Hass in Haft - Max-Planck

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Hass in Haft - Max-Planck
FORSCHUNG & GESELLSCHAFT
STRAFRECHT
„Ausländer auf offener Straße verprügelt“ oder „Rechte attackieren
Homosexuelle“ - Schlagzeilen, wie sie immer wieder vorkommen. Hassgewalt
nennen Kriminologen diese Straftaten meist jugendlicher Täter. Wie
entwickeln diese sich, wenn sie zu Haftstrafen verurteilt werden? MARTIN BRANDENSTEIN vom
Hass in Haft
MAX-PLANCK-INSTITUT
FÜR AUSLÄNDISCHES UND INTERNATIONALES
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uf hohem Niveau, nämlich bei rund 10 000, hat
sich die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremen
stabilisiert, wie es im Verfassungsschutzbericht 2007
heißt. „Grund zur Entspannung gibt es also keineswegs“,
sagt Martin Brandenstein und verweist auf eine Konsequenz, die gern übersehen wird: „Da die Entwicklung
von Rechtsextremismus im Strafvollzug von der Forschung bislang vernachlässigt wurde, bedeutet das wiederum, dass vor allem die Jugendstrafanstalten zunehmend von einer Gruppe von Gefangenen bevölkert
werden, über die kaum etwas bekannt ist.“
Seit Dezember 2004 arbeitet Martin Brandenstein als
wissenschaftlicher Mitarbeiter in der kriminologischen
Abteilung am Max-Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht in Freiburg im Breisgau.
Während seines Studiums – er hatte zunächst Psychologie und später parallel dazu auch noch Rechtswissenschaften studiert – spezialisierte er sich auf klinisch- und
forensisch-psychologische Fragestellungen. Viele Erkenntnisse aus diesen Arbeiten flossen in seine Dissertation ein, die er in Kürze fertigstellen wird.
Hierfür entwickelte er einen Gesprächsleitfaden, mit
dem er neben der Veränderung der Identität, des
Selbstbildes, der Bindungen an rechtsextreme Überzeugungen und Gruppen auch die
Gewaltbereitschaft der Jugendlichen
im Haftverlauf untersuchte. Die Antworten sollten die Verurteilten selbst
liefern, doch dazu musste Brandenstein erst einmal an sie herankommen. „Ein fremdenfeindlicher Hintergrund einer Straftat erscheint
nicht unbedingt in den Vollzugsakten“, beschreibt er das Ausgangsproblem seiner Recherchen.
Über die Opfermerkmale kam er
schließlich doch an die gesuchten Täter. „Ich habe geschaut, wen es im
wahrsten Sinne ‚getroffen’ hat – Ausländer, Homosexuelle, Obdachlose,
Junkies, Punks oder Linke.“ Als typisch für diese Form
der Gewalt gilt nämlich, dass die Täter Personen angreifen, die sie als Angehörige einer Minderheitengruppe
identifizieren. „Selbst wenn sich das eine oder andere
Mal herausstellen sollte, dass die Tat nicht zweifellos
fremdenfeindlich motiviert war, so war gerade der Zugang über die Opfermerkmale geeignet, die Vielschich-
ist dieser Frage nachgegangen.
tigkeit und Grautöne fremdenfeindlicher Gewalt zu ergründen“, erklärt Brandenstein.
Die große Zufälligkeit der Gewalt, sich an dieser Stelle
gegenüber ausgerechnet dieser speziellen Person zu manifestieren – für Brandenstein sind das wichtige Indizien: „Zwischen Täter und Opfer existierte vor der Tat
kaum je eine persönliche Beziehung; die Opfer hatten lediglich das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein“, so der Freiburger Forscher.
