Stalking – Vom Psychoterror zum Mord

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Stalking – Vom Psychoterror zum Mord
Psychologisches Institut der Universität Heidelberg
SS 04/05
Stalking –
Vom Psychoterror zum Mord
David Höffler
Vorgelegt im Rahmen des Blockseminars:
Komplexe Emotionen
Leiter der Lehrveranstaltung:
Bernd Reuschenbach
Kontaktadresse für Rückfragen:
David Höffler
[email protected]
Stalking
2
Inhalt
1
Begriffsdefinition & Phänomenologie ............................................5
1.1
Begriffsdefinition.................................................................................... 5
1.2
Phänomenologie..................................................................................... 6
1.3
Abgrenzung von Stalking gegenüber anderen Verhaltens-Formen... 7
1.3.1
Die Stichprobe .......................................................................... 7
1.3.2
Die Auswertung ........................................................................ 7
1.3.3
Die Ergebnisse ......................................................................... 8
2
Stalker ............................................................................................. 11
3
Stalking und seine Folgen für das Opfer .....................................14
4
Epidemiologie................................................................................. 16
5
Rechtslage ...................................................................................... 18
6
Quellen ............................................................................................ 20
7
Anhang – Gewaltschutzgesetz...................................................... 21
Stalking
3
Zusammenfassung
Stalking beschreibt ein sehr heterogenes Verhaltensmuster, bei dem eine Person wiederholt und
über eine geraume Zeit andauernd in den Privatbereich einer anderen in derartiger Weise
eindringt, dass diese sich bedroht fühlt. Die vorliegende Arbeit erläutert kurz die historische
Entwicklung des Begriffs „Stalking“. Die Problematik einer einheitlichen Begriffsdefinition und
der Phänomenbeschreibung wird dargestellt sowie der Versuch der Abgrenzung zu anderen
Verhaltensformen. Weiterhin wird eine Typologie der Täter vorgestellt und die Folgen für die
Opfer beleuchtet. Abschließend folgen die Darstellung der ersten deutschen epidemiologischen
Studie zu Stalking und eine kurze Diskussion der Rechtslage in Deutschland. Stalking ist etwas,
das keineswegs nur auf berühmte Personen beschränkt ist sondern jeden treffen kann. Durch die
enormen Auswirkungen auf die Opfer ist die Beschäftigung mit diesem Thema für Therapeuten
aber auch für Justizbeamte unerlässlich und von hoher praktischer Relevanz.
Stalking
4
Stalking – Vom Psychoterror zum Mord
Seit Anfang der 80er-Jahre erschütterte eine Serie von Ereignissen die amerikanischen Medien.
Der Mord an John Lennon (1980), das Attentat auf den US-Präsidenten Ronald Reagan (1981),
das eigentlich für Jodie Foster bestimmt war oder der Mord an Rebecca Shaefer (1989). Auch
wenn diese drei Ereignisse auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, so sind sie doch
alle mit einem bis dato nahezu unbekannten Phänomen verknüpft: Stalking.
Stalking beschreibt eine Serie von verschiedenen Verhaltensmustern bei denen eine Person
wiederholt und über geraume Zeit anhaltend in den Privatbereich einer anderen in derartiger
Weise eindringt, dass diese sich bedroht fühlt. In den USA ist Stalking ein Straftatbestand und
Gegenstand intensiver Forschung.
Diese Ausarbeitung wird eine Einführung in das Themengebiet bieten, sich mit den Tätern (den
sog. ′Stalkern1′) und den Opfern (den sog. ′Stalkees′) auseinandersetzen sowie die Rechtslage in
Deutschland beleuchten. Wie die jüngste Forschung gezeigt hat ist Stalking keineswegs auf
Prominente beschränkt sondern vielmehr etwas, das jeden treffen kann.
1
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass das Wort „Stalker“ im englischen geschlechtsneutral ist, während es in
der deutschen Sprache maskulin verwendet wird. Ein Stalker (oder ein Stalkee) kann aber sowohl männlichen als
auch weiblichen Geschlechts sein – es soll keineswegs der Eindruck entstehen, Stalker seien immer nur Männer. In
dieser Ausarbeitung sind immer Personen beiderlei Geschlechts gemeint, wenn von Stalkern, Stalkees, Tätern und
Opfer die Rede ist. Aufgrund der Lesbarkeit wurde auf die explizite Nennung der femininen Formen verzichtet.
Stalking
1
5
Begriffsdefinition & Phänomenologie
In diesem Abschnitt wird versucht werden eine Begriffsdefinition für Stalking zu finden sowie
den Phänomenbereich gegenüber anderen Verhaltensformen abzugrenzen. Hierbei wird die
Studie von Purcell, Pathé & Mullen (2004) vorgestellt werden.
