Abschlussbericht - UB Klagenfurt - Alpen-Adria

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Abschlussbericht - UB Klagenfurt - Alpen-Adria
Alrun Benedikter
"Der Rest der Bücherei (3 Autoladungen) wurde der Studienbibliothek zugewiesen und von dieser bereits übernommen"
—
Die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt in den Jahren 1931 bis
1953 zwischen Systemergebenheit und behänder Beteiligung am
nationalsozialistischen Kulturgüterraub
DISSERTATION
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktorin der Philosophie
Alpen — Adria — Universität Klagenfurt
Fakultät für Kulturwissenschaften
1. Begutachter:
Ao. Univ. — Prof. Dr. Willibald Holzer
Institut für Geschichte
2. Begutachter: Ao. Univ. — Prof. Dr. Hubert Lengauer
Institut für Germanistik
März, 2011
Inhaltsverzeichnis
Provenienzforschung, "[e]ine Art Geheimwissenschaft mit unaussprechlichem
Namen": Einleitung
...............................1
"Wohin führt all dieses Geschichtserzählen, zu was für eine[r] Art von Wissen, zu welchen Zwecken?": Vorwort
..............................15
I.
Bibliotheken —Verwaltung
I.1.
Einpassung der wissenschaftlichen Bibliotheken in das Verwaltungsorganigramm und die Ideologie des Nationalsozialismus
..............................27
I.2.
Die institutionsgeschichtliche Entwicklung der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt zur prädestinierten Anwärterin für Zuteilungen
aus dem nationalsozialistischen Raubguthort
..............................44
I.3.
Drei Direktionsperioden (1931—1953) im Spiegel der Korrespondenzakten
..............................52
I.3.1.
Wolfgang Benndorf (1931—1933)
..............................55
I.3.2.
Theodor Schmid (1933 —1942)
..............................66
I.3.3.
Richard Fuchs (1942 —1953)
..............................94
II.
Bücher —Raub
II.1.
Die Proklamierung einer genuin deutschen Bibliophilie als Teil der
kulturellen Verbrämung der nationalsozialistischen Programmatik
.............................102
II.2.
Die nationalsozialistische Raubpolitik mit dem Fokus auf die Enteignung
von Schriftgut aus privatem wie institutionellem jüdischem Besitz
..............................113
II.3.
Die Anbindung einer Provinzbibliothek an das nationalsozialistische
Verteilernetz für die eingespeisten Bücherflüsse aus "arisiertem"
Eigentum
..............................134
II.3.1.
Die Relaisstellen der Distribution: Preußische Staatsbibliothek,
Reic hstausc hstelle, Besc haf fungsamt Deutsc her Bibliotheken,
Deutsch —Ausländischer Buchtausch
..............................139
II.3.2.
Das Verlagswesen im Nationalsozialismus
..............................150
II.3.3.
Der Buchhandel im Nationalsozialismus
..............................157
II.3.4.
Die Suche nach "Evidenzen" im Rahmen der Buchautopsie
..............................161
III.
Kirchen —Sturm
III.1.
Die Amtskirchen im Nationalsozialismus zwischen Widerpart und
Gefolgschaft
.............................159
III.2.
Enteignung von Kirchenbesitz in Deutschland und Österreich
.............................177
III.2.1.
Die Beschlagnahme von Büchern im Zuge der nationalsozialistischen
Entkonfessionalisierungsmaßnahmen
.............................184
III.2.1.1. Pfarramt St. Margarethen ob Töllerberg
.............................197
III.2.1.2. Privat—Mädchenrealgymnasiums der Ursulinen in Klagenfurt
.............................202
III.2.2.
Enteignungen auf der Grundlage der "Verordnung über die Einziehung
volks- und staatsfeindlichen Vermögens"
............................206
III.2.2.1. Kronprinz—Rudolf—Hospital und Konvent der Barmherzigen Brüder in
St. Veit a.d. Glan
.............................211
III.2.2.2. Propstei Wieting im Görtschitztal
............................220
III.2.2.3. Jesuitenkloster St. Andrä im Lavanttal
............................224
III.2.2.4.Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal
............................227
III.2.2.5. Olivetanerabtei Tanzenberg
............................237
III.2.2.6. Mariannhillerstift St. Georgen am Längsee
............................239
IV.
Die Enteignung slowenischer Bibliotheken im okkupierten Oberkrain
............................243
V.
Die Auflösung der "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
unter der Sachwalterschaft der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
............................254
"Wenn eine Geschichte damit anfängt, daß man etwas findet, muß sie damit
aufhören, daß man etwas sucht": Schlusswort
............................269.
Quelleneditionen und Literaturverzeichnis
.............................274
Dokumente
.............................288
Einleitung
Aber hinter diesem Indizien- und Wahrsageparadigma erahnt man den vielleicht
ältesten Gestus in der Geschichte des menschlichen Intellekts: den des Jägers, der
im Schlamm hockend die Spuren der Beute untersucht.
(Carlo Ginzburg, Spurensicherung)
Provenienzforschung, "[e]ine Art Geheimwissenschaft mit unaussprechlichem Namen"1 : Einleitung
Im Jahr 2008 wurde im Rahmen der VÖB, der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die Arbeitsgruppe
"NS —Provenienzforschung" gegründet, der auch die Universitätsbibliothek Klagenfurt als kooptiertes Mitglied angehört. Das bis dato zehn
wissenschaftliche und allgemeine Bibliotheken2
umfassende Forum
"versteht sich als eine bibliothekarische Anlaufstelle für den Informationsaustausch über die Querschnittsmaterie Provenienzforschung" 3.
Die Mitgliedschaft der UBK, die als Organisationseinheit der Alpen —
Adria —Universität Klagenfurt mit dieser im Jahr 2010 gerade erst das
vierte Dezennium ihres Bestehens beging, in einer Arbeitsgruppe,
welche ihrerseits den institutionsgeschichtlichen Darstellungsfokus auf
die Zeit des Nationalsozialismus richtet, erschließt sich
—
anders als
1
Ingo Zechner, Von der Etablierung einer Hilfswissenschaft. Provenienzforschung
in den österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen. In: ... wesentlich mehr
Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung, edd.
Gabriele Anderl/Christoph Bazil/Oliver Kühschelm (= Schriftenreihe der Kommission
für Provenienzforschung 1, Wien/Köln/Weimar 2009) 70-84, hier 70.
2
Mitglieder der AG NS —Provenienzforschung: Österreichische Nationalbibliothek,
Wienbibliothek im Rathaus, Jüdisches Museum Wien, Universitätsbibliothek Wien,
Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien, Universitätsbibliothek
Salzburg, Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, Universitätsbibliothek Graz.
Kooptierte Mitglieder: Universitätsbibliothek Klagenfurt, Universitätsbibliothek Linz.
Siehe http://www.univie.ac.at/voeb/kommissionen/ag-ns-provenienzforschung/,
(Stand: 13.2.2011).
3
Ebd.
1
Einleitung
jene der teilnehmenden Traditionsbibliotheken
—
nicht unmittelbar als
ein moralisches und rechtliches Erfordernis.
Die Erklärung für die Aufnahme in dieses Gremium findet sich in dem
Umstand, dass die UBK auf einer ungleich älteren Einrichtung fußt, jener
der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt, welche in den Siebzigerjahren der neuen Bildungsinstitution als literarischer Kernbestand einverleibt wurde. Die mit der Gründung im Jahr 1775 verbundene Aufgabe
der Studienbibliothek als einer quasi protowissenschaftlichen Einrichtung,
"den Mittelschulprofessoren, der studierenden Jugend, der Lehrerschaft,
sowie zahlreichen Ämtern und Privaten wertvolle literarische Hilfsmittel
zu wissenschaftlicher Arbeit, Belehrung, Bildung und sonstigem Studium
zu verschaffen"4 , hatte sich mit der Realisierung einer Universität in
Kärnten erfüllt. Was zudem für eine Bestandsfusionierung sprach, war
die Tatsache, dass die Universität Klagenfurt dem Planungsentwurf
nach eine Einrichtung mit bildungswissenschaftlichem Schwerpunkt
war. Solcherart fügte sich das historische Schriftgut, welches vornehmlich
aus der Übernahme der Jesuitenbibliotheken von ganz Kärnten nach
Auflösung des Ordens 1773 sowie der Schenkung der Bibliothek des
Grafen Peter Goëss 1806 herrührte, neben dem Buchbestand, welcher
den Bildungskanon der Zeit seit Gründung der Studienbibliothek abbildet, und dem didaktischen Lehrmaterial der inkorporierten Landeslehrerbibliothek nahtlos in das Bestandsprofil der im Aufbau befindlichen
Universitätsbibliothek.
Über die Bestands- und Zuwachszahlen der Öffentlichen Studienbibliothek und der institutionell angegliederten Landeslehrerbibliothek geben
die Korrespondenzakten und Geschäftsbücher nur eine sporadische und
ungefähre Auskunft. Die zwischen 1930 und 1955 eruierten Zahlen
zeichnen folgendes Bild vom Volumen und der Entwicklungsstärke der
Institution:
4
Wolfgang Benndorf, Die öffentliche Studienbibliothek. In: Die Städte Deutschösterreichs 4: Klagenfurt, ed. Erwin Stein (Klagenfurt 1929) 222-230, hier 228.
2
Einleitung
Jahr
Druckwerke
Handschriften
Inkunabeln
1930
125.000
299
250 —300
1939
72.000 (Studienbibl.)
294
268
5.000 (Landeslehrerbibl.)
5.400 (Goëss-Bibl.)
1946
139.546
315
268
1952
157.876
320
265
1953
159.342
320
265
1954
160.251
320
265
1955
161.058
320
265
Zu den Angaben, welche sich auf den Hauptbestand der Bibliothek,
jenen der Monographien, beziehen, ist anzumerken, dass diese, ungeachtet der bis auf die letzte Ziffer genauen Zahlen, als deren Erfassungseinheit obligatorisch der "Buchbinderband" galt, keinen absoluten Wert
darstellen, da zum jeweiligen Erhebungszeitpunkt nie der gesamte
Bestand akzessioniert war. So konnte durchaus eine Spanne von
Monaten und Jahren zwischen Ankauf oder Erhalt und Bestandseingliederung liegen, zumal während des Krieges, als die Bestandspflege
gegenüber der Bestandsbergung einerseits und den Betreibungen einer
regen Beutepolitik andererseits ins Hintertreffen geriet. (Ein gutes Beispiel für die Verfahrensweise der Zahlenerhebung gibt der Bericht der
Studienbibliothek an die Reichsstatthalterei über das Verwaltungsjahr
1942/1943, siehe Abschnitt III.2.2.). Nur über den bereits vollständig
katalogisierten und zahlenmäßig überschaubaren Teilbestand der Handschriften und Inkunabeln konnte verbindlich Auskunft erteilt werden.
Wie die Tabelle zeigt, gab es in diesem Bereich lediglich geringfügige
Schwankungen in der Stückzahl.
3
Einleitung
Was sich aus den verfügbaren Zahlen ungeachtet der großen Zeitintervalle gleichwohl errechnen lässt, ist ein maximaler Bestandszuwachs von
circa 1.400 Bänden pro Jahr. Der konsternierende Zahleneinbruch 1939
im Bereich der Monographien ist als eine Abweichung des damaligen
Bibliotheksleiters gegenüber der Zählusance seiner Vorgänger und Nachfolger zu lesen. Diesfalls dürften mehrbändige Werke als 1 Gesamttitel
erfasst worden sein, was hochgerechnet etwa 130.000 Einzelbände
ergäbe
—
ein plausibler Mittelwert zwischen den Bestandszahlen der
Jahre 1930 und 1946.
In der untersuchungsrelevanten Jahresspanne von 1938 bis 1953
betrug die Anzahl der akzessionierten Titel an der Öffentlichen Studienbibliothek 4.019 Bände (Signaturenkreis: I+II 30151—34170), jene der
angeschlossenen Landeslehrerbibliothek im gleichen Zeitraum etwa
2.371 (Signaturenkreis: A+B 3554 —5925). Dieser Korpus von 6.390
Bänden bildete die Grundlage der Bestandssichtung im Hinblick auf
etwaige NS —Raubgutinfiltrate. Wobei sich der Fokus der Untersuchung
auf zwei Provenienzen im Besonderen richtete: Zum einen galt die
Nachforschung Büchern, welche zwischen der nationalsozialistischen
Machtusurpation in Deutschland 1933 und der Zerschlagung des
Regimes 1945 ihren jüdischen Eigentümern entweder durch Zwangsverkauf als Folge der Ausfuhrrestriktionen und fiskalischen Abgabeauflagen einer Emigration abgepresst, oder mit der "Arisierung" jüdischer
Vermögenswerte und der staatlichen Konfiskation der Besitztümer von
Deportationsopfern schlechtweg geraubt worden waren und über die
weitverzweigten nationalsozialistischen Verteilungskanäle auch in die
Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt gelangten. Zum anderen konzentrierte sich die Suche auf Schriftwerke aus requiriertem Kircheneigentum, das im Rahmen der Auflösung kirchlicher Einrichtungen unmittelbar nach dem "Anschluss" 1938, als auch während des so genannten "Klostersturms" 1940/41
—
einer Aktion Himmlers zur Mehrung
von Macht und Mitteln durch die Expropriation zahlreicher Stifte und
Klöster
—
dem NS —Raub —Umschlaggut hinzugefügt wurde.
4
Einleitung
Im Zuge der vorliegenden Untersuchung wurden zwei unterschiedliche
Zeitrahmen überlappend wirksam: Während es für die Darstellung der
Institutionsgeschichte sinnvoll schien, drei vollständige Direktionsperioden abzubilden
—
was der Zeitspanne 1931 bis 1953 entspricht —,
beschränkte sich die direkte Buchsuche auf den Akzessionszeitraum
1938 bis 1953. Mit dem "Anschluss" Österreichs 1938 an das Deutsche
Reich wurden auch die integrierten Bildungsinstitutionen vermehrt zu
Nutznießern eines effizienten Distributionsapparates mobiler wie immobiler Güter. Was die Ausdehnung des Untersuchungszeitraumes bis
zum Jahr 1953 anbelangt, so trägt dies zum einen der Tatsache Rechnung, dass zwischen dem physischen Einlangen eines Buches in der
Bibliothek und dessen Bestandseingliederung wie bereits erwähnt
nicht selten eine erhebliche Zeitspanne lag. Zum anderen endete 1953
die Direktionsperiode von Richard Fuchs, dessen rührige Persönlichkeit
wie Amtsführung das nicht untypische Bild einer zeitgenössischen
Beamtenlaufbahn zeichnen, von der agilen Systemassistenz über eine
geschmeidige Kehrtwendung hin zu seriöser Sachwalterschaft und
nekrologer Reputation.
Neben der Buchautopsie, der augenscheinlichen Prüfung jeder einzelnen
Literaturerwerbung innerhalb der Jahresspanne 1938 bis 1953, auf
der Suche nach Herkunftssignets und Besitzeinträgen in Gestalt von
Stempelungen, Widmungen oder Exlibris, bildeten folgende Findemittel die Quellengrundlage der Untersuchung: Allen voran die Korrespondenzakten der Öffentlichen Studienbibliothek der Jahre 1931 bis
1953. Dieser zwar nicht lückenlose, doch umfangreiche Aktenkorpus
von großer Aussagekraft wird im heutigen Universitätsarchiv verwahrt.
Als weiteres Quellenmaterial dienten die Akzessionsjournale der Jahre
1938 bis 1953 sowohl der Studienbibliothek als auch der Landeslehrerbibliothek, die neben den usuellen bibliothekarischen Kürzeln für
die vier obligatorischen Erwerbungsmodi (K oder A=Ankauf, P=Pflicht,
T=Tausch und G=Geschenk) teilweise auch Angaben zu Händlern und
5
Einleitung
Donatoren enthalten. Hinzu kamen die sehr sauber geführten Zugangshefte der Jahre 1945 bis 1951, sowie die beiden einzig noch
vorhandenen Kassa —Journale vom April 1943 bis März 1946 und vom
März 1946 bis April 1948. Eine Einsichtnahme in die archivierten
Personalakten der drei obgenannten Direktoren des institutionellen
Darstellungszeitraums ergänzte das Aktenmaterial um einige anschauliche Aspekte.
Recherchen im Österreichischen Bundesarchiv, im Kärntner Landesarchiv sowie im Archiv der Diözese Gurk dienten einer Vervollständigung der Quellengrundlage und einer Erhärtung der im letzten Abschnitt
der Arbeit erstellten, schier kriminalistischen Indizienketten. Erfolglos
hingegen verlief ein Besuch in der Kärntner Landesregierung, welcher
mit dem Bescheid endete, dass sämtliche Akten des Bildungsressorts
jener Zeit skartiert worden seien. Sehr entgegenkommend zeigte sich
demgegenüber das Priorat der Barmherzigen Brüder in St. Veit, welches
eine Einsichtnahme in die Konventchroniken gewährte. Zu den kontaktierten Einrichtungen zählen des weiteren die Bibliotheksleitung von
St. Paul im Lavanttal, das Archiv der österreichischen Jesuitenprovinz
in Wien und das Archiv des Stiftes St. Peter in Salzburg.
Die Arbeit gliedert sich in drei Abschnitte: Zuvorderst verlangt eine
Bestandsprüfung im Hinblick auf mögliche Raubbuchinfiltrate, wie sie die
NS —Provenienzforschung betreibt, nach einer organisationsgeschichtlichen Grundierung, andernfalls die Feststellung des Vorhandenseins,
des Fehlens oder des nicht zu erbringenden Nachweises von moralisch
wie rechtlich fremdem Eigentum im Gesamtbestand sich zur Tautologie
verkürzt. Auch wenn das Bild der Institution als eines Funktionsgliedes
im nationalsozialistischen Verwaltungsapparat einem landläufig bekannten Muster folgt, gebildet aus der Verstrebung von Hinnahme,
Unterordnung und agiler Beteiligung, zeigen sich im lokalhistorischen
Fokus des nationalsozialistischen Bibliotheksbetriebs doch erkenntnis6
Einleitung
mehrende Besonderheiten. Der Untersuchungszeitraum umspannt die
drei Direktionsperioden Wolfgang Benndorf (interimistisch 1931—1933),
Theodor Schmid (1933 —1942) und Richard Fuchs (1942 —1953), deren
jede für eine sich deutlich von den jeweils anderen abhebende Weise
des Verhaltens gegenüber den Offerten und Drohungen des nationalsozialistischen Regimes steht: Widersetzlichkeit, Beflissenheit und kleinmütige Unterordnung, flinke, vorteilsgewahrende Beteiligung.
Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit nimmt nach einer kulturgeschichtlich—philosophischen Introduktion über die Bedeutung des Buches
für das jüdische Volk die nationalsozialistische Raub- und Verwertungsmaschinerie im Allgemeinen und die Kulturgüterenteignung mit Fokussierung des Buchraubes im Besonderen in den Blick. Nach einer schematischen Darstellung jener Organisationen, welche vorrangig mit der
Sortierung und Verwertung des enteigneten Schriftgutes befasst waren,
untersucht die Arbeit die nutznießende Einbindung einer Provinzinstitution wie der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt in das feinmaschige Geflecht des nationalsozialistischen Güterverteilungssystems.
Der dritte Teil schließlich zeigt, nach einer Darstellung der Rolle der
Amtskirchen im Nationalsozialismus und der Situation der österreichischen Klerisei, die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt als bibliozentrierte Beteiligte am Kulturgüterraub im Raum Kärnten. In zwei abschließenden Kapiteln wird noch die Rolle der Studienbibliothek und
anderer "Kultureinrichtungen" Kärntens bei der Beschlagnahme von
Bibliotheksbeständen im besetzten Oberkrain in den Blick genommen,
sowie die Perpetuierung der während des Krieges ein- und ausgeübten
Praxis der Bestandsaufstockung durch den Zugriff auf enteignetes
Buchgut auch nach 1945 am Beispiel eines aus Berlin in die Abtei
Tanzenberg ausgelagerten und vorderhand aufgrund von Restitutionserschwernissen dort verblieben Teilbestandes der nationalsozialistischen
Zentralbibliothek der Hohen Schule.
7
Einleitung
Zum Stand der Forschung ist anzumerken, dass die Rolle der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt und ihrer Schwestereinrichtungen
im Nationalsozialismus in den wenigen Nachkriegspublikationen, welche
sich mit der Geschichte dieser Institutionen befassen, zur Gänze ausgespart bleibt. So konzentriert sich die 1948 erschienene Abhandlung
von Josef Hofinger, Die öffentlichen Studienbibliotheken Österreichs,
ganz auf die jeweilige Gründungsgeschichte der Klagenfurter, Linzer
und Salzburger Institutionen und beschließt die Darstellung bereits mit
dem Jahr 19295 . Die 1961 veröffentliche Studie von Franz Konrad
Weber, Die österreichischen Studienbibliotheken, fokussiert den
Geltungsabfall, welchen selbige von der Zeit ihrer Entstehung an bis
in die Gegenwart zu verzeichnen hatten 6.
Erst jüngster Zeit haben zwei Untersuchungen dieser Negierung ein
Ende gesetzt. Die 2009 fertiggestellte Diplomarbeit von Monika
Eichinger, Die Studienbibliothek Linz in der NS — Zeit, untersucht die
Involvierung der Linzer Institution in den nationalsozialistischen Buchraub7. Der hohe Deckungsgrad in den Ergebnissen der Arbeit Eichingers
und der vorliegenden zeigt deutlich, welche Beförderungschancen sich
gerade auch Provinzeinrichtungen und die ihnen Vorstehenden von der
Assistenz des nationalsozialistischen Systems versprachen.
Die Geschichte der dritten österreichischen Studienbibliothek, jener in
Salzburg, wird seit 2009 in Form eines von der Universität und vom
Land Salzburg finanzierten Projekts mit dem Titel Der hinterlassene
"Fingerabdruck" aufgearbeitet, das bis 2012 abgeschlossen sein soll.
Die Aufgabenstellung gilt der Beantwortung der Frage, "inwieweit die
5
Josef Hofinger, Die öffentlichen Studienbibliotheken Österreichs. In: Die Österreichische Nationalbibliothek. Festschrift. Herausgegeben zum 25jährigen Dienstjubiläum des Generaldirektors Univ. — Prof. Dr. Josef Bick, ed. Josef Stummvoll
(Wien 1948) 415-422.
6
Franz Konrad Weber, Die österreichischen Studienbibliotheken (= Biblos— Schriften
29, Wien 1961) 29-42.
7
Monika Eichinger, Die Studienbibliothek Linz in der NS—Zeit (Dipl.—Arb., Linz 2009).
8
Einleitung
Studienbibliothek Salzburg zwischen 1938 und 1945 am von den
Nationalsozialisten durchgeführten Buchraub partizipierte oder zum
Nutznießer dieses NS —Buchraubes wurde bzw. auf welche [!] anderen
Wege sie geraubtes Buchgut nach 1945 wissentlich oder im guten
Glauben erworben hat." 8
Die Publikationen jüngerer Zeit, welche explizit die Geschichte der
Universitätsbibliothek Klagenfurt zum Inhalt haben, lösen den Blick
nicht von bibliothekstechnischen Belangen. Weder der Essay des vormaligen Bibliotheksdirektors Ernst Benischke, Die Universitätsbibliothek
Klagenfurt9, noch die Universitätsschrift von Christa Herzog—Tschinder,
Zur Geschichte der Universitätsbibliothek Klagenfurt 10 , messen der
Zeit zwischen 1938 und 1945 in institutionsgeschichtlicher Hinsicht
besondere Bedeutung bei. Der einzige Text, welcher
indirekt
—
—
wenn auch nur
die Stellung der Studienbibliothek Klagenfurt im National-
sozialismus behandelt, ist der Essay von Wilhelm Wadl, Das Kärntner
Landesarchiv (Reichsgauarchiv Kärnten) in der NS — Zeit, worin die
institutionelle Einbindung auch der Bibliothek in die Machenschaften des
Reichsgauarchivs und des Reichgaumuseums am Rande angesprochen
wird11 .
Das nationalsozialistische Büchereimodell, welches die vor allem im
ländlichen Bereich kulturvermittelnd tätigen Pfarr- und im Stadtgebiet
die Arbeiterkammerbibliotheken verdrängen und indoktrinativ ersetzen
sollte, untersuc ht für den Raum Kärnten die 1998 im Eigenverlag
8
http://www.univie.ac.at/voeb/kommissionen/ag-ns-provenienzforsc hung/,
(Stand 13.2.2011).
9
Ernst Benischke, Die Universitätsbibliothek Klagenfurt. Bestand und gegenwärtige
Funktion. In: Biblos 33 (1984) 181-189.
10
C hrista Herzog, Zur Geschichte der Universitätsbibliothek Klagenfurt (Bibliothekarische Hausarbeit, Klagenfurt 1995).
11
W ilhelm Wadl, Das Kärntner Landesarchiv (Reichsgauarchiv Kärnten) in der NS —
Zeit. In: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 54, Wien 2010) 563-586.
9
Einleitung
erschienene Studie von Hannes Presslauer Das Volksbüchereiwesen 12.
Am Beispiel der nach dem "Anschluss" aufgelösten Arbeiterkammerbibliothek Klagenfurt, deren Buchbestand an die Stadtbibliothek im
Rathaus übergeben wurde, kommen der organisierte Bücherraub sowie
das Verfahren von Selektion, Einstampfung oder Umverteilung zumindest
am Rande zur Sprache. Ein erhellendes Licht auf die nämliche Praxis
im okkupierten Oberkrain werfen zahlreiche Dokumente der Edition von
Tone Ferenc, Quellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungspolitik in Slowenien 1941 —1945/Viri o nacistini raznarodovalni politiki
v Sloveniji 1941 —194513 , welche Parallelen zur Vorgehensweise bei
den Plünderungen konfessioneller Bibliotheken erkennen lassen.
Neben Einzeldarstellungen wie jener von Evelyn Adunka über die im
requirierten Kloster Tanzenberg untergebrachte Zentralbibliothek der
Hohen Schule14 oder der profunden Arbeit von Christina Köstner und
Murray Hall über die Österreichische Nationalbibliothek15
beide Arbeiten einen Nexus zu Kärnten haben
—
—
welch
sind in den letzten
Jahren zahlreiche Aufsätze zum Thema NS—Provenienzforschung erschienen, die als Werkstatt- oder Zwischenberichte Auskunft über noch
nicht abgeschlossene Untersuchungen geben, aber auch bereits beendete Bestandsprüfungen und Restitutionsfälle behandeln16.
12
Hannes Presslauer, Das Volksbüchereiwesen. Eine kulturelle Errungenschaft aus
vergangener Zeit (Villach 1998).
13
Q uellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungspolitik in Slowenien 1941—
1945/Viri o nacistini raznarodovalni politiki v Sloveniji 1941—1945, ed. Tone Ferenc
(Maribor 1980).
14
E velyn Adunka, Der Raub der Bücher. Plünderung in der NS —Zeit und Restitution
nach 1945 (= Bibliothek des Raubes 9, Wien 2002).
15
M urray G. Hall/Christina Köstner, "... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern ...". Eine österreichische Institution in der NS —Zeit (Wien/Köln/Weimar
2006).
16
Exemplarisch für NS—Provenienzforschungsprojekte in Deutschland und Österreich:
Bibliotheken in der NS—Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte, edd.
Stefan Alker/Christina Köstner/Markus Stumpf (= Publikation der Universitätsbibliothek Wien, Göttingen/Wien 2008).
10
Einleitung
Innerhalb des weiten Forschungsfeldes der nationalsozialistischen Raubpolitik im Allgemeinen und der Kulturgüterentwendung im Besonderen,
stellt die bibliothekarische Suche nach Büchern aus enteignetem Vorbesitz einen sehr speziellen Aspekt dar, welcher gleichwohl dazu angetan
ist, dem riesigen Puzzle der zeitgeschichtlichen Studien zum Nationalsozialismus das eine oder andere Erkenntnispartikel hinzuzufügen.
Jenseits der Analyse empirischer Erhebungen evozieren die Themen
Raub, Restitution und Provenienzforschung auch auf der Metaebene
Überlegungen, wie sie Aleida Assmann in dem Essay Das Gedächtnis
der Dinge17, oder Dan Diner mit Gedächtnis und Restitution 18 anstellen.
Konkret auf die Suche von Bibliotheken nach geraubten Büchern im
Bestand nimmt der Essay von Jürgen Babendreier Ausgraben und
Erinnern Bezug, in welchem der Verfasser überzeugend für die Verwendung des Begriffs "Bibliotheksarchäologie" anstelle von "Provenienzforschung", wie er sich indes als Terminus technicus für die stratigrafische
Bestandssichtung eingebürgert hat19 , argumentiert. Und tatsächlich ist die
bibliothekarische Suche nach Relikten der NS —Zeit ja gekennzeichnet
durch ihre "Tiefenstruktur"20 . Als eine solche des Raumes, finden die
"Grabungen" 21 doch überwiegend in der "stratifizierte[n] Materie" 22
und den "sedimentierte[n] Buchlagerstätten"23 der Kellermagazine und
17
Aleida Assmann, Das Gedächtnis der Dinge. In: Recollecting. Raub und Restitution.
[Textband zur gleichnamigen Ausstellung im MAK Wien], ed. Alexandra Reininghaus
(Wien 2009) 143-150.
18
Dan Diner, Gedächtnis und Restitution. In: Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, edd. Volkhard Knigge/Norbert Frei
(München 2002) 299-305.
19
Vgl. Jürgen Babendreier, Ausgraben und Erinnern. Raubgutrecherche im Bibliotheksregal. In: Bibliotheken in der NS —Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte, edd. Stefan Alker/Christina Köstner/Markus Stumpf (= Publikation
der Universitätsbibliothek Wien, Göttingen/Wien 2008) 15-41, hier 24 ff.
20
Ebd. 21.
21
Ebd. 25.
22
Ebd. 25.
23
Ebd. 25.
11
Einleitung
Speicher des Bibliotheksbergwerkes statt. Als Tiefenstruktur der Zeit,
lassen sich auch im "Linienmuster"24 der Spalten und Zeilen der Akzessionsjournale "stratifizierte Strukturen [...] mit raubgutverdächtigen
Einlagerungen (Fundgut) auf einzelnen, chronologisch, topologisch
und quantitativ unterscheidbaren Zugangsebenen [wiedererkennen]." 25
Auch den solcherart zutage beförderten Büchern haften in Form von
Widmungen, Besitzeinträgen, Stempelungen oder Exlibris Spuren an,
welche ihrerseits zurückweisen in der Zeit: "Dieser invers beschrittene
Weg zurück in vergangene Zeitabschnitte und deren Einschreibungen
und Inschriften trifft auf Fehlstellen, Überlieferungslücken, Konjekturen
und palimpsestartige Überlagerungen."26
Angewiesen auf die "Entzifferung verschiedenartiger Zeichen"27 ist
Provenienzforschung eine "Indizien[hilfs]wissenschaft"28 , die auf der
Grundlage des segmentär Aufgespürten ihren Befund stellt. Und nicht
zuletzt hat die bibliotheksarchäologische Suche auch einen tiefenpsychologischen Aspekt, zielt die metaphorisch eingebrachte archäologische Terminologie immer auch auf das Unterbewusstsein, auf die
Bergungsarbeit der Erinnerung. Freilich, "das moderne bibliothekarische
Gedächtnis verharrt vorzugsweise auf der (Benutzer —)Oberfläche." 29
Das spiegelt sich bis heute im Verhalten vieler Bibliotheken, die sich
imagebedacht zwar für eine Bestandsprüfung aussprechen, entsprechende Projekte aber nicht finanzieren, sondern die Untersuchung in Form
von Diplomarbeiten oder Dissertationen externalisieren, um hernach in
medialen Inszenierungen aus den Ergebnissen Prestigekapital zu schlagen,
24
E bd. 25.
25
Ebd. 25.
26
Ebd. 20.
27
Ginzburg, Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst
(= Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek 50, Berlin 1995) 18.
28
Vgl. ebd. 18.
29
Babendreier, Ausgraben und Erinnern (Anm. 19) 41.
12
Einleitung
ohne diese wiederum im Gegenzug zu internalisieren30.
Während in Österreich die Bundessammlungen mit der Einsetzung der
Kommission für Provenienzforschung im Jahr 1998 auf die systematische
Erfassung sämtlicher zwischen 1938 und 1945 erworbenen Kunst- und
Kulturgegenstände 31 verpflichtet wurden, "um alle Fragen über die
Besitzverhältnisse während der Zeit der NS—Herrschaft und der unmittelbaren Nachkriegszeit aufzuklären und auf der Basis des vorhandenen
Archivmaterials in den Sammlungen des Bundes und im Bundesdenkmalamt den Rechtstitel der Republik Österreich an diesen Gegenständen
zu überprüfen"32, bleiben die Universitätsbibliotheken in Österreich durch
die Ausgliederung 2002 von der gesetzlichen Auflage zur Provenienzforschung ausgenommen.
Der Tatsache, dass Bücher überwiegend keine unikalen Objekte, sondern
Massenware darstellen und mithin dem so genannten "geringfügigen
Wirtschaftsgut" zuzurechnen sind, ist anteilig die Mühsal der Suche
im Bestand geschuldet, da "der Eingang von beschlagnahmten Druckschriften geringen Werts oftmals entsprechend schlecht dokumentiert" 33
wurde und diese "schon bei ihrer Anlieferung nicht als Einheit erkennbar"34 waren. Der geringschätzige Umgang mit dem Gros der Bücher
zu Zeiten ihrer Enteignung spiegelt sich in den Schwierigkeiten der
Gegenwart, vor welche sich kleinere Bibliotheken gestellt sehen, seitens
30
Vgl. ebd. 36 und 38.
31
Restitutionsbericht 1998/1999. Bericht der Bundesministerin für Unterricht und
kulturelle Angelegenheiten an den Nationalrat über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus den Österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen gemäß
§ 2 Abs. 3, BGBl. I 181/1998, 1.
32
Ebd.
33
Margot Werner, Geraubte Bücher — Sonderfall Provenienzforschung in Bibliotheken/
Looted books — The special case of provenance research in libraries. Ein Werkstattbericht aus der Österreichischen Nationalbibliothek. In: Verantwortung wahrnehmen/Taking responsibility. NS —Raubkunst — Eine Herausforderung an Museen,
Bibliotheken und Archive/Nazi —looted art — A challenge for museums, libraries
and archives, ed. Andrea Baresel—Brand (= Veröffentlichungen der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste 7, Magdeburg 2009) 351-384, hier 357.
34
E bd.
13
Einleitung
ihrer Trägerorganisationen finanzielle Unterstützung für die einen Akt
der Selbstverpflichtung darstellenden Provenienzforschungsprojekte
zu erhalten.
Umfassende Aufmerksamkeit wird dem Thema nur dort zuteil, wo es sich
um prominente Objekte von großem materiellem Wert handelt, wie im
Falle des Klimt —Porträts von Adele Bloch —Bauer. Abseits des medialen
Interesses stehen die Alltagsgegenstände, die heute als Nippes auf den
Flohmärkten oder in Antiquariaten angeboten werden, wo potenzielle
KäuferInnen sich selten darüber im Klaren sind, dass die auratische
Geschichtshaltigkeit, um derentwillen sie die Dinge erwerben, auch eine
des Raubes und der Verfolgung sein kann. Der geringe materielle
Wert der Objekte stellt auch "aus der Perspektive unseres momentanen
Alltags"35 eine Schwierigkeit dar, wenn es um die institutionelle Unterstützung der Suche nach geraubten Büchern geht:
Vor dem Hintergrund der Wohlstandsgesellschaft verschwindet die Bedeutung
des persönlichen und individuellen Werts zusehends hinter der Masse und
Beliebigkeit der Dinge, die uns umgeben. Es fällt schwer, die Wertigkeit eines
Mantels, eines Buches oder eines Sessels in seiner historischen Dimension
zu erfassen und sich dabei nicht durch die Gegebenheiten des globalen
und massenproduzierenden Marktes irritieren zu lassen. In der aktuellen
Situation, in der die permanente Erreichbarkeit alles Materiellen
die Uhr und an jedem beliebigen, selbst virtuellen Ort
—
—
rund um
garantiert scheint,
lässt sich die individuelle Bedeutung geraubter Alltagsgegenstände für
seinerzeit Beraubte und Täter nur mit Mühe ausmachen. 36
35
Mirjam Triendl —Zadoff/Niko Wahl, Geraubt, benutzt, verbraucht. Weil Dinge
kein Gedächtnis haben. In: Recollecting. Raub und Restitution. [Textband zur
gleichnamigen Ausstellung im MAK Wien], ed. Alexandra Reininghaus (Wien 2009)
77-86, hier 80.
36
Ebd. 80.
14
Vorwort
Was geschehen ist, ist geschehen, und doch können wir uns dabei nicht beruhigen.
(Jörn Rüsen, Kann gestern besser werden?)
Die Archäologie der Restitution jedenfalls entspricht einer anthropologisch gehaltenen
Affinität von Gedächtnis und Eigentum.
(Dan Diner, Gedächtnis und Restitution)
Geschichte geht in die Vorstellungen dessen ein, was getan oder unterlassen werden
muß und wird so zum Bestandteil der sozialen Welt.
(Jörn Rüsen, Zerbrechende Zeit)
"Wohin führt all dieses Geschichtserzählen, zu was für eine[r]
Art von Wissen, zu welchen Zwecken?"37 : Vorwort
Mehr als siebzig Jahre nach der radikalen Zivilisationsaufsagung durch
den Nationalsozialismus, in den langen, klammen Schatten von Abersinn und Widerrecht, in der "dritte[n] Epoche" 38 nach der unabgeltbaren Verschuldung am Inbild des Menschentums, endlich, an der
Schwelle eines weiteren Jahrhunderts und wo möglich durch die Überschreitung dieser metaphorisch hoch aufgeladenen Markierung auf der
fingierten Zeitgeraden aus etwelchen erratischen Beharrungen gelöst,
haben vielerorts39 Bibliotheken begonnen, die Geschichtshaltigkeit ihrer
37
James E. Young, Nach—Bilder des Holocaust in zeitgenössischer Kunst und Architektur
(Hamburg 2002) 19.
38
J örn Rüsen, Zerbrechende Zeit. Über den Sinn der Geschichte (Köln/Weimar/
Wien 2001) 294.
39
" Vielerorts" meint das beispielgebende Vorgehen zahlreicher wissenschaftlicher
Bibliotheken in Deutschland, denen sich unterdessen auch die österreichische Bibliothekengemeinschaft angeschlossen hat (siehe Einleitung Anm. 2).
15
Vorwort
Bestände auf eine nie zuvor stattgehabte Art und Weise zu betrachten
und als Ergebnis dieser stratigrafischen Inspektion neu zu bewerten.
Wann zuvor in der menschheitsbegleitenden Dauer des Bestehens
dieser, ihrem Auftrag und Selbstverständnis nach institutionalisierten
mnemonischen Depots40 und Horte kollektiver Identität, hätte der intergenerationell überkommene Besitzstand zu einer ethischen Befragung
der Erwerbungsumstände und in weiterer Folge zu Gewissensnöten
oder gar Entschuldungsbestrebungen geführt? Wiewohl "[a]nzunehmen
wäre, dass Bibliothekare, die berufenen Architekten, Sammler und
Hüter des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit, im Umgang mit
ihrer Geschichte über professionelle Strategien verfügen, Erinnerung
wach zu halten, Gedächtnislücken zu schließen und Vergangenheit zu
vergegenwärtigen" 41, gingen auch an diesen Orten "der sich endlos
akkumulierenden Zeit"42 Übergabe und Entgegennahme innerhalb der
Generationenkette bruchlos und unbefragt vonstatten, getragen vom
Bewusstsein der Verantwortung für das gemeinsame kulturelle Erbe,
mit Umsicht, Sorgfalt und Sachkenntnis für das Unersetzbare sowie in
Ergebenheit an die Idee und Schönheit des Überantworteten:
Ein einfaches Beispiel aus dem Bereich des alltäglichen historischen Denkens
ist der Stolz, den Menschen über die Errungenschaften der Vergangenheit
40
Der vielstrapazierte Topos von der Bibliothek als Verortung des Menschheitsgedächtnisses geht auf einen Satz Arthur Schopenhauers zurück: "Wie schlecht
würde es also um das menschliche Wissen stehn, wenn Schrift und Druck nicht
wären! Daher sind die Bibliotheken allein das sichere und bleibende Gedächtnis
des menschlichen Geschlechts." In: Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena.
Kleine philosophische Schriften II. § 254. In: Ders., Sämtliche Werke 5, ed.
Wolfgang Löhneysen (Frankfurt am Main 1986) 14.
41
Jürgen Babendreier, Kollektives Schweigen? Die Aufarbeitung der NS —Geschichte
im deutschen Bibliothekswesen. In: Das bibliothekarische Gedächtnis. Aspekte der
Erinnerungskultur an braune Zeiten im deutschen Bibliothekswesen, edd. Sven
Kuttner/Bernd Reifenberg (= Schriften der Universitätsbibliothek Marburg 119,
Marburg 2004) 23-53, hier 23.
42
Michel Foucault, Andere Räume. In: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven
einer anderen Ästhetik. Essays, ed. Karlheinz Barck (= Reclam—Bibliothek 1352,
Leipzig 7 1993) 43. Der Hinweis auf Foucault ist einem Essay von Jürgen Babendreier
(siehe Anm. 19) entnommen.
16
Vorwort
empfinden, die von ihren Vorfahren erbracht worden sind. Sie denken über
diese Errungenschaften so, als hätten sie sie selber geleistet.43
Gleichviel ob Schriftträger oder andere Artefakte, das vorzeiten
geistvoll Ersonnene und kunstvoll Gefertigte wird zum Stifter eines auf
Ästhetik und Friktionslosigkeit basierenden Wirgefühls.
Wofern deren Entstehung und Herkunft quellenmäßig belegt ist, erzählen die Dinge der Vergangenheit
"Überreste"
—
—
die so genannten "Relikte" oder
nicht selten düstere Geschichten von Gewalt, Grausamkeit
und Unrecht, die aber längst schon allzu zeitentrückt scheinen, um in
der Rezeption der Gegenwart noch Scham oder gar Trauer
"Grundfunktion der historischen Erinnerung"44
—
—
die
über die Verletzung
einer mit dem Inbild des Menschentums verbundenen "grundsätzliche[n]
Werthaftigkeit"45 zu evozieren. Die Abständigkeit in der Zeit schließt
das Dunkel der Vergangenheit ein und vom Jetzt ab, lässt es zu, dass
vergangene Beweggründe und vergangenes Handeln als ein Fremdes,
Überwundenes, als "Barbarisches" zurückfallen in der Zeit, durch keinen
Bedeutungsbogen mit der Gegenwart verbunden. Das Überdauern der
Dinge aber, ihre Widersetzlichkeit gegen die zernichtende Macht der
Zeit, ihr schieres Da —Sein, wird zum triumphalen Beweis für die Überordnung von Geist und Schönheit über die verwerfende Endlichkeit.
Die in den Objekten materialisierte Sichtbarkeit der Vergangenheit als
solche indiziert hier bereits Sinn: "Mit dem sichtbaren Alter gewinnen
sie [die Objekte] eine eigene ästhetische Qualität. An ihnen erscheint
der ästhetische Reiz des Vergangenen. Die Dinge werden wegen ihres
puren Alters gleichsam »auratisch«."46 Zudem befördert die traditionell
solenne museale Inszenierung, die Einbettung der Artefakte in eine
43
Jörn Rüsen, Kann gestern besser werden? Zum Bedenken der Geschichte (Berlin
2003) 60-61.
44
D ers., Zerbrechende Zeit (Anm. 38) 208.
45
E bd. 204.
46
E bd. 117-118.
17
Vorwort
Aureole aus Stille, Licht, Glas und kostbaren Tuchen, noch deren
Nimbus und magische Verwandlung. Die solcherart in Augenschein
genommene Vergangenheit regt weniger zu historischer Sinnbildungsleistung an, als dass sie Andacht und Elevation zeitigt. Um über das
Wohlgefühl rein ästhetischer Erfahrung hinaus tatsächlich Geschichtsbewusstsein zu konstituieren, bedarf es des narrativen und diskursiven
Brückenschlags zwischen den Zeitalteritäten. Die radikale Negation
jener "grundsätzliche[n] Werthaftigkeit" 47, welche mit dem Inbild des
Menschentums verbunden ist, durch den Nationalsozialismus hat aber
der Möglichkeit einer Vermittlung zwischen Vergangenheit und Zukunft
in der traditionellen Form sinnbildenden historiographischen Erzählens
gleichsam das Wort abgeschnitten: "Wenn die katastrophische Krise
sich ereignet, verstummt die Sprache des historischen Sinns."48 Durch
die legitimistische Eindeutung der Vergangenheit in das chiliastische
Weltbild des Nationalsozialismus wurden die "Meistererzählungen
(master oder meta—narratives) kultureller Zugehörigkeit" 49 weit zurück in
der Zeit verdorben. Das Verdikt Theodor W. Adornos: "[N]ach Auschwitz
ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch"50, richtete sich synekdochisch
gegen jede Denkbarkeit, den Faden kollektiver Tradierung über diesen
Abgrund hinweg in einer Weise wieder aufnehmen zu können, wie sie
der detestable Vorschlag Friedrich Meineckes unmittelbar nach dem
Krieg darstellte, einen Goethe —Kult zur Heilung deutscher Identitätsschäden einzurichten:
Lyrik und Gedankendichtung mögen dann den inneren Kern solcher Feierstunden bilden. Lyrik von jener wunderbaren Art, wie sie in Goethe und Mörike
47
E bd. 204.
48
E bd. 154.
49
E bd. 146.
50
T heodor W. Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft. In: Ders., "Ob nach Auschwitz
noch sich leben lasse". Ein philosophisches Lesebuch, ed. Rolf Tiedemann (Frankfurt
am Main 3 2003) 187-205, hier 205.
18
Vorwort
gipfelt, wo Seele zu Natur und Natur zu Seele wird [...]. Wer sich ganz in sie
versenkt, wird in allem Unglück unseres Vaterlandes und inmitten der Zerstörung etwas Unzerstörbares, einen deutschen character indelebilis spüren.51
Just diesen Fluchtweg in die Beschwörung einer "kulturellen Purifikation"
wollte Adorno dem scheuenden Bewusstsein versperren:
Daß es geschehen konnte inmitten aller Tradition der Philosophie, der Kunst
und der aufklärenden Wissenschaften, sagt mehr als nur, daß diese, der
Geist, es nicht vermochte, die Menschen zu ergreifen und zu verändern.
[...] Kein vom Hohen getöntes Wort [...] hat unverwandelt nach Auschwitz
ein Recht.52
Wo aber eine Fortschreibung sich verbietet, muss sich das kulturelle
Selbstverständnis mithin neu situieren, denn "weder ist die Geschichte
zu Ende noch können wir uns jenseits ihrer selber verstehen, geschweige
denn mit anderen umgehen."53 Gerade aber das Erfordernis, sich aus
dem stummen Starren in den eigenen Abgrund zu lösen, gelähmt von
der Ungewissheit, "ob die Bereitschaft zum Unsäglichen fortwest in
den Menschen wie in den Verhältnissen, die sie umklammern"54, hat in
den vergangenen Jahren unter dem "verdächtigen Schlagwort"55 von der
"Aufarbeitung der Vergangenheit" den Verfechtern einer "Schlussstrichmentalität" und deren paradoxer Aufforderung zu Vergessen und Vergebung zugearbeitet, erhoben gemeinhin von Parteigängern derer,
die das Unrecht begingen56. Strikt gilt es, jeglicher erlösungs- und versöh51
Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe (Wiesbaden 1946) 175-176.
52
Theodor W. Adorno, Meditationen zur Metaphysik. In: Ders., "Ob nach Auschwitz
noch sich leben lasse". Ein philosophisches Lesebuch, ed. Rolf Tiedemann (Frankfurt
am Main 3 2003) 472-515, hier 477.
53
Rüsen, Zerbrechende Zeit (Anm. 38) 1.
54
Theodor W. Adorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit. Vortrag vor
dem Deutschen Koordinationsrat der Gesellschaft für Christlich—Jüdische Zusammenarbeit, Wiesbaden 1959. In: Ders., "Ob nach Auschwitz noch sich leben lasse".
Ein philosophisches Lesebuch, ed. Rolf Tiedemann (Frankfurt am Main 3 2003)
31-47, hier 31.
55
V gl. ebd. 31.
56
V gl. ebd. 31.
19
Vorwort
nungsheischender Rhetorik und Gestik perhorreszierend gewahr zu sein,
um sich ihr im Bewusstsein zu versagen:
[D]aß der beschädigte kollektive Narzißmus darauf lauert, repariert zu
werden, und nach allem greift, was zunächst im Bewußtsein die Vergangenheit in Übereinstimmung mit den narzißtischen Wünschen bringt, dann aber
womöglich auch noch die Realität so modelt, daß jene Schädigung ungeschehen gemacht wird. 57
Es gibt mithin keine Rückkehr in die "universal[e] Munterkeit"58 einer
allem Bestehenden irgend "Sinn" bescheinigenden Positivität. Dass der
sedierende Bann nur durch "helles Bewußtsein"59 sich lösen lässt, ist
wohl eine indisputable Tatsache, aber noch keine konkrete Handlungsanleitung, sodass sämtliche Betreibungen fortwährend Gefahr laufen,
sich in den allem Tun inhärenten Fallstricken zu verfangen. Während auf
der einen Seite die "ständige Evokation seiner [des Nationalsozialismus]
Embleme"60 das Geschehene inflationiert, zur Folie "einer sich ausbildenden zweifelhaften internationalen Moralkultur" 61 zu verflachen droht,
führen Schweigen und Nicht—Handeln unvermeidlich zum Vergessen,
denn "[i]n der Passivität des Nicht —Ausdrucks endet die Aktivität der
Erinnerung." 62
In ganz unterschiedlichen Leistungen der Gegenwart, persönlichen wie
kollektiven, wissenschaftlichen wie künstlerischen, meint der Geschichtstheoretiker und -philosoph Jörn Rüsen immerhin "symptomatische Indikatoren"63 für eine gemeinsame Anstrengung zu sehen, den fundamentalen
57
E bd. 39.
58
D ers., Meditationen zur Metaphysik (Anm. 52) 489.
59
D ers., Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit (Anm. 54) 31.
60
D an Diner, Den Zivilisationsbruch erinnern. Über Entstehung und Geltung eines
Begriffs. In: Zivilisationsbruch und Gedächtniskultur. Das 20. Jahrhundert in der
Erinnerung des beginnenden 21. Jahrhunderts, ed. Heidemarie Uhl (= Gedächtnis
— Erinnerung — Identität 3, Innsbruck 2003) 17-34, hier 28.
61
E bd. 28.
62
Rüsen, Zerbrechende Zeit (Anm. 38) 123.
63
E bd. 294.
20
Vorwort
Bruch im intergenerationellen Zusammenhang zu überbrücken, ohne ihn
zugleich "heilen" zu wollen. Nach dem Beschweigen und der Exterritorialisierung des Mitverantworteten in der ersten, nach der moralistischen Kritik und Abgrenzung der zweiten Generation, der ihr konformen Identifikation mit den Opfern, aber auch strikten Zurückweisung
des intergenerationellen Zusammenhangs mit den Tätern, tastet sich die
dritte Nachkriegsgeneration an eine Sprache heran, die die Krise
weder ausspart noch normalisiert, sondern auf eine Weise zum Ausdruck bringt, die "aus der negativen Erfahrung der Vergangenheit
den Funken einer anderen Zukunft als Handlungsperspektive schlägt."64
Die Schwierigkeit, "eine Tradition für das Gedenken eigener Schuld
zu finden" 65, erfordert ständige, ungenügsame, diskursive Selbstbewachung, Super —Revision, Meta —Reflexion, andernfalls das Memento
sich in der pädagogischen Zurichtung der Vergangenheit zum Lehrstück,
im Bannkreis zeremoniell eingehausten Gedenkens, affektentleerter
Betroffenheitsrhetorik und Untatenlitanei66 , in eine weitere Variante
des "leeren und kalten Vergessen[s]"67 verkehrt, hinter deren Gewahrseinsfassade die Gegenwart längst wieder "umso unabgelenkter den
Geschäften nach[geht]." 68 Im Rahmen des Geschichtsmodells von Jörn
Rüsen betrachtet, kann auch NS —Provenienzforschung Ausdruck eines
identitätsausrichtenden und zukunf tsweisenden "Historisierungsschritt[es]"69 sein, in welchem die Institutionen den genealogischen Zusammenhang mit der Nazi—Zeit sich selber zuschreiben:
64
E bd. 299.
65
Young, Nach —Bilder des Holocaust (Anm. 37) 14.
66
V gl. ebd. 14.
67
A dorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit (Anm. 54) 42.
68
Rolf Tiedemann, "Nicht die Erste Philosophie sondern eine letzte". Anmerkungen zum
Denken Adornos. In: Theodor W. Adorno, "Ob nach Auschwitz noch sich leben
lasse". Ein philosophisches Lesebuch, ed. Rolf Tiedemann (Frankfurt am Main 3 2003)
7-27, hier 13.
69
Rüsen, Zerbrechende Zeit (Anm. 38) 299.
21
Vorwort
Das setzt eine intergenerationelle Übertragung der Verantwortung voraus,
die die unterschiedlichen Instanzen der Verantwortung für die früheren und
späteren Generationen in eine gemeinsame Subjektivität zusammenbindet
—
quer zur Trennung von Schuld und Unschuld.70
Allerdings ist auch dieses Tun nicht gefeit vor versöhnungssuggestiver
Instrumentalisierung seines Gegenstandes, insonderheit dort, wo es
darum geht, das von der jeweiligen Sammlung absorbierte und nunmehr ausgelöste Eigentum zu restituieren. Die Erleichterung und Frohgestimmtheit, die in den Berichten der Restituierenden über erfolgreich
getätigte Rückerstattungen ja durchaus verständlicherweise mitklingen,
haben im Kern doch auch immer etwas von jenem kathartischen Gehalt
der Verszeile: "Es ist so gut, als wär es nicht gewesen"71
—
welche im
Faust bezeichnenderweise vom Teufel gesprochen wird. Die Rückgabe
eines entwendeten Gegenstandes hebt lediglich den Tatbestandes des
Raubes auf, von einer "restitutio in integrum", einer "Heilung" der verletzten Integrität durch den Restitutionsakt kann keine Rede sein72 :
[E]s ist völlig klar, dass sich gestohlene Erinnerungen und geraubtes Leben
nicht restituieren lassen. Im Gegenteil: Die Wiederkehr der Dinge kann
nicht nur Entlastung, sondern auch Belastung sein. Das alles lässt sich nicht
auflösen: Die Geschichte der Vernichtung hat auch dem Vergessen jede Unschuld genommen.73
"Die Suche der Bibliothekare nach geraubten Büchern ist ein Akt der
Erinnerung"74 , der das "Tätergedächtnis"75 von eben dieser dispensiert,
70
D ers., Kann gestern besser werden (Anm. 43) 69-70.
71
Johann Wolfgang Goethe, Faust II. In: Werke in zehn Bänden 4: Dramen (Stuttgart/
Hamburg/München 1961) 377.
72
V gl. Assmann, Das Gedächtnis der Dinge (Anm. 17) 146.
73
H arald Welzer, Die mnemische Energie der Dinge. Über einen subkutanen Aspekt
des Restitutionsproblems. In: Recollecting. Raub und Restitution. [Textband zur
gleichnamigen Ausstellung im MAK Wien], ed. Alexandra Reininghaus (Wien
2009) 97-104, hier 104.
74
B abendreier, Ausgraben und Erinnern (Anm. 19) 35.
75
Ebd. 35. Zu "Tätergedächtnis" siehe auch: Aleida Assmann, Der lange Schatten der
Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik (München 2006) 81-83.
22
Vorwort
wenn Restitution dazu dient, Erinnerungsfrieden zu stiften. Die der Bibliothek seitens der Gesellschaft zugewiesene Funktion eines Gedächtnisspeichers nimmt die eigene Vergangenheit nicht aus. Gerade im Umgang
mit dieser erweist sich ihre mnemonische Eignung. Die Institution, welche
sich der Gedächtnisarbeit unterwindet, muss gewahr sein, dass dieses
Unterfangen niemals den Endpunkt getaner Schuldigkeit erreicht:
Wer sich der eigenen verschütteten Vergangenheit zu nähern trachtet, muß
sich verhalten wie ein Mann, der gräbt. Vor allem darf er sich nicht scheuen,
immer wieder auf einen und denselben Sachverhalt zurückzukommen
—
ihn
auszustreuen wie man Erde ausstreut, ihn umzuwühlen, wie man Erdreich
umwühlt. 76
In diesem Sinne spricht sich Jürgen Babendreier dafür aus, den seiner Ansicht nach auch mit der Erweiterung um das Präfix "NS" allzu nebulosen
und euphemistischen Begriff "Provenienzforschung", welcher sich indes
als Terminus operandi für die bibliothekarische Erinnerungsarbeit durchgesetzt hat, durch jenen der "Bibliotheksarchäologie" zu substituieren,
um solcherart den der Untersuchung immanenten methodischen Charakter
einer stratigrafischen Schürfung, die nicht auf eine Glättung der Verwerfungen sondern auf Entdeckung zielt, terminologisch zu konturieren.
Desgleichen verweist er auf Analogien zwischen der bibliothekarischen
Vorgehensweise und jener der Psychoanalyse:
Bibliotheksarchäologie ist eine Disziplin zur Aufdeckung einer nicht nur verschütteten, sondern verdrängten, unbefriedeten Vergangenheit, an die sich zu
erinnern Unlust bereitet. Sie dient der Anamnese einer pathogenen Epoche.
Provenienzforschung dagegen ist eine Disziplin zur Reaktivierung einer
zwar vergessenen, aber sozial und kulturell befriedeten Vergangenheit. 77
76
Walter Benjamin, Ausgraben und Erinnern. In: Gesammelte Schriften 4.1. (Frankfurt
am Main 1 1972) 400.
77
B abendreier, Ausgraben und Erinnern (Anm. 19) 27. Die Kursivschreibung im
Zitat rekurriert auf das antipodische Begriffspaar: "unbefriedetes und befriedetes
Vergessen", welches Harald Weinrich, abgeleitet aus der psychoanalytischen Terminologie Siegmund Freuds, verwendet. Siehe dazu: Harald Weinrich, Lethe. Kunst und
Kritik des Vergessens (München 1997) 174.
23
Vorwort
Die Selbstprüfung von Institutionen
—
in diesem Fall von Bibliotheken
—
im
Hinblick auf den je eigenen Beitrag zum reibungslosen Funktionieren
eines totalitären Regimes und die daraus sich ergeben habende Unabweisbarkeit der Einreihung in die Gruppe der Mittäter, Nutznießer
und Multiplikatoren des Nationalsozialismus
—
sei es durch den submit-
tierenden Vollzug antijüdischer Gesetze, die skrupellose Bereicherung
an "arisiertem" Raubgut, konfisziertem politischem Schrifttum oder requiriertem Kirchenbesitz, sei es durch Mittelmaß und Trägheit
—
ist (auch)
von der auffordernden Notwendigkeit einer Klärung informationsethischer Fragen der Gegenwart angestossen. Die Geschwindigkeit, mit
welcher das Buch seiner epistemischen Autorität verlustig geht, um zum
"Printmedium" zu egalisieren, die auch in der Terminologie sich
spiegelnde Entgrenzung von Wissen zum ungerichteten Fließen der
Informationen im Hypertext, macht eine Konsolidierung der institutionellen Identität dringlich. Die Kontraktion raumzeitlicher Ausdehnung zur
Allgegenwart im Cyberspace, das fungible Manipulieren mit Zeitalteritäten, die Funktionsreduktion von Geschichte zum Ausstattungsfundus virtueller Rollenspiele, die Verflüssigung auch noch der letzten
Unterscheidbarkeit von Sein und Schein in "Second Life"78 , die demiurgische Selbstschöpfung in der Welt der Avatare79 lassen das historische
Denken und Deuten der prophezeiten "Furie des Verschwindens" 80
anheimfallen.
Die rasante wissenschaftliche Entwicklung der letzten Jahre in den
Bereichen Computertechnologie, Biochemie und Quantenphysik, scheint
geleistet zu haben, was das historische und philosophische Denken so
78
S econd Life: Second Life ist eine Online —3D —Infrastruktur für von Benutzern gestaltete, virtuelle Welten, in denen Menschen durch Avatare interagieren, spielen,
Handel treiben und anderweitig kommunizieren können.
Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Second_Life (Stand: 14.2.2011).
79
Avatar: Ein Avatar ist eine künstliche Person oder ein grafischer Stellvertreter einer
echten Person in der virtuellen Welt, beispielsweise in einem Computerspiel.
Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Avatar_(Internet) (Stand: 14.2.2011).
80
T iedemann, "Nicht die Erste Philosophie sondern eine letzte" (Anm. 68) 13.
24
Vorwort
hartnäckig und spielverderbend verweigert, die Generierung eines
Grundgefühls vollständigen Neubeginns: "Nicht das Ende der Geschichte
ist herangekommen, [...] aber der Ausfall jedes historischen Bewußtseins
absehbar; er bringt das Denken nicht um das beste, nur um alles." 81
Das Ansinnen, sich einer Menschheit vor Erfindung von Internet, Handy,
Chat, Twitter und I—Pod zugehörig fühlen zu sollen, erscheint heute schon
vielfach als Morosität und Ressentiment einer Zukunft gegenüber, von
der die missgünstigen Mahner sich ausgeschlossen wissen. Die eingangs
erwähnte Schwelle zu einem neuen Jahrhundert/Jahrtausend scheint
parallel zur Evokation von Endzeitvisionen
—
—
Verheißungen einer
"schönen, neuen Welt" zu befördern, wie sie Michio Kaku, Professor
für Theoretische Physik verspricht:
Heute gleichen wir wieder Kindern, die am Strand entlanglaufen. [...] Vor uns
liegt ein neues Meer, das Meer der unendlichen wissenschaftlichen Möglichkeiten und Anwendungen, die uns in zunehmendem Maße die Fähigkeit
verleihen, die Kräfte der Natur nach unseren Wünschen einzusetzen und
zu gestalten.82
Der Zukunftsentwurf greift nicht zu kurz, er extrapoliert nicht weniger
als den "Weg zur planetaren Zivilisation"83 : "Über das wunderbare
Phänomen, das man Intelligenz nennt, konnte man früher nur staunen;
in Zukunft werden wir in der Lage sein, es nach unseren Wünschen zu
manipulieren."84 Einzig die Sorge, dass der ansonsten gewissen Entwicklung "eine Naturkatastrophe, ein Krieg oder ein Zusammenbruch der
Umwelt dazwischenkommt"85 , verschattet noch die glänzende Aussicht.
Erfüllt von der Berufung, mit Hilfe der Wissenschaft "unsere Bestimmung
81
E bd. 14.
82
Michio Kaku, Zukunftsvisionen. Wie Wissenschaft und Technik des 21. Jahrhunderts
unser Leben revolutionieren (München 2000) 16.
83
E bd. 30.
84
E bd. 21.
85
E bd. 425.
25
Vorwort
[zu] erfüllen und unseren Platz unter den Sternen ein[zu]nehmen"86 ,
erscheinen dem Zukunftsweisenden die möglichen Verhinderungsgründe
seiner Utopie als Marginalien, schäbige Altlasten einer rasch sich verjüngenden Zeit.
Auf dass die Vision nicht zum "Ersatz für den Traum [werde], daß die
Menschheit die Welt menschlich einrichte, den die Welt der Menschheit hartnäckig austreibt"87 , müht sich unterdessen noch die Sisyphusarbeit des historischen Denkens, Deutens und Tuns.
86
E bd. 416.
87
A dorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit (Anm. 54) 41.
26
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
Andere waren umgekehrt der Meinung, zuallererst müssten die überflüssigen Bücher
ausgemerzt werden. Sie brachen in die Sechsecke ein, zeigten nicht immer falsche
Beglaubigungsschreiben vor, blätterten verdrossen in einem Band und verdammten
ganze Regale. Ihr hygienischer Asketeneifer trägt die Schuld daran, dass Millionen
Bücher sinnlos vernichtet wurden.
(Jorge Luis Borges, Die Bibliothek von Babel)
Jedes Verbot, jede Form der Beschneidung, Zerstörung, Raub oder Plünderung lässt
(zumindest als gespenstische Schattenexistenz) eine vernehmbarere, klarere, dauerhaftere Bibliothek des Verbotenen, Geraubten, Zerstörten oder Beschnittenen entstehen.
(Alberto Manguel, Die Bibliothek bei Nacht)
Museen und Bibliotheken sind Heterotopien, in denen die Zeit nicht aufhört, sich auf
den Gipfel ihrer selber zu stapeln und zu drängen [...].
(Michel Foucault, Andere Räume)
I.
Bibliotheken —Verwaltung
I.1. Einpassung der wissenschaftlichen Bibliotheken in das Verwaltungsorganigramm und die indoktrinative Programmatik des Nationalsozialismus
Unter dem zeitgeschichtlichen Terminus operandi "NS —Provenienzforschung" ist die bibliothekarische Bestandsprüfung in praxi einesteils
mit der Sichtung von Korrespondenzakten, Zugangsverzeichnissen, Akzessionsjournalen und Kassabüchern zum Zweck der Erstellung einer
Kontrahentenliste der jeweiligen Institution befasst, um über die Zugangswege und Lieferanten ihrer Anlage nach "bedenkliche" Erwerbungen im
Bestand zu markieren, anderenteils mit der Buchautopsie, das heißt, der
haptischen Inspektion jeder einzelnen Literaturerwerbung zum Mindesten
27
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
innerhalb der Jahresspanne 1938 —1945, auf der Suche nach Besitzeinträgen und Herkunftsspuren, so genannten "Evidenzen", in Gestalt von
Amts- oder Namensstempeln, Autogrammen, Zueignungen oder Exlibris.
Der konzeptuelle Bestandsaufbau einer Bibliothek ist in nämlichem
Maße Ausdruck ihres gesellschaftlichen Auftrages, ihrer fachlichen Ausrichtung und speziellen Funktion im Konnex der für die Verwaltung und
Erschließung sämtlicher Wissensbehältnisse zuständigen Einrichtungen,
wie item die Modalitäten der Bucherwerbung Ausweis der vertretenen
Geschäftspolitik sind. Mit der Verschränkung beider tritt das Profil der
Institution zutage.
Die Entscheidung darüber, welche Literatur angekauft und seitens
welcher Vertriebsstelle bezogen, welcher Kandidat aus dem Kreis der
Anbieter als Tauschpartner in Frage kommt oder wessen Schenkung
bestandsergänzend angenommen wird, vollzieht sich, wiewohl eingepresst in den zumeist engen Rahmen budgetärer Möglichkeiten und
politischer Einflussnahmen, im letzten doch innerhalb eines
es noch so schmalen
—
—
und sei
freien Entscheidungsraumes der Bibliothek. Daher
verlangt eine Bestandsprüfung mit dem Fokus auf mögliche Raubbuchinfiltrate, wie sie die NS—Provenienzforschung betreibt, zuvorderst nach
einer organisationsgeschichtlichen Matrix. Andernfalls wird die Feststellung des Vorhandenseins, des Fehlens oder des nicht zu erbringenden
Nachweises von moralisch wie rechtlich fremdem Eigentum im Gesamtbestand zur Tautologie, zur bloßen Abbildung eines Ist —Zustandes.
Im Zentrum der Untersuchungen der Nachkriegszeit über das formale
Funktionieren totalitärer Herrschaft steht der verwaltende Apparat,
dessen organigrammatischer Aufbau und machtleitende Durchdringung
des politischen Körpers bis ins letzte Amtsstubenglied.
Als richtungweisend für sämtliche Analysen zu Wesen und Struktur
totalitärer Regime
—
primär von Nationalsozialismus und Stalinismus
—
kann man die Arbeit von Hannah Arendt bezeichnen. Historiographie
28
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
und Theorie in einem, beschreibt sie die Hypertrophie der k.k. Bürokratie im Nationalsozialismus als Herrschaftstechnik und ermittelt die
Multiplikation der Instanzen und Doppelbesetzung der Funktionen, den
permanenten Umbau von Hierarchien und die daraus resultierende Verlagerung des Machtzentrums, die absichtsvolle Verhinderung von Durchblick und Sachkenntnis und die willkommene Entbindung aus lästigem
Verantwortungsbewusstsein durch die Parzellierung der Entscheidungsräume, die gesamthafte Strukturlosigkeit des Apparates als paradoxe
Wesensmerkmale des totalitären Regimes88 . Der polykratische Charakter
des NS—Staates spiegelt sich im Aufbau eines jeden Segments der Verwaltung, explizite im Bereich der Bildungspolitik89 .
Im Zuge der gesetzlichen Verankerung des weltanschaulichen Monopols
der NSDAP90 war gerade die Gleichschaltung des Bildungswesens ein
vorrangiges Ziel der nationalsozialistischen Bildungspolitik. Um die ideologische Festigung der unter dem Begriff "Volksgemeinschaft" beschworenen, neuen staatlichen Verfasstheit zu gewährleisten, musste der Einzelne
über die schulische Erziehung hinaus geistig unter Kuratel des Staates
genommen werden, der im herrisch —usurpatorischen Sprachduktus der
nämlichen Programmatik "das Recht auf den ganzen Menschen"91 beanspruchte. Der Gestellungsbefehl zur Indoktrination erging an die
88
H annah Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft. Antisemitismus,
Imperialismus, totale Herrschaft (München/Zürich 12 2008). Vgl. vor allem Kapitel
III/12, 814-867.
89
Vgl. Jan—Pieter Barbian, Die Bibliotheksbürokratie. Politische Kontrolle und Steuerung
des wissenschaftlichen Bibliothekswesens durch das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in den Jahren 1934 bis 1945. In: NS —Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek. Vorträge des Berliner
Symposiums am 3. und 4. Mai 2007, edd. Hans Erich Bödeker/Gerd —Josef Bötte
(München 2008) 11-33, hier 12 ff.
90
Vgl. "Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat" vom 1.12.1933, RGBl.
1933 I, 1016. Abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus.
Ausgewählte Schriften, Gesetze und Gerichtsentscheidungen von 1933 bis 1945,
edd. Martin Hirsch/Dietmut Majer/Jürgen Meinck (Köln 1984) 284-285.
91
A lfred Rosenberg, Blut und Ehre 2: Gestaltung der Idee. Reden und Aufsätze von
1933 —1935 (München 7 1938) 182.
29
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
Kultureinrichtungen bereits in der Regierungserklärung Adolf Hitlers
vom 23. März 1933:
Unser gesamtes Erziehungswesen
Rundfunk
—
—
das Theater, der Film, Literatur, Presse,
sie werden als Mittel zu diesem Zwecke angesehen und dem-
gemäß gewürdigt. Sie haben alle der Erhaltung der im Wesen unseres
Volkstums liegenden Ewigkeitswerte zu dienen; [...].92
Den theoretischen Anspruch auf monolithische Geschlossenheit des
Führerkorps
—
—
vielbeschworen im Bild der "marschierenden Kolonne" 93
unterlaufend, "wurde in der nationalsozialistischen bildungspolitischen
Praxis jedoch ein Neben- und Gegeneinander von staatlichen Behörden
und Parteistellen sowie Parteisonderbeauftragten deutlich, dem eine
verwirrende Aufteilung bzw. Doppelung von Zuständigkeiten zu Grunde
lag, [...]. Eine tatsächliche Einheitlichkeit des Bildungswesens war also
kaum vorhanden."94
Als zentrales Organ der Durchführung und Verwaltung der Gleichschaltung wurde am 1. Mai 1934 per Erlass ein alle Bildungsbereiche
umfassendes Ministerium eingerichtet, das "Reichsministerium für
Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung"95, dessen Funktionsbestimmung
vetoresistent dem Reichskanzler persönlich oblag und am 11. Mai 1934
seine Festschreibung erfuhr96 . Mit der Leitung des neuen Ressorts wurde
der preußische Kultusminister Bernhard Rust betraut, der nunmehr zwei
92
Regierungserklärung Adolf Hitlers vor dem Reichstag vom 23.3.1933. Teilw. abgedr.
in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 96.
93
Rosenberg, Blut und Ehre 2: Gestaltung der Idee (Anm. 91) 303.
94
Deutsche Verwaltungsgeschichte 4: Das Reich als Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, edd. Kurt G. A. Jeserich/Hans Pohl/Georg —Christoph von Unruh
(Stuttgart 1985) 967.
95
"Erlaß über die Errichtung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und
Volksbildung" vom 1.5.1934. RGBl. 1934 I, 365. Vgl. Otto Graf zu Rantzau, Das
Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (= Schriften
der Hochschule für Politik 2: Der organisatorische Aufbau des Reiches 38, Berlin
1939) 5.
96
" Erlaß über die Aufgaben des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und
Volksbildung" vom 11.5.1934. RGBl. 1934 I, 375. Ebd. 5.
30
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
Ministerien in Personalunion innehatte: "Beide Behörden arbeiteten
unter Rust in Realunion, [...] die sich in der Namenserweiterung des
Ministeriums zu »Reichs- und Preußisches Ministerium für Wissenschaft,
Erziehung und Volksbildung« am 20. Dezember 1934 ausdrückte."97
Die ad mandatum Hitlers begründete Institution schnitt tief in den Kompetenzbereich zweier anderer Staatsstellen. Zum einen in jenen des Reichsinnenministeriums unter Wilhelm Frick, welches mit dem lapidaren Wortlaut der Verfügung ohne viel Federlesens um die Bereiche Wissenschaft, Erziehung und Unterricht, Jugendverbände sowie Erwachsenenbildung kupiert wurde: "Auf den bezeichneten Gebieten ist der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung für alle Aufgaben
einschließlich der Gesetzgebung federführend."98 Das kontrollverfeinernde
Panopticon99 war als Ressorthexaeder konzipiert, gebildet aus dem
Zentralamt, Ministeramt, Amt für Erziehung, Amt für körperliche
Erziehung, Amt für Volksbildung und Amt für Wissenschaft. In den
Zuständigkeitsbereich des Letztgenannten fielen die politische Kontrolle
und Steuerung des gesamten wissenschaftlichen Büchereiwesens100 .
97
D eutsche Verwaltungsgeschichte 4: Das Reich als Republik und in der Zeit des
Nationalsozialismus (Anm. 94) 969.
98
" Erlaß über die Aufgaben des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung
und Volksbildung" vom 11.5.1934. RGBl. 1934 I, 375. Vgl. Rantzau, Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (Anm. 95) [5]-48.
99
Das Panopticon ist ein auf den französischen Philosophen und Begründer des klassischen Utilitarismus Jeremy Bentham (1748—1832) zurückgehendes Konzept zum Bau
von Einrichtungen, die eine hohen Disziplinierungsdruck auf die Internierten ausüben, wie Gefängnisse, Erziehungsanstalten aber auch Fabriken. Den architektonischen wie psychologischen Mittelpunkt der Konstruktion bildet ein Beobachtungsturm, dessen Funktion darin besteht, durch die Erzeugung eines permanenten
Überwachungsdrucks regelkonformes Verhalten zu erzwingen.
Für den französischen Philosophen Michel Foucault (1926—1984) ist das Panopticon
das wesentliche Ordnungsprinzip westlich —liberaler Gesellschaften.
Jeremy Bentham, Panopticon or The Inspection— House. Containing the idea of a new
priciple of construction applicable to penitentiary —houses, prisons, and schools
(London 1791).
Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (Frankfurt
am Main 1 1976).
100
Vgl. Deutsche Verwaltungsgeschichte 4: Das Reich als Republik und in der Zeit
des Nationalsozialismus (Anm. 94) 970.
