Rede anlässlich der Verabschiedung in den Ruhestand von Frau

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Rede anlässlich der Verabschiedung in den Ruhestand von Frau
Rede anlässlich der Verabschiedung in den Ruhestand von Frau Regine Schürmann
Sehr verehrte Frau Schürmann, liebe Regine!
Ich denke ja nun schon seit Monaten darüber nach, wie sich diese Rede anhören soll. Ich
hätte sie gern humorvoll-heiter gehabt, aber das Thema „Würdigung einer Schulleiterin“ ist
ja sehr ernst – wie ich feststellen musste.
Beginnen wir heute und hier: Würde ich zu Dir sagen: „Heute möchtest Du gar nicht mehr
Schulleiterin sein.“?
Nein, das würde ich nicht sagen, denn dringender als jemals müssten Menschen wie Du eine
Schule leiten wollen. Und wärest Du 15 oder 20 Jahre jünger und könntest diese
Entscheidung treffen, würdest Du wohl auch diesen Weg gehen.
Deine Fächerkombination Englisch / Evangelische Religion ist ja - modern formuliert – ein
„Alleinstellungsmerkmal“ unter Schulleitungen im Staatsdienst, - in der Prägung und im
Verständnis, welche Bedeutung jedem einzelnen Menschen zukommt, hast Du damit fernab
von allen Vorschriften immer mit großer Klarheit gewusst, was zu tun ist.
Als junge Lehrerin hast Du das Fach Religion mit Leidenschaft unterrichtet, das waren die
Zeiten, als es noch Freiwillige in Kursen in der Oberstufe gab, mit denen Du auch in den
Osterferien nach Israel fahren konntest. Ja, solche Zeiten gab es und sie waren – auch - gut.
Du warst aber auch eine junge Lehrerin, die sich mit Vehemenz und Überzeugung der
Bemühungen annahm, Suchtprobleme unter Jugendlichen offensiv anzugehen. Fraglos
hattest Du Augen und Ohren für die Probleme, die das Wohl der Schüler und Schülerinnen
gefährdeten, und da hast Du immer zugegriffen. Schon lange bevor “Bildung“ und „Jugend“
die systemisch wertvolle Idee von Kooperationsverträgen entwickelt hatten, hast Du „Deine“
Problemkinder an die Hand genommen und dafür gesorgt, dass sie die Betreuung und
Begleitung bekamen, die sie brauchten.
Als junge Lehrerin wurdest Du auch Mutter. Den Mutterschutz gab es schon,
Erziehungsurlaub oder Elternzeit waren Zukunftsmusik. Über die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf wurde in den 70er / 80er Jahren nicht geredet. Wichtig war, dass Frauen ihren
Weg in den Beruf fanden, die Konsequenzen daraus blieben gesellschaftlich unbeachtet.
Du hattest Anfang der 80er Jahre einen Mann, der zwar nicht sein Politikerstandbein
aufgegeben hat, aber sich von seiner Arbeit in der Schule beurlauben ließ, damit Du
zurückkehren konntest in den Schuldienst und trotzdem zwei Kinder gut versorgt groß
werden konnten. Nicht, dass in Dir die Feministin zum Durchbruch gekommen wäre, aber
dass Du auch mit einem Familienleben einen Weg im öffentlichen und gesellschaftlichen
Leben gehen willst, war eben so und ist auch gelungen. Das ist Selbstverwirklichung in Beruf
und Familie. Und es gab noch gar keine Frauenvertreterin.
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Schon zu diesen Zeiten gibt es ein weiteres Thema, das in Deinem Leben eine gewisse Rolle
spielt: Krankheiten. Du hattest mit Borreliose und den allergischen Folgen einer
Holzschutzlackierung zu kämpfen, als wir alle davon noch gar nichts richtig wussten. Das
sind nun Felder, auf denen auch Du den anderen nicht unbedingt voraus sein wolltest, warst
Du aber. Es dauerte, bis klar war, was Du hast, wie darauf zu antworten ist – und das waren
die Zeiten, in denen man zügig im Verdacht stand zu simulieren oder sonst irgendwie eher
an einem lauen Lenz interessiert zu sein – für eine in der Arbeitsauffassung ziemlich
protestantisch-preußisch orientierte Frau wie Dich musste diese Wahrnehmungsvariante
schon sehr besonders sein. Vorbildliches Schulleiterhandeln hast Du in diesem
Zusammenhang nicht erlebt. Vermutlich aber eine Vorstellung entwickelt, wie dies aussehen
könnte.
1989 kommst Du schließlich an die Marie-Curie-Oberschule.