1.1
Begriffsdefinition
Der Begriff Stalking leitet sich von dem englischen ′to stalk′ ab, was zu Deutsch ′belauern′,
′belästigen′, ′pirschen′ oder ′sich heranschleichen′ bedeutet. Der Begriff entstammt ursprünglich
der Jägersprache und wurde Ende der 80er-Jahre als Beschreibung eines Verhaltens von
übereifrigen Fans gegenüber Prominenten verwendet. Berühmte Stalking-Opfer sind z.B. John
Lennon, Rebecca Shaefer, Jodie Foster, Madonna aber auch Harald Schmidt, Guido Westerwelle
oder Steffi Graf.
Als die Forschung Anfang der 90er-Jahre ihr Interesse für Stalking entdeckte, zeigte sich schnell,
dass Stalking eine enorme Verhaltensvariabilität besitzt. Dies ist auch der Grund warum bis heute
keine einheitliche Definition des Begriffes „Stalking“ gefunden wurde. Nahezu jedes
Forschungsteam definiert Stalking neu, so bezeichnen z.B. Haugaard & Seri (2004) Stalking
lediglich als eine Form des „intrusive contacts“ (S. 39) während Mullen, Pathé, Purcell & Stuart
(1999) den Begriff wie folgt definieren:
“Stalking refers to a constellation of behaviours involving repeated and persistent attempts to
impose on another person unwanted communication and /or contact. Communication can be
by means of telephone calls, letters, e-mail, and graffiti, with contact by means of approaching
the victim and following and maintaining surveillance. Associated behaviors include ordering
goods on the victim’s behalf and initiating spurious legal actions. Threats, property damage,
and assault may accompany stalking.“ (S. 1244)
Die Begriffsdefinitionen unterscheiden sich sehr bezüglich ihres Auflösungsgrades was die
unterschiedlichen Verhaltensmuster bei Stalking angeht. Um einen Kompromiss zwischen einer
zu allgemeinen und einer zu speziellen Definition zu wählen wird die Definition von Purcell,
Pathé & Mullen (2004, S. 571f) verwendet: “Stalking refers to a course of conduct by which one
person repeatedly inflicts on another unwanted intrusions to such an extent that the recipient
Stalking
6
fears for his or her safety.” Dass diese unterschiedlichen Definitionen nicht nur in der Forschung
sondern vor Allem auch in Gesetzen und Rechtssprechung für Probleme sorgen, wird unter
Punkt 5 beschrieben werden.
1.2
Phänomenologie
Wie bereits unter Punkt 1.1 beschrieben wurde, gibt es keine einheitliche Definition von Stalking
und somit auch keine einheitliche Abgrenzung des Themengebiets. Es gibt jedoch eine Reihe von
Verhaltensweisen die allgemein als dem Bereich Stalking zugehörig gesehen werden. Für alle diese
müssen jedoch die Kriterien der Unerwünschtheit und der Persistenz erfüllt sein, i. e. das
Verhalten muss über eine gewisse Zeit hinweg wiederholt ausgeführt werden. In diversen Studien
zum Thema Stalking (z. B. Purcell et al. (2004, S. 578), Dreßing, Kühner & Gass (2004, S. 1))
werden folgende Verhaltensformen als Ausdrucksformen von Stalking betrachtet:
•
unerwünschte Telefonanrufe
•
Herumtreiben in der Nähe
•
unerwünschte Briefe
•
E-Mails, SMS, Faxe
•
Verfolgen
•
Kontaktaufnahme über Dritte
•
vor der Haustür stehen
•
Auflauern
•
Beschimpfungen / Verleumdungen
Eine Verhaltensweise allein macht jedoch noch kein Stalking aus. Vielmehr ist Stalking eine
Kombination vieler Verhaltensweisen, die sich von Stalker zu Stalker höchst unterscheiden kann.
Bei genauerer Betrachtung stellt sich aber die Frage ab wann ein Verhalten das Prädikat „Stalking“
erhalten sollte. Purcell, Pathé & Mullen haben sich in ihrer Studie (2004) mit genau diesem
Problem auseinandergesetzt und versucht eine genauere Eingrenzung von Stalking zu finden.
Stalking
1.3
7
Abgrenzung von Stalking gegenüber anderen VerhaltensFormen
Die Studie von Purcell et al. (2004) versuchte also empirisch festzustellen, ob eine Grenzziehung
zwischen Formen einer eher kurzfristigen Belästigung und dem eigentlichen Stalking möglich ist.
Hintergrund der Studie waren die zum Teil gravierenden Auswirkungen von Stalking auf das
Opfer. Für Therapeuten ist es wichtig zu wissen ab wann damit zu rechnen ist, dass Stalking
vorliegt um so eine sofortige Intervention einzuleiten. Auf diese Weise könnten weitere schwere
Folgen für den Stalkee reduziert werden.
1.3.1 Die Stichprobe
Die Daten der Studie entstammten einer zufällig gezogenen Bevölkerungsstichprobe aus dem
australischen Wählerverzeichnis (Umfang 3.700 Männer und Frauen). Da in Australien sowohl
das Wählen an sich als auch die Registrierung zur Wahl verpflichtend sind, werden ca. 96 % der
Bevölkerung von diesem Verzeichnis erfasst. Das Eintrittsalter beträgt 18 Jahre.
