Die nächste Tragödie auf See

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Die nächste Tragödie auf See
Freitag, 27. Mai 2016 • Nr. 123
Kurz und knapp
Antwerpen als
Anschlagsziel
Foto: Marina Militare via AP
BELGIEN
Möglicherweise sind beim Kentern dieses Bootes vor der libyschen Küste über hundert Menschen ums Leben gekommen. Das
Bild wurde von der italienischen Marine veröffentlicht.
Die nächste Tragödie auf See
FLÜCHTLINGE Überlebende berichten von bis zu 100 Ertrunkenen
Bei einem Flüchtlingsunglück
im Mittelmeer könnten nach
Angaben von Überlebenden
hundert Menschen ums Leben
gekommen sein.
Die Überlebenden des Unglücks
vom Mittwoch, die nach ihrer
Ankunft im sizilianischen Porto
Empedocle befragt wurden, hätten von hundert Vermissten gesprochen, sagte ein Sprecher der
Internationalen Organisation für
Migration (IOM) gestern. Bei einem zweiten Unglück wurden bis
zu 30 Tote befürchtet.
IOM-Sprecher Flavio Di Giacomo sagte, die Überlebenden
hätten ausgesagt, rund hundert
Menschen seien im Rumpf des
gekenterten Bootes gewesen. Das
völlig überladene Fischerboot
war am Mittwoch vor der libyschen Küste gekentert, als sich
ihm ein italienisches Marineschiff näherte. Die Marine hatte
anschließend erklärt, 562 Menschen seien gerettet worden,
doch seien mindestens fünf Menschen ums Leben gekommen.
Luxemburger Flugzeug
entdeckt Boot vor Libyen
Di Giacomo sagte nun aber, die
Überlebenden hätten berichtet,
bei der Abfahrt in Libyen hätten
sich 650 Menschen an Bord befunden. Die Mehrheit von ihnen
seien Marokkaner gewesen, eine
Nationalität, die bisher unter den
Flüchtlingen aus Libyen kaum
vertreten war. Außerdem seien
auch viele Tunesier und zwei syrische Familien an Bord gewesen.
Der IOM-Sprecher hob zudem
hervor, dass es selten sei, dass ein
solch großes Boot mit einem
Stahlrumpf und so vielen Flüchtlingen an Bord aus Libyen startet.
Sonst kämen solche Boote vor allem aus Ägypten.
Di Giacomo sagte, sollten sich
die Berichte der Überlebenden
zur Zahl der Opfer bestätigen,
wäre es „eine der größten Tragödien auf See“ seit Beginn der
Flüchtlingskrise im Mittelmeer.
Wegen des guten Wetters kommen derzeit besonders viele
Flüchtlinge über das Mittelmeer.
Laut der italienischen Küstenwache wurden in den vergangenen
vier Tagen 10.000 Menschen gerettet. Allein gestern wurden bei
22 Rettungseinsätze rund 4.000
Flüchtlinge geborgen.
Allerdings starben bei einem
weiteren Schiffsunglück nach
ersten Angaben bis zu 30 Menschen. Ein luxemburgisches Flugzeug habe 65 km vor der libyschen Küste ein gekentertes Boot
entdeckt, teilte ein Sprecher der
EU-Marinemission „Sophia“ mit,
die im Mittelmeer gegen Schlepper vorgeht. Dutzende Flüchtlinge hätten auf dem Rumpf gestanden, der bereits unter der Wasseroberfläche schwamm, während
20 bis 30 Leichen im Wasser getrieben seien.
(AFP)
„Saft- und kraftlos“
DEUTSCHLAND Linke von Wahlniederlagen verunsichert
Von unserem
Korrespondenten
Stefan Vetter, Berlin
Das Wahldebakel vom
13. März steckt der Linkspartei
immer noch tief in den
Knochen. Und das wird man
auch an diesem Wochenende
beim Bundesparteitag in
Magdeburg spüren.
In Rheinland-Pfalz und BadenWürttemberg hart an der demoskopischen
Wahrnehmungsschwelle gelandet und in Sachsen-Anhalt alle Träume von einem eigenen Ministerpräsidenten geplatzt, das war das Ergebnis. Fast noch schlimmer wog
aber die Tatsache, dass ausgerechnet die AfD kräftig in der linken Wählerschaft wildern konnte. Bei den Arbeitern und Erwerbslosen waren die Rechtspopulisten vielerorts sogar stärkste
Kraft geworden.
Seitdem gärt es bei den Linken.
Allerdings nicht mit hasserfüllten
Flügelkämpfen wie früher. Eher
macht sich Verunsicherung und
Lethargie breit. „Saft- und kraft-
los“ sei man geworden, brachte
es Ex-Fraktionschef Gregor Gysi
jetzt in einem Interview auf den
Punkt. Die Kritik zielt natürlich
in erster Linie auf die Parteispitze. Dabei hatten Katja Kipping
und der Co-Vorsitzende Bernd
Riexinger schon kurz nach dem
schwarzen Wahlsonntag ein Positionspapier veröffentlicht, um
die Linke wieder in die Offensive
zu bringen. Gefordert wurde eine
„Revolution der Gerechtigkeit“,
was sich auch mit Klassenkampf
pur übersetzen ließe. Kleine
Kurskorrekturen reichten nicht
aus, hieß es im Text. Zudem
warnte das Duo davor, als Linke
„staatstragend aufzutreten“.
