Borneo-Artikel aus der Schweizer Familie Zeitschrift

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Borneo-Artikel aus der Schweizer Familie Zeitschrift
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Auf der Insel der
WALDMENSCHEN
Im Regenwald Orang-Utans beobachten, den höchsten Berg
Südostasiens bezwingen, Sonne, Strand und Meer geniessen:
BORNEO ist ein Paradies für Naturliebhaber.
Text Hugo Stamm
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Schweizer Familie 23/2015
Zu Hause in den
Baumkronen: Der
Orang­Utan ist ein
Kletterkünstler.
Foto: Plainpicture
REISEN
Mystische Welt: Nebel steigt auf
im Regenwald von Sabah.
B
orneo – ein Name, der exotische
Bilder weckt. Die drittgrösste Insel
der Welt ist ein Naturparadies
zum Träumen. Endloser Regenwald, in
denen sich Orang-Utans von Ast zu Ast
hangeln und in dem Elefantenherden sich
tummeln. Träume sind oft Trugbilder, die
Natur hat auch auf Borneo gelitten. Doch
in entlegenen Gebieten gibt es sie noch,
die unverfälschten Regenwälder.
Dean Salehuddin Jais, 23, hilft, Reise­
träume zu erfüllen. «Dort», sagt der Ran­
ger und zeigt in die Baumkrone eines di­
cken, 60 Meter hohen Riesen. Unsere
Augen prallen aber am dichten Laubwerk
ab. So ist es auch Prinzessin Kate und
Prinz Williams ergangen, als sie sich von
Dean in die wundersame Welt des Regen­
waldes entführen liessen. «Dort», hatte er
den englischen Royals wie nun uns gesagt,
«hat die Orang-Utan-Mutter Yanti für sich
und ihr Baby Sherley ein Nest gebaut.»
Wenn der Regenwald erwacht
Ein besonderes Schauspiel bietet uns Roo­
nie. Mehrmals versucht das schwere
Orang-Utan-Männchen, einen astlosen
dünnen Stamm hochzuklettern und sich
an einem Zweig festzuhalten. Doch der
Ast bricht, und Roonie saust laut brüllend
zu Boden. «Dieses Verhalten habe ich
noch nie beobachtet», sagt Dean. Die
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Schweizer Familie 23/2015
Traditionell gewandet: Junge Frauen
der Volksgruppe der Iban.
Palette von Roonies Mimik ist faszinie­
rend. Wir wissen nun, weshalb sie Wald­
menschen genannt werden.
Faszinierend sind auch die Stimmun­
gen. Wenn der Regenwald erwacht, ver­
wandeln die aufsteigenden Nebel die Ur­
landschaft in eine mystische Welt, erfüllt
mit den unverwechselbaren Dschungel­
geräuschen. Vom lauten Ruf der Gibbons
über das eindringliche Zirpen der Grillen
bis zum vielfältigen Gesang der unzähli­
gen Vögel staunen wir mit den Augen und
Ohren. Hier brodelt die Ursuppe der
Ein neuer Tag bricht an: Sonnenaufgang beim Fischerdorf Buntal.
Schöpfung. Einige Tage zuvor ging es zum
Mount Kinabalu. Mit seinen 4095 Metern
ist er der höchste Berg Südostasiens, der
die hügelige Provinz Sabah majestätisch
überragt. Doch der gewaltige Klotz zeigte
uns die kalte Schulter. Verschämt ver­
steckte er sich hinter dichtem Nebel.
Nachts goss es wie aus Kübeln. Der Re­
genwald gab seine Visitenkarte ab. Wir
ahnten Schlimmes. Waren wir dafür um
die halbe Welt gereist?
Am nächsten Morgen die Erleichte­
rung. Durch ein Nebelfenster grüsst uns
der Erhabene mit seinen bizarren
Felszacken.
Der Bus spuckt uns auf einer Höhe von
1800 Metern aus. Von nun an hilft nur
noch Muskelkraft. Der Berg gibt rasch
den Tarif durch. Er ist so steil, dass die
Parkbehörden bis zum Camp auf 3200
Metern einen Stairway to Heaven gebaut
haben. Bei jedem zweiten Tritt kommt uns
die Himmelsleiter der Rockband Led Zep­
pelin in den Sinn. Wurzeln, Felsbrocken,
Steintritte und veritable Holztreppen füh­
ren uns nach oben. Viele Tritte weisen
Fotos: Mauritius Images, Hugo Stamm
eine krafttreibende Höhe auf. Die anstür­
menden Touristen sollen sich nur ja nicht
an einen Rhythmus gewöhnen.
Endlos hoch zum Mount Kinabalu
Die garstige Himmelsleiter führt durch
einen verwunschenen Regenwald, der
sein Gesicht je nach Höhenzone verän­
dert. Das alpengewohnte Auge kann sich
an der üppigen Vegetation kaum sattse­
hen. Die Szenerie lässt uns die Strapazen
in der immer dünneren Luft beinahe ver­
gessen. Tumas Lakati, 31, unser Guide,
freut sich, dass sein ergrauter Gast zügig
aufwärtsstrebt. So lassen wir die Karawa­
ne der laut schnatternden Asiaten bald
hinter uns. Als wir jedoch eine der riesi­
gen Kannenpflanzen (Nepenthes) entde­
cken, legen wir gerne eine Rast ein.
Endlos geht es aufwärts, der Atem wird
schwerer. Allmählich scheint auch den
Bäumen die Luft auszugehen, das Klima
wird ihnen zu rau. Erstmals schweifen un­
sere Blicke in die Weite. Unter uns breitet
sich die grüne Hügellandschaft aus.
