Kriege waren
ausschlaggebend für die Entwicklung dieser Epoche. Napoleon schaffte es bis 1815
unter anderem eine Reihe deutscher Mittelstaaten unter seine Führung zu bringen und
vor allem mit dem Code Napoleón politische und soziale Strukturen in Deutschland zu
modernisieren. Die Einführung des Code Napoleón oder auch Code Civil führte zu einer
Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis
zur Gegenwart. Hollfeld. 2012. Seite 222.
1
4
spürbaren Liberalisierung der Lebensverhältnisse, sodass das revolutionäre
Gesamtkonzept im Ganzen als fortschrittlich angesehen wurde.2 Dies bedeutete konkret
eine Umgestaltung des Staats- und Verwaltungsapparats, die kommunale
Selbstverwaltung der Armee und des Bildungssystem, sowie Mitspracherecht für die
einfachen Bürger, Gewerbefreiheit und die Befreiung der Bauern von ihren Pflichten
hinsichtlich der Abgaben an die Fürsten.3 Mit der Niederlage Napoleons in Waterloo
1814, begann in Deutschland die Zeit der Restauration. Auf dem Wiener Kongress
1814/1815 wurde Klemens Fürst von Metternich, auch österreichischer Staatskanzler,
gestattet die vorrevolutionäre Ordnung wiederherzustellen um Europa vor weiteren
Revolutionen zu bewahren. Im Zuge dieser Politik wurde in Deutschland wieder eine
monarchisch-feudale Staatsordnung hergestellt, den Fürsten und Adeligen wurden ihre
Vorrechte über dem einfachen Volk zurückgegeben. Um diese Ordnung
aufrechtzuerhalten, wurde auch der Deutsche Bund, ein lockerer Staatenbund, dem 35
Staaten und freie Städte angehörten, gegründet. Die Fürstentümer schlossen sich
zusammen um sich vor weiteren demokratischen Bedrohungen zu schützen. Die
einfache Bürgerschaft blieb somit ohne Besserung der Situation, sowie ohne Rechte.4
b. Weltbild und Lebensauffassung
Verursacht durch den Code Napoleón und die kurzzeitige Verbesserung und
Liberalisierung der Lebensverhältnisse erwarteten die einfachen Bürger eine Art
dauerhaften sozialen Aufstieg, welcher durch die restaurative postnapoleonische Politik
enttäuscht wurde. Im einfachen Volk herrschte daher eine Ablehnung gegen die Fürsten.
Verschiedene Studentenbewegungen und Burschenschaften äußerten im Zuge des
Vormärz ihren Unmut über die politische und gesellschaftliche Situation, so zum
Beispiel auf dem Wartburgfest 1817, wo hunderte von Studenten reaktionäre Schriften
ins Feuer warfen und verbrannten. Nachdem die Einschränkungen für die Opposition
der restaurativen Politik immer größer wurden, wie auch in den Karlsbader Beschlüssen
1819 festgehalten wurde, vergrößerte sich der Unmut bei den Studenten stetig. Diese
Freund, Winfried. Schnellkurs. Heinrich Heine. Köln. 2005. Seite 16.
Richter, Lorenz/ Schmalfeldt, Tim. Geschichte und Geschehen. Qualifikationsphase
Oberstufe Nordrhein-Westfalen. Stuttgart. 2011. Seite 378.
4 Schanze, Helmut. Romantik-Handbuch. Stuttgart. 2003. Seite 17-23.
2
3
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Unzufriedenheit endete letztendlich in der Märzrevolution von 1848 die Einheit und
Freiheit für alle Bürger forderte.5
Aufgrund der einschränkenden politischen Situation und der Repression durch die
Fürstentümer begann das Individuum zur Zeit der Romantik sich in bessere, schönere,
freiere Welten zu träumen, was vor allem durch die Literatur funktionierte. So lässt sich
vor allem das für die Romantik typische Motiv der unerfüllbaren Sehnsucht erklären, in
diesem Fall die Sehnsucht nach einem besseren, erfüllteren Leben. Des Weiteren spielte
die Verbundenheit zur Natur bei diesem Eskapismus ebenso eine große Rolle, da die
Natur von politischen Restriktionen ausgenommen war und man dort freien Mutes
nachdenken konnte.
c. Literarische Epoche der Romantik
Die literarische Epoche der Romantik lässt sich in drei verschiedene Zeitfenster
einteilen.
i. Frühromantik
Die Frühromantik, auch Jenaer Romantik genannt, ist die erste Phase der literarischen
Epoche der Romantik. Der Name bezieht sich auf die Universität Jena, wo viele
Schriftsteller sich, auch aufgrund der Nähe zum Zentrum der klassischen Literatur
Weimar, versammelten.6 Der Anfang der Epoche orientiert sich an einer Wanderung von
Ludwig Tieck und Heinrich Wackenroder im Jahre 1793, auf der sie das Mittelalter als
„goldene[s] Zeitalter“ entdecken, welches es wiederherzustellen galt. Zur Zeit des
Mittelalters waren Religion und Kunst, besonders der ausgeprägte Katholizismus die
wichtigsten gesellschaftlichen Attribute. In der literarischen Epoche der Romantik fand
das Motiv des Mittelalters als Ideal großen Anklang. Die Ruhelosigkeit, die sich aufgrund
des Willens nach Veränderung breit machte, wird oft durch das Motiv des Wanderns
unterstrichen.
Friedrich Schlegel und Georg Friedrich von Hardenberg sind die bekanntesten
Vorkämpfer und Vordenker der Romantik.
Richter, Lorenz/ Schmalfeldt, Tim. Geschichte und Geschehen. Seite 380.
Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Freising. 1999.
Seite 73.
5
6
6
Georg Friedrich von Hardenberg (1772-1801), welcher seine Schrifttücke unter dem
Pseudonym „Novalis“ veröffentlichte, stellte einige grundlegende poetische Thesen auf,
wie die romantische Literatur aufgebaut sei. So zum Beispiel in seiner Veröffentlichung
Romantisieren – Fragmente zur Poetik (1789-1800):
„Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem
Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die
Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein
gebe, so romantisiere ich es.“7
Das Romantisieren, die Verschönerung der Realität ist eines der Merkmale, welches sich
in jedem romantischen Gedicht wiederfindet. Die Realität wird durch verschiedenste
Metaphern, Bilder und Vergleiche dargestellt, dabei geht es auch darum der Realität zu
entfliehen – ohne die Realität zu verleugnen, stellt der romantische Dichter sich diese
schöner vor als sie ist, und gibt so den negativen Aspekten nicht die Möglichkeit an ihn
heran zu treten. Er lebt in einer Art Sphäre, aus der er die Realität anders, besser,
verschönert sieht als sie ist.
Friedrich Schlegel, ein weiterer Vordenker der Romantik, entwickelte das Prinzip der
„progressiven Universalpoesie“ unter welchem sich alle romantischen Gedichte
vereinen:
„Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen
der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie
und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie
und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald
mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und
das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz
poetisieren und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff
jeder Art anfüllen und sättigen und durch die Schwingungen des
Humors beseelen.“8
Friedrich Schlegel hatte somit ähnliche Ziele wie Novalis, er wollte Sachgegenstände
miteinander verbinden, die normalerweise als gegensätzlich oder unverbindlich
Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte, Themen und Strukturen. Berlin. 2009. Seite
325.
8 Ebd.
7
7
angenommen werden. So entstehen in der Romantik zum Beispiel Gedichte, die ganze
grammatikalisch korrekte Sätze enthalten, also Prosa und Poesie miteinander verbinden.
Dies lässt sich zum Beispiel am Gedicht „Der Spinnerin Nachtlied“ von Clemens Brentano
(1818) erkennen: Die gesamte zweite Strophe bildet ein Satzgefüge: „Ich sing[e] und
kann nicht weinen und spinne so allein den Faden klar und rein[,] solang der Mond wird
scheinen“9. Natürlich gibt es noch einige Unterschiede zwischen der Prosa und der
Poesie, aber genau diese Unterschiede machen die Verbindung der beiden Textarten so
interessant.
Des Weiteren stammt die Theorie der „romantischen Ironie“ von Friedrich Schlegel.
Diese besagt, dass das Produzierende mit dem Produkt dargestellt werden soll, wobei
sich außerdem die Vorgänge der Selbsterhaltung und der Selbstvernichtung stets
abwechseln sollen. Praktisch angewendet hat diese Theorie Ludwig Tieck in seinem
Stück Der gestiefelte Kater (1797). Der Autor verbindet verschiedene ontologische
Ebenen in diesem Stück miteinander ohne den Leser vorher darauf aufmerksam zu
machen. So gibt es in dem Stück drei verschiedene Ebenen mit verschiedenen
Charakteren. Als erstes existiert die Ebene des Märchens mit den handelnden Personen
wie zum Beispiel dem gestiefelten Kater. Dann gibt es die Ebene des Schauspiels,
Schauspieler übernehmen also vor einem Publikum die Rolle der handelnden Personen
des Märchens, haben aber gleichzeitig auch noch eigene Charaktereigenschaften. Die
dritte Ebene, die Ebene des Stücks wird dann erreicht, wenn der Ludwig Tieck als
Dichter, Schauspieler, die Schauspieler und Publikum spielen, wir als Leser existieren.
Fordert nun der Dichter den Schauspieler, der die Rolle des Besänftigers spielt, dazu auf
das Publikum zu besänftigen, so geht der Dichter nur auf die Rolle des Besänftigers, die
Ebene des Märchens ein, die der Schauspieler in diesem Moment angenommen hat. Ob
der Schauspieler mit seinen Charaktereigenschaften wirklich in der Lage ist andere
Menschen zu besänftigen ist eine andere Frage. Stellt der Autor dann aber später fest,
dass der Besänftiger, also die Märchenperson zu weit entfernt sei um zu helfen, so
vermischt dieser noch einmal die Ebenen, da ja der Schauspieler des Besänftigers,
welcher zuerst angesprochen wurde, sich direkt hinter dem Vorhang befindet und nur
die Märchenperson weit entfernt ist. Das bedeutet, Ludwig Tieck stellt in seinem Stück
Der gestiefelte Kater das Produzierende, also den Schauspieler, der zum Beispiel den
9
Ebd. Seite 329.
8
Besänftiger spielt, im Produkt dar und verwirrt durch das Vermischen der ontologischen
Ebenen das Publikum.10
ii. Hochromantik
Die Hochromantik, auch aufgrund ihres Zentrums Heidelberger Romantik genannt,
rückte das volkstümliche Element der deutschen Literatur in den Vordergrund. Es
sollten französische Einflüsse ausgeschlossen und das vaterländische, deutsche
Kulturgut wieder hervorgehoben werden. So entstanden zu dieser Zeit Sammlungen
verschiedener Volkslieder, -dichtungen und –märchen, sowie eine Reihe der Märchen
der Gebrüder Grimm (Jacob (1785-1863) und Wilhelm (1786-1859)).
Repräsentativ für die Volksgut Sammlungen kann das Werk Des Knaben Wunderhorn
(1804) von Achim von Arnim und Clemens Brentano betrachtet werden, in welchem
sowohl mündlich überlieferte als auch schriftliche Dokumente und Kompositionen
verschiedenster Art zu finden sind.
Zur Zeit der Hochromantik nahm das literarische Schaffen neue Dimensionen an und
nicht nur um Heidelberg herum konzentrierten sich literarische Gruppierungen,
sondern es gab viele verschieden weitere Orte, an denen romantische Literatur
geschaffen wurde. Insgesamt beschäftigte sich die Hochromantik auch mit den Themen
Dekomposition, Wandel, Neuanfang sowie Kontinuität, die in vielen Schriftstücken stark
ineinander verflochten sind. So werden zum Beispiel französische Einflüsse abgelegt
und deutsche Einflüsse wieder hervorgehoben. Gleichzeitig werden Denkweisen aus der
Frühromantik teils übernommen, teils ebenso abgelegt.11 Die Epoche der Hochromantik
ist nur sehr schwer zu generalisieren, da an den verschiedensten Orten, die
verschiedensten Ideen entstanden um die romantische Epoche weiterzuentwickeln.
Eine Generalisierung der Merkmale würde also den Ansprüchen der Autoren nicht
gerecht werden. Es lässt sich aber dennoch sagen, dass viele Schriftsteller des Zentrum
Friedrisch-Schiller-Universität Jena. Philosophische Fakultät. Institut für
germanistische Literaturwissenschaft. Protokoll: Christian Hanke. 11.12.2013.
https://www.unijena.de/unijenamedia/Downloads/faculties/phil/germ_lit/Materialien/Matuschek/WS
+13_14/11_12_13.pdf. Stand:08.03.2015.
11 Schanze, Helmut. Romantik-Handbuch. Stuttgart. 2003. Seite 49.
10
9
Heidelberg sich auf die oben genannte Wiederherstellung und Komposition des
deutschen Volksgutes konzentrierten.12
Joseph von Eichendorff ist einer der bekanntesten Dichter, dessen Werk sich zum Teil
auf die volkstümliche Art bezieht, aber zu anderem Teil auch verschiedenste Motive der
Romantik in seine Werke einbrachte, wie zum Beispiel das Motiv der Sehnsucht, des
Wanderns oder der Nacht.
iii. Spätromantik
Die Spätromantik, auch Schwäbische Romantik genannt, ist die wohl unbekannteste
Phase der Romantik. In dieser Phase entstanden vor allem dichterische Werke, welche
sich mit historischen Themen und Motiven befassten. Zu ihren bekanntesten Vertretern
zählen Eduard Mörike und Wilhelm Hauff. Wilhelm Hauff (1802-1827) ist zum Beispiel
mit Der kleine Muck als deutscher Märchendichter im Gedächtnis geblieben. Das Werk
Maler Nolten von Eduard Mörike (1804-1875) entstand in Anlehnung an Goethes
Bildungsroman Wilhelm Meister. Andere Werke Mörikes sind durch Elemente der
Darstellung des Dämonischen schon dem Realismus zuzuordnen.13
d. Allgemeine literarische Motive und Themen
Die Schriftsteller waren damals philosophisch ausgerichtet und ihre Literatur basierte
auf der Klassik. In der Romantik wurden Aspekte aus der Klassik, wie auch aus der Zeit
des Sturm und Drang aufgegriffen und vertieft. Dies war aus der Klassik zum Beispiel die
Grundidee, dass der Mensch seinen Verstand, sowie Gefühle, künstlerisches Empfinden,
sowie wissenschaftliches Denken benutzt, wobei all dies in einer ausgewogenen
Harmonie stattfinden sollte. In der Romantik sollten ähnlich gegensätzliche Dinge
gleichzeitig behandelt werden, die Grundidee der Klassik also vertieft werden.14 Eine
Idee des Sturm und Drang, die in der Epoche der Romantik vertieft wurde, war der
Naturenthusiasmus. So wie während des Sturm und Drang das Leben in und nach der
Natur als Lebensideal galt, so flüchten sich viele Romantiker mit ihren Gedichten in die
Idealität der Natur und versuchen ebenso eine möglichst enge Verbindung zu dieser
aufzubauen.
Ebd. Seite 52f..
Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Seite 71-84.
14 Deutsche Klassik (1786-1832). http://www.pohlw.de/literatur/epochen/klassik.htm.
Stand:08.03.2015.
12
13
10
Die Romantik war eine sehr vielschichtige Epoche: Die Themen variierten von tiefster
Traurigkeit und Melancholie, einer Epoche ohne echtes Ziel, auf der ewigen Suche und
getrieben von der Hoffnung des Findens bis hin zu einer ironischen, helleren Seite der
Romantik. Aus der melancholischen Seite entwickelten sich vor allem Motive wie die
Sehnsucht, die Unterschiede zwischen Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit und
Gegenwart, die sich miteinander verbinden sollten, während sich aus der helleren Seite
zum Beispiel die romantische Ironie oder unbeschwerte Volkslieder entwickelten.15
Die Beschäftigung mit sich selbst und seinem Inneren, sowie das Ausschmücken fiktiver
Vorstellungen durch märchenhafte Verhältnisse und die idyllischen Bilder der Natur
waren großer Bestandteil der romantischen Epoche. Dies beruht darauf, dass die
gesellschaftliche Struktur die Menschen soweit einschränkte und in ihren Hoffnungen
enttäuscht hatte, dass die Literatur einen Ort der Freiheit für sie darstellte. Der
Eskapismus aus der Realität ist Hauptmotiv in der Epoche der Romantik. Der einfache
Bürger träumte sich auf der Suche nach den Wurzeln der deutschen Geschichte und
einer geregelten Ordnung und Kultur zurück in die als ideal angesehene Welt des
Mittelalters.16
Aus diesen Träumen entwickelte sich ein großes Motiv der Romantik: Die Sehnsucht. Die
Sehnsucht in der Romantik hatte meist kein benennbares Motiv und wenn doch so
bezog sie sich auf etwas Unerreichbares, Fernes oder nicht Existentes – die romantische
Sehnsucht war also unerfüllbar. Aus diesem Sehnsuchtsmotiv ergibt sich weiterführend
das Motiv der ewigen Suche. Da die romantische Sehnsucht unerfüllbar ist, hat das
lyrische Ich in vielen Gedichten keine Hoffnung darauf eine Lösung für das Problem oder
die Sehnsucht zu finden, es sucht also ewig oft irrsinnig nach einer Lösung, ohne diese je
zu erreichen.
Auch das Motiv des Wanderns, welches die Ruhelosigkeit der Schriftsteller nach einer
Besserung der Situation ausdrücken soll, bezieht sich auf das Motiv der unerfüllbaren
Sehnsucht. Durch das Wandern wird zum einen die enge Verbindung zur Natur
dargestellt, auf der anderen Seite aber auch die Unmöglichkeit der Lösungsfindung
verkörpert. Die ständige Bewegung ist eines der beliebtesten Motive die ewige Suche
darzustellen.
Erlach, Dietrich/ Schurf, Bernd. Lyrik. Liebe vom Barock bis zur Gegenwart. Berlin.
2007. Seite 31.
16 Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte, Themen und Strukturen. Seite 326.
15
11
Des Weiteren unterstreicht der Aufbau eines romantischen Gedichtes oft den Inhalt.
Auch dies lässt sich auf Schlegels Universalpoesie zurückführen, da Inhalt und Aufbau
bzw. äußere Form in vielen Textarten keine Verbindung zueinander haben. In der
romantischen Poesie wird allerdings aus Inhalt und Aufbau eine Einheit, da zum Beispiel
das Reimschema, die Kadenz oder der Klang der Vokale oft die vermittelte
Grundstimmung des Inhaltes unterstreichen. Um noch einmal das oben genannte
Beispiel aufzugreifen unterstreicht die Regelmäßigkeit des Kadenzwechsels und des
Reimschemas im Gedicht „Der Spinnerin Nachtlied“ von Clemens Brentano (1818), den
inhaltlichen Aufbau. Jeweils die Strophen zwei, vier und sechs behandeln das gleiche
Thema, sowie die ungeraden Strophen eins, drei und fünf ein anderes Thema behandeln.
