Skript 2

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Skript 2
In einem Lager werden von der Produktion gefertigte Waren zwischengelagert, bevor
diese zum Kunden geliefert werden. Die Lagerbestandskontrolle kann als
betriebswissenschaftliches Problem in Diagrammform dargestellt werden. Wie bei einem
regelungstechnischen Wirkungsplan lassen sich Führungsgrößen wie der gewünschte
Lagerbestand und die gewünschte Ausgleichszeit, Stellgrößen wie die Zugangsrate aus
der Produktion sowie die Regelgröße Lagerbestand als Zustandsvariable, über die die
Rückkopplung erfolgt, unterscheiden, die das Lager auf der taktischen Ebene „steuern“.
Die Nachfrage nach Produkten wird als exogene Variable betrachtet, die das
Lagermanagement „stört“.
Zur einfacheren Vorstellung kann für das Lager eine Analogie zu einem Hydraulikmodell
gezogen werden: Die Produktion ist dabei die Quelle, die (zumindest theoretisch)
unbegrenzt Ressourcen in Form von Produkten zur Verfügung stellen kann. Diese
Ressourcen fließen durch ein Ventil gesteuert (Zugangsrate) dem Stock (Lagerbestand)
zu. Die Ressourcen fließen vom Stock zur Senke (Kunden). Dabei wird der Abfluss
durch die Nachfrage nach Produkten durch das Abflussventil (Abgangsrate) reguliert.
Die derzeitig vorhandene Abgangsrate beeinflusst die Entscheidung des Managers bzgl.
der erwarteten Abgangsrate. Aus der erwarteten Abgangsrate ergibt sich zusammen mit
der Abweichung des Lagerbestands die gewünschte Zugangsrate, aus der die
tatsächliche Zugangsrate der Waren aus der Produktion ins Lager resultiert. Aus dem
derzeitigen Lagerbestand lässt sich zusammen mit den Führungsgrößen gewünschter
Lagerbestand unter Berücksichtigung der gewünschten Ausgleichzeit des
Lagerbestands die Abweichung des Lagerbestands ableiten.
Im Gleichgewichtszustand stimmen gewünschter Lagerbestand und aktueller
Lagerbestand überein. Nach einer Zeiteinheit sinkt der gewünschte Lagerbestand auf
100 Einheiten, wodurch es zu einer Abweichung von 20 Einheiten zwischen
gewünschtem und aktuellem Lagerbestand kommt. Diese Abweichung hat ein
plötzliches Sinken der gewünschten Zugangsrate und damit auch der realen
Zugangsrate zur Folge. Hierdurch wird nach der Produktion der Einheiten ein Sinken
des Lagerbestands erfolgen, was eine verringerte Abgangsrate nach sich zieht. Durch
den niedrigeren Lagerbestand wird die Differenz zwischen gewünschtem und aktuellem
Lagerbestand verringert. Die gewünschte Zugangsrate und damit auch die reale
Zugangsrate werden somit wieder größer und es kommt zu einem neuen Gleichgewicht
zwischen Zugangs- und Abgangsrate.
 Man erkennt, dass eine negative Rückkopplungsschleife zu einem asymptotischem
Abklingen des Lagerbestands auf den gewünschten Lagerbestand führt.
Rückwirkungen kommen nicht nur überall in technischen Systemen vor, sondern auch in
(soziotechnischen) Geschäftssystemen. Wie aus der Regelungstechnik bekannt ist,
kommt es je nach Art und Richtung der Rückkopplung der Zustandsgrößen (siehe LE_1)
zur Selbstverstärkung der durch das Geschäftssystem geführten Geschäfts- und
Arbeitsprozesse oder deren Abschwächung bzw. Selbstbegrenzung. Findet durch die
Rückführung eine Selbstverstärkung statt, so spricht man von einer sog. positiven
Rückkopplung, wohingegen bei einer Abschwächung bzw. Selbstbegrenzung von einer
negativen Rückkopplung gesprochen wird. In der Regelungstechnik wird der erste Fall
auch als „Mitkopplung“ bezeichnet. Im anderen Fall findet eine „Gegenkopplung“ statt
(Abel 2007).
