Kleben, färben, duften

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Kleben, färben, duften
Kleben, färben, duften
Words: Anne-Katrin Wehrmann | Pictures: Andreas Burmann, Follmann Chemie
Baureihe 400
Der Name Follmann Chemie ist wahrscheinlich nur den wenigsten bekannt, doch mit dem einen
oder anderen Produkt des Familienunternehmens aus Minden dürfte wohl so ziemlich jeder
schon einmal in Berührung gekommen sein: Jede dritte Serviette in Europa wird mit Druckfarben
von Follmann bedruckt, zahlreiche Möbelstücke halten dank des hier gefertigten Klebstoffes
zusammen. Schwesterfirma Triflex produziert darüber hinaus Abdichtungen zum Schutz von
Dächern, Balkonen und Parkhäusern und trägt mit ihren Markierungen zu mehr Sicherheit auf
den Straßen bei. Für all das wird Energie benötigt – einen Teil davon liefern seit Kurzem zwei
Blockheizkraftwerke von MTU Onsite Energy.
Es fing alles ganz klein an, als Heinrich Follmann und sein Sohn Dr. Rainer Follmann 1977 am
nördlichen Rand von Ostwestfalen ihr bis heute inhabergeführtes Unternehmen gründeten, das sich
zunächst auf bautechnische Produkte spezialisierte. Heute beschäftigt die Follmann-Gruppe mit ihrer
Muttergesellschaft Follmann Chemie und den beiden für Entwicklung und Vertrieb zuständigen Töchtern
Follmann und Triflex insgesamt 600 Mitarbeiter weltweit, davon 460 am Standort Minden. Ob
Druckfarben für Servietten, Plastisole für Tapetenstrukturen oder Holz- und Papierklebstoffe: Die
Kernkompetenz von Follmann liegt in Spezialchemikalien für die dekorative und funktionale Gestaltung
von Oberflächen und Verbindungen. In den sechs Produktgruppen Druckfarben,
Tapetenbeschichtungen, Funktionsbeschichtungen, Mikroverkapselung, Klebstoffe und
Auftragsfertigung arbeitet der Chemiespezialist mittlerweile mit insgesamt 5.500 unterschiedlichen
Rezepturen, die permanent weiterentwickelt und optimiert werden.
Das insgesamt fast 100.000 Quadratmeter große Betriebsgelände, das sich direkt am Mindener
Industriehafen in unmittelbarer Nähe zum Mittellandkanal und zur Weser befindet, hat seit der
Unternehmensgründung diverse Erweiterungen erlebt: So wurden, ausgelöst durch das rasante
Wachstum, in den vergangenen Jahren unter anderem ein neues Lager- und Logistikzentrum sowie ein
neues Forschungs- und Kommunikationszentrum in Betrieb genommen. Die Gesamtproduktion nahm
immer weiter zu und erreichte 2014 einen vorläufigen Höchstwert von 60.000 Tonnen. Mehr Produktion,
größerer Energiebedarf: So lässt sich kurz und knapp auf den Punkt bringen, warum das Unternehmen
schließlich die Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung für sich entdeckte. „Unser Bedarf an Dampf, den wir bei
bestimmten Produktionsabläufen zur Erhitzung brauchen, ist gewachsen“, erläutert Ralf Lücke,
Abteilungsleiter Technik. „Dazu kam, dass die Energiepreise anstiegen – so haben wir beschlossen,
unseren Grundbedarf an Dampf, Strom, Wärme und Kälte zu einem Teil selbst zu decken.“ Das
Ergebnis: eine nagelneue Energiestation, deren Kernstück zwei erdgasbetriebene, wärmegeführte
Blockheizkraftwerke (BHKW) von MTU Onsite Energy mit Motoren der Baureihe 400 sind.
