Das Gesetz ist absurd«

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Das Gesetz ist absurd«
Quelle:
, 29.10.2014
»Das Gesetz ist absurd«
Republikaner und die rechte Polizeibruderschaft FOP drückten im USBundesstaat Pennsylvania ein Redeverbot für Gefangene durch. Ein Gespräch
mit Mumia Abu-Jamal
Am 25. Oktober führte Amy Goodman vom US-Internetportal Democracy Now
(www.democracynow.org) ein Interview mit Mumia Abu-Jamal, das wir in gekürzter
Form dokumentieren:
Sie waren jetzt wieder in den Schlagzeilen wegen eines neuen Gesetzes, das
Pennsylvanias republikanischer Gouverneur Tom Corbett am 22. Oktober
unterzeichnet hat und das Ihnen die Möglichkeit nehmen könnte, öffentlich zu
sprechen (...). Ihre Meinung dazu?
Ich halte es für äußerst bemerkenswert, dass Tom Corbett, der ehemalige
Justizminister Pennsylvanias, jetzt als Gouverneur ein Gesetz unterzeichnet, von
dem er weiß, dass es verfassungswidrig ist, zumal er als Gouverneur und
Rechtsanwalt sowie Mitglied der Anwaltskammer für beide Berufsfelder einen Eid
schwören musste, die Verfassungen Pennsylvanias und der USA zu schützen und zu
verteidigen. Durch seine Unterschrift hat das Gesetz Rechtskraft erhalten. Damit hat
er beide Eide gebrochen, als Gouverneur und als Anwalt, denn er kennt die Gesetze.
Es vermittelt etwas über das Rechtsverständnis solcher Gesetzgeber, Gouverneure
oder gewählten Politiker, wenn sie ihren Amtseid auf die Bibel schwören und dann so
frei sind, ihn zu brechen. (...)
Ein Zitat von Gouverneur Corbett, warum er das neue Gesetz unterstützt hat:
»Während gesetzestreue Bürger eine Reihe von Rechten von der Reise- bis zur
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Meinungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen können, sitzen verurteilte
Schwerverbrecher im Gefängnis, weil sie ihre Rechte missbraucht und
aufgegeben haben. Niemand hat das Recht, die Opfer seiner Gewaltverbrechen
weiter öffentlich zu verhöhnen.« Was sagen Sie dazu?
Corbett weiß, dass dieses Gesetz absurd ist, sowohl rechtlich als auch faktisch. Ich
habe niemals jemanden verhöhnt. Als Journalist habe ich äußerst selten über die
Ereignisse des 9. Dezember 1981 gesprochen (die Verhaftung Abu-Jamals und den
Tod des Polizisten Daniel Faulkner – d. Red.). Auch in meiner für das GoddardCollege verfassten Rede (siehe jW vom 11. und 12. Oktober – d. Red.) habe ich
dazu nichts gesagt. Die meisten Leute, die für dieses Gesetz gestimmt haben, egal
ob Abgeordnete, Senatoren oder der Gouverneur selbst, haben diese Rede nie
gehört. Sie sollten es tun und dann selbst urteilen über den Unsinn, den Tom
(Corbett) von sich gibt. (…) So etwas gab es schon öfter in der Geschichte meiner
rechtlichen Auseinandersetzungen. Erinnern Sie sich noch, wie wir 1996 hier auf
dem Sender live miteinander telefonierten und ein Wärter das Telefonkabel aus der
Wand riss? Das war nach Erscheinen meines ersten Buches »Live from Death Row«
(deutsch »... aus der Todeszelle«, Bremen 2005 – d. Red.). Die Gefängnisbehörde
sanktionierte die Veröffentlichung mit einem Disziplinarverfahren, wogegen wir vor
Gericht zogen. In dem Zivilverfahren »Abu-Jamal gegen Price« bestätigte das 3. USBundesberufungsgericht mein Verfassungsrecht, schreiben zu dürfen. Und dann soll
ich jetzt kein Verfassungsrecht haben, das Geschriebene auch vorzulesen?
Maureen Faulkner (die Witwe des 1981 getöteten Polizisten Daniel Faulkner – d.
Red.) soll nach Unterzeichnung des »Mumia-Gesetzes« durch Corbett laut
Presse gesagt haben: »In Kalifornien im Auto zu sitzen und im Radio zu hören,
dass er (Mumia) vor Hochschulabsolventen eine Rede hält, reißt alte Wunden
wieder auf.« Ihr Kommentar?