Wie im weiteren Verlauf noch ausführlich dargestellt werden wird, determinieren Art und
Richtung der Rückführung der Zustandsgröße das Verhalten des Systems im
Zeitbereich. Hier lassen sich mit dem exponentiellen Wachstum, dem asymptotischen
Wachstum und Abklingen sowie der (streng periodischen) Oszillation drei grundlegende
Verläufe der korrespondierenden Verhaltensgrößen differenzieren, die oben im Bild
skizziert sind.
Das initiale Entstehen von Oszillation tritt häufig ein, wenn zunächst eine positive
Rückkopplung und dann zeitlich verzögert eine negative Rückkopplung einsetzt (Abel
2007).
Weitere, deutlich komplexere Verläufe der Verhaltensgrößen im Zeitbereich werden
durch nichtlineare Wechselbeziehungen zwischen den zuvor dargelegten
grundlegenden Rückkopplungsstrukturen hervorgerufen. Wie oben im Bild skizziert,
lassen sich diesbezüglich das S-förmige Wachstum, das S-förmige Wachstum mit
Überschwingen, das Überschwingen und Kollabieren (engl. overshoot and collaps)
sowie chaotische Verhaltensweisen differenzieren. Zur Erzeugung eines
überschwingenden und danach kollabierenden Verhaltens ist dabei die Einführung einer
zusätzlichen Zustandsgröße, die mit der sog. maximalen Aufnahmekapazität
zusammenhängt (siehe Folie 2-33), notwendig. Chaotisches Verhaltensweisen sind –
wie in der Technik – oft anzutreffen, wenn eine nichtlineare Gegenkopplung vorliegt.
Zur mathematischen Beschreibung und Simulation von komplexen Geschäftssystemen
wird in der Forschung gerne auf Differential- und Differenzengleichungen
zurückgegriffen.
Für Anwendungen im Unternehmen sind Differential- und Differenzengleichungssysteme jedoch wenig verbreitet, da sie schwer zu verstehen sind und ihre
systematische Entwicklung und Parametrisierung den Praktikern oft Probleme bereitet.
Statt dessen lassen sich Kausalitätskreisdiagramme (engl. causal loop diagrams)
verwenden, die auf einfachen graphentheoretischen Konstrukten basieren, wie oben im
Bild in abstrakter Form dargestellt. Diese Diagrammform kann, wie im einleitenden
Beispiel zum Lagermanagement (siehe Folie 2-2) bereits gezeigt wurde, für praktische
Anwendungen im Unternehmen auch durch „Hydraulikmodelle“ mit Beständen und
Flüssen ergänzt werden. Hierfür gibt es unterschiedliche Software-Werkzeuge, die auch
Simulationsrechnungen und Ergebnisdatenanalysen ermöglichen.
Alternativ können auch regelungstechnische Wirkungspläne verwendet werden.
Wie in der ersten Lehreinheit erwähnt, muss die Rückkopplung über mindestens eine
Zustandsgröße erfolgen. Durch die Analyse der im Diagramm repräsentierten
Kausalbeziehungen kann auf die Art der Rückkopplung geschlossen werden und damit
die für das Verhalten bestimmende Rückkopplungsschleife ausfindig gemacht werden.
Wie bereits zu Beginn erwähnt, wird in der Regelungstechnik eine
Rückkopplungsschleife mit positiver Polarität einfach als positive Rückkopplung oder
auch als Mitkopplung bezeichnet (Abel 2007). Hierbei erfolgt eine vorzeichenrichtige
(oder ggfs. phasenrichtige) Rückführung der Zustandsgröße, ggf. im Zusammenspiel mit
weiteren Funktionselementen.
Analog spricht man bei einer Rückkopplungsschleife mit negativer Polarität von einer
negativen Rückkopplungsschleife oder Gegenkopplung. Hierbei erfolgt eine
vorzeichenumkehrende
(oder
ggfs.
phasenumkehrende)
Rückführung
der
Zustandsgröße auf den Eingang.
Bei der Mitkopplung besteht die grundlegende Gefahr, dass durch die vorzeichenrichtige
Rückführung der Zustandsgröße im Wechselspiel mit verstärkenden Systemelementen
die beteiligten Größen gefährlich anwachsen, solange Personal und Ressourcen
bereitstehen. Wenn nicht zusätzliche den Prozess dämpfende Elemente bereitgestellt
werden, kann es zu einem Funktionsausfall oder gar zur Zerstörung des Systems
kommen. Dies ist unter allen Umständen zu vermeiden.