Brandenstein befragte in seiner Studie gezielt Jugendliche, die ihre erste Haftstrafe verbüßten, und zu Beginn
der Untersuchung nicht länger als sechs Wochen hinter
Gittern saßen. „Das war wichtig, denn aktuelle Entwicklungen sollten sich möglichst auch auf die für den Jugendlichen neue und aktuelle Haftsituation, und nicht
etwa auf bereits vergangene Hafterfahrungen zurückführen lassen.“
Elf junge Haftinsassen konnte er auftreiben, die seine strengen Kriterien erfüllten und überdies bereit waren, mitzumachen. Zwei Mal traf sich Brandenstein mit
ihnen in der Haftanstalt: kurz nach ihrer Einlieferung,
dann noch einmal sieben bis neun Monate später. Zum
Vergleich befragte er zwei weitere Gruppen von Jugendlichen: zehn, die zwar auch wegen Gewalttaten,
allerdings ohne rechten Hintergrund, einsaßen sowie 16 Jugendliche, die wegen fremdenfeindlicher Gewalttaten mit dem Gesetz
in Konflikt gekommen waren, aber
bloß eine Bewährungsstrafe erhalten hatten.
Mit der ersten Gruppe wollte er
vergleichen, inwiefern sich fremdenfeindliche Gewaltbereitschaft anders entwickelt als nicht fremdenfeindliche. Denn nach Recherchen
in der Vorbereitungsphase deutete
sich an, dass Fremdenfeindlichkeit
und Gewaltbereitschaft nicht unbedingt miteinander gekoppelt sein
müssen. „Zumal es nicht ‚die’ Fremdenfeindlichkeit gibt,
sondern viele Ausprägungen“, stellt er fest.
Mit der zweiten Gruppe, den nicht inhaftierten fremdenfeindlichen Gewalttätern, untersuchte er, ob Veränderungen in Haft sich überhaupt auf Hafteinflüsse zurückführen lassen müssen oder ob die Ahndung eines
gewalttätigen Verhaltens möglicherweise an sich schon
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„Pech, am
falschen Ort
gewesen
zu sein.“
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Gewalt und rechte Ideologie
erleichtern Jugendlichen die
Identitätssuche: Jugendliche
beim Überfall auf ein Asylbewerberheim in Greifswald im Jahr
1992 (links) und bei einer rassistischen Demonstration (rechts).
zu Veränderungen der Einstellung oder der Gewaltbereitschaft führt, ohne dass es dazu drastischerer Maßnahmen wie einer Haftstrafe bedarf.
Mit eher gemischten Gefühlen fuhr der Forscher zu
seinen ersten Treffen mit den jungen Häftlingen. „Ich
war damals wirklich gespannt, wie das laufen wird“,
sagt Brandenstein. Schließlich erwarteten ihn da im
Besucherzimmer der Anstalt keine
Chorknaben. „Bevor man als Jugendlicher ins Gefängnis kommt,
muss man sich schon einiges
erlauben.“ Er war darauf gefasst,
seinen Interviewpartnern die Antworten auf seine Fragen in Kleinarbeit aus der Nase ziehen zu
müssen. Statt Ressentiments erlebte er in den meisten Fällen jedoch eine frappierende Offenheit. „Mir kam es so vor, als ob die
meisten froh waren, dass sich da
einer für sie interessiert und ihnen
zuhört“, stellt er fest.
Um herauszufinden, was ein
Aufenthalt im Gefängnis bei Jugendlichen bewirkt,
musste sich Brandenstein zunächst mit einer grundlegenderen Frage beschäftigen. Seine Eröffnungsstrategie: herausfinden, inwieweit die als rechtsextremistisch
oder fremdenfeindlich beurteilte Straftat tatsächlich
aus einer entsprechenden Ideologie heraus begangen
wurde und wie sich solche Neigungen inhaltlich äu-
ßern. Wichtige Fragen dabei: Handelte der Jugendliche
aus Ablehnung von sozialen Minderheiten heraus oder
lassen sich weitere Symptome feststellen – etwa Nationalismus oder Führer- und Gefolgschaftsideologien, die
auf extremere Radikalisierungstendenzen hinweisen?
Fremdenfeindlichkeit hat viele Gesichter. Was für
die Gesellschaft im Allgemeinen gilt, trifft auch auf
Subkulturen, wie der Forscher sie im
Jugendstrafvollzug antraf, zu: „Wir
haben es mit einer äußerst heterogenen Gruppe zu tun.“ Die ganze Palette sozialpädagogischer Härtefälle
habe ihm gegenüber im Gesprächsraum Platz genommen.