Sie tut mir leid, weil die meisten Leute, wenn sie etwas im Radio hören, das sie stört,
einfach den Sender wechseln. Das sollte sie auch tun. Die haben jetzt ein Gesetz
speziell gegen einen Mann erlassen, wie mir aus dem Rechtsausschuss zugetragen
wurde. Sie entwarfen ein Gesetz auf der Basis von falschen Informationen über das,
was angeblich im Goddard-College diskutiert worden ist, dessen Absolvent ich bin.
Ich habe dieses College besucht und meinen Abschluss dort gemacht. Kollegium
und Studierende hatten mich eingeladen, darüber zu sprechen, was es bedeutet, in
Goddard ausgebildet worden zu sein. Genau das habe ich getan. Und wenn die
Verfassung das nicht schützt, dann schützt sie gar nichts. Wenn die Verfassung
gegen einen gedreht werden kann, dann kann sie auch gegen alle gedreht werden.
(...)
Wie war der Wechsel vom Todestrakt in den Normalvollzug für Sie?
Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an die Brüder und Schwestern in
Pennsylvanias Todestrakten denke. Meine heutige Situation ist so grundverschieden
zu ihrem 24-Stunden-Tag im Todestrakt, dass man beides gar nicht
zusammenbringen kann. Lassen Sie mich es so sagen: Das US-Bezirksgericht von
Ostvirginia entschied in dem Verfahren »Prieto gegen Clarke«, dass die
Haftbedingungen im Todestrakt verfassungswidrig sind. Menschen derart lange
einzusperren, nur weil sie zum Tode verurteilt wurden, stellt eine Verletzung der
Verfassung dar. Ich wünschte, Pennsylvania würde auch die Verfassung einhalten,
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nicht nur in meinem Fall, sondern vor allem in denen aller Männer und Frauen in den
Todestrakten, die genauso in den Normalvollzug gehören wie alle anderen auch. (…)
Übersetzung: Jürgen Heiser
------------------------------------------------------Maulkorberlass
Hetzpropaganda gegen Meinungsfreiheit
Jürgen Heiser
In den USA wird in der dritten Woche im Oktober jedes Jahres die »Woche der
Meinungsfreiheit« gefeiert. Unter dem Motto »Meinungsfreiheit – die Sprache
Amerikas« fand die »Free Speech Week« (FSW) 2014 vom 20. bis zum 26. Oktober
statt. Zur Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit empfiehlt die FSW-Website:
»Setzen Sie eine Botschaft ins Internet. Schreiben Sie ein Gedicht. Zeigen Sie Ihre
Meinung durch einen Autoaufkleber. Schreiben Sie einen Leserbrief. Sprechen Sie
auf einer Kundgebung. Bringen Sie Ihre Meinung zum Ausdruck, wie es für Sie am
besten ist. Lassen Sie einfach Ihre Stimme hören!«
Als Hohn empfindet es Andy Hoover von der Bürgerrechtsorganisation »American
Civil Liberties Union« (ACLU) Pennsylvanias, dass in seinem Bundesstaat
ausgerechnet in der FSW durch Gouverneur Tom Corbetts Unterschrift mit dem
»Revictimization Relief Act« ein Gesetz in Kraft tritt, »das es den Gerichten
ermöglicht, eine Rede zu zensieren, bevor sie gehalten wird«. Mumia Abu-Jamal
habe nichts anderes getan als das, was offiziell für die FSW empfohlen wird: Eine
Rede über sein Studium an seinem ehemaligen College geschrieben und auf Band
gesprochen. Dieser Akt von Meinungsfreiheit passte jedoch der rechten
Polizeibruderschaft FOP nicht, weil sie seit 1981 alles dafür tut, den zum Intimfeind
erklärten Journalisten Abu-Jamal zum Schweigen zu bringen, da er auch aus der
Zelle heraus weiter über Polizeigewalt und -korruption schreibt. Deshalb deckten
FOP-Mitglieder und ihre Anhänger das College mit einer massiven Hetzpropaganda
in den Medien und Hunderten, im Minutentakt anlangenden Drohanrufen ein, mit
Ankündigungen körperlicher Gewalt und sexistischen Beleidigungen. Die
Collegeleitung sah sich gezwungen, aus Sicherheitsgründen die Feier ihrer
Absolventen vorzuziehen und durch einen Sicherheitsdienst schützen zu lassen. Auf
die Polizei konnte sie sich nicht verlassen.