Angenehm duftende Mikrokapseln
Beim Rundgang über das Gelände fällt auf, dass der in der Luft wahrnehmbare Geruch für ein
Unternehmen der chemischen Industrie bemerkenswert neutral ist. Draußen ist praktisch gar nichts zu
riechen, und auch in den Produktionshallen riecht es nur sehr dezent. In einer der Hallen duftet es sogar
ausgesprochen angenehm nach Waschpulver: Hier werden Duft- und andere Wirkstoffe in
mikroskopisch kleine Kapseln „verpackt“. Diese Mikroverkapselung gehört zu den HightechSpezialitäten von Follmann – die nur sechs bis acht Mikrometer großen Kapseln sollen unter anderem
dafür sorgen, dass Werbeanzeigen, Mailings oder Verpackungen gut riechen und so die Verkaufszahlen
der beworbenen Produkte steigern. Ihre Inhaltsstoffe kann der Verbraucher durch mechanische
Einwirkung wie Reiben oder Drücken gezielt freisetzen. Darüber hinaus werden die Kapseln in Waschund Reinigungsmitteln sowie in der Kosmetik verwendet, kommen aber auch in technischen
Anwendungen zum Einsatz.
Nicht weit entfernt davon in den Hallen 42 bis 44 werden im so genannten Polymerisationsverfahren
insgesamt 47 unterschiedliche Klebstoffe und Bindemittel produziert. Dies ist der Ort, an dem der größte
Teil des durch die BHKW erzeugten Dampfes gebraucht wird: Um die chemische Reaktion der
Polymerisation einzuleiten, müssen die Ausgangsstoffe zunächst mittels Dampf erhitzt werden. Bei den
Klebstoffen zum Beispiel läuft der Produktionsprozess so ab, dass in einem Edelstahlbehälter eine aus
Wasser, Entschäumer und Polyvinylalkohol bestehende Vorlösung hergestellt wird. Anschließend wird
die fertige Vorlösung in einen doppelwandigen Reaktor gepumpt und dort auf die vorgegebene
Starttemperatur erwärmt, bevor die für die Reaktion benötigten Hilfs- und Rohstoffe zugegeben werden.
Im Kern geht es darum, aus so genannten Monomeren (kleine, reaktionsfreudige Moleküle) Polymere zu
machen – also langkettige Verbindungen, die letztlich die Basis für den Klebstoff bilden. Die Reaktion
selbst ist exotherm, das heißt es wird Energie freigesetzt: Das fertige Produkt muss darum am Ende
wieder abgekühlt werden, wofür die in der Energiestation erzeugte Kälte genutzt wird. Alles in allem
dauert dieser Vorgang vom Start bis zur Beendigung der Polymerisation etwa fünf bis acht Stunden.
Größte Waschmaschine Europas
Bis zu 3.500 Kilogramm Dampf pro Stunde kann die neue Hochdruck-dampfkesselanlage erzeugen, die
in der Energiestation direkt neben den beiden MTU-BHKW installiert worden ist und zum Teil aus deren
Abgaswärme versorgt wird. Eine kleinere Kesselanlage mit einer Leistungsfähigkeit von 1.000 kg/h steht
als Ersatzanlage für den Notbetrieb bereit. Der alte und mittlerweile ausrangierte Dampferzeuger
brachte es auf 2.000 kg/h: zu wenig für die aktuelle Produktion bei Follmann, wo zu Spitzenzeiten
inzwischen 2.500 kg/h benötigt werden. Der zweite Dampfverbraucher neben den
Polymerisationsreaktoren ist eine Reinigungsanlage – nach Aussage von Ralf Lücke „die größte
Waschmaschine Europas“. Hier wird mit dem Dampf eine drei Meter hohe Waschtrommel erhitzt, die
mittels Reinigungslauge die zuvor benutzten Produktionsbehälter und Container wieder auf Hochglanz
bringt. „Die beiden Blockheizkraftwerke tragen dazu bei, dass uns der Dampf, den wir brauchen,
permanent zur Verfügung steht“, berichtet Lücke, der schon seit 1996 im Unternehmen ist. „Durch die