An diese 3.700 Personen wurden Fragebögen verschickt, die als „Community Study of
Harassment“ bezeichnet wurden. Der Begriff „Stalking“ wurde sorgsam vermieden um
Vorurteile oder Begriffsunklarheiten zu vermeiden. Insgesamt konnten 1.844 Fragebögen
ausgewertet werden (61 % aller Fragebögen).
1.3.2 Die Auswertung
Der Fragebogen enthielt diverse Items zu verschiedenen belästigenden Verhaltensweisen (z.B.
Verfolgung, Überwachung, unerwünschte Bestellungen, etc.) sowie zu deren Dauer und den
Folgen für das Opfer. Da im australischen Rechtssystem Stalking als eine Verhaltensweise
definiert wird, bei der es zu mehr als zwei unerwünschten Begegnungen (hierzu zählen auch
indirekte Begegnungen wie Telefonanrufe, etc.) kommt, die dem Opfer Furcht einflößen, wurden
alle Personen, die mehr als zwei derartige Begegnungen in einer Episode berichteten, grob als
Stalking-Opfer klassifiziert.
Stalking
8
Eine Serie von Receiver Operating Characteristic (ROC)-Kurven wurde erstellt um die
Unterscheidungsstärke eines Cut-Offs zwischen zwei Gruppen darzustellen. Als definierender
Faktor wurde hierfür die Dauer der Belästigung verwendet. Die abhängigen Variablen waren
′Anzahl der verschiedenen Methoden zur Belästigung′ (was die Schwere der Belästigung
widerspiegeln sollte) sowie ′Anzahl der Veränderungen im Lebensstil′ (ein Maß für die Schwere
der Auswirkungen für das Opfer).
Die Bedeutung dieses Cut-Offs beschreiben Purcell et al. (2004) wie folgt:
“This cut-off was then used to examine whether it clearly distinguished stalking behaviours
which placed victims at risk of psychological and social impairment, from those victims who,
though distressed at the time, were not likely to suffer significant alteration to their daily
functioning.” (S. 576)
1.3.3 Die Ergebnisse
Von den 1.844 Personen erfüllten 432 (23 %) die rechtlichen Kriterien für Stalking. Als
optimalen Cut-Off konnte die zwei-Wochen-Marke gefunden werden (p = .001). Diese Marke ist
also der empfindlichste Indikator anhand dessen möglicherweise Gruppen bezüglich der Schwere
der Belästigungen unterschieden werden können.
Bei 45 % der Opfer (n =196) endete die Belästigung innerhalb von zwei Wochen. In dieser
Gruppe betrug die Median-Dauer der Belästigung zwei Tage mit einem Modus von einem Tag.
Bei den restlichen 55 % (n = 236), bei denen die Aufdringlichkeiten länger als zwei Wochen
anhielten, stieg die Median-Dauer dramatisch auf sechs Monate an. Der Modus lag hier bei zwölf
Monaten. Hieraus lässt sich schließen, dass bei einer länger als zwei Wochen dauernden
Belästigung ein sehr großes Risiko besteht, dass das Verhalten eine sehr lange Zeit anhalten.
Dieses Ergebnis ist vor Allem für Therapeuten interessant, die die Opfer begleiten um so bereits
früh den eventuellen Beginn einer länger andauernden Kampagne erkennen zu können. Auf diese
Weise kann durch rechtzeitige Intervention weiterer Schaden für den Stalkee abgewendet werden.
Es gab jedoch nicht nur gravierende Unterschiede in der Dauer der Belästigung, sondern auch in
der Häufigkeit der verwendeten Methoden. Die folgende Tabelle 1.3.1 veranschaulicht dies
eindrucksvoll:
Stalking
9
In obiger Tabelle deutet sich bereits an, dass sich die beiden Gruppen hinsichtlich der Intensität
des Täterverhaltens unterscheiden. Tabelle 1.3.2 zeigt dies anhand der Gewalthäufigkeit:
Interessant ist hierbei insbesondere der Vergleich zwischen den Drohungen gegenüber dem
Opfer (39,5 %) und den tatsächlich erfolgten Angriffen (24,1 %). Auch wenn in dieser Studie der
Unterschied nicht so dramatisch ausfällt wie z.B. in der Studie von Dreßing, Kühner & Gass
Stalking 10
(2004, S. 1)2, so kam es doch immerhin in ca. drei von fünf Fällen (63,0 %), in denen Gewalt
angedroht wurde, auch zu tatsächlichen Gewaltakten. Drohungen, die von Stalkern
ausgesprochen werden, dürfen also auf keinen Fall auf die leichte Schulter genommen werden.
2
In dieser Studie (vgl. Seite 15 dieser Arbeit) kam es in sieben von acht Fällen in denen Gewalt angedroht wurden
auch zu Gewalthandlungen.
Stalking 11
2
Stalker
“She came into my life in the right moment. She was brilliant, pretty, outrageous, her
innocence impressed me. She turned into a goddess for me, an idol. Since then, I turned an
atheist, I only adored her.”