Die Gegenkopplung wird in Geschäftsprozessen typischerweise so eingerichtet, dass
ein stabiler Verlauf der Verhaltensgrößen erzielt wird und inhärente Ziele das System,
die bereits bei der Konstruktion definiert wurden, schnell und sicher erreicht werden.
Zu 1:
In einigen US-amerikanischen Bundesstaaten bspw. korrelieren die Mordrate und die
Verkaufsmengen von Eiskreme pro Kopf miteinander, es besteht jedoch kein kausaler
Zusammenhang zwischen diesen beiden Variablen, sondern nur eine gleichgeartete
kausale Beziehung zur Durchschnittstemperatur im jeweiligen Monat.
Beispiel: Problem des Zeitdrucks bei Projektbearbeitung
Wenn die Zeit bis zum Endtermin abnimmt, steigt der Zeitdruck. Entsprechend werden
mehr Überstunden gemacht, was zu einer erhöhten Fertigstellungsrate und damit zu
einem Absinken des verbleibenden Arbeitsaufwands (vgl. Beispiel in LE1) und somit zu
einem abnehmenden Zeitdruck führt. Die Rückkopplungsschleife „Nachtschichten“ ist
also eine negative (ungerade Anzahl negativer Vorzeichen in der Schleife). Gleichzeitig
führen jedoch die ansteigenden Überstunden nach einiger Zeit (Verzögerung) zu einer
erhöhten Müdigkeit, die sich negativ auf die Produktivität auswirken wird. Durch eine
niedrigere Produktivität sinkt die Fertigstellungsrate und der verbleibende
Arbeitsaufwand verringert sich langsamer, wodurch der Zeitdruck wieder größer wird.
Die Rückkopplungsschleife „Burnout“ ist also eine positive Schleife, höherer Zeitdruck
führt hier zu noch höherem Zeitdruck (gerade Anzahl negativer Vorzeichen in der
Schleife).
Flüsse, insbesondere Materialflüsse können in Analogie zum Hydraulikmodell über
Bestand (engl. stock) und Fluss-Diagramme dargestellt werden. Bei Bestand/FlussDiagrammen erzeugt eine Quelle (z.B. Produktion) die Ressourcen (z.B. Waren), die
über einen Zufluss in den aktuellen Bestand (z.B. Lagerbestand) einfließen. Der Zufluss
wird dabei durch ein Ventil geregelt. Hierbei wird typischerweise die Zuflussrate
eingestellt. Ebenso wird der Abfluss über ein Ventil geregelt, dieser mündet in eine
Senke. Eine Senke ist als Systemgrenze zu verstehen, an denen Ressourcen das
System verlassen können. Ebenso lässt sich die Quelle als Systemgrenze
interpretieren.
Wie auf Folie 2-2 bereits gezeigt, können Flussdiagramme und Kausalitätskreisdiagramme miteinander kombiniert werden. Auf diese Weise können dynamische
Zusammenhänge in Form zeit- und zustandskontinuierlicher Modelle dargestellt werden.
Wie erwähnt, sind hier vor allem Ein-, Rück- und Wechselwirkungen von Interesse.
Insbesondere den Rückkopplungsbeziehungen sollte besondere Aufmerksamkeit
gewidmet werden, da das Verhalten eines Geschäftssystems oft sehr wesentlich durch
die Struktur der Rückkopplungen im System beeinflusst wird.
Das Mooresche Gesetz wurde erstmals im Jahre 1965 von Gorden Moore, einem
Mitbegründer von Intel, formuliert. Nachdem er zunächst eine jährliche Verdopplung der
Anzahl an Transistoren pro Flächeneinheit prognostizierte, sprach er zehn Jahre später
von einer Verdopplung alle zwei Jahre. Heute geht man in der Halbleiterindustrie davon
aus, das der Zeitraum einer Verdopplung der Transistorendichte im Mittel 18 Monate
beträgt.
Zum Kausalitätskreisdiagramm:
Eine Erhöhung der Transistorenanzahl auf einem Chip führt zu einer Erhöhung der
Rechenleistung. Aufgrund erhöhter Rechenleistung wird auch der technische Fortschritt
vorangetrieben, welcher wiederum zu einer Erhöhung der Transistorenanzahl pro Chip
führt.
Es handelt sich hier also eindeutig um eine positive Rückkopplungsschleife, bei der das
Wachstum vom aktuellen Funktionswert abhängig ist. Dies lässt sich auch als lineare
Differentialgleichung erster Ordnung darstellen.
