Apostelgeschichte 8, 26

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Apostelgeschichte 8, 26
Mission per Anhalter
Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26 – 39 am 15. Juli 2012 in Wädenswil
Kanzellesung Apg. 8, 31b:
„Und er bat Philippus, auf den Wagen zu steigen und sich zu ihm zu setzen.“
Liebe Gemeinde
Sommerzeit – Reisezeit. Und also fand ich im Tages-Anzeiger vom vorletzten Freitag
einen langen Artikel über eine mittlerweile sehr selten gewordene Form des Reisens: das
Fahren per Autostopp, oder wie man auch sagt: das Trampen. Der Verfasser Benedikt
Meyer, Historiker aus Bern, beginnt seinen Text so: „Wer an der Strasse steht, muss etwas
aushalten. Kälte, Hitze, Wind und Wetter. Einsamkeit, Enttäuschung, Langeweile. Er braucht
Zuversicht, Gelassenheit und das unerschütterliche Vertrauen, dass irgendwann schon einer
kommen wird, ein Fremder, der ihn mitnimmt.“
Da ich selber in meiner Jugendzeit viel getrampt bin – vor der Grenzöffnung nach
Ungarn und Rumänien, später dann zum Beispiel durch Griechenland, sind eine Menge
Erinnerungen in mir hochgekommen. Wie waren wir doch manchmal deprimiert, wenn
stundenlang keiner anhielt! Und wie war sofort alles vergessen und Hochstimmung
angesagt, wenn wir dann endlich irgendwo in ein Auto oder einen Truck einsteigen
durften! Nie sind wir bedroht oder beraubt worden. Aber ich erinnere mich an manche
interessante Begegnungen und tiefe Gespräche.
Warum trampt heute kaum noch jemand? Benedikt Meyer sieht den Grund auch in
einem „Wandel des Zeitgeistes“, den er so beschreibt: „Autostoppen bedeutet … dass man
vieles nicht im Griff hat. Und es bedeutet, dass man sich mit Wildfremden in einen engen Raum
setzen, ihnen vertrauen und sich mit ihnen beschäftigen muss. Trampen ist ausserdem furchtbar
langsam und herrlich ineffizient. Die Idee, die Kontrolle über sich und sein Vorwärtskommen aus
der Hand zu geben und dabei Zeit zu vertrödeln, ist heute ein einziger Anachronismus. Autostopp ist
die unoptimierteste Reiseform überhaupt. – Im Gegenzug für seine Mühen beschert das Trampen
allerdings Erlebnisse en masse und liefert oft ausgesprochen herzliche Begegnungen…“ (TA,
6.7.2012, S. 27)
© Stefan Weller, Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26 – 39 am 15. 7. 2012 in Wädenswil
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Philippus, die Hauptperson unserer heutigen biblischen Geschichte kann mit Fug und
Recht als der erste christliche Tramper bezeichnet werden. Und seine Erfahrung ist
zunächst auch ineffizient und spannend, bevor sie in eine überaus herzliche und
Begegnung mündet. Für uns heute ist es gleichwohl noch mehr als eine Anregung zum
Trampen. Es ist vor allem eine Beispielgeschichte dafür, wie in rechter Weise das
Evangelium weitergesagt werden kann.
1. Und da ist die erste Einsicht die, dass es nicht um Effizienz geht. Von Philippus wird
am Anfang des achten Kapitels erzählt, dass er zunächst in die Hauptstadt Samarias ging
und dort Christus verkündigte. „Und sie kamen in Scharen und folgten aufmerksam den
Ausführungen des Philippus, und sie stimmten ihm zu…“ (8, 6), hiess es dort. Nach diesen
und weiteren Schilderungen gewinnt man den Eindruck, Philippus habe bei den
Menschenscharen von Samaria genug zu tun und sollte keine Ausflüge ins Grüne oder
Blaue machen. Aber nun heisst es plötzlich: „Ein Engel des Herrn aber sprach zu Philippus:
Mach dich auf und geh nach Süden auf die Strasse, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt; sie ist
menschenleer.“ (8, 26) Philippus Auftrag ist es offenbar nicht, die Statistik der wachsenden
Kirche von Samaria zu optimieren. Wenn ein Verkündiger des Evangeliums in dieser
Situation eine menschenleere Strasse aufsucht und selber noch nicht recht weiss, was er
dort soll, dann ist er entweder verrückt oder eben vom heiligen Geist getrieben, von jener
inneren Stimme, die ihm sagt: „Geh, und halte dich nicht dort für unentbehrlich, wo man
erfolgreich ist.“ Schon allein dieser Anfang der Geschichte bewahrt uns davor, so
genannten Gemeindeaufbau-Konzepten zu viel Glauben zu schenken. Es kommt auf
etwas anderes an! Worauf, das werden wir im Folgenden merken.