So beschrieb Robert John Bardo3, der Stalker und Mörder von Rebecca Shaefer, einer
aufstrebenden jungen Schauspielerin, sein Verhältnis zu seinem Opfer. Dieses Verhältnis änderte
sich drastisch als Bardo den Film „Class Struggle in Beverly Hills“ sah, in dem Rebecca Shaefer
eine Bett-Szene mit einem männlichen Schauspieler hatte. Diese Szene machte Bardo derart
wütend, dass er den Entschluss fasste, die Schauspielerin zu bestrafen. Er fand ihren
Aufenthaltsort heraus, fuhr zu ihrem Haus, klingelte und erschoss sie (1989).
Ein anderer Stalker, Dennis Rader, der mindestens fünf Frauen verfolgte und tötete, beschrieb
vor Gericht seinen Mord an Nancy Fox (1977) auf diese Weise4:
“I confronted her, told her I had a problem, sexual problem, that I would have to tie her up
and have sex with her. She was a little upset and we talked awhile and she smoked a cigarette.
While we smoked a cigarette, I went through her purse identifying some stuff, and she finally
said, well let's get this over with so I can call the police. So I said OK. She said, can I go to the
bathroom. I said yes. She went to the bathroom. And I told her when she came out, make
sure she was undressed. When she came out I handcuffed her, had her lay on the bed and I
tied her feet. I was also undressed to a certain degree and then I got on top of her and I
reached over, took either her feet were tied or not tied but I think I had a belt. Anyway, I took
the belt and strangled her at that time.
After I strangled her with the belt, I took the belt off and retied that with panty hose, real
tight, removed the handcuffs and tied those with panty hose. I can't remember the colors right
now. I think I may have retied her feet. They were probably already tied, her feet were. And
then at that time, I masturbated.”
Diese beiden Berichte zeigen noch einmal auf, dass Stalking eine große Menge an
unterschiedlichen Verhaltensformen einschließt. Und genauso heterogen wie das Verhalten sind
auch die Täter. Dieser Abschnitt wird den Versuch einer Klassifikation vorstellen.
3
zit. nach http://www.franksreelreviews.com/shorttakes/shaeffer/shaeffer.htm, Stand vom 24.07.2005
4
zit. nach http://www.crimelibrary.com/serial_killers/unsolved/btk/36.html?sect=4, Stand vom 26.07.2005
Stalking 12
Der Artikel von Mullen, Pathé, Purcell & Stuart (1999) greift bereits erfolgte Klassifizierungen
von anderen Forschern auf und stellt ein eigenes Modell auf Basis einer Stichprobe von 145
forensischen Stalkern vor. Dreßing & Gass (2002, S. 1113) bezeichnen diese Einteilung als die
differenzierteste.
Die Stichprobe wurde aus Fallmaterial von 1993 – 1997 einer bekannten amerikanischen Klinik
für forensische Psychiatrie gezogen. Stalking wurde hierbei als wiederholte (mind. zehn Mal) und
über längere Zeit erfolgte (mind. vier Wochen) vom Opfer ungewollte Versuche der Annäherung
oder Kontaktaufnahme definiert. 115 der 145 Stalker waren männlich.
Die Klassifikation anhand des Fallmaterials unterscheidet folgende fünf Typen von Stalkern:
1. „Rejected Stalker“:
Die Täter sind meist frühere Intimpartner des Opfers. Motive für das Stalking sind häufig
Rache und / oder Aussöhnung. Manche Stalker verspüren ein widersprüchliches
Bedürfnis nach beidem.
2. „Intimacy Seeking Stalker“:
Menschen, die mit ihrem aufdringlichen Verhalten eigentlich Nähe, Liebe und
Zuneigung suchen. Häufig liegt ein Liebeswahn vor (De-Clerambeault-Syndrom,
Erotomanie), i. e. die Täter glauben eine imaginäre Beziehung mit ihrem Opfer zu führen.
3. „Incompetent Stalker“:
Die Täter sind häufig intellektuell minder begabte Menschen mit mangelnder sozialer
Kompetenz. Die Opfer werden als potentielle Partner gesehen. Im Gegensatz zum
Intimacy Seeking Stalker glauben die Täter jedoch nicht, dass ihre Gefühle erwidert
werden.
4. „Resentful Stalker“:
Personen, die ihre Opfer in Angst und Schrecken versetzen wollen. Das Motiv hierbei ist
Rache für eine in Augen des Stalkers widerfahrene Ungerechtigkeit. Mitglieder dieser
Gruppe zeigen häufiger paranoide Störungen. Eine bevorzugte Zielgruppe der „Resentful
Stalker“ sind Ärzte und Rechtsanwälte, von denen der Stalker sich in irgendeiner Weise
falsch beraten oder behandelt glaubt.
Stalking 13
5. „Predatory Stalker“:
Personen, die einen gewalttätigen Übergriff auf einen anderen Menschen planen. Vorher
beobachten und verfolgen sie ihr Opfer und ziehen aus dem Gefühl der Kontrolle und
Macht (unter Umständen auch sexuelle) Befriedigung. Häufig weisen diese Täter eine
Paraphilie auf. Dennis Rader ist hierfür ein Beispiel.