31
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
Zum anderen sah sich das am 13. März 1933 per Erlass etablierte
"Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda"101 unter der
Ägide Joseph Goebbels in seinem Anspruch auf die alleinige Kontrolle
und Lenkung der deutschen Kulturpolitik im Inland empfindlich in die
Parade gefahren. Mit der Übertragung der Oberaufsicht über "alle
Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation und [über die]
Verwaltung aller diesen Zwecken dienenden Einrichtungen" 102 hatte
Hitler per Erlass vom 30. Juni 1933 dem Propagandaministerium einen
ähnlich umfassenden Geltungsbereich zugewiesen wie vice versa dem
Bildungsministerium, was als Ausdruck seiner Affinität für pugilistische
Machtregulierungen gewertet werden kann, wonach "die Entscheidung
ohne Rücksicht auf die Rechtslage zugunsten des Stärkeren zu fällen
[ist], also des Mannes mit den kräftigeren Ellenbogen und den dickeren
Gewissensschwielen."103 In Anbetracht dieser heiklen Atmosphäre aus
"Überorganisation und Überhitzung"104 erscheint die Folgerung zwingend,
dass "niemals in der deutschen Geschichte [...] der »Parteihader« heftiger,
der gegenseitige Haß der Verantwortlichen größer, die charakterliche und
materielle Korruption verbreiteter [waren], als zur Zeit der Regierung
Hitlers."105 Der Danziger Senatspräsident Hermann Rauschning unterstreicht in den Gedächtnisprotokollen seiner mit Hitler geführten Gespräche das Moment der Steuerung hinter den herrschenden Zuständen:
"Es ist keineswegs so, daß er [Hitler] sie nur duldete und daß ihm hier
101
"Erlaß über die Errichtung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda" vom 13.3.1933. RGBl 1933 I, 104. Abgedr. in: Recht, Verwaltung und
Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 87) 225.
102
"Verordnung über die Aufgaben des Reichsministeriums für Volksaufklärung und
Propaganda" vom 30.6.1933. RGBl 1933 I, 449. Abgedr. ebd. 226.
103
Albert Krebs, Tendenzen und Gestalten der NSDAP. Erinnerungen an die Frühzeit
der Partei (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 6, Stuttgart 2 1960) 66.
104
Georg Thomas, Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft (1918 —
1943/45), ed. Wolfgang Birkenfeld (= Schriften des Bundesarchivs 14, Boppard
am Rhein 1966) 32.
105
Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem (München 2 2006) 239.
32
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
etwas über den Kopf wuchs."106 Die "absichtliche, gelenkte Korruption"107
ist Teil der politischen Machtstrategie divide et impera: "Jeder war in
der Hand von jedem. Und keiner war mehr Herr seiner selbst. Das war
das erwünschte Ergebnis [...]."108
Das Propagandaministerium war seinem Aufbau nach eine vielköpfige
Hydra. Die basale Gliederung in sieben Abteilungen erfuhr durch die Einbeziehung immer neuer Aufgabengebiete ein schier metastasierendes
Wachstum bis zur maximalen Anzahl von siebzehn Abteilungen im Jahr
1943109 . In diesem panoptischen Komplex war die 1934 ins Leben gerufene Abteilung VIII: "Schrifttum" die "maßgebende, staatliche Zensur-,
Überwachungs- und Kontrollbehörde. Sie entschied über Buchverbote,
Indizierungen oder Beschlagnahmungen und überwachte das gesamte
deutschsprachige Schrifttum im In- und Ausland." 110 Dem Geschäftsverteilungsplan von 1938/1939 zufolge, setzte sich die Schrifttumsabteilung wiederum aus drei Hauptreferaten zu je vier Subreferaten
zusammen. Die Bestandspolitik der wissenschaftlichen Bibliotheken
wurde durch das Hauptreferat I/Referat 4: "Buchverbotswesen, Liste des
schädlichen und unerwünschten Schrifttums, Überwachung des Buchmarktes, Verkehr mit allen am Buchverbotswesen beteiligten Stellen"111
unter Kuratel gestellt. Davor oblag diese Aufgabe der Reichsschrifttumskammer, welche ihre kulturpolitischen Aufgaben, wie die anderen sechs
Einzelkammern auch, 1938 im Zuge einer organisatorischen Neustrukturierung gemäß der "Verfügung über die künftige Behandlung der Reichskulturkammersachen" an die zuständigen Stellen des Reichsministeriums
106
Hermann Rauschning, Gespräche mit Hitler (Zürich 1940) 91.
107
Ebd. 92.
108
Ebd. 92.
109
Vgl. Jan —Pieter Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich". Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder (Frankfurt am Main 1993) 66 ff.
110
Christine Koch, Das Bibliothekswesen im Nationalsozialismus. Eine Forschungsanalyse (Marburg 2003) 19.
111
Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich" (Anm. 109) 76.
33
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
abgegeben hatte112 .
Mit dem "Anschluss" am 13. März 1938 begann unverzüglich die Implementierung der deutschen Verwaltungsordnung in Österreich. Als
Relaisstelle der Umstrukturierung fungierte das eigens zu diesem Zweck
eingerichtete "Reichskommissariat", dessen Aufgabe darin bestand, die
nach dem Machtwechsel entstandene Behördenschwemme und die damit
verbundenen Zuständigkeitsreklamationen zu kanalisieren, um ein Verwaltungsvakuum tunlichst zu vermeiden. Jenseits der Erfüllung dieser
Prämisse war ein kombattantes Moment der Kompetenzregulierung
aber auch hier durchaus im Sinne Hitlers:
Er praktizierte
—
vermutlich unreflektiert
—
so etwas wie einen »Ämter —
Darwinismus«, das heißt, er handelte etwa aus der Empfindung heraus,
daß die »bessere« und »stärkere« Dienststelle sich im allgemeinen »Lebenskampf« von selbst durchsetzen werde.113
Dem widerspricht
—
wie bereits zitiert
—
die aus unmittelbarer Erfahrung
extrahierte Einschätzung Hermann Rauschnings, wonach die Beförderung
konfliktiver, odiöser Konstellationen vonseiten Hitlers mitnichten ein durch
Intuition gesteuertes Vorgehen gewesen war, sondern vielmehr planvolle
Absicht und machtakkumulierende Berechnung.
Sukzessive wurde die geltende politisch—kantonale Gliederung in Bundesländer aufgelöst und parallel dazu das System der Gaue als reichsunmittelbare Instanzen aufgebaut, was mutatis mutandis aus den Landesregierungen Reichsstatthaltereien machte. Mit Inkraftsetzung des neuen
"Ostmarkgesetzes" am 1. Mai 1939 fielen die überleitend beibehaltenen
Ministerien nach erfolgreicher Selbstliquidierung weg114.
Wenn man sich vor Augen hält, dass "allein in den ersten fünf Monaten
nach dem Anschluß [...] die neuen Bestimmungen 1442 Seiten öster112
Vgl. ebd. 76.
113
Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner (Anm. 105) 245.
114
Vgl. zu diesem Abschnitt Hermann Hagspiel, Die Ostmark. Österreich im Großdeutschen Reich 1938 bis 1945 (Wien 1995) 128 ff.
34
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
reichische Gesetzblätter [umfassten]"115, lässt sich daraus unschwer
die Unvermeidbarkeit von Abweichungen in der Auslegung der Erlässe,
von Auffassungsunterschieden in Bezug auf die Durchführungsrichtlinien
und die Zwangsläufigkeit von Improvisationen in den Umsetzungen
schlussfolgern. In seiner Entstehung war das hier skizzierte Behördenorganigramm alles andere als das Ergebnis einer Reißbrettplanung.
Die Anstrengung einer organisationsgeschichtlichen Dekomposition und
Übersichtserstellung sieht sich einer Kumulation aus Neugründungen,
Eingliederungen, Abspaltungen, Auflösungen, Doppelungen und Parallelführungen, die zudem vertikal wie horizontal von Sonderbeauftragten,
Parteistellen und Verbänden durchzogen wurden, gegenüber, einem
Aufbau, deren Permutabilität durch die ständigen Personalrochaden,
Inaugurationen oder Amtsenthebungen zusätzlichen Antrieb erhielt.
Der Subbereich des Bildungswesens bot wie die Verwaltung in ihrer
Gesamtheit den "Anblick eines Förderturms, in dem alle Räder frei
rotierten, ohne die Transmissionen zu treiben, mit denen der Diktator
die Geschichte bewegen wollte." 116 Die sich daraus unvermeidlich
ergebenden Konfusionen, Reibungen und Rivalitäten führten aber aller
Logik zum Trotz nicht zu einer Implosion des Systems, nicht im Ganzen
und nicht in seinen Teilbereichen, sondern stärkten widersinnigerweise
dessen Resistenz gegen Opposition oder Sabotage:
Machtkämpfe auf der unteren Ebene verhindern am besten die Bildung einer
gemeinsamen und geschlossenen Opposition gegen die Zentralleitung. Sie
sind daher eher nützlich als schädlich und sollten sich selbst überlassen, in
gewissen Fällen sogar heimlich gefördert werden.117
Zudem bot die Überorganisation eine "sonst nirgends vorzufindende
absolute Gewißheit, daß alle Befehle irgendwie immer ausgeführ t
115
Ebd. 129.
116
Alfred Andersch, Die Kirschen der Freiheit. Ein Bericht (Zürich 1971) 47.
117
Krebs, Tendenzen und Gestalten der NSDAP (Anm. 103) 66.
35
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
werden."118 Aus der ständigen Notwendigkeit, Interessensgegensätze
auszutarieren, "administrative Pleiten zu vermeiden und eine hohe
Praktikabilität der nach oft ideologisierten Vorgaben beschlossenen
Maßnahmen [zu] erreichen"119 , erwuchs ein "mörderische[s] Gemisch
aus politischem Voluntarismus und funktionaler Rationalität"120 , zusammengefasst in der überwölbenden absoluten Autorität des "Führers
und Reichskanzlers". Wenn die "Anarchie der Kompetenzen"121 im
nationalsozialistischen Staat auch der persönlichen Autorität Hitlers als
supremus arbiter förderlich war, spiegelte sich in ihr doch zugleich
"ein Stück seines Versagens als Staatsmann"122 , was den immer noch
grassierenden Mythos, "daß er ein an machiavellistischer Genialität
durch nichts zu übertreffender Diktator gewesen sei, dem die Welt notwendigerweise erliegen mußte" 123, den exkulpierenden Boden entzieht.
Dass es dem Fehlen einer auf lange Sicht planvollen Organisation im
Inneren zum Trotz dennoch möglich war, das Regime aufrecht zu erhalten, war der Verschwendung materieller Reserven, der Mitarbeit
der überkommenen staatlichen Stellen und ihres versierten Personals,
dem rücksichtslosen Terror und der unmäßigen Propaganda geschuldet.
Einzig auf dem Gebiet der Kriegsrüstung hat die zögerlich gewonnene
Erkenntnis Hitlers, dass es jenseits der energetischen Mobilisierung für
die Verwirklichung der Programmatik eines "Rassenstaates" eines einheitlich funktionierenden Apparates bedarf, seit 1941 ihren späten
Niederschlag gefunden124 .
Die Untersuchungen bezüglich der Rolle einzelner Organisationen im
118
Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft (Anm. 88) 849.
119
Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus
(Frankfurt am Main 2006) 19.
120
Ebd. 19.
121
Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich" (Anm. 109) 368.
122
Ebd. 368.
123
Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner (Anm. 105) 250.
124
Vgl. ebd. 249.
36
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
Nationalsozialismus und ihres je spezifischen Beitrages zum Funktionieren
und Gedeihen des totalitären Regimes zeigen, dass "die Institutionen des
Geistes"125 sich unter Ausnutzung der unvermeidbaren blinden Winkel
im Verwaltungspanopticon, der kontradiktorischen Überlappungen der
Befugnisse, der Leerstellen und Auslegungsräume in den Verordnungen,
der Selbstblockaden und Pattsetzungen der kombattierenden Amtsträger,
zumindest in Teilbereichen ein gewisses Maß an Selbstbestimmung bewahren konnten. Bezogen auf die wissenschaftlichen Bibliotheken lassen
sich solche Enklaven der Insubordination am Beispiel der Bestandspolitik
verdeutlichen.
Am 4. Februar 1933 wurde seitens des Reichspräsidenten die "Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes"126 erlassen. Was sich in der
nationalsozialistischen affektgeladenen Semantik als heroische Verteidigungsmaßnahme darstellte, zielte jenseits der rhetorischen Camouflage
auf eine drastische Einschränkung der freien Meinungsäußerung. Im
§7 der Verordnung wurde die Ermächtigung zur Beschlagnahme und
Einziehung von Druckschriften legalisiert, "deren Inhalt geeignet ist, die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu gefährden."127 In der Auslegung
des Remotionsparagrafen seitens des Juristen und Leiters der "Bibliothek
der Schutzstaffeln auf der Wewelsburg", Hans Peter des Coudres,
handelte es sich dabei um eine "Kannvorschrift"128 , wonach die
Gewährleistung des in der Regel körperschaftlichen Besitzers, "daß
die von ihm aufbewahrte kommunistische oder marxistische Literatur
nur zu erlaubten Zwecken, namentlich zu wissenschaftlichen Arbeiten
125
Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 22.
126
"Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes" vom
4.2.1933. RGBl 1933 I, 35. Teilw. abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im
Nationalsozialismus (Anm. 90) 87-89.
127
Zit.n. ebd. 88.
128
Vgl. Jean —Pierre (alias Hans Peter) des Coudres, Das verbotene Schrifttum und
die wissenschaftlichen Bibliotheken. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 52 (1935)
459-471, hier 460.
37
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
Verwendung findet"129, eine Konfiskation erübrige. Den wissenschaftlichen
Bibliotheken gewährte diese Vorbehaltsklausel einen Freiraum, welcher
sich der Überlegung verdankte, dass "eine erfolgreiche wissenschaftliche
Bekämpfung [Hervorh. d.d. Verf.] des bolschewistischen, marxistischen
und pazifistischen Giftes die Kenntnis des einschlägigen Schrifttums
voraussetzt."130 Wiewohl der Sprachduktus des Ministerialentschlusses
kein Hehl aus der tendenziösen Absicht macht, in welcher die Literaturrezeption erfolgt, bestätigt er immerhin noch der Form halber die
Geltung der Disputation als Austragungsform von Divergenzen. De
facto hatte die Propaganda die dem Wort verpflichtete Argumentation
übernommen, sofern nicht ohnehin eine "schlagkräftigere Persuasionspraxis" zur Anwendung kam, um den ideologischen Gegner mundtot
zu machen.
Dem bedingten Literaturfreispruch folgte am 3. April 1935 mit einem
Runderlass des Reichserziehungsministeriums zwar die verpflichtende
Auflage zur Sekretierung des "gesamten verbotenen Schrifttum[s]"131 ,
die Sammel- und Archivfunktion der Bibliotheken in der ministeriellen
Regelung vom 17. September 1934 blieb aber vorerst unangefochten
bestehen:
[D]aß die wissenschaftlichen Bibliotheken die Pflicht haben, das Schrifttum
ihres Aufgabenkreises mit tunlichster Vollständigkeit zu sammeln und daß
hierzu auch die verbotene und sonst unerwünschte Literatur gehöre. Der
Minister hat weiter darauf hingewiesen, daß diese Literatur nicht nur zum
Zwecke späterer wissenschaftlicher Forschung, sondern auch für behördliche
Zwecke bewahrt werden muß.132
Gerade in diesem Zusammenhang ist in der historischen Selbstreflexion
129
Ebd. 460.
130
Ministerialentschluss des bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus
vom 5.4.1933. Ebd. 461.
131
Runderlass des Reichserziehungsministeriums vom 3.4.1934. Ebd. 467.
132
Runderlass des Reichserziehungsministeriums vom 17.9.1934. Ebd. 461.
38
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
der Bibliotheken immer wieder die Rede von "Ermessensspielräume[n]" 133.
Worin haben diese bestanden? Zumindest in der Entscheidung zwischen
"Dienst nach Vorschrift" und vorauseilendem Gehorsam, zwischen retardierendem Taktieren und überhastetem Agieren:
Einige Universitäten, wie die Friedrich —Wilhelm —Universität Berlin, ließen
sich willig die neuen Gesetze auferlegen. Andere Institutionen bemühten
sich, nach außen den Schein der Mitarbeit zu erwecken. [...] Die Universitätsbibliothek von Jena ging in ihrem Eifer damals allerdings so weit, daß sie
30.000 verbotene Bände ihres eigenen Buchbesitzes selbst vernichten
ließ.134
Ein Akt partieller Selbstbestimmung lag allenthalben auch in der Entscheidung, Neuerwerbungen lediglich noch im ideologiekonformen
Rahmen zu tätigen oder parallel dazu die Sammlung indizierter inländischer und
—
so weit zensurbedingt überhaupt möglich
—
ausländischer
Literatur im Sinne eines "geistigen Artenschutzes" fortzuführen. Für die
meisten Bibliotheken war aber die Anschaffung von NS —Literatur in
breitem Rahmen eine keiner Aufforderung seitens staatlicher Stellen
bedürfende Selbstverständlichkeit. Noch die finanzschwächsten Einrichtungen gaben bereitwillig "ihre letzte Mark für dieses Schrifttum aus"135 ,
eine Feststellung, für welche auch die Bestandspolitik der Öffentlichen
Studienbibliothek Klagenfurt als Beleg herangezogen werden kann,
wie die Überprüfung der Neuzugänge der Jahre 1938—1945 zeigt.
Das schmale Budget wurde nahezu eins —zu —eins in Erwerbungen aus
dem Bereich des nationalsozialistischen Literaturkanons investiert. Eine
Proskynese, welche gleichenteils der Pflichtauffassung, der Furcht vor
133
Ingo Toussaint, Geist und Ungeist. Universitätsbibliotheken unter dem Hakenkreuz.
In: Die Universitätsbibliotheken Heidelberg, Jena und Köln unter dem Nationalsozialismus, ed. Ders. (= Beiträge zur Bibliothekstheorie und Geschichte 2,
München u.a. 1989) 329-340, hier 337.
134
Peter M. Manasse, Verschleppte Archive und Bibliotheken. Die Tätigkeit des
Einsatzstabes Rosenberg während des Zweiten Weltkrieges (St. Ingbert 1997) 38.
135
Koch, Das Bibliothekswesen im Nationalsozialismus (Anm. 110) 75.
39
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
landesbehördlichen Schikanen und vor Denunzianten aus dem Benutzerkreis der Landeslehrerbibliothek geschuldet gewesen sein dürfte, war
doch insonderheit der Schulbereich ein Tummelplatz der Eiferer brauner
Couleur136 . Am 5. Februar 1940 kam der amtierende Bibliotheksdirektor
Schmid einer Aufforderung der Landeshauptmannschaft Kärnten nach,
"Nachweis über Zweck und Bestände der Studienbibliothek" zu erbringen. Bezüglich der Erwerbungspolitik lautete der Rapport: "Seit
dem Umbruch hat die Studienbibliothek auch alle wichtige nationalpolitische Literatur angeschafft, sowie reiche Bestände an Werken über
Vererbung, Rassenfrage, Judenfrage usw."137
Andererseits gelangten just unter Berufung auf den "Sammelauftrag"
getätigte Erwerbungen aus dem Bereich "Jüdische Weltliteratur" häufig
als Raubgut aus jüdischem Bibliotheks- und Privateigentum in den Bestand.
Bereits ab 1933 stellten beschlagnahmte Bücher eine Kompensation
für die durch Sekretierung und Zensur ausgedünnten Bestände dar,
nach Kriegsausbruch zudem erweitert um Sammlungen aus den besetzten
Ländern. Diese Kontingente wurden den Kultusministerien der Länder
oder den wissenschaftlichen Bibliotheken teils direkt seitens der Gestapo
als dem beschlagnahmenden Organ angeboten, teils durch die Vermittlung
eigens eingerichteter Distributionsstellen zugewiesen (wie in Abschnitt
II.3.1. der Arbeit ausführlich behandelt). Hier kam wiederum das Verhalten
der einzelnen Bibliotheken am "Raubgutbuffet" zwischen Vorazität und
Enthaltsamkeit zum Tragen.
136
"[D]er Nationalsozialismus hatte gerade dem Unterrichtswesen große Aufmerksamkeit geschenkt, und hier vor allem den Pflichtschulen (Volks- und Hauptschulen).
Die Volksschullehrer waren besonders auf dem Land für den Aufbau der Partei
wichtig gewesen, weil sie in kleineren Orten — neben Bürgermeister und Pfarrer —
die intellektuellen Kapazitäten darstellten. Im Bereich der Volksschulen soll der
Nationalsozialismus im Deutschen Reich daher einen Organisationsgrad von
80 Prozent erreicht haben." Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich
(Wien 1981) 162.
137
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Landeshauptmannschaft Kärnten: "Nachweis über Zweck und Bestände der Studienbibliothek in
Klagenfurt" vom 5.2.1940. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940.
40
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
Ein erweiterter Handlungsrahmen bestand auch in der je beflissenen
oder aber
—
unter Berufung auf flagrante Informationsmängel
—
re-
tardierenden Zernierung der verbotenen und unerwünschten Bücher
und Zeitschriften vom übrigen Bestand. Die 1936 nach dem Stand
vom Oktober 1935 von der Reichsschrifttumskammer herausgegebene
"Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums"138 erwies sich
rasch als "völlig fehler- und lückenhaftes Instrument"139 und wurde daher
nach zweimaliger Überarbeitung im April 1937 vorerst wieder aus dem
Verkehr gezogen, um nach dem Stand vom 31. Dezember 1938 in
einer revidierten Fassung erneut im Umlauf gebracht zu werden 140. Bis
1942 wurde der Staatsindex als "Jahresliste" geführt, wobei die annuelle
Ergänzung im Prinzip nichts an dem Umstand änderte, dass "weiterhin
Unklarheiten über den Umfang der zu sekretierenden Literaturbestände,
vor allem hinsichtlich der jüdischen Autoren [bestanden]."141 Versuche,
diese auszuräumen, wurden zwar unternommen
—
etwa mit der Erstellung
eines siebenteiligen Verzeichnisses jüdischer Autoren durch Alfred
Rosenbergs Amt "Schrifttumspflege" oder mit der Edierung von Benutzungsrichtlinien für interdizierte Literatur durch den "Reichsbeirat für
Bibliotheksangelegenheiten"142 —, blieben jedoch in Ansätzen stecken,
sodass letztlich die Umsetzung appellativ der Eigenverantwortlichkeit
der einzelnen Bibliotheken überantwortet wurde. Auch im Falle der Willfährigkeit stellte eine Remotion in Zeiten der mit Maschine geschriebenen
138
Vertrauliches Rundschreiben des Reichserziehungsministeriums an die Unterrichtsverwaltungen der Länder vom 23.3.1936. Zit.n. Barbian, Literaturpolitik im "Dritten
Reich" (Anm. 109) 341.
139
Mitteilung des Reichserziehungsministeriums an den Thüringischen Minister für
Volksbildung vom 9.4.1937. Zit.n. ebd. 341.
140
Vgl. Dietrich Strothmann, Nationalsozialistische Literaturpolitik. Ein Beitrag zur
Publizistik im Dritten Reich (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 13, Bonn 4 1985) 218.
141
Hans—Gerd Happel, Das wissenschaftliche Bibliothekswesen im Nationalsozialismus.
Unter besonderer Berücksichtigung der Universitätsbibliotheken (= Beiträge zur
Bibliothekstheorie und Bibliotheksgeschichte 1, München u.a. 1989) 90.
142
Vgl. ebd. 90.
41
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
Zettelkataloge einen personell und logistisch nicht so ohne weiteres
zu bewerkstelligenden Aufwand dar.
Desgleichen eröffnete sich den Bibliotheken in der Auslegung der geltenden Benutzungsbestimmungen ein souveräner Entscheidungsraum.
Die Benutzung indexierter Literatur war an die Auflage der Erbringung
des Nachweises gebunden, dass die Einsichtnahme im Rahmen einer
wissenschaftlichen Arbeit erfolgte. Es lag im Befinden der Bibliotheksleitung, sich mit der "Glaubhaftmachung eines wissenschaftlichen
Zweckes"143 seitens des Antragstellers zufrieden zu geben, oder darüber
hinaus zusätzliche "schriftliche Zeugnisse von Universitätsdozenten u.U.
mit Angaben des zu bearbeitenden Themas"144 einzufordern oder im Falle
politischer Themen "eine Bescheinigung einer höheren Parteistelle oder
Staatsbehörde"145 zu verlangen.
Das Vorhandensein solcher Resistenzräume und Subordinationsenklaven
ist durch Einzelbeispiele belegt146 . Die sich ihrer bedienten, bildeten
allerdings die Minderzahl gegenüber dem Gros der Willfährigen:
[D]as Verwaltungsgefüge des wissenschaftlichen Bibliothekswesens [konnte]
auf einen Personalstab blicken, der zur Mitarbeit und Ausführung bereit
war, [...] und sich damit weitgehend reibungslos gegenüber der Normativität
der bestehenden Institutionen integrierend unterordnete.147
Dass die wissenschaftlichen Bibliotheken heute nicht umhinkönnen, sich
aufgrund der Ergebnisse einer historischen Inspektion in die Reihe der
Mittäter, Nutznießer und Multiplikatoren des NS—Staates einzuordnen,
ist weder mit dem exkulpierenden Hinweis auf Befehlsketten und Repressionen abgegolten, noch mit dem Verweis auf das "sozialpsychologische
143
Des Coudres, Das verbotene Schrifttum und die wissenschaftlichen Bibliotheken
(Anm. 128) 467.
144
Ebd. 467.
145
Ebd. 467.
146
Vgl. Happel, Das wissenschaftliche Bibliothekswesen im Nationalsozialismus
(Anm. 141) 65 und 80.
147
Ebd. 65.
42
I. Bibliotheken —Verwaltung 1.
Phänomen des Konformismus" 148 erklärt:
In den bestehenden, erst recht in den neu geschaffenen Institutionen setzte
er [der Nationalsozialismus] Initiativen frei. Er löste die Starre herkömmlicher
Hierarchien. Wo vorher Dienst nach Vorschrift geschoben wurde, erwachte
Arbeitsfreude, nicht selten vorauseilendes Mitdenken.149
Die "Übernahme politischer Sonderaufgaben in die alltägliche Arbeit
der wissenschaftlichen Bibliotheken"150 entsprang demnach keineswegs
nur dem legitimatorischen und mithin existenzsichernden Erfordernis, in
einem grundsätzlich antiintellektuellen Klima ein den wissenschaftlichen
Bibliotheken und Universitäten im ganzen oft entgegengebrachtes
Misstrauen zu zerstreuen. Karrierechancen, Chauvinismus, komplexitätsreduzierende, exkulpierende und triebentgrenzende Lockangebote
machten "Fachleute jeder Art zu sehr verschiedenen, verschiedenartig
nützlichen Werkzeugen der NS —Herrschaft". 151
148
Toussaint, Geist und Ungeist (Anm. 133) 338.
149
Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 22.
150
Barbian, Die Bibliotheksbürokratie (Anm. 89) 31.
151
Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 22.
43
I. Bibliotheken —Verwaltung 2.
I.2. Die institutionsgeschichtliche Entwicklung der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt zur prädestinierten Anwärterin für Zuteilungen
aus dem nationalsozialistischen Raubguthort
Mit seiner Rede zur Eröffnung des Klagenfurter Ingeborg—Bachmann —
Wettbewerbs im Juni 2009 war es dem Autor Josef Winkler tatsächlich
—
wenn auch nur kurzzeitig
—
gelungen, die verdickte Gemütssuppe
einer einesteils im Einverständnis mit der Landespolitik, andernteils im
Verzagen an selbiger erstarrten Bevölkerung zum mindesten an der
Oberfläche in Bewegung zu versetzen. "Geistesdefraudation" lautete
die Anklage und zornig wies der Wortfinger auf den metaphorischen
Ort der Bildung, hier eine Leerstelle, die fehlende Bibliothek:
Aber für eine Stadtbibliothek in der Landeshauptstadt, wie es sie in jeder
Stadt Mitteleuropas gibt, hatten diese drei erwähnten Politiker in den letzten
Jahren [...] kein Geld. Sie haben kein Geld für eine Bibliothek für Kinder
und Jugendliche. Sie haben kein Geld für Bücher. 152
In Zeiten von Internet und Hypertext, der Transformation von Wissen zu
Information, der Entgrenzung des Buches zum Textfluss, ist es eigentlich
schon ein Anachronismus, dass "Die Bibliothek" doch immer noch als
schlechthinnige Metapher von Kultur gehandelt wird: "Noch heute bemisst sich das intellektuelle Ansehen eines Landes nach seinen Beständen
an Bibliotheken, deren Besucherzahl sowie deren Organisation und
elektronischer Ausrüstung."153
Zu kurz griff die furiose Rede Winklers einzig in der Zeitspanne, denn
die Diskrepanz zwischen der Mythisierung alles Geistigen und dessen
Wertschätzung im Spiegel realpolitischer Maßnahmen erwies sich nicht
erst "in den letzten Jahren"154 als eklatant. So lautete der Bildungsauftrag
152
Josef Winkler, Der Katzensilberkranz in der Henselstraße. Klagenfurter Rede zur
Literatur (Suhrkamp 2009) 25-26.
153
Guillaume de Laubier/Jaques Bosser, Die schönsten Bibliotheken der Welt (München
2003) 10.
154
Winkler, Der Katzensilberkranz in der Henselstraße (Anm. 152) 26.
44
I. Bibliotheken —Verwaltung 2.
der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
geschichte zu bleiben
—
—
um im Rahmen der Lokal-
im Gründungsjahr 1775: "[Z]ur Aufnahme der
Wissenschaften, zum Wohle der studierenden Jugend, zum Nutzen
des ganzen Publici und zur Zierde des Landes." 155 Ein hoher Anspruch,
dessen Scheitern insofern vorgezeichnet schien, als "diese Grundkonzeption nicht auf echte Bedürfnisse zugeschnitten gewesen, sondern
eine rein bürokratische Konstruktion oder eine Verlegenheitslösung
[war]."156 So beklagte bereits um die Jahrhundertwende deren damaliger
Direktor Max Ortner den Zustand der Studienbibliothek als einen der
"Armuth, Dürftigkeit, Unzulänglichkeit, Schiefheit"157 .
Die sechs Studienbibliotheken der k.k. Monarchie
Salzburg, Görz, Laibach und Olmütz 158
—
—
Klagenfurt, Linz,
waren Glieder einer histori-
schen bibliothekarischen Fresskette: Hatten die Jesuiten sich als Marodeure der Gegenreformation am protestantischen Buchbesitz bereichert,
widerfuhr ihnen ein Gleiches mit der Aufhebung des Ordens 1773 durch
Papst Clemens XIII. Die Vermutung Franz Konrad Webers, die Gründung
der Studienbibliotheken sei dem Schamempfinden der Staatsmacht im
Zeichen des Josefinismus geschuldet, dem "Bestreben, diese negative
Maßnahme zu einem Positivum zu machen"159 , hieße die Absichten
nobilitieren, denn wiewohl die Studien —Hofkommission darauf Bedacht
nahm, "alles ihr wertvoll Scheinende dem Staate [zu] erhalten"160 ,
kollidierte dieser kameralistisch—merkantile Vorsatz mit der hochmütigen
Verachtung aller klösterlichen und geistlichen Literatur, wie sie aus der
Anweisung ihres Präsidenten van Swieten spricht: "Der ganze Wust
155
Benndorf, Die öffentliche Studienbibliothek (Anm. 4) 223.
156
Weber, Die österreichischen Studienbibliotheken (Anm. 6) 29-30.
157
Max Ortner, Unsere Studienbibliotheken. Vortrag gehalten am 8. Mai 1897 im
österreichischen Verein für Bibliothekswesen. In: Mitteilungen des österreichischen
Vereines für Bibliothekswesen 1,1 (1897) 7-11, hier 7. Fortsetzung 1,2/3 (1897) 1-27.
158
Vgl. Hofinger, Die öffentlichen Studienbibliotheken Österreichs (Anm. 5) 415.
159
Weber, Die österreichischen Studienbibliotheken (Anm. 6) 29.
160
Hofinger, Die öffentlichen Studienbibliotheken Österreichs (Anm. 5) 416.
45
I. Bibliotheken —Verwaltung 2.
unbrauchbarer Gebets- und Andachtsbücher, Legenden und übriger
theologischer Ungereimtheiten ist ohne weiteres in die Stampfe zu
geben."161 Die staatliche Anteilnahme hatte sich mit der Gründungsbewilligung für die Studienbibliothek auch schon wieder erschöpft.
Nach dem salbungsvollen Auftakt sah sich diese fortan in der Rolle einer
Bittstellerin um die nötigen Subsistenzmittel. Solcherart nimmt es nicht
wunder, dass der idealistische Proviant, zumindest was die "Zierde
des Landes" anbelangt, auf dem langen Weg ins Jahr 1931, dem Ausgangspunkt der Untersuchung, längst aufgezehrt worden war. In
einem Brief an den Generaldirektor der Nationalbibliothek, Josef schrieb
Wolfgang Benndorf: [W]as einen wirklich traurig machen kann, das ist
die Geschichte der Klagenfurter Studienbibliothek, die sich wenigstens
teilweise in [deren] Zustand spiegelt"162.
Büchersaal der Studienbibliothek. Aus: Wolfgang Benndorf, Die öffentliche Studienbibliothek.
In: Die Städte Deutschösterreichs 4, ed. Erwin Stein (Berlin 1929) 222.
161
Zit.n. Simon Laschitzer, Die Verordnungen über die Bibliotheken und Archive der
aufgehobenen Klöster in Österreich. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische
Geschichtsforschung 2 (1881) 400-440, hier 431.
162
Briefentwurf von Wolfgang Benndorf an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 2.2.1933. Mit dem handschriftlichen Vermerk: "Nicht
abgeschickt! Entwurf zu dem Brief vom 6.II.33". UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
46
I. Bibliotheken —Verwaltung 2.
Das Gebäude in der Kaufmanngasse 11, das ehemalige Jesuitenkolleg,
worin die Bibliothek seit ihrer Gründung angesiedelt war, bedurfte
längst einer umfassenden Sanierung. Im Außenbereich wurde die Liste
der seitens der Direktion an die Landeshauptmannschaft gerichteten
drängenden und drohenden Finanzierungsgesuche von "unaufschiebbare[n] Dachreparaturen"163 unter Hinweisung darauf angeführt, "dass
im Falle der Unterlassung dieser Arbeiten voraussichtlich arge Regenschäden im bevorstehenden Herbst und Winter entstehen würden und
dass zu deren Behebung noch weit grössere Summen erforderlich werden
dürften."164 Im Innenbereich war eine Instandsetzung der schadhaften
elektrischen Leitungen, "welche ohne jeden Schutz an den Holzstellagen
und Büchern vorbeiführen, bezw. an denselben anliegen"165, am vordringlichsten, andernfalls "die Gefahr eines Schadensfeuers sehr groß ist und
die Verantwortung hiefür von niemandem getragen werden kann."166
Um nichts besser war es indes um die Bibliotheksausstattung bestellt:
Verwahrlosung und Beengtheit prägten die Raumsituation:
Die Büchermagazine sind nicht nur ihrem Rauminhalte nach unzureichend,
sondern auch vielfach finster und in den oberen Bücherreihen nur in unbequemer und gefahrbringender Weise mit Hilfe von Leitern benützbar. Der
Lesesaal umfasst nur 10 eng aneinander gedrängte Sitzplätze, von denen
die von der Fensterwand weiter abstehenden sehr wenig Tageslicht haben.
An Beamtenräumen steht lediglich ein Direktionszimmer zur Verfügung. Eine
genauere Schilderung dieser und anderer Übelstände erübrigt sich, da sie
der Landeshauptmannschaft Kärnten ohnehin bekannt sind.167
163
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Landeshauptmannschaft Kärnten in Klagenfurt vom 20.9.1934. UAK, Kt. 362, Fasz. 1934.
164
Ebd.
165
Prüfungsbericht der Firma Elektrohaus Fritz Czernowsky an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 29.12.1934. UAK, Kt. 362, Fasz. 1934.
166
Ebd.
167
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Landeshauptmannschaft Kärnten in Klagenfurt vom 29.3.1938. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung
ab 1938.
47
I. Bibliotheken —Verwaltung 2.
Der resignative Nachsatz spiegelt die Jahrzehnte fruchtlosen Bemühens,
abgewiesener Anträge, in Ergebung verwandelten Eifers. Die gleichmütige Inkaufnahme des sukzessiven Verfalls der historischen Bildungsstätte seitens des staatlichen Trägers musste jeden schmerzen, der einen
Sinn dafür hatte, dass "an den Räumen, in denen sie während anderthalb Jahrhunderten groß geworden ist und sich ausgebreitet hat, doch
der Reiz ehrwürdigen Alters und teilweise sogar nicht unbeträchtlicher
Schönheit [haftet]."168
Vor allem aber setzten die klimatischen Unzukömmlichkeiten der Unterbringung, welche den Nährboden für Schimmelbildung und Ungezieferbefall bildeten, dem Buchbestand in einem irreparablen Ausmaß zu: "Von
Feuchtigkeit beschädigt, von Mäusen benagt und von Würmern zerfressen [...], von Einbänden umgeben, die sich bereits in Staub und
Moder auflösen, so liegen diese doch nicht unbeträchtlichen Werte
da."169 Anders als zu Zeiten der Josephinischen Studien —Hofkommission
ließ sich die ferne Bundesbehörde auch durch das Argument einer
drohenden Wertminderung nicht dazu bewegen, ihrer Unterhaltsverpflichtung nachzukommen.
Doch nicht nur pflanzliche und tierische Schädlinge machten sich über
die Rara her, auch vor Biblioklastern waren diese nicht sicher
—
und
das nicht etwa nur seitens der Benutzer. Die desolate Umgebung schlug
sich offenbar auch den dort tätigen Biliothekaren verderblich und ehrvergessend aufs Gemüt. In den Zustandsberichten, welche Wolfgang
Benndorf als interimistischer Leiter der Bibliothek seinem Vorgesetzten
und Mentor regelmäßig zukommen ließ, schilderte er einige seiner Amtsvorgänger als Wüteriche vom Schlag eines Schnippedilderich (Heimito
von Doderer, Die Merowinger), die aus Zorn über die zu erduldenden
168
Benndorf, Die öffentliche Studienbibliothek (Anm. 4) 222.
169
Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 6.2.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
48
I. Bibliotheken —Verwaltung 2.
Unbilden und "oft auch in sichtlich boshafter Absicht [Bücher] zerrissen
und ruiniert" 170 hätten:
Zudem habe ich den allerdings bis jetzt noch nicht erweislichen, aber immerhin gegründeten Verdacht, daß es ein Bibliothekar war, der sich einmal
durch Ausschneiden eine Sammlung von Initialen angelegt haben dürfte! [...]
Ähnlich aufgestellt wurde eine Sammlung »Kunstblätter und Porträte«. [...]
Unmöglich ist es nicht, daß sie aus Büchern der Studienbibliothek geschnitten
wurden. [...] Ich halte nichts mehr für unmöglich.171
Der Personalmangel
—
über Zeiträume bestand der Personalstab lediglich
aus dem Bibliotheksleiter und einem so genannten Amtswart
—
verun-
möglichte von vornherein einen geordneten Betrieb. Ständige Dotationskürzungen bis hin zum teilweisen Ausbleiben der Überweisungen zeitigten
bereits vor der Jahrhundertwende derart untragbare Bedingungen für
die Studienbibliothek, dass sich deren damaliger Direktor, Max Ortner,
ein nicht weniger streitbarer und unbeugsamer Geist als sein Nachfolger Benndorf, wiederholt dazu veranlasst sah, seiner Empörung über
die Missstände, für welche die staatliche Kulturbarbarei die alleinige
Verantwortung trug, mit deutlichen Worten öffentlich Ausdruck zu verleihen:
Wahrhaft erschütternd wirken seine Schilderungen der inneren und äußeren
Verhältnisse der Klagenfurter Studienbibliothek und zugleich so beschämend
[...]. Der Hilferuf fand die Zustimmung der Fachgenossen im Inland, bald
auch im Deutschen Reich, das Interesse der Öffentlichkeit begann sich zu
regen, 1907 interpellierte eine Gruppe von Abgeordneten im oberösterreichischen Landtag den Statthalter wegen der Zustände in der Studienbibliothek
—
der Bann war gebrochen.172
Allem Anschein nach hatte es aber mit den politischen Absichtserklärungen
170
Ebd.
171
Briefentwurf von Wolfgang Benndorf an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 2.2.1933. Mit dem handschriftlichen Vermerk: "Nicht
abgeschickt! Entwurf zu dem Brief vom 6.II.33". UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
172
Hofinger, Die öffentlichen Studienbibliotheken Österreichs (Anm. 5) 421.
49
I. Bibliotheken —Verwaltung 2.
sein Bewenden, deren Realisierung durch "die ganze Ungunst der
Kriegs- und Nachkriegszeit für alle österreichischen Institute mit wissenschaftlichen und geistigen Zwecken" vereitelt wurde: "Die Geldmittel, die der besiegte und verarmte Staat seinen Bildungsanstalten
zur Verfügung stellen konnte, waren auf einen geringen Bruchteil der
schon in Vorkriegszeiten gewiß nicht sehr reichlichen Dotationen herabgesunken."173 Mit jedem Jahrzehnt fiel der Bestand der Studienbibliothek weiter ab vom Literaturbedarf aktueller wissenschaftlicher Forschung, in welchem Maße sich auch das Publikum reduzierte, "weil es
wußte, daß man das Gesuchte dort kaum finden könne."174 Um das
Bedarfs- und Aktualitätsdefizit auszugleichen, war die Studienbibliothek auf Betreiben Max Ortners im Jahr 1900 um einen Sonderbestand
erweitert worden. Die seitens des Landes finanzierte Landeslehrerbibliothek sollte zum einen die Grundversorgung der Kärntner Lehrerschaftund der Lehramtskandidatinnen mit Fachliteratur leisten, zum anderen
mag die institutionelle Koexistenz unter einem gemeinsamen Dach auch
der strategischen Überlegung ihres findigen Initiators zu verdanken
gewesen sein, auf diese Weise das Land zum Mindesten hinsichtlich
der Gebäudesanierung doch in die Pflicht nehmen zu können. Dieses
Kalkül ging indes nicht auf, vielmehr sah sich die jeweilige Bibliotheksleitung in Hinkunft vor die Aufgabe gestellt, gleich an zwei Fronten
gegen die ökonomische Vastation anzukämpfen. Die Landesregierung
erwies sich den Allokationsforderungen gegenüber um nichts ansprechbarer als die Bundesbehörden, wie aus einem der Berichte Wolfgang
Benndorfs an die Direktion der Nationalbibliothek bildhaft hervorgeht: "Wenn man bei der Landesregierung telephonisch anfrägt, wann
man Geld angewiesen erhält, bekommt man manchmal die lakonische
Antwort: »Geld wird angewiesen, sobald eines vorhanden ist«."175
173
Benndorf, Die öffentliche Studienbibliothek (Anm. 4) 229.
174
Weber, Die österreichischen Studienbibliotheken (Anm. 6) 35.
175
Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 22.2.1932. UAK, Kt. 362, Fasz. 1932.
50
I. Bibliotheken —Verwaltung 2.
In ökonomischer Hinsicht unterschied sich die Lage der Studienbibliotheken nicht grundsätzlich von jener der Universitätsbibliotheken. In seiner
Inaugurationsrede zeichnete Hans Benndorf, der Vater von Wolfgang
Benndorf, als Rektor der Karl —Franzens —Universität Graz ein düsteres
Bild von der Situation der Universitäten wie der inkorporierten Bibliotheken:
So erfreulich dieser Blick in die besonnte Vergangenheit war, so trüb um
nicht zu sagen trostlos ist er in die Zukunft unserer Universitäten, die im
dichten Nebel zu liegen scheint. Seit dem Kriege befindet sich unser wissenschaftliches Rüstzeug im Zustande eines erschreckenden Verfalles. Ich meine
damit in erster Linie unsere Bibliotheken, in denen die Zahl der notwendigen
Bücher, die fehlen, bald die der vorhandenen übersteigen wird. Neue Bücher
können fast nicht mehr gekauft werden, der Bezug wichtiger deutscher
Zeitschriften muß eingestellt werden, nicht zu reden von solchen in fremder
Sprache.176
Die notorische budgetäre Unterversorgung machte die Bibliotheken
zu prädestinierten Anwärtern für eine aufstockende Kontingentierung
aus dem staatlichen Konfiskationsdepot.
176
Hans Benndorf, Die Aufgaben der Universität und ihre Bedeutung für Volk und
Staat. Rede, gehalten bei der Inauguration als Rector magnificus der Karl—Franzens—
Universität Graz am 14. November 1932 (Graz 1932) 15-16.
51
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.
I.3. Drei Direktionsperioden (1931 —1953) im Spiegel der Korrespondenzakten
Auch wenn das Gesamtbild der Institution einem landläufig bekannten
Muster folgt, gebildet aus der Verstrebung von Hinnahme, Unterordnung
und agiler Beteiligung, zeigen sich im lokalhistorischen Fokus des nationalsozialistischen Bibliotheksbetriebs doch erkenntnisbefördernde Varietäten.
Der Untersuchungszeitraum umspannt drei Leitungsperioden: Wolfgang
Benndorf (interimistisch 1931 —1933), Theodor Schmid (1933 —1942),
Richard Fuchs (1942—1953), deren jede für eine spezifische Verhaltensweise gegenüber den Offerten und Drohungen des nationalsozialistischen Regimes steht, nämlich für Widersetzlichkeit, Botmäßigkeit und
behände Beteiligung.
Die quellenmäßige Grundlage der Darstellung bildet der Schriftverkehr der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt, diesfalls der Jahre
1931 bis 1953. Die Überlieferung dieser durchaus umfänglichen Aktei
verdankt sich vermutlich dem Umstand, dass dem Entscheidungsdilemma von Aufbewahrung oder Entsorgung, welches sich mit dem Auffinden der jahrzehntelang in den dunklen Untiefen eines Armariums
vergessenen Briefschaften anlässlich einer der zahlreichen Umsiedelungs- und Räumungsaktion verantwortungsschwer einstellte, mit dem
mittlerweile eingerichteten Universitätsarchiv eine Abhilfe bereitstand.
Nicht allein hinsichtlich der Lagerung
—
das Reponieren der Akten von
der Eingangsmappe in den Ordner, vom Aktenschrank im Direktionsbüro ins Depot, legt einen Vergleich mit dem Absinken in immer tiefere
geologische Schichten nahe
—
evoziert das Aktenmaterial eine der
archäologischen und kriminologischen Disziplin entlehnte Metaphorik.
Gerade weil "der überwältigenden Mehrheit aller schriftlichen Mitteilungen [...] ein ausgeprägtes Crescendo [fehlt]"177, ist es erforderlich,
177
Raul Hilberg, Die Quellen des Holocaust. Entschlüsseln und Interpretieren (Frankfurt am Main 2002) 84.
52
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.
hinter dem scheinbar Offensichtlichen von Form und Duktus nach verborgenen Aussagen zu suchen, um die Wortquellen zum Sprechen zu
bringen.
Der große Vorzug des vorliegenden Schriftverkehrs besteht darin, dass
die so genannten "Korrespondenzakten" der Bezeichnung insofern vollumfänglich gerecht werden, als aus jeder Direktionsperiode Schreiben
erhalten sind, darin der Verfasser jenseits der präkonfigurierten Amtssprache sei es Beschwerde führt, Missstände aufzeigt oder sich an
höherer Stelle Gehör zu verschaffen sucht. Ergänzend geben die noch
vorhandenen, samt und sonders maschinen- oder handschriftlich abgefassten Briefentwürfe Einblick in die Textgenealogie: Überschreibungen,
Unkenntlichmachungen, Auslassungen, Einfügungen und dergleichen
mehr bilden einen mitunter aufschlussreichen Subtext. Auch gemeinhin
für sprachdürr gehaltene Textsorten nehmen bei genauer Hinsicht
"wie unter einem Röntgenschirm ein verändertes Aussehen"178 an, lassen
"eine bestimmte Struktur, einen charakteristischen Stil und einen höchst
selektiven Inhalt"179 erkennen. Bereits die Form als solche, in welche
der schriftliche Behördenaustausch gekleidet ist, gibt Auskunft über
die Verfasstheit des gesamten Apparats:
Die Standardisierung war geradezu ein Markenzeichen des amtlichen deutschen Schriftverkehrs. Die alten Vorschriften und Praktiken wurden auf die
Unterschriften, das Layout, den Geschäftsgang und die Aktenablage angewandt. Dieses System war mehr als nur eine Formalität; es bildete das eigentliche Wesen von allem, was als geregeltes Verfahren angesehen wurde.
Die durch und durch verinnerlichte Ordnung wurde bei jedem schriftlichen
Vorgang eingehalten.180
Es scheint paradox, doch ebenso wie die fossilisierte Form erweist sich
auch das versteinerte Wort per se als beredt, indem die emotionsarme
178
Ebd. 10.
179
Ebd. 11.
180
Ebd. 61.
53
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.
Sprache auf die Latenz verweist: "Gleichzeitig eignet sich diese bürokratische Gleichgültigkeit dazu, scharfkantige Themen zu glätten."181
Solcherart wird die Leerstelle selbst zur Botschaft:
Das Fehlen einer relevanten Tatsache in einer Quelle ist eine Auslassung.
Es kann sein, dass der Autor eines Berichts keine Notwendigkeit sah, gerade
darüber etwas zu sagen, was das Interesse späterer Forscher geweckt hat.
Möglicherweise steckte aber auch eine Absicht hinter dieser Weglassung.182
Für die auf der Grundlage des vorliegenden Aktenmaterials erstellte
Geschichte der Institution, geprägt von den Persönlichkeiten derjenigen,
welche ihr vorgestanden haben, gilt, dass "[l]etzten Endes die Zuschreibung von Bedeutung bei Quellen, eine Differenzierung zwischen ihnen
oder das Einpassen einzelner Teile in ein umfassenderes Gefüge ein
Akt der Erkenntnis [ist]."183
181
Ebd. 84.
182
Ebd. 194.
183
Ebd. 230.
54
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1.
I.3.1.
Wolfgang Benndorf (1931—1933)
Eine erste Sichtung des im Universitätsarchiv verwahrten Schriftverkehrs der Öffentlichen Studienbibliothek, welcher den Untersuchungszeitraum 1931 bis 1953 abdeckt, erweist
perioden in gleicher Weise geltend
—
—
für jede der drei Direktions-
die Untauglichkeit dieser Amts-
korrespondenz als Lehrbeispiel einer mustergültigen Geschäftsablage.
Allerdings bedurfte es einiger Langmut, um die Forderungen einer teilweise schildbürgerlichen Selbstzweck —Bürokratie zu erfüllen, deren
enervierende Zumutungen Wolfgang Benndorf immer wieder in einer
Mischung aus Entrüstung und Erheiterung schilderte:
Dabei habe ich von der Rechnungsabteilung der Landesregierung und vom
Gebührenbemessungsamt manchmal Auskünfte erhalten, die sich kontradiktorisch widersprechen, z.B. was ausländische Rechnungen anlangt. Die
Rechnungsabteilung behauptet, jede ausländische Rechnung müsse genauso
wie jede inländische den vorgeschriebenen Rechnungs- und Quittungsstempel haben. [...] Wie soll man aber von ausländischen Firmen Stempelgelder eintreiben, zumal wenn man die Rechnung als solche durch eine
Bank im Privat-Clearing bezahlen läßt, wo man also gar nicht im Vorhinein
genau weiß, wie hoch der Betrag ist. den man zu bezahlen hat und der
daher dem Quittungsstempel unterliegt, so daß man den Betrag gar nicht
mit Sicherheit abziehen kann.184
Zweifellos waren bürokratische Obstinationen dieser Art mit ein Grund
dafür, dass der jeweils Amtsleitende seine Ausdauer und Akribie lieber
auf den bibliothekarischen Bereich
—
wie die diffizile Katalogerstellung
—
konzentrierte und die leidige Verwaltungsarbeit auf ein Mindestmaß
beschränkte. In Anbetracht der Inhalte des vorhandenen Quellenmaterials
erscheint jedenfalls der Amtsmüdigkeit geschuldete Nachlässigkeit als
Ursache der Lücken in den Geschäftsunterlagen wahrscheinlicher als
184
Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 6.2.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
55
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1.
eine nachträgliche, absichtsvolle Sichtung und Vernichtung "belastender"
Akten. Das Desinteresse der Nachfolgenden mag ein Weiteres zur
schleichenden Aktenausdünnung
Verwahrungsortes
—
—
etwa im Zuge eines Wechsels des
beigetragen haben.
Eine mehr als nur quantitative Abweichung vom Modus procedendi der
regulären Amtskorrespondenz stellt die Geschäftsperiode 1931 —1933
dar. Es sind dies jene drei von insgesamt acht Tätigkeitsjahren, welche
Wolfgang Benndorf in leitender Funktion an der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt zubrachte. Die in den entsprechenden Mappen
enthaltenen Schriftstücke verdienen die Bezeichnung "Korrespondenzakten" in besonderer Weise, handelt es sich dabei doch ausschließlich
um Dokumente der Textsorte "Brief", nämlich um den aus insgesamt
zwölf erhaltenen Briefen bestehenden Schriftverkehr zwischen dem
interimistischen Direktors Benndorf und seinem Vorgesetzten und Mentor,
dem Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick. Das
vollständige Fehlen sämtlicher den Geschäftsgang üblicherweise abbildenden Unterlagen, wie etwa der Abrechnungen für die Gebäudeverwaltung, Regiekosten, Erhebungen des Brennstoffbedarfs, Buchhandlungs- und Buchbinderrechnungen, Dotationsanträge und dergleichen
mehr, die den Verwaltungsalltag der Institution prägen, nimmt sich
ungewöhnlich aus. Was dieser Sachverhalt jedenfalls zum Ausdruck
bringt, ist das Sträuben, mit welchem Benndorf sich den leidigen
buchhalterischen Aufgaben unterwand, deren Penibilität erzwingende
Forderungen seinem zu Ungeduld neigenden Charakter lästig und
zuwider waren:
Infolge der außerordentlichen Verhältnisse hat die Studienbibliothek bereits
seit dem Jahre 1930 keinen offiziellen Jahresbericht mehr an das Unterrichtsministerium gelangen lassen. Ich hielt dies formal darum nicht für
notwendig, weil ich ja immer mit der bevorstehenden Ernennung eines neuen
Direktors gerechnet habe, und meritorisch weil ich über alles Wichtigere in
meinem Tun und Lassen ja immer von Zeit zu Zeit an Herrn Generaldirektor
56
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1.
persönlich berichtet habe. Ich möchte aber natürlich ja nicht, daß mir die
weitere Unterlassung eines Jahresberichtes etwa als Nachlässigkeit ausgelegt
werden könnte. [...] Die Jahresabrechnung ist natürlich schon seit Mitte
Jänner abgeliefert. Die lästigsten Schwierigkeiten habe ich dabei immer
wieder bei den Problemen der Rechnungs- und Quittungsstempel. Ich glaube
manchmal, ein gewöhnlicher Sterblicher, der nicht täglich damit zu tun hat,
kann diese Vorschriften einfach nicht kapieren und sich merken. [...] Ich habe
nachgerade eine wahre Phobie vor allen Stempelproblemen bekommen.185
Die von den profanen Geschäftspapieren gesonderte Verwahrung der
Briefe hebt diese auf eine Weise hervor, welche unwillkürlich den
Eindruck erweckt, es handele sich um eine bewusste Hinterlassenschaft
des nach Graz abberufenen Benndorf, zumal seine Episteln beredt
Zeugnis ablegen vom beklagenswerten Zustand der Bibliothek
—
wie
auch von der schwindenden Zuversicht ihres Leiters.
1901 in Wien geboren, war Wolfgang Benndorf bei der Amtsübernahme 30 Jahre alt. Der Tenor seiner Briefe an den Generaldirektor
der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vermittelt den Eindruck eines
nervösen jungen Mannes, dem es entschieden an Abgeklärtheit und
langem Atem gebrach, welche indes die Trägheit des bürokratischen
Apparates seinen Amtsträgern abverlangte. Für Benndorf, der in Graz,
München und Bonn Philosophie und Geschichte studiert hatte, mag der
Bibliotheksdienst ein Vernunftargumenten gehorchender Brotberuf
gewesen sein, ein Kompromiss, geboren einerseits aus seiner Leidenschaft für die Literatur, andererseits nahegelegt durch die vermittlungsförderliche Tatsache, dass sein Vater, der Physiker Hans Benndorf, zweimal Rektor der Universität Graz gewesen war186 .
Seine insgeheim literarischen Ambitionen bekundete Benndorf mit der
Veröffentlichung eines schmalen Lyrikbändchens, welches unter dem
185
Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 6.2.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
186
Vgl. Manfred Hirschegger, Geschichte der Universitätsbibliothek Graz 1918—1945
(= Biblos —Schriften 148, Wien 1989) 32 ff.
57
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1.
Pseudonym Peter Welf 1933 im Klagenfurter Verlag Leon erschien.
Die Gedichte weisen ihn als Epigone der Sturm —und —Drang —Dichtung
und der Originalgenie —Bewegung aus, sprachbegabt, doch mit einer
ausgeprägten Neigung zu Pathos und Überschwang, bei gleichzeitigem
Unwillen zur Überarbeitung. Durchaus selbstironisch formuliert er in
einem seiner Poeme mit dem Titel Wortwahl seine literarische Crux:
"O Qual der Wortbrunst, die dich überkam, so unerlöst, so schmerzlich
myrigam!" 187
Benndorfs eigentliche Begabung lag im Bereich der literarischen Kleinform des politisch —satirischen Essays, des gesellschaftskritischen Feuilletons, somit von Formen, welche er für sich gering schätzte, da sie
nicht mit seiner Vorstellung von "hehrer Dichtung" in Einklang standen.
Als Leiter der Studienbibliothek sah Benndorf sich mit jedem Jahr mehr
auf verlorenem Posten. Bezug nehmend auf ein Schreiben des Generaldirektors der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, zum Jahreswechsel
1932/33, vermochte Benndorf seine schwindende Zuversicht angesichts
der Auspizien, unter welchen die Bibliothek in das neue Jahr ging, nicht
zu verhehlen:
Die darin ausgesprochene Befürchtung, das neue Jahr könnte sich noch
schlechter auswirken als das vergangene, hat mich recht erschreckt, da doch
die finanzielle Hilflosigkeit, mit der die Bibliotheken ihren wichtigen Aufgaben
gegenüberstehen, wahrhaftig schon schlimm genug ist. [...] Voriges Jahr
hätten wir 4000 S. bekommen sollen (gegenüber ca. 9000 im Jahr 1929 u.
1930!), haben aber nur 2800 S. erhalten, was natürlich vollkommen trostlos
ist. Ich hoffe aber doch, durch immer wieder persönlich vorgebrachte Vorstellungen eine weitere Verschlechterung hintanzuhalten.188
Die notorische Geldnot verunmöglichte jede Investition in die so dringend
erforderlichen Maßnahmen zur Bestandserhaltung, was dem Bibliophilen
und Konservator besonders zu schaffen machte:
187
Peter Welf, Gedichte (Klagenfurt 1933) 19.
188
Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 6.2.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
58
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1.
Wirklich in Besorgnis setzt mich allerdings der Zustand, in dem sich unsere
Inkunabeln befinden. [...] Generationenlang hat sich überhaupt kein Mensch um
sie gekümmert! Was kann man tun, um sie zu retten und zu konservieren? [...]
Was soll man gar ohne Geld machen? An Papierblättern, die ich vor ein paar
Jahren eingelegt habe, sehe ich, daß wenigstens in einzelnen Bänden auch jetzt
noch Schädlinge hausen. Ich habe vorläufig alle Bände mit Vorsicht ein wenig
ausgeklopft, weil die Erschütterung den Tieren sehr lästig sein soll (?).189
Immer wieder fügte Benndorf in die nach Wien gehenden Berichte
Schilderungen seiner Alltagserfahrungen mit dem Provinzleben ein,
welche über Partien skurrile Züge annahmen, wenn er seiner Verzweiflung
darüber, sich in der realen Vorlage der bizarren Welt eines Fritz von
Herzmanovsky— Orlando wiederzufinden, mit Ironie zu begegnen suchte:
Einen etwas merkwürdigen Konflikt hatte ich hier mit dem Bundes —PolizeiKommissariat. Ich hatte voriges Jahr eine amtliche Eingabe an die Polizei
wegen etlicher säumiger Entlehner gemacht. Nach längerer Zeit erhielt ich
persönlich in meiner Privatwohnung eine polizeiliche Vorladung zwecks
einer Einvernahme, die dann in nichts bestand als in mündlichen Auskünften
auf die amtliche Eingabe der Bibliothek. Ich gab sehr höflich meinem
Erstaunen über diesen zwischen Ämtern und Behörden doch nicht üblichen
Verkehrsmodus Ausdruck, [...] bat jedoch künftige Eingaben amtlich zu erledigen. Nach einiger Zeit erhielt ich nun wieder in meiner Privatwohnung
eine persönliche Vorladung. Da ich das nun für die Ungeschicklichkeit eines
jüngeren Konzeptsbeamten hielt, diesem eine Unannehmlichkeit ersparen
und die ganze Sache nicht unnötig aufbauschen wollte, ließ ich diesem
Konzeptbeamten etwa eine Woche vor dem Ladungstermin durch einen
gemeinsamen Bekannten vertraulich sagen, daß ich mich, falls es sich bei
meiner Vorladung wieder um eine amtliche Angelegenheit handle, im Interesse
meines Amtes verpflichtet fühlen müßte, mich offiziell zu beschweren. Worauf
dieser Bekannte von dem Polizeibeamten die Antwort erhielt, was mir eigentlich
einfiele, die Studienbibliothek sei doch kein Amt, er würde ihr daher nie
einen Akt schicken und es stünde völlig im Belieben der Polizei jemandem an
seinen Dienstort oder in seine Privatwohnung zu schreiben.190
189
Ebd.
190
Briefentwurf von Wolfgang Benndorf an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 2.2.1933. Mit dem handschriftlichen Vermerk: "Nicht
abgeschickt! Entwurf zu dem Brief vom 6.II.33". UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
59
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1.
Zur fatalistischen Hinnahme der Misere, zur ergebenen Verwaltung des
Verfalls nicht bereit, sann Benndorf auf Lösungen jenseits der üblichen
Dienstwege. In einem Schreiben an Bick erörterte er die Möglichkeit,
durch den Verkauf von Dubletten Gelder zu lukrieren:
Es wäre wohl zu überlegen, ob man das Stück nicht hergeben sollte, namentlich wenn man einen Betrag dafür bekäme, mit dem man für die Erhaltung
der übrigen Inkunabeln wertvolles [!] leisten könnte. Ich weiß nun gar
nicht, welches eigentlich der offiziell vorgeschriebene Weg ist, falls sich ein
Tausch oder Verkauf in das Ausland, etwa die Notgemeinschaft deutscher
Wissenschaft oder das Londoner British Museum als zweckmäßig herausstellen sollte. Wohl ein eigener Bericht an das Ministerium mit der Bitte um
die Bewilligung? Auch fühle ich mich nicht sicher, wann man in normalen
Zeiten und in so schweren Zeiten wie den jetzigen die Abgabe einer Dublette
als indiziert betrachten darf. [...] Andererseits brauchen wir Geld wie das
liebe Brot, wenn ich an den Zustand der anderen Inkunabeln denke, sagt mir
der gesunde Menschenverstand: Besser eine Inkunabel hergeben und dafür
für die anderen sorgen können, als alle langsam zu Grunde gehen lassen!191
Ein Unterfangen, welches letzten Endes an der minderen Qualität der
zu veräußernden Stücke scheitern sollte, wie der etwas moros anmutenden Antwort Bicks zu entnehmen ist:
In Beantwortung Ihres geschätzten Schreibens vom 21.v.M. beehre ich mich
mitzuteilen, dass die im letzten Schreiben erwähnte Inkunabel —Dublette
Ihrer Bibliothek Hain 8100 (Gregorius, Decretales) hier eingelangt ist. Zu
meinem Leidwesen sehe ich, dass diese nicht vollständig ist und auch hinsichtlich ihres Erhaltungszustandes manches zu wünschen übrig lässt; [...].192
Desgleichen stießen Benndorfs allzu treuherzig an Bick herangetragene
Absichten, "mit Erlaubnis der Landesregierung aber sozusagen ganz
inoffiziell"193 eine unbezahlte Aushilfskraft aufzunehmen, nicht auf das
Entgegenkommen seines Mentors:
191
Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 6.2.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
192
Schreiben des Generaldirektors der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, an
Wolfgang Benndorf vom 4.4.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
193
Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 21.3.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
60
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1.
Die Personalschwierigkeiten Ihrer Bibliothek begreife ich voll und ganz und begreife deshalb auch Ihr Bestreben, ihnen möglichst abzuhelfen, wenn auch, wie
ich sehe, auf dem verbotenen Wege, da ja die Aufnahme von Volontären und
unentgeltlichen Mitarbeitern durch zwei Erlässe ausdrücklich untersagt ist. 194
Wolfgang Benndorf nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es galt, seinem
Leiden an der Provinz
und Indolenz
—
—
für ihn Synonym für Geistfeindlichkeit, Stupor
Ausdruck zu verleihen. In den Briefen an Josef Bick
geißelte er die örtliche Beamtenschaft als "Barbaren"195 und "geisteskranke [...] Menschen"196 , die er maßgeblich für den misslichen Zustand
der Bildungseinrichtung verantwortlich machte:
Ich hatte früher immer geglaubt, daß die schlimmsten Beschädigungen der
alten Bücher wohl noch in den Klöstern vor der Josephinischen Säkularisation
und der Übernahme in die Studienbibliothek geschehen sein müßten. Ich
bin jetzt anderer Ansicht geworden, da sich sehr vieles nachweislich in der
Studienbibliothek zugetragen hat.197
Die burlesken Schilderungen Benndorfs stellten auch den Versuch dar,
die Bedrückung durch die geistige Enge mit ihren aggressiven, nationalistischen Untertönen, in die er sich gepresst sah, zu lockern:
Es geschehen hier wirklich Dinge, die wo anders [!] kaum möglich wären.
Um nur ein Beispiel zu nennen. Als voriges Jahr die Absicht des hiesigen
Theaterdirektors bekannt wurde im September
stimmungsfeier
—
—
also 1 Monat vor der Ab-
ein Burgtheatergastspiel der »Jüdin von Toledo« zu veran-
stalten, protestierten viele Kärntner dagegen, daß man ausgerechnet zur
Zeit der Abstimmungsfeier ein Stück spiele, in dem eine Jüdin vorkomme. Der
Protest drang bis nach Wien zu einem Bundesminister Kärntner Nationalität
und dieser verfaßte dann einen Brief an die Landesregierung, in dem auch
er davor warnte, die Jüdin von Toledo spielen zu lassen, man solle doch
lieber ein Stück von »einem österreichischen Dichter, z.B. von Grillparzer
194
Schreiben des Generaldirektors der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, an
Wolfgang Benndorf vom 4.4.1933. UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
195
Briefentwurf von Wolfgang Benndorf an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 2.2.1933. Mit dem handschriftlichen Vermerk: "Nicht
abgeschickt! Entwurf zu dem Brief vom 6.II.33". UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
196
Ebd.
197
Ebd.
61
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1.
oder Schönherr« spielen. Der Theaterdirektor mußte damals in eigener Person
nach Wien fahren, um die Erlaubnis zur Aufführung der Jüdin von Toledo
zu erhalten und um einen Bundesminister darüber aufzuklären, daß dieses
Stück ohnehin von Grillparzer ist. [...] Solcher erheiternder Episoden ist nun
das Kärntner Geistesleben voll, man kann sie immer wieder erleben.198
Hinter den forciert launigen Schilderungen schwelte die Depression. So
sehr Benndorf bemüht war, um seiner beruflichen Karriere willen gegenüber seinem Vorgesetzten Optimismus, Diensteifer und Rührigkeit zu
bekunden, in der Befürchtung, durch beständige Lamentationen die
gleichwohl geringe Chance auf eine Verwandlung der interimistischen
Bibliotheksleitung in eine definitive Bestallung zu verwirken 199, vermochte
er sein Hadern mit dem geistig —politischen Klima doch nicht gänzlich
zu verhehlen: "Darum gebe mich aber, beiläufig gesagt, doch keinen
Illusionen über den geistigen Aspekt dieses Landes hin." 200 In einem seiner
vorliegenden Briefe an Generaldirektor Josef Bick zitierte Benndorf
aus einem in der Tageszeitung "Freie Stimmen" veröffentlichten Artikel
der Kärntner Landsmannschaft Kärnten den Kärntnern, worin eingeräumt
wird, dass auch "unter Nichtkärntnern erstklassige Menschen sein
mögen."201 Zwischen Entrüstung und Bestürzung schwankend, formulierte
er seine Hoffnung auf eine "Aktion von »vernünftigen Kärntnern« [...],
um gegen diesen Unsinn Stellung zu nehmen."202 Anspielungen in den
Briefen ist zu entnehmen, dass die Geisteshaltung und politische Einstellung Benndorfs zu Friktionen mit seiner Umgebung führte, wenn er
von "vielen falschen Gerüchten, die über mich im Umlauf waren und mir
198
Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 17.3.1931. UAK, Kt. 362, Fasz. 1931.
199
Siehe Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 1.3.1932. UAK, Kt. 362, Fasz. 1932.-
200
Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 17.3.1931. UAK, Kt. 362, Fasz. 1931.
201
Briefentwurf von Wolfgang Benndorf an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 2.2.1933. Mit dem handschriftlichen Vermerk: "Nicht
abgeschickt! Entwurf zu dem Brief vom 6.II.33". UAK, Kt. 362, Fasz. 1933.
202
Ebd.
62
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1.
das Leben so schwer gemacht haben"203 schreibt. Ungeachtet dessen
gebrach es Benndorf in seinen öffentlichen Auftritten weder an Zivilcourage noch an Rhetorik, um furios gegen Rassismus, Deutschtümelei
und Kulturnationalismus zu Felde zu ziehen, wie seine fulminante Rede
zum "Tag des Buches", gehalten am 21. März 1931 zeigt, die hier mit
einem längeren Ausschnitt wiedergegeben sei:
[Ich will] ihnen mit einer fast naturwissenschaftlichen Exaktheit das Schicksal,
welches die Goethesche Pandora bei uns erfahren würde, prophezeien.
[...] Noch bevor das Buch gelesen wird, rennen ein paar Leute der Verlagsbuchhandlung die Bude ein, erzürnt, weil das Buch in Antiqua und nicht in
Fraktur gedruckt wurde. Andere sagen: »Pandora? Das ist ja von diesem
grauslichen Juden, Wedekind, oder wie er nur heißt, so etwas lesen wir
nicht!« Wieder andere halten den Verfasser nicht für einen Juden, sondern
für einen Griechen und sagen, man solle doch nicht ausgerechnet jetzt, wo
noch nicht 6 Monate seit der Abstimmungsfeier vergangen sind, so etwas
spielen. Spielt doch lieber deutsche Dichter, z.B. Grillparzer oder Schönherr,
Kernstock oder Goethe! Das Buch kommt zum Volksbildungsreferenten. Er
persönlich findet das Stück zwar schön; aber ich fürchte fast, er würde
konstatieren, ein Buch müsse nicht nur »wertvoll«, es müsse auch »lesbar«
sein. [...] Im Landtag wird der Antrag gestellt, man solle das Theater in die
Luft sprengen, um die Aufführung zu verhindern. Eine Anzahl heimischer
Dichter
—
gewiss nicht alle, aber doch diejenigen, von denen man sich gut
vorstellen könnte, daß ihre eigenen Festspiele im Sandwirtsaal aufgeführt
würden, wo sie an den dort befindlichen Fresken gleich die geeignete
Dekoration hätten!
—
verfaßt ein enthusiastisches Zustimmungsschreiben.
Das Werk stelle den Typus moderner Abwegigkeit dar. Außerdem sei es
undeutsch! Es kommen Fremdworte darin vor! Vor allem aber: es ist eine
Beleidigung für die Kärntner! [...]; eine so beispiellose Brutalität als allgemein
menschlich hinzustellen, vor Kärntnern, das ist eine freche Verhöhnung des
Kärntner Volksschlages!204
203
Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek
Wien, Josef Bick, vom 17.3.1931. UAK, Kt. 362, Fasz. 1931.
204
Personalakte Wolfgang Benndorf, Universitätsbibliothek Klagenfurt (= künftig UBK),
Personalakten.
63
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1.
Benndorfs beherztes Auftreten vermochte gleichwohl nicht zu verhindern,
dass die Agitation sich auch in die Studienbibliothek Einlass zu verschaffen wusste:
Übrigens haben wir hier in letzter Zeit mehrmals die befremdende Beobachtung gemacht
—
Städten auch so ist
und es würde mich interessieren, ob das in anderen
—
daß Bücher der Studienbibliothek zu politischen Pro-
pagandazwecken benützt werden[,] indem Leser in die entlehnten Bücher
maschingeschriebene oder gedruckte oder handschriftliche Flugzettel hineinlegen, meistens sehr klein, so daß man sie nicht gleich bemerkt. [...] Ich
habe es jedoch bis jetzt für zweckmäßiger gehalten, die Wische, wo man
sie findet, einfach stillschweigend zu entfernen, als etwa durch ein ausdrücklich anzuschlagendes Verbot dem Übel eventuell Reklame zu machen
oder noch mehr Leser auf den Gedanken zu bringen, das Beispiel
nachzumachen. 205
Durchaus zum Nachteil der Studienbibliothek und der Stadt, verließ
Wolfgang Benndorf im Sommer 1934 Klagenfurt, um als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Grazer Universitätsbibliothek zu wechseln:
"Aufgrund seiner erklärten Gegnerschaft zum Nationalsozialismus
wurde er schon wenige Wochen nach dem »Anschluß« im Jahr 1938
fristlos aus dem Bibliotheksdienst entlassen. Dies auf Betreiben des
nunmehr überaus mächtigen NS —Studentenbundes."206 Zudem wurde
der Literat und Feuilletonist Benndorf mit einem Schreibverbot belegt:
"Benndorf war dann längere Zeit arbeitslos und brachte sich später
als Buchhalter, Korrektor und Sprachlehrer notdürftig durch."207 Nach
Kriegsende wurde er verdienterweise zum Direktor der Universitätsbibliothek berufen, eine Position, die er acht Jahre lang bekleidete.
In zahlreichen Artikeln und Feuilletons prangerte Benndorf unbeugsam
205
Schreiben Wolfgang Benndorfs an den Generaldirektor der Nationalbibliothek.
Wien, Josef Bick, vom 25.5.1932. UAK, Kt. 362, Fasz. 1932
206
Hirschegger, Geschichte der Universitätsbibliothek Graz 1918 —1945 (Anm. 186)
32.
207
Ebd. 32.
64
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.1.
gesellschaftliche Missstände an. Wohl aus Klagenfurter Zeit rührte seine
Bekanntschaft mit Michael Guttenbrunner her, der ihm eine Erzählung
mit dem Titel Absage 208 widmete, eine Eloge an die Unbeugsamkeit.
208
Michael Guttenbrunner, Absage. In Memoriam Wolfgang Benndorf. In: Die
Verbannten. Eine Anthologie, ed. Milo Dor, (Graz 1962) 25-27.
65
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
I.3.2. Theodor Schmid (1933 —1942)
Am 1. September 1933 befreite Theodor Schmid mit der Übernahme
der Bibliotheksdirektion Wolfgang Benndorf von der Verantwortung für
das marode Amt209 . In Anbetracht des abgewirtschafteten Zustandes
der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt fällt es schwer, in der Beförderung des 58—jährigen zum Bibliotheksleiter einen Karriereschritt zu
sehen. Dass die Versetzung von der Technischen Hochschule Wien nach
Klagenfurt gleichwohl im vollen Einverständnis mit dem Bestellten erfolgte,
ja auf dessen Bewerbung zurückging, erklärt sich damit, dass Schmid
—
anders als Benndorf
—
ein genuiner Vertreter des k.k. Beamtenstaates
war, für welch selbigen die göttliche Ordnung der Welt im strengen
wie verlässlichen Curriculum der Ämter und der mit ihnen verbunden
Würden sich abbildete.
