Therapie von chronischem Schwindel mit japanischer

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Therapie von chronischem Schwindel mit japanischer
Therapie von chronischem Schwindel
mit japanischer Meridiantherapie
Eine Falldokumentation
Abschlussarbeit der 3-jährigen
Ausbildung in chinesischer Medizin
vorgelegt von
Heilpraktiker Dr. phil. Andreas Brüch
European Institute of Oriental Medicine
München, 12. November 2010
0
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung .............................................................................................................................................. 2
2.
Theorie der Meridiantherapie .............................................................................................................. 4
3.
2.1.
Die vier Leere-Muster der Meridiantherapie ...................................................................... 7
2.2.
Diagnostische Vorgehensweise ...................................................................................... 10
2.3.
Behandlung.................................................................................................................. 12
Fallbeschreibung: Chronischer Schwindel mit Schulter-Nacken-Beschwerden ................................. 15
3.1.
Hauptbeschwerden und Behandlungsauftrag ................................................................... 15
3.2.
Anamnese.................................................................................................................... 15
3.2.1.
Hauptsymptom Schwindel ...................................................................................... 15
3.2.2.
Weitere Beschwerden ............................................................................................ 17
3.3.
Körperliche Untersuchung ............................................................................................. 18
3.4.
Diagnose...................................................................................................................... 19
3.4.1.
Deutung von Symptomen und Zeichen ..................................................................... 19
3.4.2.
Ätiologie und Diagnosestellung ............................................................................... 22
3.4.3.
Behandlungsziel und Behandlungsstrategie .............................................................. 23
3.5.
Dokumentation der ersten Behandlung ........................................................................... 24
3.5.1.
Prognose und Stimulationsdosis .............................................................................. 24
3.5.2.
Therapeutische Vorgehensweise ............................................................................. 25
3.6.
Zweite bis fünfte Behandlung ......................................................................................... 26
3.7.
Siebte bis 13. Behandlung .............................................................................................. 30
4.
Abschlussbewertung .......................................................................................................................... 32
5.
Literatur .............................................................................................................................................. 34
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1. Einleitung
In dieser Arbeit beschreibe ich die Behandlung der Schwindel-Erkrankung einer Patientin mit
japanischer Meridiantherapie. Erkrankungen mit Schwindel, die auch mit anderen Symptomen
vergesellschaftet sein können sind, ein häufiges Erkrankungsbild: „Benommenheit und Schwindel sind neben Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Müdigkeit die häufigsten Beschwerden
von Patienten in einer Allgemeinpraxis“. (…) „Unter Schwindel als neurologischem Symptom
werden alle subjektiven oder objektiven Scheinbewegungen verstanden, typischerweise mit den
Leitsymptomen Schwindel, Nystagmus, Ataxie und Nausea auftretend“ (Gesenhues & Zische´,
2006, S. 1106). Schulmedizinisch ist normalerweise eine genaue Differentialdiagnose bei
Schwindelsymptomen erforderlich, da sie Zeichen einer ernsthaften Erkrankung sein können.
Die Bandbreite möglicher Diagnosen ist groß, beispielsweise (Gesenhues & Zische´, 2006, S.
1107ff; Hehlmann, A., S. 309ff):
 psychoemotional bedingte Ursachen
 kardiovaskuläre Erkrankungen: Herzrhythmusstörungen, Hyper-, Hypotonie, Herzinsuffizienz, TIA
 neurologische Ursachen: Epilepsie, basiläre Insuffizienz / Akustikusneurinom,
Vestibularisausfall, Hinterstrangläsionen, M. Parkinson, Apoplexie, M. Meniere,
labyrinthärer Gefäßinsult
 Intoxikationen durch Drogen oder Medikamente z.B. Barbiturate, Alkohol, Koffein, Jod,
Chinidin
 Metabolische Ursachen: Hyper-, Hypoglykämie, Hyper-, Hypothyreose, Urämie
 Infektionserkrankungen: Grippaler Infekt, Herpes Zoster Oticus
 Otogene Ursachen: Otitis media, Mastoiditis
Gerade wegen der möglichen schweren Erkrankungen sollte also beim Schulmediziner eine genaue Abklärung erfolgen. Interessanterweise bekam die von mir in dieser Arbeit geschilderte
Patientin vom HNO-Arzt nach ihrer Aussage keinerlei Diagnose gestellt. Auch fand keine weitergehende Ausschlussdiagnostik beispielsweise von neurologischen Ursachen statt. Lediglich der
Allgemeinarzt hatte als Verdachtsdiagnose die Ursachen für den Schwindel im Bewegungsappa2
rat geäußert. In unserer Ausbildung haben wir immer wieder gehört, dass die chinesische und
japanische Medizin aufgrund ihrer von der westlichen Schulmedizin vollkommen anderen diagnostischen Vorgehensweise in der Lage ist, auch Beschwerden zu therapieren, für die keine
klare westliche Diagnose nach ICD oder ähnlichen Kategorien besteht. Hier liegt aus meiner
Sicht die Stärke der asiatischen Medizin. Besonders faszinierend finde ich an der Meridiantherapie, dass sie im Vergleich zur chinesischen Medizin einen noch stärkeren Schwerpunkt auf das
Erspüren, Betasten und Fühlen von Veränderungen des Organismus durch den Therapeuten
legt.
Die Meridiantherapie ist einer von verschiedenen Stilen der japanischen Akupunktur. Sie ist ein
System, das auf dem Nanjing basiert und in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts von japanischen Therapeuten entwickelt wurde. Sie konzentriert sich auf die Korrektur der Wurzel der
Erkrankung durch Tonisieren eines von vier wesentlichen Leere-Mustern. Diese Leere wird aus
den Ergebnissen von Patientenanamnese, Meridian- und Bauchdeckenpalpation sowie Pulsdiagnose identifiziert. Die Wurzelbehandlung wird durch sehr wenige Nadeln vorgenommen, bevor in weiteren Schritten der Ast der Erkrankung („branch treatment“) therapiert wird (Fratkin,
1999, S. 8).
Alle japanischen Akupunkturschulen haben in Abgrenzung zur chinesischen Medizin einige Besonderheiten, die auch auf die Meridiantherapie zutreffen (Birch, 2003; S. 516; Fratkin, 1999):
 Palpation als wichtigstes diagnostisches Mittel: Dies schließt Pulsdiagnose, Bauchdeckenpalpation, Erfühlen von Hauttextur und Meridianverlauf ein.
 Punktlokalisation: Die Verwendung von „lebendigen Punkten“ bedeutet das Finden der
konkreten Punktlokalisation weniger nach deren anatomisch beschriebener Lage aus
den Klassikern als durch Erfühlen energetischer oder anatomischer Auffälligkeiten im
Umkreis der klassischen Lokalisation.
 Nadeltechniken: Verwendung sehr dünner Nadeln mit Führungsröhrchen, um den Nadeleinstich für den Patienten möglichst angenehm zu gestalten und das Qi dadurch
nicht zu stören.
 Sofortige Überprüfung der therapeutischen Intervention: Der Effekt von Nadel- oder
Moxatechniken wird durch Befühlen von Puls, Bauchdecke oder Punkt kontrolliert. Die3
se Vorgehensweise ermöglicht die Anwendung einer vergleichsweise geringeren Anzahl
von Punkten.
 Häufig verwendete Techniken zur Verstärkung der Primärbehandlung: Beispielsweise direktes Reiskornmoxa, Intradermalnadeln, Kegelmoxa, Press-Tacks, Magnete.
Bei der Durchführung der Meridiantherapie geht es also darum, den Patienten und seine Beschwerden zu „be-greifen“ und auch nur vom Patienten subjektiv gespürte Beschwerden wie
etwa Schwindel durch die Wahrnehmung von Veränderungen sekundärer Indikatoren wie Puls,
Bauchdeckenspannung oder Hauttextur nachzuvollziehen. Diese feinen Zeichen werden normalerweise von der Schulmedizin außer Acht gelassen.
2. Theorie der Meridiantherapie
Shudo (2003, S. 29) nennt zwei wesentlichen Schritte der Meridiantherapie, so wie sie von den
Begründern dieser Methode beschrieben wurden:
 Wurzel-Behandlung: Eine Tonsierung und Zerstreuung von den fünf Wandlungsphasen
zugeordneten Punkten, um das Qi in den Meridianen ins Gleichgewicht zu bringen.
 Symptombehandlung: Erst nach einer Behandlung der Wurzel der Erkrankung geht man
dazu über, die Symptome zu therapieren.
Die wesentlichen theoretischen Grundlagen der Meridiantherapie stammen nach Shudo (2003,
S. 58) aus dem Nanjing. Bezugnehmend auf das Nanjing basiert die Meridiantherapie auf der
Theorie der fünf Wandlungsphasen. Ziel der Meridiantherapie ist demnach, herauszufinden,
welche Wandlungsphase im Organismus aus dem Gleichgewicht geraten ist, um sie durch die
Behandlung auszugleichen. „In sämtlichen Stadien der Diagnostik wird die größte Mühe darauf
verwendet, die grundlegende Dysbalance im Bereich der fünf Wandlungsphasen zu identifizieren“ (Shudo, 2003, S. 58). Im Mittelpunkt steht dabei die Wandlungsphase bzw. jene mit der
Wandlungsphase verknüpfte Leitbahn zu identifizieren, in der die größte Leere (Mangel an aufrechtem, gesundem Qi) vorherrscht, um diese zu tonisieren.