Eine Gegenüberstellung der einzelnen Typen bietet Tabelle 2.1:
Diese Studie muss allerdings kritisch betrachtet werden, da die Stichprobe aus forensischen
Stalkern bestand und daher eher die schweren Fälle von Stalking widerspiegelt. Nichts desto trotz
kann diese Typologie in Kombination mit der Diagnostik eine Entscheidungsgrundlage für
Prognosen bieten. So können eventuell die Natur und Dauer des Stalkings sowie das Risiko eines
gewalttätigen Übergriffs seitens des Stalkers abgeschätzt werden.
Stalking 14
3
Stalking und seine Folgen für das Opfer
Der lang anhaltende Psychoterror von Stalkern gegenüber ihren Opfern verursacht bei diesen
vielfältige Schäden, die häufig sogar noch über die Dauer des Stalkings hinaus anhalten. Leider
gibt es bisher nur sehr wenige Studien, die diese Auswirkungen untersucht haben. Die wenigen
Studien zu diesem Thema (z.B. Pathé & Mullen, 1997) konnten aufzeigen, dass die Stalkees zum
Teil gravierende Schäden davontragen. So schreiben Dreßing & Gass (2002):
„Oftmals zeigen diese Zeichen einer chronischen Traumatisierung, der sie weitgehend hilflos
ausgesetzt sind. In Unkenntnis der Problematik werden die Opfer zudem häufig auch nicht
ernst genommen oder es wird ihnen gar ein Verfolgungswahn unterstellt. Die Mehrzahl der
Opfer nimmt als Folge des Stalkings Veränderungen ihres Alltagsverhaltens vor, wie
beispielsweise die Verwendung einer Telefongeheimnummer, Meiden von Straßen und
Plätzen, an denen man ein Zusammentreffen mit dem Stalker befürchtet, bis hin zu
einschneidenden Veränderungen wie Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes. Häufig
werden auch gesundheitliche Beeinträchtigungen wie z. B. Schlafstörungen, ängstlichdepressive Syndrome oder posttraumatische Belastungsstörungen berichtet.“ (S. 1114)
In einer anderen Untersuchung (Dreßing, Kühner & Gass, 2004, S. 1) wurde festgestellt, dass
Stalking-Opfer eine signifikant schlechtere psychische Befindlichkeit aufweisen als der Rest der
Bevölkerung.
Die einschneidenden Veränderungen im Alltagsleben konnten auch Purcell et al. (2004, S. 578)
feststellen, wie Tabelle 3.1 zeigt:
Stalking 15
Hier zeigt sich nochmals der qualitative Unterschied zwischen Stalking (> zwei Wochen) und
einer eher kurzfristigen Form der Belästigung (<= zwei Wochen). Das Ausmaß der
Auswirkungen wird vor allem bei einer derart finalen Reaktion wie dem Wechsel des Wohnortes
deutlich – ein Schritt, der durchschnittlich von jedem achten Stalkee gegangen wird. Aber auch
starke Anstiege im Alkohol- und Zigarettenkonsum sind zu verzeichnen, ein Maß für den
erhöhten Stress der Betroffenen. Die Reduktion der sozialen Kontakte verdeutlicht dies ebenfalls.
Dreßing & Gass (2002, S. 1114) sprechen in ihrem Artikel zusätzlich noch einen großen
Stressfaktor an: Die Bagatellisierung des Stalkings durch das Umfeld des Opfers. In einer vom
Weißen Ring5 geförderten, noch nicht veröffentlichten Studie der Technischen Universität
Darmstadt (Voß, Hoffmann & Wondrak, 2005) gaben 69 % der Stalkees an, Schwierigkeiten zu
haben, den Polizeibeamten den Ernst ihrer Situation zu vermitteln:
„Manche Beamte sagten, sie könnten schlichtweg nichts tun, dem Opfer müsse erst ein
Messer im Rücken stecken. Andere bagatellisierten das Problem („Freuen Sie sich doch über
Ihren Verehrer“) oder taten es als Privatsache ab („Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.“). So
beurteilten dann auch 80 Prozent der Opfer die Maßnahmen der Polizei als nicht ausreichend
oder unangemessen.“ 6
Die Ergebnisse der ganzen Studie werden voraussichtlich im Herbst 2005 in der Buchreihe
„Mainzer Schriften“ veröffentlicht werden.
5
Der Weiße Ring ist die einzige bundesweite Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und ihre Familien
6
zit. n. http://www.weisser-ring.de/bundesgeschaeftsstelle/aktuell/meldungen/stalking_studie_der_tu_darmstadt/
index.php, Stand vom: 26.07.2005
Stalking 16
4
Epidemiologie
Wie bereits zu Beginn dieser Arbeit erwähnt wurde, ist Stalking keineswegs nur auf Prominente
beschränkt. Jeder ist ein potentieller Stalkee. Häufig erwischt es die Opfer vollkommen
unerwartet. Der folgende Abschnitt wird einige Zahlen zur Verbreitung von Stalking vorstellen.