Aus diesem Grund ist auch im Inhalt eine Wiederholung zu erkennen. Des Weiteren
strahlt das Gedicht auf der einen Seite eine traurige Stimmung aus, auf der anderen Seite
zeigt es auch die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach einer besseren Zukunft durch die
Wiederherstellung der Vergangenheit. Durch die Wiederholung beider Aspekte, also der
melancholisch geprägten aktuellen Situation, sowie der Hoffnung auf eine bessere
Zukunft, wird diesen große Aufmerksamkeit entgegengebracht und die äußere, sich
wiederholende Form unterstreicht diese repetitive inhaltliche Struktur.
Ein weiteres Merkmal der romantischen Epoche ist das madische Zeitverhältnis. Dies
bedeutet, dass die Vergangenheit in romantischen Gedichten oft als besser dargestellt
wird als die Gegenwart. Die Gegenwart ist dabei meist traurig und unerfüllt, während
die Zukunft wiederum durch eine Wiederherstellung der Vergangenheit Hoffnung auf
bessere Zeiten lässt.
Die Romantiker drückten ihre Sehnsucht nach einer engen Verbindung mit der Natur oft
dadurch aus, dass sie viele Sachverhalte durch verschiedene Bildnisse aus der Natur
beschrieben oder diese metaphorisch mit der Natur verbunden. Die Natur galt als Ideal,
unveränderlich und schön und der Romantiker wollte, auf seiner ewigen Suche nach der
Erfüllung der Sehnsucht und des Verlangens, oft in die Natur. So entstanden viele
Gedichte, die die Schönheit und die Sehnsucht nach der Natur zum Thema hatten, wie
zum Beispiel das Gedicht Sehnsucht von Joseph von Eichendorff.17
Das zentrale Symbold der Romantik ist die „blaue Blume“ von Novalis. Diese führt er in
seinem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ durch einen Traum ein. Der Protagonist
17
Siehe Gedichtanalyse Sehnsucht
12
Heinrich träumt in diesem Roman von verschiedenen, wunderlichen Orten, bis er zum
Ende seines Traums an einem Berghang eine glänzende blaue Blume entdeckt. Die
Beschreibungen in dem gesamten Textauszug um die blaue Blume weisen
verschiedenste Merkmale der Romantik auf: die Sehnsucht nach etwas Wunderschönem,
Unerreichbaren, die Lebhaftigkeit und Schönheit der Natur, sowie die Sehnsucht die
Natur zu empfinden und sich mit dieser zu vereinen. Diese blaue Blume, beschrieben als
breitblättrig, glänzend, lichtblau und wohlriechend, wurde zum zentralen Symbol der
Romantik, da ihre Beschreibung die Merkmale der Romantik bündelt. Blaue Blumen sind
in der Realität äußerst selten zu finden, das Motiv der Sehnsucht nach der idealen Natur,
sowie der Vorgang des Romantisierens vereinen sich in der blauen Blume zu dem wohl
bekanntesten Symbol für die Epoche der Romantik.18
Das Motiv der Nacht ist eines der beliebtesten der Romantik, da die Theorie der
Romantiker wie folgt lautete: In der Nacht sei das Wesentliche zu erkennen, was der
helle Tag sonst bedeckt. Diese Theorie bezieht sich vor allem darauf, dass über Tag die
nicht zufriedenstellende Politik die Regeln bestimmt, bei Nacht allerdings diese Regeln
nicht unbedingt einzuhalten sind, da sie niemand kontrolliert. Das bedeutet in der Nacht
steht die Natur, das Wesentliche, das Ideale im Vordergrund und hat die Möglichkeit
sich auszubreiten. So entstand auch die Theorie des Verschmelzens von Wirklichkeit
und Traum, Himmel und Erde. Die Nacht hebt die am Tag existierenden Grenzen auf und
macht das Unmögliche möglich.19
Die Synästhesie beschreibt den Vorgang der Verbindung vieler verschiedener
Sinnesreize zu einem Gesamtbild. So macht der romantische Dichter oft Gebrauch davon
Düfte, Gefühle, Töne und Anblicke zu vereinen, wie zum Beispiel in Eduard Mörikes
Gedicht Er ist’s (1829), welches die Ankunft des Frühlings beschreibt.
18
19
Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Freising. Seite 78f..
siehe eigenes Gedicht Mondschein
13
Er ist's (1829) – Eduard Mörike
1 Frühling läßt sein blaues Band
2 wieder flattern durch die Lüfte;
3 süße, wohlbekannte Düfte
4 streifen ahnungsvoll das Land.
5 Veilchen träumen schon,
6 wollen balde kommen.
7 Horch, von fern ein leiser Harfenton!
8 Frühling, ja du bist's!
9 Dich hab ich vernommen!
Dabei lässt sich in Vers 1 die bildliche, metaphorische Beschreibung des Frühlings
erkennen. In Vers 3 das Reizen des Geruchssinns, in Vers 4 durch das Verb „streifen“ der
Tastsinn und in Vers 7 das Gehör. Das Ansprechen aller Sinnesorgane verursacht nun
beim Leser ein positives Gesamtbild des Frühlings.
e. Autoren und Werke
i. Karoline von Günderrode
Die wahre echte Liebe ist meist eine
unglückliche Erscheinung, man quält sich
selbst und wird von der Welt misshandelt. –
Karoline von Günderrode
Karoline von Günderrode wurde am 11. Februar 1780 in Karlsruhe geboren. Nach dem
frühen Tod ihres Vaters trat sie 1797 mit 17 Jahren als Stiftsfräulein in den
Cronstetten Hynspergischen Damenstift für evangelische Adelige in Frankfurt am
Main ein. Dort absolvierte Günderrode ihr Studium in Philosophie und Literatur.
14
Durch lesen verschiedenster Bücher eignete sie sich ein zeitgemäßes Bildungsniveau an
und erkannte bald die Benachteiligung der Frauen in der Gesellschaft.20
Friedrich Carl von Savigny (1779-1861) trat als erste große Liebe in ihr Leben ein,
welche allerdings im Unglück endete, da er anstatt die hochgebildete Karoline von
Günderrode lieber eine ihrer weniger gebildeten Freundinnen Gunda Brentano zur Frau
nahm. Nach dieser Trennung widmete sich Günderrode vor allem dem Schreiben von
Dramen, wie zum Beispiel Mora, die alle heldenhafte, starke, emanzipierte Frauen als
Protagonisten hatten.
Exkurs: Das Drama Mora handelt von verschiedenen Kämpfern: Carul, Frothal,
Karmor und Thormod. Mora ist die Tochter des Königs Torlat und liebt Frothal.
Nachdem Frothal und Mora auf der Jagd waren und nachts in einer Höhle schlafen,
fordert Karmor Frothal zum Kampf um Mora auf. Allerdings tritt dabei Mora selbst zum
Kampf an und stirbt dabei. Als Frothal erwacht ist Mora bereits tot und er trauert um
die Königstochter. An Moras Verhalten lässt sich hier die eigenständige Frau erkennen,
die Günderrode stets versuchte darzustellen und auch selbst zu sein.21
Später trat der verheiratete Philologe Friedrich Creuzer (1771-1858) in ihr Leben,
doch auch dieser konnte den Liebesansprüchen Günderrodes nicht gerecht werden. In
ihrem Sonett Die Malabarischen Witwen (1805-1806) betont Günderrode aufgrund ihrer
gescheiterten Liebe ihr Unglück und, dass die Bereitschaft für die Liebe zu sterben,
die höchste Hingabe sei.22
Günderrode nahm somit ihren Liebesschmerz zum Anlass sich am 26. Juli 1806 in
Winkel am Rhein das Leben zu nehmen. Dies tat sie, indem sie sich einen Dolch ins
Herz stach. Sie war in ihrem Leben durch die patriarchalische Gesellschaft so beschränkt,
Frauen Biographieforschung. Karoline von Günderrode.
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/karoline-von-guenderrode.
Stand: 08.03.2015.
21 Northeimer Datenbank Deutsches Gedicht. Mora Karoline von Günderode.
http://nddg.de/gedicht/20635-Mora-Günderode.html. Stand: 08.03.2015.
22 Stein, Peter/Stein, Hartmut. Chronik der deutschen Literatur. Stuttgart. 2008. Seite
319.
20
15
obwohl sie ein freiheitsstrebender Mensch war, sodass sie ihr Leben nicht mehr als
lebenswert betrachten konnte. Außerdem war sie durch ihre unglückliche Liebe zu
Creuzer noch einmal enttäuscht worden. Dennoch hinterließ die junge Schriftstellerin
weitreichenden Eindruck durch die „Radikalität und Unbedingtheit“, mit welcher sie
ihre Gefühle auslebte und ihre Ziele zu erreichen versuchte.23
Günderrode wird aufgrund ihres freiheitsstrebenden Charakters und ihrer
anspruchsvollen Literatur oft als „Vordenkerin der weiblichen
Emanzipation“ angesehen.24
Außerdem veröffentlichte sie unter dem männlichen Pseudonym Tian zwei
Gedichtsammlungen, Gedichte und Phantasien (1804) und Poetische Fragmente (1805),
welche thematisch ihre Träume von einem selbstbestimmten, eigenständigen Leben und
ihrem inneren Konflikt zwischen Liebe und Freiheitsdrang behandeln. Der Höhepunkt
ihres dichterischen Schaffens ist das Gedicht Die Idee der Erde, in welchem sie zu dem
Schluss kommt, dass Natur und Mensch um zur Perfektion zu gelangen eine Einheit
bilden müssen.25
1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Die eine
Klage (1804)26
Das Gedicht scheint von einer typischen Trennungssituation zu handeln. Die Autorin
stellt den Schmerz dar, den eine Person nach einer Trennung verspürt und die
Verzweiflung, nie wieder glücklich zu werden. Ich finde das Gedicht strahlt eine
melancholische Grundstimmung aus, auch wenn es die schönen Dinge einer Beziehung
ebenso wie die negativen darstellt. Dennoch überwiegt hier der Trennungsschmerz und
das nächste Glück scheint fern zu sein. Das Gedicht ist somit typisch für Günderrodes
Schaffen, da ihre unglücklichen Liebesbeziehungen sie letztendlich in den Tod getrieben
haben.
Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis
zur Gegenwart. Hollfeld. 2012. Seite 74.
24 Ebd. Seite 73.
25 Frauen Biographieforschung. Karoline von Günderrode.
26 Das Gedicht ist zu finden bei: Erlach, Dietrich/ Schurf, Bernd. Lyrik. Liebe vom Barock
bis zur Gegenwart. Seite 34.
23
16
i. Clemens Brentano
Nur die Menschen, die vom Leben
durchströmt werden, indem sie es
durchströmen, sind schöne, glückliche,
reine Menschen. – Clemens Brentano27
Clemens Brentano, geboren am 09. September 1778 in Ehrenbreitstein bei Koblenz, war
Sohn einer reichen Kaufmannsfamilie. Nachdem er, sowohl seine Kaufmannslehre als
auch Studiengänge in Medizin sowie Kameralwissenschaft (Lehre von der Gestaltung
der Staatseinkünfte), abgebrochen hatte, widmete er sich der Literatur. Er verbrachte
sein Leben an vielen verschiedenen Orten. 1801 zog er nach Göttingen um mit Achim
von Arnim zusammen an der Volksliedersammlung Des Knaben Wunderhorn (1804) zu
arbeiten. Die zwei verband eine enge Freundschaft. Ebenfalls in Göttingen, wo er
eigentlich sein Medizinstudium hätte beenden sollen, wo er aber anstattdessen
Freundschaften mit verschiedenen Literaten führte, entstand 1801 sein Roman Godwi
oder Das steinerne Bild der Mutter. 1803 heiratete Brentano Sophie Mereau, welche ein
Kind mit in die Ehe brachte. Die beiden hatten zwei weitere Kinder miteinander,
allerdings lebte keines länger als einige wenige Woche. Sophie Mereau starb 1806. 28
Bildquelle: Spiegel Online Kultur. Clemens Brentano.
http://gutenberg.spiegel.de/autor/clemens-brentano-75. Stand: 08.03.2015.
Aphorismen, Zitate, Sprüche und Gedichte. Clemens Brentano.
http://www.aphorismen.de/suche?f_autor=753_Clemens+Brentano&seite=6.
Stand:08.03.2015.
28 Wunderlich, Dieter. Dieter Wunderlich Buchtipps und Filmtipps. Clemens Brentano
(Biografie). http://www.dieterwunderlich.de/Clemens_Brentano.htm. Stand:08.03.2015.
27
17
Danach lebet er von 1804 bis 1809 in Heidelberg, wo er zusammen mit von Arnim an
der „Zeitung für Einsiedler“ arbeitete, welche als „Sprachrohr der Romantik“29 gilt.
Von 1809 bis 1818 lebte er überwiegend in Berlin, wo er sich ab 1815 dem
Katholizismus zuwandte. Dort begann er eine Affäre mit Auguste Bußmann (17911832). Die beiden heirateten 1807, doch auch diese Beziehung währte nicht lange und
1814 wurde die Scheidung eingereicht. 1816 verliebte er sich dann in die
Pastorentochter Luise Hensel, welche seine Heiratsanträge allerdings ablehnte. In den
Jahren darauf geriet Brentano in eine Art Lebenskrise, in welcher er sich stark auf den
katholischen Glauben konzentrierte. Dabei entstand zum Beispiel das Werk Das bittere
Leiden unseres Herrn Jesu Christi nach den Betrachtungen der gottseligen Anna Katharina
Emmerick, Augustinerin des Klosters Agnetenberg zu Dülmen, nebst dem Lebensumriss
dieser Begnadigten, in welchem er sich auf das Leben der oben genannten Nonne berief,
die er bis in den Tod begleitet hatte, indem er täglich ihre Visionen aufschrieb und diese
später zu seinem Werk zusammenfügte.30 Ab 1824 führte er ein Wanderleben mit
Stationen wie Berlin, Bonn, Frankfurt, Koblenz und München. 1833 lernte er in
München die Schweizer Malerin Emilie Linder (1797-1867) kennen, doch auch diese
lehnte seine Heiratsanträge ab. Am 28. Juli 1842 starb Brentano in Aschaffenburg.31
Brentanos Frühwerk zeichnet sich vor allem durch die Wiederherstellung des
deutschen Volksgutes aus, womit er in Zusammenarbeit mit Achim von Arnim
versuchte in Deutschland ein nationalstaatliches Gemeinschaftsgefühl hervorzubringen.
Sie veröffentlichten gemeinsam drei Teile der Sammlung Der Knabe des Wunderhorn, in
welcher sich sowohl mündlich überlieferte, als auch aus anderen Textquellen
stammende Volks-, Soldaten-, Kinderlieder, Märchen und Gedichte für jeden Anlass
fanden.32 Des Weiteren entstanden während seiner Lebenskrise vor allem an den
katholischen Glauben angelehnte Werke (siehe oben). Insgesamt lässt sich sagen, dass
Brentano sich in seiner Literatur vor allem mit der verzweifelten Suche nach einer
höheren, gottgegebenen Ordnung auseinandersetzte.
Ebd.
Ebd.
31 Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis
zur Gegenwart. Seite 65ff..
32 Kraft, Thomas. Lyrik. Ein Schnellkurs. Seite 55.
29
30
18
1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Der
Spinnerin Nachtlied (1802)33
Das Gedicht lässt sich auf den ersten Blick in drei verschiedene Handlungen einteilen.
Zum einen die aktuelle Situation des lyrischen Ichs, welches traurig mitten in der Nacht
einen Faden spinnt. Dann die Gedanken des lyrischen Ichs an die glückliche
Vergangenheit mit einer bestimmten Person, sowie den Ausblick in die Zukunft und die
Hoffnung auf Wiedervereinigung mit der vermissten Person. Das Gedicht erscheint mir
auf der einen Seite als sehr melancholisch, auf der anderen Seite scheint der Ausblick in
die Zukunft das lyrische Ich glücklich zu machen. Die Wiederholungen einzelner Phrasen
des Gedichts verstärken diesen Eindruck.
ii. Joseph von Eichendorff
„Eichendorff ist kein Dichter der Heimat, sondern des
Heimwehs, nicht des erfüllten Augenblicks, sondern
der Sehnsucht, nicht des Ankommens, sondern der
Abfahrt“ – Rüdiger Safranski von Theodor W.
Adornos übernommen und ergänzt34
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff wurde am 10. März 1788 auf Schloss
Lubowitz in Oberschlesien geboren und gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der
Hochromantik.
Von 1805 bis 1808 studierte er Philosophie und Jurisprudenz in Halle und
Heidelberg. Während dieses Studiums lernte Eichendorff andere erfolgreiche und
angesehene Vertreter der Romantik kennen, so zum Beispiel Achim von Arnim. Nach
seinem Studium geriet Eichendorff in Wien in Kontakt mit dem Frühromantiker
Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte, Themen und Strukturen. Seite 329.
Bild- und Zitatquelle: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Joseph von Eichendorff.
http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_von_Eichendorff. Stand: 08.03.2015.
33
34
19
Friedrich Schlegel unter wessen Einfluss dann auch sein erster Roman (Ahnung und
Gegenwart, 1815) entstand.35
Von 1813 bis 1815 kämpfte Eichendorff in den Befreiungskriegen, er nahm
unterschiedliche Stellungen im Militär ein und blieb noch bis Ende des Jahres 1815 bei
den Besatzungstruppen. Erst danach kehrte er nach Breslau zurück. 1815 heiratete er
Luise von Larisch, mit der er vier Kinder hatte, wovon eines allerdings mit einem Jahr
starb. Als 1818 Eichendorffs Vater ablebte, wurden Großteile des Familiengutes, so wie
auch das Schloss Lubowitz, verkauft. Eichendorff kam nie richtig über den Verlust seiner
Kindheit hinweg.
Zwischen 1816 und 1844 entfernte Eichendorff sich beruflich vom Schriftstellerischen
und arbeitete als hoher preußischer Beamter in verschiedenen Ämtern. In diesem Zug
musste die Familie 1831 nach Berlin umziehen. 1841 wurde Eichendorff zum Geheimen
Regierungsrat ernannt.