neue Anlage können wir eine bessere Dampfqualität erzeugen, was letztlich die Effizienz der
Produktionsabläufe steigert.“
Während die Abgaswärme der BHKW für die Dampferzeugung genutzt wird, dient die Motorabwärme
zur Erzeugung von Heizwasser, mit dem einige der Gebäude und Produktionshallen auf dem
Betriebsgelände geheizt werden. Dabei erzeugt das etwas größere BHKW 357 Kilowatt elektrische
Energie und allein aus dem Motorkühlkreis 288 Kilowatt thermische Energie (zusammen mit der
Abgaswärme 529 Kilowatt), was zu einem Gesamtwirkungsgrad von 89,8 Prozent führt. Das andere
MTU-Kraftwerk hat eine elektrische Leistung von 240 Kilowatt, eine thermische Leistung aus dem
Motorkühlkreis von 220 Kilowatt (zusammen mit der Abgaswärme 370 Kilowatt) und einen
Gesamtwirkungsgrad von 91,1 Prozent. Sowohl der Strom als auch die Wärme werden komplett für den
Eigenbedarf genutzt: Der Strombedarf beträgt bei Follmann zu Spitzenzeiten 1,8 Megawatt, was unter
dem Strich bedeutet, dass zeitweise zwei Drittel des Bedarfs aus dem öffentlichen Stromnetz gedeckt
werden müssen. Und auch bei Dampf und Heizwasser kommt nur ein Teil der Energie aus den beiden
BHKW. „Wir haben eine separate Zufeuerung mittels Erdgas beibehalten“, erklärt Lücke. So ist die
Dampfkesselanlage als Fünf-Zug-Kessel konstruiert, wobei in zwei Zügen die Abgase der beiden BHKW
genutzt werden und in den anderen drei Zügen das zugefeuerte Erdgas zum Einsatz kommt.
Baustein für die Zukunft
Schon seit den Gründertagen haben umweltfreundliches Handeln und der verantwortungsvolle Umgang
mit natürlichen Ressourcen einen hohen Stellenwert für das Unternehmen. Der Bau der Energiestation
passt da hervorragend ins Konzept: Die Anlage reduziert den Ausstoß von Kohlendioxid um 40 Prozent
und wird als weiterer Baustein für die Zukunftsfähigkeit der Follmann-Gruppe gewertet. In dem eigens
errichteten Gebäude, das etwa 30 Meter lang und 15 Meter breit ist, befinden sich neben den BHKW
und den Dampfkesselanlagen unter anderem auch zwei Pufferspeicher (einer für Wärme und einer für
Kälte) sowie eine Absorptionskältemaschine. Letztere erzeugt unter Einsatz von Wärmeenergie jene
Prozesskälte, die zum Kühlen der Polymerisationsreaktoren gebraucht wird. Da die von den
Blockheizkraftwerken erzeugte Wärme komplett genutzt werden kann, ist die Energiestation hoch
effizient und kommt auf einen Gesamtwirkungsgrad von mehr als 80 Prozent.
„Die beiden BHKW spielen eine wichtige Rolle in unserer Nachhaltigkeitsstrategie“, betont Ralf Lücke.
Der 43-jährige Diplomingenieur Verfahrenstechnik ist dankbar, dass MTU Onsite Energy die Installation
ausgesprochen zügig erledigte: Nach dem ersten Spatenstich der Energiestation im März 2014 blieben
nur wenige Monate Zeit, um die BHKW noch rechtzeitig vor Inkrafttreten des novellierten ErneuerbareEnergien-Gesetzes (EEG) zum 1. August 2014 in Betrieb zu nehmen. Die Herausforderung wurde
erfolgreich gemeistert – mit der Folge, dass der für den Eigenbedarf produzierte Strom nun von der
EEG-Umlage befreit bleibt. Als Gesamtsystem ging die Energiestation schließlich im Dezember 2014 in
Betrieb. „Sowohl die Erst- als auch die Endinbetriebnahme haben reibungslos funktioniert“, sagt Lücke.
„Zusammen mit den bisherigen Betriebserfahrungen kann ich sagen, dass wir mit den
Blockheizkraftwerken wirklich sehr zufrieden sind.“
Kontakt
Gerhard Klink
Tel.: +49 20 3450 0431
Email [email protected]