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Der Zustand der fünf Wandlungsphasen wird in der Meridiantherapie durch das Konzept von
Fülle und Leere beschrieben. Im Gegensatz zum modernen Ansatz der TCM spielen daher die
acht diagnostischen Prinzipien fast keine Rolle. Das zentrale Ziel der Meridiantherapie ist die
Regulation des Qi in den zwölf Hauptmeridianen des ganzen Körpers, durch die relative Fülle
oder Leere ausgeglichen werden sollen, um das Qi wieder gleichmäßig ins Fließen zu bringen
(Birch, 2003, S. 516). Wenn das Qi wieder harmonisch fließt, werden in Folge Beschwerden und
Störungen des Körpers behoben. Shudo (2003, S. 59ff) beschreibt in diesem Zusammenhang die
wesentlichen Aspekte von Leere und Fülle folgendermaßen:
 Leere bedeutet einen Mangel an normalem Qi in den Organen, Leitbahnen oder bestimmten Regionen des Organismus. Leere kann sich entsprechend den üblichen Zeichen für dieses Syndrom auf viele unterschiedliche Arten manifestieren. In der Meridiantherapie sind jedoch die wichtigsten Hinweise ein leerer Puls und ein Mangel an
Geist. Als weitere Hinweise nennt Shudo Energiemangel, Bedürfnis nach Wärme und
durch Druck linderbare Schmerzen.
 Fülle bedeutet einen Zustand, bei dem das normale Qi des Körpers auf einen pathogenen Einfluss reagiert und eine verstärkte Aktivität in bestimmten Organen oder Leitbahnen hervorruft. Die wesentlichen Indikatoren sind ein starker beziehungsweise voller
Puls, ein im Überfluss sich zeigender Geist, das Bedürfnis nach Kühle und sich durch
Druck verstärkende Schmerzen.
 Leere und Fülle können gemeinsam auftreten. Fülle kann als Reaktion auf ein äußeres
Pathogen entstehen oder reaktiv auf eine Leere, die durch einen inneren pathogenen
Faktor bedingt ist. Entsprechend der Theorie der Wandlungsphasen kann in einer Leitbahn ein Fülle-Zustand entstehen, der dann zu Leere in einer anderen führt.
Im Zusammenhang mit dieser Darstellung ist zu klären, was unter dem Begriff Geist (jap. Shin,
chin. Shen) in der Meridiantherapie verstanden wird. Shudo (2003, S. 68) bespricht die Zeichen
des Geistes im Zusammenhang mit der diagnostischen Methode der Betrachtung: „Es gibt sozusagen greifbare Elemente im Erscheinungsbild eines Menschen, die Belege für diesen Geist
sind.“ Er nennt fünf Faktoren, die es ermöglichen, festzustellen inwieweit der Patient Geist hat
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oder nicht. Um dies zu erkennen sollte man den Patienten am besten aus einiger Entfernung
betrachten. Diese Faktoren sind:
 Ein gewisses Leuchten, das den Körper umgibt.
 Das Funkeln in den Augen.
 Ein klare Sprache und ein lebhaftes Verhalten.
 Ein tiefe und gleichmäßige Atmung
 Der Glanz der Haut.
Zum Ausgleich von Fülle und Leere werden in der Meridiantherapie die betroffenen Wandlungsphasen zerstreut beziehungsweise tonisiert. Zerstreuen bedeutet dabei ein Wegnehmen
von überflüssigem (pathogenen) Qi. Tonisieren soll das normale, gesunde Qi auffüllen und stärken. Der grundlegende Ansatz zur passenden Punktauswahl leitet sich aus dem 69. Kapitel des
Nanjing ab, dessen Aussage Shudo (2003, S. 62) folgendermaßen zusammenfasst:
 Bei Leere wird der Mutter-Meridian tonisiert.
 Bei Fülle wird der Kind-Meridian zerstreut.
 Tonisieren erfolgt vor der Zerstreuung.
 Wenn das Ungleichgewicht nur einen Meridian betrifft, wird nur dieser behandelt.
Die Interpretation dieser klassischen Regel wird in der Meridiantherapie für die Punktauswahl
genutzt. Wenn in einer Leitbahn Leere festgestellt wird, dann werden zur Tonsierung zwei
Punkte ausgewählt:
 In der betroffenen Leitbahn der Punkt, der die Wandlungsphase im Ernährungszyklus
vor dem Element mit der größten Leere darstellt (Mutter).
 In der Leitbahn der Wandlungsphase, die mit dem Element in Leere im Ernährungszyklus
steht, wird der Elementpunkt tonisiert.
Diagnostisch wird die Umsetzung dieses Konzepts verfolgt, indem man immer nach einem Muster sucht, bei dem zwei im Ernährungszyklus stehende Leitbahnen sich bei der Pulsdiagnose am
schwächsten zeigen. In der Meridiantherapie gibt es dabei vier grundlegende Muster, in die laut
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Birch (2007, S. 3) 99% aller Patienten fallen. Diese Muster sind aus einer Analyse des Nanjing
entstanden:
 Lungen-Leere: Beinhaltet eine Leere von Lunge und Milz.
 Milz-Leere: Beinhaltet eine Leere von Milz und Herz.
 Leber-Leere: Beinhaltet eine Leere von Leber und Niere.
 Nieren-Leere: Beinhaltet eine Leere von Niere und Lunge.
Das fünfte theoretisch mögliche Muster einer Herz-Leere wird laut Birch (2007, S. 4) in der Regel nicht in der Praxis eines (westlichen) Akupunkteurs zu beobachten sein, da es sich bei den
entsprechenden Erkrankungen zumeist um notfallmedizinische Fälle handeln dürfte wie beispielsweise Herzinfarkt oder schwere psychische Erkrankungen, etwa Psychosen.
2.1.
Die vier Leere-Muster der Meridiantherapie
Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte der vier Leere-Muster, ihre zentralen Symptome
und Zeichen zusammengefasst. Eine ausführliche Darstellung ist hier aus Platzgründen leider
nicht möglich, sie findet sich beispielsweise bei Shudo (2003) und Birch (2001; 2007, S. 8ff).
Lungen-Leere-Muster
 Lunge kontrolliert das Qi: Es treten Probleme wie Qi-Leere, Müdigkeit, gegenläufiges Qi,
emotionale Probleme wie Überempfindlichkeit, Traurigkeit bzw. Trauer, Passivität bei
Kindern, schwaches Immunsystem, häufige Infekte auf.
 Lunge kontrolliert das Atmen: oberflächliches Atmen, Kurzatmigkeit, Dyspnoe, Druckgefühle in der Brust, Husten, Asthma.
 Lunge kontrolliert die Haut: trockene Haut, raue Haut, nicht erhabene Hautprobleme aller Art.
 Symptome entlang der Leitbahn.
 Bezug zum Dickdarm: Verstopfung, Hämorrhoiden, erhabene Hautprobleme, Schulterbeschwerden.
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 Zusammenhang mit Blase und Niere: häufiges Wasserlassen, auch akute Probleme wie
etwa Zystitis.
Milz-Leere-Muster
 Milz kontrolliert Verdauung: alle Arten von Verdauungsstörungen, schwaches Verdauungssystem, Windentwicklung, aufgeblähtes Abdomen, Borborygmen, Verstopfung
usw.
 Zusammenhang mit Magen(-Leitbahn): Brustbeschwerden, Entzündungen der Lippen
und des Zahnfleisches.
 Milz als zentrales Organ der Qi-Produktion (weniger der Qi-Regulation): Müdigkeit, Gähnen, schwere Extremitäten, Wunsch, sich auszuruhen, emotionale Probleme speziell zu
viel Nachdenken oder Grübeln, obsessive Gedanken.
 Geschwollene oder gerötete Augenlider.
 Probleme entlang der Leitbahn.
 Zusammenhang mit dem Herzen: fast alle symptomatischen und emotionalen HerzShen-Probleme werden in der Meridiantherapie durch ein Milzmuster erklärt, auch auf
das Herz als anatomisches Organ bezogene Erkrankungen beispielsweise Palpitationen,
Angina Pectoris, Apoplexie oder Herzinsuffizienz.
Leber-Leere-Muster
 Die Leber speichert das Blut: Blut-Stase-Probleme mit entsprechenden Hautzeichen wie
Leberflecken, Spider Naevi, hormonelle oder endokrine Probleme, Menstruationsbeschwerden, Blutungserkrankungen, einige Hauterkrankungen.
 Leber kontrolliert die Muskulatur: verspannte, geschwollene Muskeln, muskuläre
Imbalancen, akute Rückenbeschwerden (z.B. Lumbalgie, Bandscheibenvorfall, Bandscheibenriss), Neuralgien (Ischias, Intercostalneuralgien, Hernien).
 Die Leber beherbergt Hun und zirkuliert Qi: emotionale Empfindlichkeit, geringe Stressresistenz, emotional-mentale Problematiken wie Neurosen, Reizbarkeit, Wutausbrüche,
Ärger und Schlaflosigkeit.
 Die Leber kontrolliert die Augen: verschiedene Augenerkrankungen.
 Die Leber zeigt sich in den Nägeln: Nagelprobleme aller Art.
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 Zusammenhang mit Wind-Pathogen: Abneigung gegen Wind, Steifheit von Muskulatur.
 Probleme entlang der Leitbahn: insbesondere Beschwerden der Genital- und Fortpflanzungsorgane, Zystitiden, Kopfschmerz, Migräne, Gallenblasen-Erkrankungen, Schwindel
 Zusammenhang mit dem Dickdarm: Verstopfung mit Blutstase-Zeichen.
Nieren-Leere-Muster
 Die Niere bezieht sich auf das vorgeburtliche Qi: Entwicklungsprobleme und –
verzögerungen, schlecht heilende Knochenbrüche, Störungen der Reproduktionsfunktion (Impotenz, gynäkologische Erkrankungen, Genitalerkrankungen).
 Bezug zu den Knochen: leicht brechende Knochen, Osteoporose, Karies, Gelenkserkrankungen insbesondere der Knie, wiederholte Fußgelenkstraumata.
 Bezug zur Flüssigkeitsregulierung: urologische Beschwerden, Ödeme der unteren Körperhälfte.