Nach weiteren Umzügen rund um den Berliner Raum und Dresden starb Joseph von
Eichendorff 1857 in Neiße (Schlesien).36
Eichendorffs literarische Werke zählen zu den bedeutendsten der Hoch- und
Spätromantik. Vor allem Eichendorffs Gedichte ähnelten durch ihre Schlichtheit und
einfache Ausführung sehr Volksliedern, wie auch Brentano und von Arnim sie während
der Hochromantik in Sammlungen zusammengestellt hatten (siehe oben). So zum
Beispiel das Gedicht Neue Liebe (1837), in dem Eichendorff in einem unbeschwerten
Ton sein Glück beschreibt.37
Des Weiteren ist er der Dichter, dessen Werke in großer Zahl vertont wurden. Dies
geschah zum Beispiel durch Robert Schumann (1810-1856), der zu Mondnacht (1837)
eine Melodie komponierte. Eichendorffs Schriftstücke befassen sich vor allem mit der
Schönheit der Natur, die er durch verschiedenste Motive und Metaphern beschreibt,
wobei er dabei nicht zu euphemistisch, sondern verhältnismäßig realitätsnah schreibt.
Außerdem behandelt Eichendorff das Motiv der Sehnsucht und des
Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis
zur Gegenwart. Seite 78.
36 Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Seite 83.
37 Erlach, Dietrich/ Schurf, Bernd. Lyrik. Liebe vom Barock bis zur Gegenwart. Seite 32.
35
20
Trennungsschmerzes, wobei auch die Diskrepanz zwischen Traum und Wirklichkeit
offensichtlich wird (siehe unten).38
1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Das
zerbrochene Ringlein (1813)
Das Gedicht erscheint mir als relativ traurig, das lyrische Ich, vermutlich ein Mann,
wurde von seiner Frau verlassen und sucht nun Hilfe in seiner Arbeit. Obwohl er traurig
ist, hat er dennoch, so scheint es, seine Lebensfreude nicht verloren. Er möchte nun
Abenteuer erleben und zum Beispiel in Schlachten ziehen und sein Leben genießen. Das
Gedicht zeigt für mich sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte einer
Trennung auf.
b. Gedichtanalyse Sehnsucht von Joseph von Eichendorff
Das Gedicht „Sehnsucht“ von Joseph von Eichendorff, entstanden im Jahre 1830/3,
handelt von der unerfüllbaren Sehnsucht des lyrischen Ichs die Schönheit der Natur zu
erleben. Dabei steht das lyrische Ich in einer klaren Sternennacht in der ersten Strophe
am Fenster und träumt davon mit dem Postwagen mitreisen zu können, als es dessen
Horn vernimmt. Die zweite Strophe handelt von zwei Gesellen, welche singend durch die
Natur wandern. Ihr Gesang handelt von unterschiedlichen Naturvorkommnissen,
beispielsweise von Quellen und Flüssen. Die dritte Strophe befasst sich weiterhin mit
dem Wandererlied sowie weiteren Aspekten der Natur. Außerdem spricht das lyrische
Ich von Palästen im Mondschein. Der Inhalt des Gedichts verliert an Realitätsnähe.
Das lyrische Ich in diesem Gedicht steht in der ersten Strophe am Fenster und betrachtet
sehnsüchtig die Natur. Dabei bleibt es an zwei Wanderern und ihrem Lied hängen,
wobei sich die Sehnsucht nun darin zeigt mit den Wanderern zu gehen. In der dritten
Strophe kommen träumerische Illusionen des lyrischen Ichs hinzu.
Das Gedicht besteht aus drei Strophen a sechs Versen. Das Reimschema ist der
Kreuzreim, wobei jeweils der sechste und der achte Vers jeder Strophe sich
strophenübergreifend reimt. (abab-cdcd efef-gdgd –hihi-kdkd)
Dies sorgt für eine gewisse Regelmäßigkeit und erinnert an den Refrain in einem
Volkslied. Dies könnte eine Anlehnung an Brentano und von Arnims Volkslieder Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis
zur Gegenwart. Seite 78.
38
21
Sammlung sein. Außerdem verleiht die Wiederholung dem Gedicht eine beruhigende
Wirkung. Das Metrum ist regelmäßig, allerdings nicht nur einem Reimschema
zuzuordnen. Es handelt sich um einen zweihebigen Daktylus mit anschließendem
Trochäus, wobei jeder Vers mit einem Auftakt beginnt, was die inhaltliche Sehnsucht
nach Abenteuer in der Natur unterstreicht und Spannung aufbaut. Die erste Strophe des
Gedichts beginnt mit verschiedenen Sinneswahrnehmungen des lyrischen Ichs, wie zum
Beispiel „hör[en]“ (V.3), oder dem Beobachten der Sterne. Dabei steht es sehnsüchtig am
Fenster und blickt in die Natur hinaus. (vgl. V1)
Die Verwendung des Wortes „golden“ (V.1) um die Sterne zu beschreiben impliziert
deren Wert für das lyrische Ich und deren wunderlichen Schimmer, der beim lyrischen
Ich eine Art Bewunderung der Freiheit der Sterne, als auch der Schönheit der Natur
auslöst. Außerdem ist der Stern ein Symbol für etwas Unerreichbares, Schönes,
Mystisches. Der zweite Vers steht in starkem Kontrast zur natürlichen Freiheit, die in
Vers 1 ausgeführt wird, da dort das lyrische Ich sein unglückliches Dasein als
Gefangener beschreibt; es „stand einsam am Fenster“ (V.2). Wiederum im Gegensatz
dazu steht der dritte Vers, in welchem das lyrische Ich „aus weiter Ferne“ (V.3) einen
Ton eines „Posthorns“ (V. 3) vernimmt. Das lyrische Ich träumt ergo davon diese Weite
selbst zu erleben anstatt hinter Glas gefangen am Fenster zu stehen. Diese unendliche,
aber unerreichbare Sehnsucht wird in Vers 5 deutlich: „Das Herz mir im Leib
entbr[a]nnte“ (V. 5). Die Metapher des brennenden Herzens verstärkt die Leidenschaft
und die Emotionen das lyrischen Ichs.
Diese Motive, die Liebe und die Leidenschaft, sowie das Motiv der unerfüllbaren
Sehnsucht sind typisch für die literarische Epoche der Romantik, in welcher sich viele
Schriftsteller aufgrund der unglücklichen politischen und gesellschaftlichen Situation
sich in ihr Inneres flüchteten und sich als Eskapismus aus der schrecklichen Wirklichkeit
mit der Idylle und Schönheit der Natur beschäftigten. Das Problem an der
gesellschaftlichen Situation war die durch Napoleon und den Code Civil etablierte
Hoffnung auf eine Besserung der gesellschaftlichen Ordnung, wie zum Beispiel gleiche
Rechte für alle Bürger. Nach der Niederlage Napoleons und dem Ende seines Einflusses
auf Deutschland aber, begann die Epoche der Restauration, Fürstentümer nahmen die
Macht wieder an sich und die einst positiven Gesetze wurden wieder abgeschafft. Dies
führte dazu, dass viele Bürger sich in Deutschland unwohl fühlten und versuchten durch
die Literatur in eine bessere Welt zu flüchten.
22
Vers 6 impliziert die nicht vorhandene Freiheit der Gedanken. Das lyrische Ich darf nicht
laut über seine Träume und Sehnsüchte sprechen, sondern muss diese „heimlich“ (V. 6)
behandeln. Aus dem Verhaltensschema des lyrischen Ichs und seiner Gefangenschaft
innerhalb des Hauses lässt sich schließen, dass das lyrische Ich weiblich ist. Frauen
waren grundsätzlich nach dem patriarchalischen Gesellschaftsbild dem Mann
untergestellt und hatten wenig Freiheiten. Auch die Gedanken des lyrischen Ichs
verstärken noch einmal seine weibliche Identität. Die beiden letzten Verse der ersten
Strophe bilden einen Ausruf, es liegt also ein Enjambement, ein versübergreifender Satz,
vor (vgl. V. 7). Vers 7 beginnt mit einer Emphase mit seufzendem Unterton: „ Ach...!“ (V.
7), welcher die Verzweiflung und Melancholie der Frau widerspiegelt.
Diese Melancholie ist auch ein Motiv der Romantik, da viele Schriftsteller sich in ihrer
Lebenssituation oder Gesellschaftsordnung gefangen fühlten, da sie während der
Epoche der Restauration kein Mitspracherecht mehr hatten und somit schutzlos den
machthabenden Fürstentümern untergeordnet waren.
Der letzte Teil des Ausrufs: „...in der prächtigen Sommernacht!“ (V.8), repräsentiert die
hohe Bedeutung, die das Posthorn als Motiv der Freiheit für das lyrische Ich hat. Die
Wortwahl „prächtig“ (V. 8) unterstreicht diesen Eindruck und verleiht der Natur einen
hohen Stellenwert, sowie eine positive Konnotation. Den Wunsch des lyrischen Ichs an
dieser Stelle seine Gefühlslage als Ausruf zu formulieren, verleiht diesem ein Maximum
an Ausdruckskraft (vgl. V. 9).
In der zweiten Strophe wird der Wunsch nach Freiheit nun spezifiziert und auf zwei
wandernde, singende „Gesellen“ (V. 9) projiziert. Durch den Gesang der Gesellen wir nun
die Schönheit und Vielfalt der Natur beschrieben, z. B. „die stille Gegend“ (V. 12) zeigt
die Ruhe, die durch die Natur ausgelöst wird. Außerdem werden Felsschluchten, Wälder
und Quellen positiv beschrieben (vgl. V. 13-15). Die Quellen werden durch das Verb
„sich stürzen“ (V. 16) personifiziert, was den Eindruck erweckt als wären die Quellen
lebendig und hätten, im Gegensatz zum lyrischen Ich, Entscheidungskraft.
Im letzten Vers der Strophe werden all die vorher genannten Eindrücke mit dem
Neologismus „Waldesnacht“ (V. 16) zusammengefasst. Die Zusammensetzung aus den
Wörtern Wald und Nacht zeigt zum einen die Schönheit und die Sehnsucht nach der
Natur und zum anderen wird durch den Wortteil Nacht eine geheimnisvolle,
abenteuerliche Stimmung verursacht (vgl. V. 16).
23
Insgesamt sorgt die Häufung hier vorhandener Alliterationen für einen beruhigenden,
harmonischen Klang, welcher Form und Inhalt als Ort der Erholung und Ruhe verbindet
(vgl. V. 9, V. 11, V.14, V.16).
Außerdem ist das Aufgreifen des Motives des Wanderns für Joseph von Eichendorff sehr
typisch. Als Wanderer, so war die Einstellung zur Zeit der Romantik, war man der Natur
am nächsten. Man durfte mit eigenen Augen die Perfektion des natürlichen Seins
betrachten, ohne durch die gesellschaftlichen Missstände abgelenkt zu werden.
In der dritten Strophe wird der Inhalt des Liedes der Wanderer wiedergegeben. Die
erste Hälfte der Strophe (V. 17-19) handelt von Orten in der Natur, an denen der Mensch
eingegriffen und aus natürlichen Dingen etwas Neues geschaffen hat. So geht es zum
Beispiel um Marmorbilder, Gärten und Lauben als Dinge, die jeder Leser kennt und
welche einfach zu verstehen sind (vgl. V. 17-19). Durch diese einfachen Begriffe wird
noch einmal die Volkstümlichkeit des Gedichtes hervorgehoben: Es soll für jeden
zugänglich und verständlich sein und auch wenn man sich nicht eingehend mit den
Themen der Romantik beschäftigt hat, ist es einfach zu verstehen.
Vers 20 dient als Zusammenfassung der vorangegangenen Aspekte in der Natur. Diese
fasst das lyrische Ich für sich unter dem Begriff „Pal[a]st[ ] im Mondenschein“ (V. 20)
zusammen. Dieser Vergleich der Natur mit einem Palast verdeutlicht die Sehnsucht, aber
gleichzeitig auch die Unerreichbarkeit der Natur für das lyrische Ich.
Im zweiten Teil der Strophe findet nun ein Perspektivenwechsel von der IchPerspektive zum Erzähler/Sprecher der 3. Person statt. Dies lässt das Gedicht
universeller/allgemeiner wirken, so als könnte sich jeder mit dem lyrischen Ich und
seinen Sehnsüchtigen identifizieren und als wäre die Situation übertragbar auf jede
andere Person (vgl. V. 21).
Nach dem Perspektivenwechsel werden nun mehrere Mädchen beschrieben wie sie am
Fenster stehen. Das Aufgreifen der Anfangsthematik stellt einen umrahmenden
Rückbezug her und erzeugt die Geschlossenheit des Gedichtes in sich (vgl. V. 2, 21).
Auch der Aspekt des Geräusches, dieses Mal von einer Laute, welches die Freiheit der
außenliegenden Welt und der Natur verkörpert, wiederholt sich und verstärkt so noch
einmal das anfangs entstandene Bild des melancholisch sehnsüchtigen lyrischen Ichs
(vgl. V. 22).
24
Außerdem lässt sich erkennen, dass die gesamte dritte Strophe ein einziger Satz ist. Dies
stellt die Verbindung des lyrischen Ichs zur Natur dar. Obwohl diese nicht offensichtlich
zu erkennen ist, sind das lyrische Ich und die Natur durch die Sehnsucht verbunden.
Die Intention des Autors war mit diesem Gedicht die unerfüllbare Sehnsucht der
Menschen nach der Natur bzw. der in der Natur verkörperten/vorhandenen Schönheit
und Ruhe zu beschreiben. Der Titel „Sehnsucht“ impliziert hier schon den Wunsch nach
etwas, das unerreichbar ist. Das Sehnsuchtsmotiv fand vor allem in der Romantik
häufige Verwendung, da die Bevölkerung sich aufgrund der unveränderbaren
gesellschaftlichen Zustände nach innen kehrte und sich durch die Literatur in die Idylle
und Ruhe der Natur flüchtete. Oft waren die Sehnsüchte der damaligen Zeit so
unerreichbar wie hier die Natur und das Abenteuer für das am Fenster stehende
Mädchen, welches aufgrund der patriarchalischen Familienstruktur das Haus nicht
verlassen durfte.
Die adressierte Bevölkerungsgruppe ist in diesem Fall die gesamte Bevölkerung, da sich
jeder mit dem Gefühl der Sehnsucht nach etwas identifizieren kann, während der
Romantik eben besonders mit der Sehnsucht nach Ruhe und Natur. Außerdem wird
besonders die weibliche Bevölkerung durch das lyrische Ich angesprochen, da diese sich
mit der exakten Situation des Mädchens auseinandersetzen musste.
Dass eine Frau das lyrische Ich eines Gedichtes darstellt, war vor der Epoche der
Romantik undenkbar, doch genau durch diese Veränderungen bekamen auch Frauen zur
Zeit der Romantik den Zugang zur Literatur. Des Weiteren trugen sogenannte Salons,
wie der von Rahel Varnhagen von Else, in welchen Frauen ihre Literatur austauschen
konnten, dazu bei vielen Frauen die Literatur näher zu bringen.39
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach der
Schönheit der Natur durch verschiedene sprachliche und stilistische Mittel sowie den
Inhalt ausgedrückt und vertieft wird. Besonders die genauen Beschreibungen der
natürlichen Begebenheiten tragen dazu bei.
Das Gedicht erscheint mir mit seiner Thematik perfekt in die Epoche der Romantik zu
passen. Außerdem finde ich, dass durch die Identifikation mit dem lyrischen Ich sowie
39
Gigl, Claus J.. Abitur-Wissen Deutsch. Deutsche Literaturgeschichte. Seite 77.
25
durch den Perspektivenwechsel ein Spannungsbogen bis zum Ende des Gedichts
entsteht.
Auch auf die heutige Zeit lässt sich die Thematik der Sehnsucht projizieren, zum Beispiel
auf die Sehnsucht nach Erholung oder eben auch auf die Sehnsucht nach der Natur,
welche im Zeitalter der großen Ballungszentren und Städte wieder zugenommen hat.
Aus diesem Grund empfinde ich dieses Gedicht als durchaus immer noch aktuell und die
Behandlung im Deutsch-unterricht sinnvoll.
c. Eigenes romantisches Gedicht Mondschein (Annalena Kill,
2015)
Mondschein
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
Es war so warm, es war so klar,
Die Sterne glitzten wunderbar.
Es war so still, als alles schlief,
Nur aus der Fern’ ein Keuzchen rief.
Es war so magisch, war so schön,
Mit ihm umschlungen da zu steh’n.
Es war so fein, als er mich fragte,
Als eine Sternschnupp’ vom Himmel jagte
Es war so perfekt die Nacht,
In der er hat es nun vollbracht.
Es war mein Traum sein’ Frau zu sein,
Für immer wie hier im Mondschein.
Fast hätte ich den Sonnenaufgang versäumt,
So wunderbar hab ich geträumt.
Das vorliegende Gedicht, habe ich, Annalena Kill, im Jahre 2015, selbst geschrieben um
einige Merkmale der Romantik einmal selbst anzuwenden.
Dabei habe ich mich auf das Nachtmotiv der Romantik bezogen, die Nacht war in der
Romantik die Zeit, in der die festen, klaren Regeln und Umrisse sich auflösten und Erde
und Himmel, Wirklichkeit und Traum fließend ineinander übergingen. Demnach sind in
der Nacht der Fantasie keine Grenzen gesetzt, die Natur als Idealbild in der Romantik
erscheint als geheimnisvoll und wunderbar.
Das Gedicht befasst sich mit einem weiblichen lyrischen-Ich, welches von der
besonderen Nacht berichtet, in der ihr Freund oder Mann ihr einen Heiratsantrag macht.
Das Gedicht besteht aus nur einer Strophe zu 14 Versen. Das Reimschema ist der
Paarreim, wobei dieser an einer Stelle eine Assonanz aufweist (vgl. V. 5,6). Die Wörter
26
„schön“ (V.5) und „steh’n“ (V.6) reimen sich nur unrein, sie haben zwar einen ähnlichen
Klang, weisen aber nicht die gleichen Vokale auf. Außerdem muss festgestellt werden,
dass ein Paarreim zum einen durch den Reim und zum anderen durch die inhaltliche
Verbundenheit als eine Einheit wahrzunehmen ist. Jedes Paar bildet nämlich gleichzeitig
auch ein Enjambement, einen versübergreifenden Satz (vgl. V1f.).