Für die Entwicklung eines Analogiemodells wird zum besseren Verständnis die
eingeführte „Bestand/Fluss“ Notation von Folie 2-12 verwendet: Dabei erzeugt eine
Quelle (z.B. Produktion) die Ressourcen (z.B. Waren), die über den Fluss in den
aktuellen Bestand (z.B. Lagerbestand) einfließen. Der Zufluss wird dabei durch das
Ventil (Wachstumsrate) geregelt. Je höher der Bestand ist, desto weiter öffnet sich das
Ventil (höhere Wachstumsrate) und desto mehr Ressourcen kommen in den Bestand
(positive Rückkopplungsschleife).
Diese dynamischen Zusammenhänge können auch durch einen regelungstechnischen
Wirkungsplan dargestellt werden. Er ist unten im Bild wiedergegeben.
Zum Kausalitätskreisdiagramm:
Ein Absinken des aktuellen Lagerbestands führt zu einer größeren Differenz von
aktuellem und gewünschtem Lagerbestand. Durch die höhere Differenz ist eine größere
Bestandsveränderung notwendig, die den aktuellen Lagerbestand wieder erhöht. Es
handelt sich hierbei also eindeutig um eine negative Rückkopplungsschleife.
Im hydraulischen Analogiemodell werden die Ressourcen von der Quelle zum Bestand
transportiert. Der vorhandene Bestand soll dem gewünschten Bestand entsprechen. Je
geringer der vorhandene Bestand ist, desto größer ist die Differenz zwischen realem
und gewünschtem Bestand. Je größer die Differenz ist, desto höher ist die Zugangsrate.
Die Zugangsrate erhöht sich dabei nicht plötzlich, sondern mit der Zeitkonstanten . Dies
bewirkt eine zielgerichtete Anpassung im Bestand des Lagers, die sich durch
asymptotisches Wachstum bzw. Abklingen äußert.
Zum Kausalitätskreisdiagramm:
Eine erhöhte Kundennachfrage führt zu einem Absinken der Servicequalität. Dieses hat
eine Erhöhung der Differenz von Servicequalität und Servicestandard zur Folge. Mit
einer Verzögerung führt dieses zu einer geringeren Servicereputation und damit wieder
zu einer sinkenden Kundennachfrage. Es handelt sich hier also um eine negative
Rückkopplung mit Verzögerung.
Verzögerungen zwischen Ursache und Wirkungen können in „verschleppten“
Entscheidungen, erst langsam eintretenden Wirkungen der korrigierenden Maßnahme
oder verspäteten Berichten bzw. Beobachtungen begründet sein.
Die im Bild als unabhängiger Parameter angegebene „Brutto-Wachstumsrate“
beschreibt die maximale Wachstumsrate der Zustandsgröße. Sie wird bei
Populationsmodellen auch als Malthusianischer Parameter bezeichnet (Pollak und
Kempthorne 1970). Die Aufnahmekapazität gibt den maximal erreichbaren Wert der
Zustandsgröße an.
Es existieren zwei Rückkopplungsschleifen, eine positive und eine negative. Eine
Erhöhung der Produktivität bewirkt bei konstantem Stückpreis einen höheren Erlös,
damit bessere Verdienstmöglichkeiten und deshalb eine höhere Arbeitsmoral, die die
Produktivität weiter ansteigen lässt (positive Rückkopplung). Ein höherer Erlös führt aber
gleichzeitig zu einer größeren Sättigung der Marktnische, was sich wiederum negativ auf
den Umsatz auswirkt.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde im obigen Kausalitätskreisdiagramm die
Brutto-Wachstumsrate r (siehe DGL) nicht als unabhängiger Parameter eingezeichnet,
der auf die Netto-Wachstumsrate wirkt. Dies gilt auch für das nachfolgende Beispiel zum
„Überschwingen und Kollabieren“, siehe Folie 2-34.
Im Vergleich zum S-förmigen Wachstum ist hier in der negativen Rückkopplungsschleife
eine Verzögerung hinzu gekommen. Es handelt sich hier also um eine Kombination von
exponentiellem Wachstum (positive Rückkopplungsschleife) und Oszillation (negative
Rückkopplungsschleife mit Verzögerung). Dies führt dazu, dass der Wert für die
maximale Aufnahmekapazität überschritten wird und die Funktion um diesen Wert
oszilliert. Der Funktionswert ist nicht mehr alleine vom vorherigen Wert (t–1) abhängig,
sondern auch vom Wert vor zwei Zeitschichten (t–2). Die Abweichung wird zu spät
erkannt und dieses führt zur Oszillation.
