Predigt im Gottesdienst am Palmsonntag, 9. April 2006

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Predigt im Gottesdienst am Palmsonntag, 9. April 2006
"Siehe, der König deines Glaubens kommt – auf einem Esel!"
Predigt
im Gottesdienst am Palmsonntag, 9. April 2006,
in der Hauptkirche St.Katharinen
von Stadtpastor Sebastian Borck
Liebe Gemeinde,
das Johannesevangelium ist eine Bilderpredigt vom Auferstandenen.
Es fängt zwar an: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war
das
Wort …" Aber die Taten Jesu bietet es dar als Zeichen, als Bilder, die das Heil in Jesus
Christus sinnenhaft und geistlich zugleich erschließen:
Die Hochzeit zu Kana mit der Wandlung von Wasser in Wein weist auf Jesus als wahren
Weinstock.
Die Speisung der 5000 mit fünf Broten und zwei Fischen weist auf Jesus als Brot des Lebens.
Die Heilung des Blindgeborenen vom Sündenvorwurf weist auf Jesus als Licht der Welt.
Die Auferweckung des Lazarus von den Toten weist auf Jesus selbst, der sagt: Ich bin die
Auferstehung und das Leben.
Diese Bilder und noch viele mehr predigen den auferstandenen Gekreuzigten. Das Johannesevangelium traut sich, den gegenwärtigen Glauben an Jesus Christus dadurch zu erschließen, dass es das Leben Jesu erzählt und bestimmte Ereignisse geradezu zu Sinnbildern des Gekreuzigten Auferstandenen werden lässt. Darum sage ich: Das
Johannesevangelium ist eine Bildergeschichte vom Auferstandenen.
Im Zeichen der nachösterlichen Glaubensgeschichte bekommt die vorösterliche Historie einen tieferen Sinn. Umgekehrt erhält der leicht abstrakte Glaube an den Auferstandenen
durch die vorösterlichen Lebensgeschichten Sinnenfülle und Leibhaftigkeit – freilich nie vergessend, dass der auferstandene Christus der gekreuzigte Jesus ist, der aus diesem Leben
Hinausgedrängte bis ans Kreuz, der Abwesende und nur im Glauben Anwesende, der gegenwärtige Christus.
Die Geschichte, die dem heutigen Tag seinen Namen Palmsonntag gegeben hat, ist bei Johannes das Bild des Einzugs Jesu in Jerusalem, das Bild des kurz nach der Auferweckung
des Lazarus mit Palmzweigen empfangenen und dann noch in derselben Woche nach Golgatha hinausgedrängten und gekreuzigten Jesus.
Aus dem nachösterlichen Glauben an den Auferweckten Gekreuzigten heraus stellt Johannes die Passionsgeschichte Jesu nicht als das Ende, sondern als den Anfang des Glaubens
an Jesus Christus dar.
Christus wird eingesetzt als der, der er gegenwärtig ist: der Herr, der Heiland, der mich erlöst, der König meines Glaubens. Und diese Einsetzung beginnt wie bei einer Inthronisation
mit einem Einzug: dem Einzug Jesu in Jerusalem. Anders aber als bei jeder Einführung eines Großen auf der Welt zieht Jesus nicht nur durch das Spalier derer, die Palmzweige
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schwenkend "Hosianna!" rufen, sondern wenig später auch derer, die "Kreuzige ihn!" schreien.
Die Inthronisation Jesu Christi hinauf nach Jerusalem ist erst damit am Ziel, dass Jesus
durch Hohn, Spott, Gewalt und Tod hindurch hinabgestiegen ist in das Reich des Todes, wie
es im Glaubensbekenntnis heißt. Das erst ist das ganze Szenarium, das ganze Bild.
Heute haben wir es mit dem Anfang zu tun. Hören wir also die Geschichte vom Einzug Jesu
in Jerusalem (Johannes 12,12-19):
Als am nächsten Tag die große Menge, die auf das Fest gekommen war, hörte, dass Jesus
nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen:
Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!
Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht: "Fürchte dich nicht,
du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen." Das verstanden
seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies
von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.
Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe
dieses Zeichen getan.
Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle
Welt läuft ihm nach.
Zwei Bewegungen stoßen hier aufeinander:
Da ist die große Menge der Festpilger, die zum kommenden Passahfest schon in Jerusalem
eingetroffen waren. Die Kunde von dem Heiler, der es fertiggebracht hatte, den Lazarus,
schon tot, wieder lebendig werden zu lassen, hatte sich rasend schnell herumgesprochen.
Als sie hören, dass Jesus kommt, ziehen sie ihm in Begeisterung entgegen und rufen ihn
zum König Israels aus. Kann es einen Größeren geben, als ihn, der sogar Tote lebendig
macht? eine stärkere Hoffnungsgestalt des Glaubens als ihn, den Sieger über Gebrechen,
Krankheit und Tod?
So bereiten sie ihm einen triumphalen Empfang – ähnlich wie heute ein Wahlsieger die politische Arena betritt. Und die Gegner, die Pharisäer, resignieren: Da sieht man's ja, nichts
auszurichten. Alle Welt läuft ihm nach.