Es gibt ein weiteres Thema für Dich: das Kämpfen. Das kannst Du beeindruckend gut. Auch
wenn Du auf manchen Kampf sicher hättest verzichten können. Du kämpfst nicht nur im
Rahmen Deiner Erkrankungen um faire Behandlung, Du kämpfst ja noch einmal in weit
größerem Stil, als Du an der Marie-Curie-Oberschule Stellvertretende Schulleiterin werden
willst. Das ist Anfang der 90er Jahre.
Das sind nicht die Zeiten von Kriterien gestützten Dienstlichen Beurteilungen, mit
Auswahlverfahren und Präsentationsvarianten ganz raffinierter Art – nein, in diesen Zeiten
wird noch nach Verbandszugehörigkeit, Parteienzugehörigkeit geschaut, da muss man sich
mit den richtigen Menschen gut verstehen, da muss man kungeln können. Nicht, dass Du das
nicht könntest. Aber das war es nicht. Hier gab es ein Kollegium, das wollte Dich als
Stellvertreterin neben einem patriarchal dominanten, fraglos auch mit Verdiensten
ausgestatteten Mann. So kam die Vertrauenslehrerin des Kollegiums in Leitungsposition,
denn schlussendlich wurdest Du Stellvertreterin, obgleich mit politischen Kapriolen und
Bemühungen, das zu verhindern, die vermutlich auch ein „Alleinstellungsmerkmal“
darstellen.
Es sind dies aber auch Zeiten, in denen solidarisch gekämpft wird, und bei allem Stress gibt
es Kollegen und Kolleginnen, Elternvertreter und Elternvertreterinnen, Personalräte, zum
Schluss sogar die erste Frauenvertreterin, die Dich in Deinem Wollen bestärken und
unterstützen. Und der Schulleiter muss sich vom Schulrat anhören, dass er sein Kollegium
nicht im Griff habe. Was für Zeiten! Den Kampf gewinnst Du mit dem Rechtsanwalt Körting
und so hat die MCO eine ganz ordentlich amtierende Stellvertreterin, als der Schulleiter,
Herr Dr. Kramarz, 1996 in den Ruhestand geht.
Im Wissen um die Notwendigkeit, dass ohne Solidarität und Verantwortung für das Ganze
gar nichts geht, stellst Du Dich auch für andere Aufgaben zur Verfügung. Z.B. organisierst Du
die Wahl der Frauenvertreterin und zwar mit mir. Während andere beim Wort
„Frauenvertreterin“ noch fragwürdige Kommentare loswerden müssen, stellst Du mir, die
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ich gar nicht zur MCO gehöre, die Ressourcen Deiner Schule inklusive einer unermüdlichen
Frau Krohm, der damaligen Schulsekretärin, zur Verfügung – und alles läuft.
Liebe Regine, eine Deiner ganz großen Stärken liegt in einer fast bedingungslos großzügigen
Art, abzugeben, zu teilen, was Du hast, und damit dem Ganzen Gutes zu tun.
Heute denken wir über Schulleitungsassistenzen, Mentoren zur Förderung junger Kollegen
und Kolleginnen nach, - bevor wir zum „System“ wurden, gab es fröhliche Gruppen an den
Schulen, manchmal waren die natürlich auch ideologisch verbissen, aber die fröhlichen
saßen um den Computer und bauten Stundenpläne, an der MCO waren das neben Dir Herr
Schröder und Herr Herbst. Und als ich mich dafür interessierte, konnte ich mitlernen, wie
Stundenpläne zu bauen sind und welche Gedanken man sich machen muss, weil hier die
Lernumgebung von Schülerinnen und Schülern und der Arbeitsplatz von Lehrerinnen und
Lehrern gestaltet werden. Es hat alles schon mal gut geklappt, was heute wieder mühsam
hergestellt wird – natürlich damals u.U. mit manchem Argwohn begleitet – was machen die
da?
Bei Dir konnte man sich immer ganz sicher sein, den schlechtesten Stundenplan erwischt zu
haben, wenn man in Deinem engeren Arbeitsumfeld angelandet war. Aber der
handverlesene für jede/n, wenn das mal für eine kleine Zeit aus persönlichen Gründen nötig
war, konnte auch entstehen.
Kaum Stellvertretende Schulleiterin lernst Du die charmanteste Seite dieser Position kennen
– die Stelle des Schulleiters zu vertreten. Für fünf Jahre gibt es eine Frau auf zwei Positionen.
Dass Du schließlich die Schulleiterin wirst, liegt daran, dass Du die Bewerberlage schwierig
findest und dann lieber selbst den Hut in den Ring wirfst. Das Kollegium hat Dich mit
überwältigender Mehrheit gewählt.