Das Metrum ist der vier-hebige Jambus, welcher einen regelmäßigen Rhythmus in das
Gedicht bringt. Dieser ist allerdings an einigen Stellen unterbrochen, wie in Vers 8 und
13. In Vers 8 liegen zwei aufeinanderfolgende Jamben vor, darauf folgt ein Anapäst und
noch ein Jambus, welcher allerdings dann mit einem Auftakt auf einer weiblichen
Kadenz endet. Diese Unterbrechung des regelmäßigen Metrums unterstreicht hier den
Inhalt. Eine Sternschnuppe ist ein seltenes, plötzliches und faszinierendes
Naturphänomen, dem besondere Aufmerksamkeit zugesprochen wird. In Vers 13 ist
eine weitere Unterbrechung des Metrums zu erkennen, dort folgt auf den vier-hebigen
Trochäus noch ein Anapäst. Auch in diesem Fall unterstreicht die Unterbrechung die
Gefühle die durch den Inhalt vermittelt werden. Das lyrische-Ich schreckt hoch und stellt
mit Entsetzen fest, dass es „fast [...] den Sonnenaufgang versäumt“ (V. 13) habe. Dieser
plötzliche Gefühlwandel der ruhigen, entspannten Atmosphäre wird durch das
Aufschrecken unterbrochen, so wird auch das regelmäßige Metrum an dieser Stelle
unterbrochen.
Die Verse des Gedichts enden normalerweise auf eine männliche Kadenz, wobei es auch
dort einige Unterbrechungen gibt. Diese sind in Vers 7 und 8 vorzufinden. Vers 7 und 8
bilden die Mitte des Gedichts und nur in diesen Versen geht wirklich eine Handlung von
Personen vor. Das lyrische Ich erfährt in diesen zwei Versen seinen lang ersehnten
Traum, welcher noch längere Nachwirkungen haben wird. Um den Moment als etwas
länger anhaltend darzustellen, wird hier die weibliche Kadenz verwendet, da diese dem
Vers den Eindruck verleiht als würde er ausklingen (vgl. V. 7f.).
Das Gedicht beginnt mit einer Exposition (V. 1-4) der nächtlichen Begebenheiten, in
denen sich die Handlung abspielt. Die Verwendung der Adjektive „warm“ (V.1),
„klar“ (V.1), „still“ (V.3) betonen die angenehme, geheimnisvolle Situation in der Nacht.
Das Glitzern der Sterne, kann hier als bildhafte Beschreibung für die knisternde
Spannung stehen, die zwischen dem lyrischen Ich und seinem Begleiter besteht. Der Ruf
des Keuzchens (V. 4) steht dabei für die Nähe zur Natur, die vor allem romantische
27
Dichter oft suchten. Es entsteht der Eindruck als stände das lyrische Ich als eine Einheit
mit der Natur im Wald und als genösse es die geheimnisvolle, ruhige Atmosphäre der
Nacht. Des Weiteren lässt sich am Gebrauch überwiegend hell klingender Vokale in den
ersten 4 Versen eine positive Grundstimmung erkennen. Es stehen insgesamt circa 24
helle Vokale circa sieben dunklen Vokalen gegenüber. Die Stimmung ist von Hoffnung
und positiver, aufregender Spannung geprägt.
Vers 5-8 beschreiben dann die tatsächliche Situation, in der das lyrische Ich und sein
Partner erst gemeinsam die Natur genießen, bis sie dann einen Heiratsantrag bekommt.
Die Situation ist durch das Verbinden von magischen Symbolen und der Realität
euphemistisch dargestellt. Die magischen Symbole sind hier die Sternschnuppe die „vom
Himmel jagte“ (V. 8), da es höchst unwahrscheinlich ist, dass genau in dem Moment eine
Sternschnuppe vom Himmel kommt. Allerdings wird dadurch die Ekstase, die Freude
und das Glück ausgedrückt, welche das Paar in der Situation verspürt. Des Weiteren
wird der Zustand selbst als „magisch“ (V.5) bezeichnet, was dazu führt, dass auch der
Leser sich in einen träumerischen Zustand versetzt fühlt. Der Leser hat die Möglichkeit
sich auf dem Gerüst der Informationen, die im Gedicht gegeben werden, seine eigene
Illusion und Vorstellung der Situation aufzubauen.
Die Anapher „als er mich fragte,/als eine Sternschnuppe vom Himmel jagte“ (V. 7f.)
deutet auf die Gleichzeitigkeit der Vorgänge hin, wodurch die Handlung beschleunigt
wird. Die Wortwahl „umschlungen“ (V.7) um die beiden Personen zu beschreiben zeigt
ihre enge Verbundenheit zur Natur auf. Umschlingen ist ein biologischer Vorgang von
Schlingpflanzen, welcher auf der einen Seite eine negative Konnotation hat, welche aber
auf der anderen Seite durch die Schönheit der Situation hier entkräftet wird. Dass der
Mann die Frau in diesem Moment umschlungen in den Armen hält, deutet daraufhin,
dass die zwei eine unzertrennliche Einheit bilden und der Mann dem lyrischen-Ich
Schutz bietet.
Der nächste inhaltliche Abschnitt (V. 9-12) zeigt, wie das lyrische-Ich über die
vorhergegangene Handlung denkt. Es betont seinen Unglauben und die Faszination
durch die Betonung „so perfekt“(V.9) bei der Beschreibung der Nacht. Daraufhin spricht
das lyrische Ich davon, dass ein lang ersehnter „Traum“ (V.11) „nun vollbracht“ (V.10)
ist. Das heißt das Motiv der Sehnsucht, welche normalerweise in der Epoche der
28
Romantik kein Motiv und keinen Erfolg hat wird hier erfüllt. Im Gegensatz zu den
typisch romantischen Gedichten scheint hier die Sehnsucht erfüllt zu sein.
Das lyrische Ich beteuert außerdem, dass es „im Mondschein“ (V.12) die Frau des
Mannes sein will, wodurch die Wichtigkeit und die Außergewöhnlichkeit des
Nachtmotives klar wird. Der Leser hat hier noch einmal die Möglichkeit über die
Beziehung des lyrischen-Ichs nachzudenken: Vielleicht ist die Nacht die einzige
Möglichkeit für diese Beziehung um zu existieren. Nur im Geheimen, wenn
gegensätzliche, bzw. eigentlich abgegrenzte Dinge miteinander zu einer Einheit
verschmelzen können, kann die Beziehung zwischen Mann und Frau bestehen. Bezieht
man dies nun auf den allgemeinen historischen Kontext der Epoche der Romantik, so
lässt sich erkennen, dass die Ständegesellschaft oft Beziehungen zwischen Ständen
verbat und demnach einige geheime Beziehungen stattfanden, wie zum Beispiel auch in
dem Drama „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller, in welchem die bürgerliche Luise
Miller und der adelige Ferdinand versuchten eine Liebesbeziehung zu führen, welche
letztendlich im Tod der beiden endete. Demnach geht aus dem Gedicht
„Mondschein“ nicht hervor, ob das Liebespaar auch in der Öffentlichkeit gemeinsam
auftreten kann, oder ob dies nur durch die Verschleierung der Wahrheit der Nacht
möglich ist.
Der letzte Teil des Gedichts (V.13-14) rundet die Handlung dann ab, indem die Nacht
durch den Sonnenaufgang beendet wird und somit auch die Träume des lyrischen Ichs.
Es gibt nun zwei verschiedene Möglichkeiten das Ende zu interpretieren. Zum einen
könnte die Handlung, die das lyrische Ich vorher beschreibt wirklich passiert sein und es
setzt die Handlung mit dem letzten Vers einem Traum gleich. Das lyrische Ich verbindet
also Traum und Realität miteinander, wie es nach der progressiven Universalpoesie
nach Friedrich Schlegel in romantischen Gedichten der Fall ist. Zum anderen könnte
man die letzten beiden Verse so interpretieren, dass das lyrische Ich aus einem Traum
erwacht und die vorher beschriebene Handlung nur im Traum geschieht, es also mit den
letzten beiden Versen in die Realität zurückkehrt. An dieser Stelle bleibt es dem Leser
überlassen, in welche Richtung er die Handlung interpretieren möchte.
Der Gebrauch rhetorischer Mittel zieht sich durch das gesamte Gedicht. Die
Wiederholung des Satzanfangs „Es war...“ ist sowohl als Anapher als auch als
Parallelismus zu erkennen. Diese Wiederholung zeigt, dass das lyrische Ich immer
29
wieder von neuen Eindrücken angetan ist, die es in möglichst einfacher und deutlicher
Form dem Leser zu vermitteln versucht. Außerdem bewirkt dieser Satzanfang eine Art
Wiedererkennungswert, der Leser gewöhnt sich an diese kurzen Unterbrechungen des
Handlungsverlaufs.
Meine Intention mit diesem Gedicht war es, wie oben schon genannt, selbst
auszuprobieren wie man mit verschiedenen Motiven, Themen und Merkmalen der
Romantik umgehen könnte und wie diese sich hinterher zu einem großen Bild
miteinander verbinden. Ich fand es spannend zu erleben, wie schwer es tatsächlich ist
zuerst einmal ein relativ regelmäßiges Metrum in ein Gedicht einzubringen und damit
gleichzeitig noch eine zusammenhängende, sich reimende Geschichte oder Handlung zu
beschreiben.
b. Expressionismus ca. 1910-1925
Der Begriff „Expressionismus“ leitet sich aus dem Lateinischen „expremere“ ab, welches
sich aus den Wortteilen „ex“ = aus, heraus, weg und „premere“ = drücken, pressen,
zusammensetzt. Im übertragenen Sinne bedeutet es dann Ausdruckskunst.40
a. Allgemeingeschichtlicher Hintergrund
Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 unter Kaiser Wilhelm II und im Zuge
der Industrialisierung entwickelte sich Deutschland bis 1914 zu einer der führenden
Wirtschaftskräfte. Dies ist unter anderem zurückzuführen auf Kaiser Wilhelms Ansicht,
dass Deutschland ein „Platz an der Sonne“ gebühre und es diesen vor allem durch die
Kolonialpolitik erreichen könne. Auch trugen eine niedrige Arbeitslosenquote und eine
Wohlstandsvermehrung in großen Teilen der Bevölkerung zu diesem wirtschaftlichen
Wohlstand bei. Das Obrigkeitssystem im wilhelminischen Kaiserreich wurde von
Großgrundbesitzern und der höheren Beamtenschaft regiert. Großteile des einfachen
Volkes waren diesen angesehenen Autoritäten unterstellt. Außerdem verfolgte Kaiser
Wilhelm II eine nationalistische Außenpolitik, Deutschland sollte als eine Einheit
wahrgenommen werden. Im Zuge dessen wurde auch eine imperialistische
Wirtschaftspolitik durchgeführt, wozu auch eine starke und umfassende Aufrüstung
gehörte. Die Spannungen innerhalb Europas erreichten ihren Höhepunkt als am 28. Juni
Blecken, Gudrun. Königs Erläuterungen Spezial. Deutsche Liebeslyrik vom Barock bis
zur Gegenwart. Seite 228.
40
30
1914 beim Attentat von Sarajewo Franz Ferdinand, der Thronfolger von ÖsterreichUngarn, erschossen wurde. Dies brachte die Situation zum Eskalieren, sodass
Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte. Durch verschiedenste Bündnisse waren
zahlreiche andere Nationen wie auch Deutschland in den Krieg miteinbezogen. Mit dem
Kriegsbeginn 1914 machte sich in Deutschland eine große Kriegsbegeisterung breit,
welche vor allem durch die vorherige Aufrüstung und Militarisierung der gesamten
Gesellschaft ausgelöst wurde. Auch in der Bevölkerung machte sich so das Gefühl breit,
dass die politischen Spannungen in Europa nicht mehr auf rechtlichem Wege, sondern
nur durch Gewalt gelöst werden könnten.
Im ersten Weltkrieg standen sich somit Deutschland und sein verbündeter
Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn und Frankreich, England und Russland, das
sogenannte Triple Entente, gegenüber. Das Ziel des Triple Entente Bündnisses war die
politische Isolation Deutschlands. Deutschland war somit von Feinden umzingelt und
konnte auf keine Hilfe mehr hoffen. 1915 etablierte sich der Stellungskrieg oder
Grabenkrieg, da die Kämpfe an den Fronten zu ausgeglichen waren. Diese Kriegsart
forderte, auch aufgrund der technischen Fortschritte und Massenvernichtungswaffen
Millionen von Menschenleben. Durch die Nachrichten des langsamen Vorankommens
der deutschen Truppen und der vielen Toten, machte sich in Deutschland ab 1916
Kriegsmüdigkeit bemerkbar. Deutschland befand sich in einer militärischen
Pattsituation und der Krieg war aussichtslos. Im Jahre 1917 traten die Vereinigten
Staaten Amerikas in den Krieg ein mit dem Ziel diesen schnellstmöglich zu beenden.
Parallel entbrannte in Russland die Oktoberrevolution, die die Regierung stürzte
woraufhin die kommunistischen Bolschewiki die Macht ergriffen. Dies war der Beginn
des späteren „Ostblocks“, sowie dem lang andauernden Ost-West Konflikt. Mit dem
Kriegseintritt der USA und dem bedingungslosen U-Boot Krieg gegen Deutschland,
gewannen Deutschlands Feinde bald die Überhand und der Krieg endete im November
1918. Danach wurde Europa vor allem durch den Friedensvertrag von Versaille 1919
neu strukturiert. Für Deutschland begann eine Phase strikter Überwachung durch die
Siegesmächte und schwerer Auflagen, wie zum Beispiel hoher Reparaturzahlungen,
Rüstungsverbot und Gebietsabtretungen.
Auch wurde die in Deutschland durch die Weimarer Republik neu etablierte Demokratie
von großen Teilen der Bevölkerung strikt abgelehnt. Der deutsche Bürger sehnte sich
nach einer klaren Gesellschaftsordnung wie sie unter Kaiser Wilhelm II zu finden
31
gewesen war. Außerdem trugen die psychologisch schlechte Verfassung der Nation, die
die alleinige Kriegsschuld zu tragen hatte, die Weltwirtschaftskrise 1929 sowie die
politisch gespaltene Bevölkerung dazu bei, dass die Weimarer Republik bald vom
Hoffnung und strikte Organisation ausstrahlenden Nationalsozialismus abgelöst
wurde.41
b. Weltbild und Lebensauffassung
Die deutsche Bevölkerung litt zu Beginn der Epoche des Expressionismus stark unter
der wilhelminischen Gesellschaft, welche nur zwischen Adelig und Nicht-Adelig
unterschied, nicht aber das Individuum in der Gesellschaft anerkannte. Der Autor
Heinrich Mann greift dieses Problem in seinem Roman Der Untertan auf, Diederich
Heßling der Sohn eines Papierfabrikanten, verehrt den Kaiser so sehr, dass er dafür
sogar seine Flitterwochen abbricht um für den Kaiser nach Rom zu reisen, wobei er nur
einer von Millionen von Menschen ist, die dem Kaiser dort zujubeln. Für den Kaiser
existiert die Gesellschaft als eine große Masse, die er regiert. Dem Individuum, der
individuellen „Seele“ eines Menschen schenkt er dabei keine Beachtung.
Nach dem Krieg, durch den viele Menschen sowohl materielle als auch familiäre Verluste
verzeichnen mussten, machte sich in Deutschland ein Antikriegsgefühl breit. Im
Nachhinein stellte man fest, dass der Krieg die gesellschaftliche Situation nicht
verbessert hatte. Die Weimarer Republik als neues politisches und gesellschaftliches
Modell wurde von vielen abgelehnt, da sie ebenfalls Neuerungen und Veränderungen
forderte, die die Menschen noch nicht bereit waren zu verarbeiten. Insgesamt zeichnet
sich die Nachkriegszeit durch eine melancholische, pessimistische Grundstimmung aus.
Die apokalyptische Grundstimmung zur Zeit des Expressionismus hatte verschiedene
Gründe. Zum einen wurde diese durch das Erscheinen des Kometen Halley 1910, sowie
den Untergang der Titanic 1912 und den Kriegsbeginn 1914 ausgelöst.42
GK Geschichte Siegel Unterrichtsmaterialien.
Richter, Lorenz/ Schmalfeldt, Tim. Geschichte und Geschehen. Qualifikationsphase
Oberstufe Nordrhein-Westfalen. Stuttgart. 2011.
41
Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Seite 1324.
42
32
Exkurs: Der Komet Halley ist ein alle 74-79 Jahre wiederkehrender Komet. Er ist einer
der wenigsten Kometen, die gut mit bloßem Auge zu erkennen sind. Die Angst der
Menschen bestand 1910 darin, dass man kurz vor der Berührung mit der Erde
feststellte, dass der Komet giftige Gase absonderte. Heute weiß man, dass die geringe
Menge, die der Komet an Giftgasen in sich trägt das menschliche Leben nicht
beeinflusst.43
Zum anderen stand man den Neuerungen in Technik, Transport und Kommunikation im
Zuge der Industrialisierung skeptisch gegenüber, die Auffassung war, dass etwas Neues
nur dann entstehen kann, wenn das Alte zugrunde ginge. Der Untergang der Titanic, als
das damals modernste Schiff, schien für viele die Bestätigung dieser Theorie zu sein..
Des Weiteren war die Bevölkerung mit den Neuerungen überfordert, Großstädte
sprießten aus dem Boden, die Massenproduktion wurde eingeführt. Viele Menschen
waren orientierungslos innerhalb der neuen, technisierten Welt und wollten ihre alten
Werte nicht aufgeben.
Außerdem war auch die Urbanisierung ein neues Phänomen für die Gesellschaft.
Großstädte wie Berlin, München oder Wien wuchsen in rasantem Tempo, da durch die
Industrialisierung die Arbeitsplätze vom Land in die Stadt verlagert wurden, wo der
Bedarf an Arbeitern durch die Großindustrie und die riesigen Produktionshallen wuchs.
Dabei wurde den Arbeitern oft bewusst, wie ersetzbar sie waren und, dass ständig die
Gefahr drohte in der Gesellschaft abzurutschen.
c. Literatur
Die Literatur diente im Expressionismus als Experimentierfeld um oft viele Gefühle auf
einmal auszudrücken, die Gesellschaft zu kritisieren oder die Aufmerksamkeit auf
bestimmte Missstände zu lenken.
Planet Wissen. Halleyscher Komet – Wanderer durch die Zeiten. https://www.planetwissen.de/natur_technik/weltall/kometen/halleyscher_komet.jsp. Stand:08.03.2015.
43
33
Themen während des Expressionismus waren oft Leidensthemen wie Tod, Abschied,
Monotonie, Großstadt und Krieg, die subjektive Wahrnehmung eines Einzelnen oder
Überhöhung des Realen.
Die Literatur des Frühexpressionismus äußerte besonders vor Kriegsausbruch den
Wunsch nach radikaler gesellschaftlicher Veränderung, trotz oder wegen des
wachsenden, allgemeinen gesellschaftlichen Wohlstandes durch die Industrialisierung.
Besonders für Schriftsteller war es während der wilhelminischen Zeit ein Problem, dass
das Individuum, die eigene „Seele“ in der Masse der Gesellschaft unterging. Der
wachsende Wohlstand durch die Industrialisierung erzeugte aber gleichzeitig
Verwirrung und Orientierungslosigkeit in den Köpfen der Menschen, da diese mit den
vielen Neuerungen im technischen Bereich, sowohl als auch mit neuen
Produktionsabläufen in der Massenproduktion überfordert waren.
