ARD - Ratgeber Recht

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ARD - Ratgeber Recht
ARD-Ratgeber Recht
aus Karlsruhe
Sendung vom:
25. August 2012, 17.03 Uhr
im Ersten
Kündigung von
Lebensversicherungen
Zur Beachtung!
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ARD-Ratgeber RECHT vom 25.08.2012
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SÜDWESTRUNDFUNK  FERNSEHEN
Postfach 5520  76037 Karlsruhe
Moderation: Dr. Frank Bräutigam
Eine Lebens- oder Rentenversicherung soll uns ja fürs Alter absichern. Aber es kann ja auch mal
was dazwischen kommen. Sie brauchen das Geld, hier und jetzt. Gut, dann kündige ich eben die
Versicherung, haben sich in den letzten Jahren viele Kunden gedacht, und sich gewundert, wie
wenig von dem eingezahlten Geld sie wiederbekommen haben. So geht das nicht, hat der
Bundesgerichtshof jetzt gesagt. Viele Versicherte können nun Geld nachfordern, insgesamt nach
Schätzungen bis zu 12 Milliarden Euro. Was genau dahintersteckt, das wollte ich mal vor Ort
herausfinden.
Beitrag: Kündigung Lebensversicherung
Autor: Kolja Schwartz
Ich bin unterwegs in der Hansestadt Lübeck in Schleswig Holstein. Ganz im Norden Deutschlands.
Jedes Jahr werden in ganz Deutschland rund 3,2 Millionen Lebens- und Rentenversicherungen
gekündigt. Auch das Ehepaar, mit dem ich jetzt verabredet bin, hat seine Verträge vorzeitig
beendet.
Vor acht Jahren haben Paul und Ute F. für ihre Kinder eine private Rentenversicherung
abgeschlossen. Jeden Monat haben sie an die Postbank-Versicherung gezahlt. 3700 Euro in den
ersten sechs Jahren. Ihre Kinder sollten später eine private Zusatzrente erhalten. Doch 2010
merkten sie, dass die Rente mal wesentlich kleiner ausfallen sollte, als ihnen versprochen wurde.
Das Ehepaar kündigte die Verträge.
Frank Bräutigam:
„Sie hatten also 3700 Euro eingezahlt und die Versicherung dann
gekündigt. Was war dann die Reaktion? Was passierte dann?“
Paul F.
„Ja, wir hatten eine gewisse Erwartung an Rückzahlung und sie
boten uns Null an. Also uns wurde mitgeteilt, wir hätten keinen
Anspruch und sie würden auch nichts zurückzahlen.“
Seit zwei Jahren kämpfen die F.‘s um Ihr Geld. Einen kleinen Teil haben sie inzwischen wieder
bekommen. Aber nur etwa 20 % von dem, was sie eingezahlt hatten.
Frank Bräutigam
„Was ärgert sie denn daran, dass sie so wenig zurückbekommen
haben?“
Ute F.
„Es ist nicht einzusehen, dass diese Kosten, die da entstehen, von
dem, der uns den Vertrag nahe bringt, seinem Vorgesetzten usw.,
dass diese Kosten gleich zu Anfang entstehen. Man geht ja
sozusagen erst mal mit seinem Vertrag ins Minus und dann dauert
es sehr lange, bis da ein gewisser Rückkaufswert ist.“
80 % des Geldes einfach weg. Und so wie den F.‘s geht es vielen. Wer in den letzten Jahren seine
Versicherung gekündigt hat, hat oft nichts oder nur wenig zurückbekommen. Und das kommt so:
Die Beiträge, die man als Versicherungsnehmer für seine Lebens- oder Rentenversicherung
zahlte, kamen am Anfang meist gar nicht dem eigenen Konto zugute. Zunächst zahlte man die
Beiträge an die Versicherungsgesellschaft für so genannte Abschlusskosten. Manchmal sparte
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man erst nach Jahren überhaupt etwas auf dem eigenen Versicherungskonto an. So war es im
Kleingedruckten vereinbart. Kündigte man die Versicherung, berechnete die Gesellschaft noch
einmal hohe Stornogebühren. Für den Versicherungsnehmer blieb dann fast nichts übrig.
Doch jetzt haben die F.‘s Hoffnung, dass sie doch noch mehr Geld zurückbekommen. Denn Ende
Juli gab es ein wichtiges Grundsatzurteil.
Hier am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Die obersten Richter haben Versicherungsbedingungen
für Lebens- und Rentenversicherungen für unwirksam erklärt, in denen es um Abschlusskosten
und Stornogebühren ging.
Konkret ging es in dem Verfahren um die Versicherung „Deutscher Ring“. Über das Urteil möchte
ich mit Dietlind Weinland sprechen, Richterin und Pressesprecherin am Bundesgerichtshof.