Sehr ernsthaft vorbereitet übrigens, und obwohl wir wussten, was wir an Dir haben, sollte
die Benennungskonferenz kein Durchwinken werden. Zwei Kneipenabende waren das, bis
der Fragenkatalog fertig war, der gleichermaßen für Dich und den Mitbewerber galt. Waren
gute Zeiten, obwohl wir Schulmanagement und Personalentwicklung noch gar nicht gelernt
hatten!
Das kam dann aber – mächtig und durchaus lustvoll. Im April 1999 tagt zum ersten Mal unter
Deiner Leitung die AG Schulprogramm in der MCO – was für eine Denkfabrik! Du hast ohne
mit der Wimper zu zucken den Raum und die Zeit gegeben und genutzt, um neue
Vorstellungen für die MCO denken und umsetzen zu lassen. Über sieben Jahre stecken wir,
und das ist ein erstaunlich großer Teil des Kollegiums, in fast allen Abkürzungen mit Pilotoder Modellcharakter, die die Bildungslandschaft erblühen lässt. SQIB, PSE, MES, wir lernen
Unterrichtsentwicklung, Organisationsentwicklung, schlagen uns mit Budgetfragen rum und
steuern Prozesse, sitzen auf Fortbildungsveranstaltungen freitags und samstags - die
Schülerschaft kann in der folgenden Woche immer genau erkennen, wer wieder was gelernt
hat - es werden Doppelstuhlkreise gebaut, es wird markiert und strukturiert, Plakate
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entfalten eine raumgreifende Wirkung in Klassen, wir präsentieren und kommunizieren auf
Beziehungs- und Inhaltsebenen, die Power-Point-Präsentation tritt ihren Siegeszug an. All
diese Phasen waren mit Geld, qualifizierten Fortbildungen und zusätzlichen Stunden
ausgestattet und wir, genauso wie andere Schulen, konnten uns damit durchaus entwickeln
– und Du warst immer mitten drin. Da auch Vernetzung geübt werden sollte, haben wir viele
Schule kennengelernt, nicht immer genauso viele Schulleiter und Schulleiterinnen.
Parallel zu unseren lebensfohen Schaffensphasen entwickelt sich die Einsicht, dass diese
Arbeit so nicht immer zu schaffen sein wird. Wir haben das in jedem Bericht, im
Schulprogramm deutlich gesagt. Bis heute muss man feststellen: Selten hatten wir so sehr
keine Wirkung! Nicht einmal Du! Leider hatten wir zu diesem Zeitpunkt Dank der Erfindung
von Arbeitszeitkonten schon bewiesen, dass 26 UnterrichtsSsunden eine vorstellbare Größe
im Arbeitsleben sein könnten. Prompt werden sie dauerhaft Realität.
2004 sind wir gerade in das „Modellvorhaben Eigenverantwortliche Schule“ eingetreten, da
wird schon das doch eigentlich noch in diesem Modellvorhaben zu erprobende Schulgesetz
verabschiedet. Einen größeren Paradigmenwechsel kann man sich schwerlich denken: Das
Systemische greift Raum, Organigramme weisen zu und schaffen Klarheit,
Geschäftsverteilungspläne sind zu schreiben, alles hat Meilensteine, „wer macht was mit
wem bis wann?“ heißt die Parole. Kommunikation ist zielführend und Veränderung besteht
immer darin, dass man bei sich selbst beginnt – bloß nichts von den anderen einfordern, da
kann man ja lange warten. Wir lernen auf subtile Art, dass man Veränderungen nur noch an
sich selbst und mit sich selbst durchführen kann.
So bist Du nicht. Warst Du bist eben die Schulleiterin, die auch mal eine rauchen ging zu den
Freundinnen im Raucherlehrerzimmer, so wirst du jetzt die Dienstvorgesetzte, das schafft
ein anderes Verhältnis. Deswegen bist Du kein anderer Mensch geworden. Du hast gern
geleitet und tust das auch unter anderen Vorzeichen – mit einem klaren Verständnis von
Fairness und Respekt anderen gegenüber, bestimmt nicht fehlerlos; mit der offenen Tür und
dem offenen Ohr für die Schülerschaft genauso wie für das Kollegium; eine Schulleiterin, die
im Kollegium, beim Hausmeister, bei der Sekretärin zu jedem Geburtstag gratuliert, kleine
interne Weihnachtsfeiern veranstaltet und sich unablässig kümmert! (Das ist ja bis heute so,
nicht mal diese Feier konnten wir ohne Deine ferne Begleitung gestalten.)