Nach dem Kriegsausbruch wurde offensichtlich, dass der Krieg allein durch die neuen
technischen Möglichkeiten hinsichtlich der Bewaffnung unendlich viele Menschenleben
fordern würde, so schwang während des Kriegs die Stimmung um und der Krieg wurde
eher als sinnloses, gewaltsames Unheil angesehen, welches dann Motiv vieler
literarischer Schriftstücke wurde.
Nach der Kriegsniederlage war, in den Augen der Expressionisten, eine
Menschheitserneuerung notwendig um eine bessere, gesunde Gesellschaft zu schaffen,
die dann eine neue Welt schaffen könne. Durch ihre Literatur versuchten die
Schriftsteller auf die Missstände aufmerksam zu machen und so den Mensch dazu
anzuregen sich zu verändern.
Auch die literarischen Merkmale des Expressionismus spiegeln Gefühle wie
Ernüchterung, Orientierungslosigkeit und Verzweiflung und Hass wider.
Im Zuge dieser Gefühle bricht der Expressionismus mit den bisher verfolgten Idealen
der Lyrik. Literarische Merkmale dieser Epoche sind vor allem:
Die Strukturarmut expressionistischer Gedichte unterstreicht die Orientierungslosigkeit
der Menschen. Dazu trug vor allem eine Variation der gebräuchlichen Syntax und
Grammatik bei. Die Lyrik des Expressionismus zeichnet sich durch einen Bruch mit den
üblichen Regeln aus, Telegrammstil und Sprachverknappung, das Weglassen von
Artikeln oder Füllwörtern, sowie der Gebrauch von Ellipsen sind dafür typisch.
34
Parataktische Einheiten, wie ganze Sätze oder Satzgefüge zerfallen in Einzelstücke,
sodass der Leser unterschiedlichste Brocken einer Situation wahrnimmt, die er dann
selbst zusammensetzten muss. Dabei zerfällt oft im Zuge der Ästhetik des Hässlichen das
Schöne ins Kranke, Abstoßende, Ekelige, um die Folgen einer kaputten, vom Krieg
gezeichneten Gesellschaft aufzuzeigen. Des Weiteren soll diese Aufsplitterung eines
Elements in seine Einzelteile die Unfähigkeit der Menschen beschreiben verschiedene
Eindrücke zu einem großen Bild zusammenzusetzen. Dieses Merkmal nennt sich
Dissoziation. Zwar sind die Einzelteile erkennbar, aber das Bewusstsein über die
Zusammenhänge geht verloren.
Ein weiteres großes Thema zur Zeit des Expressionismus war der Ich-Zerfall, sowohl
psychischer als auch physischer Art. Der körperliche Zerfall einer Person, der oft mit
Kriegsfolgen einherging wird im Expressionismus zum ersten Mal Thema in der Lyrik.
So finden sich häufig Darstellungen des Peinlichen und Hässlichen, Tabuthemen, wie
Krebserkrankungen, Wahnsinnige oder deformierte Menschen. Dies lässt sich oft in
Verbindung mit dem Großstadtmotiv wiederfinden, wobei meist die Armut, das Elend
und Leid in den Großstädten aufgegriffen wurde.
Der Ich-Zerfall im psychischen Sinn ist auch mit der Entfremdung von sich selbst zu
vergleichen. In einer großen Stadt geht das Individuum verloren, es existiert
ausschließlich die Gesellschaft und deren Charaktereigenschaften, auch wenn diese oft
nicht mit den Werten und Anschauungen des Individuums übereinstimmen. 44
Dieser Zerfall einer Person lässt sich exemplarisch an Kafkas Erzählung Die
Verwandlung bei Gregor Samsa beobachten. Der fleißige Tuchhändler findet sich eines
Tages in der Gestalt eines Käfers in seinem Bett wieder. Aufgrund seines Käferdaseins
verliert er immer weiter die Beziehung zu seiner Familie, er verwandelt sich vom
Geliebten zur Bedrohung im eigenen Hause und stirbt letztendlich an einer Verletzung,
die sein Vater ihm mit einem faulen Apfel zufügte. 45
Gregor wird unfreiwillig in die Gestalt eines Käfers verwandelt. Er kann mit dem
gesellschaftlichen Druck, der auf ihm lastet, nicht umgehen und die Verwandlung ist das
Stadium der Entfremdung Gregors von sich selbst, bevor er letztendlich jedes Merkmal
Weigandt, Tim-Julian. Kennzeichen expressionistischer Lyrik. Ratingen. 2015.
Kafka, Franz. Franz Kafka: Die Verwandlung Brief an den Vater Weitere Werke.
Braunschweig. 2003.
44
45
35
seines Individuums verliert und stirbt. Die Entfremdung, die hier bei Kafka durch die
Gestalt des Käfers stattfindet, fand bei vielen Menschen zur Zeit des Expressionismus
aufgrund des zunehmenden Leistungsdruckes statt. Dieser stieg aufgrund der
Industrialisierung und der im Zuge dieser eingeführten Massenproduktion. Der Arbeiter
wurde ersetzbar, da die Arbeitslosigkeit hoch war und die Qualifikationsansprüche
niedrig. Der Arbeiter wurde zu einer Maschine umfunktioniert. Erbrachte er seine
Leistungen nicht, so wurde er ersetzt, wurde nicht mehr bezahlt und war somit zur
Obdachlosigkeit gezwungen. Die stetige Angst entlassen zu werden und kein Gehalt
mehr zu erhalten endete in einer Dehumanisierung der Gesellschaft. Jeder dachte an
seinen eigenen Vorteil, anstatt gesellschaftlich zu denken. Die Gewinner der
Industrialisierung ignorierten die Missstände, die diese simultan schuf.
Aufgrund der vielen technischen Neuerungen und den Veränderungen der
Gesellschaftsstruktur während und nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Menschen
mit neuen Eindrücken, Gefühlen und Gedanken überhäuft, welche sie dann möglichst
gleichzeitig in der Literatur darstellten. Die Simultaneität ist dabei ein Symbol für die
Dynamik im Expressionismus. Satzteile mit unterschiedlichem, zusammenhanglosen
Inhalt werden wahllos aneinandergereiht um möglichst viele Eindrücke, Gefühle und
Gedanken gleichzeitig darstellen zu können. So wird deutlich, dass der Autor in seiner
Orientierungslosigkeit und Verwirrung in der neuen Situation nicht mehr in der Lage ist
die einzelnen Eindrücke auseinanderzuhalten und zu einem großen Gesamteindruck zu
ordnen.
Außerdem wurde der Wille nach Veränderung durch die Dynamisierung der Sprache
ausgedrückt. Eine Vielzahl an Verben der Bewegung deuten auf die verschiedensten
Gefühle der Schriftsteller hin, welche in unterschiedlicher Art und Weise verfolgt
wurden.46
Die Vielseitigkeit des Expressionismus:
Die oben genannten Merkmale des Expressionismus beziehen sich auf die Interessen
und Merkmale, die bei den meisten expressionistischen Schriftstellern zu finden sind,
allerdings gibt es eine weitere Strömung den „messianischen Expressionismus“, dessen
Anhänger die Welt verbessern wollten. Diese Strömung ist wohl eine der
46
Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Seite 30.
36
unbekanntesten und ihre Anhänger, wie zum Beispiel Franz Werfel (1890-1945) oder
Walter Hasenclever (1890-1940), beschäftigten sich mit Themen wie Brüderlichkeit und
Gemeinschaft der Menschen. Sie strebten nach „Menschlichkeit, Güte, Gerechtigkeit,
Kameradschaft [und] Menschenliebe aller zu allen“. Auch wenn diese Strömung
heutzutage weniger bekannt ist, so war sie zur Zeit des Expressionismus umso wichtiger
- in Pinthus’ Sammlung47war ein Großteil ihrer Gedicht vertreten.48
d. Erörterung: Expressionismus Heute
Im Zuge dieser Arbeit, habe ich mir die Frage gestellt, ob der Expressionismus auch auf
die heutige Gesellschaft übertragbar ist. Oft ist die Rede davon, dass Literatur veraltet
und man da „sowieso nix mehr mit am Hut hat“, ich sehe das anders. Der
Expressionismus, die Probleme und die Motive, die die Menschen damals hatten, die sie
dazu verleiteten ihre Literatur so zu gestalten wie sie es taten, sind topaktuell.
Während der Industrialisierung und der Einführung der Massenproduktion, brach
plötzlich ein Kampf zwischen Mensch und Maschine aus. Maschinen waren
kostengünstiger und hatten keine begrenzten Arbeitszeiten oder gar Urlaub. Sie waren
rund um die Uhr verfügbar und hatten im Vergleich zu Lohnkosten sehr niedrige
Wartungskosten. Der menschliche Arbeiter allerdings, er hatte den Vorteil, dass er
denken konnte, identifizieren konnte, wenn es ein Problem gab und dieses melden. Die
Arbeitslosigkeit stieg mit der Einführung von Maschinen, sie übernahmen einfache Jobs,
die sonst unqualifizierte Niedriglohnarbeiter ausführten. Ohne Qualifikation, hatte man
damals versagt. Auch heute noch stellt sich jeder beim Erlernen einer Arbeit die Frage:
Wie lange werde ich dieser Arbeit ausführen können? Ist sie zukunftssicher? Werde ich
damit genug Geld verdienen um meine Familie zu ernähren? Maschinen und Menschen
stehen heute noch im Konkurrenzkampf um jeden einzelnen Arbeitsplatz. Auch heute
noch sind Menschen in ihrer Arbeit ersetzbar, entweder eine Maschine wird den
Arbeitsplatz übernehmen, oder es gibt eben noch viele andere menschliche Bewerber
Kurt Pinthus (geb. 1886), war einer der Vermittler und Vorkämpfer des
Expressionismus in Deutschland. Er entdecke verschieden begabte Schriftsteller und
verhalf diesen durch Publikationen in den Zeitungen für die er arbeitete zum Erfolg.
Viele weitere Publikationen sind auf ihn zurückzuführen. Quelle: Munzinger Archiv
GmbH. Biografien. Kurt Pinthus.
https://www.munzinger.de/search/portrait/Kurt+Pinthus/0/8924.html, Stand:
06.03.2015.
48 Lindenhahn, Rainer. Expressionismus. Arbeitsheft zur Literaturgeschichte. Berlin.
1999. Seite 27.
47
37
auf die Arbeitsstelle. Ja, heutzutage gibt es Kündigungsfristen und soziale Sicherheit,
doch im großen und ganzen spielt das Problem des Expressionismus Arbeit zu finden
und nicht ersetzbar zu sein auch heute noch eine wichtige Rolle.
In einigen Gedichten des Expressionismus, so zum Beispiel in „Die Vorstadt“ von Georg
Heym, wird eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, die Armen, Kranken, Leidenden
stereotypisch dargestellt. Sie tragen „Lumpenzeuge“ (V.7), leben in einem Kellerloch,
haben wenig zu essen und riechen unangenehm (vgl. Die Vorstadt, Georg Heym). Diese
stereotypische, überzogene Darstellung soll hier Aufmerksamkeit auf die Missstände in
der Gesellschaft lenken. Auch heute existieren noch viele Vorurteile und stereotypisch
denkende Menschen – für mich sind das die Missstände unserer heutigen Gesellschaft.
Anstatt, dass freundlich, offen und neugierig miteinander umgegangen wird, bringen
Menschen sich gegenseitig oft bestimmte Vorurteile gegenüber. Im Zuge der
Globalisierung, so heißt es, würden sich die Menschen mehr und öfter mit anderen
Kulturen auseinandersetzen, doch genau das Gegenteil ist der Effekt. Lieber hält man an
seiner eigenen Kultur fest und beschimpft, ja verachtete alles „Andersartige“, die
Stereotype nehmen zu und auch die Vorurteile gegenüber bestimmten
Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel den Muslimen. Eine kleine Gruppe
terroristischer Islamisten sorgt dafür, dass ganz Deutschland in Aufruhr gerät und
Ausländerfeindlichkeit wieder Medienthema Nummer 1 ist. Da fragt man sich doch – in
welchem Jahrhundert leben wir? Im 21. Jahrhundert, in dem internationale
Arbeitsteilung, Geschäftsreisen ins Ausland und Auslandspraktika an der Tagesordnung
sind oder etwa doch im 20. Jahrhundert wo Stereotype gegenüber anderen Menschen
sie ihr Leben kosteten?
Nun gut: Fakt ist Stereotype gibt es und sowohl zur Zeit des Expressionismus als auch
heute noch werden sie zum Abschrecken vor bestimmten Bevölkerungsgruppen
verwendet, sei es in der Literatur oder im täglichen Leben.
Rücksichtslosigkeit und Machtliebe waren zur Zeit der Großindustrie in Deutschland an
der Tagesordnung. Wie konnte man seine Konkurrenz auf dem Markt ausschalten?
Damals und auch heute: durch den günstigsten Preis und gute Qualität. Wie erreicht
man als Unternehmer diese beiden Ziele? Zur Zeit des Expressionismus noch öfter als
heute hatten Geschäftsführer keine Gnade mit ihren Arbeitern, entweder man war fit
und hat schnell genug und effizient gearbeitet, oder man wurde gefeuert und ersetzt.
38
Des Weiteren existierten für die Gewinner, die Unternehmen, die Armen, Leidenden
nicht. Die Industrialisierung war für sie ein Segen und so auch die hunderttausende von
Arbeitern, die sie wahlweise in ihrer Fabrik einsetzten und zum Teil ruinieren konnten.
Auch heute noch entwickeln sich Geschäftsführer, wenn es darum geht Profit für das
Unternehmen einzuheimsen, zu rücksichtslosen, hinterhältigen Tieren. Die
Entmenschlichung, die Rücksichtslosigkeit und das einzige Ziel des Geld Gewinnens
spielt auch in der heutigen Gesellschaft eine unverzichtbare Rolle. Wer bis ganz nach
oben will muss sich oft gegen andere Konkurrenten durchsetzen, klar entscheiden
welche Firma als Kooperationspartner geeignet ist und bei welcher Lösung am meisten
für das Unternehmen abspringt. Dabei werden oft Dinge wie soziale Lage der Arbeiter
oder die familiäre Situation nicht beachtet. Sie beantragen Elternschutz – „Oh nein, das
geht leider nicht, besser entlasse ich sie und hol mir, im Zweifelsfall sogar günstigeren,
Ersatz“. SO schnell sitzt man auch heutzutage trotz sozialem Netz und Sozialstaat
Deutschland auf der Straße oder steht ohne Einkommen da. Einzuschränken ist dieses
Bild in der Hinsicht, dass viele Unternehmen durch politische Maßnahmen gezwungen
sind, sich mit den Folgen ihres Handelns auseinanderzusetzen und Arbeiter nicht ohne
Existenzgrundlage verkümmern zu lassen. Doch auch diese Rechte und Gesetze
existieren nur in Deutschland, nicht aber jedoch in den Produktionsländern wie China
oder Teilen Afrikas. In diesen Ländern nämlich herrschen exakt dieselben Zustände wie
in Deutschland zur Zeit des Expressionismus. Neue Großstädte entwickeln sich, wie zum
Beispiel Mumbai in Indien, Slums, Barracken, findet man direkt
Insgesamt lässt sich also erkennen, dass der Expressionismus, oder die Probleme, die
dieser anspricht und die Mittel mit denen die Schriftsteller arbeiteten, auch in der
heutigen Gesellschaft noch existieren. Stereotypische Darstellungen kennt jedermann
aus dem Alltag, die Angst plötzlich entlassen zu werden, ersetzbar zu sein plagt jeden
Arbeiter und ja, auch die großen Firmenbosse sind heute nicht weniger rücksichtslos als
damals. Auch wenn die Literatur und ihre Gegenstände sich seit der Zeit des
Expressionismus verändert haben, so sind die offensichtlichen, gesellschaftlichen
Probleme simultan.
39
e. Autoren und Werke
i. Elisabeth Lasker-Schüler
„Der Mensch, das sonderbare Wesen, mit
den Füßen im Schlamm, mit dem Kopf in
den Sternen.“
―Else Lasker-Schüler49
„Else“ Lasker-Schüler wurde 1869 in Elberfeld, einem heutigen Stadtteil von
Wuppertal, als jüngste von 6 Kindern einer jüdischen Familie geboren. Mit 4 Jahren
konnte Else bereits lesen und schreiben. In der Schule, welche sie mit 11 Jahren verließ,
galt sie als Außenseiterin. Daraufhin bekam sie zu Hause Privatunterricht.
1895 heiratete sie Arzt Berthold Lasker und zog mit diesem nach Berlin um. Dort
ermöglichte er ihr eine Ausbildung als Malerin zu machen. Lasker war auch der Vater
ihres Kindes Paul (geboren 1899), obwohl Else zu diesem Zeitpunkt schon tief in eine
andere Gesellschaft die „Neue Gemeinschaft“, eine Gruppe von Künstlern, eingetreten
war. Allerdings hielt diese Ehe nicht lange und 1903 ließ das Paar sich scheiden.
Verursacht wurde dies durch ihren neuen Freundeskreis von exzentrischen Künstlern.
Im selben Jahr schloss Lasker-Schüler eine neue Ehe mit dem 10 Jahre jüngeren Georg
Lewin. Dieser veröffentlichte unter dem Pseudonym Herwarth Walden
Kompositionen, hielt Vorträge und Lesungen und passte somit deutlich besser in LaskerSchülers Lebensbild. Allerdings trennte sich Walden 1912 von ihr um eine Schwedin,
Nell Roslund, zu heiraten. Ohne Einkommen stieß Lasker-Schüler auf harte finanzielle
Probleme. Nur durch die Unterstützung ihrer Freunde der „Neuen
Gemeinschaft“ konnte sie sich über Wasser halten. Als sie 1912 Gottfried Benn traf,
Deutschland Lese. Ein Projekt des Bertuch Verlags Weimar und des Trägerwerk
Soziale Dienste. Bildquelle: http://www.deutschlandlese.de/files_deutschland_lese/elselaskersch__ler_1907.jpg. Stand: 07.03.2015.
Gute Zitate. Zitate und Aphorismen. http://gutezitate.com/zitat/267995.
Stand:07.03.2015.
49
40
entwickelte sich mit ihm eine kurze Liebesbeziehung, die dann in einer intensiven
Freundschaft endete und wodurch Else Lasker-Schüler zu vielen Liebesgedichten
angeregt wurde.