Obzwar Schmid sein ordentliches Studium im soliden Bereich der Naturund Rechtswissenschaften absolvierte
—
väterlichen Mahn- oder Machtwortes
gut denkbar in Befolgung eines
—
, waren seine Interessen viel-
gestaltiger Natur: "Während meiner Universitätszeit besuchte ich jedoch auch sehr viele Vorlesungen und Übungen aus den Gebieten der
modernen Sprachen (Englisch, Italienisch), der Geographie, Geologie,
Naturgeschichte, Geschichte und Kunstgeschichte."210 Fast melancholisch,
da in keinen sachlichen Zusammenhang gestellt, mutet die Erwähnung
einer mit seinem Vater unternommenen Italienreise an: "[W]obei wir
namentlich Venedig, Florenz, Rom, Neapel und Capri besuchten."211
Der Wandel vom aufgeschlossenen jungen Mann zum pedanten Bürokraten im Durchlaufen der "untugendenzerschmetternden Schule" 212 des
Staatsdienstes spiegelt sich in der Sprachdürrung:
209
Wie sich das gemeinsame Dienstjahr von Wolfgang Benndorf und Theodor Schmid
an der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt gestaltete, ist nicht eruierbar.
210
Handschriftlicher Lebenslauf Theodor Schmids, verfasst 1946. UBK, Personalakten.
211
Ebd.
212
Rober Walser, Jakob von Gunten (Zürich/Frankfurt am Main
66
8
1998) 154.
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
Am 13.IX.1912 wurde ich ernannt zum Bibliothekar II.Kl. an der Bibliothek
der Techn. Hochschule Wien, wurde daselbst Bibliothekar I.Kl. am 20.VI.1920
u. erhielt den Titel eines Oberbibliothekars am 24.III.1921. März 1928
wurde ich zum Oberstaatsbibliothekar ernannt mit Rechtswirksamkeit vom
1. Jänner 1928, August 1933 zum Leiter der Studienbibliothek Klagenfurt,
welchen Posten ich am 1.IX.1933 antrat. 9. Feber 1938 erhielt ich vom
Bundespräsidenten den Titel eines Hofrates.213
Die Ernennung zum Leiter der Studienbibliothek war der letzte Abschnitt
einer vorgezeichneten, zufallsabweisenden, pensionsvisierten Laufbahn.
Dementsprechend unaufgeregt fügte sich Schmid auch in die inneren
Umstände seines Amtes.
Ernstlich in Bedrängnis brachte ihn erst die mit der Vollendung seines
35. Dienstjahres seitens des Bundesministeriums für Unterricht per
Erlass vom 30. August 1937 für Ende Februar 1938 verfügte Versetzung
in den dauernden Ruhestand214 . Dem wenige Tage darauf erhobenen
Einspruch Schmids ist die Bestürzung über diese ihm offensichtlich unerwartete und vorzeitige Amtsenthebung deutlich abzulesen. Sein
Gesuch, den Pensionsantritt unter Hinweis auf seine Verpflichtungen als
Alleinerhalter einer sechsköpfigen Familie sowie dringende, an keinen
Nachfolger so ohne weiteres zu übertragende bibliothekarische Fertigstellungsarbeiten um wenigstens ein Jahr zu stunden, wurde noch im
November des Jahres abschlägig beantwortet. Was letzten Endes dazu
führte, dass Theodor Schmid die Leitung der Studienbibliothek weitere
fünf Jahre innehaben konnte, bleibt in den Akten ausgespart. Ob sich
ein Fürsprecher fand, ob ihm der Anschluss im März 1938 zugute
kam, ist der Spekulation anheimgestellt. Das nächst datierte Schriftstück
in den Personalunterlagen bescheidet Theodor Schmid jedenfalls seine
definitive Pensionierung mit 1. Mai 1942, welche er, versehen mit dem
213
Handschriftlicher Lebenslauf Theodor Schmids, verfasst 1946. UBK, Personalakten.
214
Schreiben des Bundesministeriums für Unterricht vom 19.11.1937, ZL. 33116—I/5.
UBK, Personalakten.
67
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
"Goldene[n] Ehrenzeichen für 40—jährigen treuen Staatsdienst" 215, antrat.
Wofür die Stundung der vorzeitigen Pensionierung um weitere fünf Jahre
aber zweifelsohne Gewähr bot, waren eine vorbildliche Amtsauffassung
und beflissene Diensterfüllung im Sinne des neuen Regimes:
Die meisten Beamten
tungen geschonten
—
—
nicht zuletzt auch die entgegen eigenen Befürch-
wußten sich dem in sie gesetzten Vertrauen würdig zu
erweisen. [...] Widerstandshandlungen im österreichischen Beamtenapparat
waren noch seltener als in der übrigen Bevölkerung. Eine gewisse Gewöhnung an autoritäre Herrschaftsformen hatte bereits das Vorgängerregime
ermöglicht; hinzu kamen inhärente Affinitäten zu traditionellen obrigkeitsstaatlichen Denkweisen bei vielen österreichischen Beamten. Und besonders
wichtig für viele Beamte: die neuen Machthaber gaben sich den Anschein
formal strikter Legalität.216
Neben der Berufung auf seine vorrangige Verantwortung als Familienerhalter war letzteres für den promovierten Juristen Schmid zweifellos
ein weiteres Subordinationsargument und Entlastungsmoment.
Der "Anschluss" Österreichs an Hitlerdeutschland am 13. März 1938 fand
selbst in den Korrespondenzakten einer Provinzinstitution so geringer
bildungspolitischer Bedeutung und budgetärer Handlungsfähigkeit wie
der Öffentlichen Studienbibliothek seinen augenfälligen Niederschlag
in Form einer jähen Zunahme der ministeriellen Rundschreiben und
Erlässe. Allenthalben ging seitens des gleichgeschalteten Verwaltungsapparates ein papierener Regen aus Erlässen, Erhebungen, Fragebogen,
Formularen und Antragsscheinen auf die Behörden herunter und lagerte
sich als moralabstumpfender brauner Schlick in den Ämtern ab.
Im Folgejahr 1939 wurden antijüdische und antisozialistische Restriktionen
auch im österreichischen Bibliothekswesen vollumfänglich wirksam.
Die an die Studienbibliothek adressierten Anfragen und Anweisungen
215
Handschriftlicher Lebenslauf Theodor Schmids, verfasst 1946. UBK, Personalakten.
216
Hagspiel, Die Ostmark (Anm. 114) 133.
68
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
nämlichen Sachverhalts wurden seitens der Bibliotheksleitung legalistisch
abgearbeitet. Zum einen mit der Ausstellung eines "Politischen Unbedenklichkeitszeugnisses" für die Bedienstete der Studienbibliothek am
30.9.1938217 , zum anderen mit der Übermittlung der staatlicherseits geforderten Angaben bezüglich der "rassischen" Zugehörigkeit derselben
an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten in Wien
vom 10.6.1939 (Abb. 1, Dokumente):
In Befolgung des do. Antrages vom 25. Mai 1939, Zl. IV—1 —323386 —d,
beehrt sich die ergebenst gefertigte Direktion mitzuteilen, daß hieramts keine
jüdischen oder jüdisch versippten Beamten oder Angestellten bedienstet sind.
Der rechtsgültige Nachweis rein arischer Abstammung wird bei allen hieramts
bediensteten Beamten und Angestellten noch in diesem gegenwärtigen Monat
durchgeführt sein.218
Beide amtlichen Leermeldungen hatten ihren legislatorischen Ursprung
in dem am 7. April 1933 in Deutschland erlassenen "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", das mit den Paragrafen 3 und 4
zwei wesentlichen Punkten des Parteiprogramms der NSDAP staatsrechtlich verankerte Umsetzungsbeihilfe leistete. Der im Konzeptwort
"Arierparagraf" zusammengefasste §3 legte unumwunden fest: "Beamte,
die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand zu versetzen."219 Mit diesem Passus "fand zum ersten Male antisemitisches
Gedankengut Eingang in die Reichsgesetzgebung."220 War §3 das unter
rassenideologischen Gesichtspunkten herausragende Teilstück des Berufs217
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Ministerium für
innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, vom 30.9.1938. UAK, Kt. 363, Fasz. 1938.
218
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Ministerium für
innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, vom 10.6.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939.
219
"Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7.4.1933. RGBl 1933
I, 175. Teilw. abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus
(Anm. 90) 299.
220
Jörg Grotkopp, Beamtentum und Staatsformwechsel (= Rechtshistorische Reihe
105, Frankfurt am Main 1992) 111.
69
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
beamtengesetzes, so war §4, der nach damaliger Diktion die "Gleichschaltung der Beamten mit dem Staate"221 befördern sollte, dessen
politisches Korrelat. Die so umfassende wie vage Klausel: "Beamte,
die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür
bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten,
können aus dem Dienst entlassen werden"222 , öffnete Willkürakten wie
Inhaftnahme und Internierungen von Beamten in Konzentrationslagern 223,
Denunzianten- und Konjunkturrittertum Tür und Tor in einem Ausmaß,
dass sich die Regierung alsbald genötigt sah, zu gegensteuernden
Maßnahmen zu greifen.
Der Titel des neuen Gesetzes entsprang politisch —propagandistischem
Kalkül, indem er einesteils eine Polemik gegen die Weimarer Republik
enthielt, andererseits das Ressentiment vieler Staatsdiener gegen Außenseiter und republikanische Ämterpatronage bediente. 224 Während das
Berufsbeamtengesetz aber mit Rücksicht auf die Bevölkerungsstimmung
immerhin noch Ausnahmeregelungen vorsah, indem etwa der Patriotismusnachweis in Gestalt dekorierter Kriegsteilnahme der jüdischen
Herkunft pardonierend übergeordnet wurde, trat die politische Radikalisierung mit dem am 26. Jänner 1937 verabschiedeten "Deutsche[n]
Beamtengesetz" in ihre nächste Phase. Nach §59 waren nunmehr
auch solche Beamte des Dienstes zu verweisen, deren "Ehegatte nicht
deutschen oder artverwandten Blutes ist".225 Und auch der Vollzug oder
vielmehr die Vollstreckung des Gesetzes kannte jetzt keine Schonzeiten
mehr, wie eine im gleichen Jahr angestellte Untersuchung zur "Beamten221
Hans Seel, Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (Berlin
2
1933) 10.
222
"Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7.4.1933. RGBl 1933
I, 175. Teilw. abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus
(Anm. 90) 299.
223
Vgl. Grotkopp, Beamtentum und Staatsformwechsel (Anm. 220) 132.
224
Vgl. ebd. 105.
225
"Deutsches Beamtengesetz" vom 26.1.1937. RGBl 1937 I, 41. Teilw. abgedr. in:
Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 303.
70
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
politik im Dritten Reich" mit Genugtuung konstatierte: "Jüdische Beamte
gibt es im Staatsdienst also nicht mehr."226 Nach dem "Anschluss" am
13. März 1938 erfuhren diese Maßnahmen mit der "Verordnung zur
Neuordnung des österreichischen Beamtentums" vom 31. Mai 1938
ihren spiegelbildlichen Übertrag auf die österreichische Verwaltung.
Umfangreiche Fragebogen, zu deren peinlich genauer Ausfüllung alle
Staatsangestellten angehalten waren, dienten der Erhebung rassischer
wie politischer Amtstauglichkeit: "Es kam zur Bildung von Kommissionen,
zu Verhören und Sanktionen, die von der Degradierung über die Pensionierung mit verkürztem »Ruhegenuß« bis hin zur fristlosen Entlassung
ohne jeden Pensionsanspruch reichten."227
Mithin lässt sich sagen, dass, dem programmatischen Bestreben nach,
die Beamtenschaft des deutsch —österreichischen Verwaltungsapparates
weniger "gleichgeschaltet" denn "gesäubert" werden sollte.228 Jenseits
der obgenannten rassenideologischen oder politischen Gründe
—
die
in Preußen etwa mit 12,68%229 im Bereich des so gestuften "höheren
Dienstes" für eine drastischere Entlassungsquote sorgten, als in den
anderen Ländern, da hier "in größerem Umfang Sozialdemokraten in
den höheren Dienst aufgestiegen waren"230 und das Gros der jüdischen
Beamten überhaupt in der preußischen Verwaltung zu finden war231
—
wurzelte diese Tendenz in einem genuinen Misstrauen der Parteifunktionäre dem Beamtentum als solchem gegenüber, welches auf eine volle
Ausschöpfung der in den Beamtengesetzen enthaltenen Amtsenthebungs226
Erwin Schütze, Beamtenpolitik im Dritten Reich. In: Dr. Wilhelm Frick und sein
Ministerium, ed. Hans Pfundtner (München 1937) 47-65, hier 49.
227
Hagspiel, Die Ostmark (Anm. 114) 128.
228
Vgl. Thilo Vogelsang, Die nationalsozialistische Zeit. Deutschland 1933 — 1939
(= Deutsche Geschichte: Ereignisse und Probleme, Frankfurt am Main 4 1978) 24.
229
Grotkopp, Beamtentum und Staatsformwechsel (Anm. 220) 285.
230
Hans Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur
nationalsozialistischen Beamtenpolitik (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für
Zeitgeschichte 13, Stuttgart 1966) 56.
231
Vgl. ebd. 56.
71
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
paragrafen drängte:
In den besonderen Rechten des Berufsbeamtentums, seinem traditionell starken
Zusammenhalt, der Homogenität des Beamtentums auf Grund ähnlicher
Ausbildung und Herkunft, in dem vielfach üblichen Kooptionsverfahren bei
der Besetzung der Beamtenstellen des höheren Dienstes sowie in der überwiegend konservativen Grundeinstellung der Beamten sah man eher einen
dem nationalsozialistischen Führungsanspruch entgegenstehenden »Staat im
Staat«.232
Umso mehr nimmt es wunder, dass ungeachtet der auch von Seiten Hitlers
seinerseits bereits in der Festungsschrift Mein Kampf vorgebrachten
Invektiven 233, weite Teile der Beamtenschaft deutlich positiv auf dessen
Reichskanzlerschaft reagierten und der opportunistischen Rhetorik seiner
im Reichswehrprozess abgegebenen Loyalitätsbekundungen vertrauten.
Derart tief ging die Ablehnung der republikanischen Staatsform, welche
gerade auch seitens der Beamtenschaft durch einschneidende Maßnahmen wie die Personalabbauverordnung des Jahres 1923 und die
Besoldungskürzungen im Rahmen der Notverordnungen 1930/31 zusätzlich Nahrung erhielt234 . Vor allem aber der unverwundene Schock
über die Revolution 1918/19, die alle Majestät und die in deren Lichthof gelegene Amtshonorigkeit hinweggerissen hatte, veranlasste viele
Staatsdiener, für das Versprechen der Wiederherstellung der "Ideale
des altpreußischen Beamtentums" 235 den moralischen Tribut der Hinnahme von Rechtseinbußen zu bezahlen.
232
Martin Broszat, Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren
Verfassung (= dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts 9, München 5 1975) 302.
233
"Kriechende Unterwürfigkeit nach »oben« und arrogante Hochnäsigkeit nach
»unten« zeichnen diesen Stand ebensosehr aus wie eine oft himmelschreiende
Borniertheit, die nur durch die manchmal geradezu erstaunliche Einbildung übertroffen wird." Adolf Hitler, Mein Kampf (München 701—705 1942) 352.
234
Vgl. Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich (Anm. 230) 25-27.
235
Aufruf Hermann Görings "An alle Beamten der Preußischen Inneren Verwaltung"
vom 1.2.1933. Ministerialblatt für die Preußische Innere Verwaltung 1933 I, Sp. 89 f.
Zit.n. Grotkopp, Beamtentum und Staatsformwechsel (Anm. 220) 101.
72
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
Innerhalb einer Gesamtheit von 1,5 Millionen Beamten wurden etwa
ein bis zwei Prozent auf der Grundlage des Berufsbeamtengesetzes
demissioniert. Ein noch tiefergreifender Personalwechsel, wie ihn der
Staatssekretär im Reichsministerium des Inneren und profunde Kenner
des öffentlichen Dienstes, Hans Pfundtner, programmatisch gefordert
hatte, blieb mit Rücksicht auf die Erfordernisse einer friktionsfrei arbeitenden Verwaltung letztlich aus: "Unter den Sofortmaßnahmen nimmt die
Säuberung des Verwaltungsapparates und die damit verbundene Wiederaufrichtung eines fachlich vorgebildeten, verantwortungsfreudigen und
national eingestellten Berufsbeamtentums natürlich die 1. Stelle ein. 236
Für eine Vergiftung des Klimas im gesamten öffentlichen Dienst und
die Einschüchterung eines Gutteils der Beamten reichten die gesetzten
Maßnahmen aber allemal aus.
Die Unterschiede in den Anwendungszahlen des Berufsbeamtengesetzes
waren aber nicht nur im Querschnitt der Länder betrachtet erheblich,
sondern variierten auch innerhalb der einzelnen Verwaltungsressorts.
Dass die Forderung nach der "Schaffung eines einwandfreien nationalsozialistischen höheren Beamtenkörpers" 237 insonderheit im ideologietragenden Bildungsbereich suspendierend zu Buche schlug, nimmt nicht
wunder. Sofern den Zahlen Verlass zugestanden werden kann, wurde
das wissenschaftliche Bibliothekswesen sowohl im gehobenen wie im
mittleren Dienstbereich von einem "moralischen Erdbeben" 238 der Entlassungen erschüttert: [D]uring the five years before National Socialism, a total of 94 librarians
—
about 22 for every hundred libraries
left office. During the five years after 1933, 271 librarians
—
—
or about
236
Denkschrift des späteren Staatssekretärs im Reichsministeriums des Inneren, Hans
Pfundtner, über beamtenpolitische Maßnahmen aus dem Jahr 1932. Abgedr. in:
Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich (Anm. 230) 127 ff.
237
Schreiben des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, an den Chef der Reichskanzlei vom 7.2.1935. Zit.n. Broszat, Der Staat Hitlers (Anm. 232) 310.
238
Handbuch der Bibliothekswissenschaft 3: Geschichte der Bibliotheken 2, ed.
Georg Leyh (Wiesbaden 2 1957) 469.
73
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
74 for every hundred libraries
—
left office. 239 Von den 271 Bibliothe-
karen gehörten 188 dem gehobenen Dienst an. Auch wenn diese Zahlen unvollständig sind, da sie lediglich den Zeitraum 1933 —1938 abdecken und sich auf das deutsche wissenschaftliche Bibliothekswesen
beziehen, vermitteln sie doch immerhin einen relationalen Eindruck.
Fraglos wird Theodor Schmid sein Schicksal als das eines "Geschonten"
mit jenem seiner nächsten Amtskollegen, wie Wolfgang Benndorf oder
Joseph Bick, die ihre Fronde gegen den Nationalsozialismus mit Entlassung, Konzentrationslager, Hausarrest zu büßen hatten, verglichen
und sich mit der Subordination gut beraten gefühlt haben, womit er
es, in der Formulierung seines Berufskollege Georg Leyh, Direktor der
Universitätsbibliothek Tübingen, verstanden hatte, "sich klug und menschenkundig zu halten."240
Die nationalsozialistische Personalpolitik war nur einer der Auswüchse
der Programmatik des Rassenstaates. Solcherart nahm die "Säuberung"
der Hochschulen und wissenschaftlichen Bibliotheken den Lehrkörper
und die Studenten nicht aus. Für den Hass der geballten Gesinnung
auf die dumpf gefühlte Wendigkeit und Weltläufigkeit der Intelligenz
waren die symbolischen Orte des Geistes die ausgesuchten Ziele der
Verfolgung und Unterhöhlung. Bereits im 19. Jahrhundert konnte die
deutschnationale, antisemitische Geisteshaltung unter den Studenten Fuß
fassen und auch auf Seiten des Lehrkörpers Sympathie und Gefolgschaft gewinnen. So zählten die Universitäten in den Dreißigerjahren
bereits zu den festen Bastionen der nationalsozialistischen Ideologie.
Von der Deutschen Studentenschaft ging am 10. Mai 1933 dann auch
der organisierte und geduldete Terror gegen das Leben des Geistes
aus, das sacrilegium intellectus der Bücherverbrennung.
239
Ralph T. Esterquest, A statistical contribution to the study of libraries in contemporary Germany. In: The library quarterly 11 (1941) 1-35, hier 16.
240
Handbuch der Bibliothekswissenschaft 3 (Anm. 238) 469.
74
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
Am 25. April 1933 nahm die sukzessive Vertreibung der Juden von
den Hochschulen mit dem "Gesetz gegen die Überfüllung deutscher
Schulen und Hochschulen" ihren Anfang. Demnach durfte der Anteil
jüdischer Studenten nicht über 5% liegen, bei Neuimmatrikulationen
wurden überhaupt nur noch 1,5% der jüdischen Studienanwärter zugelassen 241. Wiewohl die Zugangsregelung die Bibliotheken noch exkludierte, ließ der Gesinnungseifer einiger Institutionen diese in wohlgelittener Eigenmächtigkeit sich mit einer Reihe schikanöser Maßnahmen an
der Vertreibung ihrer jüdischen Benutzer beteiligen, weit davon entfernt,
den Relegierten und Abgewiesenen geistiges Asyl zu gewähren. So
wurde bereits am 1. April, also noch vor In—Kraft—Treten der gesetzlichen
Repression, in der Preußischen Staatsbibliothek eine Boykottaktion gegen
die jüdischen Bibliotheksbenutzer organisiert, die vielerorts Nachahmung
fand242 .
Am 8. Dezember 1938 erfolgte die reichseinheitliche Regelung: "Ausschluß von Juden an den deutschen Hochschulen", die nunmehr ausdrücklich auch das Verbot der Bibliotheksbenutzung enthielt:
Die Genehmigung, die ausgeschiedenen jüdischen Professoren, Lehrkräften
und wissenschaftlichen Beamten ausnahmsweise erteilt worden ist, privat in
Hochschulinstituten, Bibliotheken usw. wissenschaftlich weiterzuarbeiten, wird
mit sofortiger Wirkung zurückgezogen.243
Für jüdische Benutzer der Öffentlichen Bibliotheken war ein nämliches
Verdikt vom Reichsinnenminsteriums bereits am 29. November 1938
erlassen und expressis verbis auch auf die Nationalbibliothek sowie
241
"Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" vom
25.4.1933. RGBl 1933 I, 225. Teilw. abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im
Nationalsozialismus (Anm. 90) 259.
242
Vgl. Happel, Das wissenschaftliche Bibliothekswesen im Nationalsozialismus
(Anm. 141) 94 ff.
243
RMWiss, WA 3270, Z II A vom 8.12.1938. In: Das Sonderrecht für die Juden im
NS —Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien — Inhalt
und Bedeutung, ed. Joseph Walk (= Motive — Texte — Materialien 14, Heidelberg
/Karlsruhe 1981) 264.
75
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
die protowissenschaftlichen Studienbibliotheken ausgeweitet worden
(Abb. 2, Dokumente):
Zur Vermeidung von Unzukömmlichkeiten sind mit dem h.o. Erlass vom 29.
November 1938, Zl: IV — 2 — 42685/a, Juden überhaupt
ausländischer Staatsangehörigkeit
—
—
also auch Juden
vom Besuche der Hochschulbibliotheken
ausgeschlossen worden.
Diese Massnahme wird hiemit auf die Nationalbibliothek in Wien und auf
die Studienbibliotheken in Linz, Salzburg und Klagenfurt erstreckt.
Soweit bisher Professoren, sonstigen Lehrkräften und wissenschaftlichen
Beamten, die Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze und als solche aus
dem aktiven Hochschuldienste ausgeschieden sind, ausnahmsweise die Genehmigung erteilt worden ist, privat in Bibliotheken wissenschaftlich weiterzuarbeiten oder diese Einrichtungen zu benützen, gilt diese Genehmigung
mit sofortiger Wirksamkeit als erloschen.244
Seitens der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt blieb
dieser Erlass unbeantwortet und unkommentiert.
Dass die Bibliothek im Laufe ihres Bestehens auch Mitglieder der kleinen
jüdischen Gemeinde in Klagenfurt
—
die Volkszählung des Jahres 1934
ergab 201 Personen mosaischen Glaubens in Klagenfurt von 298
Personen in Kärnten insgesamt245
—
zu ihren Benutzern zählte, ist gut
denkbar, vor allem die Landeslehrerbibliothek dürfte den Schülern und
Schülerinnen der höheren Lehranstalten Unterrichtsbehelfe geliefert
haben. Ein Nachweis lässt sich aber nicht mehr erbringen, da die Benutzerkartei längst skartiert worden ist.
Dem Erlass ging die "Reichskristallnacht" voran, deren Ausläufer Kärnten
am 10. und 11. November 1938 erreichten. Die Pogrom—Befehle aus
Wien, die über das Kommunikationssystem der SS liefen 246, ließen in
244
Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung,
Kultus und Volksbildung, an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek
Klagenfurt vom 3.1.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939.
245
Vgl. Ulfried Burz, Die nationalsozialistische Bewegung in Kärnten (1918 —1933).
Vom Deutschnationalismus zum Führerprinzip (= Das Kärntner Landesarchiv 23,
Klagenfurt 1998) 107.
246
Vgl. August Walzl, Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich (Klagenfurt 1987) 213.
76
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
den Bezirksstädten Verhaftungs- und Zerstörungskommandos auf den
Plan treten. In Klagenfurt waren das Bethaus in der Platzgasse und der
jüdische Friedhof in St. Ruprecht die vorrangigen Orte der "spontanen"
Aktionen: "Im Bethaus warf man die leichten Möbel auf die Straße, zerstörte den Rest der Inneneinrichtung, zündeten aber nichts an."247 Die
Akten und sonstiges Schriftgut nahm der Sicherheitsdienst248 in Gewahrsam. Einhergehend mit der Randale der Hetzmeute wurden zwischen
August und Dezember 1938 zweiundzwanzig jüdische Gewerbebetriebe
in Klagenfurt "arisiert"249 und deren Besitzern mithin die Existenzgrundlage entzogen. Der Vermögensentzug und die zunehmende Radikalisierung lösten Ende 1938 unter den jüdischen Kärntnern eine große
Abwanderungswelle in Richtung Wien und weiter in die Emigration
aus250 . Eine neuerliche Volkszählung im Jahr 1939 erfasste mit Stichtag
17. Mai in Kärnten denn auch nur noch 60 in der rassenkundlich
basierten, injuriösen Amtssprache als "Volljuden" eingestufte Personen,
davon 22 in Klagenfurt-Stadt, 10 in Klagenfurt —Land, 6 in Villach
Stadt, 3 in Villach—Land, 6 in St. Veit, 1 in Spittal a.d. Drau, 2 im Bezirk
Völkermarkt und 3 im Bezirk Wolfsberg."251 (Abb. 3, Dokumente).
Die Kommentarlosigkeit, mit welcher der Erlass zu den Akten gelegt
wurde, mag ihren Grund also darin gehabt haben, dass es zu diesem
Zeitpunkt längst keinen jüdischen Bibliotheksbenutzer mehr gab und
dem ansonsten so akkuraten Bibliotheksdirektor Schmid selbst eine
amtliche Leermeldung in Anbetracht der Tatsache müßig erschien, dass
offizielle Meldungen Kärnten mit 31. Dezember 1938 für "judenfrei"
erklärt hatten 252.
247
Ebd. 213-214.
248
Vgl. ebd. 214.
249
Vgl. Burz, Die nationalsozialistische Bewegung in Kärnten (1918—1933) (Anm. 245)
112.
250
Vgl. Walzl, Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich (Anm. 246) 221 ff.
251
Statistische Übersichten für den Reichsgau Kärnten, zsgest. Statistisches Amt für
die Reichsgaue der Ostmark (Wien 1941). Stichtag: 17.5.1939.
252
Vgl. Walzl, Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich (Anm. 246) 231.
77
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
Nach über fünfunddreißig Jahren im Staatsdienst waren für Theodor
Schmid Zensur und Verbotspolitik mit deren im Bereich des Bildungswesens wirksam werdenden repressiven Direktiven, eine zwar aufwändige, grundsätzlich aber alltägliche bibliothekarische Usance, an
der sich auch in der Zwischenkriegszeit nichts änderte.
In Deutschland hatte die Nationalversammlung 1919 die Meinungs- und
Pressefreiheit in Artikel 118 der Reichsverfassung in den Grundrechten
verankert, doch so hehr und leer wie die in Artikel 142 postulierte
Formel von der "Freiheit der Kunst" blieb auch die legislatorische Geste,
da auch die Weimarer Zeit "jenseits tolerierter Freiheit politisch, moralisch und religiös motivierter Meinungsäußerungen [...] eine
gesehen
—
—
absolut
bedeutende kontinuierliche Überwachung, Behinderung,
Unterdrückung und Verfolgung öffentlicher Äußerungen [kannte]."253
Nunmehr übernahmen eben die ordentlichen Gerichte die interdizierende Tätigkeit der Zensurbehörde. Die einschlägigen Paragrafen, welche
vordem die Grundlage von Verboten und Verurteilungen gebildet hatten,
waren nach wie vor rechtsgültig254 . Als Instrumente ausschließlich der
Nachzensur erwiesen sie sich in ihrer Wirkungstiefe jedoch als unzureichend, weshalb die Bereiche der politischen und literarischen Schrifttumskontrolle mittels zweier Gesetze nachgerüstet wurden.
Nach der Ermordung von Reichsminister Walther Rathenau wurde 1922
das so genannte "Republikschutzgesetz" erlassen, in dessen Rahmen
"der Zensur insofern ein besonderes Gewicht zu[fiel], als sie jetzt in
Form scharfer Eingriffe in die Presse- und Versammlungsfreiheit ausdrücklich über die geltenden Strafrechtsbestimmungen hinaus zugelassen wurde"255.
253
Klaus Petersen, Zensur in der Weimarer Republik (Stuttgart/Weimar 1995) 2. Zu
diesem Abschnitt vgl. Bodo Plachta, Zensur (Stuttgart 2006) 152 ff.
254
Vgl. Hans J. Schütz, Verbotene Bücher. Eine Geschichte der Zensur von Homer
bis Henry Miller (München 1990) 157.
255
Petersen, Zensur in der Weimarer Republik (Anm. 253) 10.
78
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
1926 folgte mit dem sexualmoralischen Argument, dass §184 StGB,
Unsittlichkeit und Unzucht, die literarisch —pornographische Literaturproduktion nicht genugsam erfasse, das "Gesetz zur Bewahrung der
Jugend vor Schund- und Schmutzschriften" 256. Wörtlich genommen war
das Gesetz der Ausdruck eines konservativen Sittlichkeitsfanatismus.
Wohl nicht zu Unrecht argwöhnten die zeitgenössischen Intellektuellen
dahinter ein Produkt des "»trockenen« Faschismus"257 , den "großangelegten Versuch der Reaktion, die politische und kulturelle Linke in
Deutschland völlig mundtot zu machen"258.
Entsprechend der Weimarer Verfassung sah auch die österreichische
Erste Republik zumindest in ihren Bundesgesetzen keine zensorische
Judikatur vor. Desungeachtet praktizierte der austrofaschistische Staat
mittels scheinlegaler Verordnungen gleichwohl eine interdizierende
Schrifttumspolitik, die in der Erstellung und Distribution von Verbotslisten
ihren reprimierenden Niederschlag fand259 .
Am 26. Mai 1933 wurde per Verordnung der Bundesregierung der
Kommunistischen Partei jede Betätigung in Österreich verboten 260. Eine
Untersagung, welche selbstredend auch ein vollständiges Publikationsverbot implizierte. Die abbreviiert als "Liste 2" bezeichnete Aufstellung
umfasste im Jahr ihres Ersterscheinens 1934 ganze 52 Titel261 . Korrespondierend erging am 19. Juni 1933 die Verordnung der Bundesregierung,
wonach der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (Hitler256
Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften vom 18.12.
1926. RGBl 1926 I, 505. Vgl. ebd. 56 ff.
257
Heinrich Mann, Schmutz und Schund. In: Werkausgabe in zehn Bänden: Essays
(Düsseldorf 1976) 536.
258
Klabund, Gegen das Schmutz —und —Schund — Gesetz. In: Werke in acht Bänden 8:
Aufsätze und verstreute Prosa (Berlin 2003) 374.
259
Vgl. Murray Hall, Östereichische Verlagsgeschichte 1918—1938 1: Geschichte des
österreichischen Verlagswesens (= Literatur und Leben N.F. 25, Graz/Wien/Köln
1985) 109.
260
Vgl. ebd. 110.
261
Vgl. ebd. 116.
79
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
bewegung) und dem Steirischen Heimatschutz (Führung Kammerhofer)
jede Betätigung in Österreich verboten wird" 262. Die mit dem Betätigungsverbot korrelierende "Liste 1" war mit 257 Titeln im Jahr 1934 das
umfangreichste der interdizierenden Verzeichnisse 263.
Die generell literaturskeptische Einstellung des autoritären Regimes
wurde mit dem Gesetz zur "Bekämpfung staatsfeindlicher Druckwerke"264
vom 31. Jänner 1935 evident, welches seinem Inhalt nach eine Doppelung
der beiden vorhergegangenen Verordnungen darstellte, zudem noch
den bislang ausgesparten Bereich des Schrifttums religiösen Inhalts
abzudecken trachtete. Dementsprechend beinhaltete die "Liste 3" als
zweitgrößtes Kontingent der 120 im Jahr 1934 angeführten Titel Schriften,
die gegen die (katholische) Kirche in Österreich gerichtet waren265.
Zusammengestellt wurden die Verbotslisten monatsweise "bei der
Bundes —Polizeidirektion in Wien (Preß —Bureau) im Einvernehmen mit
der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Bundeskanzleramt sowie dem Landesgericht für Strafsachen Wien"266 und auf der
Grundlage eines vorgegebenen Verteilerschlüssels an die zuständigen
Dienststellen und öffentlichen Institutionen verteilt. Die Verbreitungsbeschränkungen für Periodika wurden zudem im amtlichen Teil der
Wiener Zeitung verlautbart, solche für Bücher und Broschüren im Anzeiger, dem offiziellen Organ des Vereins der österreichischen Buch-,
Kunst- und Musikalienhändler267 .
Wie eingangs erwähnt, gehörten die diversen Verbotslisten auch zum
bibliothekarischen Alltag der Studienbibliothek. So findet sich in den
Korrespondenzakten derselben ein Schreiben Theodor Schmids vom 27.
262
Vgl. ebd. 110.
263
Vgl. ebd. 114-115.
264
Vgl. ebd. 112.
265
Vgl. ebd. 118.
266
Ebd. 114.
267
Ebd. 114.
80
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
Oktober 1934 an das Bundesministerium für Unterricht mit dem Gesuch:
Unserem Vernehmen nach sind in der Universitätsbibliothek Graz die derzeit
verbotenen Bücher, welche dem Lesepublikum nicht ausgefolgt werden dürfen,
bekannt gegeben worden. Da aber hieramts noch kein solches Verzeichnis
eingelaufen ist, bitten wir um baldmöglichste Zusendung einer offiziellen
Liste der derzeit in Österreich verbotenen Bücher.268
Auch die drei offiziellen Verbotslisten finden sich in ihrer vermutlich
letztgültigen Version mit Datum 14. Februar 1938
vor dem "Anschluss"
—
—
also einen Monat
in den Akten; "Liste 1" mit 28 Titeln, "Liste 2" mit
4 Titeln und "Liste 3" mit 126 (je nach Zählweise) aufgeführten Titeln 269.
Entsprechend dem Vorhandensein der hier aufgelisteten Titel im Bestand
der Studienbibliothek, erstellte Schmid einen "Fachkatalog der Studienbibliothek 1936 —1939: Nicht erwünschte und verbotene Literatur". Die
darin auf 6 Seiten erfassten 74 Titel wurden nach folgender Systematik
rubriziert:
1.
2.
3.
4.
Geschichte
Lebensbeschreibungen
Politik
Grenz- und Auslanddeutschtum, Judenfrage, Freimaurerei, Rassenfrage,
Erblehre
5. Rechts- und Staatswissenschaften
6. Technik270
Mit dem "Anschluss" verlor zumindest die "Liste 1" ihre Gültigkeit, ja
mutierte vom verbotenen zum nunmehr erwünschten Schrifttum. Am 13.
Juli 1939 urgierte die Direktion der Studienbibliothek beim Ministerium
für innere und kulturelle Angelegenheiten die Bekanntgabe der nunmehr
geltenden Indizierung (Abb. 4, Dokumente):
In Erledigung des do. Auftrages Zl. IV — lg — 113/1939 beehrt sich die gefertigte Direktion mitzuteilen, dass sie die regelmäßige Zusendung eines
268
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Bundesministerium
für Unterricht Wien vom 27.10.1934. UAK, Kt. 362, Fasz. 1934.
269
"Liste 1", "Liste 2", "Liste 3" der interdizierten Literatur. UAK, Kt. 363, Fasz. 1938.
270
Fachkatalog der Studienbibliothek 1936 —1939: Nicht erwünschte und verbotene
Literatur. UAK, Kt. 367.
81
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
Exemplares der »Listen des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«
erbittet.271
Neben den listenweise rubrizierten Schriften ergingen seitens der staatlic hen Zensurbehörde im Anlassfall auch gesonder t Er werbungsinterdiktionen und Sekretierungserlässe an die Bildungseinrichtungen.
Die zwei interessantesten, die in die Akten der Öffentlichen Studienbibliothek Eingang fanden, betrafen die norwegische Schriftstellerin
Sigrid Undset und den Geographen und Kartographen Sándor Radó.
Die Nobelpreisträgerin Sigrid Undset (1882 —1949) war eine frühe und
beständige Oppositionelle des Nationalsozialismus. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Norwegen 1940 wandte sie sich via Radio in
einer Brandrede an ihre Landsleute. Auch im schwedischen Exil ließ
sie trotz eines schweren persönlichen Verlustes
im Krieg
—
—
einer ihrer Söhne fiel
nicht ab, sich schreibend gegen die Usurpation zu stemmen:
Es ist unser, dieses Land. Keine Gewalt kann uns das Recht auf Norwegen
nehmen [...]. Laßt sie niemals glauben, daß wir die Forderung nach Gerechtigkeit aufgeben, die Hoffnung, daß unsere Kinder eines Tages als freies
Volk in einem freien Norwegen leben werden.272
Die Furcht vor der Wirkmächtigkeit des Wortes der populären Schriftstellerin veranlasste das Reichsministerium eilends zu einem Zensurerlass
(Abb. 5, Dokumente):
Zufolge eines Erlasses des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda kommen die in deutschen Übersetzungen erschienenen Bücher der
norwegischen Schriftstellerin Sigrid Undset, welche sich nach der Besetzung
Norwegens in einem besonders gehässigen Aufruf gegen die deutsche
Wehrmacht gewandt hat, weiterhin für die Ausleihe von Volks- und Schulbüchereien nicht mehr in Betracht. Auch der Vertrieb und Verkauf der Bücher
durch den Buchhandel wurde unterbunden.273
271
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Ministerium für
innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, vom 13.7.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939.
272
Zit.n. Max Tau, Ein Flüchtling findet sein Land (Hamburg 1964) 180.
273
Reichsstatthalterei Kärnten an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek
Klagenfurt vom 14.10.1940. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940.
82
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
Die Biographie des Ungarn Sándor Radó, alias Alexander Radolfi
(1899—1981) mutet abenteuerlich an274. Ein vertrauliches Rundschreiben
des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung aus
dem Jahr 1940 zeigt Radó ins nationalsozialistische Visier genommen
(Abb. 6, Dokumente):
Vertraulich!
Es ist zu meiner Kenntnis gelangt, dass die Genfer Kartenkorrespondenz
»Geopress« Rundschreiben an deutsche Wissenschaftler übersandt hat, in
denen sie zur Mitarbeit auffordert.
Die »Geopress« wird von dem ungarischen Staatsbürger Rado geleitet, der
Jude sein soll. Das von ihr hergestellte Kartenmaterial dient eindeutig den
Zielen der Westmächte. Eine Mitarbeit deutscher Wissenschaftler an der
»Geopress« kommt demnach nicht in Betracht.275
Zum Zeitpunkt der lancierten Warnung leitete der Kommunist Radó in
Genf die kartographische Agentur "Geopress", zu deren Abonnenten
"Presseorgane und Bibliotheken in allen Erdteilen, Universitäten, geographische Institute, verschiedene Ämter, Ministerien, Generalstäbe,
Botschaften" 276 zählten. Radó nutzte die Tatsache, "daß Genf, der Sitz
vieler internationaler Organisationen, noch immer ein hervorragender
Platz für Informationsbeschaffung und Kontaktaufnahme war, in einem
Land, in dem man sich immer noch relativ frei bewegen konnte." 277 Der
deutsche Argwohn war nur zu begründet, denn unter dem Decknamen
"Dora" war Radó Mitglied der europaweit agierenden Widerstandsbewegung Rote Kapelle. Er war jener legendäre Agent, der von der
Schweiz aus am Vorabend des 22. Juni 1941 die Sowjetunion über
274
Sándor Radó: Der Kundschafter und die Liebe zur Kartographie. In: Karl Schlögel,
Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik (München/
Wien 2003) 229-242.
275
Vertrauliches Schreiben des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und
Volksbildung u.a. an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
vom 19.2.1940. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940.
276
Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit (Anm. 274) 237.
277
Ebd. 231.
83
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
die Vorbereitungen des deutschen Angriffs informierte
—
ohne allerdings
bei Stalin Gehör zu finden. Auch im weiteren Kriegsverlauf blieb "Dora"
ein wichtiger Informant für die Sowjetunion:
Radó rekonstruiert, gestützt auf die ihm aus der Presse und deutschen Quellen
zugänglichen Informationen, die Kriegshandlungen der Deutschen an der
Ostfront und übermittelt seine Beobachtungen und Analysen an die Führung
der Roten Armee.278
Im Visier der deutschen Peilsender und kurz vor seiner tatsächlichen
Entdeckung gelang ihm eine spektakuläre Flucht in die UDSSR. Als
"Dank" für seinen Kampf gegen Hitler erwarteten ihn dort allerdings
weder Orden noch eine glänzende Stellung, sondern "was alten Kommunisten, Spanienkämpfern und Juden nur allzu häufig widerfuhr: die
Internierung im Gulag, den er in Workuta und Uchta kennenlernte."279
Nach seiner Freilassung kehrte Radó nach 1955 nach Budapest zurück.
In seinen Memoiren schreibt er: "Hier verwirklichte ich auf dem Gebiet
der Geographie und Kartographie viele meiner wissenschaftlichen Ziele,
von denen ich jahrzehntelang nur träumen konnte."280
Für die Bibliotheken stellten die staatlichen Sekretierungsauflagen zu
jeder Zeit einen außerordentlichen Aufwand dar. Die fortwährend nachgebesserten Listen erforderten einen ständigen Bestandsabgleich, vor
allem aber mussten die zu entfernenden Bücher in den diversen Katalogen gekennzeichnet werden. Hier kam es zur Ausbildung der denkbar unterschiedlichsten Praktiken, wie sie den einzelnen Bibliotheken
sinnfällig und handhabbar erschienen. Sofern die entsprechenden Katalogzettel nicht überhaupt gezogen und somit im Publikumskatalog
nicht mehr ausgewiesen wurden, versah man sie mit Kennungen, welche
278
Ebd. 232.
279
Ebd. 234.
280
Zit.n. ebd. 229.
84
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
auch als Warnung an die Benutzer gedacht waren, wie "Sep." für
Separata, "S" für Sekreta, "R" für Remota und dergleichen mehr. Auch
die Bücher selbst, die zumeist aus der Aufstellung genommen und gesondert verwahrt wurden, erhielten eine ähnliche Markierung281 .
Die Vorgehensweise an der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
ist nicht mehr nachvollziehbar. Eine Überprüfung der Katalogzettel im
noch vorhandenen Hauptkatalog hat zwar auf einigen der Katalogkarten Zeichen und Kürzel ergeben, deren Bedeutung heute aber in
Ermangelung einer Legende kryptisch bleibt. Auch sind nicht alle Karten
in nämlicher Weise gekennzeichnet. Der vormalige Beamtenkatalog
wurde schon vor Jahren skartiert. Die Bücher selbst weisen außer den
Besitzstempeln der Studien- oder Landeslehrerbibliothek sowie den
Signaturen keinerlei Einträge auf. In Anbetracht der überschaubaren
Menge an indexierten Titeln liegt eine räumliche Zernierung nahe, wie
sie auch einem Antwortschreiben Schmids an das Ministerium für innere
und kulturelle Angelegenheiten zu entnehmen ist, worin die Frage nach
dem Vorhandensein jüdischer Literatur dahingehend beantwortet wird,
dass Bücher selbiger Provenienz "gegenwärtig dem Leserpublikum
ohnehin unzugänglich gemacht sind"282 .
Das Komplement zum "unerwünschten" Schrifttums bildete die staatlich geförderte Literatur, die in einer eigenen NS —Bibliographie zusammengefasst wurde. Die Beurteilung der Förderungswürdigkeit nach
ideologieassistierenden Kriterien traf die "Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums", kurz PPK.
Als Herausgeber der Bibliographie fungierten die Reichsleitung der
NSDAP und das Propagandaministerium283. Auch die PPK —Liste war ein
281
Vgl. Happel, Das wissenschaftliche Bibliothekswesen im Nationalsozialismus
(Anm. 141) 87-88.
282
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Ministerium für
innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, vom 8.8.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939.
283
Vgl. Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich" (Anm. 109) 350-351.
85
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
veritables Instrument der staatlichen Schrifttumslenkung: So erhielten
zu Zeiten der Papierkontingentierung Verlage lediglich für den Druck
vordem geprüfter und genehmigter Titel Papierzuteilungen 284.
Neben der bibliographischen Erfassung, wurden die kanonisierten Titel
als Hinweis für den Käufer im Impressum mit einem Unbedenklichkeitszertifikat ausgewiesen. Solcherart konnte niemand mehr Unkenntnis
als Ausrede für den Erwerb nicht genehmer Literatur geltend machen
(Abb. 7, Dokumente):
Gegen die Herausgabe dieser Schrift bestehen seitens der NSDAP keine
Bedenken. Die Schrift wird in der NS. —Bibliographie geführt.
Die Erwerbungspolitik der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
und insonderheit der angeschlossenen Landeslehrerbibliothek orientierte
sich ab 1938 durchaus an der NS—Bibliographie, wie der geschätzte
Anteil von gut 60% ideologiekonformer Neuzugänge zeigt (siehe Abschnitt II.3.4.).
Sowohl vor als auch nach dem "Anschluss" konzentrierte sich Theodor
Schmid tunlichst auf das unverfänglich Sachliche, suchte er in der Illusion
einer unpolitischen Haltung sein unbehelligtes Auskommen zu finden.
Dank seiner im Amt gezogenen Langmut vermochte er auch einiges für
die Instandsetzung der Studienbibliothek zu erwirken, wozu es seinem
allzu "temperamentvoll[en]"285 Vorgänger im Amt an Beharrlichkeit
gefehlt hatte. Für den notorischen Personalmangel fand sich mit der
Einrichtung des "Freiwilligen Arbeitsdienstes" Abhilfe. Die in Österreich
1933 als beschäftigungspolitische Maßnahme infolge der Wirtschaftskrise eingeführte und propagierte Maßnahme nach deutschem Vorbild
sah sich wie dieses der Idee einer Militarisierung des Gesellschaft
verpflichtet, was sich auch in der aggressiven Terminologie spiegelt.
284
Vgl. Strothmann, Nationalsozialistische Literaturpolitik (Anm. 140) 362.
285
Selbstbeschreibung Wolfgang Benndorfs in einem Schreiben an den Generaldirektor der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 2.2.1933. UAK, Kt. 362,
Fasz. 1933.
86
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
Begriffe wie: "Werksoldaten", "Arbeitsarmee", "Arbeitsschlacht" lassen
die ideelle Stossrichtung erkennen. 1935 wurden die Abteilungen des
FAD der Aufsicht des Bundesministeriums für soziale Ver waltung
unterstellt. Mit der Einführung der Bundesdienstpflicht 1936 war die
Freiwilligkeit lediglich noch nominell, Arbeitslosen, welche sich dieser
arbeitspolitischen Maßnahme verweigerten, wurde die Notstandshilfe
entzogen. Die Pressionen trugen nicht dazu bei, den Grad der Beliebtheit
des FAD in der Bevölkerung zu steigern. Die unterbezahlten Tätigkeiten
wurden zurecht als soziales Dumping betrachtet. Sozialökonomisch und
volkswirtschaftlich war der Arbeitsdienst ein Misserfolg, letztlich diente
er vor allem der nationalistischen Indoktrination286 .
Zwischen 1935 und 1938 wurden der Öffentlichen Studienbibliothek
ein bis maximal drei Hilfskräfte
Karl Schmid
—
—
darunter auch Theodor Schmids Sohn
über das Arbeitsamt zugeteilt. Die an des Arbeitsamt
adressierten Zuweisungsansuchen vermitteln einen Eindruck von der
sozialen Notlage der Betroffenen, welcher sich die braunen Rekrutierungskommandos agitierend bedienten. Unter der Rubrik "Begründung
der Bedürftigkeit" finden sich Einträge wie "arbeitslos" 287, "6 Personen
im Haushalt"288 , "[k]ein Vermögen"289 , "[b]ezieht Notstandshilfe vom
Arbeitsamt". 290 (Abb. 8, Dokumente).
In einem mit 29.3.1939 datierten Schreiben an die Landeshauptmannschaft Kärnten erwies Schmid sich als einer der vielen, die mit ihren
286
Zum gesamten Absatz vgl. Gerhard Senft, Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934 —1938 (= Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit 15, Wien 2002)
477 ff.
287
Vgl. Ansuchen der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das
Arbeitsamt Klagenfurt um Zuweisung von Arbeitskräften im Rahmen des Freiwilligen
Arbeitsdienstes, hier vom 1.2.1935 ff. vierzehntägig. UAK, Kt. 362 und 363,
Fasz. 1935 —1938.
288
Ebd.
289
Ebd.
290
Ebd.
87
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
Erneuerungs- und Verbesserungshoffnungen ganz auf das neue Regime
bauten. In seinem Fall mag die in letzter Minute ausgesetzte vorzeitige
Pensionierung für eine vertiefte Ergebenheit aus Dankbarkeit und Erleichterung gesorgt haben. Die am eigenen Schicksal so eindrucksvoll sich
erwiesen habende Staatsmacht bildete den Nährboden des Zutrauens:
Während nun unter den früheren Verhältnissen mangels der erforderlichen
Geldmittel und des nötigen Interesses der zuständigen Stellen an einen solchen
Neubau des Gebäudes der Bundes —Studienbibliothek seinerzeit nicht zu
denken war, dürfte unter dem heutigen Regime die Sache ganz anders liegen,
da man die Notwendigkeit grosszügiger Arbeitsbeschaffung in Deutschösterreich, vor Allem [!] durch öffentliche Bauten, einsieht und zu diesem
Zwecke auch die grossen Geldmittel des Deutschen Reiches heranzuziehen
bereit ist.291
Die Träume vom Goldregen erfüllten sich nicht, anstelle einer wundersamen Erneuerung sah sich Schmid 1939 mit der Erstellung von Luftschutzmaßnahmen befasst. Immerhin schien zumindest die Behebung
der drängenden Raumnot seitens der neuen Machtherren endlich eine
Beförderung zu erfahren, wohl der Einsicht folgend, dass die im Zuge
des "Klostersturms" requirierten und der Studienbibliothek zugedachten
Klosterbibliotheken aufgrund ihrer Bestandsgröße nicht so ohne weiteres
unterzubringen waren. Zu diesem Behufe erhielt die öffentliche Studienbibliothek einen ehemaligen Kapellenraum zugesprochen, um dessen
Nutzung bereits seit längerem ein Tauziehen zwischen der Bibliothek,
dem Gurker- Ordinariat und der Reichsstatthalterei bestand. In den
Auszügen dieser Korrespondenz tritt deutlich die sukzessive Minderstellung der kirchlichen Einrichtung zutage.
Am 14. November 1939 hatte sich Theodor Schmid mit dem botmäßig
formulierten Ersuchen an das Gurker Ordinariat gewandt:
291
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Landeshauptmannschaft Kärnten in Klagenfurt vom 29.3.1939. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung
ab 1938.
88
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
Die Direktion der Studienbibliothek in Klagenfurt bringt Folgendes zur
Kenntnis und ersucht um gefällige Stellungnahme: Im Gebäude der Studienbibliothek befindet sich in der Paulitschgasse die Kapelle der staatlichen
Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt. Diese Kapelle wird aber seit geraumer
Zeit für gottesdienstliche Zwecke nicht mehr verwendet. Die Direktion der
Studienbibliothek legt nun Wert darauf, diesen Raum für eigene Zwecke,
wenigstens vorübergehend zu verwenden. Sollte die Kapelle exekriert
worden sein, so ersucht die gefertigte Direktion um die entsprechende Verständigung, damit sie die Räume für Bibliothekszwecke benützen kann; [...].292
In seinem Antwortschreiben vom 22. November 1939 zeigte sich das
Gurker Ordinariat dem Gesuch grundsätzlich gewogen, knüpfte allerdings einige Auflagen an die Erteilung der Genehmigung für eine
zweckentfremdete Nutzung des Kapellenraumes:
Da die Studienbibliothek den Charakter einer geweihten Kapelle würdigt
und deshalb bereit ist, den Raum so zu benützen, dass eine Exekration
nicht notwendig wird, ist auch das Fb. Ordinariat gerne bereit, unter Wahrung
nachstehender Bedingungen den geweihten Raum der Studienbibliothek in
Klagenfurt [...] zur Verfügung zu stellen.
Müsste die löbliche Direktion der Studienbibliothek dafür sorgen, dass die
Paramente, die liturgischen Geräte und beweglichen Teile des Altares, [...]
dem Fb. Ordinariate zu kirchlichen Zwecken zur Verfügung gestellt werden.
[...] Müsste der Altar, wozu sich die Direktion schon bereit erklärt hat, mit
Tüchern überschlagen werden und der Raum nicht als Lesesaal, sondern als
Aufbewahrungsraum für Bücher benützt werden.293
Einen Monat später hatten Ausgangslage und Tonfall bereits eine
deutliche Änderung erfahren. Seitens des "Reichskommissars für die
Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich" wurde der
Kapellenraum dem Landesschulrat für Kärnten kurzerhand zugewiesen,
292
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das f.-b. Gurker
Ordinariat vom 14.11.1939. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab 1938.
293
Schreiben des f. —b. Gurker Ordinariats an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 22.11.1939. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab
1938.
89
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
welcher ihn seinerseits der Studienbibliothek überliess. Gegen diese
freibeuterische Vorgangsweise erhob das Ordinariat am 27. Dezember
1939 Einspruch:
Dieser Druck ist aber gewiss nicht im Sinne der Reichsregierung; hat doch
der Führer und Reichskanzler selbst in seiner Rede vor dem Deutschen Reichstag
am 23. März 1933 in Ankündigung der kultur- und kirchenpolitischen Grundlinien des Dritten Reiches ausdrücklich hervorgehoben, dass die nationale
Regierung in Schule und Erziehung den christlichen Konfessionen den ihnen
zukommenden Einfluss einräumen und sicherstellen werde, dass sie für das
aufrechte Zusammenleben zwischen Staat und Kirche sorgen werde und
dass der Kampf gegen eine materialistische Weltauffassung und für die
Herstellung einer wirklichen Volksgemeinschaft ebenso sehr den Interessen
der Deutschen Nation diene wie den [!] des christlichen Glaubens.294
Die Berufung auf ein Hitlerwort aus dem Jahr 1933 zeugt trotz der zu
diesem Zeitpunkt bereits gemachten desillusionierenden Erfahrungen
mit der "Bonität" der neuen Machtherren (siehe Abschnitt III.1.) von
der Weigerung, sich der Tatsache zu stellen, dass alle bis dato gegolten
habenden und für unverbrüchlich gehaltenen Formen und Regeln auch
des offiziellen Umganges außer Kraft gesetzt und an ihre Stelle Willkür,
rüde Landsknechtmanieren und schiere Gewalt getreten waren. Der
"Klostersturm" der Jahre 1940/41 sollte dann in noch ungleich devastierenderem Ausmaß über die Diözese Gurk hinwegfegen, wie einem
Schreiben des Ordinariates an den Reichsstatthalter in Kärnten vom
28. Oktober 1940 zu entnehmen ist:
Die Direktion der Staatsstudienbibliothek in Klagenfurt erhielt vom Herrn
Reichsstatthalter in Kärnten unter obiger Zahl vom 7. Oktober 1940 die Ermächtigung, den Kapellenraum im Gebäude Klagenfurt, 10. Oktoberstr. 24
zur vorläufigen Unterbringung der aus St. Georgen a.L., St.Andrä i.L. und
Tanzenberg stammenden Büchereien in Verwendung zu nehmen. Das Fb.
Ordinariat hat davon eine Verständigung nicht erhalten. [...] Am 21. Oktober
294
Schreiben des f.—b. Gurker Ordinariats an den Reichsminister des Inneren in Berlin
vom 27.12.1939. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab 1938.
90
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
1940 wurden [!] nun unter Beisein des Herrn Hofrates Dr. Theodor Schmid
ein Teil der religiösen Gegenstände, die genau aufgenommen wurden, aus
dem allerdings sehr unwürdig behandelten und mutwillig beschädigten
Kapellenraum entfernt.295
Machteinbuße und Geltungsverlust der Kirche spiegeln sich auch in einer
Veränderung des Tonfalls, dessen sich der Direktor der Studienbibliothek
in seiner Amtskorrespondenz nunmehr gegenüber dem Ordinariat befleissigte, in einer deutlichen Wendung von devoter Höflichkeit zu
unverhohlener Abschätzigkeit:
Die »religiösen Gegenstände« in der erwähnten Kapelle, d.h. kirchlichen
Paramente, nämlich Messkleider, eine Kirchenfahne, Ampel und einige andere
Kleinigkeiten, sind Eigentum des fürstbischöflichen Ordinariats und wurden
von demselben auf Aufforderung der Bibliotheksdirektion bereits abtransportiert; sie repräsentieren übrigens, da stark beschädigt und abgenützt,
keinerlei Verkehrswert mehr.296
Trotz amtlicher Zusage konnte die Studienbibliothek den so dringend
benötigten Kapellenraum letzten Endes dennoch nicht in Verwendung
nehmen. Allem Anschein nach kam ihr die auch lobbyistisch stärkere
Landesstelle des Bergeamtes mit dem zugkräftigen Argument volkswirtschaftlicher Erfordernis zuvor. So fand nach Kriegsende der langjährige Raumstreit seine Fortsetzung, nunmehr ausgefochten vom Amtsnachfolger Schmids, Richard Fuchs, auf der pressierenden Suche nach
einem Lagerraum für die rund 600 Bücherkisten, welche jene Bestände
der in Tanzenberg untergebracht gewesenen Zentralbibliothek der
Hohen Schule füllten, die eines besonderen Restitutionsaufwandes
bedurft hätten (siehe Abschnitt IV.) und fürs erste entscheidungsretardierend der Sachwalterschaft des Direktors der Studienbibliothek
295
Schreiben des f. —b. Gurker Ordinariates an den Reichsstatthalter in Kärnten vom
28.10.1940. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab 1938.
296
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei
Klagenfurt, Abt. II, vom 7.12.1940. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab
1938.
91
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
überantwortet worden waren:
Als Zwischenlösung muss der Bibliothek der Kapellenraum zur Verfügung
gestellt werden, wie es schon 1938 vorgesehen war. Für alle Schäden an
den Büchern, insbesondere infolge der feuchten Einlagerung und für alle
Mehrauslagen, beantrage ich das Bergeamt verantwortlich zu machen, weil
es unter keinen Umständen den Kapellenraum freigeben wollte und sich,
mit Hinweis auf Einnahmenentgang hinter Herrn Landeshauptmann- stellv.
Herke verschanzte.297
Auch ein Jahr später, im Juni 1949, war das Problem seiner Lösung so
fern wie eh und je, bis sich mit dem Abtransport der Packkisten an die
Büchersortierungsstelle in Wien das jahrelange Tauziehen erübrigte:
Es ist unbedingt notwendig, das Bergeamt zur Aufgabe dieses Raumes zu
veranlassen, weil die Manipulation, die hier durchgeführt wird auch wo
anders vorsich gehen [!] kann und der Wert der Bücher bestimmt höher
steht, als alte Autoreifen oder schadhafte englische Kotzen.298
Nach Kriegsende erging an Theodor Schmid im Zuge des "Entnazifizierungsverfahrens", welches seitens der Besatzungsmächte eingeleitet
und hernach an die Österreichische Regierung übertragen wurde,
vermutlich die Aufforderung zu einer offiziellen Stellungnahme, da er
während des Krieges doch in leitender Funktion tätig gewesen war. Die
Beurteilung seiner je aktiven oder passiven Rolle im Nationalsozialismus,
entschied wiederum über eine etwaige Heranziehung zur "Sühneleistung"
wie über den künftigen Bezug seiner staatlichen Pension 299.
Daß der vormalige Bibliotheksdirektor Schmid einer solchen Überprüfung
unterzogen wurde, erklärt jedenfalls die Existenz eines 1946
—
mithin
297
"II. Bericht über Tanzenberg" der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek
Klagenfurt an den Generalinspektor der Bibliotheken des Bundesministeriums für
Unterricht, Josef Bick, vom 18.7.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung
Tanzenberg.
298
Entwurf eines Schreibens der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
an das Amt der Kärntner Landesregierung, Abt. 23, vom [?].6.1949. UAK, Kt.
369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg.
299
Vgl. Stiefel, Entnazifizierung in Österreich (Anm. 136) 281 ff.
92
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.2.
vier Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Bibliotheksdienst
—
hand-
schriftlich aufgesetzten Lebenslaufs Schmids in dessen Personalakten. Die
Einstellung seines Verfassers zum Hitler —Regime findet darin allerdings
mit keinem Wort Erwähnung. Soweit ein Schriftstück, welches gewissen
formalen Kriterien gehorcht, eine Interpretation zulässt, liegt der Schwerpunkt in diesem Selbstzeugnis auf der Betonung von berufsständischer
Honorigkeit und persönlicher Kultiviertheit. Die ins Auge stechenden
Unsauberkeiten in der autographischen Abfassung (Durchstreichungen,
ungleiche Schriftgröße, zusehends schiefe Zeilenführung) lassen sich als
Ausdruck der Empörung und demonstrativen Zurückweisung der als
Anmutung und Infragestellung der persönlichen Reputation empfundenen
Rechtfertigungsaufforderung lesen.
Sofern sich der Pensionär Schmid tatsächlich einem Beurteilungsverfahren zu unterziehen hatte, dürfte die Sonderkommission in ihrer Einordnung des ehemaligen Bibliotheksdirektors Theodor Schmid zu einem
ähnlichen Ergebnis gekommen sein, wie Peter Malina hinsichtlich des
durchschnittlichen Staatsdieners: "Die Beamtenschaft (und dies trifft wohl
auch für die Bibliotheks —Beamten zu) versuchte, so gut es ging, über
die Zeiten hin- wegzukommen und sich den neuen Gegebenheiten
nach Möglichkeit anzupassen." 300
300
Peter Malina, Zur Geschichte der wissenschaftlichen Bibliotheken Österreichs in
der NS —Zeit. In: Bibliotheken während des Nationalsozialismus 1, edd. Peter
Vodosek und Manfred Komorowski (= Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte
des Buchwesens 16, Wiesbaden 1989) 443-452, hier 447.
93
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3.
I.3.3. Richard Fuchs (1942 —1953)
In kausalem Zusammenhang mit der Implementierung des Gesetztes
zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 sowie
des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Jänner 1937 als der legistischen
Grundlage einer radikalen Verwaltungsreform, welche ganz im Sinne
einer Militarisierung des zivilen Lebens einen "neue[n] Beamtentyp von
echtem Kämpfertum"301 visierte, stand die Kontroverse um den Entwurf
eines Runderlasses des Reichsinnenministeriums, der die verpflichtende
Mitgliedschaft aller Beamten in der NSDAP oder zum wenigsten in
einem der ihr angeschlossenen Verbände zum Inhalt hatte. Während
dessen Befürworter darin neben dem "Treueeid"302 auf den Führer einen
weiteren Garanten für die in §71 des Deutschen Beamtengesetzes
festgeschriebene Unbedingtheit rückhaltloser Gefolgschaft303 sahen und
zudem auf die persuadierende Außenwirkung einer solchen Formation
reflektierten, führten die Gegner die Gefahr einer Gesinnungsinflation
ins Treffen, wonach eine Pression "wohl Parteimitglieder, aber nicht
Nationalsozialisten" zu generieren vermöchte 304. Mit der Schlagkraft
letzteren Argumentes wurde der ministerielle Vorstoss dann auch vereitelt.
Lediglich in Bezug auf Beamte des gehobenen Dienstes einigte man
sich unter Berufung auf eine persönliche Anordnung Hitlers auf die
Formel einer "erwünschten Parteimitgliedschaft" 305. In einzelnen Sub301
Denkschrift von Fritz —Dietlof Graf von der Schulenburg, April 1933 zum Neuaufbau des höheren Beamtentums. Schulenburg war NSDAP —Mitglied, Verwaltungsbeamter, 1937 Polizeivizepräsident von Berlin. Nach seiner Abkehr vom Nationalsozialismus wurde er 1940 aus der Partei ausgeschlossen. Als Widerstandskämpfer
war Schulenburg aktiv an der "Operation Walküre" beteiligt. Nach dem gescheiterten
Attentat auf Hitler wurde er zum Tode verurteilt und 1944 hingerichtet. Abgedr.
in: Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich (Anm. 230) 137.
302
Vgl. Arnold Köttgen, Die Stellung des Beamtentums im völkischen Führerstaat. In:
Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus. (Anm. 90) 305-307, hier 305.
303
"Deutsches Beamtengesetz" vom 26.1.1937. RGBl 1937 I, 41. Vgl. ebd. 304.
304
Zit.n. Grotkopp, Beamtentum und Staatsformwechsel (Anm. 220) 138-139.
305
Vgl. Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich (Anm. 230) 84.
94
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3.
bereichen des öffentlichen Dienstes, wie dem Bildungsbereich, wurde
eine Parteimitgliedschaft ungeachtet der Gesetzeslage verpflichtend
eingefordert. So hieß es in §2d der "Ausbildungs- und Prüfungsordnung
für den Wissenschaftlichen Bibliotheksdienst" aus dem Jahr 1938:
In Frage kommen Bewerber, die [...] der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen
angehören. Ob im Einzelfall von diesem Erfordernis [Hervorh. d.d. Verf.]
abgesehen werden kann, bestimmt der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des
Führers.306
Abseits der offiziellen Debatte drängte die Beamtenschaft nach der
nationalsozialistischen Machtusurpation allerdings derart massiert in die
Partei, dass die NSDAP sich veranlasst sah, dem "Konjunkturrittertum"
mit einer Verschärfung der Aufnahmebedingungen wie der Einführung
eines Anwärterstatus vor der eigentlichen Mitgliedschaft sowie einer
zweijährigen Bewährungszeit einen Riegel vorzuschieben 307. Es war also
mitnichten ein im Zuge der Entnazifizierung immer wieder exkulpierend
ins Treffen geführter Zwang, der die Mitglieder des öffentlichen Dienstes
derart forciert in die Partei drängte, sondern mehrheitlich Überzeugung
und Opportunismus: "Eine »unpolitische« Erfüllung der Beamtenpflicht
genügte zumeist, wenn sie auch das berufliche Fortkommen zeitweise
behindert haben mag." 308
Einer jener Kalkül —Nationalsozialisten dürfte auch Richard Fuchs
gewesen sein, der Theodor Schmid 1942 als Leiter der Öffentlichen
Studienbibliothek nachfolgte. So stellte er sich jedenfalls selbst in einer
Erklärung dar, welche ihm als registriertem Parteimitglied seitens der
"Sonderkommission" im Zuge des allgemeinen Entnazifizierungsverfahrens
306
Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den wissenschaftlichen Bibliotheksdienst
WE 2544,ZIIa(b)/38. Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
(Berlin 1938) 3-4.
307
Vgl. Hans Buchheim, Mitgliedschaft bei der NSDAP. In: Gutachten des Instituts
für Zeitgeschichte 1 (München 1958) 317.
308
Stiefel, Entnazifizierung in Österreich (Anm. 136) 128.
95
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3.
nach Kriegsende abverlangt worden war:
Nach Darlegung der dienstlichen Stellung, folgt nun mein Verhalten zur
NSDAP. Während meiner Hochschulstudien war ich bei keiner Verbindung
aktiv, sondern gehörte nur einem Fachverein, dem Akad. Verein d. Historiker
der Univ. Wien an. Ich war von Anbeginn Mitglied der V.F. und wurde zum
Leiter der Dienststelle "Parlament" bestellt, welchen Posten ich von 1933—36
bekleidete, um später von Dr. Bernsteiner abgelöst zu werden. Im März
zählte ich zu den vielen Parlamentsbeamten, die übernommen wurden.
Da alle, oder fast alle, Kollegen in den verschiedensten Bibliotheken bereits
der Partei angehörten, da ich überdies mit meiner Versetzung zu rechnen
hatte, meldete ich mich im Oktober 1940 zu derselben. Es gelang mir, jede
Mitarbeit in der Ortsgruppe Brillantengrund, trotz Einschüchterungsversuchen
durch den Leiter, abzuwehren. Das scheint der Grund gewesen zu sein,
warum meine rosa Anwärterkarte mit der Nummer 9,021.705 erst am
4.12.1943 ausgestellt wurde. Die Zustellung in Klagenfurt geschah am
3.XI.1944. So kam es, dass die wenigsten von meiner Parteizugehörigkeit
wussten, weil ich hier mit keinem Pg. [Parteigenossen] verkehrte, an keinem
Appell teilnahm und das Abzeichen nur trug, wenn ich einen dienstlichen
Weg hatte.
Aus dieser Sachlage heraus erfolgte schon im Mai 1945 meine Einstellung
durch die F.S.S.309 [Field Security Section]
Die Dienstzuweisung des 52 —jährigen Richard Fuchs an die Öffentliche
Studienbibliothek Klagenfurt im Jahr 1942 war eine mittelbare Folge
der "Selbstausschaltung des Parlaments" am 4. März 1933 und des
"Anschlusses" Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938. Am
1. Mai 1942 wurde die Parlamentsbibliothek, mit deren provisorischer
Leitung Fuchs betraut gewesen war, aufgelöst und mit der Administrativen
Bibliothek des Bundeskanzleramtes zur so genannten "Verwaltungsbibliothek in Wien" rechtlich vereinigt. Zwar bewarb sich Fuchs um eine
Übernahme in leitender Funktion an die neue Institution, doch wurde
ihm, wie er in seinem Lebenslauf mit deutlich erkennbarem Ressentiment
309
Richard Fuchs an die Sonderkommission I. Instanz beim Bundesministerium für
Unterricht vom 7.12.1946. UBK, Personalakten.
96
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3.
schrieb, "der dienstjüngere Dr. Oberhummer vorgezogen"310 . Die Versetzung von einer Einrichtung, die mit rund 25.000 Bänden zwar nur
ein Fünftel der Bestandsgröße der Öffentlichen Studienbibliothek maß,
dafür aber so wertvolle Stücke wie das "Oktoberdiplom" oder das
"Februarpatent" in ihrer Sammlung enthielt, an die darbende Klagenfurter Studienbibliothek war eine wohl nicht ganz erwartungskonforme
Lösung. In einem Nekrolog war denn auch vom "Unrecht seiner
Versetzung"311 die Rede
—
eine Satisfaktion, welche für den ehrgeizigen
Direktor allerdings zu spät kam.
Die Amtszeit von Richard Fuchs, soweit sie sich in den vorhandenen
Akten abbildet, wurde durch zweierlei Verfahren bestimmt: Zum einen
war Fuchs in den Jahren 1943 bis 1950 in einer in der Rückschau nachgerade abstrus anmutenden Weise als Bücherspediteur zugange. Im
April 1943 kamen die bereits drei Jahre zuvor im Rahmen von Luftschutzmaßnahmen vorbereiteten Bergungskisten tatsächlich zur Anwendung:
Die wertvollsten Bestände der Studienbibliothek, Inkunabeln, Handschriften und Carinthiaca, darunter auch die Paracelsus—Handschriften,
wurden nach Schloss Himmelberg bei Feldkirchen und Schloss Frauenstein
bei St. Veit ausgelagert. Dem Bergungsbericht zufolge wurden auf
diese Weise 18 Kisten unersetzbaren Schriftgutes vor einer möglichen
Zerstörung in Sicherheit gebracht. Wie ein Schreiben an den Reichsstatthalter in Klagenfurt vom Jänner 1944 erklärte, blieb nach Befinden
von Richard Fuchs aber "noch viel mehr zu bergen übrig [...]. Bei der
Vorliebe unserer Feinde, deutsche Bibliotheken zu vernichten und bei
einer geplanten Landung auf den [!] Balkan, wäre es an der Zeit, die
gänzliche Verlegung der Stud.Bibl. von Klagenfurt nordwärts zu erwägen,
um sie bei einer Gefahr während des Krieges sicher zu stellen."312 In
310
Ebd.
311
Volkszeitung Klagenfurt, 107, 10.5.1953, 10.
312
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei
Klagenfurt, Abt. II, Personalamt, vom 15.1.1944. UAK, Kt. 369, Fasz. Bergung.
97
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3.
der Folge wurden weitere 18 Kisten nach Schloss Tanzenberg und
handschriftlichen Ergänzung des Bergungsberichtes zufolge
—
—
einer
20 Kisten
nach Schloss Drasing verfrachtet (Abb. 9, Dokumente). Die verlustlose
Rückführung der ausgelagerten Bestände nach dem Krieg (Abb. 10a—b,
Dokumente) wurde Theodor Fuchs als besonderes Verdienst noch in den
Nachrufen auf seine Amtszeit angerechnet. Tatsächlich dürfte es einiger
Überzeugungskraft bedurft haben, den alliierten Besatzern die Rechtmäßigkeit des Eigentums inmitten all des Raubgutes glaubhaft zu machen.
Zeitgleich galt es, die aus Kirchenbesitz stammenden Bücher, welche
der Studienbibliothek "unter dem Schlagwort »Sicherung«"313 zugewiesen worden waren (siehe Abschnitt III.2.2.), an die rechtmäßigen
Eigentümer zu restituieren. Zudem wurde Richard Fuchs bereits 1946 in
die Liquidation der in Tanzenberg untergebrachten Zentralbibliothek
der Hohen Schule eingebunden, der aus rund 500.000 Bänden bestehenden Studienbibliothek einer noch im Planungsstadium befindlichen
NSDAP —Universität, die mit den beginnenden Bombardierungen 1942
auf Einladung des damaligen Gauleiters Friedrich Rainer von Berlin
nach Kärnten ausgelagert worden war314 . Mit dem nämlichen Eifer, mit
welchem Fuchs sich unter dem NS—Regime an der Enteignung der Klosterbibliotheken beteiligt hatte, unterwand sich der stets Vorteilsgewahrende
nunmehr dieser sehr gelegen kommenden, da reputationsrestaurierenden
Aufgabe: "Die Leitung ist selbstverständlich bereit und befähigt dem
ehrenvollen Auftrage nachzukommen, um nebenamtlich, so rasch als
tunlich, die Liquidierung dieser Angelegenheit [Hervorh. d.d. Verf.]
durchzuführen."315 Nach der noch unter englischer Verwaltung erfolgten
313
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei
Klagenfurt, Abt. II, Personalamt, vom 10.11.1942. UAK, Kt. 837, Fasz. Raumvermehrung ab 1938.