 Die Niere kontrolliert das Knochenmark: Knochenmarkserkrankungen, Leukämie, Vergesslichkeit, Senilität.
 Die Niere öffnet sich in die Ohren: Tinnitus, Schwerhörigkeit.
 Bezug zum Pathogen Kälte: kalte Hände und Füße, kalter unterer Rücken, kaltes unteres
Abdomen, Durchblutungsstörungen, heiß oben und kalt unten.
 Emotionaler Bezug: Ängstlichkeit, leicht erschreckbar.
 Bezug zum Kopfhaar: Alopezie, vorzeitiges Ergrauen der Haare.
 Bezug zur Blase: urologische Beschwerden, Beschwerden des unteren Rückens.
 Bezug zum Dickdarm: chronische Diarrhö, Verstopfung.
 Bezug zum Magen: Nierenleere führt zu Magenfülle und Milzleere, somit zu Verdauungsbeschwerden wie Müdigkeit nach dem Essen, Zahnfleischbluten usw.
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2.2.
Diagnostische Vorgehensweise
Die Diagnose in der Meridiantherapie stützt sich auf vier zentrale Informationsquellen: Befragung und Inspektion des Patienten mit seinen Symptomen und weiteren Zeichen, Palpation von
wichtigen Punkten und Leitbahnen, Palpation des Abdomens und die Pulsdiagnose.
Im ersten Schritt der Diagnose werden die Symptome und Zeichen des Patienten erfragt. Danach werden Informationen aus einer Inspektion und Palpation wichtiger Punkte und Meridianzonen aufgenommen. Dabei wird nach Auffälligkeiten wie besondere Weichheit, Verhärtungen,
Druckschmerz, Farb- und Temperaturveränderungen und Ähnlichem gesucht. Eine genauere
Darstellung dieser Vorgehensweise will ich hier nicht vornehmen, sie ist beispielsweise im Buch
von Shudo (2003) beschrieben.
Im Bezug auf die Durchführung der Bauchdeckendiagnose schildert Shudo (2003, S. 131ff) eine
Reihe von Ansätze verschiedener Therapeuten aus unterschiedlichen Stilrichtungen der japanischen Akupunktur, die ich hier aus Platzgründen nicht im Detail beschrieben kann. Ich möchte
daher das Modell von Birch (2007, 2003) darstellen wie es im EIOM unterrichtet wurde. Grundprinzip ist, dass durch eine Palpation der Bauchdecke Rückschlüsse auf den Zustand des Meridiansystems gezogen werden können, indem bestimmte Zonen der Bauchdecke den Zang beziehungsweise den Yin-Leitbahnen zugeordnet sind. Die Ergebnisse der Abdominal-Tastung fließen
in die Gesamtdiagnose zur Feststellung der Wurzel der Erkrankung ein.
 Lunge: Bezugszone ist der Bereich von Ma25 bis Ma27 rechts des Nabels. Spannung
oder Druckschmerz weisen auf eine mögliche Lungen-Leere hin.
 Milz: Der Bereich zwischen Ren12 und dem Bauchnabel und kreisförmig um den Nabel
herum ist Bezugszone zur Milz. Eine Milzleere kann sich durch Weichheit, weiche
Schwellung („puffy“), Schwellung, Pulsation, Verhärtung oder Druckschmerz zeigen.
 Leber: Die Leber hat zwei Bezugszonen im Hypogastrium unter dem rechten Rippenbogen, wo die Leber anatomisch liegt und im Bereich von Ma25 bis M27 links des Bauchnabels. Ein Lebermuster kann sich zeigen durch gespanntes Gewebe, Pulsation oder
Druckschmerz in diesen Zonen.
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 Niere: Bezugszone der Niere ist der Bereich um Ren3 bis Ren6. Eine weiche, leicht
eindrückbare, kühle Zone oder eine gespannte Zone mit Druckschmerzhaftigkeit weisen
auf ein Nieren-Leere-Muster hin.
Abbildung 1: Bezugszonen der Bauchdeckendiagnose in der Meridiantherapie
Herz
Leber
Milz
Lunge
Niere
Der wichtigste diagnostische Schritt ist in der Meridiantherapie die Pulsdiagnose. Laut Birch
(2003, S. 516), werden „die Pulsmuster durch weitere Diagnosestellungen über Schauen, Hören,
Riechen, Fragen (…) ergänzt und bestätigt“. Insbesondere bei Vorhandensein verwirrender oder
widersprüchlicher Zeichen aus den anderen diagnostischen Schritten dominiert das Ergebnis
der Pulsdiagnose also in der Regel die sonstigen Informationen (Birch, 20072, eigene Kursaufzeichnungen). In der Meridiantherapie wird im Vergleich zur chinesischen Medizin weniger
Aufmerksamkeit auf die Pulsqualität gelegt als auf die relative Stärke der Pulspositionen zur
Beurteilung von Fülle und Leere in den Leitbahnen. Dabei werden die im Nanjing geschilderten
Pulspositionen und ihr Bezug zum Qi in den Leitbahnen verwendet. Folgende Zuordnungen sind
dort genannt:
 Linke Cun-Position: Herz- und Dünndarm
 Linke Guan-Position: Leber und Gallenblase
 Linke Chi-Position: Niere und Blase
 Rechte Cun-Position: Lunge und Dickdarm
 Rechte Guan-Position: Milz und Magen
 Rechte Chi-Position: Perikard und dreifacher Erwärmer
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Die Feststellung des primären Leere-Musters erfolgt durch einen Vergleich der tiefen Pulse der
sechs Yin-Positionen. Es wird danach gesucht, für welche zwei im Ernährungszyklus aufeinander
folgenden Wandlungsphasen die Pulse im Vergleich zu den übrigen Pulspositionen am
schwächsten sind. Nach Behandlung des Primärmusters werden die Pulspositionen auf der oberen Ebene getastet, um Fülle oder Leere in den Yang-Pulsen zu erkennen und zu therapieren
(Birch, 2007).
2.3.
Behandlung
Die Meridiantherapie hat drei wesentliche Behandlungsschritte: I) Behandlung des Primärmuster mittels Auswahl von Punkten nach den Wandlungsphasen, II) Behandlung der YangLeitbahnen, III) Behandlung der Rücken-Shu-Punkte des Primärmusters mit symptomatischer
Behandlung. Nach jedem Einzelschritt wird der Erfolg der Behandlung durch erneute
Pulstastung, Veränderungen der Bauchdecke oder von reaktiven Zonen überprüft bzw. das weitere Vorgehen mit Punktauswahl und Behandlungstechnik aufgrund des veränderten Pulses
entschieden (Shudo, 2003; Birch, 2007). Aus diesem Grund lassen sich in der Meridiantherapie
auch Diagnose und Behandlung nur künstlich trennen, da sie bei jedem Behandlungsschritt aufeinander aufbauen: „As one can see, treatment progresses from step to step only after correct
changes in the pulses …“ (Birch, 2007, S. 7).
Birch (2007, S. 6) benennt die wesentlichen Schritte von Diagnose und Behandlung:
1. Inspektion und Befragung
2. Feststellung der Grundqualität der Pulse und Musterfeststellung
3. Bauchdeckendiagnose
4. Beurteilung von Prognose, Auswahl der Behandlungsstrategie und Beurteilung der Stimulationsdosis
5. Identifikation des primären Leere-Musters (Wurzel) auf einer Körperseite
6. Tonisieren der ersten zwei Punkte (Wurzelbehandlung)
7. Pulsüberprüfung und Identifizierung des Sekundärmusters (Kontrollzyklus)
8. Tonisieren, Zerstreuen oder Harmonisieren je nach Ergebnis von Schritt 7
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9. Pulsüberprüfung zur Ergebnisfeststellung der Behandlung auf der Yin-Ebene und Feststellung von Fülle oder Leere in den Yang-Leitbahnen
10. Zerstreuen oder Tonisieren von Yang-Leitbahnen je nach Ergebnis von Schritt 9
11. Pulsüberprüfung des Gesamtergebnisse
12. Unterstützende Behandlung der dem Primärmuster zugeordneten Rücken-Shu-Punkte
13. Symptomatische Behandlung über die Acht Außerordentlichen Leitbahnen, Mikroaderlass, Behandlung des Schulter-Nacken-Bereichs oder des unteren Abdomens, Okyu
(Reiskornmoxa), Chinetskyu (Kegelmoxa) oder Intradermalnadeln
Ich möchte betonen, dass wir im Unterricht von EIOM 6 bei Stephen Birch jeweils Schritt 2 und
3 vertauscht haben. In entsprechender Reihenfolge führe ich meine Behandlungen durch. Je
nach Tonisieren oder Tedieren kommen in der Meridiantherapie unterschiedliche Nadeltechniken und –stärken zum Einsatz. Auf eine detaillierte Beschreibung dieser Vorgehensweise möchte ich verzichten. Ausführliche Darstellungen finden sich beispielsweise bei Shudo (2003) oder
Birch (2007).