Während in Amerika und anderen angelsächsischen Ländern bereits früh diverse
epidemiologische Studien zu Stalking veröffentlicht wurden (z.B. Tjaden & Thoennes, 1998) gab
es in Deutschland erst 2004 erste Erkenntnisse zur Prävalenz von Stalking. Die Ergebnisse dieser
Fragebogenstudie von Dreßing, Kühner & Gass (2004) vom Zentralinstitut für Seelische
Gesundheit Mannheim sollen an dieser Stelle kurz zusammengefasst werden:
Die Mannheimer Stichprobe umfasste 679 Personen. Von diesen gaben 78 Personen (12 %) an,
bereits mindestens einmal in ihrem Leben ein Opfer von Stalking geworden zu sein. Zum
Untersuchungszeitpunkt waren 1,6 % noch von Stalking betroffen. 87,2 % der Opfer waren
Frauen, 85,5 % der Stalker waren Männer. Bei 68 % der Opfer dauerte die Belästigung länger als
einen Monat, bei 24,4 % sogar länger als ein Jahr. 35,1 % berichteten über mehrmalige
wöchentliche Kontakte, 9,1 % über tägliche unerwünschte Kontaktaufnahmen und 15.6% sogar
mehrmalige tägliche unerwünschte Kontaktaufnahmen.
Die Stalker verwendeten vielfältige Techniken, so wurde im Durchschnitt jedes Opfer auf fünf
verschiedene Arten belästigt. Am häufigsten waren unerwünschte Telefonanrufe (78,2 %),
Herumtreiben in der Nähe (62,6%), unerwünschte Briefe, E-Mails, SMS, Faxe (50%), Verfolgen
(38,5 %), Kontaktaufnahmen über Dritte (35,9 %), vor der Haustür stehen (33,3%), Auflauern
(24,4 %) sowie Beschimpfungen / Verleumdungen (47,4 %). In 34,6 % der Fälle wurden
explizite Drohungen ausgesprochen, denen in 30,4 % auch tatsächliche Gewalthandlungen
folgten. In 75,6 % der Fälle kannte das Opfer den Stalker, den größten Anteil machten hierbei
ehemalige Intimpartner aus.
Auch die Folgen für die Opfer waren vielfältig: Die Mehrzahl der Betroffenen klagte über
psychische und körperliche Symptome als Folge des Stalking. 56,8 % empfanden verstärkte
Unruhe, 43,6% hatten Angstsymptome, 41 % Schlafstörungen, 34,6 % Magenbeschwerden und
28,2 % Depressionen. 17,9 % wurden als Folge des Stalking krankgeschrieben. Stalking wurde
Stalking 17
von den Opfern als derart bedrohlich erlebt, dass 73,1 % der Befragten ihr alltägliches Verhalten
veränderten, 16.7 % wechselten gar die Wohnung, 5,1 % den Arbeitsplatz.
Auffallend gering war in der Studie das Vertrauen der Opfer in die Justiz: Nur 20,5 % der
Betroffenen erstatteten eine Anzeige bei der Polizei und nur 11,5 % suchten einen Rechtsanwalt
auf, obwohl seitens des Stalkers Verhaltensweisen zum Einsatz kamen, die eindeutig
Straftatbestände darstellten.
Diese Untersuchung konnte zeigen, dass Stalking auch in Deutschland ein erhebliches und
ernstzunehmendes Problem darstellt. In Amerika werden laut einer Studie von Tjaden &
Thoennes (1998, S. 3) 8 % der Frauen und 2 % der Männer mindestens einmal in ihrem Leben
ein Opfer von Stalking. Die Studie schätzt die jährliche Zahl der Opfer in den USA auf ca. 1,4
Mio.
Stalking 18
5
Rechtslage
Abseits aller psychologischen Aspekte muss Stalking aus rechtlicher Sicht als das gesehen werden,
was es ist: ein höchst gefährliches Täterverhalten. Oftmals sind die Opfer auf lange Sicht
geschädigt und tragen sowohl psychische als auch körperliche Folgen (bis hin zum Tod) davon.
Daher sollen an dieser Stelle die rechtlichen Möglichkeiten für Stalkees diskutiert werden.
Zunächst einmal ist zu sagen, dass es in Deutschland im Gegensatz zu vielen angelsächsischen
Ländern sowie Belgien und den Niederlangen keinen eigenen Straftatbestand für Stalking gibt.
Dies hängt auch mit den vielen bisher uneinheitlichen Begriffsdefinitionen zusammen. Das
Phänomen Stalking an sich wird unter dem Begriff der Nachstellungen im seit dem 01.01.2002
gültigen Gewaltschutzgesetz (GewSchG) erfasst7. Dieses ist gegen Stalking aber wenig effektiv,
da es eigentlich gegen häusliche Gewalt entworfen wurde und es das Opfer dazu nötigt erst
zivilgerichtliche Hilfe in Anspruch bevor im zweiten Schritt nach § 4 GewSchG Strafanzeige
erstattet werden kann. Das GewSchG bietet im § 1 die Möglichkeit einer richterlichen
Anordnung bzw. einstweiligen Verfügung gegen den Täter (z. B. Fernhalten vom Haus des
Opfers). Bei Verstoß gegen diese Auflagen drohen aber nur geringe Strafen (Freiheitsstrafe bis zu
einem Jahr oder Geldstrafe), was Stalker häufig nicht davon abhält ihr Verhalten fortzusetzen.
