Leta SEMADENI Tamangur - ch Stiftung für eidgenössische

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Leta SEMADENI Tamangur - ch Stiftung für eidgenössische
Leta SEMADENI
Tamangur
Rotpunktverlag, Zürich, 2015
ch Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit
Dornacherstrasse 28A
Postfach 246
CH-4501 Solothurn
Tel +41 32 346 18 00
Fax +41 32 346 18 02
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www.chstiftung.ch
Leta SEMADENI
Tamangur
Roman, 143 Seiten / pages / pagine
Rotpunktverlag, Zürich, 2015
CHF 22.00
ISBN 978-2-940518-19-0
www.rotpunktverlag.ch
Inhaltsübersicht / Bref résumé / Breve riassunto
Leta Semadeni (*1944) hat in den letzten Jahren mehrere Lyrikbände publiziert, romanisch mit eigener deutschsprachigen Übertragung. Ihr erstes
Prosawerk hat sie auf Deutsch geschrieben. Sie nennt die Alltagsskizzen
aus einer kindlichen Erzählperspektive einen Roman, es handelt sich aber
eher um kurze Erzählungen, manchmal die Form eines Poems en prose annehmend.
Die Protagonisten sind die Grossmutter und ihre Enkelin, der verstorbene
Grossvater ist allgegenwärtig. Wie beide mit diesem Verlust umgehen, ist
ein Hauptthema im Buch. Eine Reihe weiterer Personen im namenlosen
schattigen Bergdorf werden präzise beschrieben und fügen sich mit den
beiden Protagonistinnen zu einem ländlichen Mikrokosmos zusammen. Die
befremdliche Erwachsenenwelt wird vom Kind sowohl realistisch zur Kenntnis genommen, aber auch im Phantastischen verklärt. Unausgesprochene
Trauer wechselt ab mit Farbflecken der skurrilen Alltagserlebnisse. Mutige Metaphern sorgen für Erheiterung und gleichzeitiger Verfremdung.
Begründung des Vorschlags / Motivation de la proposition / Motivazione della proposta
Das Buch hat sich zum einem Lieblingsbuch für Tausende Leser/-innen gemausert. Es erscheint aktuell
schon in 8. Auflage des Kleinverlags. Obschon die Handlungsorte nicht namentlich erwähnt werden,
spielt die Handlung offensichtlich im Engadin und das ganze Werk ist rätoromanisch imprägniert. Dabei
werden auch unzählige früher erschienene Gedichte in die Prosahandlung eingeschlossen.
Die Übersetzung in die anderen Landessprachen drängt sich auf, da das Buch in einer sehr subjektiven
Art und Weise die sozialen und psychologischen Dynamiken einer kleinen Gemeinschaft im Alpenraum
beschreibt, wie sie nicht nur in Graubünden vorzufinden ist.
Biographie / Biografia Leta Semadeni
Leta Semadeni, geboren 1944 in Scuol, Engadin, studierte Sprachen an der Universität Zürich.
Lehrtätigkeit an verschiedenen Schulen in Zürich und im Engadin. Arbeitsaufenthalte in Lateinamerika, in
Paris, Zug, Berlin und auf Elba. Seit 2005 lebt und arbeitet sie freischaffend in Lavin. Leta Semadeni
schreibt vorwiegend Lyrik, romanisch oder deutsch, die sie selbst in die jeweils andere Sprache
überträgt, zuletzt In meinem Leben als Fuchs (2010). Ihr Werk wurde mehrfach ausgezeichnet, 2011 mit
dem Literaturpreis des Kantons Graubünden und mit dem Preis der Schweizerischen Schillerstiftung. Für
Tamangur, ihren ersten Roman, erhält sie im Jahr 2016 einen der Schweizer Literaturpreise.