Als 1927 ihr Sohn Paul starb verfiel Lasker-Schüler in eine tiefe Krise. Von den
wenigen Bildern, die sie als Künstlerin verkaufte, konnte sie kaum leben und mit dem
Aufstieg des Nazi Regimes in Deutschland musste Else Lasker-Schüler 1933 in die
Schweiz fliehen. Doch auch dort wurde sie nach sechs Jahren Aufenthalt ausgewiesen
und zog mit 70 Jahren nach Palästina, wo sie 1945 verarmt und vereinsamt starb. 50
Ihre ersten Gedichtsammlungen veröffentliche Else Lasker-Schüler rund um die
Jahrhundertwende. Dazu zählen zum Beispiel Styx (1902), welches allerdings von
Kritikern abgelehnt wurde. Lasker-Schüler ließ sich nicht entmutigen und
veröffentlichte einige weitere Werke, darunter ein weiterer Gedichtband mit dem Titel
Meine Wunder (1911), mit dem sie als expressionistische Dichterin bekannt wurde.
Ihr wichtigstes Werk ist der Gedichtband Hebräische Balladen (1913), in welchem
besonders Else Lasker-Schülers eigener Stil im Expressionismus klar wird. Sie lebte in
der Welt, die sie sich durch ihre Gedichte schuf. Viele ihrer Gedichte spielen daher im
Orient oder an anderen weit entfernten Fantasieorten. Des Weiteren erkennt man in
diesem Band die Themen, mit denen sich Lasker-Schüler hauptsächlich befasste:
Liebeslyrik und biblische Gedichte und Gebete. Dabei wird dem Leser ihr tiefer
eigener Glaube deutlich.
1908 veröffentlichte sie ihr erstes Drama Die Wupper, in welchem ihr Vater eine
tragende Rolle spielte. Ein weiteres Drama, welches sie allerdings nie fertigstellte,
entstand als eine Fortsetzung von Goethes Faust. IchundIch, wurde wegen seiner
Handlung, in welcher Mephisto und Faust aus der Hölle heraus den Aufbau des
Naziregimes beobachten und Mephisto anerkennt, dass das Böse nicht unterstützt
werden darf bis, dass Deutschland unter Hitler in Flammen aufgeht, kontrovers
diskutiert. Auf der einen Seite wurde Lasker-Schüler als Prophetin angesehen, da sie
wusste, was in der Zukunft passieren würde, andererseits dachten viele Leute sie wäre
Wunderlich, Dieter. Hintergrundinformationen zu Buchtipps und Filmtipps von Dieter
Wunderlich. http://www.dieterwunderlich.de/Lasker_Schuler.htm, Stand: 06.03.2015.
Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Hollfeld.
2008. Seite 38ff.
50
41
wahnsinnig geworden. Das Stück wurde bis 1969 nicht komplett veröffentlicht und erst
1979 aufgeführt. 51
Insgesamt war Lasker-Schüler in ihrem Leben eher einsam und arm und lebte daher in
der Traumwelt, die sie sich durch ihre Gedichte erschuf. Sie ist die wohl bedeutendste
expressionistische Dichterin.
1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Mein blaues
Klavier (1941)52
Beim ersten Lesen des Gedichts entsteht eine traurige Stimmung beim Leser. Das blaue
Klavier, welches eigentlich Hoffnungsmotiv ist, scheint das lyrische Ich traurig zu
machen, da es kein Klavier spielen kann. Das Klavier scheint etwas verlorenes Schönes
darzustellen, was nun nur noch Schmerzen beim lyrischen Ich auslöst, da es das Schöne
nie zurückerlangen wird. In der letzten Strophe scheint das lyrische Ich den Tod, bzw.
die Aufnahme ins Himmelreich zu erbitten.
Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Trakl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Else_Lasker-Schüler. Stand: 07.03.2015.
Lasker-Schüler. Ich und Ich. Der Spiegel 29. 1961.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43365055.html. Stand: 07.03.2015.
52 Skrodzki, Karl Jürgen. Homepage. Else Lasker-Schüler Mein blaues Klavier.
http://www.kj-skrodzki.de/Dokumente/Text_024.htm. Stand: 08.03.2015.
51
42
ii. Georg Trakl
„Alle Straßen münden in schwarze
Verwesung“ – Georg Trakl53
Georg Trakl wurde am 03. Februar 1887 in Salzburg geboren und wuchs als fünftes
von sieben Kindern bei seiner Familie in Salzburg auf. Die Familiensituation war,
aufgrund seiner drogenabhängigen Mutter kompliziert. Die Erziehung der Kinder
übernahm eine Gouvernante, Marie Boring, wodurch Trakl schön früh mit
französischer Literatur in Berührung kam. In der Familie nahm seine Schwester
Margarethe eine Sonderstellung ein. Trakl hatte zu ihr eine inzestuöse Beziehung, er
sah das perfekte weibliche Gegenstück zu sich selbst in ihr. Trakl besuchte das
humanistische Staatsgymnasium in Salzburg, welches er allerdings aufgrund seiner
mangelhaften Leistungen ohne Abschluss verließ und eine Ausbildung zum Apotheker
begann. Schon während seiner Zeit im Gymnasium 1904 startete Trakl erste literarische
Versuche. Während seiner Ausbildung gelangte er problemlos an Rauschmittel, mit
denen er erste Drogenexperimente durchführte. Als seine 1906 veröffentlichten
Theaterstücke Totentag und Fata Morgana keinen Erfolg hatte, verbrannte er seine
Arbeit und trat in eine literarische Schaffenspause ein. Die Misserfolge erhöhten seinen
Drogenkonsum, doch als er 1907 ein Pharmaziestudium in Wien begann, schien sich
die Zukunft zu verbessern. Nach dem Tod seines Vater 1910 geriet die Familie in
finanzielle Schwierigkeiten und Trakls Psyche, durch Drogenexzesse, die unbeständige
Zitate.eu. Georg Trakl. www.zitate.eu/de/autor/5268/georg-trakl. Stand:08.03.2015.
Bildquelle: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Trakl.
53
43
Beziehung zu seiner Schwester und extreme Geldnot, wurde immer instabiler. Während
des Studiums veröffentlichte er weitere Werke, die auch außerhalb Salzburgs
veröffentlicht wurden wie zum Beispiel Andacht oder Vollendung im Neuen Wiener
Journal. Nach dem Abschluss seines Pharmaziestudiums meldete er sich als einjähriger
Freiwilliger zum Militärdienst. In diesem Zug wurde er nach Galizien versetzt, wo er
zum Teil 100 Schwerverletzte allein versorgen musste. Im Militärlazarett entstand sein
wohl bekanntestes Gedicht Grodek (1914), welches vom Leiden und dem Tod dort
berichtet. Durch seine traumatischen Kriegserfahrungen und einen
Nervenzusammenbruch wurde er selbst zum Kriegsopfer und starb am 03. November
1914 an einer Überdosis Kokain im Krankenhaus.54
1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Grodek
(1914)55
Das Gedicht beschreibt sehr düster und mit vielen bildlichen Umschreibungen den Tod,
Verletzte und insgesamt die Kriegssituation, besonders die Situation in den Lazaretten.
Die Anrufe an Gott scheinen Zorn auszudrücken darüber, dass Gott die Massenmorde
zulässt. Die Farbe rot soll hier mit Sicherheit für vergossenes Blut stehen, wobei es noch
einmal den Eindruck, dass es um Verletzte geht, verstärkt. Der letzte Vers lässt den
Leser mit einem Schock allein, dass nicht nur die Soldaten im Krieg gefallen sind,
sondern noch viele potenzielle Kinder mehr.
Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Trakl.
Stand:07.03.2015.
Die Lyrik Georg Trakls anhand exemplarischer Beispiele. Georg Trakl Biographie.
http://www.georgtrakl.de/georg-trakl-biographie.html. Stand:08.03.2015.
55 Lindenhahn, Rainer. Expressionismus. Arbeitsheft zur Literaturgeschichte. Seite 26.
54
44
iii. Georg Heym
„Ich liebe alle, die in sich ein zerrissenes Herz
haben“- Georg Heym56
Georg Heym wurde am 30. Oktober 1887 in Hirschberg (Schlesien) als Sohn des
Staats- und späteren Reichsmilitärstaatsanwalts Hermann Heym geboren. Er hatte eine
zwei Jahre jüngere Schwester namens Gertrud. Aufgrund der Arbeit seines Vaters
musste Heym in seiner Kindheit oft umziehen.
In seiner Schulzeit musste er aufgrund von mangelhafter Noten und schlechten
Benehmens die Schule wechseln, bis er 1907 sein Abitur erhielt. Bereits 1899, mit 15
Jahren begann Heym erste literarische Werke zu schaffen. Auf den dringenden Wunsch
seines Vaters hin begann er 1907 ein Jura Studium, welches er in Berlin, Jena und
Würzburg absolvierte. 1910 tritt Heym in den „Neuen Club“ in Berlin ein, wo er
verschiedenste Schriftsteller kennenlernt, die ihn inspirierten und zu seinem eigenen
Stil führten.
Nachdem er aufgrund von Fehlverhalten von seinem Jurastudium suspendiert wird,
denkt er zwiespältig über seinen weiteren Lebensweg nach und bewirbt sich sowohl für
eine Offizierslaufbahn als auch für ein Chinesisch Studium. Als Heym Hildegard Krohn
im Sommer 1911 kennenlernte, widmete er einige seiner Gedichte. Am 16. Januar 1912
Bildquelle: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Georg Heym.
http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Heym. Stand:07.03.2015.
Aphorismen, Zitate, Sprüche und Gedichte. Aphorismen.de.
www.aphorismen.de/suche?f_autor=1742_Georg+Heym. Stand:07.03.2015.
56
45
ertrank er in der Havel bei dem Versuch jemanden nach einem Schlittschuhunfall zu
retten.
Georg Heym gilt trotz seins kurzen Lebens als einer der wichtigsten Vertreter des
Frühexpressionismus. Sein erster Gedichtband Der ewige Tag (1911) gilt als das erste
bedeutende Werk des lyrischen Expressionismus. Viele seiner Werke entstanden in
Anlehnung an französische Dichter wie zum Beispiel Arthur Rimbaud (1854-1891) oder
Charles Baudelaire (1821-1867).
Seine Prosatexte lehnen sich noch an die Symbolik der Neuromantik, er übernimmt die
Themen des übernatürlichen und exotischen. So zum Beispiel in seiner Prosa Die
Athener Ausfahrt, welche von der Absurdität der menschlichen Existenz handelt.57
In seinen Gedichten beschäftigt sich Heym vor allem mit dem Großstadtmotiv, Krieg und
Gefühlen der Angst. Er beschreibt zum Teil detailliert Untergangsszenarien, aber auch
biblische Motive finden in seiner Lyrik Verwendung. Insgesamt hinterließ er rund 500
Gedichte und lyrische Entwürfe, sowie Prosastücke und wenige dramatische Arbeiten.58
Das oben genannte Zitat Heyms spiegelt seine eigene Situation wider. Er fühlte sich von
seiner Familie, besonders von seinem Vater unverstanden und hegte schon früh
Selbstmordgedanken. In Menschen mit ebenso „zerrissenem Herzen“ sah er quasi
Verbündete mit ähnlichen Problemen.59
1. Persönlicher Eindruck zum Gedicht Der Gott der
Stadt (1910)60
Das Gedicht handelt von einer Großstadt und ihrem Herrscher, welcher ein düsteres
Verhältnis zu seiner Stadt hat. Der Gott ist erzürnt über die Zustände, was beim Leser
ein Gefühl des Unbehagens auslöst. Auf der anderen Seite scheint der Gott von den
Abgasen der Fabriken, die er mit Weihrauch vergleicht angetan zu sein. Außerdem wird
Lebendiges Museum Online. Georg Heym.
https://www.dhm.de/lemo/biografie/georg-heym. Stand:08.03.2015.
dibb.de. Biografien. Georg Heym. http://dibb.de/georg-heym.php. Stand:08.03.2015.
58 Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Heym.
Stand:07.03.2015.
59 Pfohlmann, Oliver. Königs Erläuterungen Spezial. Lyrik des Expressionismus. Seite 50.
60 Lyrikwelt. Gedichte. Georg Heym.
http://www.lyrikwelt.de/gedichte/heymgeorgg1.htm. Stand:08.03.2015.
57
46
die Macht deutlich, die der Gott über die Stadt hat, indem er in der letzten Strophe
einfach eine Gasse in Flammen aufgehen lässt. Das Thema ist hier eindeutig die
Großstadt und dabei vor allem die Auswirkungen der Industrialisierung.
f. Gedichtanalyse Die Vorstadt von Georg Heym
Das Gedicht „Die Vorstadt“ von Georg Heym, erschienen im Jahr 1910, handelt vom
unüberwindlichen Elend in der Großstadt.
Das Gedicht behandelt verschiedene Schicksale von Menschen, die unter der Großstadt
leiden oder deren Leid in der Großstadt gründet. Dabei werden viele Einzelschicksale
repräsentativ für das Gesamtelend dargestellt.
Die Handlungen und Situationen werden von einem Außenstehenden detailliert
dargestellt. Zuerst werden die äußerlichen Zustände beschrieben, in welchen sich die
Handlung des Gedichtes abspielt (vgl. V. 1-4). In der zweiten Strophe geht es um
verschiedene Personen („sie“ V.5) und ihre körperliche Verfassung und ihre
inakzeptable Lebenssituation in Lumpen (vgl. V. 7). Daraufhin geht es um einen
Behinderten mit amputierten Armen, einen lallenden Irren und einen alten Mann. Die
nächste Strophe handelt von bettelnden, verkrüppelten Kindern sowie einem Blinden
und einem Bettler, die versuchen sich in einem Kellerloch von Dreck oder Müll zu
ernähren. Außerdem werden ältere Frauen und ihre elenden, abgemagerten Kinder
dargestellt. Noch einmal wird das Bild des Blinden aufgegriffen, allerdings diesmal in
Verbindung mit einem Lahmen, welcher zu einem französischen Revolutionslied tanzt.
Die letzte Strophe zeigt einen Hoffnungsschimmer, welcher aber letztendlich nicht
überwiegen kann.
Das vorliegende Gedicht besteht aus acht Strophen, wobei dies im Gegensatz zum
Original um drei Strophen gekürzt wurde. Jeder der Strophen besteht aus vier Versen
von denen sich im umarmenden Reim jeweils der erste und der letzte, sowie die beiden
mittleren reimen (abba-cddc usw.).
Das Metrum ist der 5-hebige Jambus, auch Blankvers genannt. Dieser strahlt eine
gleichmäßige Ruhe aus und gibt dem Leser ein Gefühl von Harmonie, welches hier in
totalem Gegensatz zum Chaos des Inhalts des Gedichtes steht.
47
Die Kadenz ist bis zur 4. Strophe durchgehend männlich. Klar und deutlich werden die
Tatsachen des Elends ohne Beschönigung, eher mit Dramatisierungen beschrieben. Ab
der 4. Strophe haben jeweils der erste und der letzte Vers einer Strophe eine männliche
Kadenz und die beiden mittleren eine weibliche. Dies führt zu einem weichen,
wohlklingenden Klang, der Leser bekommt das Gefühl, dass die beiden inneren Verse
durch die äußeren geschützt und abgeschottet bleiben. Die 7. Strophe ist eine Ausnahme
hinsichtlich der Kadenz, da die gesamte Strophe auf eine weibliche Silbe endet.
Inhaltlich lässt sich dies auf den musikspielenden Leierkasten und die Kastagnette
beziehen, welche auch einen melodischen Klang besitzen. Der Inhalt wird hier durch die
Form unterstützt (vgl. V. 21ff.).
Der Titel „Die Vorstadt“ lässt die Meinung des Autors außen vor und gibt dem Leser die
Möglichkeit sich selbst Gedanken über diesen Ort zu machen. Wenn man sich allerdings
einmal mit Georg Heym beschäftigt hat, weiß man, dass er der Großstadt sehr skeptisch
gegenüberstand und die Armut, das Elend, Hunger und Krankheit in seinen Werken oft
unbeschönigt darstellte. Kennt man ihn allerdings als Autor nicht, hat man die
Möglichkeit sich auch mit den schönen Aspekten der Großstadt, den erfolgreichen
Unternehmen und der Forschung und Entwicklung zu beschäftigen, welche durchaus
Nervenkitzel und positive Spannung auslösen. Diese Vorstellungen werden allerdings
direkt im ersten Vers zunichte gemacht und es wird klar, dass der Autor sich mit der
Schattenseite der Vorstadt auseinandersetzt.
Der Neologismus „Gassenkot“ (V.1) impliziert die miserable Situation in den ärmeren
Vierteln der Vorstadt und die schlechten sanitären Bedingungen, er zeigt, dass die
schlechten Einflüsse der Großstadt sich sogar auf die weiter außen liegenden Bezirke
ausweitet. Das Wort scheint alles auf den Punkt zu bringen, was man sich unter Dreck,
Müll oder sogar Abwässern in einer dunklen Gasse vorstellen könnte. Zu diesen sowieso
schon unangenehmen Eindrücken kommt eine gruselige Gesamtstimmung hinzu, welche
durch den Mond ausgelöst wird, welcher hier als „Schädel, weiß und tot“ (V. 4)
charakterisiert wird. Die „Dünste“ (V.2) stehen vermutlich für Wolken am Nachthimmel,
allerdings intensiviert die Wortwahl noch einmal die ungeheure Gesamtstimmung. Des
Weiteren könnte man sich in der heutigen Zeit vorstellen, dass Dünste wie zum Beispiel
der Smog in asiatischen Großstädten gemeint ist, also industrielle Abgase, welche die
sonst klare Nachtluft verpesten.
48
Der Mond als Lichtquelle schafft es kaum die Stadt zu erleuchten und gegen die Dünste
als Symbol für die Industrie und Fabriken anzukämpfen, die Naturgewalten verlieren
ihre Kraft und geraten vollkommen in den Hintergrund (vgl V. 2ff). Dies lässt sich auch
sehr gut auf den Epochenwandel von der Romantik zum Expressionismus beziehen, die
Romantik beschäftigte sich intensiv mit der Natur und ihrer Schönheit, während diese
im Expressionismus aus dem Themenbereich verdrängt wird. Andere gesellschaftliche
Themen und die Konfrontation des Lesers mit den Missständen spielen im
Expressionismus eine größere Rolle.
Der 3. Vers, welcher sich auf den zweiten zurückbezieht, ergänzt das negative Bild der
großstädtischen Umwelt. Der Himmel wird als „nieder“ (V.3) und der Mond als
„sinkend“ (V.3) bezeichnet, womit die gesamte Natur in dieser Strophe degradiert und
noch einmal deutlicher als zerstört dargestellt wird. Der letzte Vers der ersten Strophe
vervollständigt das gruselige, kalte Bild des Mondes indem er als „ungeheurer
Schädel“ (V.4) bezeichnet wird. Die Ergänzung „weiß und tot“ (V.4) verstärkt hier den
Eindruck des Leidens und des Elendes in der Großstadt. Der Mond, welcher
normalerweise in der Nacht als Lichtquelle funktioniert wird hier dramatisiert und
repräsentiert als toter Schädel den Charakter der Großstadt, den der Autor hier
vermittelt. Insgesamt verkörpert die erste Strophe durch die Häufung der Vokale o und
ü eine negative, beklagenswerte Stimmung.