Vom GewSchG einmal abgesehen gibt es noch diverse Straftatbestände, die für Stalking-Opfer
interessant sind:
•
Hausfriedensbruch (§ 123 StGB)
•
falsche Verdächtigung (§ 164 StGB)
•
Beleidigung (§ 185 StGB)
•
üble Nachrede (§ 186 StGB)
•
Verleumdung (§ 187 StGB)
•
Körperverletzung (§ 223 StGB)
•
Nötigung (§ 240 StGB)
•
Bedrohung (§ 241 StGB)
Hierbei gibt es jedoch das Problem, dass der Stalker erst einmal straffällig werden muss und diese
Straftatbestände keine Prävention erlauben. Darüber hinaus werden viele Verhaltensweisen, die
7
Der genaue Wortlaut des Gesetzes findet sich als Anhang an diese Ausarbeitung.
Stalking 19
eben keinen klassischen Straftatbestand erfüllen aber trotzdem für das Opfer eine erhebliche
Belastung bedeuten, nicht erfasst.
Es gibt aber einige Initiativen Stalking zu einem eigenen Straftatbestand zu machen, die jedoch
aufgrund der anstehenden Neuwahlen um einiges verzögert werden dürften. Zweifelhaft bleibt,
ob diese in der bisherigen Form eingebracht werden können. Nähere Informationen bietet
hierfür die Internetseite des auf Stalking-Fälle spezialisierten Anwalts Dr. Volkmar v. Pechstaedt:
http://www. pechstaedt.de/kanzlei/stalking.htm
Stalking 20
6
Quellen
Bardsley, M., Bell, C. & Lohr, D. Confession: Nancy Fox. Verfügbar unter:
http://www.crimelibrary.com/serial_killers/unsolved/btk/36.html?sect=4. [Stand vom: 26.07.2005]
Bundesministerium der Justiz. (2001). Gewaltschutzgesetz. Verfügbar unter:
http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/gewschg/inhalt.html. [Stand vom: 24.07.2005]
Dreßing, H. & Gass, P. (2002). Stalking - vom Psychoterror zum Mord. Der Nervenarzt, 73(11), 1112-1115.
Dreßing, H., Kühner, C. & Gass, P. (2004, 12.07.2004). Ergebnisse der ersten epidemiologischen Studie zu Stalking
in Deutschland.Informationsdienst Wissenschaft. Verfügbar unter: http://idw-online.de/pages/de/news83261.
[Stand vom: 26.07.2005]
Frank’s Reel Review. The stalking that changed the law. Verfügbar unter:
http://www.franksreelreviews.com/shorttakes/shaeffer/shaeffer.htm. [Stand vom: 24.07.2005]
Haugaard, J. J. & Seri, L. G. (2004). Stalking and other forms of intrusive contact among adolescents and young
adults from the perspective of the person initiating the intrusive contact. Criminal Justice & Behavior, 31(1), 3754.
Mullen, P. E., Pathé, M., Purcell, R. & Stuart, G. W. (1999). Study of stalkers. American Journal of Psychiatry, 156(8),
1244-1249.
Pathé, M. & Mullen, P. E. (1997). The impact of stalkers on their victims. British Journal of Psychiatry, 170(1), 12-17.
Purcell, R., Pathé, M. & Mullen, P. E. (2004). Editorial: When do repeated intrusions become stalking? Journal of
Forensic Psychiatry & Psychology, 15(4), 571-583.
Tjaden, P. & Thoennes, N. (1998). Stalking in America: Findings From the National Violence Against Women
Survey. Research in Brief. Verfügbar unter: http://www.ncjrs.org/pdffiles/169592.pdf. [Stand vom: 11.02.2005]
v. Pechstaedt, V. (2005). Stalking. Verfügbar unter: http://www.pechstaedt.de/kanzlei/stalking.htm. [Stand vom:
22.07.2005]
Voß, H.-G. W., Hoffmann, J. & Wondrak, I. (voraussichtlich 2005). Mainzer Schriften.Baden-Baden: Nomos. zitiert
nach: http://www.weisser-ring.de/bundesgeschaeftsstelle/aktuell/meldungen/
stalking_studie_der_tu_darmstadt/index.php. [Stand vom: 26.07.2005]
Stalking 21
Anhang – Gewaltschutzgesetz8
7
§1
Gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellungen
(1) Hat eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen
Person widerrechtlich verletzt, hat das Gericht auf Antrag der verletzten Person die zur
Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Anordnungen
sollen befristet werden; die Frist kann verlängert werden. Das Gericht kann insbesondere
anordnen, dass der Täter es unterlässt,
1. die Wohnung der verletzten Person zu betreten,
2. sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person
aufzuhalten,
3. zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person
regelmäßig aufhält,
4. Verbindung zur verletzten Person, auch unter Verwendung von
Fernkommunikationsmitteln, aufzunehmen,
5. Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen,
soweit dies nicht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist.