Diese Verhaltensweise lässt sich als nichtlineare Differenzengleichung zweiter Ordnung
darstellen, wie zuvor gezeigt.
Ein Beispiel für das idealtypische Systemverhalten „Überschwingen und Kollabieren“ ist
ein Markt, auf dem potenzielle Käufer beispielweise durch den Umstieg auf
Substitutionsprodukte „wegbrechen“, wodurch die Aufnahme-kapazität für Neukunden
der Verkäufe und damit später auch die reale Anzahl der Verkäufe immer stärker
abnimmt. Der Umsatz von Atari Corporation ist ein Beispiel für einen kollabierenden
Markt. Das Unternehmen war Ende der 1970er Jahre Marktführer für Videokonsolen. Bis
1982 stiegen die Verkäufe rasant an. Durch das Aufkommen der PCs und den Umstieg
vieler Kunden auf diese neuen Geräte brach ein Großteil der Käuferschicht weg, die
Verkäufe kollabierten und führten fast zum Ende von Atari.
Anmerkung:
Bei den Systemen 4 und 5 war die maximale Aufnahmekapazität konstant. Fällt diese
Kapazität jedoch durch den Anstieg des Funktionswertes ab, so bildet sich eine zweite
negative Rückkopplungsschleife. Die in der Gleichung enthaltene Differenz von
Funktionswert und maximaler Aufnahmekapazität wird komplizierter, da die Änderung
der maximalen Aufnahmekapazität vom Funktionswert abhängt (x'(t) = –Cy(t)).
Ein
weiteres
Beispiel
für
„Überschwingen
und
Kollabieren“
ist
die
Bevölkerungsentwicklung auf den Osterinseln. Durch den Anstieg der Bevölkerungszahl
wurden die Wälder immer stärker abgeholzt. Dieser Effekt überstieg das Nachwachsen
des Holzes. Wind und Regen trugen den nicht mehr geschützten Boden ab, der dadurch
immer weniger Menschen ernähren konnte. Die maximale Aufnahmekapazität nahm
dadurch stark ab. Die Bevölkerung erreichte um 1600 ihre Maximalzahl von 8.000 bis
10.000 Menschen und sank dann durch den beschriebenen Effekt auf ca. 110
Menschen um 1817.
Geschlossene Lösung des oben vorgestellten Differentialgleichungssystems können nur
für ganzzahlige Parameter Y0, r, X0 und C gefunden werden. Sieben geschlossene
Lösungen für y(t) sind unten für verschiedene Parameterkonstellationen beispielhaft
dargestellt. Aus Platzgründen wurde auf die Angabe der geschlossenen Lösungen für
x(t) verzichtet. Sie sind auf den nächsten Folien für ausgewählte Parameterkonstellationen in grafischer Form wiedergegeben.
Bereits die auf Folie 2-25 eingeführten Wirkzusammenhänge und Rückkopplungsbeziehungen reichen aus, um chaotisches Systemverhaltensweisen zu erzeugen.
Hierbei muss lediglich auf eine zeitdiskrete Modellformulierung zurückgegriffen werden,
die oben wiedergegeben ist. Hierbei handelt es sich um eine nichtlineare
Differenzengleichung erster Ordnung. Wendet man diese Gleichung an, so führen sehr
kleine Änderungen an der Zustandsgröße (hier Y0 als Anfangsbestand) zu völlig
unterschiedlichen Funktionsverläufen. Zu Beginn (t < 10) ist der Effekt der
Anfangszustandsabweichung noch nicht erkennbar, jedoch ergeben sich mit
fortlaufender Zeit grundlegend andere, chaotische Verläufe. Die kleine Abweichung hat
also eine sehr große Wirkung auf das Systemverhalten.
Ein derartiges Verhalten ist beispielsweise bei ökologischen Systemen zu beobachten.