Die Punktauswahl für das Primär- und Sekundärmuster (Kontrollzyklus) erfolgt im Prinzip nach
der im Theorieteil beschriebenen Regel der fünf Wandlungsphasen aus dem Nanjing mit einigen
aus pragmatischer Sicht anders ausgewählten Punkten: Beim Milzmuster müsste nach den Regeln der Wandlungsphasen und deren Umsetzung in Punktauswahl der Antiken Punkte eigentlich Pe8 (Feuerpunkt) gewählt werden. Da sich dieser Punkt jedoch empirisch als zu unangenehm und schmerzhaft erwiesen hat, wird er in der Meridiantherapie durch Pe7 ersetzt. Beim
Nieren-Muster kann je nach Symptomen zwischen Lu5 (Wasserpunkt) und Lu8 (Metallpunkt)
gewählt werden. Das Primärmuster wird in der Regel mit nur zwei Nadeln auf einer Körperseite
behandelt. Bei Frauen beginnt man auf der Yin-Seite (rechts), bei Männern auf der Yang-Seite
(links). Wenn es einen deutlichen Seitenbezug der Beschwerden beispielsweise stärker einseitige Schmerzen gibt, kann man auf der gegenüberliegenden Seite der Beschwerden mit dem ersten Behandlungsschritt beginnen. Die durch die Musterbehandlung vorgegebenen Punkte auf
der Ebene der Yin-Leitbahnen werden in Tabelle 1 (Primärmuster / Schritt 6, Sekundärmuster
bzw. Kontrollzyklus / Schritt 7, Rücken-Shu-Punkte / Schritt 12) widergegeben. Tabelle 2 zeigt
die anzuwendenden Punkte der Yang-Leitbahnen (Schritt 10).
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Muster
Behandlung
Kontrollzyklus:
Zugeordnete RüPrimärmuster: Punkte jeweils auf anderer Körpercken-Shu-Punkte
Tonisieren
seite
Bei Fülle tonisieren, bei Leere sedieren: Yuan-Punkte
Lungenleere Lu9 / Mi3
Leber: Le3, Herz: Pe7
Bl13, Bl20
Pulse im Kontrollzyklus unauffällig:
Tonisieren Lu9 / Mi3
Milzleere
Mi3 / Pe7
Niere: Ni3 (Niere wird nicht sediert)
Bl20, Bl14 oder Bl15
Leber: Le3
Pulse im Kontrollzyklus unauffällig:
Tonisiere Mi3 & Pe7
Leberleere
Le8 / Ni10
Lunge: Lu9, Milz: Mi3
Bl18, Bl23
Pulse im Kontrollzyklus unauffällig:
Tonisiere Le8 & Ni10
Nierenleere Ni7 /
Milz: Mi3, Herz: Pe7
Bl23, Bl13
Lu8 oder Lu5
Pulse im Kontrollzyklus unauffällig:
Tonisiere Primärmuster andere Seite
Tabelle 1: Punktauswahl Primär-, Sekundärmuster und Unterstützungsbehandlung (Rücken-ShuPunkte)
Bei der Behandlung der Yang-Ebene (Schritt 10) werden je nach Pulsbefund die Luo-Punkte der
als behandlungsbedürftig identifizierten Leitbahnen zerstreut oder tonisiert. Dabei gilt die Regel, dass normalerweise zuerst nach einer Fülle in den Yang-Leitbahnen gesucht wird, die man
zerstreut. Erst wenn sich keine deutliche Fülle findet, beziehungsweise die Pulse aller YangLeitbahnen als deutlich leer erscheinen, entscheidet der Therapeut auf eine Tonisieren von
Yang-Leitbahnen. Dabei wird in der Regel ein Punkt der Leitbahn auf der Seite ausgewählt, auf
der sich der zugeordnete Puls befindet. Wenn der passende Punkt auf der andere Seite eine
stärkere Reaktivität zeigt, oder die erste Zerstreuungstechnik nicht ausreichend war, wird die
gegenüberliegende Körperseite genadelt. Die folgende Tabelle zeigt die entsprechende Punktauswahl.
Yang-Leitbahn
Punktauswahl
Dickdarm
Di6
Magen
Ma 40
3E / Sanjiao
3E 5
Dünndarm
Dü 7
Gallenblase
Gb37
Blase
Bl 58
Tabelle 2: Zu behandelnde Punkte der Yang-Leitbahnen (Behandlungsschritt 10)
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Die Meridiantherapie kennt eine Fülle symptomatischer Behandlungskonzepte. Auf die für mein
Fallbeispiel zutreffenden Punkte und Behandlungstechniken möchte ich in der Fallbeschreibung
eingehen.
3. Fallbeschreibung: Chronischer Schwindel mit Schulter-Nacken-Beschwerden
3.1.
Hauptbeschwerden und Behandlungsauftrag
Die Hauptbeschwerde der Patientin und damit der primäre Behandlungsauftrag bestanden in
chronischem Schwindel. Die Beschwerden begannen mit einer akuten Schwindelattacke. Seitdem traten entweder passager in unregelmäßigen Abständen starke Schwindelattacken auf
oder es kam zu einem länger anhaltende Schwindelgefühl. Zusätzlich bestanden verschiedenste
Beschwerden des Bewegungsapparates, für die die Patientin Linderung suchte. Mit diesen Anliegen stellte sich die Patientin in der Praxis vor.
3.2.
Anamnese
Die Patientin ist 45 Jahre alt, verheiratet mit einem Kind und in einem kreativen Beruf tätig. Im
Rahmen der Anamnese schilderte die Patientin ihre Beschwerden und sie brachte eine selbst
verfasste, ausführliche Krankengeschichte und diverse schulmedizinische Befundberichte bei.
3.2.1. Hauptsymptom Schwindel
Der Schwindel begann vor etwa sieben Monaten mit einer plötzlichen, sehr intensiven Schwindelattacke. Seitdem traten immer wieder anfallsartige starke Schwindelgefühle auf, die nach
ungefähr 30 Minuten bis einer Stunde abklingen oder in einen andauernden etwas leichteren
Schwindel übergehen. Auch gab es häufig mehrmals täglich längere Phasen leichteren Schwindels, der teilweise über mehrere Stunden oder sogar den ganzen Tag bestehen bleibt. Die Patientin hat dabei das Gefühl, die Umwelt dreht sich nach rechts und sie könnte gleich umfallen.
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Eine Besserung des Schwindels erfolgt durch sich ruhig halten oder hinlegen. Druck am Körper
hilft ebenfalls, was dazu führt, dass sich die Patientin teilweise von schweren Gegenständen
bedecken lässt, um den Schwindel in seiner Intensität zu vermindern. Zu viele sensorische Eindrücke wie Licht, Lärm und intensivere Gerüche können die Symptomatik auslösen beziehungsweise verschlimmern. Die Beschwerden können sich abends, bei Müdigkeit und nach Alkoholkonsum verschlimmern. Nachts ist die Patientin ohne Beschwerden und kann gut durchschlafen. Als mögliche Auslöser vermutet sie Stress und Belastungen, da ihr häufig die Alltagsaufgaben zu viel seien und sie das Gefühl habe, sich „nicht richtig abgrenzen“ zu können. Der
Schwindel ist so beeinträchtigend, dass die Patientin berichtet, sie sei seit Beginn der Erkrankung häufig nicht arbeitsfähig gewesen.
Eine Abklärung der Problematik durch den HNO-Arzt hat nach Angaben der Patientin keine
verwertbare schulmedizinische Diagnose erbracht. Laut Auskunft der Patientin wurde lediglich
ein Hörtest gemacht (ohne Befund), eine genauere Diagnostik beispielsweise zur Überprüfung
von Nystagmus und Gleichgewichtsinn (Drehstuhl, Frenzel-Brille) oder eine Hirnstammaudiometrie (AEP) zum Ausschluss eines Akustikusneurinoms wurden nicht durchgeführt. Der Hausarzt vermutete, dass ein Zusammenhang mit der schon lange vorhandenen Schulter-NackenProblematik besteht. Aufgrund dieser Diagnose hat die Patientin ca. 10 Sitzungen Akupunktur
beim Hausarzt absolviert, die aber weder eine Veränderung der Hauptbeschwerden noch eine
Linderung der Probleme des Bewegungsapparates erbrachten. Als Medikation wurde durch den
Schulmediziner Betahistin Ratiopharm verschrieben. Dieses Medikament wird zur Behandlung
funktioneller Störungen des Gleichgewichtsorgans eingesetzt, die mit Schwindel, Ohrgeräuschen und Übelkeit verbunden sind. Ein Anwendungsbeispiel ist die Menière-Krankheit. Die
Medikation hatte keinen wesentlichen Effekt auf die Schwindelgefühle, so dass die Patientin sie
nach einiger Zeit wieder abgesetzt hat.
Eine Behandlung beim Homöopathen hatte nur zeitweilig eine Verbesserung erbracht, bei der
zwar die Schwindelsymptomatik etwas geringer wurde, jedoch jeweils nach Einnahme des homöopathischen Mittels dafür ein Druckgefühl in den Ohren („Ohr zu“) entstand. Eine DornTherapie hat ebenfalls keine dauerhafte Veränderung erreicht.
16
3.2.2. Weitere Beschwerden
 Heuschnupfen: Die Patientin leidet seit ihrem 12. Lebensjahr stark an saisonaler allergischer Rhinitis.
 Beschwerden des Bewegungsapparates: Bereits seit der Kindheit bestehen Beschwerden
im Schulter-Nacken-Bereich. Ätiologisch liegt der Beginn der Beschwerden des Bewegungsapparates laut Aussage der Patienten nach Auftreten des Heuschnupfens. Seit einigen Jahren bestehen außerdem chronische Beschwerden im Bereich der LWS und des
Sakrums. Die Patientin vermutet die Ursachen „stressbedingt“. Als Behandlung habe sie
„ein Leben lang Krankengymnastik“ gemacht. Nach eigener Aussage zieht sie bei Stress
die rechte Schulter hoch, was dort zu verstärkten Beschwerden führt. Vier schulmedizinische Berichte nennen im wesentlichen folgende Befunde:
1. Deutliche Verschmälerung des Bandscheibenraumes bei HW 4/5 und HW 5/6
und eine hintere Längsbandverkalkung, beide Befunde rechts mehr als links.