314
Vgl. Adunka, Der Raub der Bücher (Anm. 13) 15 ff.
315
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner
Landesregierung, Hofrat Dr. Stoll, vom 6.2.1946. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg.
98
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3.
Restitution von 4.599 Bücherkisten316 befanden sich 1949 immer noch
etwa 600 Kisten in Kärnten, als deren Treuhänder Richard Fuchs bestellt
wurde. Bis 1950 war Fuchs mit dieser Aufgabe befasst, am 16. November
erfolgte dann die Meldung an das Amt der Kärntner Landesregierung,
Abteilung Vermögensverwaltung, über den "Abschluss des Transportes der Tanzenberger Bücherkisten nach Wien"317 (siehe Abschnitt IV.).
Jenseits der expeditorischen Agenden war die Amtszeit von Theodor
Fuchs von seinem Bestreben dominiert, das Ansehen der Bibliothek
durch den Zugewinn bibliophiler Rara zu steigern. Diesem Begehren kam
die Enteignung der klösterlichen Buchbestände als eine Folge des
"Klostersturms" durchaus zupass
—
womit sich der 3. Abschnitt der Arbeit
ausführlich beschäftigen wird. Als Fuchs mit Kriegsende alle Hoffnung auf
eine höhere Aggregation der Studienbibliothek schwinden sah, stellte
er spornstreichs die ihm anvertrauten Restbestände der ehemaligen
Zentralbibliothek ins Zentrum neuer Pläne. Mit usukapionistischen
Argumenten machte sich Fuchs für den Verbleib zum mindesten eines
Teils des "herrenlosen Gutes" in Kärnten stark (Abb. 11, Dokumente).
Als jedoch auch die Kärntner Landesregierung den Gedanken, auf der
Grundlage dieser Bestände ein "Institut der Kärntner Landesforschung"318
mit Standort Klagenfurt oder Ossiach zu gründen, wieder fallen ließ,
suchte Fuchs dem dräuenden Schicksal eines finalen Rückfalls in die
Unmaßgeblichkeit mittels einer Intrige zu entgehen (siehe Abschnitt
IV.). In seinem letztendlichen Verbleib in Klagenfurt spiegelt sich sein
mangelndes Talent zum bibliothekarischen Machiavelli.
316
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Bundesministerium
für Vermögenssicherung Wien vom 23.12.1949. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg.
317
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner
Landesregierung, Vermögensverwaltung, vom 16.11.1950. UAK, Kt. 369, Fasz.
Bibliotheksauflösung Tanzenberg.
318
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an den Generaldirektor
der Nationalbibliothek Wien, Josef Bick, vom 12.5.1948. UAK, Kt. 369, Fasz.
Bibliotheksauflösung Tanzenberg.
99
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3.
Resümierend zeichnet die rührige Persönlichkeit und Amtsführung von
Richard Fuchs das nicht untypische Bild einer zeitgenössischen Beamtenlaufbahn, von der agilen Beteiligung am System über eine geschmeidige
Kehre hin zu Reputationsbekundungen in den Nachrufen:
Mit Dr. Fuchs verliert Klagenfurt und unsere Heimat einen braven, pflichtbewußten Beamten, der all seine Kräfte in den Dienst des Staates gestellt
hat. Hofrat Ganz als Vertreter des Bundesministeriums für Unterricht dankte
dem Verstorbenen im Namen des Ministeriums für seine Pflichttreue und die
viele geleistete Arbeit in diesem Ressort. Dr. Fuchs stand kurz vor der Ernennung zum tit. Hofrat und außerdem sollte auch das Unrecht seiner Versetzung, die im Jahre 1942 durchgeführt wurde, gutgemacht werden.319
Nach Kriegsende musste sich nicht nur der Bibliotheksleiter vor der
Sonderkommission verantworten, die Bibliothek selber war zur "Entnazisierung" ihrer Bestände aufgefordert:
Es wird um umgehenden Bericht ersucht, was hinsichtlich der Entnazisierung der Bibliothek durchgeführt wurde. Außerdem ist mitzuteilen, wer für
die Durchführung dieser Aktion verantwortlich ist. Das Verzeichnis über die
ausgeschiedenen Bücher und Schriften ist anher vorzulegen.320
In seinem Antwortschreiben vom 5. Februar 1946 gibt Fuchs an, dass
"bisher 175 Werke aus der Studien —Bibliothek und 288 Werke aus der
Landes —Lehrerbibliothek ausgeschieden wurden."321 Im März wurde
die für die Dauer der Bestandsbereinigung verhängte Schliessung der
Bibliothek nach erfolgter Sichtung durch die Education —Branch der
britischen Militärregierung wieder aufgehoben.
Die auf der Grundlage des "Literatur —Reinigungsgesetzes" des Bundesministeriums für Unterricht vom 9. März 1946 ausgeschiedenen Bücher
wurden bis zu einer Entscheidung des Alliierten Rates über deren Behand319
Volkszeitung Klagenfurt, 107, 10.5.1953, 10.
320
Amt der Kärntner Landesregierung an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 19.12.1945. UAK, Kt. 363, Fasz. 1945.
321
Schreiben der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das
Amt der Kärntner Landesregierung vom 5.2.1946. UAK, Kt. 363, Fasz. 1946.
100
I. Bibliotheken —Verwaltung 3.3.
lung zentral gesammelt. Da die hierfür vorgesehene Studienbibliothek
aufgrund von Platzmangel hierfür nicht wie vorgesehen in Frage kam,
wurde der Luftschutzkeller der Lehrerbildungsanstalt zur lokalen Sammelstelle bestimmt.
Seitens der Öffentlichen Studienbibliothek wog die mit den Büchern
nationalsozialistischer Couleur zugleich expedierte Erinnerung an die
"braunen Zeiten" nicht allzu schwer: 700 Bde. ist gleich 350 kg322
(Abb. 12, Dokumente).
322
Notiz des Bibliotheksleiters Richard Fuchs auf einem Telegramm des Unterrichtsministeriums vom 8.6.1946. UAK, Kt. 363, Fasz. 1946.
101
II. Bücher —Raub 1.
Buch.
Geschlossen hinter seinem festen Deckel, geöffnet mit seinen dünnen Seiten. Das
Äußere verbirgt ein Geheimnis, das Innere ist mit den Zeichen der Aufklärung versehen.
Das Umblättern der Seiten ist ein raum —zeitlicher Ablauf. Das Öffnen einer Seite
bedeutet das Schließen einer anderen. Perfekter Chronotop. Das Buch als Ort der
Zeichen, als Versuch der Entzifferung. Das Buch als komprimierter und konzentrierter
Geist. Das Buch als Symbol für die Enthüllung der Rätsel dieser Welt. Das Buch als
Ort des Glaubens. Das Buch als Schlüssel für das Tor.
(Igor Ganikowskij, Die Symbole des Lichts: VI. Buch)
Sie waren von dem Wahn getrieben, die Bücher des Scharlachroten Sechsecks zu
erobern: Bücher kleineren Formats als die natürlichen; allmächtig, erlaucht und magisch.
(Jorge Luis Borges, Die Bibliothek von Babel)
Auch die den jüdischen Mitbürgern geraubten Bücher lassen sich aufgrund der in
ihnen verborgenen Latenz zu den Heterotopien zählen. Es sind Bücher außerhalb
aller Bücher. Ihr Ort im Regal reflektiert einen anderen Ort, einen Un—Ort, Auschwitz.
(Jürgen Babendreier, Ausgraben und Erinnern)
Ahl al —kitab, "Leute des Buches": II. Bücher —Raub
II.1. Die Proklamierung einer genuin deutschen Bibliophilie als Teil der
kulturellen Verbrämung der nationalsozialistischen Programmatik
Innert weniger Jahre
—
im Umblättern einer Seite, gemessen an der
menschheitsbegleitenden Dauer seines Bestehens
—
hat das Buch die Ein-
buße seiner epistemischen Autorität erfahren, um von der technologischen
Entwicklung tabulos zum "Printmedium" egalisiert zu werden. Nur unzu102
II. Bücher —Raub 1.
länglich spiegelt die neue Terminologie den eigentlichen Gehalt dieses
Bedeutungswandels: Die Entgrenzung von Wissen zum ungerichteten
Fliessen der Informationen im Hypertext:
Zu den aus der Tradition entwickelten Eigenheiten des Buchs, wie es im
späten europäischen Mittelalter geprägt wurde, gehört, dass ein Buch ein
abgeschlossenes [...] Werk ist, [...] versinnbildlicht in den beiden das Buch
einschließenden Buchdeckeln [...]. Google Print, Amazon's [!] seitenweises
Verkaufsmodell der Zukunft und die Eröffnung von Random House, die
Buchdeckel virtuell zu öffnen und Seite für Seite anzubieten lösen diese
alten Verbindlichkeiten schlichtweg auf.323
Was für die Seefahrer der Vorzeit das mare incognitum, das unbekannte
Meer war, das sie einst zu ihren Entdeckungsreisen lockte, ist für die Surfer
der Gegenwart das Internet, gestaltlos wie Wasser und wandelbar wie
dieses324 : "Das Gegenteil von Bibliothek heißt heute Information, ist
befallen vom Virus des digitalen Vergessens und war früher ein Fluss
und nannte sich Lethe."325 Nicht Dauerhaftigkeit verheißt das Virtuelle,
sondern Allgegenwart
—
für die Gelehrten des Mittelalters eine punitive
Eigenschaft der Hölle326. Doch bei allem Gewahren dessen, was mit dem
Paradigmawechsel verloren geht, besteht gleichwohl keine Veranlassung
zu einem defätistischen Lamento über einen dräuenden Kulturverlust
und die Substitution von universeller Weltkunde durch zweckrationale
Fachkenntnis und Wikipedia —aufbereitete Konsumbildung, wie es die
Mediendiskussion der Gegenwart vielstimmig erhebt:
Die menschliche Einbildungskraft ist nicht monogam und muss es auch nicht
sein, und neue Geräte werden schon bald neben den Powerbooks stehen,
die heute in der Multimedia —Bibliothek neben den echten Büchern stehen.327
323
Rüdiger Wischenbart, Die Eroberung der Bibliotheken durch das Internet. Ein
Kulturkonflikt um Profile, Rollen und Mandate. In: Semantic Content Engineering.
Proceedings der Semantics 2000, edd. Siegfried Reich u.a. (= Schriftenreihe
Informatik 17, Salzburg 2006) 285-290, hier 288.
324
Alberto Manguel, Die Bibliothek bei Nacht (Frankfurt am Main 2007) 38.
325
Babendreier, Kollektives Schweigen? (Anm. 41) 23.
326
Vgl. Manguel, Die Bibliothek bei Nacht (Anm. 324) 38.
327
Ebd. 352.
103
II. Bücher —Raub 1.
In den Menetekeln spiegelt sich zuweilen ein traditionsverbissenes
Arbeitsethos, welches allem frei Zugänglichen und Entlastenden grundsätzlich mit Misstrauen begegnet.
Ungeachtet der Varietäten der Wissensbehältnisse ist das Konzept des
Buches auch heute noch von seiner starken kulturellen Belegung bestimmt. Geschuldet ist die Nachhaltigkeit dieser Prägung den großen
monotheistischen Religionen, welche das Buch als zentrale Metapher
der Offenbarung eingesetzt haben. Die Manifestation des Wortes Gottes
in Buchform prädestiniert diese "strukturell als Behältnis von Totalität" 328.
Für das Judentum ist in den beiden Gesetzestafeln, die in Form und
Ausmaß das Buch präfigurieren, das Wort Gottes vollständig enthalten329.
Und in der christlichen Apokalyptik wird die Auferstehung am Jüngsten
Tag durch das Eingeschriebensein in das Buch des Lebens verheißen 330.
Was das Judentum aber vor den anderen Schriftreligionen zum "Ahl
al—kitab", einem "Volk des Buches", hat werden lassen, ist seine dolorose
Geschichte der fortgesetzten Vertreibungen, Verfolgungen, Versehrungen.
Die Thora, die fünf Bücher Mose, hat als einende Kraft die Juden gegenüber anderen Gemeinschaften befähigt, eine zweitausendjährige
Diaspora als Volk zu überstehen. Das wohlbekannte Wort Heines von
der Thora als dem "portative[n] Vaterland"331 der Juden bezeichnet auf
das Genaueste den Weg des jüdischen Volkes in den geistigen Raum des
Buches: "[D]enn Judesein heißt ins Wort emigrieren [...]. Die Rückkehr
ins Buch ist die Rückkehr zu den vergessenen Stätten."332 Verglichen mit
der Weite der Welt ein eng begrenzter Raum, der sich aber von innen
gesehen "als viel unermeßlicher [erweist], als die Welt in ihrer Pracht
328
Carola Erbertz, Zur Poetik des Buches bei Edmond Jabès. Exiliertes Schreiben im
Zeichen von Auschwitz (Tübingen 2000) 143.
329
Vgl. ebd. 143.
330
Vgl. ebd. 143.
331
Heinrich Heine, Geständnisse. In: Werke in fünf Bänden 5 (= Bibliothek deutscher
Klassiker, Berlin/Weimar 14 1976) 374.
332
Edmond Jabès, Vom Buch zum Buch (München/Wien 1989) 132.
104
II. Bücher —Raub 1.
und Größe nur immer sein kann."333 Eine Selbst- und Fremdwahrnehmung, die bis zum Zweiten Weltkrieg ihre Gültigkeit hatte. Was die
emphatische Respektbezeugung Jan Assmanns vor dem Primat des
Geistigen übersieht, ist das Moment der Verordnung in der aus der
Not geborenen Tugend. Dagegen haben sich die Juden nach dem
Krieg mit der Gründung des Staates Israel verwahrt und ihren Anspruch auf Teilhabe an der realen Welt erhoben. Dem entsprach auch
die Mission des Religionshistorikers und Bibliothekars Gershom Scholem,
der unmittelbar nach dem Krieg durch Europa reiste, um sich für eine
"Rückkehr der Bücher" einzusetzen, "für eine Globalrestitution der geraubten Büchermengen an das jüdische Volk und deren vorrangige
Überführung nach Palästina, wo sie die Hebräische Universität von
Jerusalem treuhänderisch verwalten solle."334 Mit dieser Initiative sollte
das in den "Räumen des Buches" dislozierte Gedächtnis an einem
"kulturellen Platz (Universität)"335 konzentriert werden, um "dem Volk
des Buches als einheitliche Körperschaft einen symbolischen Ort und
Anlass zu geben, ein mit dem Buch verwobenes kollektives Gedächtnis
zu entwickeln."336
Durch das Wissen um die tiefe Beziehung von Volk und Wort wird die
Schändlichkeit der Bücherverbrennung des Jahres 1933 über den bloß
rohen Akt der Bekundung einer vulgärer Lebensphilosophie hinaus zu
einer "magische[n] Zerstörungsorgie"337. "Eines Tages erfuhr ich, durch
meine Bücher, meinen Namen"338, schrieb Edmond Jabès: Die Vernichtung
333
Jan Assmann, Das Volk des Buches Zum Mahnmal von Rachel Whiteread für die
ermordeten Juden Österreichs. In: Projekt: Judenplatz Wien. Zur Konstruktion
von Erinnerung, ed. Simon Wiesenthal (Wien 2000) 97-109, hier 105.
334
Babendreier, Kollektives Schweigen? (Anm. 41) 29.
335
Ebd. 29-30.
336
Ebd. 30.
337
Leo Löwenthal, Calibans Erbe. In: "Das war ein Vorspiel nur ...". Berliner Colloquium
zur Literaturpolitik im "Dritten Reich", edd. Horst Denkler/Eberhard Lämmert
(= Schriftenreihe der Akademie der Künste 15, Berlin 1985) 14-28, hier 23.
338
Jabès, Vom Buch zum Buch (Anm. 332) 131.
105
II. Bücher —Raub 1.
der Schrift als Manifestation von Identität ist ein primitives Ritual der
symbolischen Tötung des Gegners und der gleichzeitigen Anverwandlung seiner gefürchteten Stärke. Aus der Asche der Bücher erhebt
sich der Homunculus des "deutschen Geistes". Auf der über einen Thementag hinaus wertigkeitssuggestiv zur "Woche des Buches" ausgedehnten
Inszenierung präsentierte Goebbels in seiner Eröffnungsrede das
deutsche "Kulturvolk" 339 als das genuine Buchvolk: "Wir Deutschen als
Volk der Dichter und Denker können uns ein menschliches Leben ohne
Buch überhaupt nicht vorstellen."340 Das großsprecherisch—salbungsvolle
Bekenntnis zum "Buch als Lebensbedingung" 341 steht nur scheinbar im
Widerspruch zur antiintellektuellen Grundhaltung der nationalsozialistischen Ideologie. Die bekundete Literaphilie gilt nicht den Abstraktionen
und Vermittlungen, nicht der "Freiheit pluralistischer, hermeneutischer, also
individueller Deutung"342 , welche nur zu einem vom "Grund des Volksganzen"343 herausgelösten "Sonderleben" 344 führen. Eine der Reflexion
verhaftete Sprache "hat nichts mehr zu sagen, was alle zu erfassen
vermag, sondern nur noch das, was Einzelne angeht. Und so wird sie
zu einer Angelegenheit der »Bildung und Kennerschaft«."345
Im Nationalsozialismus hatte Literatur eine doppelte Funktion. Zum einen
waren Buch und Lektüre Versatzstücke einer schaurigen Inszenierung
aggressiver Innerlichkeit:
Ein Sessel wird in jedem Heim vorhanden sein, ein kleines fahrbares Bücherregal an ihn herangefahren, vielleicht noch eine Leselampe dazugestellt,
339
Joseph Goebbels, Buch und Schwert. Rede zur Eröffnung der Woche des deutschen
Buches. In: Das eherne Herz. Reden und Aufsätze aus den Jahren 1941/42
(München 1943) 61.
340
Ebd. 61.
341
Ebd. 64.
342
Löwenthal, Calibans Erbe (Anm. 337) 23.
343
Hans Jantzen, Geist und Schicksal der deutschen Kunst (Köln 1935) 54.
344
Ebd. 55.
345
Ebd. 54.
106
II. Bücher —Raub 1.
und mit wenigen Mitteln ist das Haus um eine schöne Gestaltung reicher
geworden. [...] Nicht großen Aufwand, nicht üppige Bücherschränke verlangt das Buch im kleinen Haus, nur ein wenig Liebe und Sorgfalt in seiner
Pflege und seiner Unterbringung, und es trägt einen stillen Glanz auch in
bescheidenste Verhältnisse.346
In der traulichkeitsmuffigen Atmosphäre des deutschen Heims kommt
der Lektüre eines "guten Buches" die Aufgabe der Erbauung zu:
Bücher [...] sollen uns die große Welt in das Heim holen, sollen von Vergangenem erzählen, uns die Gegenwart recht erleben und die Zukunft
schauen lassen. Gerade die stille Welt der Bücher ist für den, der sie besitzt,
ein sich stets erneuernder Quell der Freude und der Innerlichkeit, der immer
neue Kräfte schenkt. Das Buch ist ein guter Freund in stillen Stunden der
Besinnlichkeit und der häuslichen Freude, ein treuer Helfer in Stunden der
Niedergeschlagenheit oder des Leides.347
Das hier geschilderte "Idyll" entspricht der nationalsozialistischen
Strategie der Ablenkung348 , scheinbar unpolitische Reservate im Privatleben wie im Kulturbereich einzurichten, die jedoch von faschistischen
Inhalten durchdrungen sind349 . Über die literarische Seite der deutschen
Innerlichkeitskultur, wie sie hier geschildert wird, schrieb Kurt Tucholsky:
Es ist kein Zufall, daß diese Innenkünstler fast immer reaktionär sind oder
aber
—
und das ist der schlimmere Fall
—
von Reaktionären benutzt, ausgenutzt
und mißbraucht werden können. (Mit Shakespeare geht das nicht. Mit Tolstoi
geht das nicht. Mit dem echten Goethe geht das nicht.) 350
Hinter dem Heimeligen bleckt das Unheimliche: "Überall waren Blumen
gepflanzt", beschrieb der Kommandant von Treblinka, Franz Stangl, den
346
Alfons Brugger, Wohnen mit Büchern, ed. Werbe- und Beratungsamt für das deutsche
Schrifttum beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (Berlin
[1940]) ohne Paginierung.
347
Ebd.
348
Vgl. Gudrun Brockhaus, Schauder und Idylle. Faschismus als Erlebnisangebot
(München 1997) 197.
349
Vgl. ebd. 197.
350
Zit.n. ebd. 197-198.
107
II. Bücher —Raub 1.
deutschen Teil des Lagers: "Es ist schwer, das jetzt richtig zu beschreiben, [...] aber es wurde richtig schön."351
Die Instrumentalisierung von Literatur als Empfindungsstimulans und
Bildungsbesitznachweis zeitigte mitnichten immer die gesollte Wirkung.
Je salbungsvoller und weihetrunkener der Tenor deutscher Reden war,
desto beißender fiel der Spott aus, mit welchem vor allem das Ausland
auf die geistigen Urheberrechtspostulate reagierte, deren Bizarrerie
so weit ging, noch Shakespeare zum genuin Deutschen zu erklären, wie
Baldur von Schirach in einer Kantate —Rede vor der "Gesellschaft der
Bibliophilen" in Weimar:
Die Nation Goethes und Beethovens sind wir. Mit Thieck können wir sogar
sagen: Nun haben wir unseren Shakespeare ganz, er ist in der Tat ein
Deutscher geworden. Nicht nur, daß er sprachlich Gemeingut des deutschen
Volkes geworden ist, was in England nie der Fall war noch sein kann, wird er
an unseren Bühnen unvergleichlich viel mehr gespielt als in England selbst.352
Die Häme, welche diese "höhere Dummheit" (Robert Musil) nicht nur
seitens der Engländer provozierte, gab wiederum den Anstoss zu rhetorischen Drohgebärden: "Wenn die Welt die Früchte des deutschen
Geistes, der deutschen Dichtung und des deutschen Denkens zu ihren
kostbarsten zählt, dann soll sie auch lernen, dieses Volk der Deutschen
in seinen politischen Forderungen zu achten."353
Zum anderen kam dem Buch während des Krieges die Funktion der
"inneren Rüstung" zu, anklingend im Bedeutungshof der Propagandaformel "Buch und Schwert"354 , dem Motto der Kriegsbuchwoche 1941.
Unrichtig ist die Behauptung von Margaret Stieg, wonach dem Buch
als Waffengattung der nationalsozialistischen Propaganda lediglich eine
351
Gitta Sereny, Am Abgrund: Gespräche mit dem Henker. Franz Stangl und die
Morde von Treblinka (München 3 1997) 193.
352
Baldur von Schirach, Kantaterede (Weimar 1941) 9.
353
Karl Heinz Hederich, Nationalsozialismus und Buch. Rede zur Woche des Deutschen
Buches 1937, gehalten auf der Abschlußkundgebung in Essen (Main [1938]) 21.
354
Goebbels, Buch und Schwert (Anm. 339) 67.
108
II. Bücher —Raub 1.
zweitrangige Stellung zukam:
The nazis understood that for their purposes the book was relatively ineffectual. As a cultural medium, the influence of the book is likely to be slow
and indirect. [...] Because it has a more direct impact and evokes an immediate response, the spoken word was held in much higher esteem. Radio
and film were the media of interest rather than the book.355
Volksempfänger und Film waren aufgrund ihrer Suggestionskraft wichtige
Instrumente im Dienst der nationalsozialistischen Propaganda, erreichten
aber in erster Linie die Zivilbevölkerung. Während des Krieges
—
und
mit zunehmender Verelendung, Verzweiflung und Verrohung als demoralisierende Gefolgschaft des schwindenden Kriegsglücks in verstärktem Maß
—
galt es, die Frontsoldaten patriotisch zu indoktrinieren,
um "den Mut und die Tapferkeit derer, die auf der Wacht und im Kampf
stünden" 356, zu stärken. Zwei Großmaßnahmen wurden ins Leben gerufen,
um "die deutsche Wehrmacht im kommenden Winter ausreichend mit
guten Büchern zu versorgen"357, wie Goebbels in der Rede zur Eröffnung
der Kriegsbuchwoche 1941 ankündigte:
Eine Auswahl bester Literatur wird in Großauflage in handlichstem und ansprechendstem Format herausgebracht und der Wehrmacht zur Verteilung
übergeben. Als erstes Ergebnis dieser Aktion werde ich in Kürze 3 Millionen
Bücher an die deutschen Soldaten an der Front zum Versand gelangen
lassen. [...] Daneben geht [!] die großzügige Ausführung des Aufrufs des
Reichsleiters Rosenberg zur 3. Büchersammlung der NSDAP. Ungezählte
Millionen Bände aus allen Sparten unseres deutschen Schrifttums sind in
den vergangenen zwei Jahren auf grund [!] dieser Sammlung an die Front
gegangen; [...].358
355
Margaret F. Stieg, The impact of National Socialism on libraries. In: Bibliotheken
während des Nationalsozialismus 2, edd. Peter Vodosek/Manfred Komorowski
(= Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 16, Wiesbaden
1992) 11-26, hier 18.
356
Gegenwartsaufgaben des deutschen Schrifttums. In: Börsenblatt für den Deutschen
Buchhandel 96 (1940) 85.
357
Goebbels, Buch und Schwert (Anm. 339) 67.
358
Ebd. 67-68.
109
II. Bücher —Raub 1.
Wie viele davon mögen wohl als papierene Einlage im wenig winterfesten Schuhwerk gedient haben ...?
Die Ableitung von Geisteskraft aus Produktionszahlen ist so kontradiktorisch, wie sie bezeichnend ist für die dem großsprecherischen
Gebaren immanente Verachtung und Scheu des Kleinbürgers vor aller
"Bildung":
250 Millionen Bücher und Schriften wurden im abgelaufenen Berichtsjahr
im Reich herausgebracht [...]. Wieder steht an erster Stelle das schöngeistige Schrifttum mit einer Gesamterzeugung von 72 Millionen Büchern.
Hierunter befinden sich allein 39 Millionen Neuerscheinungen. [...] An
zweiter Stelle steht die politische und dokumentarische Literatur der Zeit
mit einer Gesamtauflage von 56 Millionen. [...] Unter den 56 Millionen
Büchern der Zeit befinden sich 33 Millionen Neuerscheinungen auf dem
Gebiet des Wehr- und Kriegsschrifttums. 359
Im Dezember 1939 kommentierte der polnische Historiker Chaim Kaplan
in seinen Tagebuchaufzeichnungen einen Artikel der "Deutschen
Allgemeinen Zeitung", der die vorgebliche Buchaffinität der Deutschen
zum Inhalt hatte. Hellsichtig erfasst die Analyse den Doppelcharakter
der schamlosen Anverwandlung:
We are dealing with a nation of high culture, with »a people of the Book«.
An article in the Deutsche Allgemeine Zeitung, »Books, Books, Books«, reports on the mania for reading that has seized all of Germany. The Germans have simply gone crazy for one thing
—
books. At every bookstore
there are long lines of people waiting for the moment when they will be
able to buy a book. They are hungry, not for bread, not for water, nor for
any tangible worldly pleasure, but for the German writer. Editions of ten of
thousands are sold in a few days, and the publishers cannot keep up with
the tremendous demand, a demand that has never been equalled, even in
the inflationary days of World War I. [...] Obviously the printers and binders are not in a position to meet the gigantic demand that shouts: »Give
me! Give me!« Germany has become a madhouse
359
Ebd. 66.
110
—
mad for books. Say
II. Bücher —Raub 1.
what you will, I fear such people! Where plunder is based on an ideology,
on a world outlook which in essence is spiritual, it cannot be equalled in
strength and durability. Such a nation will not perish. The Nazi has robbed
us not only of material possessions, but also of our good name as »the people of the book«. The Nazi has both book and sword, and this is his
strength and might.360
Auf die Lädierung der sowohl individuellen als auch kollektiven "Identitäts—
Ausrüstung"361 im symbolisch aufgeladenen Akt der Bücherverbrennung
folgte mit der Expropriation deren vollständige Vernichtung:
Was ist es also, was im Zuge der Enteignung, im Laufe schikanöser, demoralisierender Verwaltungsakte genommen wird? Einerseits materielles [!], und
dies besonders schmerzlich, weil die Beraubung an Vermögen und Besitz
immer auch eine Reduktion von Handlungschancen, eine Verengung des
Möglichkeitsraums bedeutet. Andererseits ist das Ensemble von Dingen [...]
immer auch ein biographisches Arrangement, das das Selbstbild und die
Identität in einem sehr konkreten Sinn fundiert und stützt. Geht alles dies
verloren [...] kommt die sukzessive Beraubung einer wachsenden psychosozialen Entstellung gleich.362
Der hier distanzierend in die Wissenschaftssprache der sozialpsychologischen Analyse transponierte Schmerz, der ohnmächtige Zorn und die
Fassungslosigkeit der Opfer, klingen aus den Tagebuchaufzeichnungen
Chaim Kaplans
—
geschrieben im Warschauer Ghetto
—
als ein tief
empfundenes Weh:
The day before yesterday, like true Vandals, the conquerors entered the
Tlomacka Library, where rare spiritual treasures were stored. They removed
all the valuable books and manuscripts, put them on trucks, and took them
360
Chaim A. Kaplan, Scroll of Agony. The Warsaw Diary of Chaim A. Kaplan (London
1966) 72-73.
361
Vgl. Erving Goffman, Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten
und anderer Insassen (Frankfurt am Main 7 1989) 30.
362
Harald Welzer, Vorhanden/Nicht —Vorhanden. Über die Latenz der Dinge. In:
"Arisierung" im Nationalsozialismus. Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis.
edd. Irmtraud Wojak/Peter Hayes (= Jahrbuch 2000 zur Geschichte und Wirkung
des Holocaust, Darmstadt 2000) 287-308, hier 294.
111
II. Bücher —Raub 1.
to some unknown place. This is a burning of the soul of Polish Jewry, for
this library was our spiritual sanctuary where we found respite when troubles came to us. Now the fountain which slaked our thirst for Torah and
knowledge is dried up.363
Die Leerstelle, welche die geraubten Bücher im Regal hinterlassen,
verweist auf "einen anderen Ort, einen Un —Ort, Auschwitz."364
363
Kaplan, Scroll of Agony (Anm. 360) 39.
364
Babendreier, Kollektives Schweigen? (Anm. 41) 41.
112
II. Bücher —Raub 2.
II.2. Die nationalsozialistische Raubpolitik mit dem Fokus auf der Enteignung von Schriftgut aus privatem wie institutionellem jüdischem Besitz
Bereits zwei Jahre nach der Machtusurpation der Nationalsozialisten
krängte der Staatshaushalt dermaßen auf die Seite des Prekären, dass
sich Hitler genötigt sah, eine öffentliche Bekanntgabe des Etats zu untersagen365 . Der innenpolitische Rückhalt wurde mittels einer Politik des
Vorgriffs auf die Zukunft erkauft, die Konsolidation der Stimulierung
der Massenlaune bedenkenlos geopfert. In den Gedächtnisprotokollen
seiner Gespräche mit Hitler schildert der ehemalige Danziger Senatspräsident Hermann Rauschning dessen Haltung zum Staatsdefizit:
»Inflation, was heißt Inflation! Reden Sie mir nicht von Inflation. Es kommt
darauf an, das Vertrauen der Bevölkerung zu erhalten. Alles andere ist Unsinn. [...] Was bedeutet Deckung? Vertrauen. Zu uns haben die Leute Vertrauen auch ohne Deckung«.366
Die zwei wichtigsten Investitionsbereiche der populistischen Stimmungspolitik waren die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Aufrüstung.
Allen andrängenden sozialen Problemen zum Trotz wurde gerade
auch letztere von einer breiten Bevölkerungsschicht mitgetragen. Der
Bruch des Versailler Vertrages und der Austritt aus dem Völkerbund
durch die Reichsregierung galten gemeinhin als Akt der fälligen Satisfaktion für die schmachvollen und erniedrigenden Jahre nach dem
selbstverschuldeten und verlorenen Krieg. Die aggressive Psychohygiene
hatte allerdings ihren Preis:
Von 1933 bis Mitte 1939 gab das Deutsche Reich etwa 45 Milliarden Reichsmark für die Aufrüstung aus. Die nach damaligen Begriffen astronomische
Summe betrug mehr als das Dreifache der Reichseinnahmen im Haushaltsjahr
1937. [...] Vollbeschäftigung und Rüstung waren mit riesenhaften Krediten
finanziert worden.367
365
Vgl. Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 353.
366
Rauschning, Gespräche mit Hitler (Anm. 106) 99.
367
Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 52.
113
II. Bücher —Raub 2.
Selbst Goebbels, der die Warnungen der von ihm vollmundig als
"kleine Spießer"368
abgetanen Finanzfachleute gemeinhin mit dem
verächtlichen Gestus eines in größeren Zusammenhängen Denkenden
vom Tisch fegte, sprach in seinem Tagebuch am 2. März 1939 von dringenden Einnahmeerfordernissen angesichts eines "rasenden Defizits"369 .
Das Paradieren lief auf Krieg und das Mulatieren auf Raub als "logische"
und letzten Endes einzig verbleibende Lösung zur Subsidiengewinnung
hinaus:
Das konstante Gerede vom Volk ohne Raum, von Kolonien und Weltgeltung,
von Ostexpansion, wirtschaftlichen Ergänzungsräumen und so genannter
Entjudung bezweckte am Ende immer das Eine: Die Aussicht auf ein nicht
selbst zu erarbeitendes Wachstum des allgemeinen deutschen Wohlstands,
und das innerhalb kurzer Zeit.370
Galt die Ausplünderung der überfallenen und niedergeworfenen
Staaten als angestammtes Siegerrecht, das man ohne Blickscheu bis
zum Letzten zur Anwendung brachte, war die materielle Bereicherung
an den Juden eine Tatsache, gegenüber der man Verschleierung und
Stillschweigen präferierte: "Über die zwangsweise Umwandlung jüdischer Vermögenswerte in Kriegsanleihen durfte nicht berichtet werden,
konkrete Zahlen über die Erlöse blieben geheim."371 Wo ein Agieren
im Verborgenen nicht zu bewerkstelligen war, wurde das Motiv der
schnöden Habgier mit geschichtsklitternden, rassistisch—ideologischen
Argumenten legitimierend überformt: "Die wehrlosen Opfer eines heimtückischen Massenraubmords sollten als nichtswürdige Feinde erscheinen"372 , wofür die "Verordnung über eine Sühneleistung der Juden
deutscher Staatsangehörigkeit" vom 12. November 1938 ein Parade368
Die Tagebücher von Joseph Goebbels I/5, ed. Elke Fröhlich (München 2000)
69.
369
Die Tagebücher von Joseph Goebbels I/6, ed. Elke Fröhlich (München 1998)
273.
370
Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 353.
371
Ebd. 315.
372
Ebd. 315.
114
II. Bücher —Raub 2.
beispiel darstellt. Die im Anschluss an die Novemberpogrome erlassene
Verordnung Görings war eine groß angelegte Raubaktion, deren besondere Infamie darin bestand, die Verfolgten und Bestohlenen mit der
Bezichtigung einer "feindliche[n] Haltung des Judentums gegenüber dem
deutschen Volk und Reich, die auch vor feigen Mordtaten nicht zurückschreckt"373, zu Schuldnern zu machen: "Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit [wird hiermit] die Zahlung einer Kontribution
von 1,000.000.000 Reichsmark an das Deutsche Reich auferlegt."374
Bezeichnend für die Einschmelzung von Widersprüchen in die nationalsozialistische Heilslehre ist die Übertragung einer metaphysischen Anschauung auf das ökonomische Verhalten. So wird aus dem geraubten
Gut "erlöstes" Gut:
Es soll aber keineswegs aus der privaten jüdischen Hand in die private
nichtjüdische Hand, es sei denn indirekt gelangen, sondern es gehört in die
öffentliche Hand, was für diesen metaphysisch begründeten oder zumindest
betonten Judenhaß charakteristisch scheint. 375
In der Übernahme und Behandlung durch den Staat vollzieht sich ein
Akt der Tilgung alles "Jüdischen", eine Transsubstantiation von kontaminierten Objekten in handelbare Werte.
[Sachen], die sich auch mühelos, mochte es sich selbst um so intime Dinge
wie Leib- und Bettwäsche, Schlafzimmereinrichtungen oder Geschirr und
Besteck handeln, von »Volksgenossen« [...] benützen ließ[en], ohne daß
»Deutschblütige« darunter Schaden litten, obwohl doch sonst das jüdische
Stigma kaum trennbar an allen Dingen haftete, die nach rassistischer und
besonders auch nationalsozialistischer Auffassung Juden oder zu Juden
gehörten, ja sogar je einmal gehört hatten.376
373 "
Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit"
vom 12.11.1938. RGBl. I, 1579. Abgedr. in.: Arno Buschmann, Nationalsozialistische
Weltanschauung und Gesetzgebung 1933—1945, 2: Dokumentation einer Entwicklung
(Wien/New York 2000) 449.
374
Ebd. 449.
375
H. G. Adler, Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus
Deutschland (Tübingen 1974) 492.
376
Ebd. 603.
115
II. Bücher —Raub 2.
Die Verwandlung der "von individuellem menschlichen [!] Leben imprägnierten Dinge in neutrale bezugslose Objekte"377 folgte einer "Logik
der Sparsamkeit und zweckrationalen Effizienz, die alles irgendwie
Brauchbare einsammelt, sortiert und magaziniert, um es in neue Gebrauchskreisläufe einzuspeisen."378 In der Praxis der Umgestaltung und
Umwidmung der materiellen Habe, die ihrerseits "Züge einer massenhaften und industriellen Arbeit annimmt"379, spiegelt sich die Vernichtung
menschlichen Lebens.
Auch im Sinne dieser Verwertungsökonomie wurde den "wilden Arisierungen", wie sie während der Pogrome in und nach der "Reichskristallnacht" allerorten stattfanden, ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben.
Solange der Mob seine Übergriffe auf Körpergewalt und Grausamkeit
beschränkte, waren diese als "Fanal" wohlgelitten, da propagandistisch
als Ausdruck des "Volkszornes" instrumentalisierbar. Hingegen stellten
Sachbeschädigungen bereits ein grobes Ärgernis dar, wie Göring in
einer Besprechung über Maßnahmen zur Ausschaltung der Juden aus
der deutschen Wirtschaft unmissverständlich klarmachte:
Wenn heute ein jüdisches Geschäft zertrümmert wird, wenn Waren auf die
Straße geschmissen werden, dann ersetzt die Versicherung dem Juden den
Schaden
—
er hat ihn gar nicht
—,
und zweitens sind Konsumgüter, Volks-
güter zerstört worden. Wenn in Zukunft schon Demonstrationen, die unter
Umständen notwendig sein mögen, stattfinden, dann bitte ich nun endgültig
sie so zu lenken, daß man sich nicht ins eigene Fleisch schneidet. Denn es
ist irrsinnig, ein jüdisches Warenhaus auszuräumen und anzuzünden [...]
und die Waren [...] werden verbrannt und fehlen mir hinten und vorn. Da
kann ich gleich die Rohstoffe anzünden, wenn sie hereinkommen. Das Volk
versteht das natürlich nicht, und deshalb müssen hier Gesetze gemacht
werden, die dem Volk einwandfrei zeigen, daß hier etwas getan wird."380
377
Assmann, Das Gedächtnis der Dinge (Anm. 17) 144.
378
Ebd. 145.
379
Ebd. 145.
380
Stenographische Niederschrift (Teilübertragung) der Besprechung über die Judenfrage bei Göring am 12. November 1938. Abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz
im Nationalsozialismus (Anm. 90) 365.
116
II. Bücher —Raub 2.
Was nicht missverstanden werden darf: "Das Wort »Entjudung« fordert
nicht zum Pogrom auf, sondern bestimmt ein Staatsziel."381
Vollends nicht geduldet werden konnten aber Plünderungen, da blanke
Habgier als Beweggrund der Verfolgung die "offiziösen »idealistischen«
Begründungen"382 konterkarierte. Zudem mochte es nicht angehen,
dass dem Staat durch Selbstbedienung die paternalistische Geste des
Verteilens aus der Hand genommen wurde. "Der Jude wird aus der
Wirtschaft ausgeschieden und tritt seine Wirtschaftsgüter an den Staat
ab. [...] Soweit sie nicht abgesetzt werden können, wird sich irgendein
Weg finden, sie in die Winterhilfe hineinzuführen oder sonstwie zu verwerten"383 , lautete die hinsichtlich der Beuteverteilung eindeutige Richtlinie Görings. Das Verhältnis von NS —Raubstaat und Volksempfängern
ist die mimetische Spiegelung der Symbiose von Hai und Putzerfischchen:
"So betrachtet, verwandelte die NS —Führung die Deutschen mehrheitlich weder in Fanatiker noch in überzeugte Herrenmenschen. Vielmehr
gelang es ihr, sie zu Nutznießern und Nutznießerchen zu machen."384
Die "Entjudung" des sozialen und wirtschaftlichen Lebens war ein politisch—gesellschaftlicher Prozess, worin zahlreiche Akteure und Millionen
von Profiteuren involviert waren: "Gerade am Beispiel der »Arisierung«
zeigt sich, daß die nationalsozialistische Herrschaft nicht als bloße
Diktatur von oben nach unten, sondern als soziale Praxis begriffen
werden sollte, an der die deutsche Gesellschaft in vielfältiger Weise
beteiligt war." 385 Die Transformation des Staates in eine gewaltige
381
Betrifft "Aktion 3". Deutsche verwerten jüdische Nachbarn, ed. Wolfgang Dreßen
(Berlin 1 1998) 15.
382
Frank Bajohr, "Arisierung" als gesellschaftlicher Prozeß. Verhalten, Strategien und
Handlungsräume jüdischer Eigentümer und "arischer" Erwerber. In: "Arisierung"
im Nationalsozialismus. Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis, edd. Irmtraud
Wojak/Peter Hayes (= Jahrbuch 2000 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust,
Darmstadt 2000) 15-30, hier 15.
383
Stenographische Niederschrift (Teilübertragung) der Besprechung über die Judenfrage bei Göring am 12. November 1938. Abgedr. in: Recht, Verwaltung und
Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 366.
384
Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 361.
385
Bajohr, "Arisierung" als gesellschaftlicher Prozeß (Anm. 382) 17.
117
II. Bücher —Raub 2.
Raubmaschinerie erforderte das Zusammenspiel aller Kräfte:
Da das Problem in der Hauptsache ein umfangreiches wirtschaftliches Problem ist, wird hier der Hebel angesetzt werden müssen. Selbstverständlich
ergeben sich daraus auch eine Reihe rechtlicher Maßnahmen, die sowohl
in das Gebiet des Justizministers wie des Innenministers fallen, dann die
daraus zu folgernden Propagandamaßnahmen, die in das Gebiet des Herrn
Propagandaministers fallen, selbstverständlich auch Maßnahmen des Finanzministers und des Wirtschaftsministers."386
Was die Justiz im Bütteldienst des Nationalsozialismus anbelangte, so
stand diese nicht an, mittels Zuschnittsgesetzgebung das legislatorische
Instrumentarium für eine Totalentwertung der Juden zu liefern. Die gewieftesten Verwaltungsjuristen unterwanden sich der Aufgabe, die
Ideen von "Rassereinheit" und "Entjudung" in bürokratisch praktikable
Normen zu verwandeln. Das Ergebnis war ein perfides System gleichzeitiger Ausgrenzung und Einkreisung, welches den schrittweisen Entzug
sämtlicher Existenzgrundlagen bis hin zur Aberkennung der Existenzberechtigung leistete.
Hinter der scheinlegalen Fassade der entrechtungszentrierten nationalsozialistischen Gesetzgebung war eine Vielzahl staatlicher Stellen und
Sondereinrichtungen emsig mit der verwaltungstechnischen Logistik
der Ausbeutung der Juden befasst. Wie in allen Bereichen des Staatsapparates kam es auch und gerade auf dem Sektor der Expropriation
zu Machtstreit und Beutebalgerei:
Gab das Reichsministerium des Inneren die Anweisung, alle Bibliotheken an
die Gestapo auszuliefern, ordnete das Reichsministerium für Finanzen an,
sämtliches beschlagnahmtes Schrifttum bei der Preußischen Staatsbibliothek
abzuliefern, während verschiedene Parteiinstanzen nach Kräften bestrebt
waren, beide Weisungen zu konterkarieren.387
386
Stenographische Niederschrift (Teilübertragung) der Besprechung über die Judenfrage bei Göring am 12. November 1938. Abgedr. in: Recht, Verwaltung und
Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 365.
387
Hans Erich Bödeker/Gerd —Josef Bötte, NS —Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek. Skizze einer Problemstellung. In: NS —Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek, edd. Dies. (= Vorträge des Berliner
Symposiums am 3. und 4. Mai 2007, München 2008) 1-10, hier 2-3.
118
II. Bücher —Raub 2.
Mit dem "Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit", abbreviiert "Ausbürgerungsgesetz", vom 14. Juli 1933, wurde eine erste rechtliche Handhabe für die Vermögensenteignung erlassen. Nach §2 konnten alle
Personen "der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt werden,
sofern sie durch ein Verhalten, das gegen die Pflicht zur Treue gegen
Reich und Volk verstößt, die deutschen Belange geschädigt haben". 388
Ein Begriff wie jener der "Treue" an zentraler Stelle dieses und anderer
Gesetzestexte
—
beispielsweise des Beamtengesetzes
—
ist bezeichnend für
die Verwandlung der Rechtsprechung zu einer Exegese der nationalsozialistischen Heilslehre. Die Substituierung von Prägnanz durch Emotion
erlaubte, jegliche Missliebigkeit unter dem Rubrum des Treuebruchs zu
erfassen, wovon der nationalsozialistische Staat auch weidlich Gebrauch
machte. Bis Ende 1941 wurden 32.508 Personen auf der Grundlage
dieses Gesetztes ausgebürgert und in weiterer Folge enteignet389 . Um
einen Vermögenstransfer der Zwangsexilierten zu unterbinden, konnte
bereits mit der Einleitung des Ausbürgerungsverfahrens das gesamte
Vermögen beschlagnahmt und nach erfolgter Aberkennung der deutschen
Staatsbürgerschaft als dem Reich verfallen erklärt werden 390. Eine
"Kann — Bestimmung", welche wohl in keinem einzigen Falle unausgeschöpft blieb. Der beschlagnahmte nicht — monetäre Besitz wurde
zugunsten des Reichsfiskus verwertet, sprich entweder über das Dorotheum oder über die Ver waltungsstelle für jüdisches Umzugsgut der
388
"Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen
Staatsangehörigkeit" vom 14.7.1933. RGBl. I, 479. Abgedr. in: Buschmann, Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933 —1945, 2: Dokumentation
einer Entwicklung (Anm. 373) 14.
389
Vgl. Michael Hepp, Wer Deutscher ist, bestimmen wir ... In: Die Ausbürgerung
deutscher Staatsangehöriger 1933 —45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten
Listen 1: Listen in chronologischer Reihenfolge, ed. Michael Hepp (München u.a.
1985) 25-40, hier 25.
390
"Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen
Staatsangehörigkeit" vom 14.7.1933. RGBl. I, 479. Abgedr. in: Buschmann, Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933 —1945, 2: Dokumentation
einer Entwicklung (Anm. 373) 14.
119
II. Bücher —Raub 2.
Gestapo (VUGESTA) öffentlich versteigert, mitunter auch im freien
Verkauf an Interessenten veräußert391 .
Da das Ausbürgerungsgesetz dem nationalsozialistischen Staat nicht
nur als Zugriffshandhabe auf das Vermögen der jüdischen Oberschicht
diente, sondern auch als exorzistisches Instrument der "Vertreibung des
Geistes"392 , mittels dessen man sich der intellektuellen Elite und künstlerischen Avantgarde des Landes entledigte, zählten zur konfiszierten
Vermögensmasse häufig auch wertvolle Kunstsammlungen und Privatbibliotheken. Ein Beispiel von unzähligen für diese Form des Buchraubs,
für die schmähliche Beteiligung der Bibliotheken und den schwerfälligen
Gang der Restitution, stellt die Bibliothek von Thomas Mann dar, der
1936 ausgebürgert wurde. Gerade die wertvollsten Bücher aus der
Münchener Wohnung der Familie Mann, die bei einem Freund in sicherer
Verwahrung gewähnt waren, wurden "bei einer Haussuchung konfisziert und gingen verloren". 393 Nur etwa die Hälfte der Bibliothek erreichte dank loyaler Freunde das Schweizer Exil:
"[E]in ansehnlicher Teil der Bücher, darunter die Literatur über Friedrich
den Großen, blieb im Haus zurück, wurde dann prompt, als das Haus tatsächlich beschlagnahmt wurde, von der Geheimen Staatspolizei konfisziert
und wanderte von ihr in die Bibliothek der Münchner Universität weiter, wo
Jahrzehnte später einzelne Bände schließlich ihren Weg ins Thomas-MannArchiv in Zürich fanden; diese Zwischenbesitzer hatten nicht versäumt, die
Bücher mit ihren Stempeln zu versehen.394
391
Gabriele Anderl, Edith Blaschitz, Sabine Loitfellner, "Arisierung" von Mobilien 1/2:
Die Arisierung von Mobilien und die Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut
(= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug
während der NS —Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in
Österreich 15, Wien/München 2004) 98 ff.
392
Hans Georg Lehmann, Acht und Ächtung politischer Gegner im Dritten Reich. Die
Ausbürgerung deutscher Emigranten 1933 —45. In: Die Ausbürgerung deutscher
Staatsangehöriger 1933 —45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen
1: Listen in chronologischer Reihenfolge, ed. Michael Hepp (München u.a. 1985)
9-23, hier 9.
393
Peter de Mendelssohn, Der Zauberer. Das Leben des deutschen Schriftstellers
Thomas Mann 2: Jahre der Schwebe, 1919 und 1933 (Frankfurt am Main 1996) 206.
394
Ebd. 274.
120
II. Bücher —Raub 2.
Aber auch jener jüdische Teil des Besitzbürgertums, welcher nicht
ausgewiesen wurde und sich seinerseits einer Emigration nicht unterwinden konnte oder wollte, entging dem existenzabschnürenden Zugriff
nicht. Eine "Kette von psychischen, sozialen und materiellen Verlusterfahrungen"395 durchzog den Alltag der Opfer. Entrechtende Verwaltungsakte und schikanöse Übergriffe führten zu zunehmender Verarmung
und Marginalisierung und bedingten eine sukzessive Verengung von
"Möglichkeitsräumen" 396 und die Einschränkung von Handlungschancen.
Die Bereicherungsabsichten der Täter waren die offenkundige Seite des
Vorgehens, hinter der sich eine abgefeimte, meuchlerische Absicht verbarg. In den Protokollen der Wannsee —Konferenz zur "Endlösung der
Judenfrage" ist von "verproletarisierten Juden" 397 die Rede. Die systematische Lädierung der "Identitäts —Ausrüstung"398 der Opfer galt der
Herbeiführung eines Zustandes, "der sie nicht nur in administrativer
Perspektive, sondern auch sozial aus der Mehrheitsgesellschaft ausschließt, bevor sie schließlich vernichtet werden können."399
Zu den ständig zu gewärtigenden Beschädigungen zählten die Hausdurchsuchungen und, mit diesen einhergehend, die Konfiskationen durch
die Gestapo, deren Zweck nicht zuletzt in der Demonstration der vollständigen "Nichtswürdigkeit" der Heimgesuchten bestand. In den Aufzeichnungen Viktor Klemperers findet sich eine eindringliche Schilderung
der im Akt der Beraubung beschlossenen Demütigung des Enteigneten:
Vorgestern, 4.10., wieder eine Hausdurchsuchung: Bibliothek. Zwei Gestapoleute (sehr höflich) suchten mit Katalog in der Hand Beschlagnahmtes; eine
395
Welzer, Vorhanden/Nicht —Vorhanden (Anm. 362) 294.
396
Ebd. 294
397
Faksimile—Protokoll der Besprechung Reinhard Heydrichs mit Vertretern der Obersten
Reichsbehörden und Offizieren der Sicherheitspolizei und des SD am 20. 1.1942
in Berlin, Am großen Wannsee, über "die Endlösung der Judenfrage". Abgedr. in:
Mark Roseman, Die Wannsee —Konferenz. Wie die NS —Bürokratie den Holocaust
organisierte (München/Berlin 2002) 173.
398
Vgl. Goffman, Asyle (Anm. 361) 30.
399
Welzer, Vorhanden/Nicht —Vorhanden (Anm. 362) 295.
121
II. Bücher —Raub 2.
Dame (von der Staatsbibliothek
—
sagte mir nachher heimlich Grüße von
der Roth, ich habe es aber doch bereut, daß ich ihr die Hand gab
—
gewiß:
zum Dienst gepreßt, aber zu was für einem Dienst!), die Dame also fahndete
nach »sicherzustellendem Kulturgut«, d.h. kostbaren Erstdrucken und derartigem. Sie fand nichts, den anderen beiden fielen übersehene sechs oder
sieben Ludwigbände in die Hand, darunter die »Fahrten der Goeben«, eines
der patriotischen Bändchen aus dem vorigen Weltkrieg
—
jetzt Judenliteratur.
Sonst nichts ... Zensurlücke ...400
Die Erinnerung hält auch die promiske Willfährigkeit fest, mit welcher
sich Bibliothekare zu Handlangern des Lädierungssystems haben machen
lassen.
Das Berufsverbot und eine ganze Reihe von fiskalischen Pressionsmaßnahmen ließen als einzigen Ausweg aus der finanziellen Zwinge den
Notverkauf alles irgend entbehrlichen Besitzes. Mit der "Verordnung
über die Anmeldung des Vermögens von Juden" vom 26. April 1938
wurde der seitens des Staates der Eigenverfügung unterstehende Besitz
auf 5.000 Reichsmark beschränkt401 . Alles darüber hinausgehende
Vermögen war anmeldepflichtig und konnte "im Einklang mit den
Belangen der deutschen Wirtschaft"402 in der euphemistischen Sprache
der Machthaber "sichergestellt"403 , sprich enteignet werden. Aufbauend
auf dieser Erfassung jüdischer Vermögenswerte folgte mit der "Verordnung
über den Einsatz des jüdischen Vermögens" vom 3. Dezember 1938
die gesetzliche Handhabe für die eine Erzwingung der Veräußerung von
gewerblichen sowie land- und forstwirtschaftlichen Betrieben und Grundeigentum, der Depotzwang für Wertpapiere sowie das generelle Verbot
400
Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933—1941,
ed. Walter Nowojski (Berlin 1995) 494.
401 "
Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" vom 26.4.1938.
RGBl. I, 414. Abgedr. in: Buschmann, Nationalsozialistische Weltanschauung
und Gesetzgebung 1933 —1945, 2: Dokumentation einer Entwicklung (Anm. 373)
430.
402
Ebd. 431.
403
Ebd. 431.
122
II. Bücher —Raub 2.
der freien Verfügung über Juwelen, Schmuck- und Kunstgegenstände
in jüdischem Besitz 404:
Der staatliche Vermögensraub hatte damit sämtliche jüdischen Werte erfaßt,
die entweder dem Vermögen des Reiches zuflossen oder zu Spottpreisen in
private Hände verschleudert wurden. [...] In Wirklichkeit handelte es sich
nicht um eine vorläufige »Sicherstellung« des jüdischen Vermögens und
auch nicht um dessen »Verwaltung« unter Aufrechterhaltung der Substanz,
wie die VO vom 3.12.1938 glauben machen wollte, sondern um die totale
Enteignung (»Verwertung«) sowohl des unbeweglichen wie beweglichen
jüdischen Vermögens zugunsten des Staates [...].405
Auf diese Weise kamen auch Rara und wissenschaftlich wertvolle Privatbibliotheken auf den Markt:
Auch die unter solchen Umständen veräußerten Bücher sind als »NS —verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut« anzusehen. Hiervon profitierte vor
allem der Antiquariatshandel, über den die Bücher dann teils in private
Hände, teils in den Bestand wissenschaftlicher und öffentlicher Bibliotheken
gelangten.406
Aber nicht nur auf dem gewissensschonenden Weg über den antiquarischen Zwischenhandel gelangten Bücher in den bibliothekarischen
Besitz. Wenn es galt, dem eigenen Bestand interessante Sammlungen
zuzuführen, traten die Bibliotheken auch als Direktkäuferinnen auf.
Als ein Beispiel seien hier die Sammlungen der Wiener Schwestern Elise
und Helene Richter angeführt407 . Die Romanistin und Linguistin Elise
404
"Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens" vom 3.12.1938. RGBl.
I, 1709. Vgl. ebd. 449 ff.
405
Dietmut Majer, "Fremdvölkische" im Dritten Reich (Boppard am Rhein 1981) 270.
406
Bernd Reifenberg, NS—Raubgut in deutschen Bibliotheken. In: Raub und Restitution.
Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, edd. Inka Bertz/Michael
Dorrmann (Göttingen 2008) 157-178, hier 159.
407
Ausführlich nachzulesen in: Christiane Hoffrath, "Die Welt von Gestern". Widmungsexemplare aus der Bibliothek von Elise und Helene Richter. Ein Beitrag der
Provenienzforschung an der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln. In: Bibliotheken
in der NS—Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte, edd. Stefan Alker/
Christina Köstner/Markus Stumpf (Wien 2008) 103-118.
123
II. Bücher —Raub 2.
Richter war die erste in Österreich promovierte Dozentin, ihre Schwester
Helene hatte sich "als Autodidaktin mit anglistischen und theaterwissenschaftlichen Studien einen Namen gemacht." 408 Zur Zeit des "Anschlusses"
waren die Schwestern 73 und 78 Jahre alt, eine Auswanderung kam
für beide nicht mehr in Frage. Lehrverbot, Ruhegeldentzug und fiskalische
Steuerpressionen mündeten in eine finanzielle Notlage, welche in
weiterer Folge "auch zum Verlust ihrer umfangreichen Privatbibliothek
[führte]. Bereits 1938/39 verkauft Elise hundert ihrer wertvollsten
Bücher. [...] 1.700 Bände von Helenes englischer Bibliothek folgen."409
Die verbliebene Bibliothek, etwa 2.700 Bände romanistischer und
anglistischer Bücher, ging 1941 für 6.000 Reichsmark in den Besitz
der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln über, die Autographen und
Theatersammlung erwarb die Österreichische Nationalbibliothek410. Im
Oktober 1942 wurden die Schwestern nach Theresienstadt deportiert,
wo ihr Überleben nur wenige Wochen währte. Heute sind alle noch
ermittelbar gewesenen Bände der Richter —Bibliothek in der USK "aus
dem Büchermagazin herausgenommen, auf einem Sonderstandort zusammengestellt und in einem eigenen Online —Katalog erfasst."411
Die Provenienzforschungsprojekte der letzten Jahre haben erdrückend
viele mit den aufgefundenen Büchern verbundene Lebensgeschichten
wie jene der Richter —Schwestern rekonstruiert. Häufig wurden Privatbibliotheken nach den nämlichen Kriterien geführt wie öffentliche
Bibliot heken, das heißt, deren bibliophile oder wissensc haf tlic he
Besitzer erstellten Bücherlisten oder regelrechte Kataloge, die Bücher
wurden zudem mit Eigentumszeichen wie Namensstempel oder Exlibris
versehen, was heute ein Auffinden der zumeist versprengten Teile in
den Bibliotheksbeständen und eine eindeutige Identifikation überhaupt
408
Ebd. 106.
409
Ebd. 109.
410
Vgl. ebd. 109-110.
411
Ebd. 110.
124
II. Bücher —Raub 2.
erst ermöglicht. Aber auch unter Aufbietung aller Anstrengung ist das
zutage Geförderte lediglich ein verschwindend geringer Teil eines nur
schätzbaren Ganzen.
Die große, die anonyme Bücherwanderung setzte 1938/1939 ein, als
unter dem Eindruck des Novemberpogroms etwa 150.000 Juden Deutschland verließen412. Dass dies unter Hintanlassung nahezu des gesamten
immobilen wie mobilen Besitzes und Barvermögens geschah, dafür
sorgte neben den bereits erwähnten Sonderabgaben die aus dem Jahr
1931 herrührende so genannte "Reichsfluchtsteuer", "die jeder deutsche Staatsbürger bei seinem Wohnsitzwechsel ins Ausland in Höhe
von 25% seines gesamten Vermögens zu zahlen hatte."413 Darüber
hinaus durften ab Juni 1934 lediglich noch 2.000 Reichsmark ausgeführt werden, um einen Devisenabfluss zu verhindern. Der Rest musste
auf ein Sperrkonto eingezahlt werden414 . Die Bündelung sämtlicher
Maßnahmen kam jener Totalberaubung nahe, welche der Hitler zugeschriebene Ausspruch, die Juden werden Deutschland »nur mit dem
Rucksack und 10, — Mark«415 verlassen, hämisch prognostizierte.
Ein Perspektivenwechsel im Blick auf die Emigrationswelle, und dem
Betrachter bietet sich "das Bild einer gigantischen Bücherwanderung.
Es waren Millionen von Büchern in Bewegung geraten. Ein Teil von
ihnen emigrierte zusammen mit ihren jüdischen Eigentümern in alle
Welt, ein anderer, größerer Teil wurde gewaltsam verschleppt."416
412
Vgl. Wolfgang Scheffler, Judenverfolgung im Dritten Reich 1933 bis 1945 (Berlin
1961) 35.
413
Martin Friedenberger, Praktiken der Enteignung von Kulturgut durch Behörden
der Reichsfinanzverwaltung. In: NS —Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische
Staatsbibliothek, edd. Hans Erich Bödeker/Gerd —Josef Bötte (= Vorträge des
Berliner Symposiums am 3. und 4. Mai 2007, München 2008) 35-44, hier 37.
414
Vgl. Betrifft "Aktion 3" (Anm. 381) 21.
415
In: Als Jude in Breslau 1941. Aus den Tagebüchern von Studienrat a.D. Dr. Willy
Israel Cohn, ed. Joseph Walk (Gerlingen 1984) 126.
416
Alice Jankowski, "Bibliothek, Buch, Leser". Zur Geschichte der Hamburger jüdischen
Gemeindebibliothek. In: Theresienstädter Studien und Dokumente (2005) 179212, hier 189-199.
125
II. Bücher —Raub 2.
Die allerletzten juridischen Lücken im großen System der Totalentwertung wurden mit der "Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz"
vom 25. November 1941 geschlossen. Darin hieß es:
Ein Jude, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, kann nicht
deutscher Staatsangehöriger sein. Der gewöhnliche Aufenthalt im Ausland
ist dann gegeben, wenn sich ein Jude im Ausland unter Umständen aufhält,
die erkennen lassen, daß er dort nicht nur vorübergehend verweilt."417
Die Perfidie dieser Erweiterungsverordnung und der bodenlose Zynismus
der Formulierung erschließt sich erst ganz vor dem Hintergrund des
Wissens, dass die darin ausgesprochenen Aberkennungs- und Entzugsmaßnahmen nicht nur jüdische Emigranten betrafen, sondern gleichermaßen die über die Reichsgrenze in die Vernichtungslager Deportierten.
Die Kenntnis der Gesetzgeber von der Funktion der "Konzentrationslager" als "Endlager" bildete die eigentliche Voraussetzung dieser
Verordnung. Das dem Staat verfallene Vermögen der Opfer sollte zudem
für die Finanzierung ihrer eigenen Vernichtung aufgewendet werden:
"Aus außenpolitischen Gründen ist bestimmt, daß das verfallene Vermögen für die mit der Lösung der Judenfrage im Zusammenhang stehenden Zwecke verwandt werden soll." 418
In der "Vermögenserklärung", welche die Deportierten vor dem Abtransport in die Vernichtungslager auszufüllen hatten, vereinte sich
"die Härte der Verfolger, die voller Eifer bei der Sache waren, mit
der Qual für die Vertriebenen in einem dokumentarischen Akt [...]."419
Für die Erhebung des nach allen fiskalischen Schröpfungen und erzwungenen Veräusserungen noch verbliebenen Besitzes diente im Jahr
1941 ein Formular im Umfang von acht Seiten, welches im Folgejahr
417
"Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz" vom 25.11.1941. RGBl. I, 722. f.
Abgedr. in: Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus (Anm. 90) 344.
418
Brief von Staatssekretär Hans Pfundtner an den Reichsjustizminister und Chef der
Reichskanzlei Hans —Heinrich Lammers. Zit.n. Hepp, Wer Deutscher ist, bestimmen
wir ... (Anm. 389) XXXV.
419
Adler, Der verwaltete Mensch (Anm. 375) 562.
126
II. Bücher —Raub 2.
auf sechzehn Seiten erweitert wurde420. Unter Punkt B1, Möbel und Einrichtungsgegenstände, fiel in Unterabschnitt b, Wohn —Herrenzimmer,
unter anderem auch die Erfassung von Büchern:
Schreibtisch u.Sessel
klein
Stühle
Wandleuchter
garnitur
Bücher
Bücherschrank
Sofa —Couch
Stand-
Lexikon
Krone —Lampe
Wand —Uhr
Schreibtischuhr
Bücherregal
Weltgeschichte
Schreibtischlampe
Spiegel
Schreibplatte
Tisch, groß
Teppich
Prachtbände
Stehlampe
Brücken
Papierkorb
Atlanten
Tisch,
Schreib-
Gardinen —Store
Globus.421
Die mit bürokratischer Umständlichkeit betriebene, akribische Erfassung
selbst noch des kleinsten Trödels spiegelt die totale Vernichtung. Die
listenweise Erfassung der Dinge ist ein Akt der Neutralisierung, mit
welchem die den Gegenständen anhaftenden individuellen Geschichten
gelöscht werden:
[Die Liste] führt einzelne Posten auf und addiert sie zusammen. Was unter
dem Strich stehen bleibt, ist allein der materielle Wert der Güter, der in
Zahlen beziffert wird. [...] Aus den abstrakten Listen, in denen der vom
Staat angeeignete Besitz peinlich genau registriert wird, sind die Lebensgeschichten der Betroffenen gänzlich ausgelöscht. Erzählungen gehen in
Zahlen unter: Die Enteigneten sind nicht nur von ihrem Besitz getrennt,
sondern auch ihrer Existenz und Geschichte beraubt. 422
Im Rahmen der »Aktion 3«, wie die Enteignung, Verwaltung und Verwertung des Eigentums der Deportierten durch die Finanzbehörden in
der Tarnsprache des NS—Regimes hieß, "konfiszierten die Finanzbeamten
das gesamte Vermögen der verschleppten Juden, behielten es teilweise
selbst in ihren Ämtern oder verkauften und versteigerten es an die
Bevölkerung."423 Die so genannten "Judenauktionen"424 waren eine wahre
420
Ebd. 553.
421
Ebd. 554
422
Assmann, Das Gedächtnis der Dinge (Anm. 17) 145-146.
423
Christiane Kuller, Die Bürokratie des Raubs und ihre Folgen. In: Raub und Restitution.
Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, edd. Inka Bertz/Michael
Dorrmann (Göttingen 2008) 61-74, hier 64.
424
Reifenberg, NS —Raubgut in deutschen Bibliotheken (Anm. 406) 159.
127
II. Bücher —Raub 2.
Fundgrube für jegliches Interesse und jedweden Bedarf: "Gebildete
»Reichsbürger« sahen auf Qualität. Sie erwarben »Inselbücher«,
Gedichte von Rilke, die Noten von Mozarts »Requiem« oder von
Tschaikowskis »Oeuvres complètes«." 425
Zu den Empfängern staatlich zugewiesenen Wohnraumes und Hausrates
zählten unter anderem Angehörige jener Minderheitenenklaven, die
im Zuge der "Heim—ins—Reich"—Bewegung
Siedlungspolitik Himmlers nannte
—
—
wie sich die nationalrassische
aufgelöst wurden426.
Vor allem aber diente der konfiszierte Hausrat als Ersatzwarenlager
für die kriegsgeschädigte Zivilbevölkerung in den bombardierten
deutschen Städten. Eine eigene Abteilung, die "Dienststelle Westen"
unter der Leitung des zuvor im Kunstraub tätig gewesenen Kurt von Behr,
war mit den Agenden der Umverteilung befasst:
Hausrat und Wäsche aus früherem Besitz ausländischer Juden wurden an
ausgebombte Familien ausgegeben und »dankbar begrüßt«. Zu den Begünstigten zählten daneben Kinderreiche und Kriegsversehrte, deren Wünsche
schon seit längerem anerkannt worden, aber unerfüllt geblieben waren.427
In großem Maßstab wurden die Warenlager mit konfiszierten Gütern
aus dem besetzten Ausland gefüllt. Im Rahmen der "Aktion —M", wie
der Möbelraub im saloppen NS —Jargon hieß, wurden beispielsweise
aus Frankreich "bis Ende 1943 fast eine Million Kubikmeter Möbel, für
die mehr als 24000 Güterwaggons abgefertigt wurden"428, ins Reich
überführt. Für den Transport wurde eigens eine "Normkiste" entwickelt,
"die das kompl. Inventar einer Wohnküche für 4 Personen enthält, einschließlich Wäsche, Geschirr, Bestecke usw."429
Der Ehrgeiz, die Logistik der Bewegung riesiger Mengen als Ausdruck
425
Vgl. Betrifft "Aktion 3" (Anm. 381) 150.
426
Vgl. Adler, Der verwaltete Mensch (Anm. 375) 598 ff.
427
Aly, Hitlers Volksstaat (Anm. 119) 147.
428
Ebd. 146.
429
Leistungsbericht der für die "Aktion M" zuständigen Dienststelle, 1944. Zit.n. Betrifft
"Aktion 3" (Anm. 381) 49.
128
II. Bücher —Raub 2.
deutscher Technik, Tatkraft und Tüchtigkeit zu bewältigen, spornte die
Verwaltung zu Höchstleistungen an. Ob es sich nun um Menschen
handelte oder Waren, die Reibungslosigkeit in der Abwicklung gerade
im Absehen von den Inhalten galt als Teil der vollbrachten Leistung.
Wie am Beispiel der Einrichtungsgegenstände skizziert, wurde auch
das geraubte und verwaiste Schriftgut einem nämlichen Verwertungsverfahren unterzogen. Auch hier waren eigene Stellen mit der Sammlung, Sichtung, Auswahl und Umverteilung der "arisierten" Verlagsund Buchhandelsbestände, der konfiszierten Bibliotheken und der in
der Vermögensmasse der Emigrierten und Deportierten enthaltenen
Bücher befasst, wie die der Preußischen Staatsbibliothek angegliederte
Reichstauschstelle, das Beschaffungsamt Deutscher Bibliotheken und der
Deutsch —Ausländische Buchtausch. Korrespondierend zur "Aktion —M"
bestand deren Hauptaufgabe in der "Beschaffung von Ersatz für die
bei Luftangriffen beschädigten oder zerstörten wissenschaftliche
Bibliotheken."430 Diese drei Einrichtungen werden in den folgenden
Abschnitten ausführlicher behandelt, da sie auch als Kontrahenten der
Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt in Erscheinung traten.
Die wichtigste Zweigstelle im "Altreich" war die nach dem "Anschluss"
1938 eingerichtete "Bücherverwertungsstelle" in Wien, ein zentrales
Sammellager für jene Bestände, welche einerseits durch die Säuberung
des Buchmarktes von "unerwünschtem und schädlichem Schrifttum"
anfielen, andererseits durch die "Entjudung" des Buchhandels und Verlagswesens. Von den in den zwei Jahren ihres Bestehens eingegangenen
rund 644.000 Bänden wurde der größte Teil makuliert. Der in Relation
dazu kleine Teil von etwa 10.000 Bänden, die als verwertbar galten,
wurde verteilt und verkauft. Der Verbleib der restlichen etwa 234.000
430
Cornelia Briel, Zum Verhältnis zwischen Reichstauschstelle und Preußischer Staatsbibliothek in den Jahren 1934 bis 1945. In: NS —Raubgut, Reichstauschstelle und
Preußische Staatsbibliothek, edd. Hans Erich Bödeker/Gerd—Josef Bötte (= Vorträge
des Berliner Symposiums am 3. und 4. Mai 2007, München 2008) 45-84, hier 77.
129
II. Bücher —Raub 2.
Bände ist nicht ganz klar. Sie dürften nach der Auflösung der Bücherverwertungsstelle 1939 wohl in der Nationalbibliothek verwahrt worden
und nach Kriegsende zum Teil restituiert worden sein 431. Zu den im
Reichsgebiet geraubten Büchern kam während des Krieges die Beute
aus den besetzten Territorien. An den staatlich organisierten Raubzügen
waren wiederum zahlreiche Organisationen beteiligt, allen voran der
Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, der Sicherheitsdienst, die Sicherheitspolizei und nicht zuletzt die Wehrmacht432 . In den im Westen besetzten
Ländern blieb zumindest staatlicher Besitz weitgehend unberührt. Hier
waren vor allem private Sammlungen, wie jene von "Maurice und Robert
Rothschild, im Jagdschloß Armainvilliers, ca. 3000 Bände. 61 Kisten
(ca. 7000 Bände) der wertvollsten Bücher aus der Sammlung Edouard
Rothschilds und die Sammlung James Rothschilds im Château de
Ferrières"433 sowie die Bibliotheken jüdischer Einrichtungen, Freimaurerlogen und anderer verbotener Organisationen Opfer gezielter Plünderungen 434:
These cultural treasures were captured through persistent and wellprepared
intelligence work, provided by German secret police and by Nazi art historians, as well as by a close network of French informers and collaborationist art dealers. This meticulous scheme achieved impressive results."435
In den eroberten Ostländern, in Polen und der Sowjetunion, "hatte die
Politik der Besatzer dagegen die vollständige Zerstörung der nationalen
431
Vgl. Hall/Köstner, "... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern ..." (Anm. 15)
89 ff.
432
Vgl. Reifenberg, NS —Raubgut in deutschen Bibliotheken (Anm. 406) 159.
433
Dov Schidorsky, Das Schicksal jüdischer Bibliotheken im Dritten Reich. In: Bibliotheken
während des Nationalsozialismus 2, edd. Peter Vodosek/Manfred Komorowski
(= Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 16, Wiesbaden 1992)
189-222, hier 202.
434
Vgl. Reifenberg, NS —Raubgut in deutschen Bibliotheken (Anm. 406) 160.
435
Hector Feliciano, The great culture robbery: the plunder of Jewish —owned art. In:
The plunder of Jewish property during the Holocaust. Confronting European history,
ed. Avi Beker Houndmills 1 2001) 164-176, hier 167.
130
II. Bücher —Raub 2.
Kulturen zum Ziel, hier wurden unterschiedlos staatliche und nichtstaatliche Bibliotheken ausgeraubt und oft auch vernichtet."436
The enemy's hand has fallen upon the remainder of our precious treasure.
Some weeks ago, only part of the books of the Tomacka Library were removed, for the most part bound sets of daily newspapers, weekly and
monthly journals. The shelves were still laden with volumes that the enemy
had not touched. When he left, he placed a seal upon the locked doors,
and this week he returned to complete his work of looting. Trucks stood
before the library and Jews who were innocently passing by were seized
and made to load the trucks with the remaining books. In general the conqueror displays a weakness for libraries which other hands have accumulated
and preserved. The Sejm [The polish Parliament] Library has also been looted
and its contents taken to an unknown place. It was unequaled in its wealth
of books and manuscripts.437
Die Plünderung der Tomackie —Bibliothek bildete lediglich den Auftakt
zu einem "Feldzug des Bibliothekenraubs und der Büchervernichtung"438
im Gefolge der deutschen Ost —Expansion. Allenthalben wurden Synagogen in Schutt und Asche gelegt, setzten "Brenn—Kommandos" 439 Thorarollen und Heilige Bücher in Brand. Die Tatsache, dass Schätzungen
zufolge im Zweiten Weltkrieg 70% der jüdischen Bibliotheken in Polen
zerstört wurden 440, zeugt von einem unglaublichen Wüten.