(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn
1. eine Person einer anderen mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers,
der Gesundheit oder der Freiheit widerrechtlich gedroht hat oder
2. eine Person widerrechtlich und vorsätzlich
a) in die Wohnung einer anderen Person oder deren befriedetes Besitztum
eindringt oder
b) eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen
den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter
Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt.
Im Falle des Satzes 1 Nr. 2 Buchstabe b liegt eine unzumutbare Belästigung nicht vor, wenn die
Handlung der Wahrnehmung berechtigter Interessen dient.
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Stalking 22
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 oder des Absatzes 2 kann das Gericht die Maßnahmen
nach Absatz 1 auch dann anordnen, wenn eine Person die Tat in einem die freie
Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen
hat, in den sie sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel vorübergehend versetzt hat.
§2
Überlassung einer gemeinsam genutzten Wohnung
(1) Hat die verletzte Person zum Zeitpunkt einer Tat nach § 1 Abs. 1 Satz 1, auch in Verbindung
mit Abs. 3, mit dem Täter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt, so kann
sie von diesem verlangen, ihr die gemeinsam genutzte Wohnung zur alleinigen Benutzung zu
überlassen.
(2) Die Dauer der Überlassung der Wohnung ist zu befristen, wenn der verletzten Person mit
dem Täter das Eigentum, das Erbbaurecht oder der Nießbrauch an dem Grundstück, auf dem
sich die Wohnung befindet, zusteht oder die verletzte Person mit dem Täter die Wohnung
gemietet hat. Steht dem Täter allein oder gemeinsam mit einem Dritten das Eigentum, das
Erbbaurecht oder der Nießbrauch an dem Grundstück zu, auf dem sich die Wohnung befindet,
oder hat er die Wohnung allein oder gemeinsam mit einem Dritten gemietet, so hat das Gericht
die Wohnungsüberlassung an die verletzte Person auf die Dauer von höchstens sechs Monaten
zu befristen. Konnte die verletzte Person innerhalb der vom Gericht nach Satz 2 bestimmten
Frist anderen angemessenen Wohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschaffen, so kann
das Gericht die Frist um höchstens weitere sechs Monate verlängern, es sei denn, überwiegende
Belange des Täters oder des Dritten stehen entgegen. Die Sätze 1 bis 3 gelten entsprechend für
das Wohnungseigentum, das Dauerwohnrecht und das dingliche Wohnrecht.
(3) Der Anspruch nach Absatz 1 ist ausgeschlossen,
1. wenn weitere Verletzungen nicht zu besorgen sind, es sei denn, dass der
verletzten Person das weitere Zusammenleben mit dem Täter wegen der
Schwere der Tat nicht zuzumuten ist oder
2. wenn die verletzte Person nicht innerhalb von drei Monaten nach der Tat
die Überlassung der Wohnung schriftlich vom Täter verlangt oder
3. soweit der Überlassung der Wohnung an die verletzte Person besonders
schwerwiegende Belange des Täters entgegenstehen.
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(4) Ist der verletzten Person die Wohnung zur Benutzung überlassen worden, so hat der Täter
alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Ausübung dieses Nutzungsrechts zu erschweren oder zu
vereiteln.
(5) Der Täter kann von der verletzten Person eine Vergütung für die Nutzung verlangen, soweit
dies der Billigkeit entspricht.
(6) Hat die bedrohte Person zum Zeitpunkt einer Drohung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, auch in
Verbindung mit Abs. 3, einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt mit dem Täter
geführt, kann sie die Überlassung der gemeinsam genutzten Wohnung verlangen, wenn dies
erforderlich ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Eine unbillige Härte kann auch dann
gegeben sein, wenn das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist. Im Übrigen
gelten die Absätze 2 bis 5 entsprechend.
§3
Geltungsbereich, Konkurrenzen
(1) Steht die verletzte oder bedrohte Person im Zeitpunkt einer Tat nach § 1 Abs. 1 oder Abs. 2
Satz 1 unter elterlicher Sorge, Vormundschaft oder unter Pflegschaft, so treten im Verhältnis zu
den Eltern und zu sorgeberechtigten Personen an die Stelle von §§ 1 und 2 die für das
Sorgerechts-, Vormundschafts- oder Pflegschaftsverhältnis maßgebenden Vorschriften.
(2) Weitergehende Ansprüche der verletzten Person werden durch dieses Gesetz nicht berührt.
§4
Strafvorschriften
Wer einer bestimmten vollstreckbaren Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3, jeweils auch in
Verbindung mit Abs. 2 Satz 1, zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder
mit Geldstrafe bestraft. Die Strafbarkeit nach anderen Vorschriften bleibt unberührt.