Trotzdem tritt schleichend der Wandel ein. Als Schulleiterin ist Dir nun generös und
umfassend Verantwortung in den Schoß gelegt. Die Leistungsmerkmale für die Bewertung im
Schulleitungsbereich sind ja so, dass entweder Herkules oder Sisyphos die Orientierung
bieten müssen. Du bleibst einfach Regine Schürmann, vieles kannst Du, vieles kannst Du
andere machen lassen, was nicht geht, geht eben nicht, und was unsinnig ist, soll auch gar
nicht gehen: 2 individuelle „Bögertage“ z.B.. Gegen diese ausdrückliche Anordnung, deren
Sinnhaftigkeit sich ja bis heute nicht erschließt, gibt es an der MCO immerhin einen
zentralen Bögertag für alle. Und hier ist Schluss mit der Eigenverantwortung oder gar dem
eigenen Denken in Schule: Es folgt ein Disziplinarverfahren. Souveränes Behördenhandeln?
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Auch wenn wir alle den Kopf geschüttelt haben, blieb Dir allein diese Würdigung Deiner
Arbeit mehr als schmerzlich. Aber Du kämpfst – mit einigem Erfolg.
Bei aller Stärke bist du immer auch eine verletzbare Schulleiterin.
In dieser Situation ist zum ersten Mal deutlich, dass es mit echtem solidarischen Handeln
vorbei ist. Du musst das allein durchstehen, auch wenn alle mitgemacht haben. Systemisch
geht das nicht anders – nur eine späte Genugtuung bleibt: Die Idee ist ja so schlecht gar
nicht, die Senatsverwaltung höchst selbst schickt uns jetzt immer alle einen Tag früher in die
Sommerferien.
Mit dem neuen Schulgesetz kommt nicht nur die Verantwortung, es kommt auch ein
Gestaltungsspielraum für alle an Schule Beteiligten und gleichzeitig eine scheinbar gar nicht
mehr enden wollende Flut von Reformen. So schnell kann niemand Loseblatt-Sammlungen
im Schulrecht umsortieren, wie VOGO und Prüfungsordnung, Sek I – Ordnung und x –
Ausführungsvorschriften eingezogen oder geändert werden. Rahmenlehrpläne kann man eh
nur noch in jedem zweiten Durchgang umsetzen. - Das siehst auch Du in all seinen
Konsequenzen mit Entsetzen. - Was eben wie ein neuer Weg aussah, Jugendliche auf eine
veränderte Welt vorzubereiten, scheint zum Marathonlauf im Labyrinth zu werden. Das
Tempo ist viel zu hoch für die einen, die Arbeit viel zu verdichtet für die anderen. Eltern
sollen Entscheidungen treffen, die sie immer mehr verwirren und verunsichern. Was gestern
gesagt wurde, gilt heute nicht mehr. Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit werden ersetzt
durch regelmäßige Vergleichsprüfungen von der Grundschule an.
Die perfekteste Struktur wird nicht zugewandtes menschliches Handeln ersetzen können.
Deswegen würdest Du, denke ich, auch heute noch Schulleiterin werden wollen.
Bevor sich diese eben beschriebene Entwicklung so richtig Bahn brechen kann, wirst Du
krank und wir beide müssen lernen, wie „Leiten“ unter diesen Bedingungen funktionieren
kann. Wir haben, glaube ich, viel gelernt in diesen Zeiten. Wir haben auch noch einmal
ziemlich perfekt zusammengearbeitet, als Du im Hamburger Modell zurückgekommen bist.
Ich glaube nicht, dass in allen Fällen von Leitung und Stellvertretung so viel Arbeitsteilung,
Absprache, Reflexion des Prozesses möglich ist, wie es das zwischen uns gegeben hat. Und
obwohl am Ende dieser Zeit die Einsicht steht, dass Du diese Arbeit nicht mehr fortsetzen
würdest, war es ein ganz außergewöhnliches halbes Jahr mit Dir.
Heute musst Du gar nicht mehr Schulleiterin sein – schon allein, weil man ja nicht ewig
dasselbe machen muss, schon gar nicht, wenn man auf erfolgreiche Jahre zurückblicken
kann – so wie Du. Aber alles, was Du an Stärke und Kraft besitzt, wirst Du sicher noch in
neuen Zusammenhängen einsetzen – immer in der Absicht, es zum Wohl der anderen zu
tun. Dafür wünsche ich Dir noch eine lange Zeit und viel Gelassenheit.
Angelika Weiß, Stellvertretende Schulleiterin
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