Während auf der einen Seite eine Population aufgrund von Geburten exponentiell
wächst, sterben ab einer gewissen Populationsgröße Individuen aufgrund von
Verhungern, da (konstante) Nahrungsvorräte knapp werden. Gleichen sich Geburtenrate
und Sterberate aus herrscht Stabilität. Im Falle einer gegenüber der Geburtenrate
größeren Sterberate bei einer aktuellen Generation, benötigt die Folgegeneration
aufgrund einer geringerer Populationsgröße weniger Nahrung, sodass die Sterberate
der Folgegeneration geringer und die Größe der Population größer wird. Je größer die
Geburtenrate ist, um so mehr schwankt die Populationsgröße periodisch. Ab einer
Geburtenrate von 4 liegt schließlich Chaos vor (Kinnebrock 2013).
Das Beispiel von Folie 2-2 wird nun um die Funktionselemente eines einfachen
Produktionsplanungs- und -steuerungssystems erweitert. Die Nachfrage nach Produkten
steuert nun die Produktion. Die Zeitverzögerung, die beispielsweise aufgrund einer
verzögerten Bearbeitung durch verschiedene Disponenten oder begrenzte
Maschinenverfügbarkeit eintritt, bewirkt, dass sich die Zugangsrate von Produkten von
der Produktion ans Lager später verändert als die tatsächlich gewünschte
Produktionsmenge (Ausgleichzeit des Lagerbestands), wodurch es zu Abweichungen
vom gewünschten Lagerbestand kommt. Auch die Abgangsrate von Produkten vom
Lager zum Kunden ist zeitversetzt, wodurch sich die erwartete Abgangsrate
zeitverzögert verändert. Durch die Zeitverzögerungen in der Prozesskette kann es zu
einem Aufschwingverhalten kommen (sog. Bullwhip-Effekt, siehe Folie 2-41), das
möglicherweise auch in der Übung bei der Live-Simulation einer Lieferkette zu
beobachten sein wird.
Die oben im Bild vereinfachend als „Umlaufbestand“ gekennzeichnete Zustandsgröße
beschreibt alle durch früher gegebene Aufträge gebundene Bestände an Produkten in
den einzelnen Stufen der Fertigung (engl. work in process).
Ziel zum Zeitpunkt 1 ist es, den Lagerbestand um 20 Einheiten zu senken, da die
Nachfrage nach Produkten sinkt. Die Absenkung des Lagerbestands kann im
Gleichgewichtszustand nicht plötzlich geschehen, sondern es bedarf einige Zeit, den IstLagerbestand an den gewünschten Lagerbestand anzupassen. Zunächst wird die
Bestellrate auf null abgesenkt, d.h. das Lager bestellt keine Ware bei der Produktion.
Dies bewirkt, dass die Zugangsrate von Waren aus der Produktion ins Lager absinkt.
Durch geringere Verkäufe sinkt die Abgangsrate von Waren aus dem Lager an den
Kunden.
Der Bullwhip-Effekt wird auch als Peitscheneffekt bezeichnet und beschreibt ein
zentrales Problem des Supply-Chain-Managements, das durch dynamisches Verhalten
entlang von Lieferketten entsteht. Dabei führen bereits kleine Veränderungen in der
Nachfrage des Endkunden (Senke) zu Schwankungen in den Bestellmengen der
vorgelagerten Lieferanten, die sich zum Ursprung der Lieferkette (Quelle) hin
vergrößern.
Ursächlich für diesen Effekt ist hauptsächlich ein mangelnder Informationsaustausch
zwischen den einzelnen Lieferanten entlang der Lieferkette. Die damit verbundene
Informationsasymmetrie führt dazu, dass jeder Lieferant bei der Entscheidung über
seine Bestellmenge nur die Bestellmengen seiner direkten Kunden berücksichtigen
kann. Jede Stufe der Lieferkette wird also einzeln bzw. lokal optimiert – eine
Gesamtbetrachtung bzw. Gesamtoptimierung bleibt aus.
In der Folge sind die Bestell- und Liefermengen entweder zu hoch oder zu niedrig, so
dass Perioden übervoller Lager auftreten, die gefolgt werden von Perioden der
Knappheit. Damit verbunden sind schlechter Lieferservice, Einnahmeausfälle und zu
große Transportkapazitäten.
Vor diesem Hintergrund zielen Maßnahmen gegen den Bullwhip-Effekt auf die
Verbesserung der Kommunikation zwischen den Lieferanten entlang der Lieferkette, so
dass eine Gesamtoptimierung erfolgen kann.