2. HWS-Syndrom, HWS-Facettengelenksarthrose, LWS-Syndrom und BWS-Syndrom
3. Diskrete Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten LWK3 und LWK5 ohne
Behinderung von Duralsack oder Segementwurzeln, geringe bis mäßiggradige
medial betonte Protrusion im Segment LWK5/SWK1, geringe Fehlhaltung
 Kieferbereich: Die Patientin leider unter Bruxismus und hat eine Aufbissschiene. Ein Beißen und Kauen im Zusammenhang mit Wut und Aggressionen bestehen bereits seit der
Kindheit, sie habe als Kind „Gläser zerbissen vor Wut“.
 Verdauung: Seit Kindheit leidet die Patientin an ausgeprägter Obstipation. Sie hat häufigen Stuhldrang mit Schwierigkeiten, den Stuhl abzusetzen. Die Konsistenz des Stuhls ist
oft hasenköttelartig. Stuhlgang findet etwa alle 3-4 Tage oder seltener statt.
 Allgemeines Energieniveau: Die Patientin berichtet generell über wenig Energie. Häufig
ist die Erledigung des Alltags für sie beschwerlich. Die Erfüllung ihrer beruflichen Aufgaben kostet sie viel Kraft. Sie berichtet, dass sie oft die im Home Office anstehenden Arbeiten aufgrund von Erschöpfung ungeplant ab- bzw. unterbrechen muss.
 Gynäkologische Anamnese: Die Patientin hat eine verkürzte Zyklusdauer von ca. 24 Tagen mit schwarzen Blutungen zu Beginn der Regel. Die Blutungsdauer ist ebenfalls verkürzt und beträgt ca. drei Tage. Bis vor ungefähr ein bis zwei Jahren hatte sie Brustspannungen vor Beginn der Regel. Vor Beginn der Periode werden außerdem noch beste17
hende Stimmungsschwankungen berichtet. Dieses Zyklusmuster besteht bereits seit
Jahren und kann daher nicht als Zeichen beginnender Wechseljahre aufgefasst werden.
3.3.
Körperliche Untersuchung
Meridianpalpation
 Milz-Leitbahn erscheint im Bereich des Fußknöchels etwas rau.
 Im Bereich der Lungenleitbahn unterhalb von Lu5 (japanische Lungenzone) deutlicher
Druckschmerz mit tastbaren Knötchen beidseits.
Palpation und Inspektion allgemein
 Betrachtung des Gesichts: Auffällig ist bei der Patientin, dass sie einen sehr trockenen
Mund- und Lippenbereich hat, was dazu führt, dass die Haut um den Mund und die Lippen durch die Trockenheit etwas altersunangemessen zusammengezogen-faltig wirken.
 Ausgeprägter Hartspann im Bereich des Trapezius mit Druckempfindlichkeit und Verhärtungen im Bereich von Gb12, Gb20, Bl10 und Baliao – alles rechts mehr als links; eine
deutlich tastbare Verknotung im Bereich der von Shudo (2010) beschriebenen speziellen
Lokalisation von Gb21 (Shudos Gb21: lateraler Rand des M. sternocleidomastoideus etwa auf halber Strecke zwischen Gb21 und Gb12), die laut Shudo häufig bei Schwindelerkrankungen reaktiv ist.
 Druckschmerzhaftigkeit im Bereich von Bl52 rechts und im Zwischenwirbelraum von
LWS2/3 (Du4).
 Ein Lipom in der Ausdehnung von ca. 12 x 8 cm und 3 cm Dicke linksseitig auf Höhe von
ca. Bl14 – Bl 17 (weitestgehend im Bereich des japanischen Asthmapunktes).
 Zunge: Die Zungendiagnose spielt in der Meridiantherapie normalerweise keine Rolle,
dennoch möchte ich den auffälligsten Befund hier berichten. Die Zunge der Patientin ist
deutlich (dunkel-)rot insbesondere an den Rändern und insgesamt trocken mit wenig,
sehr trocken-brösligem Belag.
18
Bauchdecke
 Herzzone: Deutlich feucht-warm. Dieser Befund hat sich bisher bei jedem Behandlungstermin gezeigt und lässt sich daher nicht auf einen momentanen Effekt (Wetter, körperl.
Bewegung) zurückführen.
 Leberzonen: Sowohl Epigastrium rechts als auch im Bereich von Ma25-27 links gespannt.
Ma25 druckempfindlich.
 Milzbereich: deutlich weich-nachgiebig.
 Lungenzone: Eher weich, bei tieferem Druck ebenfalls druckschmerzhaft.
 Nierenzone: eher unauffällig, eventuell etwas weich.
Puls
 Insgesamt schnell und oberflächlich, in der Tiefe leer.
 Milz und Lunge schwach, Herzpuls tendenziell auch als eher schwach einzustufen.
 Leber-Position voll.
3.4.
Diagnose
3.4.1. Deutung von Symptomen und Zeichen
In der Meridiantherapie werden die Symptome, Zeichen und Hinweise aus der Anamnese gemeinsam mit den Befunden aus Meridianpalpation, Bauchdeckentastung und Puls bewertet.
Über allen anderen Hinweisen auf das zugrunde liegende Muster steht jedoch das Ergebnis des
Pulsbefundes. Shudo (2003, S. 189) beschreibt die für die Meridiantherapie korrekte Vorgehensweise mit den Informationen aus Patientenanamnese und Untersuchung so:
„Diese Befunde sollten nicht alleine zur Identifizierung eines bestimmten Musters herangezogen
werden, sondern eher zur Bestätigung eines Musters, das man mittels Bauchdecken- und Pulsuntersuchung diagnostiziert hat.“
Weiterhin ist die richtige Bewertung der Befunde wichtig: „Um das Störungsmuster identifizieren zu können, müssen alle Symptome einem Organ oder Meridian zugeordnet werden. Die
Richtigkeit dieser Zuordnung muss dann mithilfe anderer Untersuchungsmethoden, insbesonde19
re der Palpation von Puls und Abdomen bestätigt werden“ (Shudo, 2003, S. 188). Aus Gründen
der theoretischen Bewertung der anderen Zeichen möchte ich daher den eindeutigen Pulsbefund zunächst außer Acht lassen und die Zeichen für sich stehend interpretieren.
Bei der Besprechung von Symptomen des Kopfes erwähnt Shudo (2003, S. 181) mögliche Zusammenhänge mit Schwindel: „Schwindel inklusive des echten Drehschwindels kann verschiedene Ursachen haben, doch meistens besteht ein Zusammenhang zum Leber-Meridian. Störungen dieses Meridians müssen somit in jedem Falle in Betracht gezogen werden. Schwindel, der
beim Stehen auftritt, ist meistens dem Nieren-Meridian zuzuordnen. Die Blut-Stase ist eine weitere wichtige Ursache des Schwindels, wobei hier zahlreiche Meridiane betroffen sein können.“
Die Hauptbeschwerde Schwindel lässt sich auch als Wind-Zeichen interpretieren. Nach Shudo
(2010) haben alle Erkrankungen mit Wind immer einen Leber-Bezug. Er erwähnt in seinem Vortrag als häufigste Ursache von Schwindel eine Leber-Leere, gefolgt von einem Nieren-Muster. In
den wenigsten Fällen handelt es sich um eine Lungen-Leere. Somit kommen mehrere mögliche
Ursachen und Muster in Bezug auf die Beschwerden der Patientin in Frage.
Die Patientin berichtet von bereits in der Kindheit auftretender, intensiver emotionaler Belastung durch Wut und Aggressionen („Gläser vor Wut zerbissen“). Gemeinsam mit den auch
schon lange vorhandenen Beschwerden bei Verdauung und Stuhlgang weist dies auf eine Leber-Problematik hin, deren emotionale Basis im Grunde bis heute anhält und offensichtlich psychologisch nicht geklärt wurde. Ein Hinweis für das Weiterbestehen einer emotionalen Belastung ist der Bruxismus der Patientin. Nächtliches Beißen, Kauen oder Reiben der Zähne wird in
der Fachliteratur als Stressreaktion genannt. Dabei handelt es sich zumeist um emotionale Faktoren wie Trauer, Wut, Ärger, Verzweiflung oder Hass. Besonders im Vordergrund stehen dabei
„affektive Erscheinungen, wie Angst oder Wut“ (Johnke, 2000, S. 27). Bachmann (2008, S. 187)
erwähnt, dass Bruxismus aus der Perspektive der chinesischen Medizin in der Praxis am häufigsten eine Leber-Qi-Stagnation als Muster zugrunde liegt.
Die bestehende Verdauungsproblematik mit chronischer Obstipation kann einerseits als ein
Zeichen für die Belastung der Milz gedeutet werden. Eine andere Interpretation wäre das Vorhandensein von Hitze (unter anderem im unteren Erwärmer), die die Flüssigkeiten des Verdauungssystems verbraucht und so eine ausreichende Befeuchtung des Stuhls verhindert. In
20
der Meridiantherapie spielen zwar die äußeren und inneren Pathogene der acht Prinzipien aus
der chinesischen Medizin keine zentrale Rolle, dennoch nimmt auch Shudo (2003) in seinem
Buch Bezug auf sie im Kontext der Pulsinterpretation und der Besprechung der Pathogene, so
dass ich dies hier auch tun möchte. Bei der Patientin sind weitere Hinweise auf Hitze feststellbar. Die starke Trockenheit des Mundbereichs, der deutlich verkürzte Zyklus, der scharfe Körpergeruch und das Zungenbild. Shudo (2003) erwähnt, dass (äußere) Hitze zu Schwindel führen
kann. Der Öffner der Milz ist der Mund. Das Qi der Milz manifestiert sich an den Lippen, die
Gesundheit der Verdauungsorgane zeigt sich somit auch im Bereich des Mundes. Shudo (2003,
S. 183) argumentiert, dass sich in vielen Fällen Hitze der Milz oder des Magens durch Mundtrockenheit oder Mundgeruch zeigen. Auch im vorliegenden Fall zeigt sich die Trockenheit an den
Lippen. Ich denke, dass bei der Patientin Hitze vorliegt, die von innen kommt. Da keine anamnestischen Hinweise auf entsprechende äußere Pathogene bestehen, ist davon auszugehen,
dass die Hitze durch die emotionale Grundstimmung entstanden ist. Ursache sind wahrscheinlich Wut und Aggression, die emotionale Erregung führt zu einer erhöhten Dynamik und Bewegung des Qi, was in Folge die Hitze erzeugt. Die Mitbeteiligung des Herzens / Shen und damit
die emotionale Beteiligung an den Hitzezeichen zeigen sich durch die anhaltende Feuchtigkeit
und Wärme im Bereich der abdominellen Bezugszone des Herzens. Diese Interpretation würde
auch einen möglichen Hinweis auf das Entstehen der Schwindelproblematik liefern. Durch die
Hitze steigt das Yang zum Kopf und erzeugt dort die Wind-Symptomatik. Shudo (2003, S. 52)
zitiert in diesem Zusammenhang das Nanjing Kap. 49: „Wenn der Zorn (zum Kopf) aufsteigt und
nicht absinkt, wird die Leber geschädigt.“
Nicht so klar interpretierbar ist aus meiner Sicht das ausgeprägte Lipom am Rücken. Eine Ansammlung von Fettgewebe weist einerseits auf eine Schleim-Problematik hin (Milz-Patholgie).