3000 Höhenmeter sind die erste magische ➳
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REISEN
Der Erhabene: Der
Mount Kinabalu ist
mit seinen 4095
Metern der höchste
Berg Südostasiens.
Tägliches Spektakel:
In der Abenddäm­
merung fliegen
Millionen von
Fledermäusen aus
einzigartigen,
grossen Höhlen im
Mulu-Nationalpark
gen Himmel.
Kommt ausschliesslich auf Borneo
vor: Der Nasenaffe. Durch die Abhol­
zung der Wälder ist er bedroht.
Marke. Noch 200 Meter bis zu den LabanRatta-Hütten. Nach rund fünf Stunden
erreichen wir das Etappenziel.
Das Hauptgebäude des Camps riecht
nicht nach Biwak, sondern nach Kantine
mit Mehrbettzimmern. Täglich werden bis
zu 200 Berggänger und 70 Bergführer ver­
köstigt und beherbergt. Trotzdem kommt
die aufgeräumte Stimmung einer Berghüt­
te auf. Der Stolz, die erste Etappe geschafft
zu haben, liegt in der Luft. Nachts kriechen
wir bei etwa zehn Grad in den ungeheizten
Zimmern unter die Decken.
Ein Tatzelwurm aus Stirnlampen
Frühmorgens um zwei Uhr gehen die
Lichter an. Nach dem Frühstück setzt sich
der Tatzelwurm aus unzähligen Stirnlam­
pen in Bewegung. Bald mündet die Him­
melsleiter in einen glatten Felsen aus Gra­
nit, der fast bis zum Gipfel führt. Ein dickes
Halteseil ist nun Lebensader und Kom­
pass zugleich. Kletterkünste müssen wir
nicht bemühen, sondern uns nur an ein
paar kurzen, steilen Stellen am Seil hoch­
ziehen. Wir sehen die Sterne! Ein Privileg
in der dampfenden Waschküche von Sa­
bah, an der Nordspitze Borneos. Plötzlich
stehen wir vor der Gipfeltafel. Geschafft.
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Schweizer Familie 23/2015
Hat kaum natür­
liche Feinde: Der
Nashornvogel mit
seinem starken
Schnabel.
Es ist kalt, der Wind pfeift um die Fel­
sen. Dann der grosse Moment: Als ob mir
eine Augenbinde abgenommen würde,
beginnen sich die Konturen der Gipfel ab­
zuzeichnen. Zuerst in vagen Umrissen,
dann angestrahlt von den ersten Sonnen­
strahlen, und schliesslich finden wir uns
in einer grandiosen Gipfelwelt. In weni­
gen Augenblicken ist der Vorhang aufge­
gangen und gibt den Blick frei auf die
eindrückliche Kulisse mit den bizarren
Felsen und dem Rundblick über die grüne
Hügellandschaft unter uns.
Nun beginnt die eigentliche Prüfung:
2500 Höhenmeter Abstieg, Tritt um Tritt.
Bald sind die Knie und Oberschenkel
überhitzt. Den untrainierten jungen Asia­
ten ist das Schnattern und Kichern ver­
gangen. Zum Schluss empfängt uns der
Regen, der dem Wald den Namen gibt.
Doch er kann unser Gipfelglück nicht
trüben.
Wer sich die anstrengende Tour nicht
zutraut, kann sich auf den Wanderwegen
oder im botanischen Garten des Parks
vergnügen. Das Diplom bekommt aber
nur, wer es auf den Gipfel schafft.
Erholung in der Lodge
Nach der Anstrengung des Bergsteigens
erholen wir uns in der Borneo Rainforest
Lodge im Danum Valley. Die mitten im
Regenwald in ein Flussknie eingebettete
Lodge lässt keine Wünsche offen. Hier tra­ ➳
Fotos: Mauritius Images, Corbis /Dukas, Stockery
Fotos: Name
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Alles im Fluss: Mit
dem Schiff vorbei
am neu erstellten
Parlamentsgebäude
von Kuching.
Neugierige Kinderaugen:
Marktszene in Kuching.
fen wir die Orang-Utans, hier spürten wir
den Regenwald hautnah, hier waren wir
mitten drin.
Eine Annäherung vom Wasser her er­
lebe ich bei der Riverside-Lodge bei
­Sukau. Von der am Fluss Kinabatangan
gelegenen Lodge fahre ich mit einer Rei­
segruppe in kleinen Booten die Ufer ab
und dringe in schmale Seitenläufe vor.
Wir sehen Nashornvögel mit ihren exoti­
schen Schnäbeln, drollige Langnasen­
affen, auch Orang-Utans geben sich die
Ehre. Es störte höchstens beim Fotografie­
ren, dass es gelegentlich regnete.
An den Traumstränden Manukans
Ein besonderes Erlebnis bietet dann die
rund 30-köpfige Elefantenherde, die am
Fluss eine Wiese kahl frisst. Der Star ist
ein einjähriges Baby. Doch da die Boots­
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Zwischen Moderne
und Kolonialstil:
Kuching am
Sarawak-Fluss.
führer sich per Handy informieren, sind
bald mehr Touristen in der Gegend als
Elefanten. Wie auch immer, nach so vielen
Eindrücken ist es schön, am Schluss der
Reise auf der Insel Manukan zu entspan­
nen und Sonne, Sand und Meer zu genies­
sen. Traumstrände mit türkisfarbenem
Wasser, Korallenriffe, die zum Schnor­
cheln einladen, und viel unberührte Na­
tur. Und abends schaut man bei einem
Glas Wein zu, wie die Sonne glühend im
Meer versinkt.
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Fotos: Laif, Mauritius Images