2. Auf dieser menschenleeren und bis heute vermeintlich gottverlassenen Strasse im
Gaza-Streifen kommt eine Kutsche gefahren, die in vieler Hinsicht exotisch anmutet –
ein Tourist, wie es ihn schon damals eher selten gab. Ein Hofbeamter nämlich aus
Äthiopien in Nordafrika, ein Schwarzer also. Ein Eunuch, so wird präzisiert, also ein
Kastrierter, wie Herrscherinnen sie sich hielten, weil diese Leute Frauen in einer
gewissen Hinsicht nicht mehr gefährlich werden konnten. Als Mann gedemütigt, aber als
Beamter hoch auf der Karriereleiter. Kurz: eine Person, bei der man gar nicht wissen
konnte, wie man mit ihr dran war und wie sie reagiert. Jeder normale Mensch wäre ihm
aus dem Weg gegangen, aber Philippus hatte den untrüglichen Eindruck, dass er diese
Kutsche nicht einfach weiterfahren lassen sollte. Er läuft ein Stück nebenher, was bei der
© Stefan Weller, Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26 – 39 am 15. 7. 2012 in Wädenswil
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damaligen Reisegeschwindigkeit offenbar kein Problem war. Und mit Erstaunen stellt er
fest, dass der exotische Reisende laut in der Bibel liest, eine bekannte Stelle aus Jesaja.
3. Das könnte nun die – natürlich von Gott arrangierte – Steilvorlage für jeden eifrigen
Evangelisten sein, der sich sagt: „Eine Super-Gelegenheit, jetzt das Evangelium zu verkünden.
Ich muss diesem Fremden unbedingt sagen, dass da bei Jesaja eigentlich von Jesus die Rede ist!“
Philippus tut genau dies nicht! Und es kann an dieser Stelle gleich gesagt werden: Beim
Weitersagen der Guten Botschaft wird gar nichts gemusst, erst recht nicht unbedingt. Es
ist kein guter Anfang für ein Glaubensgespräch, wenn jemand unter Handlungs- oder
Erfolgsdruck steht. Unser Problem als Christen ist ausserdem, dass wir manchmal Fragen
beantworten, die die Leute gar nicht gestellt haben. Ich habe einmal von einem eifrigen
und sicher auch mutigen Evangelisten gehört, der sass mit anderen im Zug. Als sie durch
einen Bahnhof fuhren und damit über viele Weichen, rüttelte es den Zug und die
Insassen mächtig durcheinander. Darauf sagte der Evangelist: „Ja, es geht auf und ab, wie
im Leben – Jesus ist die Antwort.“ Das ist nicht wirklich ein Zeugnis, das ist Unsinn. Wer
sagt: „Jesus ist die Antwort.“, der sollte auch sagen können, auf welche konkrete Frage er
die Antwort ist. Das soll übrigens nicht heissen, dass es nicht gut wäre, mit anderen
Reisenden in der Bahn ins Gespräch zu kommen, möglichst auch ein Gespräch über den
Glauben. Vorgefertigte Parolen und formelhafte Sprüche sind dazu aber nicht geeignet,
sondern eher abstossend.
Philippus knüpft bei dem an, was diesen Fremden interessiert. Und es ist ja nun schon
schön, dass der sich für alte jüdische Schriften interessiert; so sehr, dass er sie offenbar in
der für ihn fremden Sprache lesen gelernt hat. Aber – und das ist die richtige Frage, die
Philippus stellt: Versteht er auch, was er da entziffert? Philippus nimmt den anderen in
seinem Interesse und seinem Bemühen ernst. Und er sieht das Problem, das dieser Mann
hat: „Verstehst du auch, was du da liest?“ – Und der Äthiopier antwortet: „Wie könnte ich,
wenn niemand mich anleitet?“ Und dann ist es der Fremde, der Philippus zu sich auf den
Wagen bittet. Philippus ist eher zurückhaltend; er hat nicht einmal gefragt, ob er
mitfahren darf.