Und Jesus? Jesus kommt – aber nicht hoch zu Ross, nicht wie ein Sieger, sondern reitend
auf dem Alltagstier der Bauern, einem Esel, einem kleinen Eselchen. Den Einzug, die Inthronisation lässt Jesus geschehen – in der ganzen Geschichte sagt er kein einziges Wort – er
vollzieht sie mit, aber anders als erwartet:
Der König der Welt wird zum König des Glaubens. Sein Reich beginnt wohl in der Welt, ist
aber nicht von dieser Welt. "Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselchen!" Die
Jünger verstehen nicht; erst nach Ostern, als Jesus verherrlicht war, wie es im Text heißt, da
dachten sie daran und ihnen fiel die Erfüllung der alten Weissagung aus Sacharja (9,9f) ein,
die Zusammenfassung aller messianischen Weissagungen:
Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König
kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf dem Füllen einer Eselin. Denn
ich will die Wagen wegtun aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen
soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft
wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.
Jesus, nicht hoch zu Ross, sondern auf einem kleinen Eselchen – fast schon lächerlich.
– So ist es nicht selten mit Veränderungen und Projekten im Zeichen von mehr Zuwendung
und Menschlichkeit, dass die Anfänge belächelt werden:
Armen-Speisungen etwa – da muss doch anständige Sozialarbeit ran!
Selbsthilfegruppen nach Krebs – da muss doch fachliche Beratung her!
Nein, genau die eigenen Anfänge, mutig und zerbrechlich, leicht vom hohen Ross herab lächerlich zu machen, die sind es, die unsere Welt verändern.
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Sich nicht nur mit denen zeigen, die "top" aussehen, geschniegelt und gestriegelt, sondern
auch mit denen, die anders sind, offenkundig geistig behindert oder gebrechlich oder arm
oder nicht gut Deutsch sprechend. Sich denen, die Unterstützung brauchen, nicht entziehen,
sondern sich mit ihnen zeigen – das bringt einen häufig in Situationen, die einen etwas lächerlich erscheinen lassen. Aber genau das ist es, was unsere Gesellschaft an Integration
braucht: nicht alles so glatt!
Das ist Jesus:
Endlich einer, der sagt: "Welcher ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!"
und nicht: Du bist anders, du bist fremd, du bist schuld!
Endlich einer, der sagt: "Selig die Armen!"
und nicht: Wer Geld hat, ist glücklich!
Endlich einer, der sagt: "Liebe deine Feinde!"
und nicht: Nieder mit den Konkurrenten!
Endlich einer, der sagt: "Selig, wenn man euch verfolgt!"
und nicht: Passt euch jeder Lage an!
Endlich einer, der sagt: "Der Erste soll der Diener aller sein!"
und nicht: Zeige, wer du bist!
Endlich einer, der sagt: "Was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne!"
und nicht: Hauptsache vorwärts kommen!
Endlich einer, der sagt: "Wer an mich glaubt, wird leben in Ewigkeit!"
und nicht: Was tot ist, ist tot!
Einzug auf einem Eselchen – warum lässt Jesus das mit sich machen? Warum zieht er
überhaupt in Jerusalem ein? Muss das denn sein, ausgerechnet da, im politisch-religiösen
Zentrum Israels einziehen?
Aber Jesus steht nicht dafür, die Bedürftigen irgendwo draußen vor der dem Tor zu versorgen, ausgegrenzt, schön unsichtbar. Nein – sie gehören in die Stadt, die Obdachlosen, die
Behinderten, die Alten, die Flüchtlinge und Migranten.
Wäre Jesus in Jerusalem nicht eingezogen, hätte es vielleicht eine Hochreligion und eine
Niederreligion gegeben, eine für die Führenden der Gesellschaft und eine für die Eselchen,
für die anderen, die da nicht zugehören.
Aber sein Reich ist aufs Ganze gerichtet, auf Reiche und auf Arme. Sein Reich ist anders,
als es sonst in der Welt zugeht, ist nicht von dieser Welt; aber es ist in Jerusalem, in dieser
Welt, es ist inklusiv, auf Gemeinschaft gerichtet.
Das Bild eines Königs hoch zu Ross bedeutet sozial die Teilung der Gesellschaft in Sieger
und Besiegte, Winner und Looser.
Das Bild Jesu auf dem Eselchen bedeutet sozial: Alle gehören dazu, keiner ist auszugrenzen. Einer sorgt für das, was der andere braucht. Community Care. Einer trage des anderen
Last.
So wird am Ende das Bild Jesu auf dem Eselchen zum Zielbild unseres Gesundheitswesens,
zum Zielbild unseres Schulwesens, zum Zielbild für Reformen in unserer Gesellschaft.
– Wir befinden uns in der Passionszeit, am Anfang der Karwoche: Bei den Spöttern wird Jesus selbst zu einem Esel: Das muss ein Esel sein, der sich einen König nennt und auf Gewalt verzichtet. Und auch wir kennen das nur zu gut, diesen Spott: Wer freiwillig Lasten trägt,
ist dumm; der muss doch ein Esel sein.
Genau für diesen Spott, für diese Last ist Jesus zum Gekreuzigten geworden – ein für allemal, für uns.
Amen.
GOTTESDIENST-Pred-060409.doc