„Da war zum Beispiel ein Junge mit
Abitur, der als mehrfacher Brandstifter verurteilt wurde“, beschreibt er
einen Fall, der ihm besonders in Erinnerung haften blieb. „Der war nicht
auf Kontaktgewalt aus, sondern wollte vollkommen politisch motiviert
Ausländer vertreiben – absolut ideologisch durchtränkt.“ Für diesen Täter sei Gewalt ein Mittel zum Zweck – für Brandenstein ein wichtiger Punkt, denn er eignet sich als
Lackmustest, der ihm Unterscheidungsmerkmale dieser
heterogenen Gruppe liefert: „Sind es jene rechten Überzeugungstäter, die Gewalt gezielt einsetzen, handelt es
sich um Jugendliche, die Gewalt ausgeübt haben, um
sich selbst als stark und männlich zu präsentieren, war
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Entwicklungspsychologische Prozesse spielten auch in
anderer Hinsicht den Rechten in die Hände. Denn typisch
für die Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein ist eine
Phase der Identitätssuche. Durch den Pluralismus einer
postmodernen Gesellschaft werde diese Suche nach Verhaltensrichtlinien nicht eben erleichtert, sagt der Freiburger Forscher: „Unsere heutige Zeit ist durch ein immer
vielfältigeres Angebot an akzeptierten Lebensentwürfen gekennzeichnet.“ Damit geht auch die Relativierung einzelner Werte und
Normvorstellungen einher, was mit
einem Verlust an Halt verbunden ist.
Jugendlichen werde es damit wesentlich erschwert, eigene Identität
zu entwickeln. Ein Dilemma, das für
enormen psychischen Druck sorgt.
So versuchen manche Jugendliche, durch ihre Gewalttaten eine
Identität der Stärke und Macht zu
etablieren und aufrechtzuerhalten.
Und gerade die seelische Gemengelage in dieser Phase mache sie auch
verführbar für markige Propaganda mit simplen Parolen.
„Die rechte Szene zieht da mit einem starken, weil scharfen
Profil: Von der Musik über die Symbole bis hin zur Gewaltbereitschaft gibt es kaum einen Bereich, der in der
rechten Szene nicht spezifisch rechts aufgeladen ist. Da
lassen sich Jugendliche, die wissen wollen, wer sie sind
und wohin sie gehören, gerne an die Hand nehmen.“ ®
„Manchen
macht
es nur Spaß,
sich zu
schlagen.“
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„Froh,
dass sich
einer
für sie
interessiert.“
es das, was sie glaubten, machen zu müssen, um einer
bestimmten Gruppe anzugehören, oder hatten sie einfach Lust auf Randale?“
Bei näherer Betrachtung erscheint längst nicht alles
rechts, was auf den ersten Blick so aussieht. „Wir sind
oft überrascht worden“, sagt Brandenstein, „bei vielen
konnten wir gar nicht so sicher sein, ob dahinter wirklich Fremdenfeindlichkeit steckte.“
Ein Jugendlicher erzählte etwa, dass
er sich draußen mit einem Ausländer
ganz gut verstanden habe. Dann sei
er allerdings mit seiner Clique an ihm
vorbeigekommen und sei mit auf ihn
losgegangen. Da habe der Ausländer
dann halt Pech gehabt.
Für den Psychologen sind solche
Widersprüche zwischen Worten und
Taten der Jugendlichen sehr aufschlussreich. Sie geben auch einen
Hinweis auf den Entwicklungsstand
des Betreffenden, da Menschen in
bestimmten Entwicklungsphasen wie
der Pubertät und der Adoleszenz eine
höhere Bereitschaft zu aggressivem Verhalten zeigen.
Oft würden fremdenfeindliche Gewalttaten von Jugendlichen begangen, um sich ‚Luft zu machen‘“, so Brandenstein. „Bei denen dient die rechtsextremistische Ideologie dann eher als Deckmantel für Gewalt um ihrer
selbst willen, weil es ihnen Spaß macht, sich zu schlagen – ähnlich wie wir es etwa von Hooligans kennen.“
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Die Jugendstrafanstalt
Regis-Breitingen im Landkreis
Leipzig gehört zu den modernsten Deutschlands – an der
staatsfeindlichen Haltung inhaftierter rechter Gewalttäter,
die ideologisch motiviert sind,
dürfte das nichts ändern.