Die aus den besetzten Territorien stammenden Bücher waren überwiegend zur Ausstattung verschiedener NS —Bildungs- und Forschungseinrichtungen wie der "Bibliothek des Sicherheitsdienst—Hauptamtes der
SS", der "Forschungsabteilung Judenfrage im Reichsinstitut für Geschichte
des neuen Deutschlands" oder des als Außenstelle der geplanten Hohen
Schule der NSDAP in Frankfurt eingerichteten "Instituts zur Erforschung
436
Ebd. 160.
437
Kaplan, Scroll of Agony (Anm. 360) 70-71.
438
Markus Kirchhoff, Häuser des Buches. Bilder jüdischer Bibliotheken (Leipzig
122.
439
Ebd. 122.
440
Ebd. 122.
131
1
2002)
II. Bücher —Raub 2.
der Judenfrage" bestimmt441 . Jener
—
allerdings geringe
—
Teil der Buch-
beute, welchen obgenannte Einrichtungen nicht für sich beanspruchten,
gelangte über die Reichstauschstelle zur Verteilung an die wissenschaftlichen Bibliotheken. Den deutschen Wissenschaftlichen Bibliotheken
bot die Westbesetzung vor allem die Möglichkeit, "bei französischen,
niederländischen oder dänischen Antiquariaten, Buchhandlungen und
Verlagen günstig einzukaufen [...]
—
auch Raubgut aus dem Besitz
jüdischer Deportierter." 442
Wie flächendeckend und gezielt die Suche nach wertvollen Büchern
betrieben wurde, zeigt das angeschlossene Schreiben des Ministeriums
für Innere und Kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV: Erziehung, Kultus
und Volksbildung vom 27. Mai 1939, adressiert an die Österreichische
Nationalbibliothek, die Universitätsbibliotheken sowie die Studienbibliotheken (Abb. 13a —b, Dokumente):
Der Herr Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung hat
mit Erlass W A 1797/38 auf die Notwendigkeit verwiesen, Bücherbestände
jüdischer und hebräischer Literatur zum Zweck der Auswertung für die Bearbeitung der Judenfrage [Hervorh. d.d. Verf.] zu erfassen. Hierfür werden
in erster Linie Bücherbestände bei Reichs-, Staats- und Kommunalbehörden in
Betracht kommen. Wenn diese Bücherbestände auch vielfach bekannt und
in ihrem Umfang nicht bedeutend sind, ist ihre Erfassung nicht nur der Vollständigkeit halber, sondern auch deshalb angebracht, weil sich dort immerhin wertvolle Spezialwerke befinden können.
Viel ergiebiger dürften aber die Bestände an Büchern und Dokumenten
sein, die sich bei den jüdischen Kultusgemeinden und Privatbibliotheken
von Juden und Judenforschern sowie vielleicht nicht zuletzt im Besitz von
Stiften und Klöstern, allenfalls auch bei höheren Schulen befinden [Hervorh. d.d. Verf.].
[...] Um den dortigen Organen die Möglichkeit der Nachforschungen im
obigen Sinne zu gewährleisten, haben Sie sich bei den zuständigen Landes441
Vgl. Reifenberg, NS —Raubgut in deutschen Bibliotheken (Anm. 406) 159.
442
Ebd. 160.
132
II. Bücher —Raub 2.
hauptmannschaften (Wiener Magistrat), die unter einem von diesem Erlass
in Kenntnis gesetzt werden, um die Ausstellung einer entsprechenden Bescheinigung zu bewerben, die den Zutritt zu den in Frage kommenden Bücherbeständen sichert. [Hervorh. d.d. Verf.]. Die bezügliche Zusammenstellung
über die gegenständliche Literatur wolle unter Angabe des Besitzers möglichst
bald in zweifacher Ausfertigung anher geleitet werden; [...].443
Das Gros der geraubten Bücher stammte aber aus dem Besitz der in
den 1940er Jahren deportierten und ermordeten Juden:
Zu Kriegsende 1945 gab es Schätzungen über das Ausmaß der gestohlenen
und vernichteten Bücher. Auf dem Gebiet des deutschen [!] Reichs befanden
sich zur Zeit seiner größten Ausdehnung 469 große öffentliche jüdische
Bibliotheken mit einem Bestand von mehr als 3,3 Millionen Büchern. Berücksichtigte man auch private Sammlungen und kleinere Bibliotheken, die
über weniger als 1.000 Bände verfügten, so käme man auf eine Zahl von
mehr als fünf Millionen. Geht man dann noch davon aus, dass jede der etwa
eineinhalb Millionen Familien der ermordeten sechs Millionen, wie es in
jüdischen Familien häufig der Fall war, einige, meist mehrere Bücher besessen
hatte, kommt man auf eine noch viel höhere Zahl.444
443
Schreiben des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV,
Erziehung, Kultus und Volksbildung, adressiert an die Österreichische Nationalbibliothek, die Universitätsbibliotheken sowie die Studienbibliotheken vom
27.5.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939.
444
Mirjam Triendl/Niko Wahl, "Arisierung" von Mobilien 2/2: Spuren des Verlustes.
Die Arisierung des Alltags (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS —Zeit sowie Rückstellungen und
Entschädigungen seit 1945 in Österreich 15, Wien/München 2004) 273.
133
II. Bücher —Raub 3.
II.3. Die Anbindung einer Provinzbibliothek an das nationalsozialistische
Verteilernetz für die eingespeisten Bücherflüsse aus "arisiertem"
Eigentum
Am 2. April 1949 leitete die Kärntner Landesregierung die per Erlass des
Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung
vom 9. März 1949 an die Dienststellen des Bundes und der Länder
ergangene Aufforderung zur Berichtlegung über entzogene Kunstgüter
an das Landesmuseum, das Landesarchiv, die Landesgalerie und die
Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt weiter:
Das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung hat
mit Erlass Zl. 360.068/VSt/48 vom 9. März 1949 um Vorlage eines Berichtes
ersucht, ob in Gebäuden, die seinerzeit von nationalsozialistischen Dienststellen
okkupiert wurden, Objekte aus entzogenem Vermögen in das Mobiliar übernommen wurden.
Danach sollen alle jenen [!] Dienststellen, die nach dem 13. März 1938
erworbene Kunstgegenstände (Bilder, Plastiken, Einrichtungsgegenstände,
Beleuchtungskörper, Teppiche, Bibliotheksbestände [Hervorh. d.d. Verf.] etz.
in das Inventar übernommen haben, erfasst werden.
Es ergeht daher die Einladung [Hervorh. d.d. Verf.], mittels Inventarverzeichnisses alle nach dem 13. März 1938 erworbenen Kunstgegenstände
nachzuweisen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass sie aus entzogenem
Vermögen stammen, damit festgestellt werden kann, ob darin Gegenstände
angeführt sind, die als gesucht geführt werden.
Um Vorlage des Verzeichnisses oder eines Fehlberichtes binnen Wochenfrist
wird gebeten.445
Die Weiterleitung der ministeriellen Verfügung an die Landesdienststellen vermittelt im Tonfall eher den Eindruck einer Entschuldigung für
die absurde Behelligung denn einer Anordnung. Auch die Kürze der
Erhebungsfrist konterkariert eine seriöse Sichtung und Erfassung. Ein
445
Amt der Kärntner Landesregierung u.a. an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 2.4.1949. Betreff: "Entzogenes Kunstgut in Dienststellen
des Bundes und der Länder". UAK, Kt. 364, Fasz. 1949.
134
II. Bücher —Raub 3.
weiteres Beispiel für die latente Beredtheit des amtlichen Schriftverkehrs,
der hier in Wortwahl und Formulierungsweise einer viktimologischen
Empörung Ausdruck verleiht.
Der Leiter der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt, Richard Fuchs,
sah seine Institution denn auch weder angesprochen noch betroffen,
wie die auf der Rückseite des Schreibens handschriftlich aufgesetzte
Antwort an die Landesregierung zeigt, welche auf eine bereits direkt
an das Bundesministerium ergangene Leermeldung verweist (Abb. 14,
Dokumente):
Zu Zahl 39797 —23/49 wegen entzogenen Kunstgegenständen teilt die
STUB mit, daß sie die erforderliche Leermeldung bereits direkt an das B.M.
für Unterricht erstattete. 446
Nach dem Motto: "Auch fürs kleinere Getier/Gibt es Feste, wenn der
Stier/Um Europen freit"447 , erscheint die Möglichkeit, dass in Anbetracht
der Vielzahl an Akteuren und Vermittlern im großen Buchraub und der
dadurch in Bewegung gesetzten "gigantischen Bücherwanderung"448 ein
oder das andere Exemplar aus jüdischem Eigentum sei es als "Primärerwerbung" in der NS —Zeit oder als "Sekundärerwerbung" in der
Nachkriegszeit in den Bestand der Öffentlichen Studienbibliothek
aufgenommen worden sein könnte, immerhin im Bereich des Denkbaren.
Zur Erklärung der in der NS—Provenienzforschung usuellen Terminologie:
Unter "Primärerwerbungen" der NS—Zeit sind direkte Zugänge vonseiten
staatlicher Stellen zu verstehen oder Bestandsübernahmen anderer
Einrichtungen, teils auch Privatkäufe (etwa Angebote eines "Liquidators"
und Geschenke einzelner privater "Ariseure". Als "Sekundärerwerbungen"
gelten Buchabgaben aus ehemaligem NS —Besitz seitens der Alliierten,
die während der Besatzungszeit rekonfisziert wurden, ihren rechtmäßigen
446
Ebd. Rückseite: Handschriftlicher Entwurf einer Leermeldung von Richard Fuchs.
447
Bertolt Brecht, Räuberlied. In: Die Gedichte (Frankfurt am Main 1981) 506.
448
Jankowski, "Bibliothek, Buch, Leser" (Anm. 416) 189.
135
II. Bücher —Raub 3.
Eigentümern aber nicht restituiert werden konnten (siehe Abschnitt
IV.), desgleichen über den Antiquariatshandel getätigte Ankäufe. Dazu
kommen noch nachträgliche Akquisitionen "arisierter" Bücher von den
Fünfzigerjahren bis heute, welche als Geschenk oder über den Antiquariatshandel in den Bestand gelangt sein und theoretisch auch noch
weiterhin gelangen können449 , sofern nicht eine allmählich sich ausbildende institutionelle Sensibilisierung in Verbindung mit der erforderlichen Wahrnehmungsschulung für die Erkennungsmerkmale von Raubbüchern ein solches zu verhindern weiß.
Tatsächlich zählte die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt, wie
eine Auswertung sämtlicher zur Verfügung stehender Quellen zeigt, in
den Jahren 1939 bis 1945 einige Stellen zu ihren Kontrahenten, welche
nachweislich mit enteignetem, vornehmlich "arisiertem" Buchgut befasst waren. Das bedeutet nicht, dass Bezüge seitens einer dieser Einrichtungen a priori als Raubgut anzusehen sind. Jedenfalls aber gelten
Kauf-, Geschenk- oder Tauscherwerbungen eines solchen Lieferanten
als "bedenklich". Unerlässlich für die Beurteilung, ob eine Bucherwerbung tatsächlich als enteigneter Buchbesitz gilt, ist die Buchautopsie,
die haptische Prüfung jeder einzelnen Literaturerwerbung zum Mindesten
innerhalb der Jahresspanne 1938—1945, auf der Suche nach Herkunftssignets und Besitzeinträgen in Gestalt von Stempelungen, Autogrammen,
Widmungen oder Exlibris.
Im Falle der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt bedeutete das die
Durchsicht von rund 4.000 Bänden aus dem Bestand der Öffentlichen
Studienbibliothek Klagenfurt, sowie weiteren 2.400 Bänden der angeschlossenen Landeslehrerbibliothek. Verlauf und Ergebnis dieser Sichtung
werden in Abschnitt II.3.4. ausführlich behandelt.
449
Vgl. Thomas Jahn, Bücher im Zwielicht. Die Bayerische Staatsbibliothek und ihr
Umgang mit zweifelhaften Erwerbungen der Jahre 1933 —1955. In: Kulturverluste,
Provenienzforschung, Restitution. Sammlungsgut mit belasteter Herkunft in Museen,
Bibliotheken und Archiven (= MuseumsBausteine 10, Berlin 2007) 157-165, hier
160.
136
II. Bücher —Raub 3.
Als Quellen für die Erstellung der folgenden Kontrahentenliste wurden
herangezogen:
— Die Kassa —Journale von April 1943 bis März 1946 und von
März 1946 bis April 1948
— Die Inventarbücher 1938—1953 mit allerdings nur gelegentlichen
Herkunftsangaben der akzessionierten Bücher
— Die Zugangsverzeichnisse der Jahre 1945 bis 1953
— Die Buchautopsie von rund 4.000 Bänden der Öffentlichen
Studienbibliothek Klagenfurt im Erwerbungszeitraum 1938—1953,
sowie 2.400 Bänden der Landeslehrerbibliothek der nämlichen
Jahresspanne
— Die Geschäftsakten, welche fallweise Durchschläge von Monatsabrechnungen enthalten
Aufgrund der Lücken im vorhandenen Quellenmaterial darf diese Aufstellung nicht als vollständig gelten, rubriziert aber die wesentlichen
Geschäftspartner der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt (Abb.
15, Dokumente).
137
II. Bücher —Raub 3.
Kontrahentenliste
der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt (1938 —1953)
Österreich
Deutschland
Verlag Amalthea, Wien, Leipzig, Zürich
Ahnenerbe —Verlag, Berlin*
Univ. —Verlagsbuchhandlung Braumüller, Wien
Armanen —Verlag, Leipzig
Österreichischer Bundesverlag, Wien
Artibus et Literis [?], Berlin
Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken,
Verlag "Deutsche Kulturpropaganda", Wien
Berlin*
NS —Gauverlag, Klagenfurt*
Deutsch —Ausländischer-Buchtausch, Berlin*
Verlag Gerold, Wien
Eher —Verlag, München*
Antiquariat Gilhofer und Ranschburg, Wien
Buchhandlung Fock, Leipzig
Buchhandlung Hartleben, Wien
Buchhandlung Giehrl, Berlin
Verlag und Buchhandlung Heyn, Klagenfurt
Verlag Harrassowitz, Leipzig
Verlag Kleinmayr, Klagenfurt
Verlag und Antiquariat Hiersemann, Leipzig
Buchhandlung Kollitsch, Klagenfurt
Verlag Hummel, Berlin
Buchhandlung Kuppitsch, Wien
Verlag Koehler, Leipzig
Verlag Leon, Klagenfurt
Post- und Ortsbuchverlag Müller, Wuppertal
Verlag und Buchhandlung Manz, Wien
Antiquariat Otto, Mannheim
Verlag Raunecker, Klagenfurt
Preußische Staatsbibliothek, Berlin*
Reise und Versandbuchhandlung Urban und
Schwarzenberg, Wien
Reichstauschstelle, Berlin*
Buchhandlung Worsch, Klagenfurt
Verlag Reisland, Leipzig
Verlag Ruprecht, Berlin
Scheffel [?], Königsberg
Verlag Teubner, Leibzig
Die mit "*" gekennzeichneten Stellen werden in der Folge noch genauer behandelt
138
II. Bücher —Raub 3.1.
II.3.1. Die Relaisstellen der Distribution: Preußische Staatsbibliothek,
Reichstauschstelle, Beschaffungsamt Deutscher Bibliotheken,
Deutsch —Ausländischer Buchtausch
Die partizipierende Rolle der Preußischen Staatsbibliothek am nationalsozialistischen Bücherraub gründete nicht zuletzt in den Ambitionen ihres
Generaldirektors Hugo Andres Krüß auf die Stellung seiner Institution
als einer deutschen National- oder Reichsbibliothek
—
was auch dem
politischen Willen des Reichskultusministers Bernhard Rust entsprach 450.
Diese Bevorzugung schlug sich in einem Erlass des Preußischen Finanzministeriums vom 27. März 1934 nieder, worin die Preußische Staatsbibliothek als jene Institution bestimmt wurde, welcher beschlagnahmte
Buchbestände zu übergeben seien451. Die Verordnung bezog sich auf
jene Bücher und Schriften, welche Teil der eingezogenen Vermögensmasse der mit dem "Ausbürgerungsgesetz" 1933 des Landes vertriebenen "Volks- und Staatsfeinde" waren. Dem Erlass zufolge waren
die Bücher nach einer vorherigen Sichtung durch den jeweiligen Landesbeauftragten des Reichspropagandaministeriums der Preußischen Staatsbibliothek anzuzeigen452 . Diejenigen Bücher, welche die Preußische
Staatsbibliothek nicht in ihren Bestand zu akzessionieren beabsichtigte,
waren den anderen staatlichen Bibliotheken, allen voran den Universitätsbibliotheken sowie anderen NS —Schulungs- und Bildungseinrichtungen
anzubieten 453: "Den Auftrag, die Zugänge aus Beschlagnahmungen an
andere Bibliotheken weiterzugeben, erfüllte die Preußische Staatsbibliothek, wie Forschungen über diese Bibliotheken belegen."454 Ein
450
Briel, Zum Verhältnis zwischen Reichstauschstelle und Preußischer Staatsbibliothek
in den Jahren 1934 bis 1945 (Anm. 430) 52.
451
Vgl. ebd. 62.
452
Vgl. ebd. 62.
453
Vgl. ebd. 62.
454
Vgl. ebd. 62.
139
II. Bücher —Raub 3.1.
Folgeerlass des Reichsfinanzministeriums vom 12. Juni 1939 wies die
betroffenen Amtsstellen explizit an, "beschlagnahmte jüdische und
hebräische Literatur der Preußischen Staatsbibliothek als zentraler
Sammelstelle zu überweisen."455 Eine Darlegung der Haushaltsangelegenheiten der Preußischen Staatsbibliothek an das Reichsministerium für
Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung aus dem Jahr 1941 dokumentierte "ein besonders großes Aufkommen von beschlagnahmter
Literatur aus Osteuropa"456 .
Befand sich die Preußische Staatsbibliothek im Jahr 1934 noch in
privilegierter Stelle am Raubbuffet, so machten ihr alsbald "die machtvollen, vielfältigen Strukturen der NS —Organisationen, die ähnliche
Interessen verfolgten, Konkurrenz." 457 Innerhalb der Raubmeute übernahmen die Einrichtungen des NS —Herrschaftsapparates rasch die
Alpha—Stellung, wie etwa der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg. Aber
auch innerhalb der eigenen Institution blieb die Preußische Staatsbibliothek seitens ihrer Dienststellen nicht konkurrenzlos. Insonderheit
die Position der Reichstauschstelle, welche der Preußischen Staatsbibliothek 1934 angebunden worden war, mauserte sich gemeinsam
mit dem Beschaffungsamt Deutscher Bibliotheken während des Krieges
zur "reichswichtigen Einrichtung".
Die Reichstauschstelle wurde per Verordnung des Reichsinnenministeriums
im Jänner 1926 ins Leben gerufen, und zwar als Appendix der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Letztere Institution war eine
Nachkriegsgründung der Zwanzigerjahre mit dem vordringlichen Ziel,
neben einer generellen Förderung der Wissenschaft "jene Lücken in
den Reihen ausländischer Zeitschriften [zu schliessen], die durch
Krieg und Nachkriegszeit, Isolation und finanzielle Misere entstanden
455
Ebd. 72.
456
Ebd. 72.
457
Ebd. 82.
140
II. Bücher —Raub 3.1.
waren."458 Die Gründung der Reichstauschstelle im Jahr 1926 war ein
Akt der Vorbereitung auf den erwarteten Eintritt Deutschlands in den
Völkerbund. Der Austausch amtlicher Druckschriften, aber auch akademischer Schriften und anderer wissenschaftlicher Publikationen sollte
über eine zentrale Stelle abgewickelt werden:
Nach dem durch die Tauschakten vermittelten Eindruck war die Reichstauschstelle für den »amtlichen« wie den »wissenschaftlichen« Schriftentausch in gleicher Weise aktiv, vermittelte Austauschwünsche zwischen
deutschen und ausländischen »Amtsstellen«, gelehrten bzw. wissenschaftlichen
Gesellschaften, Vereinen, Instituten und »Zeitschriften«( —Redaktionen). [...]
Nach der geknüpften Tauschbeziehung konnte dann der Austausch entweder
direkt zwischen den jeweiligen Tauschpartnern oder über die Reichstauschstelle laufen.459
1927 wurde der Aufgabenbereich der Reichstauschstelle per Erlass
dahingehend erweitert, dass die Bibliotheken der Reichsbehörden zur
Anmeldung ihrer Dubletten bei der Reichstauschstelle verpflichtet wurden:
"Die Reichstauschstelle übernahm ausgesonderte Bestände von Behörden
oder ganze aufgelöste Bibliotheken, erschloss sie, ermittelte den Bedarf
und verteilte die Bücher."460 Zu den immensen Zahlen legaler Zugänge
kamen ab 1933 mit der "Verreichlichung"461 der Verwaltung auch die
Bestände beschlagnahmter Bibliotheken 462.
1934 wurde die Reichstauschstelle der Notgemeinschaft ausgegliedert
458
Ebd. 46.
459
Johannes Metz, Die Reichstauschstelle 1926 —1945. Organisatorische Entwicklung
und Aufgaben. In: Im Dienste des Rechts und der Rechtsliteratur. Festschrift für
Helmut Dau, edd. Ralph Lansky/Raimund —Ekkehard Walter (Berlin 1992) 215268, hier 240.
460
Briel, Zum Verhältnis zwischen Reichstauschstelle und Preußischer Staatsbibliothek
in den Jahren 1934 bis 1945 (Anm. 430) 49.
461
Aus einem Schreiben des Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek, Hugo
Andres Krüß, vom 1.7.1938. Zit.n. Metz, Die Reichstauschstelle 1926 —1945
(Anm. 459) 253.
462
Briel, Zum Verhältnis zwischen Reichstauschstelle und Preußischer Staatsbibliothek
in den Jahren 1934 bis 1945 (Anm. 430) 54.
141
II. Bücher —Raub 3.1.
und der Preußischen Staatsbibliothek verwaltungstechnisch unterstellt, eine
Anbindung, welche den machtakkumulierenden Interessen derselben
durchaus zupass kam.
Ihre größte Bedeutung gewann die Reichstauschstelle gemeinsam mit
dem Beschaffungsamt Deutscher Bibliotheken während des Krieges
durch die Aufgabe, die durch Luftangriffe erlittenen Verluste der
deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken auszugleichen. Einerseits
sollte ein möglichst geordneter universitärer Betrieb auch während
des Krieges gewährleistet werden, zum anderen galt es "gemäß der
offiziellen Meinung, dass die deutschen Truppen den Krieg siegreich
beenden könnten und Deutschland die Bedingungen des Friedensschlusses diktieren würde, die Ausgangsposition für die Zeit nach
Kriegsende so optimal wie möglich zu gestalten."463 Das Wiederaufbauvorhaben war somit zum zentralen Aufgabenbereich der Reichstauschstelle avanciert, zu dessen Erfüllung es der findigen Erschließung aller erdenklichen Ressourcen bedurfte:
Dies konnten nicht allein die beschlagnahmten Bibliotheken der jüdischen
Verfolgten sein. Mannigfache Bezugsquellen, und zwar sowohl legale als
auch illegale, wurden in den Blick genommen. [...] Geklärt werden musste
lediglich, ob die ins Auge gefassten Erwerbungsarten mit den Ansprüchen
anderer Institutionen des NS —Regimes kollidierten. 464
Nach dem Krieg bestand die Reichstauschstelle unter der modifizierten
Bezeichnung "Reichstauschstelle in Abwicklung" als Abteilung der ihrerseits in Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek umbenannten Preußischen
Staatsbibliothek bis in die Fünfzigerjahre weiter465 .
Die Bedeutung der Reichstauschstelle als Umverteilungseinrichtung für beschlagnahmte Bücher zeigt beispielhaft das Provenienzforschungsprojekt
463
Ebd. 59.
464
Ebd. 77.
465
Vgl. ebd. 61.
142
II. Bücher —Raub 3.1.
der UB Marburg, demzufolge aus den Zugängen der Reichstauschstelle
10% aus NS —Raubgut stammen466 .
In den Akten der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt befindet
sich der handschriftliche Entwurf eines Dankschreibens für eine Bücherspende, verfasst vom Leiter derselben, Theodor Schmid, an die Reichstauschstelle, datiert mit 14. Mai 1941:
Im Namen der von mir geleiteten Staats —Studienbibliothek in Klagenfurt
danke ich verbindlichst für das uns kürzlich gespendete Werk: "Revolution im
Mittelmeer" (hgg. von Dr. Paul Schmidt) sowie für die beigelegte Broschüre:
Sven Rinman, Bibliograph. Verzeichnis von deutschen Büchern über
Schweden! Die letztgenannte Arbeit hat infolge meiner Beziehungen zu
Schweden und meiner Kenntnis der schwedischen Sprache mein besonderes
Interesse erregt, weshalb ich mir die Anfrage erlaube, in welchem Verlage
das Werk, "Schweden 1941" (aus welchem die genannte Broschüre einen
Sonderabdruck darstellt) erschienen ist, ob es ferner nicht auch von einem
deutschen Verlage (etwa Harrassowitz in Leipzig) in Komission [!] geführt
wird und wie der genaue Titel des Werkes lautet?
Mit deutschem Gruß ...467
Die Buchspende Revolution im Mittelmeer wurde seitens der verwaltenden Direktion bestandsergänzend der Landeslehrerbibliothek mit
der Signatur 4226 —B zugewiesen, die Rinmansche Bibliographie dem
Bestand der Öffentlichen Studienbibliothek mit der Signatur I 31106
akzessioniert. Von obigem Schriftstück abgesehen gibt lediglich eine
handschriftliche Eintragung des Bibliothekars Auskunft über deren
Herkunft als Geschenk der Reichstauschstelle.
Beide Werke befinden sich noch im Bestand der Universitätsbibliothek
Klagenfurt.
466
Vgl. Bernd Reifenberg, Beispiel Marburg: NS —Raubgut in den Büchersendungen
von Reichstauschstelle und Preußischer Staatsbibliothek. In: NS—Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek, edd. Hans Erich Bödeker/Gerd—Josef
Bötte (= Vorträge des Berliner Symposiums am 3. und 4. Mai 2007, München
2008) 121-134 , hier 121.
467
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichstauschstelle
vom 14.5.1941. UAK, Kt. 363, Fasz. 1941.
143
II. Bücher —Raub 3.1.
Revolution im Mittelmeer. Der Kampf um den italienischen Lebensraum, ed. Paul
Schmidt (Berlin 1940). Geschenk der Reichstauschstelle Berlin, 9.5.1941. UBK, B 4266.
Sven Rinman, Bibliographisches Verzeichnis von deutschen Büchern über Schweden
und von schwedischer Dichtung in deutscher Übersetzung (Schweden 1941). Geschenk
der Reichstauschstelle Berlin, 9.5.1941. UBK, I 31106.
144
II. Bücher —Raub 3.1.
Neben diesen beiden Werken hat die Buchautopsie drei weitere Buchspenden der Reichstauschstelle zutage befördert, die am 18. und 20.
November 1940 sowie am 25. November 1941 in den Buchbestand der
Öffentlichen Studienbibliothek übernommen wurden:
Hansa Luftbild, Luftbild und Vorgeschichte, Signatur II 30904
Albert Buddecke, Der Feldzug von Le Mans, Signatur I 30945
Walther Scharrer, Wilhelm Raabes literarische Symbolik, Signatur I 31322
Luftbild und Vorgeschichte, ed. Hansa Luftbild (Berlin 1938). Geschenk der Reichstauschstelle Berlin, 18.11.1940. UBK, II 30904.
145
II. Bücher —Raub 3.1.
Albert Buddecke, Der Feldzug von Le Mans. Die Operationen auf dem südwestlichen
Kriegsschauplatz im Winter 1870/71 (Berlin 1928). Geschenk der Reichstauschstelle
Berlin, 20.11.1940. UBK, I 30945, Ex.a.
Walter Scharrer, Wilhelm Raabes literarische Symbolik dargestellt an Prinzessin Fisch
(München 1927). Geschenk der Reichstauschstelle Berlin, 25.11.1941. UBK, I 31322.
146
II. Bücher —Raub 3.1.
Jenseits der handschriftlichen Kennzeichnung als Geschenk der Reichstauschstelle Berlin enthalten die fünf Werke keinerlei weitere Herkunftsangaben, die Rückschlüsse auf eventuelle Vorbesitzer zuließen. Aufgrund der Involvierung der Reichstauschstelle in den Verteilungsprozess
"arisierter" Buchbestände, insonderheit innerhalb des Eingangszeitraumes 1940/41, sind diese Erwerbungen jedenfalls als "bedenklich"
einzustufen.
Wie die Reichstauschstelle war auch das Beschaffungsamt der
Deutschen Bibliotheken der Preußischen Staatsbibliothek lediglich
verwaltungstechnisch angeschlossen. Die spezielle Funktion und Arbeitsweise dieser Einrichtung illustriert ein weiteres Aktenstück aus den
Archivalien der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 24. Jänner
1940. Anders als die Preußische Staatsbibliothek, deren Buchzuteilungen
den Regeln des Zufälligen und Wahllosen folgte 468, und auch anders
als die Reichstauschstelle, welche die Buchverteilung auf der Grundlage
zirkulierender Offertlisten vornahm, war das Beschaffungsamt dazu
ausersehen, ganz konkrete Buchwünsche einzelner Bibliotheken zu
bearbeiten, wofür ein eigener Erwerbungsetat zur Verfügung stand.
Das Beschaffungsamt hatte solcherart nicht lediglich die Funktion eines
Vermittlers, sondern trat als Käufer auf, die vorfinanzierte Summe
plus Spesen wurde hernach seitens der nachfragenden Bibliothek an
das Amt entrichtet (Abb. 16, Dokumente):
An das Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken in Berlin.
In unserer Bibliothek wurde verlangt: Milleker, Felix: Kulturgeschichte der
Deutschen im Banat. [...] Da nun das erstgenannte Werk ("Kulturgeschichte ....")
als im Ausland erschienen durch den hiesigen Buchhandel nicht beschaffbar
war, bitten wir auf Grund eines vom 20. XII. 1939 datierten Erlasses des
Reichsministers für Wissenschaft .... um gütige baldmöglichste Beschaffung
dieses 1930 erschienenen Werkes. Ihre Spesen wollen Sie samt dem Kaufpreis von RM 2.20 uns zur Anrechnung bringen.469
468
Vgl. Briel, Zum Verhältnis zwischen Reichstauschstelle und Preußischer Staatsbibliothek in den Jahren 1934 bis 1945 (Anm. 430) 62.
469
Schreiben der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken vom 24.1.1940. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940.
147
II. Bücher —Raub 3.1.
Felix Milleker, Kulturgeschichte der Deutschen im Banat. 1916 — 1918. In Einzeldarstellungen (Werschetz 1930). Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken,
29.10.1940, UBK, I 22131.
In erster Linie war das Beschaffungsamt mit der Erwerbung wissenschaftlicher Zeitschriften aus dem Ausland befasst, welche im Rahmen
eines Ausleihdienstes den interessierten Institutionen zur Verfügung gestellt
wurden. Allerdings mussten sich die belieferten Stellen verpflichten,
die ihnen überlassenen Zeitschriften nur für den internen Gebrauch zu
verwenden: "Allen Personen wird die strikte Einhaltung der Geheimhaltungsvorschriften zur Pflicht gemacht"470 , wie der Leiter des Beschaffungsamtes, Adolf Jürgens, die Sicherheitspraxis seiner Einrichtung vor
dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
erläuterte. Wie die Reichstauschstelle, wurde auch das Beschaffungsamt
im Krieg als "rüstungswichtiger Betrieb" eingestuft und schwerpunktmäßig
mit der Bestandsergänzung bombengeschädigter Bibliotheken betraut.
470
Erläuterung der Sicherheitspraxis des Beschaffungsamtes durch dessen Leiter,
Adolf Jürgens, gegenüber dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und
Volksbildung vom 24.12.1942. Zit.n. Happel, Das wissenschaftliche Bibliothekswesen im Nationalsozialismus (Anm. 141) 70.
148
II. Bücher —Raub 3.1.
Die dritte Einrichtung mit ähnlich gelagertem Aufgabenbereich war
der Deutsch —Ausländische Buchtausch. Die Funktionssimilarität der drei
Stellen bildet sich auch in der gemeinsamen Leitung durch Adolf Jürgens
ab. Ursprünglich dem Auswärtigen Amt angeschlossen, wurde auch der
Deutsch—Ausländische Buchtausch der Verwaltungsägide der Preußischen
Staatsbibliothek unterstellt. Der Pflichtenschwerpunkt des DAB war die
Vermittlung wissenschaftlicher Neuerscheinungen.
Stempel "Deutsch — Ausländischer Buchtausch". In: Puschkin. Eine Sammlung von
Aufsätzen dem grossen russischen Dichter Puschkin gewidmet, ed. Gesellschaft für
kulturelle Verbindung der Sowjetunion mit dem Auslande (Moskau 1939). UBK, B 418
149
II. Bücher —Raub 3.2.
II.3.2. Das Verlagswesen im Nationalsozialismus
Die nationalsozialistischen Gleichschaltungsmaßnahmen kamen selbstredend auch im Bereich der Literaturpolitik zur Anwendung, indem sie
auf eine einheitliche Ausrichtung der gesamten Buchproduktion an den
staatsideologischen Maximen zielten. Die zwei wesentlichen Lenkungsinstrumente waren ab 1933 die Indexierung unerwünschter Titel sowie
die Steuerung der Herstellungsquote durch staatliche Papierkontingentierungen.
Wiewohl die massierte staatliche Einflussnahme auf den Literaturmarkt
zu einer sukzessiven "Ablösung der Dichtung der Moderne durch das
»volkstümliche« Schrifttum [führte] und der Übersetzungsmarkt immer
mehr eingeschränkt wurde"471 , war die Kontrolle des Verlagswesens zumindest bis Kriegsbeginn keine so vollständige, wie angestrebt. Wie
bereits am Beispiel der wissenschaftlichen Bibliotheken gezeigt, gab es
auch im Bereich der Literaturproduktion allen Einschüchterungsversuchen
und Überwachungsmaßnahmen zum Trotz "einen Raum freier Betätigung
und Wirksamkeit"472 . Eine führende Stellung unter jenen deutschen Buchverlagen, welche "von 1933 bis 1944 ohne Unterbrechung Werke
»unerwünschter« Autoren auf den Buchmarkt brachten, nahmen die Verlage Fischer—Suhrkamp (123 Titel), Zsolnay—Bischoff (50 Titel), Rowohlt
(47 Titel) und Insel (25 Titel)"473 ein. Freilich bildete auch in diesem
Bereich die Fronde die Ausnahme gegenüber dem Gros der Eiferer
und Opportunisten: "Nach dem Anzeigenteil des Börsenblattes der
Jahre von 1933 bis 1944 beteiligten sich 70 Verlage an der Herstellung
von nationalsozialistischem oder gefördertem Schrifttum."474 Einige von
diesen hatten schon vor dem Jahr 1993 durch ihren Autorenstamm eine
471
Strothmann, Nationalsozialistische Literaturpolitik (Anm. 140) 384.
472
Ebd. 376.
473
Ebd. 374.
474
Ebd. 369.
150
II. Bücher —Raub 3.2.
der nationalsozialistischen Blut —und —Boden —Ideologie konforme Linie
vertreten und mussten solcherart nicht erst auf Kurs gebracht werden.
Die meisten Verleger folgten mit ihrem Programm der Konjunktur bestimmter Themenkreise wie: "Führer —Literatur", Bauern- und Heimatromane, Geschichtsromane und Kriegsliteratur475 , und bedienten den
Markt mit den entsprechenden Titeln:
Aus freiwilligem Entschluß oder unter dem Druck der Überwachungsmaßnahmen hatten diese Buchverlage einen bedeutenden Anteil an dem Steuerungserfolg von Staat und Partei, der zum erzwungenen Aufbau einer den
belletristischen Buchmarkt überschwemmenden »völkischen« und das Ideengut der NS —Weltanschauung publizistisch verbreitenden Literatur führte.476
Den so genannten bürgerlichen Verlagen stand die Gruppe der
politischen und weltanschaulichen Verlage gegenüber, angeführt vom
"Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf." in München. Dem Eher—
Verlag kam das Privileg zu, das "erste Buch der Deutschen", Hitlers
Festungsschrift Mein Kampf zu editieren. Ein gutes Geschäft, erreichte
die nationalsozialistische Pflichtschrift bis April 1940 bereits eine Rekordauflage von 6 Millionen477. Die bevorzugte Stellung des Eher —Verlages
spiegelt sich auch darin, dass zu einer Zeit, als die bürgerlichen Verlage
lediglich für einzelne, seitens einer Bewilligungskommission geprüfte
Titel Papierzuweisungen erhielten, was zu einer Senkung der Herstellungsquoten führte, selbiger ein jährliches Sonderkontingent zugesprochen erhielt und damit zwischen 1934 und 1940 seine Auflagen
stetig steigern konnte 478. Das Programm des Eher —Verlages umfasste
neben dem "Völkischen Beobachter" alle Sparten "von Romanen bis
zu Straßenkarten, von Liederbüchern bis zu Kalendern, von Verordnungen bis zu Rassenkunden, alles natürlich strikt im NS —Geist"479 .
475
Vgl. ebd. 385.
476
Ebd. 369.
477
Vgl. ebd. 387.
478
Vgl. ebd. 362.
479
Reinhard Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Überblick (München
1991) 338.
151
II. Bücher —Raub 3.2.
Neben dem Eher —Verlag waren etwa 70 weitere Parteiverlage mit der
Publikation von nationalsozialistischem Schrifttum befasst. Hiezu zählten
auch die NS —Gauverlage
—
deren einen es auch in Klagenfurt gab,
hervorgegangenen aus der Enteignung der größten Kärntner Buch —
und Zeitungsdruckerei mit angeschlossenem Verlag und einer Buchhandlung, als deren Besitzer und Betreiber der katholische St. Joseph—
Verein firmierte. Dieser war "auf Grund des politischen Einflusses, der
mit dem Besitz einer Zeitungsdruckerei ausgeübt werden konnte, der
politisch bedeutendste katholische Verein in Kärnten. Zusätzlich war
er der vermögendste Verein im katholischen Milieu."480 In der sattsam betriebenen Manier der Verbrämung ökonomischer Motive mit ideologisch—
politischen Bekundungen wurde die "Zentrale aller deutschfeindlichen
landesverräterischen Bestrebungen im Lande Kärnten"481 im Juli 1938
zuvorderst in "Presseverein Klagenfurt umbenannt" und hernach der
"Aufsicht des zuständigen Gauleiters"482 unterstellt. 1940 erfolgte die
nominelle Auflösung des Vereins. Die Buchdruckerei und Buchbinderei,
der Buch- und Papierhandel samt Einrichtung und Maschinen, welche
den Großteil des Vermögens des St. Joseph—Vereins ausmachten, wurden im Oktober 1938 an den "NS —Gauverlag und Druckerei Kärnten
GesmbH" verkauft483 . Nach dem "Anschluss" avancierte der Gauverlag
mit seinem Verlagsprogramm zum Hauptlieferanten der Landeslehrerbibliothek.
Im lokalen Kontext betrachtet, zeigte sich das Verlagswesen gegenüber dem nationalsozialistischen Regime ebenso promisk wie die Mehr480
Vgl. Irene Bandhauer —Schöffmann, Entzug und Restitution im Bereich der Katholischen Kirche (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission.
Vermögensentzug während der NS —Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 22: Vermögensentzug und Rückstellung im Bereich
der Katholischen Kirche I, Wien/München 2004) 148.
481
Ebd. 149.
482
Ebd. 149.
483
Ebd. 152.
152
II. Bücher —Raub 3.2.
zahl der "kulturvermittelnden" Einrichtungen des Landes. So hob einer
der Hauptlieferanten der Öffentlichen Studienabteilung, der Verlag Leon,
in seinem Betriebsbericht an die NSDAP —Gauleitung vom 18.9.1943
stolz hervor:
Auf Grund des Führerbefehls wurde durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda dem Betriebsführer Rudolf Leon in Anerkennung
der Leistungen obigen Betriebes auf dem Gebiete kulturellen Buchschaffens
die Herstellung von Farbaufnahmen in historischen Bauwerken Nord- und
Westdeutschlands übertragen.484
Nach Kriegsende stellte das Verlagshaus Leon seine technischen Fertigkeiten mit der nämlichen Bereitwilligkeit in den Dienst der britischen
Besatzung485 .
484
Landesarchiv Kärnten (= künftig LAK), Bestand: Kärntner Wissenschaftliche
Gesellschaft, Kt. 1, Fasz. 1.18: NSDAP, Gau Kärnten 1943-44.
485
Vgl. Adunka, Der Raub der Bücher (Anm. 13) 52.
153
II. Bücher —Raub 3.3.
II.3.3. Der Buchhandel im Nationalsozialismus
In der Wirtschaftskrise der Zwanzigerjahre hatte sich der deutsche
Buchmarkt nicht zu den geschonten Branchen zählen dürfen. Vor allem
kleinere Unternehmen im Verlagsbereich wie im Sortiment hatten ihre
Kapazitäten an den stetigen Umsatzeinbrüchen erschöpft. Selbst die
verlässlichste Käufergruppe, der bürgerliche Mittelstand, war im Sog
von Arbeitslosigkeit und Kaufkraftrückgang von der Erwerbung zur
Entlehnung übergegangen. Auch die Produzenten und Distribuenten
von Lehrmitteln und wissenschaftlicher Literatur waren aufgrund der
institutionellen Ausgaben-, Budget- und Etatbeschneidungen in eine
prekäre Situation gekommen. Und selbst der Aufschwung, welchen die
Leihbüchereien als Folge dieser Entwicklung nahmen, kam dem Buchmarkt
nicht auf dem Wege der Umwegrentabilität zugute. Aus Einsparungsgründen wurden Neuanschaffungen
—
wenn überhaupt
—
zunehmend aus
dem Angebot von Buchgemeinschaften und Billigbuchreihen getätigt486 .
Das Katastrophenlamento wandelte sich mit der nationalsozialistischen
Machtusurpation schlagartig "zu einem gesteigerten Aktivismus"487 .
Das Krisenmanagement des Börsenvereins, des Interessenverbandes der
deutschen Verleger und Buchhändler, wie es nunmehr rege wurde,
bestand im eilfertigen "Anempfinden an die Macht"488 . Einer Ergebenheitserklärung gegenüber der "nationalen Erhebung"489 war ein "Sofortprogramm für den deutschen Buchhandel" beigefügt, das am 12. April
1933 vom Gesamtvorstand unter Leitung von Friedrich Oldenbourg
verabschiedet und am 3. Mai im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel veröffentlicht wurde. Die darin erhobene Forderung nach krisen486
Ebd. 40.
487
Ebd. 40.
488
Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des
Nationalsozialismus (Berlin 1969) 272.
489
Vgl. Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels (Anm. 479) 330.
154
II. Bücher —Raub 3.3.
beseitigenden Maßnahmen im Bereich der Buchwirtschaft zielte auf
die staatlich assistierte Ausschaltung der lästigen Konkurrenz "Buchgemeinschaften und Warenhäuser und gegen die buchhändlerische
Betätigung von Vereinen, Parteien, Gewerkschaften und der öffentlichen
Hand." 490 Im Gegenzug war die Interessenvertretung der Verleger und
Buchhändler bereit, dem neuen Bund ihre jüdischen Mitglieder als
"Morgengabe" zu opfern. Punkt 10 des "Sofortprogramms" lautete:
"In der Judenfrage vertraut sich der Vorstand der Führung der Reichsregierung an. Ihre Anordnungen wird er für seinen Einflussbereich
ohne Vorbehalt durchführen."491 Dem Unterwerfungsoffert der Standesvertretung folgte spornstreichs die Beweisführung. Am 13. Mai erging
über das Branchenorgan, das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, die Aufforderung an Verleger und Buchhändler, die Werke
der zwölf Autoren: Lion Feuchtwanger, Ernst Glaeser, Arthur Holitscher,
Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Emil Ludwig, Heinrich Mann, Ernst Ottwalt,
Theodor Plivier, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Arnold Zweig,
die "für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten [sind]"492 ,
aus der Edition und dem Vertrieb zu nehmen.
Bereits am darauf folgenden Tag wurde die Unterwerfungsgeste durch
einen persönlichen Besuch Goebbels, des neuen Ministers für Volksaufklärung und Propaganda, in der Leipziger Zentrale honoriert. Zu Ehren des
Gastes intonierte die Versammlung sinnigerweise zur Melodie Ich hab'
mich ergeben ein Preislied, dessen erste zwei Strophen folgend gingen:
Heut hat uns die Kantate nach altem Brauch vereint, auf das [!] dem deutschen
Buche die Zukunft heller scheint. / Wenn auch vergangne Jahre viel Elend
uns bedrückt'. Nun hat uns die Erlösung das Schicksal selbst geschickt. 493
490
Ebd. 330.
491
"Sofortprogramm für den deutschen Buchhandel" vom 3.5.1933. Zit.n. Barbian,
Literaturpolitik im "Dritten Reich" (Anm. 109) 42.
492
Otto Seifert, Die große Säuberung des Schrifttums. Der Börsenverein der Deutschen
Buchhändler zu Leipzig 1933 bis 1945 (Schkeuditz 2000) 18.
493
Zit.n. Barbian, Literaturpolitik im "Dritten Reich" (Anm. 109) 42-43.
155
II. Bücher —Raub 3.3.
Abgesehen von einigen Bevorrechteten im Lichthof der Macht, brachen
für die Branche insgesamt in den Folgejahren mitnichten selige Zeiten
an. Die anlässlich einer Kundgebung des deutschen Buchhandels in
Leipzig 1936 von Seiten Goebbels angekündigte "Reinigung des
Buchhandelsstandes von ungeeigneten Elementen" 494 ließ sich gleichermaßen als Versprechen wie als Drohung verstehen. Die Geister, die
man so lauthals gerufen hatte, gingen mit einem Rigorismus zu Werke,
den wider Erwarten auch der eine oder andere der Sänger zu spüren
bekam. Zwar wurde mit der unverzüglichen Schließung und sukzessiven
"Arisierung" jüdischer Buchhandlungen sowie dem scharfen Vorgehen
gegen kontrollresistente Buchvermittlungsformen wie Warenhausverkauf,
Reisebuchhandel und Buchgemeinschaften einiges an Konkurrenz vom
Halse geschafft, doch gerieten darüber hinaus weitaus mehr Sortimenter
in den Ruch des Zweifelhaften und in der Folge unter Repressalien als
erwartet, allen voran Anbieter mit dem Schwerpunkt auf konfessionellem
Schrifttum. Die Verpflichtung des Buchhandels zum "weltanschaulichen
Willensträger" 495 ging mit drastischen Aktionen zur "Auskämmung"496
einher, welche bis zum Jahr 1944 zu einer Schließung von sage und
schreibe 60% aller Ladenbuchhandlungen führte497 . Die solcherart
freigesetzten Arbeitskräfte wurden zur Wehrmacht einberufen oder in
der Rüstungsindustrie eingesetzt.
Das Ergebnis der nationalsozialistischen Literaturpolitik war ein durch
politische Regulierungen ebenso wie wirtschaftliche Eingriffe und besitzrechtliche Übergriffe "erheblich entstellter Rumpfbuchhandel" 498.
494
Zit.n. Strothmann, Nationalsozialistische Literaturpolitik (Anm. 140) 130.
495
Ebd. 130.
496
Zit.n. ebd. 318.
497
Vgl. ebd. 131.
498
Ebd. 319.
156
II. Bücher —Raub 3.4.
II.3.4.Die Suche nach "Evidenzen" im Rahmen der Buchautopsie
Im Zuge der Buchautopsie wurden Buch für Buch etwas über 4.000
Bände der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt (Signaturenkreis
I/II 30151 —I/II 34170) im Hinblick auf Herkunftssignets und Besitzeinträge in Gestalt von Stempelungen, Autogrammen, Widmungen oder
Exlibris in Augenschein genommen, was dem Akzessionszeitraum von
1938 bis 1953 entspricht. Des weiteren rund 2.400 Bände der angeschlossenen Landeslehrerbibliothek der Eingangsjahre 1938 bis 1945
(Signaturenkreis A/B 3554 —A/B 5925).
Am Aufstellungsort "Vorstufenmagazin" konnten auf diese Weise insgesamt fünf Bücher ausfindig gemacht werden, welche aufgrund der Involvierung ihrer Bezugsquelle, der Reichstauschstelle, in den nationalsozialistischen "Arisierungs" —Prozess als zum Mindesten "bedenkliche"
Erwerbungen anzusehen sind (siehe Abschnitt II.3.1.). Die Herkunft
der im Akzessionsjournal als "Gesch[enk]" ausgewiesenen Bücher war
lediglich aufgrund einer handschriftlichen Eintragung des Bibliotheksleiters erkenntlich. Zu diesem Fundkreis der "bedenklichen" Erwerbungen
zählt auch ein über das Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken
bezogenes Werk.
Des weiteren hat die Bestandsüberprüfung ebendort acht Bücher der
"Convents—Bibliothek der Barmherzigen Brüder St. Veit a.d. Glan", einen
Band der Krankenhausbücherei des "Kronprinz —Rudolf —Hospitals der
Barmherzigen Brüder St. Veit a.d. Glan", einen Band der Schulbücherei
des "Privat —Mädchenrealgymnasiums der Ursulinen" sowie einen Band
des Pfarramtes St. Margarethen ob Töllerberg zutage befördert, welche
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus enteignetem
Kirchenbesitz stammen (siehe Abschnitt III.). Die Durchsicht der in der
Sondersammlung verwahrten Bücher aus dem Currens hat ein weiteres
Buch der "Convents—Bibliothek der Barmherzigen Brüder St. Veit a.d. Glan"
157
II. Bücher —Raub 3.4.
sowie einen Band aus der Bibliothek des Stiftes St. Paul erbracht, welche
ebenfalls von nationalsozialistischen Raubzügen herrühren dürften.
Das Resümee der Sichtung: In der doch geringen Anzahl der jährlichen
Neuerwerbungen, rund 400 Titeln pro Jahr, spiegelt sich die ökonomische und in dieser die geltungsmäßige Stellung der Öffentlichen
Studienbibliothek Klagenfurt ebenso, wie in der nahezu ausschließlichen
Orientierung der Ankäufe nach dem "Anschluss" am nationalsozialistischen Kanon die politische Ausrichtung von Bibliotheksleitung und
Nutzern.
Die Tatsache, dass sich innerhalb des Bestandszuwachses von insgesamt
etwa 6.400 Bänden einer Provinzinstitution wie der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt immerhin sechs Bücher fragwürdiger Provenienz
haben ausfindig machen lassen, demonstriert die flächendeckende
Effizienz des nationalsozialistischen Distributionsapparates. Desgleichen spiegelt die relational nicht unbeträchtliche Anzahl von dreizehn
identifizierbaren Büchern aus enteignetem Kirchenbesitz das Ausmaß
des "Kirchensturms" in Kärnten wie die Rolle der Studienbibliothek als
dessen bedenkenloser Nutznießerin.
Stempel der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt.
158
III. Kirchen —Sturm 1.
III.
Kirchen —Sturm
III.1. Die Amtskirchen im Nationalsozialismus zwischen Widerpart
und Gefolgschaft
Die nationalsozialistische Absichtserklärung der Errichtung eines "tausendjährigen Reiches" war in Tenor und Gehalt mehr als ein Parteiprogramm,
sie war der Introitus einer neuen Theokratie, mit der konsekutiven Bedeutung einer Marginalisierung der etablierten Konfessionen. Die
Entmachtung des gleichermaßen verachteten wie beachteten Gegners
folgte dem bewährten Muster von Diffamierung, Kriminalisierung, Expropriation und mimetischer Übernahme. Der Vorbildcharakter der
katholischen Kirche für die parteiliche und staatliche Strukturbildung
ist unübersehbar: Der papalistische Primat entspricht dem Führerprinzip,
die strenge Hierarchie dem Führungsapparat, der Ordensgedanke
dem Korpsgeist der nationalsozialistischen Schutzstaffeln. Auch ideell
liess sich der jesuitischen Verpflichtung zum "Kadavergehorsam" und
insonderheit dem Dogma von der Heiligung der Mittel durch den
Zweck durchaus Taugliches für den nationalsozialistischen Hausgebrauch
abgewinnen. Der Durabilität und Effektivität der Vorlage zollte Hitler
joviale Anerkennung: "Die katholische Kirche ist schon was Großes.
Herr Gott ihr Leut', das ist eine Institution und es ist schon was, an die
zweitausend Jahre auszudauern. Davon müssen wir lernen. [...] jetzt
sind wir die Erben. Wir sind auch eine Kirche."499
Entsprechend umstandslos bediente sich der "braune Kult"500 aus dem
reich bestückten katholischen Suggestionsfundus. Die Übernahme religiös
besetzter Symbole wie Fahne und Kreuz in den nationalsozialistischen
Zeichensatz, die Einkleidung öffentlicher Auftritte in die prunkschweren
499
Rauschning, Gespräche mit Hitler (Anm. 106) 53.
500
Hans —Jochen Gamm, Der braune Kult. Das Dritte Reich und seine Ersatzreligion.
Ein Beitrag zur politischen Bildung (Hamburg 1962) u.a. 159.
159
III. Kirchen —Sturm 1.
Paramente kirchlicher Inszenierungen, die rhetorischen Anleihen der
Reden bei Doxologie und Predigt hatten den kalkulierten Effekt eines
Vexierspiegels: "Der Führer ein neuer Christus, ein deutscher Sonderheiland [...], sein Buch das eigentliche Evangelium der Deutschen"501 .
Der Nationalsozialismus präsentierte sich der Volksgemeinschaft als
veritable Ersatzreligion, von Brecht trefflich erfasst:
[...] und die Stimmen
Milde und zornige auch, die sie damals betäubten, betäuben
Sie durch dies Etwas von Inbrunst und Drohung noch heute.
[...] und kamen von oben
Grade wie diese. Doch so ist's ja auch mit den Fahnen: die seidnen
Neben dem Altar waren bestickt mit Kreuzen, die neuen
Haben auch Kreuze, nur andre, mit Haken versehne, doch Kreuze. [...] 502
In seiner Studie über die Sprache des Nationalsozialismus, LTI: Lingua
Tertii Imperii, unterstreicht Viktor Klemperer die Wirkmächtigkeit der
rhetorischen Mimesis:
[D]er Nazismus wurde von Millionen als Evangelium hingenommen, weil er
sich der Sprache des Evangeliums bediente. [...] Wenn man nach einem
Vorbild für die Spannung des Goebbelsschen Stiles sucht, so mag man es
annähernd in der mittelalterlichen Kirchenpredigt finden, wo sich ein vor
nichts zurückschreckender Realismus und Verismus des Ausdrucks mit dem
reinsten Pathos der Gebetserhebung verbindet. Aber dieser mittelalterliche
Predigtstil quillt aus reiner Seele und wendet sich an ein naives Publikum,
das er unmittelbar aus der Enge geistiger Begrenztheit in transzendente
Bezirke erheben will. Goebbels dagegen geht raffiniert auf Betrug und
Betäubung aus.503
Aber nicht nur die Nationalsozialisten betätigten sich als Kopisten.
Auch die katholischen Weltmeister der Massenbewegung waren sich
nicht zu schade, sobald sie des Zulaufes gewahr wurden, welchen die
501
Victor Klemperer, LTI [Lingua Tertii Imperii]. Notizbuch eines Philologen (= Universal—
Bibliothek 278, Leipzig 4 1975) 138.
502
Bertolt Brecht, Tödliche Verwirrung. In: Die Gedichte (Frankfurt am Main 1981) 498.
503
Klemperer, LTI (Anm. 501) 142 und 302.
160
III. Kirchen —Sturm 1.
gegnerische Inszenierung zu erzielen vermochte, ihrerseits in dessen
populistischem Rhetorikfundus zu wildern. Es entbehrt nicht der Ironie,
dass die begriffliche Mimesis an das neue "Meinungsklima"504 so weit
ging, "daß die Nationalsozialisten darin eine systematische Verschwörung
des »politischen Katholizismus« sahen, die den Nationalsozialismus
von innen her besiegen sollte."505 War "Nächstenliebe" vormals ein
Leitbegriff, so klang alsbald mit dem nämlichen Pathos aus sämtlichen
apostolischen Kundmachungen die Botschaft von "Volkstum", "Blut" und
"Boden" 506. Und es blieb nicht bei der verbalen Kurskorrektur.
Vor der nationalsozialistischen Machtusurpation hatte die katholische
Kirche noch den moralisch argumentierten Standpunkt einer prinzipiellen
Unvereinbarkeit von Katholizismus und Nationalsozialismus vertreten:
Die Mehrzahl der Bischöfe freilich stand der NSDAP am Ende der zwanziger
und zu Beginn der dreißiger Jahre mit großem Mißtrauen oder klarer Ablehnung gegenüber. Nach der für die Nazis sehr erfolgreichen Reichstagswahl im September 1930 gab das Bischöfliche Ordinariat Mainz auf Anfrage einer Gauleitung der NSDAP die schockierende Auskunft, ein Katholik
dürfe nicht eingeschriebenes Mitglied dieser Partei sein, weil sie in grundsätzlichen Fragen gegen die Kirche stehe. Ein Katholik, der trotzdem Parteimitglied werde, sei vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen.507
Nach einer derart klaren Positionierung erweckten das Einlenken und
Umschwenken innert weniger Monate infolge des unerwarteten Zulaufs,
welchen der vorschnell als episodisch abgetane nationalsozialistische
Gegner erfuhr, allenthalben den Eindruck eines "erstaunliche[n]
Gesinnungswandel[s]" 508 . Bereits 1931 wog Pius XI. Haltung gegen
504
Guenter Lewy, Die katholische Kirche und das Dritte Reich (München 1965) 183.
505
Ebd. 183.
506
Vgl. ebd. .183.
507
Georg Denzler, Widerstand oder Anpassung? Katholische Kirche und Drittes
Reich (München/Zürich 1984) 19.
508
Ebd. 20.
161
III. Kirchen —Sturm 1.
Zweckrationalität auf und zog ins Kalkül, "ob man bei allen Vorbehalten
gegenüber den kirchenfeindlichen Grundsätzen der Nationalsozialisten
nicht doch, wenn auch »vielleicht nur vorübergehend für bestimmte
Zwecke«, an eine Zusammenarbeit denken könnte [...]."509 Nach der
Machtusurpation der Nationalsozialisten wurde die zögerliche Einstellung
vollends verabschiedet und zugunsten eines Arrangements revidiert.
Wie Ernst Bloch 1936 in einem seiner politischen Essays feststellte,
habe das "[e]ilige Konkordat mit Hitler"510 den Eindruck erweckt, selbiges
sei "nicht nur mit Schlauheit geschehen, sondern mit Lust und Liebe"511 .
Damit perpetuierte der Klerus allerdings nur eine seit dem vierten
Jahrhundert eingenommene Haltung:
Die Idee, die Kirche könne sich als zeitliche soziale Institution jedem Regime
anpassen, das seine Bereitwilligkeit bezeugt, Eigentum und Vorrechte der
Kirche zu respektieren, scheint in der katholischen politischen Philosophie
fast ein unantastbarer Gemeinplatz geworden zu sein. Sogar die neueren
päpstlichen Enzykliken [...] unterstreichen den Unterschied zwischen der
Regierungsform (einer Angelegenheit von geringerer oder keiner moralischen
Bedeutung) und dem göttlichen Ursprung der Autorität der Regierung (auf
Grund derer der Christ verpflichtet ist, sie zu unterstützen, welche Form sie
auch annehmen mag).512
Oder
—
wie Friedrich Heer unverblümt konstatiert
—
setzte die Kirche
1933 fort, was sie "zumindest seit den Tagen Konstantins" praktizierte,
sie ging erneut wie "bisher noch in jeder Geschichtsstunde mit jedem
Machtherren ins Bett."513
Bereits am 28. März 1933 traten die deutschen Bischöfe mit einer
509
Ebd. 20.
510
Ernst Bloch, Der letzte Hirtenbrief. In: Ders., Vom Hasard zur Katastrophe. Politische
Aufsätze 1934 —1939 (Frankfurt am Main 1 1972) 81.
511
Ebd. 81.
512
Gordon C. Zahn Die deutschen Katholiken und Hitlers Kriege (Graz/Wien/Köln
1965) 282-283.
513
Friedrich Heer, Christentum ohne Anziehungskraft. In: Kritik an der Kirche, ed.
Hans Jürgen Schultz (Stuttgart 1958) 26-43, hier 40.
162
III. Kirchen —Sturm 1.
Botschaft an die Öffentlichkeit, worin der neuen Regierung das volle
Vertrauen bekundet und zuvor ergangene Verbote und Warnungen für
null und nichtig erklärt wurden 514. Die Entscheidung, mit dem nationalsozialistischen Brachialregime ein Bündnis einzugehen, entsprang dem
einerseits naiven
—
was die "Bonität" und Lenkbarkeit des Vertrags-
partners anbelangte —, andererseits perfiden Kalkül, selbst ungeschoren
zu bleiben und gleichzeitig einen potenten Beförderer der Gegenreformation und schlagkräftigen Verbündeten im Kampf gegen die
Feindbilder des gemeinsamen dualistisch —manichäischen Weltbildes zu
gewinnen: Juden, Freimaurer und Bolschewisten. In diesem Sinne, um
"die zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und zu fördern"515 ,
wurde am 8. Juli 1933 ein Konkordat zwischen der deutschen Reichsregierung und dem Vatikan paraphiert und am 20. Juli unterzeichnet.
Seiner Anlage nach war das Vertragswerk für beide Partner ein profitabler "Tauschhandel": Die Kirche ließ sich den Schutz der katholischen
Bekenntnisschulen (Artikel 23) sowie den Bestand der katholischen
Verbände und Vereine (Artikel 13) garantieren, wofür sich die Nationalsozialisten im Gegenzug mittels einer Entpolitisierungsklausel (Artikel
32) der lästigen politischen Konkurrenz der beiden katholischen Parteien
Zentrum
—
die mit mehr als 70 Abgeordneten im Reichstag immerhin
die viertstärkste politische Gruppe bildete
—
und Bayerische Volkspartei
entledigten, womit der Weg zum Einparteienstaat geebnet war516 :
Aufgrund der in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse wie im
Hinblick auf die durch die Bestimmungen des vorstehenden Konkordats ge514
Vgl. Hubert Wolf, Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
(München 2008) 192.
515
Aus der Konkordatspräambel. Abgedr. in: Ludwig Volk, Das Reichskonkordat vom
20. Juli 1933. Von den Ansätzen in der Weimarer Republik bis zur Ratifizierung
am 10. September 1933 (Mainz 1972) 234.
516
Vgl. Terence Prittie, Deutsche gegen Hitler. Eine Darstellung des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus während der Herrschaft Hitlers (Tübingen
1965) 80.
163
III. Kirchen —Sturm 1.
schaffenen Sicherungen einer die Rechte und Freiheiten der katholischen
Kirche im Reich und seinen Ländern wahrenden Gesetzgebung erläßt der
Heilige Stuhl Bestimmungen, die für die Geistlichen und Ordensleute die
Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien
ausschließen.517
Bereits im Juni hatte Hitler die Bayerische Volkspartei aufgelöst und
ebenfalls noch vor der Ratifizierung des Konkordatsvertrages erging
am 5. Juli an das katholische Zentrum der Befehl zur Selbstauflösung518 ,
eine Vorgehensweise, die nicht zu Unrecht von der sicheren Erwartung
der unverzüglichen Folgeleistung bestimmt wurde, denn schließlich
hatten die katholischen Parteien im März 1933 bereits das Ermächtigungsgesetz mitgetragen, "das Hitler die Vollmachten eines Diktators
gab."519 Die in der Weimarer Republik zutage getretenen liberalen
Tendenzen waren in einen Ultrakonservativismus umgeschlagen: "Das
Zentrum machte keine Miene, den Sozialdemokraten bei ihrem Zweikampf mit Hitler beizustehen. Die Geschichte ihrer bereitwilligen Mitwirkung beim eigenen Untergang widert jeden Betrachter an [...]."520
Der Theologe Walter Dirks analysiert das klerikale "Versagen vor der
Geschichte"521 etwas profunder:
Entscheidend aber war wohl, daß im Banne des neuscholastischen Systemdenkens weder der reale Charakter der Gesellschaft noch der Prozeß ihrer
Geschichte angemessen in den Blick kamen. Der politische Katholizismus
des 19. Jahrhunderts war eine auf das Religiöse und auf einen konservativen
Kulturbegriff eingeengte Defensiv—Formation; in dieser Tradition verzichteten
die beiden katholischen Parteien auch nach 1918, als an sich die politischen
Parteien die eigentlichen Träger der staatlichen Souveränität geworden waren,
auf originäre politische Konzeptionen [...]. Sie reagierten statt zu agieren;
517
Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 (Anm. 515) 241.
518
Vgl. Prittie, Deutsche gegen Hitler (Anm. 516) 80.
519
Ebd. 80.
520
Ebd. 80.
521
Zit.n. Denzler, Widerstand oder Anpassung? (Anm. 507) 145.
164
III. Kirchen —Sturm 1.
sie verstanden sich nicht als demokratisch —republikanische Kräfte, sondern
als »Verfassungsparteien«, in denen die politisch—geschichtlichen Entscheidungen, die fällig gewesen wären, zugunsten eines bequemen demokratischen Formalismus ausgespart blieben.522
Jetzt rächte sich, dass die Christen die Wende vom "paulinischen
Obrigkeits —Gehorsam in die christlich —weltliche Verantwortung des
politischen Bereichs"523 nie vollzogen hatten und solcherart allzu bereitwillig Verzicht auf politische Teilhabe leisteten und die eigenen
Grundsätze durch "Scheinübereinstimmungen" 524 mit der nationalsozialistischen Fraktion hinreichend vertreten sahen: "Antikommunismus, antizivilisatorische und antidemokratische Ressentiments, autoritäre und
hierarchische Denk- und Gefühlsstrukturen"525 .
Von nicht gering zu schätzender Bedeutung für die Regierung Hitler
war das Konkordat als völkerrechtlich relevanter Vertrag auch in außenpolitischer Hinsicht. Zu Recht pries der "Völkische Beobachter" das
konkordiale Bündnis als eine "ungeheure moralische Stärkung der
nationalsozialistischen Reichsregierung und ihres Ansehens"526 . Dass
der Papst mit dem Konkordat als erster Souverän des Auslands die
neue Reichsregierung zu den "auf der Seite der Ordnung stehenden
staatlichen Gewalten"527 erklärte, hatte international Signalwirkung:
"Wenn sich schon der Heilige Stuhl als unumstrittene moralische
Macht nicht zu gut war, mit den Nationalsozialisten Verträge abzuschließen, dann konnte es auch für säkulare Staaten kein Hindernis
geben."528 Aufgrund ihrer gesellschaftlichen Omnipräsenz und ihres
522
Ebd. 145.
523
Ebd. 156.
524
Ebd. 145.
525
Ebd. 145.
526
Zit.n. Karlheinz Deschner, Mit Gott und dem Führer. Die Politik der Päpste zur
Zeit des Nationalsozialismus (Köln 1988) 48.
527
Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli am 30.4.1937. Zit.n. ebd. 49.
528
Wolf, Papst und Teufel (Anm. 514) 200.
165
III. Kirchen —Sturm 1.
ethischen Mobilisierungspotenzials wäre die katholische Kirche 1933
wahrscheinlich als einzige christliche Glaubensgemeinschaft in Deutschland in der Lage gewesen "sich mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg
gegen Hitler zu verteidigen [...]."529 Allerdings nur mit der Assistenz
des Papsttums und seiner "ungeheuren Macht und Autorität in einem
überwiegend katholischen Europa"530 . Die vatikanische Appeasementpolitik unterstützte die Auslegung Hitlers, wonach das Konkordat weniger
als bilaterales Abkommen denn als Subordinationserklärung der katholischen Kirche zu betrachten sei:
Durch den Abschluß des Konkordats zwischen dem Hl. Stuhl und der deutschen
Reichsregierung erscheint mir genügende Gewähr dafür gegeben, daß sich
die Reichsangehörigen des römisch —katholischen Bekenntnisses von jetzt ab
rückhaltlos in den Dienst des neuen nationalsozialistischen Staates stellen
werden.531
Damit verpflichtete Rom implizit die Gläubigen "bis zur letzten Stunde
des Zweiten Weltkrieges [...] zu treuem Opfergehorsam dem Manne
gegenüber, der sich selbst zum einzigen Schirmherrn der Kirchen gegen
den Bolschewismus proklamiert [hatte]."532 Wiewohl das Konkordat
unmittelbar zu einer Sistierung von Repressalien gegen katholische
Orden und deren Mitglieder führte, war von einem kordialen Auskommen beider Parteien keine Rede. Die seitens der Kirche an den
Vertrag geknüpfte Hoffnung auf eine Bündelung der Kräfte erfüllte
sich nicht, im Gegenteil, "noch ehe die Tinte auf dem Papier, auf dem
e[r] geschrieben, trocken war"533 , wurde der Vertrag, wie der Kardinalstaatssekretär und spätere Papst Pius XII., Eugenio Pacelli, lamentierte,
529
Prittie, Deutsche gegen Hitler (Anm. 516) 79.
530
Ebd. 79.
531
Zit.n. Friedrich Heer, Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen
Religiosität (München/Eßlingen, 1.-8. Tsd. 1968) 263.
532
Ebd. 264.
533
Zit.n. Deschner, Mit Gott und dem Führer (Anm. 526) 59.
166
III. Kirchen —Sturm 1.
zigfach umgangen oder schlichtweg verletzt. Nicht weniger als 55
Protestnoten sandte Pacelli zwischen 1933 und 1939 nach Berlin, von
denen kaum ein Dutzend überhaupt einer Antwort gewürdigt wurde 534.
Letztlich scheiterte eine gedeihliche Allianz an der gänzlichen Intransigenz von nationalsozialistischem Totalitäts- und kirchlichem Suprematieanspruch. Seine Sicht einer Symbiose zwischen Staat und Kirche präzisierte Hitler sinnigerweise anlässlich der Eröffnung einer "Ordensburg"
in Sonthofen im November 1937:
Wir geben euch unbedingte Freiheit in eurer Lehre oder in eurer Auffassung
der Gottesvorstellung. [...] Eines aber sei ganz klar entschieden: Über den
deutschen Menschen im Jenseits mögen die Kirchen verfügen, über den
deutschen Menschen im Diesseits verfügt die deutsche Nation durch ihre
Führer. 535
Der Adressat der nun schon als Kampfansage zu wertenden Botschaft
war Papst Pius XI., welcher am 14. März 1937 mit der Enzyklika "Mit
brennender Sorge" den wiederholten Vertragsbruch des Konkordatspartners nicht mehr auf diplomatischem Wege, sondern öffentlich
anzuprangern sich unterstanden hatte. Gerade diese Enzyklika wird
immer wieder als Beweis für den unerschrockenen Widerstand der
katholischen Kirche gegen den Nationalsozialismus bemüht. De facto
hatte sie allerdings lediglich den "Leidensweg der Kirche"536 zum Inhalt,
"die Vertragsumdeutung, die Vertragsumgehung, Vertragsaushöhlung,
schließlich die mehr oder minder öffentliche Vertragsverletzung"537
bezogen auf das Reichskonkordat. Von einer Verletzung der Menschen534
Vgl. ebd. 59.
535
Rede Hitlers vor den versammelten Kreisleitern und Gauamtsleitern anlässlich der
Eröffnung einer Ordensburg in Sonthofen im Allgäu am 23.11.1937 unter dem
Titel: "Aufbau und Organisation der Volksführung". In: Max Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932 —1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen 1: Triumph (1932 —1938) (Würzburg 1962) 762.
536
Pius XI., Mit brennender Sorge. Über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen
Reich (= Die Enzykliken des Hl. Vaters Pius XI., Innsbruck/Wien/München [1937]) 47.
537
Ebd. 49.
167
III. Kirchen —Sturm 1.
rechte ist an keiner Stelle die Rede, wiewohl zu diesem Zeitpunkt in
Deutschland das legislatorisch assistierte Programm der "Ausmerze"
von Juden und politischen Gegnern bereits in vollem Gange war. "In
sechs Sätzen ihrer dreiundvierzig Paragraphen" 538 kommt der Begriff
der "Rasse" vor, allerdings nicht negativ konnotiert, sondern als ein
usueller Terminus im zeitgeschichtlichen Wissenschaftsdiskurs, der auch
im Kontexte der christlichen Schöpfungsgeschichte als sinnfällig galt:
Nur oberflächliche Geister [...] können den Wahnversuch unternehmen, Gott,
den Schöpfer aller Welt, den König und Gesetzgeber aller Völker, vor dessen
Größe die Nationen klein sind wie Tropfen am Wassereimer (Is. 40,15), in
die Grenzen eines einzelnen Volkes, in die blutmäßige Enge einer einzelnen
Rasse einkerkern zu wollen.539
Nicht die Rassenlehre als solche wird als Irrglaube gebrandmarkt,
"sondern nur, dass manche die Rasse über die Lehren des Christentums
stellen möchten" 540. Beeinsprucht wird vor allem die Unverfrorenheit,
die Kirche unter die Staatsmacht zwingen zu wollen, den Papst als Stellvertreter Gottes unter die Befehlsgewalt eines weltlichen und zudem
häretischen "Führers":
Wer die Rasse, oder das Volk, oder den Staat, oder die Staatsform, die
Träger der Staatsgewalt [...] zur höchsten Norm aller, auch der religiösen
Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die
gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge. [...] Wer in sakrilegischer Verkennung der zwischen Gott und Geschöpf [...] klaffenden Wesensunterschiede irgend einen Sterblichen, und wäre er der Größte aller Zeiten,
neben Christus zu stellen wagt, oder gar über Ihn und gegen Ihn, der muß
sich sagen lassen, daß er ein Wahnprophet ist, [...]. Der Kirchenglaube
wird nicht rein und unverfälscht erhalten, wenn er nicht gestützt wird vom
Glauben an den Primat des Bischofs von Rom.541
538
Daniel Jonah Goldhagen, Die katholische Kirche und der Holocaust. Die katholische
Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne (Berlin
2002) 56.
539
Mit brennender Sorge (Anm. 536) 52.
540
Goldhagen, Die katholische Kirche und der Holocaust (Anm. 538) 65.
541
Mit brennender Sorge (Anm. 536) 51, 55 und 60.
168
III. Kirchen —Sturm 1.
Während die Kirche in der Enzyklika "Mit brennender Sorge" am
Nationalsozialismus selbst "nur behutsam Kritik übte"542, war die aus
demselben Jahr stammende antibolschewistische Enzyklika "Divini
Redemptoris" vergleichsweise "ein donnerndes, kompromissloses Verdammungsurteil"543. In diesen "Abwehrkampf" zog die Kirche mit den
wirkmächtigsten Waffen aus ihrem Wortarsenal: Der Kommunismus
wird als "satanische Geißel"544, als "falsche Erlösungsidee"545 und unter
Berufung auf Papst Leo XIII. als "verheerende Seuche, die das Mark der
menschlichen Gesellschaft anfrißt und sie völlig zersetzt" 546, attackiert.