Auch hier könnte man argumentieren, dass die vorhandene Hitze die Flüssigkeiten zum Eindicken bringt und Schleim entstehen lässt. Weitere Zeichen einer Schleimbelastung ist der im
Zuge der aktiven Phase der allergischen Rhinitis auftretende Schleim aus Nase und Lunge. Eine
typische Auswirkung einer Schleimbelastung im Körper kann Schwindel sein, womit ein Bezug
zur Hauptbeschwerde der Patientin besteht. Andererseits kann die Lokalisation des Lipoms im
Bereich des japanischen Asthmapunktes auf eine Lungenschwäche hinweisend sein.
21
Die Probleme mit saisonaler allergischer Rhinitis und des Bewegungsapparates können aus Perspektive der Meridiantherapie deutlich mit einem möglichen Lungenmuster in Beziehung gebracht werden. Bei der Patientin haben wir als früheste ätiologische Information, dass sie seit
dem Alter von ca. 12 Jahren an Heuschnupfen leidet. Auch die Bauchdecke zeigt eine weiche
Zone im Lungenbereich, was weiterhin in diese Richtung deutet. Zu einem späteren Zeitpunkt in
der Jugend begannen die seitdem anhaltenden Beschwerden des Bewegungsapparates mit
Schulter-Nacken-Beschwerden und der unteren Wirbelsäule. Shudo (2003, S. 189) nennt als
Symptome und Zeichen, die auf ein Leere im Lungenmeridian hinweisen unter anderem „Verspannung der oberen Interscapularregion, Schulterschmerzen (…) Schmerzen, Verspannung oder
Einschränkung der Beweglichkeit von Nacken und Schultern, Empfindlichkeit oder Verhärtung
bei Gb20, Gb21, Bl13, Bl43, LG12, Lu5“. Diese Aufzählung deckt sich in weiten Teilen mit den
Befunden der Patientin.
3.4.2. Ätiologie und Diagnosestellung
Im oben stehenden Abschnitt habe ich nicht die Frage beantwortet, ob die Störung der Leber
ein Leere- oder ein Fülle-Muster ist. In seinem Vortrag über psycho-emotionale Störungen erwähnt Shudo (20102), dass Aggression und Zorn auch zu Leber-Fülle führen können. Aufgrund
der ätiologischen Informationen lässt sich auf Basis dieser Möglichkeit eine Hypothese über das
langfristige Entstehen der Problematik der Patientin bilden. Die als Kind bereits bestehende
Schwäche der Lunge (Heuschnupfen) könnte konstitutionell bedingt sein und war als erstes
vorhanden. Metall kontrolliert in den Wandlungsphasen das Element Holz. Durch die Leere der
Lunge wird die Leber nicht ausreichend kontrolliert und geht in Fülle, was die Ärger- und WutThematik (noch zusätzlich) gefördert haben könnte. Eine weitere Interpretation ist, dass durch
die Leber-Fülle die Milz (Kontrollzyklus) in ihrer Funktion unterdrückt wird, in Folge das ihr im
Ernährungszyklus nachgeordnete Organ (Lunge) nicht ausreichend ernährt wird und ebenfalls in
Leere geht. Allerdings halte ich eine rein auf diesen Zusammenhängen der Wandlungsphasen
beruhende theoretische Interpretation für nicht ausreichend. Eher als ausschlaggebend für die
Leber-Fülle anzunehmen sind meiner Meinung nach bereits früh in der Kindheit liegende, nicht
näher beschriebene emotionale Erfahrungen der Patientin, die in Folge natürlich ihren Effekt
auf den jeweiligen Energiezustand (Fülle oder Leere) der Leitbahnen und Zangfu haben können.
22
Aufgrund des letztlich entscheidenden Pulsbefundes mit schwachem Milz- und Lungen-Puls
sowie eine deutlich feststellbare Fülle auf der Leber-Position wird als Wurzel der Beschwerden
ein Lungen-Muster mit sekundärer Leber-Fülle diagnostiziert.
3.4.3. Behandlungsziel und Behandlungsstrategie
Aufgrund der Beschwerden und des Behandlungsauftrags der Patientin lassen sich folgende
Behandlungsziele definieren:
 Linderung und Beseitigung der Schwindelattacken
 Verbesserung der Schulter- und Nackenbeschwerden
 Verbesserung der Schmerzen und Beschwerden des unteren Rückens
 Linderung von Obstipation und Erreichen eines häufigeren Stuhlgangs
Entsprechend ergibt sich folgende Behandlungsstrategie:
 Behandlung des jeweils feststellbaren Grundmusters (in der ersten Sitzung LungenLeere)
 Palpation und Behandlung reaktiver Punkte und Zonen des Bewegungsapparates mit
genauer Abtastung im Schulter-Nacken-Bereich und im Bereich von LWS-Sakrum.
 Anwendung symptomatischer Punkte für Schwindel und Rückenbeschwerden
 Empfehlungen für Ernährung und Lebensführung zur Reduktion von Hitze und emotionaler Belastung sowie Zuführung hochwertiger Nahrungsmittel (Aufbau von Milz- und
Lungen-Qi)
Shudo (2010) hat in seinem Vortrag über die Therapie von Schwindel ein klar formuliertes Behandlungskonzept inklusive einer Reihe symptomatischer Punkte für Schwindel vorgeschlagen,
das für mich in der Behandlung richtungsweisend war.
23
3.5.
Dokumentation der ersten Behandlung
3.5.1. Prognose und Stimulationsdosis
Birch (2008, eigene Aufzeichnungen) gibt eine Aufzählung positiver und negativer prognostischer Zeichen. Folgende von ihm genannte Zeichen einer guten Prognose sind bei der Patientin
deutlich erkennbar nicht vorhanden: Gute Verdauung beziehungsweise unproblematischer
Stuhlgang, das Nicht-Vorhandensein von Asymmetrien im Bewegungsapparat, unauffälliger
Körpergeruch, eine natürliche Muskelspannung und ein wärmerer Unterbauch im Vergleich
zum Oberbauch. Als Zeichen einer schlechteren Prognose finden wir bei der Patientin eine
komplexe medizinische Vorgeschichte, chronische Verdauungsstörungen und eine leichte Ermüdbarkeit.
Shudo (2010) erwähnt in seinem Vortrag, dass die Therapie akuten Schwindels innerhalb von
ein bis vier Sitzungen eine deutliche Wirkung zeigen sollte, sonst ist das ausgewählte Behandlungskonzept nicht richtig. Zusätzlich erwähnt er, dass nach Abklingen der Symptome eine längere Zeit weiterbehandelt werden sollte, um das Risiko für Rückfälle zu vermindern. Bei jedem
erneuten Auftreten des Schwindels können begleitende Symptome wie Tinnitus und Gehörstörungen schlimmer werden.
Aufgrund der vorliegenden Befunde nehme ich an, dass der vergleichsweise kurz vorhandene
Schwindel innerhalb weniger Behandlungen verbessert werden kann. Jedoch ist mit hoher
Wahrscheinlichkeit eine Behandlungszahl eher am oberen Rand der von Shudo als Richtlinie
genannten Behandlungszahl zu erwarten. Da die Grundproblematik (allergische Rhinitis, Bewegungsapparat) der Patientin schon lange besteht und eine Reihe eher ungünstiger Zeichen bestehen, ist anzunehmen, dass diese Beschwerden eine längerfristige Therapie benötigen. Da die
Patientin offensichtlich leicht emotional empfindlich und irritierbar ist, ist aus Vorsicht eine
niedrige Stimulationsdosis angeraten.
24
3.5.2. Therapeutische Vorgehensweise
Muster-Behandlung
 Lungen-Leere-Muster: Lu9 und Mi3 tonisierend auf der linken Seite. Normalerweise wird
bei Frauen das Primärmuster auf der rechten Körperseite (Yin-Seite) behandelt, außer
wenn die Hauptbeschwerden einen klaren Seitenbezug zeigen. Dann wird die gegenüberliegende Körperseite behandelt. Da die Patientin die Hauptbeschwerden des Bewegungsapparates rechts angibt, wurde daher auf der linken Seite begonnen.