Auch die Ideologie spiele als Merkmal, das den Jugendlichen innerhalb der Gruppe Orientierung bietet,
eine ungemein bedeutsame Rolle: „Da es sich um eine
extreme, nämlich rechtsextreme Einstellung handelt,
müssen sie sich innerhalb der Szene nicht um Grautöne
und komplexe Differenzierungen der Meinungen scheren. Im Gegenteil, je mehr man einfach tut, was verlangt wird, desto besser.“ Nicht
minder wirksam seien das Gemeinschaftserlebnis durch die häufigen
Gruppenaktivitäten und das daraus erwachsende Gefühl der Stärke
und die Anerkennung.
Identitätsstiftend sei auch die
uniformierte Kleidung. „Sie können schon allein durch Schuhe,
Kleidung oder Haarschnitt zeigen:
Ich bin einer von denen.“ Auch
die Aufwertung der eigenen Gruppe durch Abwertung anderer
Gruppierungen ist ein Faktor, der
fremdenfeindliche von anderen
Gewalttätern unterscheidet und
eine gesonderte Untersuchung von nicht fremdenfeindlichen Gewalttätern rechtfertigt: Während es sich
bei ‚normalen’ Gewalttaten in der Regel um Konflikte
zwischen Privatleuten handelt, geht von fremdenfeindlichen Offensiven immer auch eine Botschaft für
eine ganze Zielgruppe aus: „Wir wollen euch nicht
hier haben!“
Brandenstein arbeitete in seinen Interviews hauptsächlich mit offenen Fragen, die sich nicht nur mit Ja oder
Nein beantworten lassen. „Nur so kann der Proband selbst
über sein Selbstbild entscheiden und darüber, was für ihn
wichtig ist und welche Rolle seine Einstellungen, seine
Taten, nicht zuletzt natürlich seine Straftaten für ihn spielen“, erklärt der Forscher diese Interviewstrategie.
Damit ergründet er das Verhalten
der Jugendlichen in all seiner Komplexität. Die Identität lässt eine sowohl entwicklungs- und sozialpsychologische als auch soziologische
Deutung fremdenfeindlichen gewalttätigen Verhaltens von Jugendlichen
zu. „Das Bild, das man von sich selbst
hat, kann nur dadurch erzeugt werden, dass man sich selbst mit den Augen der anderen sieht“, sagt der Psychologe: „Dies wiederum kann nur
durch Interaktion mit anderen Menschen geschehen.“
Zwischenmenschliche Interaktion
findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt: zwischen Einzelnen wie auch zwischen Gruppen, wobei solche Identitäten stets aufs Neue ausgehandelt, bestätigt oder verändert werden. Gerade Letzteres ist
wichtig: Will man herausfinden, wie sich Hafterfahrungen
auf fremdenfeindliche Täter auswirken, müsse man sich
einen spezifischen Umstand klarmachen: In der Haft beschränken sich Interaktionen auf einen äußerst kleinen
„Rechte
Szene
zieht mit
scharfem
Profil.“
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Kreis von Menschen. „Die haben immer die gleichen Leute um sich herum – Leute, die ebenfalls kriminell geworden sind“, sagt Brandenstein
„Außerdem herrschen Machogehabe und Großtuerei
und oft müssen sie sich mit Körpereinsatz verteidigen“,
erläutert er das soziale Klima im Knast. „Es sind also
denkbar ungünstige Bedingungen“, findet der Forscher.