Bei der Öffnung des Vatikanischen Archivs 2003 fanden sich
zahlreiche Bittgesuche, welche ab 1933 an den Papst ergangen waren,
in denen Pius XI. "von jüdischen und nichtjüdischen Persönlichkeiten
flehentlich gebeten wurde, seine Stimme zu erheben" 547. Endlich, 1938,
schien sich der Papst doch auch hinsichtlich der Verfolgung der Juden
zu einer Stellungnahme durchringen zu wollen. Nachdem auch in Italien
eine eigene "Rassengesetzgebung" nach deutschem Muster ausgearbeitet worden war548 , erteilte Pius XI. dem Jesuitenpater LaFarge den
unter strikte Geheimhaltungspflicht gestellten Auftrag zur Ausarbeitung
einer Enzyklika zum Thema der "Einheit des Menschengeschlechts".
Hier finden sich die ersten deutlichen Worte, wird der Nexus: Rasse,
Judentum und Verfolgung an- und ausgesprochen:
[D]er Kampf für die Reinheit der Rasse [wird] schließlich einzig zu einem
Kampf gegen die Juden [...], einem Kampf, der sich weder in seinen wahren
542
Goldhagen, Die katholische Kirche und der Holocaust (Anm. 538) 119.
543
Ebd. 119.
544
Pius XI., Divini Redemptoris. Über den gottesleugnerischen Kommunismus (= Die
Enzykliken des Hl. Vaters Pius XI., Innsbruck/Wien/München [1937]) 6.
545
Ebd. 7.
546
Leo XIII. in der Enzyklika: Quod Apostolici muneris, 28.12.1878. Zit. n. ebd. 4-5.
547
Wolf, Papst und Teufel (Anm. 514) 209.
548
Vgl. Georges Passelecq/Bernard Suchecky, Die unterschlagene Enzyklika. Der
Vatikan und die Judenverfolgung (München/Wien 1997) 136 ff.
169
III. Kirchen —Sturm 1.
Motiven noch in seinen Methoden
Grausamkeit
—
—
mit Ausnahme seiner systematischen
von den Verfolgungen unterscheidet, denen die Juden seit
der Antike allerorten ausgesetzt waren. Diese Verfolgungen sind vom Heiligen
Stuhl bei mehr als einer Gelegenheit verurteilt worden, vor allem wenn sie
sich das Christentums als eines Deckmantels bedienten. [...] Ist die Verfolgung
einmal in Gang gekommen, dann werden Millionen von Menschen auf dem
Boden ihres eigenen Vaterlandes der elementarsten Bürgerrechte und
Privilegien beraubt, man verweigert ihnen den Schutz des Gesetzes gegen
Gewalt und Diebstahl, Beleidigung und Schmach harren ihrer, man geht
sogar so weit, das Brandmal des Verbrechens Personen aufzudrücken, die
das Gesetz ihres Landes bis dahin peinlich genau befolgt haben.549
Wiewohl in den Ausführungen über die "Position der Kirche gegenüber
dem Judentum" ein weiteres Mal der gesamte Kanon an Vorhaltungen
und Vorurteilen ausgebreitet wird, betont der Entwurf, "[d]aß die
Verfolgungsmethoden des Antisemitismus mit dem wahren Geist der
katholischen Kirche in keinster Weise in Einklang zu bringen sind"550
und erhebt die Forderung, "Antisemitismus und Rassismus energisch zu
verurteilen"551. Die Enzyklika "Humani Generis Unitas" sollte aber nicht
zur Veröffentlichung gelangen. Mit der Übernahme des Pontifikates
durch Eugenio Pacelli als Pius XII. verschwindet das Papier im Vatikanarchiv, womit der Kurs der "ölige[n] Proteste"552, des Schweigens und der
Unterlassungen seine Fortsetzung nimmt. Bis heute findet die Haltung
der katholischen Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus Verteidiger,
deren Argumentation ausschließlich einer Beweisführung dient: Jener
des Scheiterns aller Mühen der Aufklärung an einem Bewusstsein, das
noch einer "Schlachtbank [...], auf welcher das Glück der Völker, die
Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht
549
Humani Generis Unitas" 131/132. Zit.n. ebd. 260-261.
550
Humani Generis Unitas" 144. Zit.n. ebd. 267.
551
Humani Generis Unitas" 152. Zit.n. ebd. 273.
552
Bloch, Der letzte Hirtenbrief (Anm. 510) 81.
170
III. Kirchen —Sturm 1.
worden" 553, teleologisch deutend Sinn verleiht:
Angenommen, ein Papst, in diesem Falle Pius XI. oder Pius XII., hätte plötzlich
die Kirche zu einem Kreuzzug aufgerufen, um den Gefahren zu begegnen,
die den Juden damals drohten, so sei die Frage erlaubt, wer ihnen überhaupt
gefolgt wäre. Wäre diese Kehrtwendung nicht zu plötzlich gekommen, wäre
sie nicht zu radikal und unvermittelt gewesen, um auch nur verstanden zu
werden? Damit eine derartige Veränderung angebahnt werden konnte,
wird es eben des von den Nationalsozialisten begangenen Genozids [...]
bedürfen, [...].554 [Hervorh. d.d. Verf.]
Die Argumentation folgt der Vorgabe von höchster Stelle: 1963 suchte
Papst Paul VI. ein Schlusswort unter die an Rolf Hochhuths Drama
"Der Stellvertreter" erneut sich entzündet habende Debatte über die Rolle
der katholischen Kirche im Nationalsozialismus mit der Argumentation
zu setzen: "Der Papst, der im Zweiten Weltkrieg an der Spitze der
katholischen Kirche stand, hätte durch Aufgabe seiner Zurückhaltung
schuldhaft womöglich »noch schlimmeres Unheil ausgelöst« [...]."555
Der exkulpierenden Deutung begegneten deren Kritiker mit der lapidaren
Entgegnung, "im Kontext der tatsächlichen Entfaltung des Holocaust
hätte man sich überhaupt kein schlimmeres Szenario vorstellen können
als jenes, das tatsächlich ablief."556
Unbestritten fanden sich auch innerhalb der katholischen Kirche Widerstandsgeister, bekannte Persönlichkeiten wie der Kardinalerzbischof von
München, Michael Faulhaber, oder der Kardinalerzbischof von Münster,
Clemens Graf von Galen, die ihre Autorität einsetzten, um gegen das
553
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Die Vernunft in der Geschichte, ed. Johannes
Hoffmeister (= Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte 1, Hamburg 5
1955) 80. Hinweis auf das Zitat bei: Jörn Rüsen, Kann gestern besser werden?
554
Passelecq/Suchecky, Die unterschlagene Enzyklika (Anm. 548) 186.
555
Robert Katz, Papst Pius XII. gegen die Judenvernichtung. Hätte das Oberhaupt
der römisch—katholischen Kirche während des Zweiten Weltkriegs die "Endlösung"
verhindern können? In: Was wäre geschehen wenn? Wendepunkte der Weltgeschichte, ed. Robert Cowley (Köln 2008) 396-514, hier 399.
556
Ebd. 399.
171
III. Kirchen —Sturm 1.
nationalsozialistische Euthanasieprogramm, gegen die "Ausmerze unwerten Lebens" zu protestieren. Die Erklärung Kardinal Faulhabers:
"Ich habe in dieser sittlich—rechtlichen, nichtpolitischen Frage es als
Gewissenspflicht empfunden, zu reden, weil ich als katholischer Bischof
nicht schweigen kann, wenn es sich um die Erhaltung der sittlichen
Grundlagen jeder öffentlichen Ordnung handelt [...]" 557, führt indes
die Argumentation, welche das Schweigen der Kirche zum Genozid
an den Juden als Deeskalationsstrategie verteidigt, ad absurdum:
Warum glaubten die Bischöfe nicht, dass ein Protest zu Gunsten der Geisteskranken und anderer Opfer dieses Massenmordprogramms deren Tod nur
beschleunigen würde, wie es doch
—
heutigen Behauptungen zufolge
—
der
Papst und die Bischöfe geglaubt haben sollen, wären sie für die Juden
eingetreten.558
Die Person Kardinal Faulhabers ist ein gutes Beispiel für die ambivalente Haltung auch derer, welche heute seitens der Kirche gerne als
Widerstandskämpfer "ohne weiteres auf das Pluskonto"559
gebucht
werden. Das im November 1940 an Justizminister Franz Gürtner adressierte Protestschreiben Faulhabers gegen das nationalsozialistische
Euthanasieprogramm war gleichwohl nicht der Ausdruck einer grundsätzlichen Aufkündigung seiner Staatsloyalität oder gar der Gefolgschaft
Hitlers, "für den er ein dauerndes Faible empfand"560 . Faulhabers
Kommentar zum Putschversuch 1944 bestätigt die wider alles Wissen
verteidigte Haltung der Amtskirche. Er bezeichnete das Attentat als
"einen solchen Wahnsinn, der unser Volk in das furchtbarste Chaos
gestürzt und den Bolschewismus in der radikalsten Form zum Siege
geführt hätte" 561 und beeilte sich zu versichern, er habe sich "persönlich
557
Protestbrief Kardinal Faulhabers an Justizminister Franz Gürtner vom 6.11.1940.
Zit.n. Lewy, Die katholische Kirche und das Dritte Reich (Anm. 504) 291.
558
Goldhagen, Die katholische Kirche und der Holocaust (Anm. 538) 84.
559
Denzler, Widerstand oder Anpassung? (Anm. 507) 129.
560
Ebd. 128.
561
Zit.n. ebd. 128.
172
III. Kirchen —Sturm 1.
die Verehrung zum Führer"562 bewahrt.
Es waren vor allem Angehörige des niederen Klerus, die den Verhaltensinstruktionen den Gehorsam verweigerten und der eigenen Angst und
Not zum Trotz mutig handelten. Die Art und Weise, wie sich die Amtskirche heute dieser ihrer wehrhaftesten und wahrhaftesten Vertreter
erinnert, ist nicht frei von Zynismus, wenn man sich vor Augen hält,
was Peter Tropper am Beispiel des Gurker Ordinariates feststellte:
Zurückgeführt wird die hohe Todesrate des Gurker Klerus vornehmlich auf die
mangelnde caritative und psychologische Unterstützung der Geistlichen aus
der Heimat, hauptsächlich durch das Gurker Ordinariat selbst. Damit steht
ein Vorwurf im Raum, der sich auch den Quellen nach nicht ohne weiteres
entkräften läßt.563
Nach Kriegsende waren die überlebenden Heimkehrer der Vernichtungslager im zivilen Leben wie auch in der Kirche wenig willkommen, gemahnten sie doch höchst unliebsam ans eigene Versagen, wie Pfarrer
Eugen Weiler, der drei Jahre lang im KZ Dachau interniert gewesen
war, aus eigenem Erleben zu berichten weiss:
[Nicht selten] sind leider unbegreifliche Verhaltensweisen vorgekommen von
übergeordneten Stellen, um nicht noch deutlicher zu werden, wie: Begrüßung
als verirrtes Schaf nach der Heimkehr! Anweisung an einen abgelegenen
Posten! Welcher Gemeinde können wir zumuten, einen KZ —Priester als
Seelsorger anzubieten?564
Seitens der Amtskirche blieb die Enzyklika Pius des XI., "Mit brennender
Sorge", die einzige Einhalt gebietende Äußerung des Vatikans gegen
den Nationalsozialismus. Dessen Nachfolger, Pius XII., entschied sich
"im tragischesten Augenblick der ganzen neuzeitlichen Geschichte"565
562
Zit.n. ebd. 128.
563
Peter G. Tropper, Kärntner Priester im Konzentrationslager. In: Staat und Kirche in
der "Ostmark", edd. Maximilian Liebmann/Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler
(= Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der
Wissenschaften Salzburg N.F. 70, Frankfurt am Main u.a. 1998) 411-450, hier 449.
564
Zit.n. Denzler, Widerstand oder Anpassung? (Anm. 507) 125.
565
Katz, Papst Pius XII. gegen die Judenvernichtung (Anm. 555) 399.
173
III. Kirchen —Sturm 1.
für eine Politik des Schweigens. "Aus diesem Grunde, mehr als aus jedem
anderen, wurde die katholische Kirche nicht zum Hauptwiderstandszentrum der Konservativen gegen Hitler, was sie eigentlich ihrer Natur
nach hätte sein können."566
Wiewohl es zu keiner formellen Auflösung des Konkordates kam, war
diese Ehe an "unheilbarer Zerrüttung" gescheitert, was seinen unmittelbaren Ausdruck in einer massierten Propagandawelle fand. In Analogie
zur "Blutschande" in der antisemitischen Hetze standen die Promiskuität
im allgemeinen und im besonderen Homosexualität in der antiklerikalen
Propaganda, mit dem gemeinsamen Ziel der Beseitigung von Hemmschwellen durch die Prägung "bis ins Körperliche reichende[r] Abwehraffekte"567 . Als eifernder Lanceur der Invektiven fungierte Julius
Streichers Zeitschrift "Der Stürmer". Ein Lieblingssujet der bevorzugt
pornographischen Karikaturen war der "geile katholische Priester"568 .
Ein zweites Thema, das gleichfalls Parallelen in der antijüdischen Propaganda hat, war der gegen den Klerus vorgebrachte Korruptionsvorwurf. Beide Anwürfe bildeten die Grundlage zahlreicher Prozesse, deren
Ziel es war, das Ansehen der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit zu
unterminieren.
Für die Protestanten hegte Hitler a priori eine ostentative Verachtung:
"Es sind kleine dürftige Subjekte, unterwürfig bis zum Handkuß, und sie
schwitzen vor Verlegenheit, wenn man sie anredet. Sie haben schließlich
gar keinen Glauben, den sie ernst nehmen, und sie haben auch keine
große Herrschaftsmacht zu verteidigen wie Rom."569 Wieso war sich
Hitler der Duktilität der evangelischen Kirchen so sicher, die doch fast
sechzig Prozent der deutschen Bevölkerung umfassten, mithin einen kaum
derart rigoros von der Hand zu weisenden Einflussfaktor darstellten:
566
Prittie, Deutsche gegen Hitler (Anm. 516) 88.
567
Gamm, Der braune Kult (Anm. 500) 165.
568
Prittie, Deutsche gegen Hitler (Anm. 516) 85.
569
Rauschning, Gespräche mit Hitler (Anm. 106) 55.
174
III. Kirchen —Sturm 1.
"Bewußte Protestanten gehörten dem Beamtentum, der Regierung, dem
Generalstab und selbst der NSDAP an. Bis 1945 war das ungeteilte
Deutsche Reich ein vorwiegend protestantischer Staat."570 Einesteils war
es das streng am Pauluswort ausgerichtete Verhältnis der Protestanten
zur Obrigkeit, welches die unangefochtene Überzeugung Hitlers von
der evangelischen Subordination stützte. Seit Luther bildete die im
Brief an die Römer niedergelegte Aufforderung des Apostel Paulus
eine Maxime der protestantischen Lehre:
1. Jeder unterwerfe sich der obrigkeitlichen Gewalt! Denn es gibt keine
Obrigkeit, ohne daß sie von Gott da ist, sondern die, welche da sind, sind
von Gott verordnet.
2. Wer also wider die Obrigkeit sich auflehnt, der lehnt wider Gottes Ordnung
sich auf; aber solche Empörer werden sich selbst Verdammnis zuziehen.
(Sendschreiben Paulus an die Römer, 13,1 —2)
Die protestantische Exegese leitete daraus das Gebot zur Unterwerfung unter jede Gewalt ab, "die noch irgendwie als »rechtmäßig«
angesehen werden konnte"571 , insonderheit vertreten von der Partei
der Deutschen Christen. Letztendlich hatte sich auch Luther 1525 gegen
die aufständischen Bauern auf die Seite der Machtherren gestellt.
Auch die lutheranische Verehrung des Staates, ein ausgeprägt antisemitischer Nationalismus standen nicht eben in Opposition zur nationalsozialistischen Ideologie. Strukturell wähnte sich Hitler wohl aufgrund
der Gespaltenheit der evangelischen Kirchen vor Widerstand gefeit.:
"Es gab so viele unabhängige Gliedkirchen, daß die Historiker sich
kaum über ihre genaue Zahl einigen können; d.h. es gab mindestens
28 unabhängige Provinzialsynoden, es können auch dreißig gewesen
sein."572 Diese Zerrissenheit stand der Widerstandsformierung im Wege,
wozu noch das Fehlen einer internationalen Organisation kam.
570
Prittie, Deutsche gegen Hitler (Anm. 516) 106.
571
Ebd. 108.
572
Ebd. 108.
175
III. Kirchen —Sturm 1.
Ungeachtet dessen scheiterte die am Dünkel genährte Gewissheit Hitlers,
die Protestanten für die Etablierung einer Reichskirche botmäßig in
Dienst nehmen zu können, an der gänzlich unerwarteten Widersetzlichkeit eines Teils der samt und sonders duktil Gewähnten. Während die
Deutschen Christen, die federführende Fraktion im landeskirchlichen
Protestantismus, für eine Reichskirche lutherischer Prägung optierten,
"die die Hoheit des nationalsozialistischen Staates aus Glauben anerkennt und das Evangelium im Dritten Reich verkündigt"573 , für eine
"Kirche der deutschen Christen, das heißt der Christen arischer Rasse" 574,
formierte sich im Laufe des Jahres 1934 mit der Bekennenden Kirche
eine starke Gegenbewegung. Zwei Bekenntnissynoden der Bekennenden
Kirche im Mai und im Oktober 1934 erklärten das Regiment einer
deutschen Reichskirche unter dem kooperierenden Bischof Ludwig Müller
für illegitim und riefen mit der Proklamation eines kirchlichen Notrechts
zur Gehorsamsverweigerung auf 575.
Zu der Geschichte der "so wenig systematischen Opposition"576 der
Kirchen gegen Hitler bemerkt Terence Prittie, sie entspräche "der
Struktur der Menschheitsgeschichte, die so reich ist an technischen Erfolgen und gleichzeitig so voll der Erkenntnis geistigen Versagens."577
573
Aus den "Kirchengrundsätzen" der Deutschen Christen vom 5.5.1933. Zit.n. Kurt
Meier, Kreuz und Hakenkreuz. Die evangelische Kirche im Dritten Reich (München
1992) 39.
574
Ebd. 39.
575
Vgl. Alfred Rinnerthaler, Die Orden als Feindbilder des NS —Staates. In: Staat
und Kirche in der "Ostmark", edd. Maximilian Liebmann/Hans Paarhammer/Alfred
Rinnerthaler (= Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für
Grundfragen der Wissenschaften Salzburg N.F. 70, Frankfurt am Main u.a. 1998)
351-394, hier 353-354.
576
Prittie, Deutsche gegen Hitler (Anm. 516) 142.
577
Ebd. 142.
176
III. Kirchen —Sturm 2.
III.2.
Enteignung von Kirchenbesitz in Deutschland und Österreich
Mit dem Scheitern des Reichskirchenkonzepts und der Renitenz des
katholischen Säkularklerus "verlor Hitler jegliches Interesse an kirchenpolitischen Experimenten und begann die Kirchen zunehmend als unversöhnliche Gegner seiner politischen Ambitionen einzustufen."578
Damit erhielten die Verfechter einer a priori kirchenfeindliche Linie wie
Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler freie Hand für eine generalstabmäßige Entpolitisierung des kirchlichen und Entkonfessionalisierung
des öffentlichen Lebens. In einer ersten Phase sollte die Kirche sukzessive
aus allen Positionen gedrängt werden, "in denen sie nicht unmittelbar
ihre Aufgabe der Wortverkündung und Sakramentsverwaltung erfüllte" 579.
Der Angriff richtete sich gegen die intrakommunikativen und infrastrukturellen Einrichtungen:
So hat die Kirche nach und nach aufgeben müssen ihre Gewerkschaften, ihre
berufsständischen Organisationen, ihre Jugendformationen, ihre Studentenverbindungen und Altherrenschaf ten, den größten Teil ihrer Caritasorganisation, ihre Privatschulen, den Teil ihrer Presse und ihres Schrifttums,
der über den Bereich des unmittelbar kirchlichen Lebens hinausragte, und
ihre wissenschaftlichen Vereinigungen. Weiter wurde ihr Volksbüchereiwesen
zurückgedrängt und ihre mannigfachen geselligen Veranstaltungen zum
Erliegen gebracht. 580
Die Phase der Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens, welche
massiert ab 1936 einsetzte, folgte der Direktive, "daß der Primat des
völkischen Prinzips und der volksgemeinschaftlichen Einheit kein dieses
Ziel gefährdendes Auftreten und Wirken der beiden christlichen Kirchen
578
Rinnerthaler, Die Orden als Feindbilder des NS —Staates (Anm. 575) 354.
579
Werner Weber, Die staatskirchenrechtliche Entwicklung des nationalsozialistischen
Regimes in zeitgenössischer Betrachtung. In: Rechtsprobleme in Staat und Kirche.
Festschrift für Rudolf Smend zum 70. Geburtstag (= Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien 3, Göttingen 1952) 365-386, hier 371.
580
Ebd. 371.
177
III. Kirchen —Sturm 2.
in der Öffentlichkeit zulasse."581 Zu den Maßnahmen, welche auf eine
Ablösung der religiösen durch die nationalsozialistische Indoktrination
zielten, sind "die Beseitigung der Konfessionsschulen und des Schulgottesdienstes und die Zurückdrängung des Religionsunterrichts sowie
der Anstaltsseelsorge, die Bagatellisierung der theologischen Fakultäten
innerhalb des Hochschulwesens, [...] die Fernhaltung der Kirchen von
Rundfunk und Presse" 582 zu rubrizieren.
Die Marginalisierung der Kirche in ideologisch —politischer Hinsicht
war nur ein Aspekt nationalsozialistischer Zielsetzung. In nämlichem
Maße galten die staatlichen Betreibungen deren planmäßiger Expropriation. Am 12.5.1937 hielt Joseph Goebbels in seinem Tagebuch
fest: "Die Kirchenvermögen [müssen] eingezogen werden."583 Unter
strengen Geheimhaltungsauflagen wurde der Sicherheitsdienst mit der
systematischen Erfassung kirchlicher Besitzstände und Vermögenswerte
beauftragt. Die staatliche Vorgehensweise folgte dem Muster der
"Arisierungen". Die Devisen- und Sittlichkeitsprozesse in den Dreißigerjahren dienten propagandistisch der Erzeugung einer antikirchlichen
Grundstimmung. Darauf folgte die fiskalische Drangsalierung, dieser
die Enteignungen, welche unter dem Schlagwort "Klostersturm" im
Jahr 1941 ihren Höhepunkt erreichten und dem in Deutschland insgesamt
mehr als 300 Klöster und kirchliche Einrichtungen zum Opfer fielen 584.
Mit dem "Anschluss" Österreichs weitete sich die im "Altreich" herrsc hende "Kulturkampfatmosphäre" 585 in versc här f ter Form auf die
nunmehrige "Ostmark" aus. Am 15. März 1938 machte der Wiener
581
Ebd. 372.
582
Ebd. 373.
583
Die Tagebücher von Joseph Goebbels I/4, ed. Elke Fröhlich (München 2000) 135.
584
Vgl. Annette Mertens, Himmlers Klostersturm. Der Angriff auf katholische Einrichtungen im Zweiten Weltkrieg und die Wiedergutmachung nach 1945 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen 108,
Paderborn u.a. 2006) 388.
585
Rinnerthaler, Die Orden als Feindbilder des NS —Staates (Anm. 575) 372.
178
III. Kirchen —Sturm 2.
Kardinal Theodor Innitzer Hitler im Hotel Imperial einen "Huldigungsbesuch". Wenige Tage später suchten sich die sechs regierenden Erzbischöfe und Bischöfe Österreichs den neuen Machthabern mittels
einer "Feierlichen Erklärung" anzudienen. Wiewohl eine erste allzu
emphatisch —devote Fassung redigiert wurde und sich die Loyalitätsadresse etwas verhaltener präsentierte, blieb der Grundtenor der
nämliche:
A us innerster Überzeugung und mit freiem Willen erklären wir unterzeichneten Bischöfe der österreichischen Kirchenprovinz anläßlich der großen
geschichtlichen Geschehnisse in Deutsch —Österreich:
W ir erkennen freudig an, daß die nationalsozialistische Bewegung auf dem
Gebiet des völkischen und wirtschaftlichen Aufbaues sowie der Sozial—Politik
für das Deutsche Reich und Volk und namentlich für die ärmsten Schichten
des Volkes Hervorragendes geleistet hat und leistet. Wir sind auch der
Überzeugung, daß durch das Wirken der nationalsozialistischen Bewegung
die Gefahr des alles zerstörenden gottlosen Bolschewismus abgewehrt wurde.
D ie Bischöfe begleiten dieses Wirken für die Zukunft mit ihren Segenswünschen und werden auch die Gläubigen in diesem Sinne ermahnen.
A m Tage der Volksabstimmung ist es für uns Bischöfe selbstverständliche
nationale Pflicht, uns als Deutsche zum Deutschen Reich zu bekennen, und
wir erwarten auch von allen gläubigen Christen, daß sie wissen, was sie
ihrem Volke schuldig sind.586
Wie ihre deutschen Amtsbrüder wünschten sich auch die österreichischen
Bischöfe "den Staat als Schutzmacht. So waren sie es jahrhundertelang
gewohnt gewesen."587 Vergessen war die kurze Spanne der Ersten
Republik, "als die Kirche mit Wahlaufrufen entscheidend in die Politik
eingegriffen und diese selbstverständlich entscheidend mitgeprägt
hatte [...]."588 Die Subordination ging freilich ins Leere. Nach den Er586
Maximilian Liebmann, Kardinal Innitzer und der Anschluss. Kirche und Nationalsozialismus in Österreich 1938. (= Grazer Beiträge zur Theologiegeschichte und
kirchlichen Zeitgeschichte 1, Graz 1982) 70.
587
Stefan Moritz, Grüß Gott und Heil Hitler. Katholische Kirche und Nationalsozialismus
in Österreich (Wien 2 2002) 75.
588
Ebd. 76.
179
III. Kirchen —Sturm 2.
fahrungen im "Altreich" dürfte Hitler an einem Konkordat mit Österreich
a priori wenig Interesse gehabt haben, weswegen auch eine Erweiterung
des bestehenden Kirchenvertrages auf die "Ostmark" erst gar nicht
zur Debatte stand. Hier bot sich endlich die Gelegenheit, ohne ärgerliche
Retardationen vorgehen zu können:
1. Das österreichische Konkordat ist durch und mit der Wiedervereinigung
Österreichs mit dem Deutschen Reich von selbst erloschen, da Österreich
durch diese Wiedervereinigung als selbständiger Staat untergegangen ist
und seine Stellung als Völkerrechtssubjekt verloren hat.
2. Die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich hat nicht zur
Folge, daß sich das Reichskonkordat automatisch auf das Land Österreich
erstreckt, da dieses Konkordat auf die Verhältnisse des Altreichs zugeschnitten ist und infolge dieser Eigenart auf die Verhältnisse in Österreich
keine sinngemäße Anwendung finden kann.
3. Daraus ergibt sich, daß in Österreich zur Zeit ein konkordatloser Zustand
herrscht.589
Die Zuständigkeit des Reichsministeriums in Berlin für kirchliche Angelegenheiten wurde sukzessive beschnitten, um 1940 zunächst Martin
Bormann, ein Jahr später dann den Reichsstatthaltern übertragen zu
werden 590. Ein Schreiben Bormanns an die Gauleiter vom 13. Jänner 1941
wird mehrheitlich als Initialzündung für den so genannten "Klostersturm" angesehen, darin er dazu aufrief, Klöster einer "allgemein geeignet erscheinenden Verwendung"591 zuzuführen. Unbehindert von
Vertragsbindungen wurden innert weniger Monate all jene Maßnahmen
durchgesetzt, welche im "Altreich" seit 1933 progredient den Geltungsbereich der Kirche kupiert hatten: Die Schliessung sämtlicher konfessioneller Privatschulen, Kindergärten und Heime, respektive deren Über589
Österreichs Stifte unter dem Hakenkreuz. Zeugnisse und Dokumente aus der Zeit
des Nationalsozialismus 1938 bis 1945, ed. Sebastian Bock. In: Ordensnachrichten 34,4A (1995) 12.
590
Vgl. Mertens, Himmlers Klostersturm (Anm. 584) 266.
591
Zit.n. ebd. 389.
180
III. Kirchen —Sturm 2.
führung in öffentliche Trägerschaft. Die Auflösung kirchlicher Pfarr- und
Vereinsbüchereien. Die Abwertung des Religionsunterrichts zum "unverbindlichen Gegenstand" bei gleichzeitiger Einführung einer exponierenden Anmeldepflicht für Besuchswillige 592. Das Erscheinen katholischer Zeitungen und Zeitschriften wurde eingestellt, die Druckereien
enteignet und nicht selten in Gauverlage umgewandelt. Zwischen 1938
und 1945 wurden 724 österreichische Priester inhaftiert. 300 waren
ausgewiesen, über mehr als 1.500 Unterrichts- und Predigtverbote verhängt worden593. Neben diesen reprimierenden Maßnahmen waren aber
vor allem die zahlreichen österreichischen Stifte und Klöster mit ihren
Kunstschätzen und Liegenschaften Objekte des Begehrens der Machtherren. 1933 existierten in Österreich immerhin 275 Niederlassungen
männlicher und 1.123 Niederlassungen weiblicher Orden594. Die Diözese
Gurk in Kärnten zählte zum Stichtag 1.1.1938 19 männliche Orden
und Kongregationen sowie 17 weibliche Ordensgemeinschaften 595.
Die Konfiskationen wurden auf der Grundlage zweier Gesetze vorgenommen. Deren eines war das "Gesetz über die Unterbringung von
öffentlichen Dienststellen" vom 27. Juli 1938.
§1,1: Zur Unterbringung von Dienststellen und Einheiten der Wehrmacht, der
NSDAP und ihrer Gliederungen sowie von Dienststellen des Reichs, des Landes
Österreich und der ehemaligen österreichischen Länder können Grundstücke
herangezogen werden, soweit der zu ihrer Benützung Berechtigte sie für
seinen eigenen Bedarf nicht benötigt oder seinen Bedarf anderweitig decken
kann.
592
Vgl. ebd. 267.
593
Vgl. Erika Weinzierl, Katholische Priester im Widerstand. In: Staat und Kirche in
der "Ostmark", edd. Maximilian Liebmann/Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler
(= Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen
der Wissenschaften Salzburg N.F. 70, Frankfurt am Main u.a. 1998) 473-500,
hier 488.
594
Vgl. Kirchliches Handbuch 1939, 218.
595
Kirche im Gau. Dokumente zur Situation der katholischen Kirche in Kärnten von
1938 bis 1945, ed. Peter G. Tropper (Klagenfurt 1995) 1.
181
III. Kirchen —Sturm 2.
§2,2: Über die Zuweisung entscheidet der Reichsstatthalter. Er bestimmt,
welche Vergütung für die Benützung des Grundstücks zu leisten und inwieweit
dem Berechtigten für Vermögensnachteile, die ihm durch die Entziehung
des Besitzes entstanden sind, eine Entschädigung zu gewähren ist.596
Die zweite Gesetzesgrundlage für einen Vermögensentzug bildete die
"Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich, wodurch die Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens
im Lande Österreich vom 18. November 1938 bekanntgemacht wird".
§1,1: Der Reichsstatthalter (Österreichische Landesregierung) in Wien oder
die von ihm bestimmten Stellen können Vermögen von Personen oder Personenvereinigungen, die volks- und staatsfeindliche Bestrebungen gefördert
haben, sowie Sachen und Rechte, die zur Förderung solcher Bestrebungen
gebraucht oder bestimmt waren oder sind, zugunsten des Landes Österreich
einziehen.
§1.2: Der Reichsminister des Inneren oder die von ihm bestimmten Stellen
stellen fest, welche Bestrebungen als volks- und staatsfeindlich anzusehen
sind.597
Von den insgesamt etwa 1.400 österreichischen Ordensniederlassungen
wurden an die 200 konfisziert598 .
Wiewohl die vorliegende Untersuchung in diesem Kapitel mit den
konfessionellen Bibliotheken einen
—
bezogen auf die Enteignung von
Mobilien und Immobilien im Bereich der katholischen Kirche insgesamt
—
marginalen und sehr speziellen Aspekt in den Blick nimmt, haben
sich die hierzu aufgefundenen Quellen als hinlänglich aussagekräftig
er-wiesen, um die allgemeinen Ausführungen zum Thema Kirchenraub
pars pro toto zu exemplifizieren. Die folgenden Abschnitte werden
—
entsprechend den Stoßrichtungen, welche die nationalsozialistische Enteignungspraxis nahm und gemäß den Unterschieden in den Verfahrens596
Gesetzblatt für das Land Österreichs ÖGBl 1938, 84, 124 vom 27.7.1938.
597
Gesetzblatt für das Land Österreichs ÖGBl 1938, Stück 167, Nr. 589, 2991 vom
27.7.1938.
598
Vgl. Mertens, Himmlers Klostersturm (Anm. 584) 274.
182
III. Kirchen —Sturm 2.
weisen und Motiven
—
einerseits die Beschlagnahme von Pfarr-, Schul- und
kleineren Konventbüchereien behandeln, zum anderen die Requirierung
der zigtausend Bände umfassenden Stifts- und Klosterbibliotheken.
183
III. Kirchen —Sturm 2.1.
III.2.1. Die Beschlagnahme von Büchern im Zuge der nationalsozialistischen Entkonfessionalisierungsmaßnahmen
Bereits im Dezember 1938 wurden die Bibliotheken kirchlicher Trägerschaft per Erlass mit dem Verdikt belegt, keine Bücher mehr in ihrem
Bestand haben, geschweige denn verleihen zu dürfen, welche nicht
"rein religiösen Inhalts" waren:
An alle Gemeinden
Die Säuberung der verschiedenen, unter allen möglichen Namen aufscheinenden Volksbüchereien von unerwünschtem Schrifttum ist im Gange.
Von der Sichtung können auch die Pfarr- oder von konfessionellen Vereinen
erhaltenen Büchereien nicht ausgenommen werden, da die Kulturpolitik des
Nationalsozialismus es nicht zulassen kann, dass die oben genannten
Büchereien anderes als rein religiöses Erbauungsschrifttum führen.
Der Minister für innere und kulturelle Angelegenheiten hat daher im Einvernehmen mit dem Stillehaltekommissar [!] für Vereine, Organisationen
und Verbände angeordnet, dass in Hinkunft, spätestens ab 1.Jänner 1939, in
sämtlichen Pfarr- und von konfessionellen Vereinen erhaltenen Büchereien der
Ostmark nur Werke geführt werden dürfen, die in einer von den Beauftragten
des Stillehaltekommissars [!] erstellten und vom Ministerium genehmigten
Grundliste aufscheinen. Diese Grundliste erhebt zunächst noch nicht Anspruch
auf Vollständigkeit, jedoch ist die Belassung oder Aufnahme weiterer Werke
des Erbauungsschrifttums in die Pfarr- oder von konfessionellen Vereinen
geführten Büchereien nur nach ausdrücklicher im Einzelfall einzuholender
Genehmigung durch das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abteilung IV, Wien I., Minoritenplatz 5, zulässig.599
Die so genannte "Grundliste", herausgegeben vom Ministerium für
innere und kulturelle Angelegenheiten, Abteilung IV, Erziehung, Kultus
und Volksbildung, führte 387 Titel an, welche es den Pfarrbüchereien
noch gestattet war, sie den Lesern zur Verfügung zu stellen. Alle anderen
Bücher wurden beschlagnahmt und den öffentlichen Bibliotheken über599
Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 15.12.1938. AdDG, Kt. 8/1937-1945/I.
184
III. Kirchen —Sturm 2.1.
geben. Erstellt worden war die Liste von zwei eigens einberufenen
"Fachmännern": "Ein Sachverständiger wurde von Kardinal Innitzer
nominiert, ein zweiter, Mitarbeiter der Nationalbibliothek, vom Stillhaltekommissar." 600 Die Vorgehensweise ist bezeichnende für die nationalsozialistische Manier, einen Willkürakt durch dessen Einkleidung in
das Gewand eines streng formalisierten und legislatorisch justifizierten
Verfahrens zu "objektivieren" und tunlichst mit Hilfe der Betroffenen
(hier der katholischen Kirche) in der Funktion von Erfüllungsgehilfen
durchzusetzen.
Beide Maßnahmen, das Verbot wie die Beschlagnahme von Büchern
nicht genehmen Inhalts, hatten vor allem eine symbolische Wirkmächtigkeit. Sie wiesen der Kirche demonstrativ ihren Platz innerhalb
der Gesellschaft zu und unterstrichen die Funktionsbeschneidung auf
ausschließlich seelsorgerisches Gebiet. Die im ländlichen Raum bis
dato überwiegend durch die Pfarrbüchereien erfüllte Funktion der
Kulturvermittlung sollte künftighin nach dem Vorbild des "Altreichs"
auch in der "Ostmark" von "Volksbüchereien" übernommen werden. Es
versteht sich von selbst, dass die Volksbüchereien keine liberalen Leseanstalten waren, sondern "politische Institution[en]"601 im Dienste der
ideologischen Indoktrination. Um die Volksbüchereien als Distributionsstellen der nationalsozialistischen Propaganda und Gesinnungsmultiplikatoren nutzen zu können, "musste der flächendeckende Ausbau
des Bibliothekswesens forciert in Angriff genommen werden."602 Nach
einer Expansionsphase in Deutschland zwischen 1933 und 1939, im
600
Verena Pawlowsky/Edith Leisch — Prost/Christian Klösch, Vereine im Nationalsozialismus. Vermögensentzug durch den Stillhaltekommissar für Vereine,
Organisationen und Verbände und Aspekte der Restitution in Österreich nach
1945 (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS —Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit
1945 in Österreich 21: Vereine Stiftungen und Fonds im Nationalsozialismus 1,
Wien/München 2004) 65.
601
Koch, Das Bibliothekswesen im Nationalsozialismus (Anm. 110) 49.
602
Ebd. 50.
185
III. Kirchen —Sturm 2.1.
Zuge derer 4.579 Bibliotheksgründungen 603 zu verzeichnen waren,
konzentrierte sich der Aufbau des Bibliothekswesens nach 1938 auf
die "angeschlossene Ostmark" und die annektierten Länder. Als Relaisstellen des Bibliothekenaufbaus fungierten in den jeweiligen Reichsgauen
zentrale Volksbüchereistellen. So wurden etwa bis 1942 seitens der
Volksbüchereistelle Klagenfurt für den Raum Kärnten und Steiermark
122 Gemeindebüchereien eingerichtet604 . Daraus wird ersichtlich, "mit
welcher Verbissenheit in diesem System gearbeitet wurde"605 und auch,
wohin die beschlagnahmten Bibliotheken anderer Einrichtungen flossen.
Das erste Heft der "Ostmarkbücherei" vom April/Mai 1939 veröffentlichte
die "Richtlinien für das Volksbüchereiwesen" des Reichs- und Preußischen
Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 26. Oktober
1937. Hier wurde das ehrgeizige Konzept vorgestellt, "daß in jeder
Gemeinde, die 500 und mehr Einwohner hat, eine Standbücherei
vorhanden ist "606 . Als deren Kernfunktion wird die Aufgabe bezeichnet,
"das Erbe der völkischen Überlieferung zu pflegen, das für die politische
und weltanschauliche Schulung und die Berufsausbildung wichtige
Schrifttum bereit zu halten, volkhaftes Unterhaltungsschrifttum und
gutes Jugendschrifttum zu vermitteln."607 Für den Raum Kärnten von
Bedeutung war zudem eine Sonderform des Volksbüchereiwesen, das
"Grenzbüchereiwesen", gedacht als eine Art ideologisches Bollwerk
gegen unerwünschte Fraternisierung: "Besondere Förderung und Aufmerksamkeit ist dem Aufbau eines starken Volksbüchereiwesens in den
Grenzgebieten zuzuwenden, da die Volksbüchereien in hohem Maße
befähigt sind, wichtige Aufgaben zu übernehmen, die sich aus den
603
Vgl. ebd. 50.
604
Vgl. Presslauer, Das Volksbüchereiwesen (Anm. 12) 53.
605
Ebd. 53.
606
Richtlinien für das Volksbüchereiwesen vom 26.10.1937. In: Die Ostmarkbücherei
1/2 (1939) 9.
607
Ebd. 10.
186
III. Kirchen —Sturm 2.1.
grenzpolitischen Notwendigkeiten ergeben."608
Die in der eingangs zitierten Gemeindeaussendung so fälschlich wie
bezeichnend gebrauchte Wendung "Stillehaltekommissar" verweist
wiederholt auf die Autorität des "Stillhaltekommissars für Vereine,
Organisationen und Verbände", wie die vollständige und korrekte
Bezeichnung der Dienststelle lautete. Die Aufgabe der unmittelbar
nach dem "Anschluss" eingerichteten und im Mai 1938 gesetzlich
verankerten Behörde609 , die von vornherein als eine Übergangseinrichtung gedacht war, bestand in der organisatorischen Angleichung
der österreichischen Vereinslandschaft an jene des "Altreichs". Bei der
Entscheidung über den Fortbestand, die Überführung oder Auflösung
bestehender Vereine wurde besonderes Augenmerk darauf gerichtet,
dass "die Satzungen der Vereine, Organisationen und Verbände, insbesondere auch hinsichtlich der Vermögensverwertung"610, dem am 17.
Mai 1938 erlassenen "Gesetz über die Überleitung und Eingliederung
von Vereinen, Organisationen und Verbänden" nicht entgegenstünden,
desgleichen, "daß alle Vereine, Organisationen und Verbände nationalsozialistisch ausgerichtet und geführt werden"611. Es ging kurzum wieder
einmal um Geld und Einflussnahme. Das Gesetz bot dem Stillhaltekommissar "ein absolutes Eingriffsrecht"612 in die finanzielle und organisatorische Gebarung der Vereine inklusive der unanfechtbaren 613
Berechtigung zur Vermögensbeschlagnahmung und Verbandsauflösung.
Zu den kulturellen Verbänden im Aktionsradius des Stillhaltekommissars
608
Ebd. 11.
609
Vgl. Pawlowsky/Leisch —Prost/Klösch, Vereine im Nationalsozialismus (Anm. 600)
26.
610
Verordnung des Reichsstatthalters (Österreichische Landesregierung) zur Durchführung des Gesetzes über die Überleitung und Eingliederung von Vereinen,
Organisationen und Verbänden, Nachrichtenblatt 1, GBlÖ 44/1938. Zit.n. ebd. 52.
611
Zit.n. ebd. 53.
612
Ebd. 53.
613
Vgl. ebd. 52.
187
III. Kirchen —Sturm 2.1.
zählten auch Büchereien, wobei nicht alle Bibliothekstypen hier von
gleichem Interesse waren:
Schulbüchereien waren beispielsweise ausgenommen, während mobile (so
genannte Wander—)Büchereien der Arbeiterkammer sehr wohl der Zuständigkeit des Stillhaltekommissars unterlagen (sie wurden zur Gänze der DAF
[Deutsche Arbeitsfront] eingewiesen).614
Auch die Arbeiterkammerbücherei in Klagenfurt fiel den "Säuberungsmaßnahmen" des Stillhaltekommissars zum Opfer: "Nach Auflösung
der Arbeiterkammern wurde diese zur Stadtbücherei der Gauhauptstadt
Klagenfurt umfunktioniert und im hiesigen Rathaus der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht." 615
Was die Zuteilung der aufzulösenden Büchereien anbelangt, überkreuzten sich ein weiteres Mal die Zuständigkeitsbereiche: Neben
dem Deutschen Volksbildungswerk suchte auch das Reichsministerium
für Wissenschaft, Erziehung und Volksaufklärung seine "Reichszuständigkeit für das Gebiet der Erwachsenenbildung"616 geltend zu machen
unter Berufung auf eine mit dem Reichsinnenministerium getroffene
Einigung, wonach "Büchereien mit selbständiger Tätigkeit an die betreffende Gemeinde überführt wurden, während solche, die mit einem
Volksbildungsverein verbunden waren, gemeinsam mit diesem in die
DAF eingewiesen wurden."617 Allerdings war die rurale Bibliothekenlandschaft der "Ostmark" dünn besiedelt, hier hatten die Pfarrbüchereien
die kulturvermittelnde Rolle inne. Obgleich die katholische Kirche selbst
dem Aufgabenbereich des Stillhaltekommissars formal ausgespart blieb,
"[waren] die unzähligen katholischen Vereine und Kongregationen, sowie
der große Komplex des Caritasverbandes und der Kolpingfamilie jedoch
614
Pawlowsky/Leisch —Prost/Klösch, Vereine im Nationalsozialismus (Anm. 600) 64.
615
Presslauer, Das Volksbüchereiwesen (Anm. 12) 58.
616
Pawlowsky/Leisch —Prost/Klösch, Vereine im Nationalsozialismus (Anm. 600) 64.
617
Ebd. 64, Erläuterung zu Fussnote 204.
188
III. Kirchen —Sturm 2.1.
sehr wohl Gegenstand seiner Tätigkeit."618 Aus Gründen der Indoktrinierungshoheit galt ein besonderes Augenmerk den katholischen
Büchereiverbänden: "Sie wurden aufgelöst, ihre Bestände gingen entweder an Gemeindebüchereien oder an das Deutsche Volksbildungswerk (einen Teil der DAF)."619 Die Pfarrbüchereien wurden auf der
Grundlage der oben genannten "Grundliste" behandelt: "Was dort
enthalten war, konnte retourniert werden."620 Der Rest wiederum zerfiel
in die zwei Gruppen, jene des erwünschten und des unerwünschten
Schrifttums. Ersteres ging an die gemeindeeigene Bücherei, sofern eine
solche bestand, letzteres an die Gestapo. Was die materielle Seite
anbelangt, waren die betroffenen Pfarrbüchereien allerdings vollkommen
uninteressant: "Das meiste, was sich in katholischen Bibliotheken fand,
erhielt das Attribut »wertlos«."621
Im Archiv der Diözese Gurk fand sich unter den Archivalien zum
Vermögensentzug im Bereich der katholischen Kirche in Kärnten seitens
der nationalsozialistischen Regierung ein für diese Arbeit sehr wertvolles, da aussagekräftiges Schriftstück, welches über die Enteignung
der Pfarrbüchereien Auskunft gibt. Es handelt sich dabei um eine seitens
der Diözese begonnene Liste, welche 13 Bibliotheken anführt, die von
obiger Maßnahme betroffen waren und sich in der Folge intimierend
und mit dem Ersuchen um Beschwerdeführung an das Gurker Ordinariat
wandten.
618
Ebd. 58.
619
Ebd. 64.
620
Gretl Köfler, Auflösung und Restitution von Vereinen, Organisationen und Verbänden in Tirol (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission.
Vermögensentzug während der NS—Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen
seit 1945 in Österreich 21: Vereine, Stiftungen und Fonds im Nationalsozialismus
3, Wien/München 2004) 59.
621
Ebd. 59.
189
III. Kirchen —Sturm 2.1.
Archiv der Diözese Gurk, Bestand Kirchenvermögen, Karton 3.
Die Angaben lassen erkennen, dass die Beschlagnahmen in zwei Wellen
stattfanden: Die erste zu Jahresbeginn 1939, was auf die Tätigkeit des
Stillhaltekommissars verweist, die zweite nach einjähriger Sistierung
im Frühsommer 1941 als staatspolizeiliche Maßnahme. Hiezu wurde im
"Kirchlichen Verordnungsblatt für die Diözese Gurk" vom 26. April 1941
unter Punkt 69, Pfarrbücherei, eine Anordnung der Gestapo veröffentlicht:
Die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Klagenfurt, teilt unter 9. April
1941, Zl. II B 221/41 anher mit, daß
»Katholische Pfarrbüchereien in Hinkunft nur noch Schriften und Bücher
enthalten und ausleihen dürfen, die katholisch —religiösen oder erbaulichen,
katholisch — kulturellen oder katholisch — karitativen Inhalts sind, wobei es
belanglos ist, ob es sich um Werke der Dichtung und des erzählenden
Schrifttums oder um Bücher des Sachschrifttums handelt. Pfarrbüchereien,
die bisher dieser Anordnung nicht nachgekommen sind, haben ab sofort
190
III. Kirchen —Sturm 2.1.
das Ausleihen von Büchern einzustellen.
Bei der Ausscheidung des erzählenden und unterhaltenden Schrifttums ist
ein strenger Maßstab anzulegen, so daß nur solche Schriften übrig bleiben,
die infolge ihres Themas und ihres ausgesprochen religiösen und erbaulichen
Charakters dem religiösen Schrifttum zugerechnet werden können. Gemäß
Erlaß des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei vom 20.12.1940
B 4 a Nr. 3136/C unterliegt die Überwachung dieser Maßnahme der
zuständigen Staatspolizeistelle«.
Ferner müssen alle anderen Bücher, die ausgeliehen sind, zurückgezogen
und die Titel aus den öffentlich zugänglichen Katalogen gestrichen werden.
Vorstehendes Schreiben wird den hochwürdigen Pfarrvorständen zur Kenntnisnahme mitgeteilt. Soweit in unserer Diözese Pfarrbibliotheken noch bestehen,
ist über das Veranlaßte bis 15. Mai ds.J. anher zu berichten.
Klagenfurt, am 25. April 1941
Fb. Gurker Ordinariat. Dr. Andreas Rohracher622
Als beschlagnahmende Organe werden in der Rubrizierung des Gurker
Ordinariates Gestapo, Gendarmerie und die Kreisleitung der NSDAP
genannt. Was sich der Liste, beziehungsweise den Zahlenangaben über
die eingezogenen Bücher überdies entnehmen lässt, ist die maßgebliche
Rolle in der Kulturvermittlung, welche die Pfarrbüchereien gerade im
ländlichen Raum gespielt haben. Rechnet man die im Besitz belassenen
Werke hinzu, kommt man zu dem Ergebnis, dass die einzelnen Bibliotheken doch einen Umfang von durchschnittlich 1.000 und mehr Titeln
gehabt haben dürften.
Aufgrund der genauen zeitlichen Angaben zu den staatlichen Übergriffen war es möglich, in den Protokollbüchern des Gurker Ordinariates
eine ganze Reihe weiterer Meldungen betreffend die Beschlagnahme
von Pfarrbüchereien ausfindig zu machen. Die entsprechenden Eingaben
der Pfarrämter, auf welche sich die Einträge beziehen, waren im erschlossenen Aktenbestand allerdings nicht ausfindig zu machen. Nach
Angaben des Archivars der Diözese Gurk, Univ.Doz.Dr. Peter Tropper,
622
Kirchliches Verordnungsblatt für die Diözese Gurk 9 (1941) 40.
191
III. Kirchen —Sturm 2.1.
besteht die vage Möglichkeit, dass sie in einem bis dato noch nicht
gesichteten und freigegebenen Archivbestand erhalten sein könnten.
Die beiden folgenden Tabellen enthalten die Abschriften der pfarramtlichen Eingaben an das Ordinariat und sind auch der Form nach
den Eingabebüchern nachempfunden:
Einreichungs- und Expediten —Protokoll bei der
f. —b. Gurker Konsistorial —Kanzlei
Erstellt
Eingelangt
Adressant
122
14.01.1939
16.01.1939
Pf.A. Berg
Buch: int., daß die Pfarrbücherei bisher noch nicht
beschlagnahmt wurde
G.V.
135
12.01.1939
17.01.1939
Pf.A.
St. Andrä
berichtet über Beschlagnahme der Pfarrbücherei
G.V. an
Pf.A. Mitteilung,
daß bereits Beschwerde erhoben wurde
135
13.01.1939
17.01.1939
Kollegium
S.J.
St. Andrä
übermittelt seine Stellungnahme an die Kreisleitung
der N.S.D.A.P. in Wolfsberg
in der Büchereifrage
G.V. an
Rektorat S.J.,
St. Andrä
Mitteilung hiervon
149
16.01.1939
18.01.1939
Pf.A.
St. Leonhard/
Lav.
berichtet über Beschlagnahme der Pfarrbücherei
G.V.
150
16.01.1939
18.01.1939
Pf.A.
Pörtschach/
Sec.
berichtet über Verweigerung
der verlangten Herausgabe
der Pfarrbücherei
G.V.
167
14.01.1939
19.01.1939
Ord. Wien
Bücher: int., daß gegen
Erlaß zur Beschlagnahme
der Pfarrbüchereien Einspruch eingelegt wurde
G.V.
176
15.01.1939
20.01.1939
Pf.A.
St. Paul/Lav.
berichtet über Beschlagnahme der Bücherei
G.V.
192
Gegenstand
Adressent/
Antwort
Zl.
III. Kirchen —Sturm 2.1.
Gegenstand
Adressent/
Antwort
Zl.
Erstellt
Eingelangt
Adressant
481
22.02.1939
23.02.1939
Kollegium
S.J.
St. Andrä
legt Eingabe an L.H. um
Freigabe der Bibliothek
z.K. vor
G.V. an
L.H.: Ersuchen
um Freigabe
G.V. an
S.J. St. Andrä
mitgeteilt
L.H., 21.4.,
erklärt, daß nur
rein kirchliche
Bücher von der
Beschlagnahme
ausgenommen
sind
303
03.02.1939
06.02.1939
Pf.A.
Millstatt
int. Beschlagnahme einzelner Bibliotheksbücher
und des Katalogs
G.V.
516
25.02.1939
27.02.1939
Seelsorgeamt
Innsbruck
Buch: ersucht um Mitteilung
über der [!] Stand der
Angelegenheit "Beschlagnahme der Büchereien"
G.V. an —
mitgeteilt, daß
ha. Intervention
bei L.St. die
Aktion sofort eingestellt wurde
und gegenwärtig
ruht, 28.2.
577
25.02.1939
06.03.1939
Ord. Linz
Buch: über den Stand der
Frage "Beschlagnahme der
Büchereien in Linz
G.V.
Verweis auf
3187b
[1939]
577
11.03.1939
18.03.1939
Ord. Linz
bringt Gegenäußerung des
Ord. gegen den Standpunkt
der L.H. zur Kenntnis
G.V.
318
7a
21.08.1939
22.08.1939
Pf.A. Stall
meldet den Versuch der
NSDAP Pfarrbücherei für
die Gemeinde zu beschlagnahmen
G.V.
318
7b
21.08.1939
22.08.1939
Pf.A.
Oberdrauburg
Buch: übermittelt Verzeichnis
der 387 noch erlaubten
Bücher f. Pfarrbüchereien
und Erlaß der Bez.H. Linz
v. 15/12 38 an alle
Gemeinden
G.V.
Tabelle 1
193
III. Kirchen —Sturm 2.1.
Ein- und Auslauf —Protokoll beim f. —b. Gurker Ordinariat 1941
Zl.
Erstellt
Eingelangt
4931
09.04.1941
15.04.1941
4931
a,b,c
28.4.1941
3.5.1941
6.5.1941
2.5.1941
9.5.1941
9.5.1941
5288
5289
5290
14.5.1941
20.5.1941
23.5.1941
5293
5294
5295
28.5.1941
31.5.1941
7.6.1941
Adressant
Gegenstand
Gestapo
Buch: meldet, daß auf
Veranlassung des Stell. des
Führers die Gestapo zu
wachen hat, daß aus allen
kathol. Büchereien nicht —
religiöse Bücher entfernt
werden
G.V.
a) Pf.A.
b) St. Veit
b) Pf.A.
Gurk
c) Pf.A.
Radlach
a: erbittet Weisungen wg.
Gendarmerie Nachfrage
b: meldet Beschlagnahme
der nicht—relig. Bücher (353)
c: ebenso
[Nachtrag]: 4.) 17.12.
Holz erbittet Intervention
wg. relig. Bücher
G.V. auf KVBl.
9/41 S. 40
verwiesen
6.5.1941
Mittlg., daß
Gestapo die
Frist zur Einforderung
nicht —relig.
Bücher bis 15/
5 erstreckt
vide 5288 ff.
Buch: Entsprechung des
h.a. Erl. 26/4 KVBl. S. 40
melden Pf.Ä.
1.) Rangersdorf
2.) 20/5 Kirchbach
3.) Stockenboi
Bleiberg, S t. Marg.Ros
(Beschlagnahme der nicht
relig. Bücher)
G.V.
Beschlagnahme der nicht
religiösen Bücher meldet:
Bleiburg
Pf.A . Gurk erbittet Einschreiten bei Gestapo wg.
Rückgabe
Pf.A. Reichenfels ebenso
(als Urgenz einer Zuschrift
v. 28/4
Pf.A. Ferlach meldet Beschlagnahme der Pf. Büch.
Zell, S t. Margare t hen,
Kappel
G.V.
Tabelle 2
Abkürzungen:
G.V.
h.a.
int.
KVBl.
Ord.
Pf.A.
=
=
=
=
=
=
Adressent/
Antwort
Generalvikar
hieramtlich
intimiert
Kirchliches Verordnungsblatt
Ordinariat
Pfarramt
194
III. Kirchen —Sturm 2.1.
Was die Liste nicht wiederzugeben vermag, ja eigentlich tilgt, ist das
mit dem Erfassten verbundene Erleben. In der Pfarrchronik der
Gemeinde Villach enthaltene Schilderungen des schikanösen Verfahrens
und der Enttäuschung, die mit dem gewaltsamen Ende einer Tätigkeit
verbunden war, welche für deren Betreiber weit mehr als Pflichterfüllung
war, lässt hinter der Kargheit einer Auflistung das Geschehen lebendig
werden: "Liber memorabilium IV" der Pfarre Villach St. Nikolai,
1933/34 —1942:
Leihbibliothek: Die Leihbibliothek wurde mit 14. Jänner 1939 geschlossen.
Dies geschah auf einer [!] Verordnung des Ministeriums für innere und
kulturelle Angelegenheiten hin. Diese solle im Einvernehmen mit dem Stillhaltekommissär für Vereine, Organisationen und Verbände die Pfarr- und
Vereinsbüchereien in der Richtung säubern, dass diese nur mehr rein religiöse
Erbauungsbücher führen. Die anderen Bücher sollten an die Gemeindebüchereien abgeliefert werden. Die Bücher sind aber Eigentum des Klosters
teilweise, die übrigen sind Eigentum der Pfarre St. Nikolai Villach. Die
Bibliothek wurde geschlossen, abgefordert wurde bis zur Stunde nichts. [...]
[Vor Maria Himmelfahrt] Leihbibliothek: Zwei Mal von der Gestapo, einmal
von der Bezirkshauptmannschaft und einmal von der Stadtgemeinde wurde ein
Verzeichnis der Bücher abgefordert. Weiter ist nichts geschehen bis dahin.
Leihbibliothek: Endlich nach langer Stillegung wurden die Bücher unserer
Pfarrleihbibliothek am 24. und 25. mittels Autos abgeholt um sie der allgemeinen Stadtleihbibliothek einzuverleiben. Es handelte sich um rund 4000
Bände; die rein religiösen Bücher wurden später wieder zurückgeschickt.
So ist eine 15 Jahre bestehende Pfarreinrichtung, die viel Geld und Mühe
im Laufe der Jahre gekostet hat, ins allgemeine Volkswohl übergegangen.
Es gab wohl keinen Pater, der einmal hier war, der sich [!] seine eigensten
Privatbücher hiefür hergegeben hatte."623
623
Liber memorabilium IV der Pfarre Villach St. Nikolai, AdDG, Pfarrarchiv Villach —
St. Nikolai 252.
195
III. Kirchen —Sturm 2.1.
Innerhalb des im Zuge der Durchsetzung der nationalsozialistischen
Deutungshoheit beschlagnahmten religiösen Schrifttums standen im
kärntner Grenzland insonderheit die slowenischen konfessionellen
Bibliotheken im Visier der Machthaber. Das Beispiel des Pfarramtes
Zell—Pfarre demonstriert eindringlich die Inferiorität der Gesinnung und
die Perfidie der Verfolgung. Verschlagenheit, Verhetzung, stumpfer Sinn
und Gewaltlust sind in der rural gefärbten Amtssprache der Mitteilung
des Gendarmeriepostens Zell —Pfarre an die Geheime Staatspolizei
Klagenfurt aus dem Jahr 1943 geronnen:
Pfarrer Vauti kam während des ersten Weltkrieges nach Zell—Pfarre. Er hatte schon damals nationalslowenische Einstellung und hasste das Deutschtum. Vauti agitierte um diese Zeit schon für das Nationalslowenertum und
als die Freiheitskämpfe der Kärntner ausgetragen wurden flüchtete er sich
von Zell —Pfarre, während der Kämpfe.
Durch die Ausleihung von Büchern aus seiner Bücherei hat er zur nationalslowenischen Erziehung der Bevölkerung wesentlich beigetragen, denn die
Bücher die er ausgab, waren alle in slowenischer Sprache geschrieben. Die
Bücherei wurde nach der Machtübernahme beschlagnahmt.624
624
Meldung des Gendarmeriepostens Zell—Pfarre an die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Klagenfurt vom 26.8.1943. AdDG, Pfarrarchiv, Zell bei Ferlach, Kt. 2.
196
III. Kirchen —Sturm 2.1.1.
III.2.1.1. Pfarramt St. Margarethen ob Töllerberg
Im Protokollbuch des Gurker Ordinariates aus dem Jahr 1941 findet
sich auch ein Eintrag, wonach das Pfarramt St. Margarethen im Juni des
Jahres die Beschlagnahme der Pfarrbücherei intimiert (siehe III.2.1.,
Tabelle 2). Ob es sich dabei um die Pfarre Töllerberg gehandelt hat,
ist nicht sicher, aber wahrscheinlich (St. Margarethen im Rosental hatte
die Beschlagnahme der Pfarrbücherei bereit im Mai 1941 gemeldet,
siehe III.2.1., Tabelle 2). Die Vermutung, dass auch das Pfarramt St.
Margarethen über einen Stock an Büchern verfügt haben dürfte, welcher
der Enteignung zum Opfer fiel, liegt jedenfalls nahe und wird zudem
durch die Tatsache erhärtet, dass sich ein Buch mit dem Eigentumsstempel
des Pfarramtes im Bestand der Landeslehrerbibliothek hat finden lassen,
welches im Oktober 1942 inventarisiert wurde.
Mit diesem Buch hat es eine besondere Bewandtnis. Auf dem Vorsatzblatt befindet sich ein mit rotem Buntstift vorgenommener persönlicher
Kommentar: "Beweis des Kulturstandes des »freien ital. Volkes!«".
Unterzeichnet: O[tto]Schuster, Pf[ar]r[er].
Prof. C. Bonatta, Italisches Alpenland. Lesebuch für Elementarschulen, Bolzano,
Milano, o.J.
Mit der Signatur A-4630 [10.1942] in den Bestand der Landeslehrerbiliothek integriert.
197
III. Kirchen —Sturm 2.1.1.
Nach den Personalakten der Diözese Gurk und der Pfarrchronik von
St. Margarethen war Otto Schuster zweimal an der Pfarre Töllerberg
tätig: vom 1.2.1932 bis zum 4.3.1932 als Pfarrprovisor und vom
7.9.1933 bis zum 17.9.1937 als 52. Pfarrer der katholischen Gemeinde
Töllerberg625 .
Otto Schuster war einer jener katholischen Priester, welche von den
Nationalsozialisten ermordet wurden. Wegen angeblicher Homosexualität
am 9.9.1939 verhaftet und in die Strafanstalt Garsten eingewiesen,
wo er bis zum 13.3.1942 interniert blieb626 , wurde Otto Schuster bereits
einen Monat später, am 18.4.1942, von der Gestapo in das KZ Dachau
überstellt627 . Der Bucheintrag, welcher für sich genommen schon einen
625
Personalakte Otto Schuster, AdDG.
Vgl. 950 Jahre Pfarre St. Margarethen ob Töllerberg 1993, ed. Elisabeth Reichmann—
Endres (St. Margarethen ob Töllerberg [1993]) 42.
626
Personalakte Otto Schuster, AdDG.
Zum Vorwurf der Homosexualität als Verhaftungsvorwand vgl. Tropper, Kärntner
Priester im Konzentrationslager (Anm. 563) 415.
627
Die Geistlichen in Dachau sowie in anderen Konzentrationslagern und in Gefängnissen. Nachlass von Pfarrer Emil Thoma, ed. E. Weiler (Mödling 1971) 593.
198
III. Kirchen —Sturm 2.1.1.
expressiven Akt darstellt, wie dessen Inhalt lassen auf einen auch
politisch emphatischen Charakter schließen, was wiederum einer anderen
Quelle Plausibilität verleiht, welche als Verhaftungsgrund einen
Verstoß Schusters "gegen Paragraph 130a RStGB, der Geistlichen die
»Erörterung von Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen
Frieden gefährdenden Weise« verbot"628 , nennt. Auch hinsichtlich seines
Todes gibt es unterschiedliche Versionen: Laut Personalakte der
Diözese Gurk starb Otto Schuster knapp vier Monate nach seiner
Inhaftierung am 25.8.1942 in Dachau und wurde "im dortigen Krematorium am 29.8.1942 [eingeäschert]"629 . In der Nachlassedition von
Pfarrer Emil Thoma, welcher gleichfalls in Dachau interniert war, lautet
die Eintragung zum Tod von Otto Schuster: "Schicksal: Invalidentransport, 12.8.1942" 630. Die Website der "KZ—Gedenkstätte Mauthausen"
dokumentiert die Ermordung Schusters noch etwas präziser: "Am
12.8.1942 wurde er im Rahmen der »Aktion 14f13« von Dachau mit
einem »Invalidentransport« nach Hartheim transferiert und dort
vergast." 631 Die nach dem Aktenkürzel "14f13" bezeichnete "Sonderaktion", auch als "Invaliden —Aktion" bekannt, sollte die Konzentrationslager von so genannten "Ballastexistenzen" "befreien"632 .
628
Laut Website der "KZ —Gedenkstätte Mauthausen" wurde Otto Schuster 1940
"wegen eines Verstoßes gegen Paragraph 130a RStGB, der Geistlichen die
»Erörterung von Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden
gefährdenden Weise« verbot, zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Nach
Verbüßung der Gefängnisstrafe wurde er der Gestapo übergeben, die ihn in das
KZ Dachau überstellte." http://www.mauthausen-memorial.at/index_open.php
(Stand: 27.1.2011).
629
Personalakte Otto Schuster. AdDG .
630
Die Geistlichen in Dachau (Anm. 627) 593.
631
Websit e der "KZ — Gedenkst ätt e Maut hausen", http://www.maut hausenmemorial.at/index_open.php (Stand: 27.8.2010).
632
Siehe dazu: Ernst Klee, "Euthanasie" im NS—Staat. Die "Vernichtung lebensunwerten
Lebens" (= Die Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 9 1999) 345 ff.
Und Joseph Wulf, Aus dem Lexikon der Mörder. "Sonderbehandlung und verwandte
Worte in nationalsozialistischen Dokumenten (Gütersloh 1963) 17 und 88 ff.
199
III. Kirchen —Sturm 2.1.1.
Otto Schuster. Rechte: Sammlung Herbert Exenberger. Website der "KZ—Gedenkstätte
Mauthausen", http://www.mauthausen-memorial.at/index_open.php (Stand:
27.8.2010).
Aber auch einer seiner Nachfolger, Pfarrer Toma Holmar, der 54.
Pfarrer von St. Margarethen (24.10.1937—1.4.1938), geriet ins Visier
der Nationalsozialisten. Er war einer "jener slowenischen Geistlichen,
deren vorläufige oder dauernde anderweitige Verwendung von der
Geheimen Staatspolizei verlangt wurde"633 .
Für das Buch aus dem Pfarramt St. Margarethen ob Töllerberg, in
welchem Otto Schuster mit seinem passionierten Eintrag eine Erinnerungsspur hinterlassen hat, gilt, was Jürgen Babendreier anlässlich
eines ganz ähnlich gelagerten Falles und Fundes formuliert:
633
Kirche im Gau (Anm. 595) 116.
200
III. Kirchen —Sturm 2.1.1.
Die dem einst [...] gehörenden Buch jenseits seines Inhalts anhaftenden
Spuren vereinigen in einem einzigen realen, topologisch präzise verortbaren
Objekt gleichwohl eine Vielzahl heterogener, disparater, assoziativ verknüpfter Merkmale (Topoi): Räume und Zeiten, Personen und Ereignisse,
Botschaften, Interpretationen und Phantasmen. [...]
Die Geschichte der Begegnung mit einem Buch und seinem Besitzer in einer
Bibliothek provoziert Neugier. Die Geschichte ist geeignet, exemplarisch
(a) das epistemologische Interesse, (b) die Methoden und (c) den Gedächtnishorizont zu illustrieren, die uns bei der Suche nach Raubgut im Bibliotheksregal begleiten. In ihren narrativen Elementen spiegeln sich exemplarisch
mehrere epistemische Dimensionen von Bergung (Ver- und Entbergung),
Recherche und Restitution. 634
634
Babendreier, Ausgraben und Erinnern (Anm. 19) 17 und 40.
201
III. Kirchen —Sturm 2.1.2.
III.2.1.2. Privat—Mädchenrealgymnasium der Ursulinen in Klagenfurt
Im Jahr 1929 bewilligte der Landesschulrat für Kärnten die Errichtung
eine Mädchen-Realgymnasiums der Ursulinen, welches noch im selben
Schuljahr mit zwei Klassen in Klagenfurt eröffnet wurde 635. Damit erfuhr der sozialpädagogische Aufgabenbereich des Ordens, welcher
seit 1851 ein Waisenhaus, seit 1903 den ältesten Kindergarten in
Klagenfurt, eine Volks- und Bürgerschule und seit 1904 eine Lehrerinnenbildungsanstalt unterhielt636 , eine weitere Ausdehnung.
Wie bereits dargestellt, zählten die konfessionellen Privatschulen zu
jenen Einrichtungen, welche unmittelbar nach dem "Anschluss" den
nationalsozialistischen Entkonfessionalisierungsmaßnahmen zum Opfer
fielen. Von der Auflösung waren auch sämtliche Bildungs- und Sozialeinrichtungen des Ursulinenordens betroffen, wie Kapitular vikar
Dr. Andreas Rohracher in einem Bericht zur Situation der Diözese Gurk
an Papst Pius XII. 1939 erwähnte:
Wie in ganz Österreich besteht auch in der G[urker] Diözese kein Internat,
Konvikt, Waisenhaus, Kindergarten mehr. Den Ursulinen in Klagenfurt wurde
sogar verboten, Mädchen in der Kochkunst zu unterrichten, weil auch dies
eine konfessionelle Lehrveranstaltung sei.637
Die Mädchenklassen des staatlichen Realgymnasiums und jene der
Ursulinenschule wurden nach deutschem Schulmodell "zu einer »neuen
Anstalt« zusammengefaßt" 638, wie es im 1. Jahresbericht der nunmehrigen
Staatlichen Oberschule für Mädchen in Klagenfurt aus dem Jahr 1939
vermeldet wird. Entsprechend den nationalsozialistischen Vorstellungen
635
Vgl. Wilfried Kuss/Margarete Kattnig —Wendl/Harald Triebnig, Die Ursulinen in
Klagenfurt. 325 Jahre im Dienste der Erziehung und Bildung (Klagenfurt 1995) 98.
636
Vgl. ebd. 90 ff.
637
Bericht von Kapitularvikar Dr. Andreas Rohracher an Papst Pius XII. vom [5.1.1939].
Zit.n. Kirche im Gau (Anm. 595) 61.
638
1. Jahresbericht der Staatlichen Oberschule für Mädchen in Klagenfurt 1938/1939
(1939) 5. UBK.
202
III. Kirchen —Sturm 2.1.2.
einer strikten Geschlechtsrollenverteilung in der Gesellschaft sah auch
das Schulsystem keine koedukativen Erziehungsmodelle vor. Im berichtseinleitenden Jahresrückblick des Schulleiters der neuen Schule klingt
deutlich die Konsternation über die Jähheit des Eingriffs und die daraus
resultierende missliche Lage der Schule nach:
Die Entscheidung war so plötzlich
—
sie kam vierzehn Tage vor Schulbeginn —,
daß man nur mit Mühe das Nötigste beschaffen konnte: vor allem fehlte es
an Bänken, die uns die nunmehrige erste Oberschule für Jungen leihweise
überlassen konnte, da sie ihre Schülerinnen verloren hatte. Wir alle, Eltern,
Lehrer und Schüler, sind uns der Dürftigkeit der augenblicklichen Unterbringung bewußt. Auch fehlt es gewaltig an Lehrmitteln und noch mehr an
der Möglichkeit, Lehrmittel aufzustellen: wir haben einfach keinen Platz
dafür. Das Wenige, das wir haben, teilen wir mit der Volks- und Hauptschule,
die im gleichen Gebäude noch schlechter untergebracht ist.639
Die einschneidende Veränderung der neuen Schulform lag aber im
Bereich der Lehrpläne. Dem nationalsozialistischen Formelvorrat, der
auch diesen Bericht sprachlich durchzieht, gebricht es gegenüber vergleichbaren Elaboraten an der sattsam bekannten rhetorischen Schneidigkeit. Dem Text ist die Anstrengung anzumerken, welche es den Verfasser
kostete, seinen Vorbehalten gegenüber dem oktroyierten Erziehungsmodell zumindest sprachlich ein Gutheißen der "neue[n] Rangordnung
der Erziehungsgegenstände [...]: Körper, Herz, Hirn"640 abzuringen:
Wenn wir uns die neue Stundentafel der Oberschule für Mädchen [...] ansehen, so fällt einem die Zusammenfassung der Schulfächer in Gruppen
auf. in I. Leibesübungen, II. Deutschkunde. III. Naturwissenschaften und
Mathematik, IV. Fremdsprachen und V. Konfessionsunterricht. [...] Es ist
heute nicht mehr nötig, auf die Bedeutung der Leibeserziehung für die Bildung
des Körpers und des Charakters hinzuweisen, man müßte die Jugend nur
vor einem Zuviel warnen! [...] Tritt das bloße Wissen neben der Ausbildung
des Körpers und des Charakters heute auch an die dritte Stelle, so gehört
639
Ebd. [5].
640
Ebd. [5].
203
III. Kirchen —Sturm 2.1.2.
es doch zu den unentbehrlichen Voraussetzungen für die Kulturleistungen
eines Volkes. [...] Wer in der Schule etwas lernen muß, das er »im Leben«
dann nicht mehr braucht, und dies sehr bereut, der möge den Fehler in sich
suchen und sich fragen, was er ohne Schule geworden wäre.641
In der Aufwertung der "Leibeserziehung" gegenüber der "Wissensbildung" in den neuen Lehrplänen spiegelt sich der machttechnische
Zugriff auf den Körper als eines Politikums. Während der Sportunterricht
in den "Jungenschulen" einer vormilitärischen Erziehung entsprach,
wurden die Mädchen im Turnunterricht auf die ihnen zugedachte Rolle
als "Frau und Mutter" sozialisiert.
Hand in Hand mit dem Unterrichtsverbot ging die Besitzenteignung
der Ursulinen. Bereits im Juni 1938 bezogen die NSV, die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, Gendarmerie und Reichsluftschutzbund die
Kloster- und Schulräume642. Dass diesfalls die Enteignung und Usurpation
nicht gänzlich widerstandslos vonstatten gegangen sein dürften, ist
der Berichtlegung des Reichsgauarchivars Emmerich Zenegg über die
"Bestandsaufnahme des Archives des Ursulinenklosters in Klagenfurt"
vom 7. September 1939 zu entnehmen: "Wegen Verhinderung der
Frau Priorin konnte das Archiv des Ursulinenklosters in Klagenfurt erst
jetzt aufgenommen werden."643 Was den vorhandenen Buchbestand
anbelangt erwähnen die Jahresberichte 1931 bis 1937 gleich drei
hauseigene Bibliotheken: die "Schülerbücherei", eine "reichhaltige
Konventsbibliothek" sowie eine "Armenbücherei"644 .
Aus dem Bestand der Schulbibliothek des aufgelösten Mädchen —Realgymnasiums der Ursulinen wurde 1941 ein Lehrbuch in den Bestand
der an die Studienbibliothek angegliederten Landeslehrerbibliothek aufge641
Ebd. [5]-8.