 Sekundäre Leber-Fülle: Le3 zerstreuend rechts
 Behandlung der Yang-Ebene: Gb37 links und Ma40 rechts zerstreuend
 Rücken-Shu-Punkte: Bl13, Bl20
Symptomatische Behandlung
 Le1: zerstreuend mit Nadel und anschließend drei Mal Okyu. Shudo (2010) empfiehlt als
symptomatische Behandlung Le1 mit Nadel und Okyu bei allen Wind-Erkrankungen und
insbesondere bei Schwindel. In seiner praktischen Darstellung der Behandlung hat er bei
der Musterbehandlung einer sekundären Leberfülle den in der normalen Vorgehensweise angewendeten Punkt Le3 durch Le1 ersetzt. Dies habe ich nach der ersten Behandlung befolgt.
 Baliao, Gb21: Die Punkte wurden nach Palpation von Verhärtungen in diesem Bereich
zunächst genadelt und anschließend mit je drei Okyu gemoxt.
 Shudos Gb21: Druckdolente Knötchen am posterioren Rand des M.
sternocleidomastoideus etwa auf der halben Strecke zwischen Gb12 und der klassischen
Lokalisation von Gb21 wurden genadelt, anschließend drei Mal Okyu. Shudo (2010)
empfiehlt diese Lokalisation als symptomatischen Punkt bei Schwindel, der durch
muskolär-cervikale Probleme bedingt ist.
 Du22: Ebenfalls nach Empfehlung von Shudo (2010) zur Absenkung des Yang. Im Bereich
von Du22 wird nach einem reaktiven Punkt gesucht, dieser mit dünner 12er-Nadel nach
vorne-unten genadelt.
 Tiefster Punkt der Nasenwurzel (auf Dumai) unterhalb von Taiyang: Gemäß Shudos
(2010) Empfehlung nach unten genadelt als symptomatischer Schwindelpunkt.
25
 Uraneitei: Als symptomatischer Punkt wird Uraneitei bei allen chronischen Lungen- und
Verdauungsbeschwerden angewendet (Birch 2008, eigene Aufzeichnungen). Auf der
weniger empfindlichen Seite der Fußsohle wurde Okyu-Moxa angewendet bis dreimal
ein stechendes Gefühl entsteht.
Beratung und Empfehlungen
 Die Patientin hat schon vor einiger Zeit mit Qigong begonnen. Die entspannende Wirkung empfindet sie als positiv. Die Patientin wurde ermuntert, weiter zu machen.
 Ernährungsempfehlungen:
o Insgesamt viel Trinken, insbesondere in der Früh nur warmes Wasser, um Stuhlgang und Befeuchtung zu fördern.
o Starke Reduktion und Verzicht auf Nahrungsmittel, die zu viel Hitze erzeugen
bzw. das Qi nach oben steigen lassen: Alkohol, Kaffee und scharfe Speisen.
o Verzicht auf Wind-erzeugende Nahrungsmittel, insbesondere Meeresfrüchte,
Muscheln und Zitrusfrüchte.
 Im Sinne der chinesischen Medizin kann unter anderem von einer Leber-Qi-Stagnation
ausgegangen werden. Der von Magel (2007, S. 27) für dieses Muster empfohlene Kräutertee wurde verschrieben.
Die weiteren Behandlungen fanden bis einschließlich der neunten Behandlung jeweils im Abstand von etwa einer Woche statt.
3.6.
Zweite bis fünfte Behandlung
Zweite Behandlung
Anamnese: Die Patientin berichtet, dass der Schwindel insgesamt „nicht mehr ganz so schlimm
wie vorher ist“. Jedoch ginge es ihr heute nach „Ärger“ nicht so gut.
26
Beratung und Empfehlungen
 Ernährungsempfehlungen: Zur Förderung des Yin und der Flüssigkeiten sowie zur Befeuchtung und Kühlung wurden der Patientin der Verzehr von TCM-Kraftsuppen und die
verstärkte Einnahme von Hülsenfrüchten, Algen und Seetang empfohlen. Passende
Kochrezepte hat die Patientin erhalten und in Folge auch regelmäßig genutzt.
 Eine allgemeine Beratung zur Einhaltung einer Milz-Qi fördernden Ernährung wurde
durchgeführt.
Schritt
Primäres Leere Muster: Milz-Leere
Sekundärmuster: Leber-Fülle
Yang-Ebene
Rücken-Shu-Punkte
Symptomatische Behandlung
Punkte
Mi3 T, Pe7 T rechts
Le1 S links: Nadel & Okyu
Ma40 S rechts
Gb37 S links
Dü7 S rechts
Bl20, Bl14
Du22
Gb12
Bl10
Bl58: Nadel & Okyu
Du4: Nadel & Okyu
Uraneitei: Okyu
Kommentar
Symptom. bei Schwindel, ersetzt Le3
Symptomatisch bei Schwindel
Reaktiver Punkt
Reaktiver Punkt
Reaktiver Punkt (LWS-Beschwerden)
Reaktiver Punkt
Tabelle 3: Verwendete Punkte in der zweiten Behandlung
Dritte Behandlung
Anamnese: Die Patientin berichtet von etwas geringerem Schwindel und stärker werdenden
Beschwerden der allergischen Rhinitis (Pollenflugzeit).
Schritt
Primäres Leere Muster: Milz-Leere
Sekundärmuster: Leber-Fülle
Yang-Ebene
Rücken-Shu-Punkte
Symptomatische Behandlung
Punkte
Mi3 T, Pe7 T links
Le1 S links: Nadel & Okyu
Gb37 S links,
Dü7 S rechts
Bl20, Bl14
Du22
Gb20
Bl10
Bl58: Nadel & Okyu
Du4: Nadel & Okyu
Uraneitei: Okyu
Kommentar
Mi3 fühlt sich links leerer an als rechts
Symptom. bei Schwindel, ersetzt Le3
Symptomatisch bei Schwindel
Reaktiver Punkt
Reaktiver Punkt
Reaktiver Punkt (LWS-Beschwerden)
Reaktiver Punkt
Tabelle 4: Verwendete Punkte in der dritten Behandlung
27
Vierte Behandlung
Anamnese: Die Patientin berichtet, dass sie nach der Behandlung ein halbe Woche lang vollkommen ohne Schwindelsymptomatik war. Gleichzeitig mit erneutem Einsetzen des Schwindels
sind starke Heuschnupfen-Symptome aufgetreten.
Behandlung
Shudo (2010) empfiehlt als gut wirkende symptomatische Behandlung eine Anwendung des
Schwindelpunktes der Ohrakupunktur. Dazu wird im Bereich des Ohrpunktes 35 (Sonne) an
beiden Ohren nach einer tastbaren Verhärtung oder einem Knötchen gesucht. Auf der Seite auf
der sich eine Verhärtung findet bzw. wo diese deutlicher feststellbar ist, wird eine Intradermalnadel gesetzt, die man mehrere Tage auf dem Punkt belässt. Bei der Patientin fand sich eine
deutliche Verhärtung bei OP35 auf der rechten Seite. Die weitere Vorgehensweise bei diesem
Behandlungstermin ist in der folgenden Tabelle geschildert.
Schritt
Primäres Leere Muster: MilzLeere
Sekundärmuster: Leber-Fülle
Yang-Ebene
Rücken-Shu-Punkte
Symptomatische Behandlung
Punkte
Mi3 T, Pe7 T links
Kommentar
Mi3 fühlt sich links leerer an als rechts
Le1 S links: Nadel & Okyu
Gb37 S links,
Dü7 S rechts
Ma40 S rechts
Bl20, Bl14
Gb12
Baliao
Bl10
Shudos Gb21 Nadel & Okyu
SJ14
Du4
OP35 (Sonne) Intradermalnadel
Symptom. bei Schwindel, ersetzt Le3
Reaktiver Punkt
Reaktiver Punkt
Reaktiver Punkt
Reaktiver Punkt
Von Shudo bei Schwindel empfohlen
Reaktiver Punkt (LWS-Beschwerden)
Symptomatischer Punkt für Schwindel
Tabelle 5: Verwendete Punkte in der vierten Behandlung
Fünfte Behandlung
Anamnese: Die Patientin berichtet von einer weiteren Verringerung der Schwindelsymptome.
Die allergische Rhinitis ist offensichtlich bedingt durch Wetter und Jahreszeit schlimmer. Die
28
Patientin hat deutlich gerötete Augen. Im Gespräch äußert sie den Wunsch nach einer Behandlung der Heuschnupfen-Symptome.
Schritt
Primäres Leere Muster: Milz-Leere
Sekundärmuster: Leber-Fülle
Yang-Ebene
Rücken-Shu-Punkte
Symptomatische Behandlung
Punkte
Mi3 T, Pe7 T links
Le1 S links: Nadel & Okyu
Gb37 S links,
Dü7 S rechts
Ma40 S rechts
Bl20, Bl14
Gb12
Baliao
Bl10
Shudos Gb21, Nadel & Okyu
SJ14
Du4
Du22
Bl1 & Bitong
OP35 (Sonne) Intradermal
Kommentar
Mi3 fühlt sich links leerer an als rechts
Symptom. bei Schwindel, ersetzt Le3
Reaktiver Punkt
Reaktiver Punkt
Reaktiver Punkt
Reaktiver Punkt
Symptom., von Shudo (2010) empfohlen
Reaktiver Punkt (LWS-Beschwerden)
Symptomat. Beh.: Schwindel und Rhinitis
Symptomatische Beh.: allergische Rhinitis
Symptomatisch für Schwindel
Tabelle 6: Verwendete Punkte in der fünften Behandlung
Sechste Behandlung
Anamnese: Die Patientin hat keine Schwindelsymptomatik mehr berichtet. Der Heuschnupfen
ist (sicher auch aufgrund eines Wetterumschwungs) deutlich besser. Zyklusbedingt klagt sie
über starke Obstipation. Die Patientin schilderte außerdem, sie habe ein Familientreffen mit
ihren Eltern und der erweiterten Verwandtschaft „überlebt“ ohne eine zuvor von ihr befürchtete Verschlimmerung der Beschwerden zu erleiden. Bisher seien ähnliche Ereignisse für sie öfters emotional belastend und mit einer Zunahme von körperlichen Beschwerden verbunden
gewesen.