Im Gespräch allerdings zeigten sich
einige der Jugendlichen durchaus in
der Lage, ihre Interaktionen mit den
anderen Inhaftierten distanziert zu
betrachten. „Sie sagen dann: ‚Das ist
hier ein einziger Kindergarten.’ Und
trotzdem gehört es für sie dazu, sich
körperlich zu wehren: Wenn man zu
viel mit sich machen ließe, habe man
keine Ruhe.“
Als Anzeichen, dass die Hafterfahrung die Jugendlichen läutert, mag
Brandenstein Äußerungen wie diese
jedoch nicht werten. Wie sich Freiheitsentzug auf fremdenfeindliche
Gewalttäter auswirkt, lasse sich wegen der Heterogenität dieser Tätergruppe nicht eindeutig
und pauschal beurteilen. Unter anderem hänge die Wirkung sehr vom generellen Verhältnis der Häftlinge zum
Staat ab. „Normale“ Gefangene akzeptieren die Strafe in
der Regel als eine normale Reaktion auf ihre Tat. Bei
fremdenfeindlichen Gewalttätern ist dagegen nicht auszuschließen, dass sie die Strafe für ungerechtfertigt hal-
ten und ihre Kritik am „untätigen“ Staat gar bestätigt
sehen. „Die fremdenfeindliche Gewalttat lässt sich auch
als ablehnende Botschaft gegenüber dem Staat verstehen“, erklärt er.
Strafen können üblicherweise Trotz und ein „Jetzt
erst recht“ bewirken. Daher gibt Brandenstein zu bedenken, dass rechtsextreme Jugendliche von einer Instanz bestraft werden, gegen deren
verfassungsmäßige Grundausrichtung sie mit ihrer Tat rebelliert
haben. So kann es kommen, dass
ein Jugendlicher sagt: „Jetzt werden wir auch noch dafür bestraft,
dass wir mal was in die Hand genommen haben.“ Tatsächlich ist
Brandenstein einem Jugendlichen
begegnet, der seine Entwicklung
in Bezug auf seine Gesinnung in
die Worte gekleidet habe: „Ich bin
staatsfeindlicher geworden.“
Auch die Funktion der Gewalt –
sei es als Mittel zum ideologischen
Zweck, als Identität stiftende
Handlung oder einfach des Thrills wegen – entscheide,
ob der Jugendliche weiterhin als Gewalttäter rechter
Couleur auffallen wird oder nicht. Prinzipiell gilt jedoch: Bei allen Jugendlichen lässt sich beobachten,
dass die Gewaltbereitschaft im Laufe der Haftzeit abnimmt. Das ergibt sich auch aus bisherigen kriminologischen Erkenntnissen: Denn jugendliche Gewalt ist
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„Die Strafe
bestätigt
die Kritik
am Staat.“
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tuation. Am stärksten werde die Strafe noch am Anfang
der Haft als solche empfunden. „Das“, so Brandenstein,
„ist ein Umstand, der in Politik und Öffentlichkeit kaum
Berücksichtigung findet, offenbar weil solch ein psychologischer Sachverhalt sich nicht mit der Suggestionskraft
von Zahlen verträgt, mit denen man in Haftjahren die
Schwere der Strafe zum Ausdruck bringen will.“
Das Fazit, das er aus seinen Interviews und Beobachtungen zieht, versteht sich zugleich als Plädoyer für einen Kurswechsel: „Den in ihren komplexen Grautönen
teilweise sogar widersprüchlichen Ausprägungen von
Fremdenfeindlichkeit kann man nicht mit einem Allzweckprogramm gerecht werden.“
Doch sollten die Möglichkeiten innerhalb des Jugendstrafvollzugs erweitert werden, wenn sich dieser nicht
gar offener gestalten lässt. Langjährig verurteilten Jugendlichen, die ernsthaft an sich arbeiten, sollte in Aussicht gestellt werden, schon früher als bislang wieder in
Kontakt mit der Außenwelt treten zu können. „Nur dann
können resozialisierende Bedingungen geschaffen werden, die dem an sich erzieherisch ausgerichteten Jugendstrafvollzug besser als bisher gerecht werden“, so der
Forscher. Letztlich werde es ein Problem aber immer ge-
In Jugendarrestanstalten wie
in Neustadt am Rübenberge
(links) oder in Berlin Lichtenrade
(rechts) bleiben Jugendliche nur
wenige Wochen; der Arrest soll
als Erziehungsmaßnahme dienen.
meist eher ein Phänomen, aus dem die Jugendlichen
herauswachsen.