Die zweite bis sechste Strophe bezieht sich auf jeweils unterschiedliche Personen, die
stark vom Elend der Großstadt betroffen sind. Die zweite Strophe bezieht sich auf eine
Personengruppe, die mit „sie“ (V. 5) angesprochen wird. Das Bild der „Warme[n]
Sommernacht“ (V.5), welches normalerweise eine positive Konnotation trägt wird in
den nächsten Versen widerlegt. Der Autor arbeitet gezielt mit diesen Bildern, zu denen
sich der Leser selbstständig Gedanken machen kann und leitet ihn absichtlich in eine
falsche Richtung, sodass die Realität, die der Autor beschreibt an Dramatik gewinnt und
dieser Eindruck durch den starken Kontrast noch einmal verstärkt wird. Die
Sommernacht wird aus diesem Grund dann mit „Höhlen“ (V. 6) und der „schwarzen
Unterwelt“ (V.6) in Verbindung gebracht. Die Unterwelt könnte, übertragen auf die
heutige Zeit, das U-Bahn Linien Netz sein, welches in jeder Großstadt vorzufinden ist
und wo man oft auch Bettler oder Straßenmusikanten auffindet. Eine andere Hypothese
für die Funktion dieser Beschreibung, welche besser in das Zeitalter des
Expressionismus passt., wäre, dass mit der schwarzen Unterwelt die Straßen und
49
Gassen gemeint sind, welche im Schatten der Hochhäuser liegen und niemals ans Licht
gelangen. Auch könnte man es auf die Personen beziehen, von denen in dieser Strophe
die Rede ist, diese gelten als „Unterwelt“, weil niemand sie sehen und akzeptieren will,
sondern sie als Symbole des Elend ignoriert werden. In diesem Milieu leben Personen
gekleidet „im Lumpenzeuge“ (V.7), ein Neologismus, der auf die zerrissene, dreckige
Kleidung der Menschen hinweist. Eine Steigerung dieses Bildes wird durch die
Ergänzung „das vor Staub zerfällt“ (V. 7) erzielt. In Vers 8 wird der Höhepunkt dieser
Klimax erreicht, als „aufgeblähte Leiber“ (V. 8) unter der Kleidung zum Vorschein
kommen. Eine derartige Klimax erzeugt im Leser zuerst ein Entsetzen, welches der
Autor dann versucht beizubehalten und sogar noch zu verstärken. Dieses Entsetzen,
oder auch das Bild, welches die beschriebenen Extremzustände im Kopf des Lesers
erzeugen, bleiben ihm noch lange in Erinnerung. Ein aufgeblähter Bauch ist dabei ein
Symptom, welches bei akutem Eiweißmangel, also absoluter Mangelernährung, auftritt.
Die Grundbedürfnisse dieser Personengruppe, dem allgemeinen „sie“ (V.5), werden
nicht gestillt. Somit kann Strophe 2 als allgemeines Bild der Deformation des Menschen
interpretiert werden.
Strophe 3 setzt sich mit weiteren Merkmalen der Großstadt auseinander. Die
wiederholte Ortsangabe „hier“ (V.9 und 10) dient als eine Art Aufzählung der
verschiedenen Dinge, die an diesem Ort geschehen. Das „zahnlos“ (V. 9) „klaff[ende]
Maul“ (V.9) und die Armstümpfe in Vers 10 verdeutlichen den menschlichen Zerfall in
der Großstadt.
Auch das Adjektiv „schwarz“ (V. 10) in Bezug auf die verkrüppelten Arme löst beim
Leser Ekel aus. Eventuell wird mit diesem Bild eine Seuche dargestellt werden, bei der
die Haut verödet wie zum Beispiel Lepra. Dies erinnert noch einmal an die schlechte
medizinische Versorgung und die unhygienischen Lebensbedingungen, welche um die
Jahrhundertwende in den Ballungszentren auftreten.
Die letzten beiden Verse der dritten Strophe beziehen sich repräsentativ auf zwei
verschiedene Bevölkerungsgruppen. In Vers 11 wird Bezug auf einen lallenden Irren
genommen, in Vers 12 auf einen Greis, dessen Haare sich weiß färben, was auf seinen
Alterungsprozess hinweist (vgl. V11f.). Auch diese beiden Individuen sind Außenseiter
der Gesellschaft. Alkohol war für viele inmitten des harten Arbeiterlebens der einzige
Fluchtweg in eine andere, zumindest vorübergehend bessere Welt. Auch der
50
Alterungsprozess wird durch die viele Arbeit und die damals herrschenden schlechten
Sicherheitsbedingungen beschleunigt. Oft standen also die positiven Aspekte in
direktem Zusammenhang mit den negativen, denn es waren die Fabriken, die nicht
darauf achteten welche und wie viele Gase ihre Arbeiter einatmeten. Starb jemand oder
fiel er aus, wurde er einfach durch einen neuen Arbeiter ersetzt.
Im Kontrast zu Strophe 3, der älteren Bevölkerung der Großstadt, geht es in Strophe 4
um die Großstadtkinder. Die Strophe beginnt mit einem Enjambement, einem
versübergreifenden Satz, welcher hier den inhaltlichen Zusammenhang der Verse durch
die Form unterstreicht. Die Kinder, welche grundsätzlich für Hoffnung und Zukunft
stehen, werden hier genau entgegengesetzt der Erwartungen dargestellt. Ihnen „brach
[man] früh die Gliederchen“ (V.14), was zum einen die erschreckende Grausamkeit der
Großstadt, und womit zum anderen ein typisches Merkmal des Expressionismus, die
Deformation des Menschens dargestellt wird. Auch der nächste Satz ist ein
Enjambement, sowohl als auch ein Paradoxon. Die Kinder, welche durch ihr Verhalten –
sie „springen“ (V.14) und „humpeln voll Entzücken“ (V.14) – als lebensfroh
charakterisiert werden können, müssen an Krücken gehen und betteln (vgl. V. 16). Ihr
physischer Zustand steht hier in direktem Gegensatz zu ihrer psychischen Verfassung,
ihrer kindlichen Lebensfreude und ihrer unbeschwerten Ausstrahlung.
Die nächste Strophe befasst sich mit der Beschreibung eines Kellers, wo Bettler leben
(vgl. V. 17-20). Diese starren böse auf Fischgräten, woran sich erkennen lässt, dass sie
Hunger leiden. Der nächste Vers in ein in sich geschlossener Satz. Die Bettler „füttern
einen Blinden mit Gekröse“ (V.19). Hier zeigt sich auf deinen Seite das unglaubliche
Elend der Großstadt, auf der anderen Seite zeigt sich, wie die Verlierer untereinander
zusammenhalten und sich gegenseitig kümmern und versorgen. Trotz der
Rücksichtslosigkeit und Brutalität in der Großstadt, zeigt sich hier, dass das soziale
Verhalten nicht komplett durch den reinen Kapitalismus verloren hat.
Auch der nächste Vers ist ein in sich geschlossener Satz, der Leser wird durch diese
Aufzählung von vollendeten Sätzen mit jedem Satz vor vollendete Tatsachen, vor Fakten
gestellt, die er nicht wagt anzuzweifeln. Diese kurzen Sätze sind ausdrucksstarke
Statements des Autors. In diesem Satz wird nun der Blinde beschrieben wie er auf ein
Tuch erbricht (vgl. V.20.). Das Elend nimmt also eine Steigerung an. Die Farbe
„schwarz“ (V.20) steht dabei symbolisch für das Schlechte, den Tod und natürlich für das
51
Grauen der Großstadt. Es bleibt für diese Personen, den Abschaum der Gesellschaft, kein
Hoffnungsschimmer auf eine Besserung der Situation übrig. Der Neologismus
„Hemdentuch“ (V.20) symbolisiert hier die Lumpen, die die Bettler tragen. Das Tuch ist
nicht mehr klar als Hemd definierbar, vielleicht ist es zerschunden oder zerrissen, daher
wird diese Mischung als „Hemdentuch“ (V.20) bezeichnet. Es steht für die schlechten
Lebensbedingungen und die nicht erfüllten Grundbedürfnisse der Bettler.
Die 6. Strophe behandelt das Sexualleben der Armen in der Großstadt. Die Metapher
„Lust löschen“ (V.21) zeigt hier wie wichtig das Sexleben für die Elenden ist um für
einen kurzen Moment der grausamen Realität zu entfliehen. Allerdings stellen die
vermeintlichen Prostituierten hier „alte Weiber“ (V.21) dar, welche mit „welker
Brust“ (V.24) beschrieben werden. Insgesamt erscheinen sie dem Leser als unattraktiv,
zerfallen und alt. Vergleichbar mit einer welken Blume, haben auch diese Frauen die
Hochzeiten ihres Lebens lang hinter sich gelassen. Die Imagination, welche sich beim
Leser bezüglich der Frauen entwickelt, ist eher abstoßend. Der zweite Teil der Strophe
handelt von den verkümmerten Kindern der Frauen. Sie liegen in „morschen
Wiegen“ (V.23), was ihre mangelhafte Lebenssituation und schlechte
Zukunftsperspektiven unterstreicht. Eine Klimax der schlechten Lebensbedingungen
zeigt sich im nächsten Vers: die Kinder sind „mager“ (V. 24) und können auch, von den
oben genannten ausgezehrten Frauen nur wenig Nahrung erwarten. Ihr Leben ist schon
am Anfang dem Tode geweiht.
Auch die vorletzte Strophe behandelt noch einmal das Elend in der Großstadt. Es wird
noch einmal das Bild des Blinden aufgegriffen, auch das Symbol der schwarzen Farbe,
diesmal allerdings in Verbindung mit einem Bett, welches hier erscheint wie ein Sarg.
Auch der Blinde ist, ähnlich wie die Kinder, dem Tode geweiht. Dazu spielt er auf einem
Leierkasten ein französisches Revolutionslied, die „Carmagnole“ (V.20). Dies zeigt, dass
die Leidenden in der Großstadt in dieser aussichtslosen Situation zurück an die Zeiten
der französischen Revolution denken und diese zum Vorbild für einen neuen
Widerstand haben. Sie haben noch einen kleinen Hoffnungsschimmer durch einen
Bürgeraufstand eine Verbesserung der Lebenssituation erreichen zu können. Auf der
anderen Seite ist die Ironie in dieser Passage nicht zu übersehen. Wie sollten die
Elenden, die Versager, ja die Außenseiter der Gesellschaft einen Bürgeraufstand
erzeugen, wenn sie doch so oder so schon dem Tode geweiht sind und nur noch kraftlos
auf den Tag der Erlösung hoffen? Auf der anderen Seite lässt sich im Folgenden
52
erkennen, dass ein Hoffnungsschimmer durch einen musizierenden und tanzenden
Lahmen dargestellt wird. Diese Antithese intensiviert den Eindruck der Ironie bezüglich
der Hoffnung auf eine Besserung. Ein Lahmer kann nicht tanzen, physisch gesehen
unmöglich, genau so unmöglich wie auch ein Bürgeraufstand der Besiegten (vgl. V. 2729).
Auch der helle Klang der Kastagnette steht in ironischem Gegensatz zu der
Aussichtslosigkeit und Hoffnungslosigkeit der Menschen, welche in den vorherigen
Strophen beschrieben werden.
Diese Strophe nimmt ironisch all die vorher genannten negativen Aspekte der Großstadt
auf und verstärkt diesen Eindruck noch einmal, da nicht im Entferntesten die Hoffnung
auf Besserung besteht. Dennoch zeigt die Strophe, dass die Armen bereit sind
aufzustehen und aufzubrechen um sich ihrem Schicksal zu stellen. Die Stimmung
verändert sich in dieser Strophe dadurch, dass die Vokale im Gegensatz besonders zur
ersten Strophe überwiegend einen hellen Klang aufweisen (a, e).
Die letzte Strophe greift das Bild des letzten Hoffnungsschimmers auf. Die Farbe grün
steht eindeutig für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, und auch die Himmelsglocke
erzeugt ein positiveres Denken beim Leser als die Strophen zuvor. Der Neologismus
„Krüppeleitelkeit“ (V. 29) ist ein Widerspruch in sich, denn ein Krüppel, ein Verlierer in
der Gesellschaft hat nichts worauf er stolz sein könnte.
Durch den letzten Vers und das Bild der Meteore, einem Himmelskörper, wird der Bezug
zur ersten Strophe hergestellt wo der Mond beschrieben wird. Das Gedicht erhält eine
Art Rahmen und kann als geschlossene Einheit verstanden werden.
Die Intention des Autors in diesem Gedicht ist offensichtlich. Er klagt die Missstände der
Gesellschaft an, welche nicht nur im Zentrum der Großstadt, sondern sogar in ihren
Vorstädten herrschen, und zeigt sie an Beispielen symbolisch auf. Es lässt sich erkennen,
dass obwohl der Autor einen Hoffnungsschimmer, besonders zum Ende hin anspricht,
dieser nicht überwiegt. Der Autor kritisiert diese Missstände vor allem durch seinen
elaborierten Sprachcode, seine durchdachte Wortwahl und den Aufbau des Gedichtes in
verschiedene Phasen des Dramas. Die Großstadt war zur Zeit des Expressionismus ein
zwiespältiges, oft behandeltes Phänomen, besonders im literarischen Bereich. Das
53
Gedicht ist vor allem an die ignorante, eigensinnige, reiche Bevölkerung der Großstadt
zur damaligen Zeit adressiert um auf die unteren Klassen aufmerksam zu machen.
g. Standbilder
Ich habe diese Standbilder erstellt um einen kreativen, künstlerischen Zugang zu den
Merkmalen des Expressionismus zu bekommen. Dabei habe ich versucht mit jeder der
drei kreativen Arbeiten ein Merkmal oder Thema des Expressionismus darzustellen. Oft
verhilft mir die kreative Betrachtung schwieriger Zusammenhänge diese besser
nachvollziehen zu können. Die inneren Monologe zu den beiden ersten Arbeiten
spiegeln mögliche Gefühle der Person auf den Bildern wieder. Dabei habe ich versucht
mich in die Zeit des Expressionismus, der Industrialisierung zurückzuversetzen und
möglichst nah an dieser Zeit die Gefühle wiederzugeben.
Die dritte Arbeit ist eine Collage ausgeschnittener Köpfe aus verschiedensten Zeitungen.
Die Menschen, zu denen die Köpfe gehören, kommen aus verschiedenen sozialen Lagen,
aber haben alle eine Verbindung zu Deutschland, da sie alle in deutschen Zeitungen
abgebildet waren. Durch diese Collage wollte ich die deutsche Gesellschaft heute
darstellen, in der das Individuum auch heute noch verloren geht. Oft teilen wir
heutzutage in Gehaltsklassen oder soziale Milieus ein und vergessen dabei den Wert
jedes einzelnen. Aus diesem Grund habe ich auch mein Gesicht zwei mal in die Collage
eingearbeitet, sowie die Gesichter von zwei guten Freundinnen. Eine Person kann mich
als Individuum noch so gut kennen, doch immer noch gehen wir manchmal in der Masse
der Gesellschaft unter. Damit wollte ich das Gefühl in der Masse allein zu sein oder sich
unverstanden zu fühlen, welches viele Expressionisten hatten, kreativ darstellen und es
auch auf die heutige Gesellschaft übertragen.
54
Apokalypse
Und was jetzt? Wohin? Weg? Hier bleiben? Gestank. Dünste. Nebel. Ich kann nichts
sehen. Deformation, nur noch ein Auge übrig. Was ist passiert? Die Apokalypse naht, ich
bin mir sicher. Diese Welt wird nicht mehr lang existieren. Existenzminimum. Was ist
das? Davon träume ich. Abhängigkeit von den Monstern. Monster der Industrie, riesige
Hallen ohne Charakter, krank. Einen Arm verloren in der Fabrik. Ein Auge verätzt im
Chemielabor. Unzählige Arbeiten, Jobs. Was hat es geholfen? Nichts. Immer noch auf der
Straße. Immer noch arm. Immer noch krank. Chancenlos. Abschaum der Gesellschaft,
doch wen interessiert’s? Verkümmern zwischen den Ratten, Dreck. Denkt niemand über
unsere Welt nach? Das Auge allein erkennt die Missstände. Alles andere überbewertet.
Einäugig, fast blind, reicht gerade noch für diese verschwommene Welt aus Nichts,
Gewinn fern, unerreichbar. Wohin gehe ich? Wohin geht diese Welt? Meine Stadt?
Wohin? Apokalypse. Verderben der Welt.
55
Ich-Zerfall/Deformation
Schmerz. Schrei. Tod. Ich. Wo bin ich? Wer bin ich? Inmitten der Gesellschaft zerstört.
Aber sie lebt. Warum darf ich nicht leben? Warum muss ich sein wie alle anderen?
Warum muss ich mich verbiegen? Was ist mit den anderen? Wie fühlen sie sich? Ich
habe Schmerzen. Im Herzen. Im Kopf. Ich ertrage es nicht mehr. Diese Gesellschaft.
Zerstörend. Die Straßen, voll von Elend. Ratten. Bettler. Dreck. Wo ist Gott? Wo ist der
Helfer? Ein Helfer? Die Fabriken zerstören diese Stadt. Diese Gesellschaft, getrübt vom
Abfall der Industrie. Wer kriegt den Gewinn? Nicht Ich. Ich. Wer ist das? Zerstört. Wo bin
ich? Was bin ich? Noch Mensch oder schon Staub? Klein. Nichtig. Krank. Arbeit. Wohin?
Was kann ich tun? Verzerrt. Verzerrt durch Arbeit. Gesellschaft. Industrialisierung.
Monster der Industrie. Was bin ich? Wo ist mein? Kaputt. Tod. Zerrissen. Verzerrt.
56
h. Gegengedicht zu Gottfried Benn Mann und Frau gehn durch
die Krebsbaracke
i. Comic
Beigefügt ist ein Comic zu meinem Gegengedicht zu Gottfried Benns Mann und Frau gehn
durch die Krebsbaracke. Jede Strophe ist in einem Bild symbolisch dargestellt. Der Comic
zieht das eigentlich schwerwiegende Thema der Krebserkrankung hier vereinfacht ins
Lächerliche, indem zum Beispiel der Tumor als ein kleines Monster dargestellt ist.