Behandlung
Da die Schwindelsymptome nicht mehr akut waren, wurde in der Behandlung der sekundären
Leber-Fülle Le1 nicht mehr eingesetzt, sondern der in der Musterbehandlung normalerweise
angewendete Punkt Le3 gewählt.
29
Schritt
Primäres Leere Muster: Milz-Leere
Sekundärmuster: Leber-Fülle
Yang-Ebene
Rücken-Shu-Punkte
Symptomatische Behandlung
Punkte
Mi3 T, Pe7 T links
Le3 S rechts
Dü7 S rechts
Ma40 S rechts
Bl20, Bl14
Gb20
Bl10
Shudos Gb21 Nadel &
Okyu
SJ14
Bl58 rechts
Du22
Kommentar
Mi3 fühlt sich links leerer an als rechts
Symptomatisch bei Schwindel
Reaktiver Punkt
Reaktiver Punkt
Reaktiver Punkt
Bei Schwindel von Shudo (2010) empfohlen
Reaktiver Punkt
Symptom. Schwindel und Rhinitis
Tabelle 7: Verwendete Punkte in der sechsten Behandlung
3.7.
Siebte bis 13. Behandlung
Ab der siebten Behandlung habe ich mit einer Ausnahme (Milz-Leere-Muster) jeweils ein Lungen-Leere-Muster mit sekundärer Leber-Fülle (Le3) behandelt und durchgängig Okyu-Moxa auf
Uraneitei angewendet. Die Zerstreuung der Yang-Pulse erfolgte je nach Pulsbefund ebenso wie
in den bisher geschilderten Behandlungen auf der Gallenblasen-, Magen- oder DünndarmLeitbahn. Im Folgenden möchte ich zusammenfassend den Verlauf und bisher noch nicht angewendete symptomatische Punkte darstellen.
 Seit der sechsten Behandlung ist kein erneuter Schwindel bei der Patientin aufgetreten.
Ab der siebten Behandlung wurden daher die symptomatisch auf den Schwindel wirkenden Punkte weniger genützt. Le1 wurde nicht mehr verwendet, Du22 noch in den
Sitzungen sieben bis zehn.
 In jeder Sitzung wurden weiterhin die bereits zuvor beschriebenen reaktiven Punkte im
Schulter-Nacken-Bereich und im Bereich des unteren Rückens palpiert und bei Reaktivität behandelt. Die Patientin berichtete parallel von einer schrittweisen Verbesserung
der Beschwerden des Bewegungsapparates. Insbesondere die Beschwerden im Bereich
von Schulter- und Nacken sind jedoch weiterhin bestehend.
 In der siebten Behandlung wurde aufgrund der anhaltenden Schmerzen des unteren Rückens Bl40 mit einer Mikroblutung behandelt. Birch (20082, S. 1 [Seitennummerierung
des Teils „Microbleeding – Shiraku“]) beschreibt die Durchführung von Mikroblutungen
30
als ein passendes Verfahren für eine weiten Bereich von Indikationen in der Meridiantherapie. Insbesondere ist die Anwendung indiziert bei allen Arten von Blutstase. Bei Inspektion zeigte sich, dass die Patientin auf Höhe des Hauptbeschwerdepunktes des unteren Rückens (um Du4) rechts der Wirbelsäule im Bereich des inneren Astes der Blasenleitbahn gestaute oberflächliche Kapillaren hatte. Auch hat die Patientin an beiden
Beinen gut sichtbare, gestaute Venen und Venolen. Besonders stark ist dies auf der
posterioren Seite des rechten Ober- und Unterschenkels und in der Kniekehle ausgeprägt, so dass von einer vorhandenen Blutstaseproblematik in diesen Bereichen ausgegangen werden kann. Bl40 Weizhong ist der Gao Wu-Kommandopunkt des unteren Rückens und hat als Indikationen die Unterstützung der Lumbalregion, Aktivieren der Leitbahn und Linderung von Schmerzen. Deadman et al. (2002, S. 320) geben in diesem Zusammenhang folgenden Kommentar zu Bl40 und der Behandlung durch Blutenlassen: Er
ist „gleichermaßen für akute und chronische Lumbalschmerzen jeglicher Ätiologie (…)
wirksam“. (…) „Die Region von Bl40 Weizhong wird untersucht (…). Wenn dunkle und
gestaute Blutgefäße im oder um den Punkt zu sehen sind, wird der Patient gebeten aufzustehen (…); die Blutgefäße werden dann leicht geklopft, um eine vermehrte Füllung zu
erreichen und den Blutfluss zu fördern, dann werden sie desinfiziert und schnell angestochen, um eine Blutung zu verursachen.“ Mit dieser Vorgehensweise wurde Bl40 rechts
bei der Patientin behandelt, mit dem Ziel die Beschwerden des unteren Rückens zu lindern. Die Patientin berichtet in der folgenden achten Sitzung von einer Besserung. In der
achten Sitzung habe ich noch einmal Du4 genadelt. Ab der neunten Behandlung wurden
keine weiteren Punkte zur Behandlung des unteren Rückens eingesetzt, da die Patientin
hier keine Beschwerden mehr geschildert hat.
 Die Patientin klagte weiterhin über Obstipation, welche phasenweise einmal besser und
dann wieder schlechter war. Ab der zehnten Sitzung habe ich daher Mi14 genadelt, der
von Shudo (2010) als gut geeigneter Punkt für dieses Problem benannt wurde. Die Patientin berichtete daraufhin von einer deutlichen Verbesserung des Stuhlgangs („durchschlagender Erfolg“).
 Aufgrund der kontinuierlichen Verbesserung des Zustandes wurde die Behandlungsfrequenz ab der zehnten Sitzung auf einen zweiwöchigen Abstand reduziert. Die Be-
31
schwerden des Bewegungsapparates haben sich dadurch nicht wieder verschlechtert,
eine Schwindel-Symptomatik wurde seitdem nicht mehr berichtet.
4. Abschlussbewertung
Aus meiner Sicht kann der bisherige Behandlungsverlauf in Bezug auf den primären Behandlungsauftrag der Patientin als erfolgreich bewertet werden. Der Schwindel ist seit der siebten
Behandlung nicht mehr aufgetreten, die Beschwerden des unteren Rückens ebenfalls. Die
Schulter-Nacken-Problematik hat sich erheblich verbessert, allerdings stellt sich die Frage, ob
sich diese Beschwerden aufgrund der schulmedizinisch klar nachweisbaren organischen Veränderungen ganz beseitigen lassen. Da die Patientin im Grunde bereits ihr ganzes Jugend- und
Erwachsenenleben lang diese Beschwerden hat, erscheint mir als realistische Zielsetzung eher
das Erreichen einer stabilen, dauerhaften Linderung. Auch die für das Auftreten der Schwindelsymptomatik zugrunde liegende Hitze ist bei der Patientin anhand von Körpergeruch, einer immer noch geröteten Zunge und dem Fortbestehen der Obstipation derzeit noch beobachtbar.
Das feucht-warme Hautareal im Bereich der abdominellen Bezugszone des Herzens hat sich im
Lauf der geschilderten 13 Behandlungen verringert, so dass hier zumindest von einer gewissen
Veränderung ausgegangen werden kann.
Die Behandlung der Obstipation hätte aus meiner Sicht effektiver erfolgen können. Wie es zum
derzeitigen Stand aussieht, hat die Anwendung von Mi14 einen sehr guten Effekt und ich hätte
diese im Grunde einfache symptomatische Vorgehensweise früher nutzen können. Schwierig
war für mich, bei der Beratung der Patientin Ernährungshinweise zu geben, die sich auf die Interpretation der Beschwerden aus der Perspektive der chinesischen Medizin beziehen, während das Behandlungskonzept der Akupunktur sich an einer japanischen Vorgehensweise orientiert. Dies erfordert, dass man parallel zur Einschätzung des Musters nach der Meridiantherapie
zumindest in groben Zügen eine chinesische Diagnose zur Hand haben muss. Auf der anderen
Seite zwingt dies zu einem genaueren Nachdenken über den Fall, was der Qualität der Behandlung sicher nicht schadet.
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Meiner Meinung nach sind die Ursachen der langjährigen Beschwerden der Patientin klar psycho-emotional bedingt. Daher besteht das Risiko, dass durch negativ veränderte Lebensumstände oder belastende Ereignisse eine erneute Verschlechterung auftreten könnte. Ebenso
möglich halte ich aus psychologischer Sicht eine Verschiebung in andere psychosomatische
Symptombereiche, wenn die zugrunde liegende Thematik nicht geklärt wird. Über die Ursachen
der offensichtlich eine wichtige Rolle spielenden Problematik von Wut und Ärger, die vermutlich in der Kindheit oder Jugend liegen, kann man aufgrund fehlender Informationen nur spekulieren. Eine fundierte Auseinandersetzung der Patientin mit den psychologischen Aspekten ihrer Beschwerden unter qualifizierter Beratung könnte hier Fortschritte im Sinne einer Heilung
auch auf der psychologischen Ebene bringen. Diese Vorgehensweise wäre eine wichtige Ergänzung für die Patientin, liegt aber nicht im Kompetenzbereich einer Behandlung mit asiatischer
Medizin.
Fernziel wäre es auch die chronische allergische Rhinitis zu lindern. Aufgrund des frühen Beginns, der langen Dauer und der Intensität der Erkrankung ist hier wahrscheinlich eine dauerhafte Therapie eventuell über Jahre hinweg notwendig. Falls ich die Möglichkeit habe, die Patientin weiter zu betreuen, wird sich im nächsten Frühjahr zeigen, ob die HeuschnupfenSymptome geringer ausfallen als in den Jahren zuvor ohne Akupunktur-Behandlung.
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