642
Vgl. Kuss/Kattnig —Wendl/Triebnig, Die Ursulinen in Klagenfurt (Anm. 635) 159.
643
LAK, Archivregistratur, Zl. 37/1939.
644
Vgl. Jahresberichte I—V des Privat—Mädchenrealgymnasiums der Ursulinen (mit
Öffentlichkeitsrecht) in Klagenfurt (1932 —1936). UBK, I 28912,1.1931/32—I
28912,5. 1935/36.
204
III. Kirchen —Sturm 2.1.2.
nommen. Die Lehrplanänderungen bedingten selbstredend auch einen
Austausch der Unterrichtsbehelfe, insonderheit der Lehrbücher: Waren im Verzeichnis der Lehrbücher für das Schuljahr 1937/38 für die
1.-8. Klasse noch insgesamt 98 (u.a. auch selbiges Geometriebuch)
Titel aufgelistet, so führte die nämliche Rubrik für das folgende Schuljahr lediglich noch jeweils 1 Schulbuch pro Unterrichtsgegenstand
und Klasse an 645. Die nicht mehr genehmigten Schulbücher dürften
eingezogen und eingestampft worden oder, sofern sie als ideologisch
kompatibel galten, wie im Falle von Mathematik und Geometrie, entsprechend dem beschlagnahmten Buchgut anderer Provenienz umverteilt
worden sein. Es mag sein, dass jenes Lehrbuch auf diese Weise in den
Bestand der Landeslehrerbibliothek gelangte.
Geometrie für die 5. bis 8. Klasse der Mittelschulen. Bearb. von Franz Holzmeister.
Wien 1934.
Mit der Signatur A —4189 ohne Datumsangabe [1941] in den Bestand der Landeslehrerbibliothek aufgenommen.
645
Vgl. VI. Jahresbericht des Mädchen—Realgymnasiums und Oberlyzeums "St. Ursula"
in Klagenfurt 1936/1937 (1937) 16-18. UBK, I 28912,6.1936/37. Und 2. Jahresbericht der Staatlichen Oberschule für Mädchen in Klagenfurt 1939/1940 (1940)
12. UBK, I 28912,2.1939/40.
205
III. Kirchen —Sturm 2.2.
III.2.2. Enteignungen auf der Grundlage der "Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens"
Bei der Beschlagnahme der Pfarr- und konfessionellen Schulbüchereien
war nicht die Bereicherung das handlungsbestimmende Interesse. Vom
materiellen Standpunkt aus betrachtet stand der bürokratische Aufwand,
der mit der Erfassung, Sichtung, Auswahl und daraus folgend der
Makulierung oder Umverteilung verbunden war, in keinem Verhältnis
zum Handelswert der schon durch viele Hände gegangenen Bücher. Die
Konfiskationen im Bereich der kirchlichen Leihbüchereien stellten einen
Akt der indoktrinativen Machtablösung und Durchsetzung der nationalsozialistischen Deutungshoheit dar.
Demgegenüber waren die im Rahmen der "Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens" (siehe Abschn. III.2.)
getätigten Expropriationen von Kircheneigentum Beutezüge im fadenscheinig —ideologischen Mäntelchen. Die Stifte und Klöster mit zumeist
großem Landbesitz waren lohnende Objekte für die nationalsozialistische Raubpolitik. Auch die zur mobilen Vermögensmasse zählenden
Kunstgegenstände und Kulturgüter weckten allenthalben persönliche
und institutionelle Begehrlichkeiten.
Wie der folgende Abschnitt zeigen soll, zählte auch die Öffentliche
Studienbibliothek zu den Nutznießern dieser Beschaffungsaktionen.
Die Bestandsprüfung und die Aktenauswertung haben Verbindungen zu
sechs Kirchenbesitzungen in Kärnten ergeben, die auf der Grundlage
der nationalsozialistischen Zuschnittsgesetzgebung enteignet wurden.
Die beiden von ihrem wirtschaftlichen Umfang her kleineren Objekte
nach deren Einziehung es zur Übernahme von Büchern seitens der Öffentlichen Studienbibliothek kam, waren das Kronprinz—Rudolf—Hospital und
der Konvent der Barmherzigen Brüder St. Veit a.d. Glan, die bereits 1939
der nationalsozialistischen Requirierung zum Opfer fielen, sowie die
Propstei Wieting im Görtschitztal, die 1941 beschlagnahmt wurde.
206
III. Kirchen —Sturm 2.2.
Als große kirchliche Einrichtungen waren in Kärnten das Jesuitenkloster
St. Andrä, das Stift St. Paul, die Olivetanerabtei Tanzenberg und
das Stift St. Georgen von den Expropriationsaktionen betroffen, welche
sämtlich zwischen Februar und Oktober 1940 stattfanden: Im Februar
1940 verfügte die Gestapo in Klagenfurt die Einziehung des gesamten
Besitzes des Jesuitenklosters St. Andrä. Im August 1942 wurde das
Kolleg in eine Gaumusikschule umgestaltet. Die Konfiskation von St.
Paul erfolgte im August 1940, im Stiftsgebäude wurde eine "Nationalsozialistische Erziehungsanstalt" eingerichtet. Die Abtei Tanzenberg wurde
im Oktober 1940 enteignet und 1942 zur Unterbringung der "Zentralbibliothek der Hohen Schule im Aufbau" bestimmt. Gleichfalls im
Oktober 1940 erfolgte die Vermögensbeschlagnahme von St. Georgen.
Die gesamte Liegenschaft fiel dem Reichsgau Kärnten zu, welcher in
den Stiftsgebäuden eine landwirtschaftliche Schule einrichtete. 1943 trat
der Gau Kärnten die Anlage an die Organisation Todt646 zur Errichtung
eines Erholungsheims und Lazaretts ab.
Zur mobilen Vermögensmasse der aufgelösten und enteigneten kirchlichen Einrichtungen zählten auch deren Bibliotheken, welche im Falle
der vier Stifte und Klöster von einer nicht unbeträchtlichen Bestandsgröße waren. Wiewohl das konfessionelle Schriftgut ideel im nationalsozialistischen Weltbild einen Minder —Wert darstellte und solcherart
ohne weiteres einer Makulierung hätte zugeführt werden können,
bildeten die Klosterbibliotheken aufgrund des Alters und Seltenheitswertes ihrer Bestände wie der prachtvollen Ausführung einzelner Kodizes
646
Die nach dem Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen Fritz Todt benannte Organisation, war für die Wiederherstellung der durch Kriegsschäden
zerstörten Infrastruktur (Brücken, Straßen, Eisenbahntrassen usw.) zuständig, sowie für die Errichtung militärischer Befestigungsanlagen. Auf den Baustellen beschäftigte die OT ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und in Lagernähe
auch Juden und andere Häftlinge aus Konzentrationslagern. Die OT war auch am
Bau des Loibl —KZs beteiligt. Siehe: Hilde Kammer/Elisabeth Bartsch, Lexikon Nationalsozialismus. Begriffe, Organisationen und Institutionen (Reinbek bei Hamburg
1999) 182-183.
207
III. Kirchen —Sturm 2.2.
gleichwohl einen Wertkorpus, dessen Vernichtung dem merkantilen
Kalkül zuwiderlief. Während der entfesselte wie der programmatisch
kalkulierte Fanatismus die Überwindung vergangener Kultur durch die
Zerstörung symbolischer Objekte demonstriert, wird in der merkantilen
Geisteshaltung des Kleinbürgers ein materielles Destruktionstabu wirksam, welches sich aus der verinnerlichten Befangenheit vor allem
"Geistigen" nährt, an das man nicht zu rühren wagt.
In dieser Situation zwischen Habgier und Unbehagen eröffnete sich der
Reichsstatthalterei im Dezember 1940
Studien—Hofkommission
—
—
wie vormals der Josephinischen
mit der Öffentlichen Studienbibliothek Klagen-
furt ein Ausweg aus dem Dilemma, etwas behalten zu wollen, das man
im Grunde genommen nicht wertschätzte. Einer Hochrechnung zufolge
sollten demnach 30.000 Bände der Jesuitenbibliothek St. Andrä,
5.000 Bände der Abtei Tanzenberg, 10.000 Bände von St. Georgen und
60.000 Bände aus dem Stift St. Paul an die Öffentliche Studienbibliothek
übergeben werden.
Für die Studienbibliothek wiederum rückte mit der avisierten Zuweisung
unversehens eine Lösung für das seit nunmehr Jahrzehnten behördlicherseits hartnäckig ignorierte Problem der unzulänglichen Unterbringung
im ehemaligen Jesuitenkollegium in den Bereich des Realistischen. Dass
ein geschätzter Bestandszuwachs von 100.000 Bänden die räumlichen
und personellen Möglichkeiten bei weitem überforderte, lag auf der
Hand. Da auch andere lokale Kultureinrichtungen, wie das Landesmuseum und die Landesgalerie, durch Zuflüsse aus den Enteignungen
an die Grenzen ihrer Aufnahmekapazität gelangt waren, nahm der
weiland bereits von Studienbibliotheksdirektor Schmid vorgetragene Plan
einer gemeinsamen Kultureinrichtung eine konkrete Form an. Der Reichsgau trug sich mit dem Gedanken, das Palais Rosthorn zu erwerben
und zu einem neuen Kulturzentrum auszubauen, auch die Jesuitenkaserne war als Unterbringungsort im Gespräch (Abb. 17a—c, Dokumente):
208
III. Kirchen —Sturm 2.2.
Das durch die Aufhebung verschiedener Klöster und Stifte in Kärnten bedingte Anwachsen der Museen, der Landesgalerie, der Studienbibliothek
und des Landesarchivs in Klagenfurt rückt die Frage der gegenwärtigen,
vor allem aber der zukünftigen Unterbringung dieser Institute in den Vordergrund aller in Klagenfurt zu lösenden kulturellen Probleme.
Es sei im folgenden kurz die Begründung für das Anwachsen ausgeführt:
Die Studienbibliothek hatte und hat noch zu übernehmen:
aus St. Andrä i.L.
Tanzenberg
St. Georgen a.Längsee St. Paul i.L.
rund 30.000 Bände,
"
5.000
"
"
10.000
"
"
60.000
"
Das Landesarchiv an für die polititsche und Wirtschaftsgeschichte Kärntens
wichtigen Akten:
Aus St. Georgen a.Längsee 3 Lastautofuhren
"
Eberndorf
1 Lastauto
"
St. Paul 3 Doppelfuhren (mindestens)
"
Schloss Grafenstein
2 Lastautos
"
Wolfsberg Reckturm (Akten
derzeit bei der Hespa eingelagert)
1 Lastauto
Ferner sollen die Archive der Städte St. Veit a.d.Glan und Friesach dem
Landesarchiv übergeben werden.
Das Landesmuseum des Geschichtsvereines für Kärnten hat durch die rege
Ausgrabungstätigkeit der letzten Jahre eine Unmenge von Fundstücken übernehmen müssen, für die jede geeignete Unterbringungsmöglichkeit fehlt.
Sie sind dadurch der Forschungstätigkeit mehr oder weniger unzugänglich
gemacht. Aus den Beständen des in Wien beschlagnahmten jüdischen Kunstbesitzes sind zahlreiche Stücke dem Museum zugewiesen worden [Hervorh.
d.d. Verf.], die solange nicht aufgestellt werden können, als nicht einigermassen Raum geschaffen ist. Aus dem Kunstbesitz von St. Paul i.L. hat das
Landesmuseum grosse Bestände zu übernehmen und teilweise bereits übernommen [Hervorh. d.d. Verf.].
[...] Die Landesgalerie muss viele Bilder und Graphiken aufnehmen, die
dem 19. Jahrhundert angehören.647
647
Reichsstatthalterei u.a. an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
vom 20.12.1940. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
209
III. Kirchen —Sturm 2.2.
Dass die Zuweisung der Bibliotheken an die Öffentliche Studienbibliothek
nicht lediglich virtual erfolgte und ein Transfer der Bestände in die
Kaufmanngasse tatsächlich stattfand, wird durch den Bericht der Studienbibliothek an die Reichsstatthalterei über das Verwaltungsjahr 1942/43
vom 15.April 1943 erhärtet:
Als vordringlichste Arbeit erschien mir die genaue Ermittlung der Bücherzahl und Länge der Bücherreihen in Meter, denn alle bisher angegebenen
Zahlen waren nur Schätzungen. In den Zimmern 1 —6 liess sich die Zählung
und Messung bisher durchführen, sie ergab:
66.448 Bände und 2.108 Meter.
Die Räume 7, 8 und 9 können erst im Sommer während der Schliessung
durchgezählt werden. Im Zimmer 10 ist die Feststellung erst nach Freimachung
des Kapellenraumes möglich, weil die dort aufgeschlichteten Klosterbücher
aus Andrae, Georgen u. Tanzenberg die Zählung verhindern. Zufolge dieser
Ermittlung dürfte der Stand der Bände mit 130.000 anzunehmen sein, dazu
kommt Spanheim mit 40.000. Als Endsumme wäre dann mit 170.000 Bänden
und 5 —6.000 laufenden Metern zu rechnen." 648
648
Bericht der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei über das Verwaltungsjahr 1942/43 vom 15.April 1943. LAK, Kärntner
Wissenschaftliche Gesellschaft, Kt. 1, Fasz. 7 Bibliothekswesen.
210
III. Kirchen —Sturm 2.2.1.
III.2.2.1. Kronprinz —Rudolf —Hospital und Konvent der Barmherzigen
Brüder in St. Veit a.d. Glan
Am 3. April 1876 erging seitens der Grazer Ordensprovinz der
Barmherzigen Brüder das Gesuch an das fürstbischöfliche Ordinariat
in Klagenfurt um die Bewilligung zur Errichtung eines selbständigen
Konvents mit angeschlossenem Krankenhaus in St. Veit an der Glan.
Die Grundsteinlegung fand bereits drei Monate später statt. Im Oktober
1877 wurde das "Kronprinz—Rudolf—Spital" eingeweiht. Es folgen für
Betreiber wie Nutznießer gedeihliche Jahre: "Von der Zeit der Eröffnung bis zum 1. Oktober 1902 wurden 24.597 Kranke aufgenommen
[...], von diesen sind 22.737 unentgeltlich verpflegt worden, darunter
aus Kärnten 19.481 [...]."649 Der historische Rückblick zeigt eine Phase
des kontinuierlichen Aufbaus, gekennzeichnet durch Grundankäufe,
den Ausbau des Krankenhauses und die Modernisierung der Ausstattung. Während des Ersten Weltkriegs fungierte das Krankenhaus
als Reservespital. 1924 wurde die bislang nur für Männer eingerichtete
Krankenanstalt um eine Frauenabteilung erweitert
—
selbstredend unter
strengsten Separationsauflagen seitens des Generaldefinitoriums:
[Es ist Sorge dafür zu tragen], daß die Brüder nicht bei den Operationen der
Frauen beiwohnen dürfen und diese Abteilung separat sei von der Abteilung
der Männer. P. Prior soll auch wachen, damit die Brüder keinen unnützen
Verkehr mit dem Weibspersonal haben, um alles Ärgernis zu vermeiden.650
Für die Pflege der Frauen wurden Schwestern vom 3. Orden des Hl.
Franziskus herangezogen. Die Wirtschaftskrise der Zwanziger- und
Dreißigerjahre tangierte dann auch die kirchliche Einrichtung: "Die
Verpflegungskosten steigen immer höher, die Medikation ins Ungeheure
649
Herberge am Weg. Leben und Wirken der Barmherzigen Brüder in St. Veit a.d.
Glan — Kärnten. Festschrift anläßlich der Fertigstellung des Neu- und Umbaues
des St. Veiter Krankenhauses (St. Veit [1980]) 117.
650
Ebd. 119.
211
III. Kirchen —Sturm 2.2.1.
und die Sammlungen werden immer geringer. Mit den behördlichen Zuschüssen ist kaum das Auslangen für einen halben Monat zu finden
[...]."651
1938 wurden alle Häuser der Steiermärkischen Provinz, darunter auch
der Konvent in St. Veit unter kommissarische Leitung gestellt. Im Mai
1939 folgten die Enteignung und Vertreibung der Patres: "Die Brüder
mußten innerhalb kürzester Zeit, versehen nur mit RM 20. — Reisegeld,
das Krankenhaus verlassen."652 In einem Bericht des Kapitularvikars
der Diözese Gurk, Andreas Rohracher, an Papst Pius XII. fand auch
die Enteignung des Konvents unter dem Rubrum: IV. Orden und Klöster
Erwähnung:
In der Diözese Gurk wurde bisher ein Kloster, näml[ich] das der Barmh[erzigen] Brüder in St. Veit/Glan unter dem Vorwand tatsächl[ich] vorgekommener Sittlichkeitsdelikte aufgehoben u. der Besitz aus diesem Grunde
als staatsfeindl[iches] Vermögen konfisziert. 653
Zur mobilen Vermögensmasse zählten den Eigentumsstempeln nach
offensichtlich auch eine Konventbibliothek sowie eine Krankenhausbücherei, aus deren Beständen insgesamt zehn Bände
—
darunter ein
Faksimile Nachdruck aus dem Jahr 1882 von Johann Wichard Valvasors
Land —Beschreibung deß berühmten Erz —Herzogthums Kärndten
—
im
Jahr 1942 ohne nähere Angaben zu den Erwerbungsumständen in den
Besitz der Öffentlichen Studienbibliothek gelangten. Der Zeitpunkt der
Akzessionierung lässt keine eindeutigen Rückschlüsse auf jenen der
Enteignung zu. Die geschilderte Verfasstheit der Öffentlichen Studienbibliothek, welche durch die Wirren des Krieges noch um ein weiteres
in Unordnung geriet, macht selbst eine erst Jahre nach Einlangen der
Bücher erfolgte Bestandsaufnahme nicht unwahrscheinlich. Am Beispiel
der Bücher aus der Bibliothek der Barmherzigen Brüder wird der Indizien651
Ebd. 120.
652
Ebd. 121.
653
Zit.n. Kirche im Gau (Anm. 595) 61.
212
III. Kirchen —Sturm 2.2.1.
charakter der Provenienzforschung deutlich: Bis zu diesem Zeitpunkt der
Untersuchung lässt sich lediglich folgende Aussage treffen: Konvent
und Krankenhaus der Barmherzigen Brüder wurden 1939 enteignet.
1942 tauchen im Bestand der Öffentlichen Studienbibliothek insgesamt
10 Bücher auf, welche den Stempel selbiger Einrichtungen tragen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es sich bei diesen Bänden um enteigneten Buchbesitz handelt. Ein den Sachverhalt des Raubes dokumentierendes Schriftstück bildet an dieser Stelle noch ein Missing Link.
Evangelji in Branje ali Pisma na Vse Nedele in Imenitne Prasnike zeliga leta in tudi
Na Vse Dni Svetiga Posta. V' Zelovzu 1839.
Eintrag im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31459, ohne Herkunfts- und Datumsangabe im Eingangsmonat November 1942. Stempel auf dem Vorsatzblatt.
213
III. Kirchen —Sturm 2.2.1.
Kirche und Kirchen, Papstthum und Kirchenstaat. Historisch—politische Betrachtungen
von Joh[ann] Jos[eph] Ign[az] von Döllinger, München 1861.
Eintrag im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31460, ohne Herkunfts- und Datumsangabe im Eingangsmonat November 1942. Stempelung auf dem Vorsatzblatt.
Slovenska Slovnica za domao in olsko rabo. Spisal Anton Janei. V Celovcu 1864.
Eintrag im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31461, ohne Herkunfts- und Datumsangabe im Eingangsmonat November 1942. Stempelung auf dem Vorsatzblatt.
214
III. Kirchen —Sturm 2.2.1.
Allgemeine Weltgeschichte für alle Stände, von den frühesten Zeiten bis zum Jahre
1831, mit Zugrundelegung seines größeren Werkes, bearbeitet und herausgegeben
von Dr. Carl v. Rotteck, 4 Bände, Stuttgart 1833.
Eintrag im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31465, Bd.1—4, ohne Herkunfts- und
Datumsangabe im Eingangsmonat November 1942. Stempelung jeweils auf dem
Vorsatzblatt.
Peter Macher, Geschichte Österreichs für das Volk, 1905. Deckblatt fehlt.
Eintrag im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31468, ohne Herkunfts- und Datumsangabe im Eingangsmonat November 1942.
215
III. Kirchen —Sturm 2.2.1.
Politische Verfassung der deutschen Schulen in den kaiserl. königl. deutschen Erbstaaten, Wien 1828.
Eintrag im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31442 ohne Herkunftsangabe und
genauem Datum im Eingangsmonat Oktober 1942.
Topographia Archiducatus Carinthiae antiquae & modernae completa: Das ist Vollkommne und gründliche Land-Beschreibung deß berühmten Erz — Herzogthums
Kärndten, beydes nach dem Vormaligem und jetzigem Zustande desselben: Darinn
Alle dessen Städte, Märckte, Klöster und Schlösser, nebst andren Beschaffenheiten,
und Miteinführung mancher, entweder zur Erläuterung dienlicher oder sonsten sich
dazu bequemender Geschichten, Nicht allein mit einer wahrhaften Feder, sondern
auch Naturähnlichem Abriß der beschriebenen Oerter, und in Kupfer gebrachten
Plätze. Ans Liecht gestellt durch Johann Weichard Valvasor, Nürnberg 1688.
Nachdruck, 1882. Sondersammlung der UBK, II 16462, Ex.2.
216
III. Kirchen —Sturm 2.2.1.
Die Buchautopsie hat noch zwei weitere Bücher ausfindig gemacht,
welche auf St. Veit verweisen und gemeinsam mit den oben angeführten
in den Bestand der Studienbibliothek übernommen wurden. Im Unterschied zu den anderen Bänden weisen diese beiden Bände einen persönlichen Besitzstempel auf, welcher auf "E. Jettmar" lautet. Auf der Rückseite des Deckblattes findet sich jeweils der handschriftliche Herkunftsvermerk "St. Veit", welcher dem Schriftbild nach von Bibliotheksdirektor
Fuchs stammen dürfte.
Die Durchstreichungen dieser wie sämtlicher anderen Stempel von Vorbesitzern stammen nicht wie erwartbar aus der Zeit der Studienbibliothek,
sondern wurden sämtlich von der gegenwärtigen Referentin für Geschichte
der UBK vorgenommen.
Vollständiges Taschen—Wörterbuch der slovenischen und deutschen Sprache/Popólni
Roni Slovár. Von/Spisal Anton Janei, Klagenfurt/U Celovcu 1850.
Im Akzessionsjournal mit der Signatur I 31456, ohne Herkunfts- und Datumsangabe im
Eingangsmonat November 1942. Herkunftsvermerk auf der Rückseite der Haupttitelseite.
217
III. Kirchen —Sturm 2.2.1.
Es stellt einen tatsächlichen Ausnahme- und Glücksfall dar, dass sich
unter den Archivalien der Diözese Gurk just jenes Schriftstück befand,
welches den Diebstahl der Bibliothek dokumentiert
—
zumal der Verlust
der Bücher nicht zu den vordringlichsten Problemen der verfolgten
und enteigneten Einrichtungen zählte. Anders als im Fall der Jesuiten von
St. Andrä (siehe Abschnitt III.2.2.3.) waren die Barmherzigen Brüder
weniger spirituell orientiert als karitativ tätig. Ein Einblick in die
Chroniken des Konvents seit dessen Entstehung zeigt die Dominanz
säkularer, aus der sozialen Arbeit entstehender Fragen im Alltag der
Ordensgemeinschaft. Dass der Konvent auch im Besitz einer schönen
Bibliothek war, findet in den chronikalen Aufzeichnungen lediglich in einem einzigen Nebensatz Erwähnung, wo von einer "gründlichen Neuordnung der Bibliothek"654 die Rede ist.
Bei besagtem Dokument handelt es sich um die "Anmeldung von abhanden gekommenen Inventarstücken" seitens des Krankenhauses der
Barmherzigen Brüder (Abb. 18, Dokumente). Der Schätzwert von 7.000,—
Schilling für die darin angeführte Bibliothek, welche mit der erstaunlichen
Bestandsgröße von 4.000 Bänden beziffert wurde, erscheint sehr niedrig.
Allem Anschein nach wurde die Konventbibliothek nach der Enteignung
in alle Winde zerstreut. Zu einer und sei es partiellen Restitution der
Bücher nach Kriegsende kam es nicht, ebensowenig zum Aufbau einer
neuen Bibliothek. Mit Ausnahme der erwähnten Nebeneintragung findet
sich in der Chronik des Konvents kein Hinweis auf den vormaligen Buchbesitz und somit geriet die Bibliothek rasch in Vergessenheit. Die Nachfrage beim heutigen Priorat nach der geraubten Bibliothek stiess auf
Skepsis und Verwunderung, an Büchern sei der Konvent nie interessiert
gewesen655 .
654
Chronik des Konvents der Barmherzigen Brüder St. Veit: "Geschichte des Konventes
und Spitales der ehrwürdigen Barmherzigen Brüder in St. Veit a.d. Glan (Kärnten)".
Eintrag vom 8.10.1936. Priorat St. Veit a.d. Glan.
655
Telefonische Auskunft von Prior Paulus Kohler am 15.9.2010.
218
III. Kirchen —Sturm 2.2.1.
Wenngleich das Schriftstück die Indizienkette zwischen der Enteignung der Bücher und deren Erwerbung durch die Studienbibliothek
nicht zur Gänze schliesst, stellt es die Annahme, es handele sich bei
diesen Bänden um eine unrechtmäßige Aneignung, doch auf festeren
Boden.
219
III. Kirchen —Sturm 2.2.2.
III.2.2.2. Propstei Wieting im Görtschitztal
Ein weiteres Segment des großen Raubbuch—Tableaus bildet die Propstei
Wieting. Die Propstei Wieting im Görtschitztal in Kärnten geht auf
"[d]ie fromme Stiftung der Edlen Gotfried und Adala von Wieting"656
des Jahres 1147 an das Benediktinerkloster St. Peter in Salzburg zurück.
Bis 1848 "eine Grundherrschaft kleineren Ausmaßes mit etwa 1300
Untertanen"657 , verblieben der Abtei St. Peter nach der gesetzlichen
Grundentlastung "neben der Kirche nur der Propsteihof mit der großen
Wirtschaft sowie der Amtshof, [...] wie sie heute noch zum Erzstifte
gehören."658 1906 wurde die Propstei vom Orden der Kinderfreund—
Benediktiner gepachtet und in eine Landwirtschaftsschule umgewandelt.
Nach dem Ersten Weltkrieg setzte die Abwanderung der Kinderfreund—
Benediktiner ein, bis die Propstei 1930 erneut in die Administration des
Stiftes St. Peter gelangte:
1941 wurde die Propstei enteignet und der kommissarischen Verwaltung der
außerhalb des Reichsgaues Salzburg liegenden Güter von St. Peter unterstellt. Nach Intervention beim Salzburger Gauleiter Friedrich Rainer durch
Emmerich Zenegg übernahm das Reichsgauarchiv Kärnten das Propsteiarchiv
Wieting und verbrachte es im Mai 1942 nach Klagenfurt, wo es von Zenegg
neu geordnet und inventarisiert wurde."659
Das Schreiben, worin Zenegg das dringende Interesse seiner Institution
am Archivbestand der Propstei Wieting anmeldet, ist in mehrfacher
Hinsicht aussagekräftig: Zum einen entlarvt es die nach dem Krieg
gerne als Handlungsmotivation beschriebene konservatorisch—bergende
656
Josef Höck, Geschichte der Propstei Wieting im Görtschitztal, Kärnten (1147—1848)
(Salzburg 1979) 9.
657
Ebd. 12.
658
Ebd. 146.
659
Gerald Hirtner, Das Stiftsarchiv St. Peter in der NS —Zeit. In: Österreichs Archive
unter dem Hakenkreuz (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 54,
Wien 2010) 708-719, hier 716.
220
III. Kirchen —Sturm 2.2.2.
Obsorge als Camouflage eines bestandsaufwertenden Aneignungsinteresses, zum anderen verdeutlicht es die Aufteilungsgebarung unter
den Raubgutanwärtern:
"Sehr verehrter Herr Gauleiter!
Wie ich soeben von der hiesigen Geheimen Staatspolizei erfahre, wurde
die Propstei Wieting aufgehoben und zu Ihren Gunsten eingewiesen. Nun
ist mir aus eigener Anschauung bekannt, daß sich dort zahlreiche ältere
Archivalien befinden, die für die Geschichte des Görtschitztales von großem
Werte sind. Wie mir weiters mitgeteilt wurde, sind sie aber keineswegs unter
Sperre gelegt, sondern befinden sich am Dachboden der Propstei und sind
daher jedem Zugriff ausgesetzt. Da Sie selbst, Herr Gauleiter wohl kaum
Interesse an den Archivalien haben dürften, möchte ich Sie bitten, sie dem
Reichsgauarchiv Kärnten zu überlassen, wo sie gesichert aufbewahrt und
so der wissenschaftlichen Forschung zugänglich gemacht werden. Sollten
Sie diesem meinem Ersuchen nachkommen, so bitte ich der Gestapo in
Salzburg oder Klagenfurt einen bezüglichen Auftrag zu erteilen, daß mir
die Archivalien ausgefolgt werden.
Privatim möchte ich aufmerksam machen, daß sich seinerzeit in Wieting
einige ganz gute Bilder (darunter einige kleinere Holländer) befanden, von
denen ich allerdings nicht weiß, ob sie noch dort sind.
Heil Hitler!
Ihr
ganz ergebenster
Z[ene]gg
dzt. mit der Leitung betraut660
Ehe dem Gesuch Zeneggs entsprochen wurde, erhielt dieser den Auftrag
zu einer detaillierten Bestandserhebung und Übermittlung, welche
neben den Kunstgegenständen und Archivalien auch Bücher auflistet:
660
Schreiben des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an Gauleiter Friedrich
Rainer vom 23.1.1941. LAK, Archivregistratur, Zl. 17/1941.
Der Hinweis auf diesen Aktenbestand des Kärntner Landesarchivs ist dem Aufsatz
von Wilhelm Wadl, Das Kärntner Landesarchiv (Reichsgauarchiv Kärnten) in der
NS —Zeit entnommen (Anm. 11) 563-586.
221
III. Kirchen —Sturm 2.2.2.
In der Anlage übersende ich Ihnen, unserer Verabredung gemäss, das
Verzeichnis der Kunstgegenstände, Archivalien und der Bibliothek. Ueber
letztere 2 Körper kann ich nur summarisch berichten, da die Umstände, die
Kälte und der Staub, es nicht zuliessen, mich damit eingehender zu befassen.
Ich möchte Sie bei der Gelegenheit nochmals bitten, dem Reichsgauarchiv
Kärnten die Archivalien zu verschaffen, da sie für die Geschichte des
Görtschitztales immerhin von Wert sind, insbesondere das Urbar von 1402.661
Anlage:
Verzeichnis der Kunstgegenstände, Archivalien und gedruckten Bücher in
der Propstei Wieting.
Aufgenommen am 5.u.6.Februar 1941 durch Reg.Rat E.v. Zenegg.
[...]
Archivalien am Dachboden.
2 Stellagen mit Akten und Büchern wirtschaftlichen Inhalts der Propsteiherrschaft Wieting, meist Ehrungs- und Stiftregister, ein wertvolles Urbar
vom Jahre 1402 (in der Kasse in der Pfarrkanzlei aufbewahrt).
Bibliothek am Dachboden.
6 Stellagen mit Akten und Büchern, meist geistlichen Inhalts ohne besonderen
Wert.662
Wie ein in den Korrespondenzakten der Öffentlichen Studienbibliothek
gefundenes Dokument belegt, wurden bei dieser Beschlagnahmeaktion
schließlich nicht nur die Archivalien, sondern ungeachtet der abschätzigen
Beurteilung Zeneggs auch die Bücher der Propsteibibliothek "am
28.5.1942 in einem Auto aus Klagenfurt weggeführt [gemeint sein dürfte:
in einem aus Klagenfurt kommenden Auto]" 663. Wie sich aus dem Inhalt
des Schriftstücks ableiten lässt, dürften die Bücher von der Studienbibliothek übernommen worden sein. Das mit Jänner 1946 datierte Papier
dokumentiert die Kontaktierung des Leiters der Öffentlichen Studien661
Schreiben des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an Dr. Georg Sauseng,
Wirtschaftstreuhänder in Salzburg, vom 7.2.1941. LAK, Archivregistratur, Zl. 17/
1941.
662
Anlage. Ebd.
663
Fb. Gurker Ordinariat an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
vom 15.1.1946. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
222
III. Kirchen —Sturm 2.2.2.
bibliothek, Fuchs, durch das fb. Gurker Ordinariat bezüglich der Rückerstattung dieses Konvolutes (Abb. 19, Dokumente):
Fb. Gurker Ordinariat
Zl. 10259
Klagenfurt , am
15.1.1946
An die Studienbibliothek zu Handen Herrn Direktor Dr. Fuchs in Klagenfurt.
Auf die szt. mündliche Mitteilung an das fb. Ordinariat müssen wir derzeit
leider mitteilen, daß der hochwürdige Herr P. Willibald Meier, der Treuhänder der Abtei St. Peter in Salzburg, in Wieting, die Bücher und Archivalien
nicht nach Wieting bringen kann, da er dort bis jetzt leider über keine
Räume verfügt. Sobald jedoch Herr Egger, der derzeit noch die Wirtschaft
in der Propstei Wieting besitzt, auszieht, werden die Bücher und Archivalien,
die am 28.5.1942 in einem Auto aus Klagenfurt weggeführt wurden, gerne
zurückgenommen.
Kadras,
Kanzler.664
Was die ins Reichsgauarchiv verbrachten Archivalien anbelangt, so
sperrte sich Zenegg nach dem Krieg gegen eine Übergabe derselben
an die Erzabtei St. Peter. Erst eine Urgenz des Erzabtes Jakobus Reimer
führte 1948 zur Rückstellung665 .
Obig zitiertem Dokument kommt insofern besondere Bedeutung zu, als
es den Nachweis dafür erbringt, dass der Öffentlichen Studienbibliothek
Klagenfurt
—
in einer Verteilungstriade mit dem Reichsgauarchiv und
dem Reichsgaumuseum
—
nicht nur die großen Klosterbibliotheken (sie-
he III.2.2.) zugesprochen wurden, sondern auch Bestände, welche
aus anderen Enteignungen von Kirchenvermögen herrührten.
664
Ebd.
665
Vgl. Hirtner, Das Stiftsarchiv St. Peter in der NS —Zeit (Anm. 659) 716.
223
III. Kirchen —Sturm 2.2.3.
III.2.2.3. Jesuitenkloster St. Andrä im Lavanttal
Das Jesuitenkloster St. Andrä im Lavanttal wurde am 19.2.1940 enteignet. Wiederum lautete das entsprechende Dekret der Reichsregierung
auf "Staatsfeindliche Betätigung". Den Patres wurde eine zehntätige
Frist eingeräumt, um das Haus zu verlassen. Nach Übernahme in den
Besitz des Landes diente das Kolleg "als Rückwanderheim für die Kanaltaler, dann als Unterkunft für die Hitlerjugend, später als provisorische
Gaumusikschule und zuletzt als Wehrertüchtigungslager für 12—16
jährige."666
Auch im Fall von St. Andrä kam die Aufteilungs—Triade: Studienbibliothek,
Reichsgauarchiv und Reichsgaumuseum zum Einsatz:
Dem erteilten Auftrage Folge leistend, hat der Gefertigte am 18.d.M. gemeinsam mit dem Landeskonservator Dr. Frodl und dem Direktor der Studienbibliothek Hofrat Dr. Schmid die Bibliothek des aufgehobenen Jesuitenklosters
in St. Andrä besichtigt und erlaubt sich bezüglich derselben folgende Vorschläge zu erstatten.
Von der in zwei Räumen untergebrachten Bibliothek käme ein geringer Teil
(historische und geographische Literatur) für das Landesarchiv in Betracht,
um deren Überlassung hiemit ersucht wird. Für einige wenige Werke kunsthistorischen Inhaltes hätte der Landeskonservator Interesse.
Für den restlichen und Hauptbestand, bestehend aus religiösen und religionsgeschichtlichen und anderen Werken verschiedener Wissensfächer erklärt
sich der Studienbibliothekdirektor zur Übernahme bereit.
An Archivalien sind nur 4 Pakete mit Urkunden und Akten verschiedenen
Inhaltes vorhanden, die gleichfalls in das Landesarchiv kommen sollen.
An kunsthistorischen Gegenständen fand ich nichts mehr vor. Die in den
Gängen des Klosters befindlich gewesenen religiösen Bilder wurden von
der Verwaltung der Pfarrkirche abgetreten.
666
Helmut Platzgummer, Jesuitenkolleg in St. Andrä im Lavantal [!]. In: Zukunft Nächstenliebe. 80 Jahre Kärntner Caritasverband 1921 —2001 (= Helfen im Wandel der
Zeit 5, Klagenfurt 2002) 186-194, hier 192.
224
III. Kirchen —Sturm 2.2.3.
Da die Räumung der Bibliothekszimmer baldmöglichst erfolgen soll, wird der
Abtransport nach Klagenfurt mittels Lastautos erfolgen müssen. Zu diesem
Zwecke wird um Vollmacht gebeten, bei der Firma Künstl ein größeres
Lastauto mit mehreren Transportarbeitern bestellen zu dürfen. Die Überführung
der gesamten Bibliothek wird sodann mit 2 Fuhren bewerkstelligt werden
können.
Z[ene]gg
dzt. mit der Leitung betraut.667
Neben einer Präzisierung des Enteignungszeitpunktes gibt obiges ebenso wie das folgende Schriftstück genaue Auskunft über das Prozedere
der Beschlagnahme:
Dem mit dä. Zl.L —3032/5/40, erfolgten Auftrage Folge leistend, berichte
ich, daß der Abtransport der Bibliothek des ehemaligen Jesuitenklosters St.
Andrä i.Lav. in der Zeit vom 4. —5. d.M. erfolgte. Behufs vorläufiger Sichtung der Bücher und Vorbereitung des Transportes begab ich mich schon
am 3. nach St. Andrä. Für den 4. waren zwei Lastautos der Firma Künstl
dorthin beordert worden, von denen eines zweimal fuhr. Da hernach noch
ein bedeutender Bücherrest übrig blieb, mußte für den 5. noch ein Auto genommen werden, so daß der gesamte Transport vier Fuhren beanspruchte.
Den wertvollsten Teil der Bibliothek, die Abteilungen Geschichte und Geographie, habe ich für die Bücherei des Landesarchivs übernommen, für die
die z.T. seltenen Werke eine willkommene und sehr erwünschte Bereicherung
bilden werden. Ihre Menge umfaßt etwa tel Autoladung.
Aus der Abteilung Kunst habe ich die von Landeskonservator Dr. Frodl erbetenen Werke für diesen reserviert. (Umfang 1 Kiste).
Der Rest der Bücherei (3 Autoladungen) wurde der Studienbibliothek zugewiesen und von dieser bereits übernommen.
Endlich wird noch bemerkt, daß sich anschliessend an den 2. Bibliotheksraum noch ein kleines, sehr geschickt getarntes Geheimkabinett vorfand, das
auch der Gestapo unbekannt geblieben war. Es fanden sich darin aber
auch etliche Stellagen mit offenbar ausgeschiedenen Büchern sowie 5 Faszikel
667
Schreiben des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an die Landeshauptmannschaft Kärnten vom 19.3.1940. LAK, Archivregistratur, Zl. 68/1940.
225
III. Kirchen —Sturm 2.2.3.
Akten, betreffend Kirche und Kloster Maria Loretto und Polizeigegenstände
sowie ein Bündel mit etwa 70 bis in das 16. Jahrhundert zurückreichender
Pergamenturkunden (Kaufbriefe u.a.). Diese Archivalien wurden ebenfalls
für das Landesarchiv übernommen.
Z[ene]gg.
dzt. mit der Leitung betraut.668
Der Bericht der Studienbibliotheksdirektion über das Verwaltungsjahr
1942/43 bestätigt die Übernahme der Bibliothek von "Andrae" (III.2.2.).
In den Archivalien des Jesuitenordens selbst fanden Enteignung und
Rückgabe gleichfalls Erwähnung, wie sich dem Essay von Helmut Platzgummer über das Jesuitenkolleg entnehmen lässt.
Die Bibliothek, die in jeder Jesuitenniederlassung einen wichtigen Platz einnimmt, war von den Nationalsozialisten der Klagenfurter Studienbibliothek
einverleibt worden, aber sie blieb zumindest als ganze beisammen. Sie wurde
nun wieder zurückgebracht. Die Bücher mussten wegen Platzmangels an
verschiedenen Orten untergebracht werden, bis sie 1949 endlich ordentlich
aufgestellt werden konnten.669
668
Schreiben des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an die Landeshauptmannschaft Kärnten vom 19.3.1940. LAK, Archivregistratur, Zl. 68/1940.
Bericht des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an die Landeshauptmannschaft Kärnten vom 6.4.1940. LAK, Archivregistratur, Zl. 68/1940.
669
Platzgummer, Jesuitenkolleg in St. Andrä im Lavantal [!] (Anm. 666) 194.
226
III. Kirchen —Sturm 2.2.4.
III.2.2.4. Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal
Am 1. Juli 1938 wurde das Stiftsgymnasium St. Paul auf Grundlage der
Verordnung zur Überleitung der "Ostmärkischen Mittelschule" in das
Schulsystem des "Altreichs" verstaatlicht und in eine "Staatliche Oberschule für Jungen" umgewandelt. Damit verbunden war die Entlassung
des geistlichen Lehrkörpers als "lehrunwürdig". Am 24. August 1940
erfolgte wie andernorts unter Berufung auf "volks- und staatsfeindliche"
Betätigung die Stiftsaufhebung, die Mönche mussten auch hier binnen
sieben Tagen ihr Domizil verlassen.
Nach vollzogener Verstaatlichung begann auch schon der Streit um
die Beute. Sowohl der Gau Kärnten als auch die Reichsregierung
machten Ansprüche auf die Liegenschaften geltend. Schlussendlich
kam es zu einer dahingehenden Einigung, dass die Gebäude — sprich
das Stift, das Gymnasium sowie das Konvikt Josefinum
—
der Reichs-
regierung zugeschlagen, die Liegenschaften des Stiftes in das Eigentum
des Gaues Kärnten eingewiesen wurden. Nachdem das Reichsministerium
für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung das Stift in eine Ordensburg umgewandelt und zu einer "Nationalpolitischen Erziehungsanstalt"
(NPEA oder NAPOLA) ausgestaltet hatte, musste die Kärntner Gauverwaltung einen Teil des Grundbesitzes der Herrschaft "Spanheim"
zur Finanzierung der nationalsozialistischen Eliteschule abtreten 670.
Der Beutestreit zwischen dem Gau Kärnten und der Reichsregierung
spiegelt sich auch in der Kontroverse um die Besitzrechte an der wertvollen Bibliothek des Stiftes. Seitens der Reichsstatthalterei waren die
Bücher der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt zugesprochen
worden, eine Entscheidung, welcher die NAPOLA—Leitung freilich die Anerkennung und in der Folge die Herausgabe der Bibliothek verweigerte.
670
Zum gesamten Absatz vgl. Österreichs Stifte unter dem Hakenkreuz (Anm. 589)
191 ff. und St. Paul 1091 — 1809 — 1959, ed. Helmut Schuster (St. Paul im Lavanttal
1959) 30-31.
227
III. Kirchen —Sturm 2.2.4.
Die wiederholten Eingaben der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek an die Reichsstatthalterei legen anschaulich Zeugnis ab von
einem Beutestreit, wie er vielerorts ausgetragen wurde.
Noch bevor ein detaillierter Verteilungsplan der Reichsstatthalterei für
die enteigneten Kirchenmobilien im Dezember 1940 abgefasst wurde,
war die Stifts- und Klosterbibliothek von St. Paul der Öffentlichen
Studienbibliothek Klagenfurt per Erlass vom 11.10.1940 zugesprochen
worden. Bereits am 29. Oktober 1940 sprach der Direktor der Studienbibliothek, zu diesem Zeitpunkt noch Theodor Schmid, in einem
Schreiben an die Reichsstatthalterei von einer "unmittelbar bevorstehende[n] Übernahme der über 60000 Bände umfassenden St. Pauler
Klosterbibliothek in die Verwahrung der Staats —Studienbibliothek in
Klagenfurt"671 . Die von einem erfahrungsresistenten Optimismus zeugende
Gewissheit war gleichwohl verfrüht. Keine zwei Wochen später stand
mit der NAPOLA unversehens ein potenter Konkurrent ante portas. Die
Aussicht, um die bereits sicher gewähnte Beute betrogen zu werden,
veranlasste Schmid, in einem weiteren Schreiben an die Reichsstatthalterei zu einer ausführlichen Darlegung des Besitzanspruches der
Studienbibliothek auf die St. Pauler Bestände auszuholen:
Die ergebenst gefertigte Direktion hat in Erfahrung gebracht, daß die
"Napola" (Nationalpolitische Erziehungsanstalt) in Berlin Anspruch auf die
Bibliothek des aufgehobenen Klosters St. Paul erhebt obwohl diese Bibliothek
durch Reichsstatthalterei—Erlaß Zl.14647/II/1940 vom 11. Oktober (hieramts
eingelangt am 18. Oktober) bereits der Staats—Studienbibliothek in Klagenfurt
zugesprochen worden ist.
Die unterzeichnete Direktion fühlt sich nun verpflichtet nicht nur im Interesse
der ihr unterstehenden Bibliothek, sondern insbesondere auch des Gaues
Kärnten, gegen die beabsichtigte Überlassung der St. Pauler Bibliothek an
die "Napola" die ernstesten Bedenken zu erheben u.zw. aus folgenden
Gründen:
671
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei
Klagenfurt, Abt. II, vom 29.10.1940. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
228
III. Kirchen —Sturm 2.2.4.
1) Der Bestand der St. Pauler Bibliothek kann für die "Napola" aus inhaltlichen Gründen nur zum allergeringsten Teile Wert und Interesse besitzen.
Werke wissenschaftlichen oder politischen Inhalts, die von der "Napola"
etwa benötigt werden könnten, sind für diese Anstalt aus den äußerst reichhaltigen Bibliotheken Berlins und des Altreichs überhaupt stehts [!] leicht
beschaffbar.
2) Ein volles Drittel der St. Pauler Bibliothek besteht aus Inkunabeln (d.h.
vor 1501 gedruckten Werken) und Büchern aus dem 16. Jahrhundert alle
diese Werke sind ihres Alters und ihrer Seltenheit wegen äußerst wertvoll,
wären aber naturgemäß in der "Napola" mangels sachkundiger Betreuung
und Beaufsichtigung der Gefahr des Verlustes oder der Verschleuderung
ausgesetzt, abgesehen davon, daß dort keine Leser dafür vorhanden wären.
3) Die St. Pauler Bibliothek stammt zum größten Teil aus dem Besitz hervorragenden [!] alter Kärntner Familien und enthält zahlreiche seltene Carinthiaca; schon aus diesem Grunde wäre sie in einer Anstalt außerhalb Kärntens
fehl am Platze (insbesondere, wenn solche Anstalt nicht von Personen mit
gründlicher bibliothekarischer Fachbildung geleitet würde.
Es wäre unverständlich, wenn der Gau Kärnten seine Zustimmung gäbe, zu
einem Vorgehen, wodurch eine für die Geschichte Kärnten [!] so hochbedeutsame Bibliothek außer Landes käme. Hingegen würde die Staatsstudienbibliothek in Klagenfurt durch die Übernahme der St. Pauler Bücherei sofort
eine der wertvollsten und reichhaltigsten Bibliotheken der Ostmark werden. 672
An der aus bibliophiler Habgier gespeisten Argumentation ist insonderheit die indirekte Aufforderung interessant, die NAPOLA möge sich
doch an den reichen Raubbeständen des "Altreichs" schadlos halten.
Nach mehr als einem halben Jahr, währenddessen die Angelegenheit
zu stagnieren schien, übermittelte die Reichsstatthalterei der Direktion
der Öffentlichen Studienbibliothek im August 1941 den Gegenvorschlag
der NAPOLA:
Die NPEA schlägt die Übergabe der Stiftsbibliothek in ihr Eigentum vor und
würde sich vertraglich verpflichten, keinen Bestandteil der Stiftbibliothek
außerhalb des Reichsgaues Kärnten zu ver treiben und die Bücherei bei
672
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei
Klagenfurt, Abt. II, vom 12.11.1940. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
229
III. Kirchen —Sturm 2.2.4.
etwaiger Auflösung der Anstalt im gleichen Umfange dem Reichsgau Kärnten
wieder zurückzugeben.
Der Vorschlag der NPEA sieht weiter vor, daß die Handschriften und Frühdrucke der Stiftsbibliothek von der Übergabe ausgeschlossen bleiben, dagegen soll der Reichsgau Kärnten die während der Treuhandverwaltung aus
der Stiftsbücherei entfernten wissenschaftlichen Werke der NPEA wieder zurückgeben.
Über das künftige Schicksal der Stiftsbücherei ist derzeit noch nicht ent
schieden.673
Dem Antwortschreiben Schmids ist zu entnehmen, dass dieser nicht
gesonnen war, sich derart billig abfertigen zu lassen und kampflos
auf den Löwenanteil an der Buchbeute zu verzichten. Die im Schreiben
der Reichsstatthalterei erwähnte unbefugte Entfernung von Beständen
aus der Stiftsbücherei bestätigt der Direktor der Studienbibliothek hingegen umstandslos:
[So] schlage ich als viel einfacheren und zweckentsprechenderen Ausweg
vor, das Eigentum an der Stiftsbibliothek im Prinzip der Klagenfurter Studienbibliothek zuzusprechen, wogegen sich die Direktion der letzteren verpflichten müßte, alle von der "Napola" in einer von ihr aufgestellten Liste
als für die "Napola" wichtig bezeichneten Werke (von einzelnen Ausnahmen
abgesehen, die von der Studienbibliothek als für sie unentbehrlich gleich
nach Erhalt obiger Liste anzugeben wären) der "Napola" zu überlassen.
Gegen die Rückübermittlung der während der Treuhandverwaltung aus der
Stiftsbücherei entfernten wissenschaftlichen Werke wird seitens der unterzeichneten Bibliotheks —Direktion kein Einwand erhoben. [...] Doch wird das
in der Stiftsbibliothek befindliche, schon jetzt viele Bände umfassende Werk
"Thesaurus linguae latinae", von welchem hieramts bereits Fortsetzungshefte
übernommen und bezahlt wurden, ausdrücklich für die Studienbibliothek
erbeten.674
673
Reichsstatthalterei Klagenfurt, Gauselbstverwaltung an die Direktion der Öffentlichen
Studienbibliothek Klagenfurt vom 4.8.1941. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
674
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei
Klagenfurt, zu Handen von Gaukämmerer Natmeßnig, vom 13.8.1941. UAK, Kt.
369, Fasz. St. Paul.
230
III. Kirchen —Sturm 2.2.4.
1942 ging die Leitung der Öffentlichen Studienbibliothek von Theodor
Schmid an Richard Fuchs über. Nicht weniger als sein Vorgänger daran
interessiert, durch bibliophile Bestandsanreicherungen eine Besserstellung der in misslicher Lage sich befindenden Studienbibliothek zu
erwirken, gierte auch Fuchs nach den St. Pauler Kostbarkeiten. Wie er
bei einer ersten Besichtigung der Bibliothek aber feststellen musste,
war just der wertvollste Bestandsanteil, jener der Handschriften, bereits
spurlos abhanden gekommen:
Im Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken 1941 sind für die eheml. Bibliothek
in St. Paul neben rund 41.000 Werken und 400 Wiegendrucken, 1.300
Handschriften angegeben. Da ich bei meiner ersten Besichtigung der Bibliothek am 8.7.1942 trotz vielfacher Stichproben nur eine einzige Handschrift
feststellen konnte und mir auch der Herr Rentmeister in Spanheim über den
Verlust keinen Aufschluss gab, bitte ich den Herrn Reichsstatthalter in Kärnten
Abt. II um Klärung dieser Angelegenheit d.h. Beantwortung der gehorsamst
gestellten Frage, ob es amtlich bekannt ist: wann, durch wenn [!] und mit
wessen Zustimmung diese Handschriften entfernt wurden? 675
Um seiner Anfrage Nachdruck zu verleihen, fuhr Fuchs mit schweren
Geschützen auf, was zeigt, wie sehr er sich durch die freche Unterschlagung und den Beuteentgang düpiert sah:
Die Bibliotheksleitung behält sich vor, nach Empfang der Antwort einen
dienstlichen Bericht an den Herrn Reichsminister für WEu.V in Berlin abzusenden. Sie würde sich eines strafbaren Vergehens schuldig machen, wenn sie
den Verlust von Handschriften, die der Bibliothek zustehen und in einem halbamtlichen Verzeichnis vermerkt sind, verschweigen würde. Ebenso wird dieser
Vorfall in einem Brief dem Herrn Generaldirektor der Nationalbibliothek in
Wien Dr. Heigl mitgeteilt werden, auf dessen fachmännisches Urteil Herr Gauleiter Dr. Rainer grossen Wert legt, wie er mir bei meiner Vorstellung sagte.676
675
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei
Klagenfurt, Abt. II, vom 10.7.1942. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
676
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei
Klagenfurt, Abt. II, vom 10.7.1942. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
Zur Person von Paul Heigl und seiner Rolle im nationalsozialistischen Bücherraub
siehe: Hall/Köstner, "... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern ..." (Anm.
15) 43 ff.
231
III. Kirchen —Sturm 2.2.4.
Nach dem Motto: "Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte",
erbrachte die insistierende Nachforschung des Studienbibliotheksleiters, dass die abgängigen Handschriften vom Reichsgauarchiv abtransportiert worden waren:
Dem Vernehmen nach sollten sich die Handschriften der St. Pauler Bibliothek
im Hause Klagenfurt Tarviserstr. Nr. 30 befinden. [E]s handelt sich hier auf
keinen Fall um Archivalien die dem Reichsarchiv zuzusprechen wären sondern
um einen Teil der Bibliothek wie dies, [!] aus dem offiziellen Jahrbuch der
Deutschen Bibliotheken ersichtlich ist.677
Auf der Rückseite des Schriftstückes findet sich noch ein Gedächtnisprotokoll zum nämlichen Sachverhalt:
Laut fernmündlicher Verständigung durch Reg.Rat von Zenegg, der seinerzeit
den Transport durchführte, befinden sich die Handschriften von St. Paul im
Hause Tarviserstr. 20 [gemeint war wohl: Tarviserstr. 30]. Nach seiner
Meinung kann die Aufteilung erst später erfolgen, da sich auch andere
Stellen darum bewerben (Basel). Nach Mitteilung von Ober Reg.Rat Dr.
Happenhofer ist diese Frage vom Führer bereits entschieden, es wurden
alle Schriften Kärnten zugesprochen.678
Die Eintragung bezieht sich auf die von Emmerich Zenegg, dem administrativen Leiter des Reichsgauarchivs, und dem Kunsthistoriker und
Direktor des Reichsgaumuseums, Walter Frodl, gemeinsam durchgeführte
Einziehungsaktion der St. Pauler Archivalien:
Kaum war das St. Pauler Archiv in Klagenfurt verstaut, meldeten sich schon
Interessenten. Zibermayer meldete Ansprüche Oberösterreichs an den Archivalien von Spital am Phyrn an, das Generallandesarchiv Karlsruhe äußerte
677
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die Reichsstatthalterei
Klagenfurt, Abt. II, vom 18.11.1942. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
Tarviserstraße 30 ist die Adresse des Diözesanhauses der Diözese Gurk. Von
Dezember 1932 bis Herbst 1938 diente das Priesterhaus als Seminar. Nach dem
"Anschluss" wurde das Domizil von NS—Dienstellen besetzt. Von hier aus betrieben
die Staatliche Bauleitung, die Universale Hoch- und Tiefbau A.G. und die Waffen—SS
den Bau des Loibltunnels. Nach Kriegsende wurde das Haus Tarviserstraße 30 das
Hauptquartier der britischen Besatzung. Siehe: http:/www.kath- kirche-kaernten.at
(Stand: 5.9.2010).
678
Gedächtnisprotokoll von Richard Fuchs vom 23.11.1942. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
232
III. Kirchen —Sturm 2.2.4.
Wünsche nach dem Archiv der Fürstabtei St. Blasien, das »bei der Säkularisation
entführt worden« sei und schließlich wollte sogar das Schweizer Bundesarchiv in Bern St. Pauler Schriftgut mit Schweizer Pertinenz eintauschen. Zenegg
betonte allen Interessenten gegenüber die derzeitige Unzugänglichkeit des
Archivs sowie die noch ungeklärten Rechtsverhältnisse und verwies sie auf
die Zeit nach Kriegsende. Dadurch wurde das St. Pauler Archiv vor willkürlichen Zerreißungen bewahrt und konnte 1946 weitgehend vollständig
restituiert werden.679
Über das Schicksal der Handschriften geben die Akten der Studienbibliothek keine Auskunft. Nach Mitteilung des gegenwärtigen Leiters
der St. Pauler Stiftbibliothek, Mag. Gerfried Sitar, ist ein Gutteil der
Handschriften und Inkunabeln bis heute spurlos verschwunden geblieben 680.
Im Zuge der in St. Paul durchgeführten Umbauarbeiten, die mit der Einrichtung eines Schulbetriebes notwendig geworden waren, wurde die
Bibliothek aus den ursprünglichen Räumlichkeiten in die Kapelle der
Stiftskirche umgelagert. Eine Aktion, welche in Durchführung und Auswirkungen das geschwundene Interesse der NAPOLA an den Buchbeständen spiegelt:
Die Bibliothek ist zur Zeit in den alten Regalen an der nördlichen Seitenwand, der Südostecke und in 2 Seitenkapellen der Stiftskirche untergebracht.
Die Kirche war versperrt und hatte den Schlüssel der Leiter [!] der NPEA in
Verwahrung. Nach Abschluss der Ueberprüfung wurde der Schlüssel auftragsgemäss dem Leiter der gaueigenen Güterverwaltung von Spanheim
übergeben. Es konnte festgestellt werden, dass die Schliessung des Haupttores (Kirchenhaupttor) die Bibliothek vor fremdem Zugriff nicht bewahren
konnte. So fanden wir in der ersten Seitenkapelle eine offene Tür, die auf
einen Gang des ehem. Kreuzganges führt, über welchen man ohne besondere
Schwierigkeiten in das Innere der Kirche gelangen kann. Ein auf diesem
Gang gefundener Bucheinlagszettel lässt darauf schliessen, dass auf diesem
679
Wadl, Das Kärntner Landesarchiv (Reichsgauarchiv Kärnten) in der NS—Zeit
(Anm. 11) 574.
680
Email von Mag. Gerfried Sitar, 12.5.2010.
233
III. Kirchen —Sturm 2.2.4.
Wege Bücher aus der Sammlung entfernt wurden. Von einem Chorfenster
aus war aus Leitern, die zur Benutzung der Bücherregale dienen, eine
Steiganlage angebracht, die es ohne weiteres ermöglicht, aus einem den
Zöglingen der NPEA zugänglichen Abstellräume [!] in die Kirche einzusteigen.681
Den Schlusspunkt der Korrespondenz der Öffentlichen Studienbibliothek
Klagenfurt im Zusammenhang mit der Bibliothek des Stiftes St. Paul
bildet ein handschriftlicher Bericht von Studienbibliotheksdirektor Fuchs
vom 16. Juli 1944:
Während bis zum Jahre 1943 auf Grund des Sicherstellungsbescheides vom
12.10.1940, Zl. 14647/II/1940 die Bestände dieser Bibl. als der Stud. Bibl.
in Klagenfurt zugesprochen galten, ist jetzt der gesamte Grund- und Kunstbesitz von St. Paul [eingeschoben: somit auch d Bibl.] von der Reichsverwaltung der Gau Selbstverwaltung [!] eingewiesen worden. Diese neue
Rechtslage wurde ohne aktenmäßige Verständigung der Kärntner Reichsstatthalterei, Abt. II durchgeführt.682
Die Korrespondenz der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
bezüglich der Stiftsbibliothek St. Paul zeichnet beispielhaft das Bild
der unrühmlichen Rolle, welche die wissenschaftlichen Bibliotheken
Österreichs als Nutznießer der nationalsozialistischen Enteignungspolititk
gespielt haben.
Das vorliegende Aktenkompendium hält noch ein weiteres Schriftstück
bereit, welches die Skrupellosigkeit, die joviale Lässigkeit, die Raffgier
und Vorazität der Beutejäger auf eine nachgerade satiretaugliche
Manier zum Ausdruck bringt. In einem persönlichen Schreiben an
Richard Fuchs avisiert der Direktor des Kunsthistorischen Museums
Wien, Fritz Dworschak, seinen Besuch in Kärnten, um sich dortselbst in
681
"Niederschrift, aufgenommen zu der vom Herrn Gauhauptmann mit Schreiben vom
10.2.43 G.K.8608—2/lT. angeordneten Überprüfung der Unterbringung, des Erhaltungszustandes und des Umfanges der Buchbestände der Bibliothek des aufgelassenen Stiftes St. Paul in Spanheim" am 23.2.1943. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
682
Handschriftlicher "Bericht über die ehem. St. Pauler Stiftsbibliothek in Spanheim/
Kärnten" vom 16.7.1944. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
234
III. Kirchen —Sturm 2.2.4.
mehrfacher Hinsicht der Kultur —Aneignung zu widmen (Abb. 20a —b,
Dokumente):
Lieber Freund!
Wie wir im Sommer besprochen haben, möchte ich nunmehr die Übernahme
der numismatischen Literatur aus der Stiftbibliothek St. PAUL durchführen.
Ich erbitte mir Nachricht hierher, ob meine Mitarbeiter gegen Ende der
übernächsten Woche nach Klagenfurt, bezw. St. Paul kommen können. Die
Durchsicht in der Stiftskirche wird voraussichtlich ein bis zwei Tage in Anspruch nehmen, weshalb ich auch um Besorgung eines Quartiers für meine
Mitarbeiter, Hauptmann SCHINDLER und Frau SEUTTER, bitten möchte.
Besonders verbunden wäre ich Dir, wenn Du an Ort und Stelle selbst intervenieren und den Studiendirektor vorher entsprechend anweisen würdest,
damit keine Verzögerung entsteht.
In der Bibliothek von TANZENBERG dürfte ja kaum etwas Brauchbares für
uns enthalten sein.
Voraussichtlich komme ich von hier mit meiner Gattin selbst für kurze Zeit
nach Klagenfurt. Ich würde meinen Besuch unter Umständen so einrichten,
dass ich der mir als besonders gut geschilderten Aufführung von Gianni
Schichi beiwohnen könnte. Die Zimmerbesorgung im Sandwirt würde ich
beim Herrn Regierungspräsidenten telefonisch erbitten. Schliesslich hätte ich
noch gerne gewusst, ob Herr Dr. MORO in Klagenfurt oder am Ende gar
eingerückt ist.
Mit bestem Dank für Deine Bemühungen und herzlichen Grüssen
Dein alter Dworschak683
Aus dem Bestand der St. Pauler Bibliothek hat die Buchautopsie lediglich
ein Werk mit dem Exlibris des Stiftes zutage befördert, welches seitens
der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt akzessioniert wurde.
683
Schreiben des Generaldirektors des Kunsthistorischen Museums Wien, Fritz
Dworschak, an den Direktor der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom
27.10.1943. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
Gotbert Moro war Schriftleiter der vom Geschichtsverein Kärnten herausgegeben
Zeitschrift Carinthia. In dieser Funktion folgte er Martin Wutte nach, die "deutschnationale Tradition" der Zeitschrift weiterführend. Nach Kriegsende avancierte Moro
zum Leiter des Landesmuseums, ab 1958 zudem noch zum Leiter des Landesarchivs.
Vgl. Martin Fritzl, "... für Volk und Reich und deutsche Kultur". Die "Kärntner
Wissenschaft" im Dienste des Nationalsozialismus (= Disertacije in Razprave/
Dissertationen und Abhandlungen 29, Klagenfurt/Celovec 1992) 28 und 170.
235
III. Kirchen —Sturm 2.2.4.
P. Gasparis Schotti e Societate Jesu, Technica curiosa, sive mirabilia artis ..., 1664.
Mit der Signatur I 31487 im November 1942 in den Bestand aufgenommen. Sondersammlung der UBK.
Der handschriftlich vorgenommene Herkunftsvermerk weist das Buch
als Eigentum der "Ober Realschule [St. Paul], Nov. 1942" aus.
236
III. Kirchen —Sturm 2.2.5.
III.2.2.5. Olivetanerabtei Tanzenberg
Die Abtei Tanzenberg wurde am 31. Oktober 1940 von den Nationalsozialisten enteignet, den 22 Mönchen des Olivetanerordens eine
siebentägige Frist zugebilligt, um das Kloster zu verlassen. Das Gebäude selbst sowie der 283 Hektar umfassende Grundbesitz im Wert
von 400.000 Reichsmark fielen am 30. April 1941 dem Reichsgau
Kärnten zu 684. Die ursprüngliche Absicht, in den Räumlichkeiten der
Abtei eine Reichsverwaltungsschule einzurichten, wurde zugunsten
eines anderen Verwendungszweckes aufgegeben: Auf Verfügung des
Reichsministers des Inneren und auf Einladung des damaligen Gauleiters
Friedrich Rainer wurde 1942 auf Tanzenberg die zum Schutz vor den
Bombenangriffen aus Berlin ausgelagerte Zentralbibliothek der Hohen
Schule, die aus rund 450.000 Bänden bestehende Studienbibliothek
einer noch im Stadium der Nachkriegsrealisierung befindlichen NSDAP—
Universität untergebracht.
Mit einer amtlicherseits veranschlagten Bestandsgröße von 5.000
Bänden (Anm. 647)war die Bibliothek der Olivetaner von Tanzenberg die
kleinste der an die Studienbibliothek übertragenen Bibliotheken aus
enteignetem Kirchenbesitz. Abgesehen von dem bereits zitierten Bericht
der Studienbibliotheksdirektion an die Reichsstatthalterei vom April
1943 findet sich in den Akten kein Hinweis auf den erfolgten Transfer
und die Modalitäten desselben.
In dem Essay von Gabriela Stieber Die Bibliothek der "Hohen Schule
des Nationalsozialismus" in Tanzenberg sind unter dem Punkt "Statistische
Informationen zur Arbeit in der Bibliothek Tanzenberg, III: Bandzahlen"
unter anderem 800 Bände der Klosterbibliothek Tanzenberg rubriziert685 .
684
Österreichs Stifte unter dem Hakenkreuz (Anm. 589) 197.
685
Gabriela Stieber, Die Bibliothek der "Hohen Schule des Nationalsozialismus" in
Tanzenberg. In: Carinthia I, 185 (1995) 343-362, hier 360.
237
III. Kirchen —Sturm 2.2.5.
Ob die Zentralbibliothek einen Teil der Olivetanerbiliothek für sich
beansprucht hatte, ist unklar. Ein Besitzstreit zwischen der Studienbibliothek und der Zentralbibliothek ist
—
anders als im Falle von St. Paul
—
jedenfalls nicht überliefert.
Die Eigentümer der Bibliothek, die Brüder der Olivetanerkongregation
kamen nach Kriegsende zwar nach Tanzenberg zurück, gaben die
Niederlassung aber 1953 auf und kehrten in das Mutterhaus, die Abtei
Monte Oliveto Maggiore in der toskanischen Provinz Siena zurück.
Schloß Tanzenberg wurde dem bischöflichen Knabenseminar Marianum
vermietet686 .
Seitens der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt gab es jenseits
der Übernahme jener rund 5.000 Bände der requirierten Stiftsbibliothek
in ihren Bestand zwei weitere Verbindungen zu Tanzenberg. Wie in
Abschnitt I.3.3. ausgeführt, lagerte die Öffentliche Studienbibliothek
1944 einen Teil ihrer eigenen wertvollen Bestände nach Tanzenberg
aus. Nach Kriegsende wurde deren damaliger Direktor, Richard Fuchs,
in die Liquidation der in Tanzenberg untergebrachten Zentralbibliothek
der Hohen Schule eingebunden (siehe Abschnitt IV.).
686
Österreichs Stifte unter dem Hakenkreuz (Anm. 589) 197.
238
III. Kirchen —Sturm 2.2.6.
III.2.2.6. Mariannhillerstift St. Georgen am Längsee
Das Enteignungsverfahren des seit 1934 im Besitz der Mariannhiller
Kongregation befindlichen Schlosses St. Georgen durch die nationalsozialistischen Machhaber folgte demselben Muster, wie es im Falle
der anderen kirchlichen Objekte zur Anwendung kam. Am 23. Juli
1940 erhielt die Klostergemeinschaft von der Gestapo die Nachricht
von der Enteignung des Klosters, zugleich mit der Aufforderung, den
Gau Kärnten binnen sieben Tagen zu verlassen. Nach vollzogener
Beschlagnahme im Oktober 1940 und Besitzübertragung im April
1941 wurde die gesamte Liegenschaft vom Reichsgau Kärnten übernommen, welcher in dem Gebäudekomplex eine landwirtschaftliche
Schule für Knaben und eine landwirtschaftliche Jungbäuerinnenschule
einrichtete. Auch die Gemeinde St. Georgen erhielt ihren Anteil an
den requirierten Räumlichkeiten. 1943 kaufte die Organisation Todt
dem Kärntner Reichsgau den Besitz ab, um dortselbst ein Lazarett mit
Erholungsheim einzurichten. Der hierzu nötige Umbau war bis Kriegsende allerdings noch nicht zur Gänze fertiggestellt. Nach Kriegsende
nutzte die britische Besatzungsmacht die bereits funktionierende Infrastruktur des Krankenhauses für die Unterbringung eines Militärlazarettes. Bis zum Abschluss des Rückstellungsverfahrens belegte das Land
Kärnten das Schloss für die Unterbringung der Tuberkulosenabteilung
des Allgemeinen Krankenhauses in Klagenfurt. Der endgültige Rückstellungsbescheid des Besitzes an die Mariannhiller konnte erst im Sommer
1948 abgeschlossen werden. Wie in anderen Fällen der Restitution von
kirchlichem Vermögen auch, war das überaus langwierige Verfahren
einer "massive[n] politische[n] Einflussnahme auf die Entscheidungen
der Finanzlandesdirektion"687 geschuldet:
687
Irene Bandhauer —Schöffmann, Kloster — Schloss — Bildungshaus. Zur Geschichte
des Stiftes St. Georgen am Längsee im 20. Jahrhundert. In: 1000 Jahre Stift St.
Georgen am Längsee, ed. Johannes Sacherer (St. Georgen am Längsee 2003)
268-303, hier 281.
239
III. Kirchen —Sturm 2.2.6.
"[D]ie sozialistischen Landespolitiker nahmen die Restitution von kirchlichem
Vermögen zum Anlass, offene Rechnungen aus der Bürgerkriegszeit zu begleichen und fanden dabei Unterstützung in der ihnen politisch nahe stehenden Ministerialbürokratie im Bundesministerium für Vermögenssicherung
und Wirtschaftsplanung."688
Wie andernorts auch, waren selbstredend nicht allein Gebäude und
Liegenschaften enteignet worden, auch die Mobilien fielen der Aneignung und Verteilung zum Opfer. Noch 1946 liess das Land Kärnten
widerrechtlich "Einrichtungsgegenstände aus dem Schloss (50 Sessel,
50 Nachtkästchen, zwei Küchensessel) abtransportieren"689, um sie landeseigenen Sozialeinrichtungen zu überlassen.
Auf die Enteignung der Bibliothek durch die nationalsozialistische
Landesführung ist in den Diözesanakten kein Hinweis zu finden. Auch
die Chronik von St. Georgen enthält lediglich eine einzige Eintragung
aus dem Jahr 1940, welche auf die Bibliothek Bezug nimmt:
Was jeder an Privateigentum besitzt, darf er mitnehmen. Sachen, die jedoch dem Hause gehören, darf keiner mitnehmen. Dies betrifft besonders
die Bücher in der Bibliothek, wie auch Werkzeug.690
Dass der Verlust der Bibliothek für die ihres gesamten Besitzes enteigneten und vertriebenen Mariannhiller Patres noch zu den geringsten
Nöten gezählt haben dürfte, ist verständlich. Dass allerdings die dokumentierte Rückerstattung der Bibliothek nach dem Krieg so gar keine
Erwähnung findet, verwundert doch. Zumal die Restitution bei einem
geschätzten Gesamtbestand von gut 30.000 Bänden zweifellos eine
größere Aktion dargestellt haben sollte.
Auch in den Korrespondenzakten der Öffentlichen Studienbibliothek
Klagenfurt nehmen lediglich zwei Schriftstücke Bezug auf die Bibliothek
688
Ebd. 281.
689
Ebd. 285.
690
Aus der Chronik des Missionshauses ST. Georgen/Lgs 1934—59. AdDG, Ordner
917, ADG HS 917.
240
III. Kirchen —Sturm 2.2.6.
von St. Georgen. Diese sind allerdings insofern von besonderer Bedeutung, als sie aktenkundig machen, dass die Öffentliche Studienbibliothek
Klagenfurt Buchbestände aus dem enteigneten Kirchenvermögen nicht
nur erhielt (III.2.2.), sondern nach Kriegsende auch wieder restituierte.
Am 4. Oktober 1945 erging seitens der Direktion der Öffentlichen
Studienbibliothek Klagenfurt folgende Meldung an das Amt der
Kärntner Landesregierung (Abb. 21a, Dokumente):
Da die Studienbibliothek sehr unter Raummangel leidet, wird der Antrag
gestellt, den Rücktransport der Bücher aus St. Georgen am Längsee in die
Wege zu leiten.
Es hätte zu ergehen:
An das
Kloster St. Georgen am Längsee.
Die im Jahr 1940 im Kloster beschlagnahmten Bücher befinden sich im Gebäude der Studien-Bibliothek Klagenfurt, Kaufmanngasse 11. Es wird höflich
ersucht, sich wegen der Durchführung des Rücktransportes mit der Leitung
der Bibliothek ins Einvernehmen zu setzen.691
Am 24.10.1945 teilte das Amt der Kärntner Landesregierung, Verwaltung von Partei- und Reichsvermögen, der Studienbibliothek mit, dass
sich "der Überbringer, Pater Josef Dahm, mit Ihnen zwecks Rückübernahme der Bücher des Klosters St. Georgen a. Längsee ins Einvernehmen setzen [wird]."692 (Abb. 21b, Dokumente).
Auch für St. Georgen gibt es eine Berichtlegung des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an die Reichstatthalterei über das unter die
Beschlagnahme fallende Schriftgut. Darin wird ein weiterer Buchbestand
erwähnt, welcher der Öffentlichen Studienbibliothek neben der eigentlichen Klosterbiblothek zugesprochen wurde:
691
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner
Landesregierung, Schulabteilung, vom 4.10.1945. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
692
Amt der Kärntner Landesregierung, Verwaltung von Partei und Reichsvermögen
an die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt vom 24.10.1945. UAK, Kt. 369,
Fasz. St. Paul.
241
III. Kirchen —Sturm 2.2.6.
Über Aufforderung des Herrn Rechnungsrates Jantsch begab ich mich Sonntag
den 28.d.M. nach St.Georgen a.L., um dort das Archiv und die Bibliothek
des Klosters zu besichtigen.
Ich erlaube mir bezüglich deren Unterbringung folgende Vorschläge zu erstatten:
An Archivalien fanden sich etwa 80 bis in das 15. Jahrhundert zurückgehende Pergamenturkunden, ferner eine größere Anzahl Urbare, Stiftregister
u.a. und etliche Faszikel Akten, welche Bestände sich sämtlich auf das ehemalige Nonnenkloster bezw. die Herrschaft St. Georgen a.L. beziehen. Diese
Bestände wären vom Reichsgauarchiv Kärnten zu übernehmen.