Schlagabtausch
Obendrein gab es Breitseiten gegen SPD und Grüne. Beide Parteien seien „von sozialer Gerechtigkeit derzeit weiter entfernt als
je zuvor“, weshalb es auch „kein
linkes Lager der Parteien mehr“
gebe. Markige Sprüche.
Beim Realo-Flügel kann man
damit wenig anfangen. In Berlin
zum Beispiel, wo am 18. September gewählt wird, sucht die Linke
gerade den Schulterschluss mit
der SPD, um an die Macht zu
kommen. „Wahlkämpfe gewinnt,
wer in der Lage ist, den Menschen Hoffnung auf Veränderung
zu geben und nicht, wer die
schrillsten Töne anschlägt“, heißt
es in der Berliner Landespartei.
Andere warnen gar davor, dass
die Linke „in die Bedeutungslosigkeit treiben“ könnte, sollte sie
dem Marschbefehl der beiden
Vorsitzenden folgen.
Ein offener Schlagabtausch darüber ist in Magdeburg nicht zu
erwarten. Für lange Grundsatzdebatten fehlt die Zeit. Im Mittelpunkt steht die Neuwahl des Parteivorstands. Und die zieht sich
fast über die gesamte Tagesordnung hin. An der Bestätigung des
amtierenden
Führungsduos
herrscht schon mangels ernsthafter Gegenkandidaten kein Zweifel. Wie groß der Rückhalt für
Kipping und Riexinger ist, dürfte
jedoch am Wahlergebnis ablesbar sein. Vor zwei Jahren kamen
beide auf 77,3 beziehungsweise
89,7 Prozent der Stimmen.
Zumindest Kipping muss sich
auf ein schlechteres Resultat einstellen. Zum einen, weil sie die
Frontfrau der ganz linken Linken, Sahra Wagenknecht, in die
Nähe der AfD gerückt hatte. Auslöser waren Äußerungen Wagenknechts in der Flüchtlingsdebatte
(„Grenzen der Aufnahmebereitschaft“) gewesen, die der Beschlusslage der Partei glatt widersprachen. Und zum anderen,
weil Kipping auch bei den Reformern nicht unbedingt als Sympathieträgerin gilt. Ihr vehementes
Plädoyer für ein bedingungsloses
Grundeinkommen zum Beispiel
sorgt dort regelmäßig für Kopfschütteln.
Doch auch dieses Streitthema
will die Parteitagsregie unter der
Decke halten. Die Leitanträge zu
Demokratie, Solidarität und Frieden indes sind so formuliert, dass
sich die allermeisten Delegierten
problemlos dahinter versammeln
können. So droht am Ende gar
Langweile, was der Führung eher
recht wäre. Gregor Gysi jedenfalls will dem Vernehmen nach
gar nicht erst zum Parteitag kommen.
Die vier in Antwerpen von
der Polizei festgenommenen
Terrorverdächtigen hatten
wohl einen Anschlag auf einen zentralen Ort der belgischen Hafenstadt geplant.
Ein mögliches Ziel sei der
Hauptbahnhof von Antwerpen gewesen, berichteten
gestern übereinstimmend
mehrere flämische Zeitungen. Die vier Teenager standen laut den Berichten in engem Kontakt mit Hicham
Chaib, einem führenden belgischen Dschihadisten in Syrien. Chaib gilt als rechte
Hand des Chefs der mittlerweile verbotenen belgischen
Salafistenbewegung Sharia4Belgium, Fouad Belkacem.
Einreiseverbot
für Gorbatschow
UKRAINE
Weil er das russische Vorgehen auf der Krim öffentlich
unterstützte, darf der frühere
sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow nicht
mehr in die Ukraine einreisen.
Gegen den 85-jährigen Friedensnobelpreisträger sei ein
Einreiseverbot verhängt worden, teilte gestern der ukrainische Geheimdienst SBU auf
Twitter mit. Dies geschehe
„im Interesse der Staatssicherheit“. Das Einreiseverbot
soll den Angaben zufolge zunächst für fünf Jahre gelten.
Idomeni
ganz geräumt
GRIECHENLAND
Die griechische Polizei hat die
Räumung des Flüchtlingslagers Idomeni unweit der
Grenze zu Mazedonien nach
eigenen Angaben abgeschlossen. Mit dem Fortbringen von
knapp 800 Flüchtlingen sei
die Räumungsaktion gestern
zu Ende gegangen, hieß es aus
Polizeikreisen. „Es sind keine
Menschen mehr da, nur Zelte
mit Hilfsgütern, die Hilfsorganisationen gehören“, sagte ein
Polizeibeamter. Als die Räumungsaktion am Dienstag begann, wurde die Zahl der dort
lebenden Flüchtlinge auf
8400 geschätzt.
Putin hat keine
Zeit für
Elton John
RUSSLAND
Der russische Präsident Wladimir Putin hat ein seit längerem geplantes Gespräch mit
dem britischen Popstar Elton
John über die Rechte von Homosexuellen kurzfristig abgesagt. Als Grund gab ein
Kreml-Sprecher gestern Terminprobleme an. Deshalb
könne es am Rande des Konzerts von John am kommenden Montag in der russischen
Hauptstadt kein Treffen geben.
Persönlich erstellt für: asbl asti
EUROPA 11
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