Frank Bräutigam
„Frau Weinland. Was hat der Bundesgerichtshof
Versicherungsbedingungen konkret bemängelt?“
Dietlind Weinland
Richterin am
Bundesgerichtshof
„Ja,
Versicherungsbedingungen,
die
vorsehen,
dass
Vertragsabschlusskosten
mit
den
ersten
Beiträgen
des
Versicherungsnehmers verrechnet werden, sind unwirksam. Wenn
nun der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag vorzeitig
kündigt, führt die Verrechnung dazu, dass er von den eingezahlten
Beträgen oft nur einen Bruchteil zurückerhält, im ungünstigsten Fall
sogar gar nichts.“
an
den
Frank Bräutigam
„Und das ist für den Verbraucher
Benachteiligung, sagt das Gericht?“
Dietlind Weinland
Richterin am
Bundesgerichtshof
eine
unangemessene
„Ja, das ist eine unangemessene Benachteiligung, denn die
vorzeitige Kündigung führt für den Kunden zu erheblichen
Verlusten.“
Die Beiträge des Versicherungsnehmers müssen also von Anfang an auch seinem
Versicherungskonto zugutekommen. Immer nur ein Teil der monatlichen Zahlungen darf für
Abschlusskosten verwendet werden.
Rein formal gilt das Urteil nur für Kunden der Versicherung „Deutscher Ring“, für alle Verträge, die
zwischen 2001 und 2007 abgeschlossen wurden. Diese Kunden haben jetzt Anspruch auf mehr
Geld.
Frank Bräutigam:
„Aber: Fast alle Versicherungen haben nahezu identische Versicherungsbedingungen verwendet.
Die Bedingungen, die der BGH jetzt für unwirksam erklärt hat. Daran werden sich die unteren
Gerichte bei anderen Klagen orientieren. Und das heißt: Auch Kunden anderer Versicherungen
wird dieses Urteil ganz konkret nützen.“
Ich bin in Hamburg. Ich möchte gerne wissen, was das Ehepaar F. und alle Verbraucher, die bei
einer anderen Versicherung in den letzten Jahren gekündigt haben, jetzt tun können, um mehr
Geld zu bekommen. Hier in Hamburg sitzt ein wichtiger Akteur in des Karlsruher Verfahrens:
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Die Verbraucherzentrale Hamburg hat den Deutschen Ring verklagt. Weitere Klagen gegen
andere Versicherer laufen. Kerstin Becker-Eiselen ist die Leiterin der Versicherungsberatung.
Frank Bräutigam
„Frau Becker-Eiselen, nach dem Urteil aus Karlsruhe. Rennen die
Leute ihnen jetzt die Bude ein?
Kerstin Becker-Eiselen
Verbraucherzentrale
„Nach dem Urteil haben wir enorm viele Zugriffe auf unser Internet.
Also wir haben zum Thema Lebensversicherung/BGH-Urteil Zugriffe
von annähernd 50.000 gehabt innerhalb weniger Tage und zur Zeit
haben wir Wäschekörbe an Post zu diesem Thema.“
Frank Bräutigam
„Was raten sie denn Familien auch den F., die bei anderen
Versicherungen waren und gekündigt haben. Was sollen die ganz
konkret jetzt tun?“
Kerstin Becker-Eiselen
Verbraucherzentrale
„Auf unserer Internetseite findet man einen Musterbrief und diesen
Musterbrief sollte man an die Versicherung senden und damit kann
man seine Ansprüche anmelden, wenn man die Versicherung
vorzeitig gekündigt hat.“
„Was steht da sinngemäß drin in dem Brief?“
Frank Bräutigam
Kerstin Becker-Eiselen
Verbraucherzentrale
„In diesem Brief können sie einen Hinweis darauf finden, dass die
Versicherung nach dem BGH-Urteil abrechnen soll.“
Wenn die Versicherungen darauf nicht reagieren oder eine Nachzahlung ablehnen, kann man sich
bei der Verbraucherzentrale beraten lassen. Gegebenenfalls muss man dann sogar vor Gericht
gehen.
Frank Bräutigam:
„Also: Wenn Sie in den Jahren 2001 bis 2007 eine Lebens- oder Rentenversicherung
abgeschlossen und sie in den letzten Jahren gekündigt haben, dann müssen sie jetzt aktiv werden.
Von dem Karlsruher Urteil können sehr viele Menschen in Deutschland profitieren. Für jeden
Einzelnen können durchaus mehrere Hundert Euro an Nachzahlungen herausspringen.“
Moderation: Dr. Frank Bräutigam
Ja, und Sie müssen vor allem schnell aktiv werden. So ein Anspruch auf einen Nachschlag der
kann nämlich verjähren. Das hängt davon ab, wann Sie die Lebens- oder Rentenversicherung
gekündigt haben. Jetzt haben wir 2012. Wenn Sie zum Beispiel im Jahr 2009 gekündigt haben,
dann läuft die Verjährungsfrist noch bis Ende 2012. Bis dahin müssen Sie die Verjährung erst mal
stoppen. Zum Beispiel:



In Verhandlungen eintreten. Also wenn Sie den benannten Musterbrief abschicken
und die Versicherung mit Ihnen vor Ablauf der Frist über einen Nachschlag
verhandelt.
Falls sie das nicht tut, müssen Sie Klage erheben.
Oder den Ombudsmann der Versicherungen, der sitzt in Berlin, schriftlich um Hilfe
bitten.
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Wer vor 2009 gekündigt hat, der muss auf Kulanz der Versicherungen hoffen, weil die Fristen
eigentlich schon abgelaufen sind. Mehr Infos zu diesen wichtigen Fragen bei uns unter
ratgeberrecht.de.