Ferner fand sich in einem als [!] Bibliothekszimmer bezw. Raum ein wüster
Haufen von Büchern, die sich bei näherem Zusehen als ehemalige Hausbibliothek der Grafen Egger, der vormaligen Besitzer der Herrschaft, herausstellte [!].
Demgemäß besteht sie vornehmlich aus Belletristik und weniger historischer
Literatur.
Ich schlage vor, die belletristischen Werke der hiesigen Studienbibliothek
zu übergeben (zahlreiche darin vorhandene Kinderbücher könnte man der
Schule in St. Georgen überlassen) und die historische Literatur dem Reichsgauarchiv Kärnten zu überlassen.
Sollte die Studienbibliothek nicht geneigt sein, die an und für sich nicht
sehr wertvollen Bücher zu übernehmen, so käme nur die Abgabe an eine
Papierfabrik oder an Antiquar Raunecker in Betracht.
Zur Sichtung der in vollständiger Unordnung befindlichen Bücher muß ich
mich etwa 4 Tage in St. Georgen a.L. aufhalten.
Z[ene]gg
dzt. mit der Leitung betraut.693
693
Bericht des Reichsgauarchivleiters Emmerich Zenegg an die Reichsstatthalterei
Kärnten vom 29.7.1940. LAK, Archivregistratur, Zl. 146/1940.
242
IV. Slowenische Bibliotheken
IV. Die Enteignung der slowenischen Bibliotheken im okkupierten
Oberkrain
Im April 1949 stellte die jugoslawische politische Vertretung in Wien
beim Bundesministerium für Inneres das Ersuchen, zwei Delegierten
einer jugoslawischen "Wiedergutmachungskommission" Einsichtnahme
in "die Landesarchive und Landesbibliotheken von Graz und Klagenfurt
sowie in die Universitätsbibliothek von Graz zu gewähren" 694. Dieses
Interesse stiess auf kein über die erzwungene Befolgung eines Beschlusses des Alliierten Rates695 hinausgehendes Entgegenkommen der
österreichischen Behörden. Von Seiten des Bundesministeriums für
Inneres wurde den Ländern "empfohlen, die Archive und Bibliotheken
anzuweisen, die Delegierten zu ersuchen, sie mögen angeben, über
welche verschleppten bzw. geraubten Güter ihrer Vermutung Korrespondenzen oder Akten- und Schriftenmaterial in dem betreffenden
Institut vorhanden sind." 696 Eine kaum zu erfüllende Auflage. In Kärnten
wurden der Delegation, welche sich vor allem für das "Depot Bibliothek
Tanzenberg"697 interessierte, alle erdenklichen bürokratischen Hürden
in den Weg gestellt, um eine solche Einsichtnahme zu verhindern:
Eine telefonische Anfrage beim Britischen Element, Colonel Husband, ergab,
daß die jugoslavische [!] Vertretung am 4. April 1949 eine diesbezügliche
Anfrage an das Bundeskanzleramt
—
Auswärtige Angelegenheiten um
Besichtigungsbewilligung für Bibliotheksbestände in Klagenfurt gerichtet hat.
Von einem neuerlichen Ansuchen, insbesondere um die Besichtigung des
Depots Bibliothek Tanzenberg ist weder im Bundeskanzleramt
—
Auswärtige
694
Abschrift eines Schreibens des Bundesministeriums für Inneres an das Amt der
Kärntner Landesregierung vom 25.5.1949. UAK, Kt. 363.
695
Vgl. ebd.
696
Ebd.
697
Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung an das Amt
der Kärntner Landesregierung zu Handen Hofrat Dr. Kandutsch vom 1.10.1949.
UAK, Kt. 363, Fasz. 1949.
243
IV. Slowenische Bibliotheken
Angelegenheiten, noch im Bundesministerium für Unterricht, noch beim Britischen Element, Col. Husband, etwas bekannt, somit kann eine Bewilligung zur
Besichtigung der Depotbestände "Bibliothek Tanzenberg" nicht erteilt werden,
solange nicht das Britische Element und das Bundeskanzleramt
—Auswärtige
Angelegenheiten hiezu die entsprechende Zustimmung erteilt haben."698
Ein weiteres Schreiben des Bundesministeriums an das Amt der Kärntner
Landesregierung vom 3. November 1949 präzisierte die Suche der jugoslawischen Delegation, welche der im Jahr 1942 nach Klagenfurt verschleppten "slowenischen Bibliothek" 699 aus Krainburg galt. Als deren
Empfängerin wurde das Institut für Kärntner Landesforschung genannt.
Selbige Bibliothek sollte im Juli 1947 nach Tanzenberg und von dort
wiederum nach Klagenfurt unter die Verwaltung der Studienbibliothek
gebracht worden sein 700:
Außerdem teilt die jugoslawische, politische Vertretung in ihrer Note mit, daß es
anderen Vertretungen gestattet worden sei, in das Depot "Bibliothek Tanzenberg"
Einsicht zu nehmen, in welchem von diesen Vertretungen auch eine Anzahl
restitutionspflichtiger Bücher ihres Landes aufgefunden worden sein sollen.
Das Amt der Kärntner Landesregierung wird daher eingeladen, umgehend zu
berichten, zu welchem Zeitpunkt eine Besichtigung durch andere Vertretungen
im Depot Bibliothek Tanzenberg stattgefunden haben und von wem die Besichtigungsbewilligung hiefür erteilt wurde.
Gleichzeitig wären sofortige Nachforschungen sowohl beim Institut für Kärntner
Landesforschung als auch in der Studienbibliothek Klagenfurt nach dem Verbleib
der erwähnten slowenischen Bibliothek aus Krainburg zu pflegen. Das Ergebnis
wolle umgehend dem ho. Bundesministerium übermittelt werden.
Vom Leiter der Studienbibliothek, Dr. Fuchs, wäre ein schriftlicher Bericht einzuholen
698
Ebd.
699
Es ist unklar, ob die Bezeichnung "slowenische Bibliothek" einen geschlossenen
Bestand meint, oder eine Teilmenge sämtlicher requirierten slowenischen Bücher
aus dem Gebiet Oberkrain, die nach Krainburg verbracht worden waren, um dort
gesichtet und in weiterer Folge entweder makuliert oder umverteilt zu werden.
700
Vgl. Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung an das
Amt der Kärntner Landesregierung zu Handen von Hofrat Dr. Kandutsch vom
3.11.1949. UAK, Kt. 363.
244
IV. Slowenische Bibliotheken
über Art und Umfang der Einlagerung der "Bibliothek Tanzenberg", die Anzahl der eingelagerten Kisten und über die Möglichkeit zu dem in einer der
Kisten befindlichen Inventarverzeichnissen zu gelangen. Falls die Inventarverzeichnisse erreichbar sind, wären diese gleichfalls vorzulegen.
Auf die Dringlichkeit der Angelegenheit wird besonders hingewiesen.701
In den Korrespondenzakten der Öffentlichen Studienbibliothek befindet
sich der handschriftliche, teilweise in Kurzschrift verfasste Entwurf für
die geforderte Stellungnahme, welcher hier, soweit lesbar, transkribiert
wiedergegeben ist:
Bibl. Tanzenberg, Jugols. [!]
Es entspricht nicht den Tatsachen, daß die slow. Bibliothek aus Krainburg
unter die Verwaltung der Studienbibliothek gekommen ist und es gelang
auch der Bibliotheksleitung, die hier anwesende jugols. Kommission von der
Tatsache zu überzeugen und klar zu beweisen, daß auch nicht ein einziges
Buch aus Krain in die Stud.Bibl. aufgenommen wurde. [?]
Nach Einlagerung der 600 Tanzenberger Depotkisten wurde niemandem
eine Durchsicht dieser Bestände zugestanden, zumal von keiner Seite ein
derartiges Ansuchen gestellt wurde. Solange diese Bestände in Tanzenberg
lagen, standen sie unter englischer Kontrolle und konnten mit Zustimmung
dieser Stelle besichtigt werden, was aus der Tatsache hervorgeht, daß einige
Kisten nach Jugolsen. [!] restituiert wurden; hierbei dürfte es sich aber
nicht um die gesuchten Bücher aus dem [damaligen = durchgestrichen]
vormaligen Oberkrain handeln.
Der [?] STUB [?] Umfang [?] Einlagerung [?].
Es ist nicht möglich [an] die Kisten mit dem Inventarverzeichnis [dem Katalog
= durchgestrichen] zu gelangen, da die [?] wahllos eingelagert wurden.
Es sollen [?] 3 Stücke aus Triest befinden mit [?] dürfen nicht zu den gesuchten Beständen gehören.702
701
Ebd.
702
Handschriftlicher Entwurf einer Sachverhaltsdarstellung des Direktors der Öffentlichen Studienbibliothek, Richard Fuchs, [9.12.]1949. UAK, Kt. 363, Fasz. 1949.
245
IV. Slowenische Bibliotheken
Als lapidare Randnotiz "Nichts gefunden"703 findet sich an anderer Stelle
noch einmal ein Hinweis auf das Ergebnis der Nachforschung:
Möglicherweise bezieht sich der Hinweis auf "restitutionspflichtige
Bücher", welchen die jugoslawische Delegation ins Treffen führte, auf
jene in obiger Sachverhaltsdarstellung erwähnten und unter KoC 1 —3
angegebenen drei Kisten mit "Bücher[n] in slowenischer Sprache aus
Triest" 704, welche Fuchs in seiner Berichtlegung an das Ministerium unter
dem Rubrum "allfällige Restitution" 705 auflistet:
Solange die Bibliothek Tanzenberg unter englischer Verwaltung stand, wurden 4599 Kisten restituiert, darunter 16 Kisten nach Jugoslawien u.z. am
18.11.1947 und am 6.4.1948. 3 Kisten mit Büchern in slow. Sprache aus
Triest erliegen noch hier, sind aber derzeit unter den rd. 600 Kisten nicht
auffindbar.706
Dies ist zugleich der einzige Hinweis auf "Triest" als Herkunftsort von
Büchern in den Akten der Öffentlichen Studienbibliothek. Gut möglich,
dass es sich bei dem er wähnten Bestand um ein Bücherkonvolut aus
der zum Raubdepot für die "Operationszone Adriatisches Küstenland"
703
Nachträgliche Randnotiz von Richard Fuchs auf einem Rundschreiben des Bundesministeriums für Unterricht vom 15.4.1949, welches den Besuch der jugoslawischen
Delegation avisiert. UAK, Kt. 363, Fasz. 1949.
704
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Bundesministerium
für Vermögenssicherung Wien vom 23.12.1949. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschunginstitut Alfred Rosenberg".
705
Ebd.
706
Ebd.
246
IV. Slowenische Bibliotheken
umfunktionierten Synagoge in Triest handelte707, zumal der "Einsatzstab
Rosenberg" auf der Liste der Empfänger von Büchern selbiger Provenienz
aufscheint708 .
Das in dem Schriftstück erwähnte Institut für Kärntner Landesforschung
wurde am 10. Oktober 1942 auf Betreiben Gauleiter Rainers gegründet,
als eine Art Außenstelle der Universität Graz, nachdem sämtliche Bestrebungen, die Gründung einer eigenen Kärntner Universität zu erwirken,
gescheitert waren 709. Die Institutsgründung entsprang dem Bestreben
von Seiten Kärntens "zur Errichtung einer genuin kärntnerischen wissenschaftlichen Institution, die der Germanisierung und »geistigen Eroberung« des besetzten Oberkrain dienen sollte."710 Als Dachorganisation
fungierte die zeitgleich gegründete Kärntner Wissenschaftliche Gesellschaft, deren Zweck darin bestand, "insbesondere in Hinblick auf
Germanisierung und Reichsanschluß Oberkrains sämtliche wissenschaftliche Aktivitäten des Landes zu monopolisieren und ausnahmslos unter
Kuratel des Gauleiters zu stellen, um den wissenschaftlichen Einsatz
nach rein politischen Maßgaben zu dirigieren." 711 Das Institut für Landesforschung unter der Leitung von Eberhard Kranzmayer, Lehrstuhlinhaber
für "Mundartkunde und Grenzlandforschung" in Graz, war von seiner
Gründung 1942 bis 1945 im vormaligen Gaumuseum untergebracht.
"Nach dem Krieg wurde das Institut aufgelöst und der Bestand von
etwa 1.100 Werken von der Bibliothek des Landesmuseums übernommen
—
wo er heute unbearbeitet im Keller des Museums lagert." 712
707
Vgl. Hall/Köstner, "... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern ..." (Anm. 15)
427 ff.
708
Vgl. ebd.
709
Vgl. ebd. 430-431.
710
Michael Wedekind, Nationalsozialistische Besatzungs- und Annexionspolitik in
Norditalien 1943 bis 1945. Die Operationszonen "Alpenvorland" und "Adriatisches
Küstenland" (= Militärgeschichtliche Studien 38, München 2003) 262.
711
Ebd. 261.
712
Ebd. 434.
247
IV. Slowenische Bibliotheken
Die kategorische Feststellung von Richard Fuchs, "daß auch nicht ein
einziges Buch aus Krain in die Stud.Bibl. aufgenommen wurde"713 , konnte
durch diese Untersuchung zwar nicht falsifiziert werden, was aber nicht
bedeutet, dass die Studienbibliothek am Kulturgüterraub im okkupierten
Slowenien in keiner Weise beteiligt gewesen war. Denn wie ein weiteres
Aktenstück aus der Ablage der Öffentlichen Studienbibliothek zeigt,
war Richard Fuchs im Jahr 1942 in die Transferierung eines wertvollen
Bücherkonvolutes von Krainburg nach Klagenfurt involviert. Eine Übernahmebestätigung der "Zweigstelle des Reichsgauarchivs für Kärnten
in Krainburg"714 weist ihn als vom Reichsstatthalter in Kärnten beauftragten Empfänger wertvoller bibliophiler "Unikate"715 aus. Offenbar
spielte Fuchs hier lediglich eine Botenrolle
—
was ihn in Anbetracht der
Rara geschmerzt haben dürfte. Die Unterfertigung des Papiers weist
auf das Reichsgauarchiv als Bestimmungsort der Bücher hin: "Für das
RGA zur Aufstellung übernom[m]en I.V. M[artin] Wutte"716. Der Historiker
Dr. Martin Wutte war von 1923 bis 1938 Direktor des Landesarchivs
Klagenfurt. Sein Nachfolger nach dem "Anschluss" war sein Neffe, der
aus Wien gebürtige Kunsthistoriker und Archivar Karl Starzacher, welcher
im November 1941 zum SS—Obersturmführer avancierte. Dessen Versetzung nach Kärnten ans Landesarchiv erfolgte auf eigenen Wunsch,
um hier das "Lebenswerk" seines Onkels fortzusetzen717. Mit Kriegsausbruch übernahm Martin Wutte neuerlich bis 1942 die wissenschaftliche
Leitung des nunmehrigen Reichsgauarchivs, dessen administrative Führung
713
Handschriftlicher Entwurf einer Sachverhaltsdarstellung des Direktors der Öffentlichen Studienbibliothek, Richard Fuchs, [9.12.]1949. UAK, Kt. 363, Fasz. 1949.
714
Zweigstelle des Reichsgauarchivs für Kärnten in Krainburg vom 5.10.1942. UAK,
Kt. 363, Fasz. 1942.
715
Ebd.
716
Ebd.
717
Vgl. Alfred Elste/Michael Koschat, Kärntner Nationalsozialisten und ihr Anteil an
der NS —Okkupationspolitik in Slowenien. In: Kärnten und die nationale Frage 5:
Kärnten und Slowenien — "Dickicht und Pfade", edd. Stefan Karner/Janez Stergar
(Klagenfurt/Celovec 2005) 133-150, hier 146, Fussnote 34.
248
IV. Slowenische Bibliotheken
an Emmerich Zenegg ging718. Starzacher wurde nach Oberkrain versetzt,
wo er die Funktion eines Beauftragten für Archivwesen, Büchereien
und Museen beim Stab des Chefs der Zivilverwaltung [CdZ] und
Stabsleiters der Dienststelle des Beauftragten des Reichskommissars für
die Festigung deutschen Volkstums [RKFDV] bekleidete719.
Als Historiker trug Wutte durch seine rege Publikationstätigkeit maßgeblich "zum Aufbau einer Landesideologie und damit eines Landesnationalismus"720 bei, in seinen Funktionen als Obmann des Kärntner
Heimatbundes und Archivdirektor wirkte er an "d[er] Planung und
Vorbereitung der Aggression Hitler—Deutschlands gegen Jugoslawien,
d[er] Annexion jugoslawischer Gebiete und d[er] Germanisierung der
jugoslawischen Bevölkerung entscheidend mit [...]."721
Die Behandlung der Bibliotheken und Archive in den 1941 von den
Nationalsozialisten okkupierten Gebieten Oberkrain und der Untersteiermark lässt deutliche Parallelen zu dem bereits geschilderten Verfahren gegenüber den konfessionellen Einrichtungen erkennen. Ein
erster Schritt unmittelbar nach der Besetzung war die möglichst
vollständige Beschlagnahme des slowenischen Schriftgutes. Analog zu
den Entkonfessionalisierungsmaßnahmen war die Unterdrückung der
slowenischen Sprache ein wesentliches Element der Machtdurchsetzung
und Beherrschung.
Am 25. April 1941 erteilte die Bundesführung des Steirischen Heimatbundes folgende Anweisung zur Beschlagnahme des slowenischen
Schriftgutes:
Aus nationalpolitischen Erwägungen heraus sind wir interessiert, so rasch
als möglich das gesamte slowenische Schriftgut aus der Untersteiermark
718
Vgl. Wadl, Das Kärntner Landesarchiv (Reichsgauarchiv Kärnten) in der NS —Zeit
(Anm. 11) 566-567.
719
Vgl. Elste/Koschat, Kärntner Nationalsozialisten und ihr Anteil an der NS —Okkupationspolitik in Slowenien (Anm. 717) 146, Fussnote 34.
720
Fritzl, "... für Volk und Reich und deutsche Kultur" (Anm. 683) 75.
721
Ebd. 135.
249
IV. Slowenische Bibliotheken
einzuziehen. Eine öffentliche Aufforderung zur Ablieferung des vorerwähnten
Schriftgutes ist aus optischen Gründen nicht angebracht. Es muss aber
trotzdem möglich sein, durch persönliche aktive Fühlungnahme ausser den
Vereins- und Schulbüchern usw. auch die Privatbüchereien [Hervorh. d.d.
Verf.] weitgehend zu säubern.
Die sichergestellten Bücherbestände sind unter strengem Verschluss in Räumen
Ihrer Ortsgruppen —Dienstelle unterzubringen [...].722
Ein Vermerk des Generaltreuhänders für die Sicherstellung der Kulturgüter über Aufgaben in den besetzen Gebieten Krains, SS—Obersturmführer Johann Löhausen, vom 15. Mai 1942 beschreibt ein entsprechendes Verfahren auch für diese Besatzungszone:
4.) Es wurden sämtliche Büchereien im Gebiet von Oberkrain beschlagnahmt. Ein Teil von ihnen ist bereits in eine Art Buchsammelstelle nach
Krainburg überführt worden. Dr. Koschir, der frühere Leiter der Abteilung
"Kultur und Schule" des CDZ. [Chef der Zivilverwaltung], jetzt Leiter der
Lehrerbildungsanstalt in Krainburg, beaufsichtigt diese Aktion. Die Buchsammelstelle ist in den Räumen der ehemaligen Textilschule in Krainburg
untergebracht. Bisher wurden in Krainburg 150 Büchereien zusammengezogen. Unter der Leitung von Dr. Koschir wird mit Hilfe von pensionierten
slowenischen Lehrern und auf Grund von Mitteln, die der CDZ. noch zur
Verfügung gestellt hat, der gesamte Bücherbestand gesichtet, geordnet und
aufgearbeitet. Das slowenische Buchmaterial wird herausgenommen. Es
werden bis zu 5 Exemplaren [...] jedes Buches in die künftigen Büchereibestände eingeordnet. Die übrigen Exemplare werden zum Einstampfen
abgelegt.723
Wie der Abschlussbericht des Generaltreuhänders für die Sicherstellung
der Kulturgüter, SS—Obersturmbannführer Wolfram Sievers, vom 12.
August 1942 über die Tätigkeit in der Untersteiermark auflistet, wurden
in der Untersteiermark im Rahmen dieser Aktion allein an Schriftgut "sichergestellt":
722
Quellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungspolitik in Slowenien 1941—
1945 (Anm. 13) 77.
723
Ebd. 432.
250
IV. Slowenische Bibliotheken
[...] Bücher
Urkunden usw.
etwa 60.000 Bände
75 handgeschriebene Urkunden, darunter verschiedene
aus dem 14. u. 15. Jahrhundert.
33 Abschriften u. Auszüge aus verschiedenen alten
Urkunden.
22 Chroniken. Zahlreiche chronikalische Aufzeichnungen und Traktate. Volksliedersammlungen, im
ganzen 3.000 Lieder [...].724
Die weitere Vorgehensweise ist sattsam bekannt: Die "unerwünschte
Literatur" wurde ausgesondert und in der Folge eingestampft, was hingegen irgend wertvoll war, kam ins "Altreich" und wurde in die dortige
Distributionsmaschine eingespeist, wie ein Bericht des Kommandanten der
Sicherheitspolizei und des SD in der Untersteiermark vom 19. November
1941 über die Eindeutschung darlegt:
Literatur.
Gegenwärtig wird die slowenische Literatur geprüft. Vorgesehen ist, von
den ausgesuchten Büchern, 4 Bibliotheken zusammen zustellen [!], welche
in das Altreich kommen, das übrige Material wird eingestampft.725
Ein Teil der beschlagnahmten Literatur war auch hier für den Aufbau
von Volksbüchereien bestimmt, wie das Reichspropagandaamt Kärnten,
Zweigstelle Veldes, in einem Bericht vom 23. Juni 1941 über die Lage
in den besetzten Gebieten Krains festhält :
Selbstverständlich wurden gleich nach der Besetzung dieses Gebietes alle
slowenischen Büchereien beschlagnahmt und ich bin nun daran, aus den
Mitteln des Ministeriums in Zusammenarbeit mit der staatlichen Büchereistelle je nach der Grösse des Ortes kleinere oder grössere Büchereien zu
schaffen. Es ist gerade die Schaffung der Büchereien eine vordringliche
Aufgabe, da die Nachfrage nach Lesestoff sehr gross ist.726
724
Ebd. 478.
725
Ebd. 351.
726
Ebd. 187.
251
IV. Slowenische Bibliotheken
Welcher Bestimmung die aus der Zweigstelle des Reichsgauarchivs
nach Klagenfurt transferierten Werke zugeführt werden sollten, ist
ebenso unklar wie ihr Verbleib. In den Bestand des heutigen Landesarchivs sind sie jedenfalls nicht eingegangen. Möglicherweise waren
die Rara als Exponate für die Ausstellung "Kärnten 1200 Jahre Grenzland des Reiches" bestimmt, die im Oktober 1943 in Klagenfurt stattgefunden hat, und an der auch das Reichsgauarchiv wesentlich beteiligt
war727 . Der im Landesarchiv noch vorhandene Ausstellungskatalog verzeichnet allerdings keinerlei Druckwerke.
Möglicherweise waren die angeführten Druckschriften Teil jenes Archivbestandes, welcher 1950 auf der Grundlage der Arbeit der Restitutionskommission im Rahmen der österreichisch —jugoslawischen Archivverhandlungen zur Übergabe gelangte728. Die Suche im Online— Katalog
der National- und Universitätsbibliothek Laibach hat für die unter:
1: Valvasor, 1689
2: Dalmatin, 1584
3: Bohoriz, 1584
4: Trubar, 1582
5: Trubar, 1566
6: Dalmatin, 1584
7: Kancyonal, 1659
entsprechende Treffer ergeben 729. Ob es sich um dieselben Werke
handelt, ist natürlich nicht sicher.
Was sich dem angeführten Dokument jedenfalls entnehmen lässt, ist
das gute Einvernehmen, welches zwischen dem Leiter der Öffentlichen
Studienbibliothek, Richard Fuchs, und den Landesstellen geherrscht
727
Vgl. Fritzl, "... für Volk und Reich und deutsche Kultur" (Anm. 683) 142 ff.
728
Vgl. Wadl, Das Kärntner Landesarchiv (Reichsgauarchiv Kärnten) in der NS —Zeit
(Anm. 11) 574-575.
729
Vgl. http://www.cobiss.si
252
IV. Slowenische Bibliotheken
haben muss, da er derart in Dienst genommen wurde. Wiewohl die
Öffentliche Studienbibliothek als Bundeseinrichtung nicht im Verband
der Wissenschaftlichen Gesellschaft integriert war und Fuchs auch
nicht als ein außerordentliches Mitglied derselben aufscheint, taucht
sein Name doch immer wieder auf den Listen der persönlich zu Veranstaltungen der Gesellschaft Einzuladenden auf 730. Vor allem beweist
das Papier, dass es seitens der Studienbibliothek sehr wohl eine Verbindung nach Oberkrain und damit zu den Bücherbeschlagnahmen
gab.
730
Einladung zur Konstituierung der Kärntner Wissenschaftlichen Gesellschaft, 10.
Oktober 1942, Großen Wappensaal, Landhaus Klagenfurt.
Einladungsliste für den Vortrag von Franz Xaver Zimmermann am 19. November
1943.
Einladungsliste für den Vortrag von Professor Max Ittenbach, Gent am 22. Mai
1944 in St. Veit an der Glan.
LAK, Bestand Kärntner Wissenschaftliche Gesellschaft, Kt. 1, Fasz. 1.1: Gründung,
Satzung, Organisation, Tätigkeit 1942 —43.
253
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
V.
Die Auflösung der "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in
Tanzenberg unter der Sachwalterschaft der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
Die Geschichte der "Zentralbibliothek der Hohen Schule im Aufbau"
oder "Zentralbibliothek der Hohen Schule in Vorbereitung", wie die
parteiamtliche Bezeichnung lautete, ist mittlerweile gut dokumentiert.
Desgleichen liegen eigene Forschungsarbeiten über die Zeit der Unterbringung in Tanzenberg sowie die Restitution der Buchbestände nach
dem Krieg vor. Im Rahmen der NS —Provenienzforschung hat sich ein
Projekt an der UB Wien mit der "Sammlung Tanzenberg"731 befasst.
Diese Abschnitte werden hier nur soweit rekapituliert, als es der
Verständniskontext erfordert. Ein dokumentarisches "Missing Link" scheint
aber die Auflösung jener "Restbestände" von immerhin rund 600 Bücherkisten darzustellen, welche aufgrund ihrer unmittelbar nicht eruierbaren
Provenienz als "herrenloses" Gut eingestuft wurden oder aber seitens
der Zentralbibliothek nachweislich regulär angekauft worden waren
und somit als "rechtmäßig" erworben galten:
Das weitere Schicksal des restlichen Buchbestandes von rund 68.000 Bänden
nach der Übergabe an den österreichischen Staat ist jedoch kaum mehr
feststellbar. Es kann als sicher angenommen werden, daß die Bücher nicht
in der Studienbibliothek Klagenfurt geblieben sind. Sie dürften unter der
Bezeichnung "Tanzenberg —Sammlung" in der Neuen Hofburg in Wien gelagert und bibliotheksmäßig erfasst worden sein.732
Unter den Akten der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt befindet
sich eine Mappe, welche das Verfahren rund um den "Restbestand" der
Zentralbibliothek in der Jahresspanne 1945 bis 1950 dokumentiert und
solcherart geeignet ist, einige der bis dato noch bestehenden Kenntnislücken zu schliessen.
731
Projekt: Die Sammlung Tanzenberg — ein unaufgearbeiteter Buchbestand an der
Universitätsbibliothek Wien: http://www.ub.univie.ac.at/tanzenberg.
732
Stieber, Die Bibliothek der "Hohen Schule des Nationalsozialismus" in Tanzenberg
(Anm. 685) 362.
254
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
Im Jänner 1934 ernannte Hitler den NS —Chefideologen und Leiter des
Außenpolitischen Amtes der NSDAP, Alfred Rosenberg, zum "Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und
weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP". Der Aufgabenstellung entsprang der Plan zur Errichtung einer "Hohen Schule", einer
universitätsähnlichen Ausbildungseinrichtung für künftige Führungskräfte des nationalsozialistischen Staates, der Abschluss —Institution
eines Ausbildungsweges, der über die Adolf—Hitler—Schulen und die
Ordensburgen führte. Dem elitären Anspruch gemäß, sollte niemand
geringerer als der Architekt des Führers, Albert Speer, für die neue
Institution eines seiner gigantesken Bauwerke entwerfen. Als Standort
war der Chiemsee vorgesehen.
Die "Hohe Schule im Aufbau", oder "Hohe Schule in Vorbereitung",
wie die dem Planungsstadium gemäße Bezeichnung künftig lautete,
war zuvorderst in mehrere dislozierte Außeninstitute gegliedert, deren
jedes unabhängig von seinen sonstigen Agenden unverzüglich mit
dem Aufbau fachspezifischer Bibliotheken begann. Untergebracht waren
die Institute an den Universitäten der jeweiligen Standorte, zum einen,
um dadurch den "wissenschaf tlichen" Charakter der dor tselbst getätigten Forschung zu unterstreichen, zum anderen aus infrastrukturellen
und personalpolitischen Gründen: "Diese Institute würden nicht zur
Universität gehören, aber ihre Professoren sollten in Personalunion
auch an den betreffenden Universitäten tätig sein."733 Vorgesehen waren
folgende Institute:
1. Institut für germanische Geistesgeschichte, Indogermanisches Institut
in München
2. Institut für Biologie und Rassenlehre in Stuttgart
3. Übersee —Institut in Hamburg
733
Enzyklopädie des Nationalsozialismus, edd. Wolfgang Benz/Hermann Graml/
Hermann Weiß (Stuttgart 1997) 517.
255
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
4. Institut für Religionswissenschaft in Halle
5. Institut für Ostforschung in Prag (hier dürfte ein Gutteil der in Polen
beschlagnahmten Buchbestände gelandet sein)
6. Institut für germanische Forschung in Kiel
7. Germanisch —Gallikanisches Institut in Straßburg
8. Institut für deutsche Volkskunde in Detmold
9. Sonderstab Musik in Berlin, später in Hirschberg in Schlesien
10. Institut zur Erforschung der Judenfrage in Frankfurt
Letzteres war jenes Institut, welches Rosenberg vor allen anderen am
Herzen lag. Und die einzige der zehn Außenstellen, welche im März
1941 ihre Tätigkeit in der ursprünglich geplanten Form aufnehmen konnte.
"Zum Zeitpunkt der Eröffnung umfasste die Bibliothek bereits 350.000
Bände, zum Teil geschlossene Bibliotheken und Bestände aus Privatsammlungen, einschließlich wertvoller Handschriften und Inkunabeln."734
Raubbestände aus dem besetzten Frankreich, wie die Bibliothek
Rothschildt, welche bereits Erwähnung fand (siehe Abschnitt II.2.), und
aus den Niederlanden sorgten für einen derart immensen Buchzufluss,
dass eine "vorschriftsmäßige Erfassung unmöglich war" 735. 1946 wurden in Hungen im Landkreis Hessen, wohin die Bibliothek 1944 aus
Platzgründen verlegt worden war, über 3 Millionen Bücher gefunden 736.
Wiewohl die Pläne für die "Hohe Schule" kriegsbedingt letztlich über ein
Anfangsstadium nicht hinauskamen, stellten sie als solche schon einen
weiteren massiven Eingriff in das traditionelle Hochschulwesen dar, dem
gegenüber die Partei ein genuines Misstrauen hegte, fussend in der grundsätzlichen Weigerung, "Macht von einer erworbenen Berechtigung abhängig"737 zu machen.
734
Stieber, Die Bibliothek der "Hohen Schule des Nationalsozialismus" in Tanzenberg
(Anm. 685) 346.
735
Ebd. 346.
736
Vgl. ebd. 346-347.
737
Harald Scholz, Nationalsozialistische Ausleseschulen. Internatsschulen als Herrschaftsmittel des Führerstaates (Göttingen 1973) 396.
256
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
Die Zentralbibliothek selbst wurde 1939 in Berlin gegründet und der
Direktion von Dr. Walther Grothe unterstellt. Die Aufgabe der Zentralbibliothek bestand nicht nur in der Zusammenführung der einzelnen
Institutsbibliotheken, sondern auch im selbständigen Bestandsaufbau.
Eine jährliche Dotation von RM 150.000 diente dem Ankauf von nachgelassenen Bibliotheken und Antiquaritatsankäufen738. Der überwiegende
Teil aller Neuzugänge stammte allerdings aus den Zuweisungen an geraubten Büchern seitens des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg (ERR).
1942 ließen die Bombenangriffe auf Berlin eine Evakuierung zum
mindesten eines Teils der Bestände angeraten scheinen. Die requirierte
Abtei Tanzenberg bot sich als neue Unterkunft an. Als Dienststelle
diente aufgrund noch zu tätigender Umbauarbeiten in Tanzenberg
einstweilen das Grandhotel Annenheim am Ossiachersee. Die Übersiedelung der Zentralbibliothek nach Tanzenberg währte bis Kriegsende. "Nach Kriegsende befanden sich in den Räumlichkeiten von
Tanzenberg etwa 40.000 Bücher in Regalen und 3.500 bis 4.000 Kisten
mit jeweils 100 —120 Büchern."739 Unter der britischen Besatzung wurde
sogleich mit der Restituierung aller eruierbaren Provenienzen begonnen.
Für die Arbeiten wurden die ehemaligen Bibliothekare der ZB zwangsverpflichtet.
Im Juni 1947 konnte die Restituierungstätigkeit der Bibliothekare in
Tanzenberg als weitgehend abgeschlossen betrachtet werden. Offen
geblieben war ein Restbestand, der sich aus den angekauften Büchern
sowie jenen Beständen zusammensetzte, deren Provenienz nicht so ohne
weiteres festgestellt werden konnte. Daher regte die britische Militärbehörde die Einsetzung eines österreichischen Sachwalters an, der für
die weitere Betreuung und eventuelle spätere Restitution der Bücher
zuständig sein sollte. Die britische Besatzung schlug dem damaligen
738
Vgl. Stieber, Die Bibliothek der "Hohen Schule des Nationalsozialismus" in Tanzenberg
(Anm. 685) 349.
739
Ebd. 350.
257
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung vor, den
Direktor der Öffentlichen Studienbiliothek, Richard Fuchs, mit dieser Aufgabe zu betrauen. Am 10. Mai 1948 erfolgte schließlich die Übergabe
der noch vorhandenen Bestände an die Studienbibliothek Klagenfurt.
Bereits 1946 trat die Kärntner Landesregierung mit der Direktion der
Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt in Fühlungnahme bezüglich
einer allfälligen Einbindung von Richard Fuchs als bibliothekarischem
Sachverständigen in die Liquidierung der Bibliothek Tanzenberg. In seinem
Antwortschreiben vom 6.2.1946 bekundete Fuchs seine Bereitschaft
und Befähigung, "dem ehrenvollen Auftrage nachzukommen, um nebenamtlich, so rasch als tunlich, die Liquidierung dieser Angelegenheit
durchzuführen."740 Zur Bedingung machte Fuchs aber eine "[o]rdnungsgemäße Bestallung durch einen schriftlichen Auftrag, der von der Englischen Besatzungsbehörde und der Landesregierung gezeichnet ist."741
Vorerst wurde die Restitution der Bestände bekannter Personen- oder
Länderprovenienzen aber unter direkter alliierter Observation und
Heranziehung der früheren Bibliotheksmitarbeiter durchgeführt. Bis zu
deren Abschluss kam Fuchs lediglich die Stellung eines designierten
Sachwalters etwaiger "Restbestände" zu. Wie die Berichtlegung von
Fuchs an die Kärntner Landesregierung über eine Zusammenkunft in
Tanzenberg vom Dezember 1947 zeigt, galt die Übergabe der verbleibenden Bestände an die Studienbibliothek allerdings bereits als
entschieden: "Es wurde festgelegt, dass die Übernahme der ZB —
Bestände etwa zwei bis drei Monate beanspruchen werden und auch
alle bisherigen Angestellten dazu herangezogen werden müssen um
diesen Termin einhalten zu können, desgleichen müssen auch die bisherigen Räume zur Verfügung bleiben." 742
740
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner
Landesregierung, Hofrat Dr. Stoll, vom 6.2.1946. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschunginstitut Alfred Rosenberg".
741
Ebd.
742
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner
Landesregierung vom 10.12.1947. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung
Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg".
258
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
Am 22. Mai meldete Richard Fuchs "[a]uf Grund einer telefonischen
Anfrage bei der Generaldirektion der Nationalbibliothek in Wien" 743 dem
Personalamt der Kärntner Landesregierung seine "Berechtigung, die Bibliothek in Tanzenberg vorläufig als Treuhänder übernehmen zu können"744 , verbunden mit dem Antrag auf Personalprolongierung. Zu
diesem Zeitpunkt waren laut einer Personalstandsliste in Tanzenberg
folgende Personen beschäftigt:
Dr. Walther Grothe, vormals Bibliothekdirektor, seit August 1945 verantwortlicher Leiter der Restitutionsarbeiten. Politisch: minderbelastet.
Dr. Gottlieb Ney, Wissenschaftlicher Bibliothekar. Seit 1941 an der ZB.
Politisch: war nicht Mitgl. der NSDAP.
Franziska Wendl, Wissenschaftliche Bibliothekarin, seit 1943 an der ZB.
Politisch: minderbelastet.
Käthe Ziegler (keine Angaben).
Anton Tony, Magazinmeister, seit 1943 an der ZB. Politisch: war nicht Mitglied der NSDAP.
Joseph Zapf, Magazinmeister, seit 1942 an der ZB. Politisch: minderbelastet.
Des weiteren drei Arbeiter: Franz Brunschitz, Franz Sucher und Joseph
Jordan, sämtlich politisch unbelastet.745
Zum Zeitpunkt der Übergabe der ZB —Bestände an die Öffentliche
Studienbibliothek Klagenfurt waren unter englischer Aufsicht 4.599
Kisten mit Büchern an deren rechtmäßige Besitzer restituiert worden,
was einer geschätzten Zahl von 450.000 Bänden entspricht. Übrig
blieben jene Bücher, welche seitens der ZB als rechtmäßig erworben
galten sowie jene Bestände, deren Rückerstattung sich schwieriger
gestaltete, da deren Eigentümer oder Rechtsnachfolger erst ausfindig
gemacht werden mussten. Eine für das Bundesministerium für Vermögens743
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Amt der Kärntner
Landesregierung, Personalamt, vom 22.4.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg".
744
Ebd.
745
Personalstandsliste, undatiert, unterzeichnet mit Kürzel "Gr" [= Grote]. UAK, Kt. 369,
Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg".
259
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
sicherung Wien erstellte Bestandsliste vom 23. Dezember 1949 führt in
Summe 478 Kisten folgenden Inhalts an: 198 Kisten mit ZB—Signaturen.
Dabei handelte es sich um Bücher, "die als Grundstock für die Bibliothek einer philosophischen Fakultät und ihren [!] Randgebieten gedacht
war[en]. Sie wurden mit Geldmittel [!] der NSDAP gekauft und sind
somit nicht rückgabepflichtig."746 168 Kisten mit personenbezogener
Signatur, welche sich auf die Nachlassbibliotheken von Stutz, Grothe,
Wesselski und Kircheisen bezogen. Nach Ansicht von Fuchs waren die
betreffenden Werke jedenfalls als rechtmäßig erworben anzusehen. Die
Argumentation, mit welcher Fuchs diesen Buchbestand als nicht restitutionspflichtig ausweist, mutet befremdlich an und zeugt von seiner
Bedenkenlosigkeit, wenn es darum ging, dem eigenen Haus interessante
Bestände zuzuführen:
Dies sind Bücher, [...] die als Annexe der ZB (Zentralbibliothek der Hohen
Schule) in Frankfurt/Main zu betrachten sind, da sie schon vor dem März
1938 als dorthin gehörig angesehen wurden, weil bereits zu dieser Zeit
der Aufenthaltsort der Betreffenden unbekannt war und auch keine Ansprüche von irgendeiner Seite geltend gemacht worden waren [Hervorh.
d.d. Verf.]. 747
Des weiteren listet die Aufstellung noch 112 Kisten auf, die "für eine
allfällige Restitution" 748 in Frage kämen. Tatsächlich handelt es sich um
116 Kisten, so man gesonnen ist, die Addition nachzuvollziehen. Diese wie
ähnliche Lässlichkeiten mögen der Ausdruck einer gelinden Unwilligkeit
gegenüber den Anmutungen der auskunftsheischenden Entscheidungsträger sein.
Insonderheit an den unter dem Punkt KoC 1 —9 rubrizierten "Cimelien"
war Fuchs sehr interessiert. Auch hier blieb er von Skrupeln hinsichtlich
746
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Bundesministerium
für Vermögenssicherung in Wien vom 23.12.1949. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg".
747
Ebd.
748
Ebd.
260
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
der Eigentumsverhältnisse gänzlich unangefochten: "Da es sich hier um
sehr wertvolles Gut unbekannter Herkunft handelt, wäre die Belassung
in Klagenfurt begrüssenswert." 749 (Abb. 22a —b, Dokumente)
Bei den in der Bestandsliste an das Bundesministerium angeführten 478
Kisten handelt es sich lediglich um einen Teilbestand der insgesamt
653 Packkisten umfassenden Zentralbibliothek. Aufgrund notorischen
Platzmangels musste die treuhändisch übernommene Bibliothek nämlich
an drei Unterbringungsorte disloziert werden: Zwei Kellerräume der
Studienbibliothek, ein ehemaliger Luftschutzraum im Keller der in der
Nähe gelegenen Benediktinerschule und gleichfalls ein Kellerraum im
Landesmuseum fungierten als provisorische Depositorien, bis zur endgültigen Klärung des weiteren Schicksals der Bibliothek.
Noch vor der tatsächlichen Ausgliederung aus der Zuständigkeit der
britischen Besatzung entbrannte ein Wettstreit um Zusprechung der
Besitzrechte. Was darin zum Ausdruck kommt ist die nämliche Unangefochtenheit von Skrupeln, wie sie während der NS —Herrschaft
gegenüber der Aneignung von Raubgut bestand, und die Bereitschaft zur
raschen Selbstbefriedung durch scheinlegale Argumente. Während sich
die Studienbibliothek als naheliegende Anwärterin des Besitzzuspruches
bereits sicher wähnte, trat unversehens Vorarlberg als aussichtsreiche
Konkurrenz auf den Plan, wie einem Schreiben des Generaldirektors
der Österreichischen Nationalbibliothek, Josef Bick, vom 23. Jänner
1948 zu entnehmen ist:
Wenn es richtig ist, wie Dr. Grothe schreib [!], dass die Bestände der Bibliothek
ausnahmslos von Deutschland rechtmäßig gekauft oder von der Reichstauschstelle der Deutschen Bibliotheken zugewiesen wurden, so kann ohne weiteres
über die ganze Bibliothek verfügt werden. Da alle österreichischen Länder
mit Ausnahme Vorarlbergs eine grössere Landesbibliothek besitzen, so wäre
es recht und billig, diese Bibliothek als Grundstock einer Landesbibliothek
nach Vorarlberg, d.h. Bregenz zu verlegen. Dass das Land Kärnten Interesse
749
Ebd.
261
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
an diesen Beständen hätte, ist ja gewiss naheliegend, aber die Bibliothek in
Klagenfurt dürfte gewiss einen Teil der Bestände ohnedies bereits besitzen, so
dass diese geschlossene Bibliothek zerrissen würde und der Wunsch der
Engländer nicht erfüllt würde.750
Nach seiner Bestallung als Treuhänder der verbliebenen ZB —Bestände
formulierte Fuchs in einer Meldung nach Wien am 12. Mai 1948
neuerlich summarisch die Interessenslage des Landes und seine persönliche Präferenz:
Der Stand der Lage ist nun folgender: Das Land Kärnten interessiert sich
seit Neuestem sehr für diese Bibliothek und will sie als Landesbibliothek für
ein zu schaffendes Institut der Kärntner Landesforschung zugesprochen erhalten und in Klagenfurt oder Ossiach aufstellen.
Dr. Grothe, der von der Hohen Schule des A. Rosenberg in Frankfurt kommt,
bemüht sich sehr bei der Bibliothek in Kärnten zu bleiben und sucht auf allen
Wegen, sich den Landesstellen unentbehrlich zu machen.
Herr Landesamtsdirektor Dr. Newole wird bei seinem nächsten Zusammentreffen mit Herrn Generaldirektor diese Fragen zur Sprache bringen, daher
bitte ich, meine Mitteilungen vorerst vertraulich aufzufassen. [...]
[Für den Fall einer Zuweisung an Vorarlberg] erbitte ich meine Versetzung
nach Vorarlberg, um dort die neue Bibliothek aufzubauen.751
Im Folgemonat schien sich das Blatt wiederum zugunsten des Landes
Kärnten und der Studienbibliothek gewendet zu haben, wie ein Schreiben
Josefs Bicks in der Funktion des Generalinspizierenden der Bibliotheken
des Bundesministeriums für Unterricht an den Landesamtsdirektor der
Landesregierung in Kärnten, Karl Newole, deutlich macht:
Auch begrüsst der Herr Minister mit Befriedigung den Plan der Kärntner
Landesregierung bezüglich Erwerbung des Palais Rosthorn zur Unterbringung
750
Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek, Josef Bick, an die Direktion
der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 23.1.1948. UAK, Kt. 369, Fasz.
Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg".
751
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an den Generaldirektor
der Österreichischen Nationalbibliothek, Josef Bick, vom 12.5.1948. UAK, Kt. 369,
Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg".
Nachdem das Institut für Landesforschung 1945 aufgelöst worden war, handelte
es sich offenbar um eine beabsichtigte Neugründung.
262
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
und Ausgestaltung der Studienbibliothek in Klagenfurt, wie er auch befriedigt
zur Kenntnis genommen hat, dass die Kärntner Landesregierung bereit ist,
zur Ausgestaltung der Studienbibliothek den Betrag von S 100.000. — zur
Verfügung zu stellen. Der Herr Minister ist auch der Meinung, dass das zu
erwerbende Palais Rosthorn ausschliesslich der Studienbibliothek gewidmet
wird, da ja jede Bibliothek jährlich neuen Zuwachsraum benötigt [...].
Gleichfalls habe ich das Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, Abtl. 3 (Ministerialrat Pomersberger),
gepflogen, das mit der Übersiedlung der Tanzenberger Bibliothek in das
Gebäude der Studienbibliothek in Klagenfurt und mit der Übernahme der
Bestände durch die Studienbibliothek [...] einverstanden ist.752
Diese für das Land Kärnten überaus günstige Wendung war weniger
im Sinne von Richard Fuchs, als man annehmen möchte. In den vorliegenden Akten findet sich die handschriftliche Fassung eines mit 28.
Mai 1948 datierten Briefentwurfs an den Nationalrat Pius Fink, darin er
der Vorarlberger Variante das Wort redet. Augenscheinlich sah Fuchs
in der Aussicht, als Leiter einer neu zu gründenden Landes- oder Studienbibliothek nach Vorarlberg zu gehen, eine unerwartete Karrierechance
(Abb. 23, Dokumente):
Herr Nationalrat,
werden sich gewiss meiner vom Bundestage her erinnern, da ich während
dieser Zeit Leiter der Parlaments —Bibl[iothek] war. 1942 wurde ich als Leiter
der Studien Bib[liothek] nach K[lagen]f[ur]t versetzt und übernahm kürzlich
die rund 40.000 Bände zählende Zentral —Bibliothek d. Hohen Schule,
Frankfurt, die als deutsches Eigentum in Österreich dem Staate zugesprochen
wurden, von den Engländern für das B.M. für Vermögenssicherung. (B.M. für
Vermögenssicherung, Zl. 85.649—5/1948 vom 30.4.48. gez. W. Wittermann).
Nach Meinung des Herrn General Dir Prof. Dr. J. Bick der Nat[ional]
Bib[liothek] Wien I, Josefsplatz, sollen diese Bestände als Grundstock einer
Studien —Bibl. nach Bregenz übertragen werden, da Vorarlberg bisher keine
Bibliothek besitzt.
752
Der Generalinspizierende der Bibliotheken des Bundesministeriums für Unterricht,
Josef Bick, an den Landesamtsdirektor der Landesregierung in Kärnten, Karl
Newole, vom 30.6.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/
"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg".
263
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
Es sind nun Bestrebungen im Gange diese Bibl[iothek] im Lande Kärnten,
zwar nicht als Teil der Studien Bibl[iothek], sondern für ein zu errichtendes
Forschungsinstitut, zu erhalten.
Diese Bestände sind ein sehr wertvolles Bücher Material [!] und es würde
sich sehr der Mühe lohnen, wenn das Land Vorarlberg alle Schritte unternimmt, um diese Bücherschätze für sich zu erringen.
Herr Nationalrat, ich würde Ihnen vorschlagen, sich vorerst mit Herrn GenDir
Bick, den Sie ja als Vorsitzenden des ehem. Bundeskulturrats kennen, ins
Benehmen zu setzen, um an [?] Stelle in Erfahrung zu bringen, wie die Angelegenheit steht, doch ist Eile geboten!
Ich bitte Sie nur, meinen Namen vorerst aus dem Spiel zu lassen, damit ich
hier in K[lagen]f[ur]t nicht in eine peinliche Lage gerate.753
Wie ein Brief der Vorarlberger Landesregierung an Fuchs zeigt, hatte
Nationalrat Fink die Empfehlung weitergegeben. Indes schien die
Vorarlberger Landesregierung das Interesse bereits verloren zu haben:
In Anbetracht der Eigentumsverhältnisse, die mit der Bibliothek zusammenhängen, sind wir allerdings zur Überzeugung gelangt, dass sich die Aufbringung der erheblichen Kosten ihres Transportes, ihrer Unterbringung
und ihrer Betreuung nicht hätten empfehlen lassen.754
Damit war die Aussicht auf eine berufliche Besserstellung für Richard
Fuchs obsolet. An die durch Bick emphatisch avisierte Neugestaltung
und Aufwertung der Klagenfurter Studienbibliothek vermochte er nach
Jahren der enervierenden Erfahrungen mit der Landesbürokratie kaum
Hoffnung zu knüpfen:
Ich glaube nicht an die Möglichkeit der Unterbringung der STUB. im Rosthorn—
Palais, da hier die naturwissensch. Abteilung des Landesmuseums zur Aufstellung gelangen soll, wie auch andere Landesstellen und der botanische
Garten. Kärnten denkt in diesen Dingen zu kantonal, um an staatliche Ämter
753
Handschriftlicher Entwurf eines Schreibens von Richard Fuchs an den Nationalrat
Pius Fink vom 28.5.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/
"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg", Transkription d.d. Verf.
754
Amt der Vorarlberger Landesregierung an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 15.7.1948. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung
Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg".
264
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
einen Raum abzutreten. Der STUB kann nur ein Neubau helfen [urspr.: Die
STUB kann nur ein Neubau retten] u.z. auf dem Grunde des heutigen
botanischen Gartens, in der Nähe der Landesregierung.
Als Zwischenlösung muss der Bibliothek der Kapellenraum zur Verfügung
gestellt werden, wie es schon 1938 vorgesehen war.
Für alle Schäden an den Büchern, insbesondere infolge der feuchten Einlagerung und für alle Mehrauslagen, beantrage ich das Bergeamt verantwortlich zu machen, weil es unter keinen Umständen den Kapellenraum
freigeben wollte und sich, mit Hinweis auf Einnahmeentgang, hinter Herrn
Landeshauptmannstellv. Herke verschanzte.755
Fuchs sollte mit seiner Einschätzung recht behalten: Mit Erlass Zl.VS.
179.119 —3/50 vom 14.8.1950 beorderte das Bundesministerium für
Finanzen, Sektion Vermögenssicherung, den Abtransport der "rund 600
Kisten mit ca. 50.000 Bänden der Bibliothek Tanzenberg [...] zur Büchersortierung in die Hofburg nach Wien [...]."756 (Abb. 24a—b, Dokumente).
Von der Büchersortierungsstelle übernahm die Universitätsbibliothek
Wien schließlich etwa 40% des Bücherkonvolutes aus Tanzenberg, die
übrigen 60% wurden der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek
in Jerusalem (JNUL) zugesprochen757. "Wieviele Bücher letztlich an der
Universitätsbibliothek tatsächlich verblieben sind, ist momentan noch
nicht abzuschätzen, da Bücher teilweise ausgeschieden bzw. erst gar
nicht in den Bestand der Bibliothek aufgenommen wurden."758 Die
Kennzeichnung der letztlich akzessionierten Bücher mit der Stempelung
"Sammlung Tanzenberg" erfolgte erst im internen Geschäftsgang der UB
755
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an den Generalinspizierenden
der Bibliotheken des Bundesministeriums für Unterricht, Josef Bick, vom 18.7.1948.
UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred
Rosenberg"
756
Amt der Kärntner Landesregierung, Vermögensverwaltungsabteilung an die Direktion
der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 15.9.1950. UAK, Kt. 369, Fasz.
Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg".
757
Vgl. Adunka, Der Raub der Bücher (Anm. 13) 144.
758
Angelika Zdiarsky, Stempelspuren in der NS —Vergangenheit. Die "Sammlung
Tanzenberg 1951" an der Universitätsbibliothek Wien. In: Mitteilungen der
Gesellschaft für Buchforschung 1 (2006) 16-26, hier 23.
265
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
und war, was die tatsächliche Herkunft der Bücher anbelangt, in doppelter Hinsicht irreführend. Zum einen insofern, als "Tanzenberg" ja
lediglich einen Sammelpunkt darstellte, zum anderen als die Kennung
pauschal "zum Synonym für den von der Büchersortierungsstelle
übernommenen Buchbestand [wurde]
—
unabhängig von seiner tatsächli-
chen Herkunft." 759
Allem Anschein nach ging die Öffentliche Studienbibliothek Klagenfurt
aber doch nicht ganz leer aus. Ein Artikel in der "Volkzeitung" vom 25.
Mai 1946 berichtet über die Zentralbibliothek und die im Gange befindlichen Restitutionsarbeiten. In einem Abschnitt heisst es (Abb. 25,
Dokumente):
Im Jänner d.J. wurde eine Sendung mit Büchern der Studienbibliothek in
Klagenfurt übergeben. Darunter befanden sich 37 Bände italienische Enzyklopädie, 31 Bände englische Enzyklopädie, eine große Prachtausgabe in
sieben Bänden des Babylonischen Talmud, außerdem noch eine Ausgabe
"Österreichische Dichter", die unvollendet ist. Im März erhielt die Studienbibliothek noch eine Sendung von 2679 Bänden statistischen Materials. 760
Eine bei aller Präzision im Detail äußerst kryptische Formulierung, die
sich mit Bandangaben aufhält, über die Person oder Körperschaft hinter
der Übergabe aber ebensowenig verlauten lässt wie über den Grund
und die Natur der Übergabe.
Tatsächlich finden sich die angeführten Werke mit Ausnahme der "Österreichischen Dichter" im Zugangsverzeichnis des Jahres 1947. Mit den
fortlaufenden Zugangsnummern 478—481 wurden sie im Oktober des
Jahres unter dem Kürzel G=Geschenkt, ohne Angaben des Donators in
den Bestand der Studienbibliothek aufgenommen und befinden sich
auch heute noch im Bestand der Universitätsbibliothek (Abb. 26,
Dokumente).
759
Ebd. 23
760
"Liquidierung des »Forschungsinstituts Alfred Rosenberg«." In: Volkszeitung
Klagenfurt, 117, 25.5.1946, 3.
266
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
Es mag sein, dass der Talmud ebenso wie die Lexika zu den seitens
der Zentralbibliothek nachweislich "regulär" getätigten Ankäufen zählten
und solcherart von der Restitution ausgenommen waren. Allerdings
war weder zum Zeitpunkt der im Artikel genannten Übergabe noch
zum Zeitpunkt der tatsächlichen Akzession seitens der verwaltenden
Besatzer entschieden, wie mit diesen Bücherkonvoluten zu verfahren sei.
Da es sich nicht um einen Akt der Rückerstattung handelte, wie der
Artikel kontextuell suggeriert, da die Bücher der Studienbibliothek
nicht entzogen worden waren, eine generöse Überlassung aufgrund
der ungeklärten Rechtslage ebenso unwahrscheinlich ist, bleibt noch
die Vermutung, der ehemalige Leiter der Zentralbibliothek habe sich
mit dieser "Spende" die Gewogenheit des designierten Sachwalters
Fuchs zu sichern gesucht, allfällige Bedenken mit dem Argument zerstreuend, die Bücher seien Teil jenes Bestandes, welcher ohnedies nach
Abschluss der Restituierungen an die Studienbibliothek erginge...
Hier überschreitet die Interpretation der Quellen freilich die Grenze
vom Indizienbeweis hin zur reinen Spekulation. In jedem Fall zeugt
die Geschenkannahme aus Beständen einer Einrichtung wie jener der
Zentralbibliothek von der moralischen Resistenz bibliophiler Vorazität.
Eine aus heutiger Sicht ob ihrer Naivität befremdend anmutende Wahrnehmung in Bezug auf die Raubbibliothek in Tanzenberg zeigte sich
auch von Seiten des britischen Besatzung, wie Evelyn Adunka in ihrer
Arbeit über die Zentralbibliothek der Hohen Schule ausführlich
darstellt. Auf Betreiben von Major J. F. Hayward, dem für Tanzenberg
zuständigen MFA&A —Offizier (Monuments, Fine Arts and Archives),
organisierte die Besatzungsmacht bereits im November 1945 in der
Klagenfurter Burg eine Ausstellung mit den kostbarsten Handschriften,
Inkunabeln und Büchern aus der Raubsammlung: "Unter ihnen befanden
sich die deutsche Ausgabe der Schedel'schen Weltchronik von 1493,
arabische und persische Handschriften sowie zeitgenössische Drucke von
267
V. "Zentralbibliothek der Hohen Schule" in Tanzenberg
Luther, Melanchthon, Calvin, Martin Opitz und Andreas Gryphius."761
Die teleologischen Erklärungen Haywards im Zusammenhang mit der
Exposition zeugen von der Robustheit eines bildungsbürgerlichen
Bewusstseins, welches dem Zeitgeschehen zum Trotz nicht von der
Vorstellung einer Purifikation und Genesung des lädierten Menschentums durch Schönheit und die Besinnung auf das europäische Kulturerbe zu lassen vermochte: "Auch wenn die Konfiskationen durch die
Nazis in den besetzten Ländern in so einem überwältigenden Ausmaß
wie im Fall der in Tanzenberg gelagerten Bücher unendlich bedauerlich
sind: Aus einem engeren Blickwinkel betrachtet wirkt der Umstand,
dass so die Klagenfurter Bevölkerung und die britischen Truppen der
Central Mediterranean Force Gelegenheit bekamen, Bücherschätze
aus so manch berühmter Sammlung Europas zu sehen, zumindest entschädigend."762
761
Adunka, Der Raub der Bücher (Anm. 13) 48-49.
762
Zit.n. ebd. 51.
268
Schlusswort
"Wenn eine Geschichte damit anfängt, daß man etwas findet,
muß sie damit aufhören, daß man etwas sucht"763 : Schlusswort
Mit der Restitution der Bibliotheken aus enteignetem Kirchenvermögen
und der schlussendlichen Übergabe jenes Teilbestandes der Zentralbibliothek der Hohen Schule, welcher nach Auflösung derselben aufgrund von Zuordnungsschwierigkeiten in Tanzenberg verblieben war,
an die Büchersortierungsstelle in Wien wurde auch die letzte Hoffnung
von Direktor Richard Fuchs auf eine Konsolidierung der Studienbibliothek
zernichtet. Die Geschmeidigkeit, mit welcher Fuchs die Wendung vom
agilen Systemassistenten zum seriösen Sachwalter nahm, ist frappierend,
aber mitnichten singulär. Seinem Schreiben an die Diözese Gurk betreffend die Rückgabe der Bücher aus St. Georgen ist kein Gran Unbehagen
anzumerken, man könnte meinen, die Studienbibliothek habe die Bücher
lediglich für die Dauer des Krieges zu treuen Handen übernommen
gehabt.
Die neuerliche Entwicklungsstagnation und Perspektivelosigkeit zeitigten
ein Klima habitueller Desolatheit: So geht die Fama, dass die Bestände
der Studienbibliothek bis zu deren Eingliederung in die Universitätsbibliothek für lokale Politiker als eine Art Selbstbedienungsladen für
repräsentative Gastgeschenke dienten, und sich auch Bibliotheksangestellte selbst als Vendeure am illegalen Antiquaritasmarkt betätigten.
Heute ist die Vorgeschichte der UBK vergessen. Jener Teil der Bestände
der vormaligen Studienbibliothek, welcher noch von den Jesuiten herrührt, wurde teilweise restauriert und bildet den Grundstock einer
Sondersammlung. Der größte Teil des Bestandes der vormaligen Studienbibliothek ist unter kaum besseren Bedingungen als dereinst magaziniert. Was heute freilich nicht mehr von Belang ist, bilden die Bücher
der Studienbibliothek längst keinen nachgefragten Bibliotheksanteil
763
Penelope Fitzgerald, Die blaue Blume (Frankfurt am Main/Leipzig
122. Hinweis auf dieses Zitat findet sich bei Alberto Manguel.
269
1
1999) 121-
Schlusswort
mehr. Der pädagogische und geistesgeschichtliche Kanon der vergangenen Jahrhunderte ist allenfalls noch für die Erarbeitung sehr
spezieller historischer Themen von Interesse.
Die Annahme einer Abseitsstellung der Studienbibliothek vom Zeitgeschehen, welche bei der Aufnahme der vorliegenden Untersuchung
noch bestanden hatte, wurde durch die Stratifizierung des alten Bestandes
widerlegt. Die Tatsache, dass sich unter den Erwerbungen einer vernachlässigten und entlegenen Institution, wie sie die Studienbibliothek
Klagenfurt dargestellt hatte, Bücher deutscher Institutionen haben
finden lassen, welche mit dem Umschlag vor allem arisierter Bestände
befasst waren, veranschaulicht, wie fein verästelt das nationalsozialistische
Güterverteilungssystem tatsächlich war. Die Quantität und Qualität
der als Geschenke an die Studienbibliothek gelangten Bücher spiegelt
aber auch die Ausdünnung des Gabenflusses gegen das Ende der
Distributionshierarchie hin.
Darüber hinaus haben sowohl die exemplarischen Buchfunde aus enteignetem Kirchenbesitz, als vor allem auch das gesichtete Aktenmaterial,
das Bild der Öffentlichen Studienbibliothek und ihrer Rolle im alerten
Kreis der systemunterstützenden Institutionen in Kärnten korrigiert.
Das Beispiel der Klagenfurter Studienbibliothek macht deutlich, welche
Aufwertungs- und Aufstiegsofferte gerade auch Provinzinstitutionen
und die ihnen Vorstehenden im Nationalsozialismus sahen und wie
rasch und unbedingt die Entschlossenheit war, diese zu nutzen. Die
Aufnahme der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt in die Gilde
lokal nachgerade sakrosankter Institutionen wie Reichsgauarchiv und
Reichsgaumuseum, deren Rechtsnachfolger bis heute die Deutungshoheit in Bezug auf das Kärntner Geschichtsbild behaupten, zeigt auch,
wie sehr Komplizenschaft von eigener Gewissensleistung befreit.
Viele Fragen sind offen geblieben oder haben sich lediglich in Form von
Rückschlüssen und Schlussfolgerungen konjizierend beantworten lassen.
270
Schlusswort
Die Lücke zwischen zwei Fakten, jenem der Enteignung und jenem der
Akzessionierung der Bücher in den Bestand der Studienbibliothek,
der dazwischenliegende Weg, bleibt verschattet. Als umso wertvoller
erweist sich der Fund eines Dokuments wie jenes aus dem Bestand des
Landesarchivs, welches die Vorgehensweise der Enteignung bzw. der
Enteigner am Beispiel von St. Andrä beschreibt und solcherart grundsätzlich erhellt.
An mehreren Stellen hat die Arbeit Bereiche tangiert, die einer vertiefenden oder ergänzenden Untersuchung wert wären, welche aufgrund des vor allem zeitlichen Ressourcenkorsetts hier nicht leistbar war.
So läge eine systematische Betrachtung der Enteignungen im Bereich
der katholischen Pfarrbibliotheken nahe. Desgleichen gälte es, nach
Parallelen im Bereich der evangelischen Kirche zu suchen. Die Geschichte der ursprünglichen AK —Bibliothek und deren Umwandlung zur
nationalsozialistischen Stadtbücherei wäre ein ebenso lohnendes Thema,
wie sich die Bibliothek des Landesmuseums einer Bestandssichtung im
Hinblick auf die Übernahme von nationalsozialistischem Raubgut aufgeschlossen zeigen sollte.
—
Die Absicht eines jungen Germanisten aus
Wien, dies im Rahmen einer Diplomarbeit zu tun, ist jüngst mit dem
Hinweis auf Datenschutzempfindlichkeiten gescheitert.
Das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung impliziert eine jedenfalls
eine Handlungsaufforderung an die Klagenfurter Universität, welche seit
dem UOG93 die Eigentumsrechte über die Bücher der Bibliothek innehat. Nach dem Beispiel anderer Bibliotheken, welche NS —Provenienzforschungsprojekte bereits erfolgreich abgeschlossen haben, wäre
folgende Vorgehensweise denkbar: Unmittelbar und einfach umzusetzen
ist die Wahrnehmung des Untersuchungsergebnisses auf der bibliothekstechnischen Ebene. Hier haben sich interbibliothekarisch bereits Übereinstimmungen in der Vorgehensweise etabliert. Dazu zählen die Statusänderung sowohl jener Titel, welche als "bedenkliche Erwerbungen"
271
Schlusswort
gelten, als auch jener, bei denen es sich eindeutig oder wahrscheinlich
um Raubgut handelt, auf "nicht entlehnbar" und eine recherchierbare
Provenienzkennzeichnung im lokalen elektronischen Katalog. Des weiteren
wäre es denkbar, die Rechtsnachfolger der Bücher
bekannt sind
—
—
welche ja sämtlich
zugleich mit einer Sachverhaltsdarstellung zu ersuchen,
der Bibliothek die Bücher als Leihgabe zu überlassen, um in einer
Dauerausstellung jenen Teil der Institutionsgeschichte bewusst zu machen
und zu halten. Damit ließe sich jener Fallstrick, welcher gewissermaßen
im Wesen der Restitution eingeschlossen ist, umgehen, nicht Geschichtsbewusstsein zu konstituieren, sondern Erinnerungsfrieden zu stiften. Zum
Mindesten stünde die solcherart vergegenwärtigte Geschichte dem
Wohlgefühl getaner Schuldigkeit wie der Gedenkmüdigkeit störend im
Weg. Worauf in einem Land, dessen Geschichtsbild zwischen aggressiver
Schlussstrichforderung und auftrumpfender Verherrlichung der eigenen
Borniertheit und Verblendung angesiedelt ist, besonderes Augenmerk
zu richten ist.
Was sich in den gefundenen Büchern und Aktenhinweisen selbst dieser
peripheren Untersuchung abbildet, ist die Komplexität des Themas.
Nur schwer lassen sich die unermessliche Zahl der Geschädigten, die
unterschiedlichen Gruppen und Organisationen aufseiten der Expropriateure, die Disparität der Motive und Verfahrensweisen, die zeitliche Ausdehnung des Kulturgüterraubes von der nationalsozialistischen Machtusurpation bis Kriegsende und die räumliche Ausweitung im Zuge der
Okkupationspolitik strukturieren. Auch die Gliederung der vorliegenden
Arbeit, welche auf der Vorgabe des Gefundenen aufbaut, ist narrativen
Forderungen geschuldet und kämpft mit Sukzessions- und Zuordnungsschwierigkeiten.
Was der Begriff "Buchraub" nivelliert und erst mit den bibliothekarischen
Suchergebnissen wieder an Tiefe gewinnt, ist die Diversität der enteigneten
272
Schlusswort
Objekte. Das ist ein Manko auch der vorliegenden Untersuchung, deren
Fundergebnisse sämtlich aus dem Besitz konfessioneller Institutionen
herrühren. Das engt den Blick auf die Vielgestaltigkeit dessen ein, was
das Faktum "Raub" subsummiert: Judaika und Hebraika, alte Kodizes,
Erstausgaben, wissenschaftlich, bibliophil oder biografisch wertvolle
Sammlungen, ganze Bibliotheken, Verlagsproduktionen und Warenlager,
vor allem aber Millionen von Büchern aus privatem Eigentum, deren
eigentlicher Wert darin bestanden hat, Teil einer Lebensgeschichte
gewesen zu sein. Sie bilden die große "Bibliothek der Opfer"764 , die
geraubt, zurückgelassen, zerstört oder wiedergefunden, "unablässig
[fragt]: »Wie kann so etwas geschehen?«"765 In diesem Sinn sind die
Fundergebnisse von Provenienzforschung nicht der Abschluss einer Untersuchung sondern
—
im Sinne des kapitelüberschreibenden Satzes von
Penelope Fitzgerald
—
der Auftakt zu neuen Fragestellungen.
764
Manguel, Die Bibliothek bei Nacht (Anm. 324) 273.
765
Ebd. 273.
273
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der Semantics 2000, edd. Siegfried Reich u.a. (= Schriftenreihe Informatik 17,
Salzburg 2006) 285-290.
Hubert Wolf, Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
(München 2008).
Joseph Wulf, Aus dem Lexikon der Mörder. "Sonderbehandlung und verwandte
Worte in nationalsozialistischen Dokumenten (Gütersloh 1963).
James E. Young, Nach—Bilder des Holocaust in zeitgenössischer Kunst und Architektur
(Hamburg 2002).
Gordon C. Zahn Die deutschen Katholiken und Hitlers Kriege (Graz/Wien/Köln
1965).
Ingo Zechner, Von der Etablierung einer Hilfswissenschaft. Provenienzforschung in
den österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen. In: ... wesentlich mehr Fälle
als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzvorschung, edd. Gabriele
Anderl/Christoph Bazil/Oliver Kühschelm (Wien/Köln/Weimar 2009) 70-84.
Angelika Zdiarsky, Stempelspuren in der NS —Vergangenheit. Die "Sammlung
Tanzenberg 1951" an der Universitätsbibliothek Wien. In: Mitteilungen Buchforschung
1 (2006) 19-26.
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Abb. 1
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Ministerium für
innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung, Kultus und
Volksbildung vom 10.6.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939.
288
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Abb. 2
Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung, Kultus
und Volksbildung an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
vom 3.1.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939.
289
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Abb. 3
Statistische Übersichten für den Reichsgau Kärnten, zsgest. Statistisches Amt für die
Reichsgaue der Ostmark (Wien 1941). Stichtag: 17.5.1939.
Abb. 4
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Ministerium für
innere und kulturelle Angelegenheiten Wien, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung vom 13.7.1939. UAK, Kt. 363, Fasz. 1939.
290
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Abb. 5
Reichsstatthalterei Kärnten an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek
Klagenfurt vom 14.10.1040. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940.
291
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Abb. 6
Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an die Direktion
der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 19.21940. UAK, Kt. 363, Fasz.
1940.
292
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Abb. 7
Aus: Hans Fabricius, Dr. Wilhelm Frick. Ein Lebensbild des Reichsministers des
Inneren (= Schriften der Hochschule für Politik III: Die Führerpersönlichkeiten des
Nationalsozialismus 1, Berlin 1938).
Abb. 8
Ansuchen der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Arbeitsamt
Klagenfurt um Zuweisung von zwei Arbeitskräften im Rahmen des Freiwilligen
Arbeitsdienstes vom 1.2.1935. UAK, Kt. 362, Fasz. 1935.
293
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Abb. 9
"Bergungsbericht" der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an die
Reichsstatthalterei Klagenfurt, Abt. II, vom 29.3.1933. UAK, Kt. 369, Fasz. Bergung.
294
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Abb. 10a
Abb. 10b
Kassa-Journal der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 1.4.1943 —
11.3.1946, hier 2.10.1945 und 12.3.1946. UBK, Sondersammlung.
Abb. 11
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Bundesministerium
für Vermögenssicherung vom 23.12.1949. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung
Tanzenberg.
Abb. 12
Notiz des Bibliotheksleiters Richard Fuchs auf einem Telegramm des Unterrichtsministeriums vom 8.6.1946. UAK, Kt. 364, Fasz. 1946.
295
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Abb. 13a
296
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Abb. 13b
Schreiben des Ministeriums für Innere und Kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV, Erziehung, Kultus und Volksbildung, adressiert an die Österreichische Nationalbibliothek, die Universitätsbibliotheken sowie die Studienbibliotheken vom 27.5.1939.
UAK, Kt. 363, Fasz. 1939.
297
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Abb. 14
Amt der Kärntner Landesregierung u.a. an die Direktion der Öffentlichen
Studienbibliothek Klagenfurt vom 2.4.1949. Betreff: "Entzogenes Kunstgut in
Dienststellen des Bundes und der Länder". Auf der Rückseite: handschriftlicher
Entwurf einer Leermeldung von Richard Fuchs. UAK, Kt. 364, Fasz. 1949.
Abb. 15
"Ausgaben in den Monaten November und Dezember 1940. UAK, Kt. 363, Fasz.
1940.
298
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Abb. 16
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Beschaffungsamt der
Deutschen Bibliotheken Berlin vom 24.1.1940. UAK, Kt. 363, Fasz. 1940.
299
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300
Dokumente
301
Dokumente
Abb. 17a —c
Reichsstatthalterei u.a. an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
vom 20.12.1940. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
302
Dokumente
Abb. 18
"Anmeldung von abhanden gekommenen Inventarstücken" des Krankenhause der
Barmherzigen Brüder in St. Veit a.d. Glan vom 18.10.1946. AdDG, Bestand Kirchenvermögen, Kt. 3.
Abb. 19
Fb. Gurker Ordinariat an die Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt
vom 15.1.1946. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
303
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Abb. 20a
Abb. 20b
Schreiben des Generaldirektors des Kunsthistorischen Museums Wien, Fritz Dworschak, an
den Direktor der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 27.10.1943. UAK, Kt. 369,
Fasz. St. Paul.
304
Dokumente
Abb. 21a
Abb. 21b
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek an das Amt der Kärntner Landesregierung,
Schulabteilung, vom 4.10.1945. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
Und
Antwortschreiben vom 24.10.1945. UAK, Kt. 369, Fasz. St. Paul.
305
Dokumente
306
Dokumente
Abb. 22a-b
Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt an das Bundesministerium
für Vermögenssicherung Wien vom 23.12.1949. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg".
307
Dokumente
Abb. 23
Entwurf eines Briefes von Richard Fuchs an den Nationalrat Pius Fink vom 28.5.1948.
UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred
Rosenberg".
308
Dokumente
Abb. 24a
Abb. 24b
Amt der Kärntner Landesregierung, Vermögensverwaltungsabteilung an die Direktion
der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom 15.9.1950. UAK, Kt. 369, Fasz.
Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut Alfred Rosenberg".
Und
Antwortschreiben der Direktion der Öffentlichen Studienbibliothek Klagenfurt vom
18.11.1950. UAK, Kt. 369, Fasz. Bibliotheksauflösung Tanzenberg/"Forschungsinstitut
Alfred Rosenberg".
309
Dokumente
Abb. 25
"Liquidierung des »Forschungsinstituts Alfred Rosenberg«". In: Volkszeitung
Klagenfurt, 117, 25.5.1946, 3.
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Dokumente
Abb. 26
Zugangsverzeichnis 1.1.1947—31.12.1947. UAK, Kt. 400.
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