4. Jetzt ist die Situation eingetreten, in der wirklich über den Glauben gesprochen werden
kann. Machen wir uns bewusst, was das für eine Situation ist! Wie hiess es doch zu
Beginn über das Trampen? Es „bedeutet … dass man vieles nicht im Griff hat. Und es bedeutet,
© Stefan Weller, Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26 – 39 am 15. 7. 2012 in Wädenswil
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dass man sich mit Wildfremden in einen engen Raum setzen, ihnen vertrauen und sich mit ihnen
beschäftigen muss.“ Es ist eine Situation, in der der Zeuge von Christus sich in gewisser
Weise an den anderen Menschen ausliefert. Es ist das Gegenteil einer Machtposition, wo
man dem anderen von oben herab predigt, dass er sein Leben ändern soll. Es ist eine
respektvolle, demütige, ja risikoreiche Haltung des sich Anvertrauens, eben wie wenn
jemand in das Auto eines Fremden steigt. Es ist eine Haltung die eben jenem Lamm
entspricht, von dem im Jesaja-Text die Rede ist, das vor seinem Scherer verstummt. Und
nun ist immer noch nicht der Moment, wo Philippus am Drücker ist. Der Fremde sagt,
worum es ihm geht: „Ich bitte dich, sage mir, von wem spricht hier der Prophet? Von sich oder
von einem anderen?“
Natürlich sagen wir uns: Das ist ja die nächste Steilvorlage! Wie schön wäre das, wenn
die Menschen so konkret fragen würden, dass wir wirklich nur sagen müssen: „Jesus ist
die Antwort.“ Aber genau dies, meine ich, dürfen wir uns auch klarmachen: Auf ungefähr
90% dessen, was man vom Glauben wissen kann, kommen die Leute selbst, wenn es sie
interessiert. Uns braucht es manchmal nur für eine entscheidende Situation – nicht um
das ganze Glaubensgebäude zu erklären, sondern um Zeuge zu sein, um zu sagen: „Und
ich, ja ich persönlich, glaube das. Ich vertraue auf diesen Jesus.“ Wir müssen nicht immer viel
reden. Wir brauchen nur im richtigen Moment den Mund aufmachen und „Ich“ sagen.
„Da tat Philippus seinen Mund auf und begann, ihm von dieser Schriftstelle ausgehend das
Evangelium von Jesus zu verkündigen.“ (8, 35) Jetzt kommt auffälligerweise keine
Standardpredigt. Es ist nicht aufgeschrieben, was Philippus genau gesagt hat, denn es
war sein persönliches Zeugnis – und jeder Christ hat sein eigenes.
5. Und nun, nachdem dies ausgesprochen worden ist, nun sagt Philippus auch nicht, was
der Äthiopier machen soll, um Christ zu werden. Philippus hat von sich erzählt, wie er
selber Christ geworden ist und warum. Und da kommt wieder der Fremde selber und
sagt, dass er das auch werden möchte: „Als sie weiterzogen, kamen sie zu einer Wasserstelle,
und der Eunuch sagte: Schau, hier ist Wasser, was steht meiner Taufe noch im Weg?“ (8, 36)
Vielleicht ging es dem Philippus fast ein wenig zu schnell; aber er lernt hier: Wenn
jemand aus freien Stücken getauft werden möchte, dann gibt es keine weiteren
Bedingungen, die erfüllt werden müssten, als nur diese eine: der Wunsch, auch zu
Christus zu gehören.
© Stefan Weller, Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26 – 39 am 15. 7. 2012 in Wädenswil
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Philippus tauft also den exotischen Äthiopier. Und dann verschwindet er plötzlich. So
legendär, wie die Geschichte begonnen hat - von einem Engel inszeniert -, so endet sie mit einer geheimnisvollen Entrückung des Philippus, noch während sie aus dem Wasser
steigen. Das Wundersame daran ist uns Heutigen fremd. Der Sinn aber bleibt aktuell:
Auch allein „zog (der Äthiopier) voll Freude seinen Weg.“ Philippus soll und muss sich nicht
an die Person binden, die er auf Ihrem Weg zum Christsein begleitet hat. Der Eunuch
muss in seinem jungen Christsein nicht gepäppelt werden aus Angst, dass sein Glaube
sich sonst wieder verflüchtigen könnte. Er war bis dahin kein Bekehrungsobjekt und ist
nun auch kein Betreuungsobjekt, sondern ein mündiges Kind Gottes.
Das ist ja manchmal unsere Angst, dass die Zuwendung, die wir anderen geben, auf
Dauer über unsere Kräfte gehen könnte; dass wir einen Finger reichen, aber bald packt
der andere die ganze Hand oder klammert sich gar an uns. Die Geschichte von Philippus
und dem Äthiopier zerstreut diese Ängste. Sie lädt uns ein, ganz da zu sein in dem
Augenblick, da wir die Gelegenheit haben, Zeugen zu sein. Aber wir müssen als Zeugen
nicht aller Welt Freund oder Therapeut sein. Gott kennt unsere Kraft und unsere
Grenzen.
Bedeutsamer ist die Frage, wo und wann es heute überhaupt Gelegenheiten gibt, über
den Glauben ins Gespräch zu kommen. Ich fordere jetzt nicht auf, zukünftig vor allem
per Anhalter zu fahren – so realistisch bin ich. Aber ich gebe uns eine Aufgabe für den
Sommer: Überlegen wir, wo und wie wir fremden Menschen begegnen können und dabei
auch Zeit für tiefere Gespräche finden. Und nutzen wir die Gelegenheiten, die sich
ergeben – nicht mit Erfolgsdruck, sondern mit wacher Abenteuerlust
Amen.
© Stefan Weller, Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26 – 39 am 15. 7. 2012 in Wädenswil