Auf Demonstrationen gegen die Unterzeichnung des Gesetzes in Philadelphia
warnten Plakate: »Das Maulkorbgesetz für Mumia soll uns alle zum Schweigen
bringen.« Andy Hoover nennt es ein Gesetz »zur staatlichen Zensur von Meinungen,
die mächtige Leute nicht hören wollen«, das die ACLU vor Gericht als
verfassungswidrig zu Fall bringen werde.
Gesetz im Wortlaut: www.freedom-now.de
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Lebenslange Haft ohne Bewährung kommt Folter
gleich
• Die Delegiertenversammlung der Schriftstellervereinigung PEN International
nahm auf ihrem 80. Weltkongress in Bischkek/Kirgistan vom 29. September bis
2. Oktober 2014 folgende Resolution zu Mumia Abu-Jamal an. Sie war vom
deutschen PEN-Zentrum und dem französischen PEN vorgelegt worden.
Der Journalist und Autor Mumia Abu-Jamal wurde 1982 wegen der Tötung des
Polizisten Daniel Faulkner in Philadelphia, USA, zum Tode verurteilt. Er hat diesen
Mord immer bestritten, und obwohl die gegen ihn vorgebrachten Beweise
widersprüchlich und lückenhaft waren, hat die Polizeigewerkschaft von Pennsylvania
stets seine Hinrichtung gefordert. Am 7. Dezember 2011 wurde sein Todesurteil in
lebenslange
Haft
ohne
Bewährung
umgewandelt,
nachdem
mehrere
Berufungsgerichte zu dem Schluss gekommen waren, dass sein ursprünglicher
Prozess unfair war und nicht den rechtlichen Grundsätzen der Verfassung der
Vereinigten Staaten entsprach. Dennoch hatten Mumia Abu-Jamals Verteidiger mit
ihrem Antrag, ihm ein neues, faires Verfahren zu gewähren, keinen Erfolg.
Trotz seiner schwierigen Haftbedingungen in einer Todeszelle in Waynesburg,
Pennsylvania, hat Mumia Abu-Jamal weiter als Autor und Journalist gearbeitet. Er
hat im Gefängnis mehrere Bücher geschrieben, in denen er auf beeindruckende
Weise die Situation der Inhaftierten im Todestrakt beschreibt. Seine
schriftstellerischen Arbeiten haben ihn zu einem international bekannten Aktivisten
gegen die Todesstrafe gemacht.
Mumia Abu-Jamal fordert weiterhin einen fairen Prozess, weil aber alle
Berufungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, gibt es derzeit keine Aussicht darauf, die
Wahrheit darüber herauszufinden, welche Rolle Abu-Jamal beim Tod des Polizisten
Faulkner gespielt hat.
In der internationalen Rechtsprechung setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis
durch, dass eine lebenslange Haftstrafe ohne Bewährung, ohne die Möglichkeit der
Revision, Folter oder einer anderen grausamen, unmenschlichen oder
erniedrigenden
Bestrafung
gleichkommt.
2013
hat
der
Europäische
Menschengerichtshof in einem gegen das Vereinigte Königreich angestrengten
Verfahren festgestellt, dass eine nicht reduzierbare lebenslange Haftstrafe gegen
Artikel drei der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und
Grundfreiheiten verstößt, der Folter verbietet.
PEN International ist seit langem besorgt darüber, dass Mumia Abu-Jamal unter
Bedingungen verurteilt wurde, die sein Recht auf einen fairen Prozess verletzten. Wir
sind auch der Ansicht, dass eine lebenslange Haftstrafe ohne Bewährung und ohne
die Möglichkeit der Revision der Folter oder einer anderen Misshandlung
gleichkommt, und rufen die zuständigen Behörden des Bundesstaates Pennsylvania
und auf der Bundesebene dazu auf, mit den notwendigen rechtlichen Schritten
sicherzustellen, dass Mumia Abu-Jamal unverzüglich die Möglichkeit erhält, sowohl
seine Verurteilung wegen Mordes als auch seine lebenslange Haftstrafe ohne
Bewährung zu überprüfen. •
Übersetzung: Jürgen Heiser