Doch gilt dies nicht uneingeschränkt, wie Brandenstein beobachtet hat: „Je mehr die Gewalt ideologisch
motiviert ist, desto weniger scheint auch die Gewaltbereitschaft zurückzugehen.“ Insofern stellt die Entwicklung fremdenfeindlicher Gewaltbereitschaft in Haft eine
eigene Kategorie dar. Zwar geht
auch bei diesen ideologisch motivierten Tätern die Bereitschaft zurück, offene Gewalt auszuüben,
weniger aber die Bereitschaft, etwa
als Hintermann mittels delegierter
Gewalt weiterhin ideologische
Ziele zu verfolgen. „Man will sich
dann die Hände selbst nicht mehr
schmutzig machen.“
Im Übrigen berichten Jugendliche, in Haft ruhiger geworden zu
sein und auch, dass sie mit der
rechten Szene wenig bis gar nichts
mehr zu tun haben wollen. Und für
fast alle inhaftierten Jugendlichen
bekommen die primären Bezugspersonen wie die Familie plötzlich eine ganz große Bedeutung. Sie merken, dass sie sich letztlich einzig auf
diese Menschen verlassen können. „Von der rechten Clique lässt sich dagegen kaum jemand blicken“, merkt
Brandenstein an. Das heißt aber nicht, dass sich ihre
fremdenfeindliche Einstellung, soweit sie selbstständige
Bedeutung hatte, in der Haft geändert hat. Kontakt zu
Jugendlichen, etwa aus rechtsgerichteten Organisationen, kann eine Distanzierung von der rechten Szene
zudem erschweren.
Inzwischen hat der Freiburger seine Daten weitgehend ausgewertet, die Dissertation steht vor dem Abschluss. Die Fakten, die er dabei in seinen empirischen
Erhebungen zutage förderte, lassen
den strafrechtlichen Umgang mit
rechtsextremen Jugendlichen in keinem besonders positiven Licht erscheinen. Strafe als Abschreckung
sei sowieso ein stumpfes Schwert.
„Das würde ja voraussetzen, dass sie
sich drum scherten. In der Regel ist
das aber nicht so. Sie denken nicht
ernsthaft dran, überhaupt erwischt
zu werden.“ Schon allein diese Tatsache demonstriere, was von den
Diskussionen um die Erhöhung der
Jugendhöchststrafe von 10 auf 15
Jahren zu halten sei.
Auch wirke das wegen eines vermeintlichen
Abschreckungseffektes
sehr populäre Verhängen hoher Haftstrafen innerhalb der
Haft nicht unbedingt im Sinne des Erfinders. „Wenn sie
dann erst mal im Gefängnis sind, nimmt der Abschreckungseffekt mit zunehmender Aufenthaltsdauer eher
ab“, so der Freiburger Rechtsexperte. Die Jugendlichen
gewöhnen sich zwangsläufig an die entbehrungsvolle Si-
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„Von der
rechten
Clique lässt
sich kaum
einer
blicken.“
ben: „Auch behandelnder Strafvollzug bleibt am Ende in
erster Linie immer noch Strafvollzug.“
Allerdings sieht Brandenstein derzeit geringe Chancen, mit solchen Vorschlägen Gehör zu finden. Zwar
betonten Politiker und Gesetzgeber gerne die erzieherischen Grundsätze der einschlägigen Gesetze. „Doch
das ist sehr idealistisch“, sagt er. „In Wirklichkeit ist
der Sicherheitsaspekt in den letzten Jahren stark in den
Vordergrund getreten, und das schlägt sich nun auch in
den meisten der Jugendstrafvollzugsgesetze der Länder
nieder.“ Diese sind nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 31. Mai 2006 erst in diesem Jahr
vollständig in Kraft getreten. Davor gab es für den Jugendstrafvollzug nicht einmal eine eigene gesetzliche
Grundlage.
Immerhin beinhaltet das Ergebnis der Studie einen
Trost. Da sich bei den meisten dieser Jugendlichen die
Aggressionen auf natürliche Weise auswachsen, ist bei
ihnen gewöhnlich nicht damit zu rechnen, dass sie nach
der Haft wieder schwer rückfällig werden. Die stigmatisierende Wirkung von Haft könne da zwar kontraproduktiv sein, meistens dürfte aber gelten: Wo das Gesetz
versagt, hilft die Natur.
BIRGIT FENZEL