Dieser kreative Ansatz sollte dazu beitragen zwar erst über den Comic lachen zu können,
sich aber danach umso ernster mit dem wirklichen Gedicht auseinanderzusetzen. Auch
dient der Comic dazu sich vor dem Lesen des Gedichtes Gedanken dazu zu machen, wie
das Gegengedicht aussehen könnte.
i. Eigenes Gedicht Die Frau in der Krebsbaracke (Annalena
Kill, 2015)
Die Frau in der Krebsbaracke
1 Die Frau:
2 Schockstarre. Gestank. Frauen. Enge.
3 Welke Brust an krummem Rücken.
4 Entblößt aufs Letzte. Unkontrolliert zuckend.
5 Gespickt von Blasen. Warm rinnen Säfte.
6 Blut. Eiter. Stunk.
7
8
9
10
Tumor frisst alles. Warm. Weich.
Dunkle, tiefe Höhlen. Augen?
Krüppeldasein unbekümmert
Schrei auf, Schmerzen.
11 Rot. Dunkelrot. Frisch. Rot.
12 Hoffnung versprüht, keine Chance,
13 Na, du Elend. Wohin?
14
15
16
17
Dies Haar verklebt, schweißüberströmt,
Fühln sie noch?
Decken zum Schutz doch was
Was soll es nutzen?
18
19
20
21
Nahrung verwehrt den Tod
Zu beschleunigen.
Schwestern. Roboter am Krankenbett.
Sie wechseln stündlich.
22 Alle Liebenden vergangen
57
23 Bloß Leere Hüllen übrig
24 Wer trägt sie von der Welt
25 Aus in der Krebsbaracke.
Dieses Gedicht entstand in Anlehnung an das Gedicht „Mann und Frau gehn durch die
Krebsbaracke“ von Gottfried Benn. Das Original ist aus der Sicht eines Mannes,
vermutlich einem Arzt in der Krebsbaracke, welcher eine Frau durch die Reihen
krebserkrankter Menschen führt und dieser die verschiedenen Personen zeigt,
geschrieben. Das Gedicht umfasst 7 reimlose Strophen, wobei 3 Strophen Quartette
(Strophe 1,2,4) und 4 Strophen Triplette (Strophe 3,5,6,7) vorweisen. Des Weiteren
lassen sich im Originalgedicht viele rhetorische Mittel wie zum Beispiel Parallelismen,
Repetitionen und ganze Sätze innerhalb des Gedichtes finden. Die einzelnen Strophen
beschreiben den abstoßenden, unaufhaltsamen Verfallsprozess der Krebskranken.
Dabei greift Gottfried Benn auf die Thematik des Todes, der Vergänglichkeit und des IchZerfalls zurück. Dies zeigen vor allem die detaillierten Beschreibungen der hoffnungslos
Erkrankten wie zum Beispiel „Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.“ (V. 12). Der
Ich-Zerfall wird vor allem dadurch deutlich, dass die Menschen in der Baracke wie in
einem riesigen Vorratslager von verschiedenen Dingen aufgebahrt und verstaut sind.
Während der Arzt die Frau durch die Reihen führt zeigt er ihr verschiedene „Reihen“ (V.
2), wodurch der Eindruck entsteht als würde es sich nicht mehr um menschliche Wesen,
sondern um Dinge handeln. Außerdem wird den Menschen ihre letzte Würde
genommen, indem der Arzt sie vor der Frau entblößt und ihre Decken anhebt um ihr die
Verletzungen zu präsentieren, ja er lässt sie sogar einen Kranken anfassen (vgl. V.9-11).
Außerdem macht der Autor Gebrauch von der „Ästhetik des Hässlichen“. Dies lässt sich
besonders daran erkennen, dass er die Krebsgeschwüre mit einem „Rosenkranz von
weichen Knoten“ (V. 10) vergleicht und das bloße Fleisch als „weich“ (V. 11) bezeichnet.
Der Autor versucht durch diese Ironie den Sachverhalt übertriebener, krasser
darzustellen um beim Leser ein Gefühl des Ekels auszulösen.
In meinem Gegengedicht habe ich die gleiche Situation aus Sicht der Frau dargestellt, sie
wird herumgeführt, stellt Fragen und wundert sich. Allerdings habe ich mein Gedicht
formal gesehen exakt entgegengesetzt zum Gedicht von Gottfried Benn formuliert. In
meinem Gedicht sind 4 Strophen Quartette und zwar die Strophen 3,5,6 und 7, welche
bei Benn nur Terzette sind. Demnach bestehen bei mir die Strophen 1,2 und 4 aus
Terzetten. Des Weiteren habe ich kein Reimschema eingebaut, da dies meiner Meinung
58
nach eines der auffälligsten Merkmale des Expressionismus ist. Im Gegensatz zu Benns
Gedicht enthält meins keine ganzen Sätze, das Ziel war es die Strukturarmut als Mittel zu
nutzen um die Verwirrung der Frau über den menschlichen Zerfall erfolgreich
darzustellen.
Außerdem habe ich versucht möglichst viele Merkmale des Expressionismus in dieses
Gedicht einzubringen, deshalb werde ich im Folgenden kurz auf jeden Vers eingehen:
V.1: Kennzeichen des Gegengedichts, Gedanken der Frau werden widergespiegelt
V.2: Telegrammstil, Simultaneität, Dissoziation, verschiedenste Eindrücke wirken auf die
Besucherin
V.3: Deformation des Menschen, Zerfall, Vergänglichkeit
V.4: Darstellung des Tabuthemas Krebserkrankung und des Peinlichen und Hässlichen
V.5: Ästhetik des Hässlichen, Dissoziation, Dynamisierung der Sprache durch „rinnen“
V.6: Telegrammstil, Simultaneität der Eindrücke, Dissoziation
V.7: Dynamisierung der Krankheit, sie breitet sich aus, Telegrammstil, Personifizierung
des Tumors
V.8: Deformation des Menschen, rhetorische Frage -> Verwirrung,
Orientierungslosigkeit
V.9: Neologismus, Brechen mit Regeln der Syntax, Telegrammstil
V.10: Deformation des Menschen, Sprachverknappung
V.11: Farbintensität um Eindrücke zu verstärken, Telegrammstil
V.12: Dynamisierung der Hoffnung -> verloren, Antithese
V.13: Personifizierung des Elend, rhetorische Frage -> Schock, Ratlosigkeit
V.14: Darstellung des Hässlichen, Dynamisierung der Krebskrankheit, elliptischer
Satzbau
V.15: Ich-Zerfall, Darstellung des einzelnen in einer Gruppe, rhetorische Frage
V.16: Euphemismus –> „Schutz“ vor Krebs gibt es nicht, Ironie
V.17: Paradoxon, Aussichtslosigkeit der Situation
V.18: Personifizierung der Nahrung, Paradoxon, Nahrung schützt vor dem Tod,
normalerweise, Tod als Erlösung dargestellt
V.19: Variation der gebräuchlichen Syntax, Enjambement
V.20: Telegrammstil, Antithese: Roboter können nur einfache Aufgaben erledigen,
Depersonalisierung der Krankenschwestern
V.21:
V.22: Beginn des Schlusses, Hoffnungslosigkeit, Dynamisierung
V.23: Depersonalisierung,
V.24: rhetorische Frage: Verwirrung, Orientierungslosigkeit
V.25: Auflösung des Ortes, Schluss
59
j. William Shakespeares Ophelia als expressionistisches
Motiv der Lyrik61
Ophelia, ein Charakter aus William Shakespeare’s Tragödie Hamlet, ertrinkt beim
Binden von Blumenkränzen in einem Fluss. Doch was macht Ophelia so interessant für
die Expressionisten? Es erschienen zahlreiche Bilder und Gedichte verschiedenster Art
von und zu Ophelia, die alle versuchen die Schönheit Ophelias mit ihrem Tod in Einklang
zu bringen. Dabei ging es im Expressionismus vor allem um das Merkmal der „Ästhetik
des Hässlichen“, wobei Todes- und Zerfallsprozesse künstlerisch mit einer gebrochenen,
zerstörten Schönheit verbunden werden.
Exkurs: Ophelia ist die Tochter von Polonius, des obersten Beraters des Königs
Claudius. Im Laufe der Tragödie beweist Ophelia unterschiedliche Charakterzüge. Auf der
einen Seite ist sie ein unschuldiges, nettes, wunderschönes junges Mädchen, dass sich in
ihrer Unschuld in Hamlet, den Thronfolger verliebt. Sie ist aufrichtig und gehorcht ihrem
Vater bedingungslos. Als Hamlet sie allerdings zurückweist wird dem Leser erst bewusst
wie sehr Ophelia Hamlet liebt, und dass sie mit der neuen Situation nicht umgehen kann.
Außerdem ist Ophelia ein intelligenter, aufmerksamer Charakter, sie versteht Ironie und
weiß wie sie darauf zu reagieren hat. Des Weiteren ist sie gegenüber ihrem Bruder
Laertes, der versucht ihr Ratschläge zu geben sehr schlagfertig. Als ihr Vater Polonius
ermordet wird bricht für Ophelia eine Welt zusammen und sie wird wahnsinnig, was
allerdings nicht ihren durch und durch intelligenten Charakter einschränkt.
Arthur Rimbaud: Ophelia I (1870)
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Auf stiller, schwarzer Flut, im Schlaf der Sternenfeier,
Treibt, einer großen Lilie gleich, Ophelia,
Die bleiche, langsam hin in ihrem langen Schleier.
Man hört im fernen Wald der Jäger Hallala.
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So, weißes Traumbild, länger schon als tausend Jahre,
Ophelia auf dem schwarzen Wasser traurig zieht;
Ihr sanft verstörter Geist, schon mehr als tausend Jahre,
Singt leis im Abendhauche sein romantisch Lied.
9 Der Wind küsst ihre Brust und bauscht des Schleiers Seide
10 Wie eine Dolde auf, vom Wasser sanft gewiegt,
Die Ausarbeitung dieser Wahlaufgabe basiert auf der Literaturstation: Schönheit und
Tod – Ein Motiv der Lyrik: Schurf, Bernd/Wagener, Andrea. Texte Themen und
Strukturen. S. 405-409.
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11 Auf ihre Schulter, leis erschauernd, weint die Weide,
12 Auf ihrer großen Stirne Traum das Schilfblatt liegt.
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Die Wasserrose seufzt, berührt von ihrem Schweben,
Zuweilen, aus dem Schlaf in einem Erlenbaum,
Weckt sie ein Vogelnest, draus bang sich Flügel heben.
Geheimnisvoll fällt Sang aus goldner Sterne Raum.
Arthur Rimbaud nimmt besonders die schönheitlichen Aspekte der Shakespeare Version
auf. Er legt weniger Wert auf den Ablauf des Todes oder auf Bewegung als auf Ophelias
Schönheit und die Beschreibung ihrer Person. Rimbaud beschreibt Ophelias Körper wie
er auf dem Fluss treibt und vergleicht sie mit einer Lilie (vgl. V. 2). Des Weiteren
beschreibt er durch verschiedene Bilder und Symbole ihre Nähe zur Natur wie zum
Beispiel in der dritten Strophe: „der Wind küsst ihre Brust“ (V. 9).
Die erste Strophe bildet die Exposition der Situation, Ophelia liegt im Wasser und trägt
ein Kleid mit einem Schleier.
Die zweite Strophe bezieht sich auf die Stelle in Shakespeare’s Version, an der Ophelia
nichts ahnend beginnt ein Lied zu singen. Ihr „weißes Traumbild“ (V.5) steht dabei in
Kontrast zum „schwarzen Wasser“ (V.6). Hier wird klar, dass bei Rimbaud klare Ansätze
eines Eskapismus aufzufinden sind: Die Flucht in eine bessere, hellere Traumwelt um
vor der dunklen Realität zu fliehen, so wie auch bei Ophelia nicht klar ist, ob sie
Selbstmord beging oder ihr Tod ein unglücklicher Unfall war. Des Weiteren spielt die
Farbe weiß als Farbe Ophelias eine weitere sehr symbolische Rolle: Ophelia war
unschuldig, frei von Sünden, eine Jungfrau, sodass die Farbe weiß ihren Charakter als
Symbol perfekt zusammenfasst.
In der dritten Strophe (V. 9-12) personifiziert Rimbaud die Umwelt um die Trauer um
Ophelia darzustellen und ihre enge Beziehung zur Natur zu unterstreichen. So „weint die
Weide“ (V.11) zum Beispiel um Ophelia.
Die vierte Strophe (V. 13-16) zeigt noch einmal die Reaktion der Umwelt auf Ophelias
Tod, ein Vögelchen erhebt sich und der „Sang aus goldner Sterne Raum“ (V.16) scheint
eine Art Trauerlied der Natur für Ophelie darzustellen.
In Shakespeare’s Version allerdings wird wirklich die Handlung bzw. der Prozess des
Sterbens von Ophelia wiedergegeben. Dies geschieht in einzelnen Schritten: Zuerst
knotet sie Blumenkränze aus verschiedenen Blumen, dann bricht der Ast, auf dem sie
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sitzt, sie fällt ins Wasser, singt und erkennt ihre Notlage nicht, ihre Kleider saugen sich
voll und sie ertrinkt.
Georg Heym: Ophelia I (1910)
Mit dem Fortschreiten des Expressionismus verändert sich auch das Ophelia-Motiv.
Während es sich bei Rimbaud wirklich noch um eine als wunderschön beschriebene
Ophelia handelt, so verändert sich dies bei Georg Heym eindeutig zum Merkmal der
„Ästhetik des Hässlichen“.
Dabei geht es oft auch um die morbide gewordene Gesellschaft und die psychischen als
auch die physischen Verfallsprozesse, die er hier repräsentativ für den Expressionismus
am Beispiel der Ophelia, präsentiert.
Ophelias Körper wird mit den verschiedensten Lebewesen und Naturgegebenheiten
verglichen. So wird zum Beispiel Ophelias Haar als „Nest von jungen Wasserratten“ (V.1)
beschrieben um die gebrochene, tote Schönheit Ophelias darzustellen. Des Weiteren
vergleicht er ihre Hände mit „Flossen“ (V.3), Ophelia wird in eine Art Ungeheuer
verwandelt, welches im Schatten des Urwaldes durch den Fluss treibt.
Die Verwendung dunkler Orte wie „im Schatten“ (V.3), „im dunklen Wasserlauf“ (V.12)
oder des Vergleiches „Wie Nachtgewölk“ (V.13) wird eine negative Grundstimmung
vermittelt, was für expressionistische Gedichte typisch ist. Allerdings steht dies in
direktem Gegensatz zum Gedicht Rimbauds, welcher Ophelia als Schönheit beschreibt.
Im Gegensatz zu den dunklen Orten stehen andere helle Attribute wie die Sonne, „ein
langer, weißer Aal“ (V.13) oder ein „Glühwurm“ (V.14), der Licht spenden kann. Dies
sind die Dinge, die direkt in Verbindung mit Ophelia stehen. Das Symbol der weißen
Farbe in Bezug auf Ophelia hat Heym also von Rimbaud übernommen, auch wenn das
Gedicht insgesamt eine negativere, abstoßendere Gesamtwirkung hat.
Außerdem zeigt Heym hier bildlich, dass sich die letzten Sonnenstrahlen in Ophelias
Kopf versenken. Durch die bildliche Sprache „versenkt sich tief in ihres Hirnes
Schrein“ (V.6) wird allerdings auch dieser Anblick wieder hässlich dargestellt, als wäre
Ophelia depersonalisiert, ein Gegenstand.
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Gottfried Benn: Schöne Jugend (1912)
Vergleicht man das Gedicht Gottfried Benns mit Ophelia von Rimbaud und Heym, so
wird schnell klar, dass jedes dieser Gedichte eine Steigerung der Ästhetik des Hässlichen
ist. Gottfried Benn beschreibt in seinem Gedicht eine namenlose Wasserleiche eines
jungen Mädchens. Es „sah so angeknabbert aus“ (V.3) stellt der Autor fest, um danach in
der Reihenfolge einer pathologischen Untersuchung die Innereien des Mädchens zu
untersuchen. Dabei spielt das Bild der Ratte eine große Rolle, da sich diese ein Nest in
des Mädchens Körper gebaut hatten. Die Ästhetik des Hässlichen verbindet hier die
Faszination eines jungen, schönen, toten Mädchens mit der Realität des menschlichen
Verfallsprozesses nach dem Tod. Dazu gehört zum Beispiel das Bild der aufgebrochenen
Brust des Mädchens, worunter eine „löcherig[e] Speiseröhre“ (V.3) zum Vorschein kam.
Gesteigert wird dies noch dadurch, dass das einst so schöne Mädchen nun für ein
abstoßendes, ekeliges Tier ein Heim bietet. Obwohl die Vorstellung absolut
ekelerregend ist, bleibt doch die Schönheit oder der gute Charakter des Mädchens
erhalten, da sie, rein biologisch gesehen, der Rattenfamilie gute Dienste leistet.
Allerdings wird dieser Eindruck in den letzten beiden Versen des Gedichts wieder
aufgehoben, da jemand, eine unbekannte Person oder Kraft die Ratten ins Wasser
schmeißt. Der Beobachter scheint sich perverser Weise am Schreien der Ratten zu
erfreuen, wodurch auch das Symbol der Dehumanisierung der expressionistischen
Gesellschaft noch einmal aufgegriffen wird.
Insgesamt lässt sich also eine chronologische Steigerung der Ästhetik des Hässlichen in
diesen drei Gedichten erkennen. Die Faszination einer Wasserleiche lag also für die
Expressionisten darin einen gut erhaltenen, oft wie Ophelia schön aussehenden
Menschen zu haben, welchen sie dann durch abstoßende, ekelerregende bildliche
Beschreibungen hässlich darstellen können um die gebrochene, tote, zerfallene
Schönheit darzustellen.
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c. Fazit
Mit dieser Arbeit konnte ich meine anfangs gestellten Fragen hervorragend beantworten
und sogar darüber hinaus viele neue Informationen sammeln. Die Recherchearbeit war
besonders für die Epochenüberblicke sehr umfassend und zeitaufwendig, sowohl die
Informationen aus Nachschlagewerken, als auch die aus dem Internet musste man
sorgfältig filtern und durcharbeiten um an die wesentlichen Informationen zu gelangen.
Das Schreiben der Gedichtanalysen war insgesamt ein gutes Training, auch wenn ich in
der nahen Zukunft damit nicht mehr konfrontiert werde. Besonders bei den kreativen
Wahlaufgaben hat es mir Freude bereitet meine eigenen Ideen einzubringen. Insgesamt
war dies eine sehr arbeits- und zeitintensive Arbeit, welche mich mit Sicherheit gut auf
die zukünftigen Hausarbeiten im Studium vorbereitet hat.
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A. Literaturverzeichnis
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