Leta Semadeni
Tamangur
«Tamangur»
Zürich, Rotpunktverlag,
2015
Auszüge:
Kapitel 1–4, 10, 26, 27
« Tamangur »
Zürich, Rotpunktverlag,
2015
Extraits :
Chapitres 1–4, 10, 26, 27
Traduction :
Marion Graf
«Tamangur»
Zürich, Rotpunktverlag,
2015
Estratti:
Capitoli 1–4, 10, 26, 27
Traduzione:
Roberta Gado
ISBN 978 3-85869-641-0
1
Deutsch
1
Es ist Mittag, die Glocken läuten, die Strassen sind schon leer. Aus den
Ritzen unter den Füssen quillt der Teer. Das Kind bückt sich, klaubt
etwas von der schwarzen Masse mit dem Zeigefinger heraus, bewegt den
Zeigefinger schnell in der Luft hin und her, um den Teer abzukühlen,
steckt ihn sich in den Mund und beginnt zu kauen, während es die steile
Gasse hinaufläuft, schnell, mit gesenktem Kopf und noch ganz gefangen
vom Ende einer Geschichte, die der Lehrer vorgelesen hat: Eng umschlungen treiben ein Junge und ein Mädchen dahin auf einem mit Heu
beladenen Schiff, und der Mond aus rotem Gold hat einen glänzenden
Schweif auf den Fluss gelegt.
Der Teer in seinem Mund schmeckt gefährlich.
Das eine Ohr, das noch frei ist für die Geräusche von aussen, hört
kleine Schritte entgegenkommen, und als die Schritte an dem einen freien
Ohr vorbeigehen, sagt der Mund ganz von selber Guten Tag.
Erst als kein Gruss zurückkommt, reisst sich das Kind blitzschnell
aus der Geschichte mit dem roten Mond, drückt die Brille auf der Nase
zurecht und schaut den Schritten nach.
Weiter unten in der steilen Gasse läuft eine rostrote Ziege mit
einem schwarzen Streifen auf dem Rücken. Sie dreht den Kopf zurück und
schaut so, als wolle sie sich für die Unhöflichkeit entschuldigen.
Manchmal sagte der Grossvater zur Grossmutter: Du bist wie eine Ziege,
einerseits sehr anhänglich, doch riechst du ein Kraut, bist du nicht mehr
zu halten.
Kurz darauf sitzt das Kind in der Küche am Tisch und löffelt mit der
Grossmutter die Suppe. Von Zeit zu Zeit legt die alte Frau den Suppen­
löffel in den Teller und schaut die Decke an.
Der dritte Stuhl am Tisch ist leer. Der Grossvater ist in Tamangur.
Vor dem Küchenfenster neigt sich der Holunderbaum. Er ist schon
voller Beeren.
Im Moment, in dem ein Jäger in Tamangur empfangen wird, verliert er
einundzwanzig Gramm, weil sich die Seele aus dem Körper davonmacht,
um dorthin zurückzukehren, wo sie vorher gewohnt hat.
Die Seele ist ein Gewohnheitstier, sagt die Grossmutter, sie ist
stark, obschon sie nur ein paar Gramm wiegt, und sie setzt ihren Willen
immer durch.
Sie kann überallhin, wann sie will. Mit ihren einundzwanzig Gramm
findet sie überall ein Plätzchen zum Verweilen und um die Grossmutter
3
aus dem Alltagstrott zu bringen. Sie streitet und schimpft mit der Seele:
Du Nichts, sagt sie, du elendes Häufchen! Was soll ich bloss anfangen mit
so einem elenden Häufchen?
Die Grossmutter zieht die Luft mit einem lauten Geräusch in die
Nase ein. Das macht sie, um eine Träne in ihren Kanal zurückzustossen,
und dann ist sie wieder grossäugig, nestelt an ihren Haaren herum und
zieht sich aus.
Unter ihrem Kleid trägt sie noch ein Kleid, ein hautfarbenes mit
glitzernden Häkchen, die sie einzeln aufhakt. Sie faltet es umständlich
zusammen, legt es ordentlich auf den Stuhl und streicht mit der Hand
darüber.
Auch nackt sieht die Grossmutter angezogen aus. Vor dem Spiegel
steht sie ein Weilchen still und schaut neugierig hinein, als wär dort eine
andere. Sie zeigt der anderen auch ihren Hintern und dreht den Kopf zum
Spiegel, um zu sehen, wie die andere von hinten ausschaut, bevor sie
das Nachthemd über sich fallen lässt.
Die Füsse der Grossmutter sind ganz klein. Wenn sie auf dem Bett
liegt und die Beine streckt, sehen die Zehen aus wie saftige Beeren,
aber wenn die Grossmutter auf dem Teppich steht, breiten sich die Beeren unter ihrem Gewicht aus und werden platt. Das Gewicht drückt sie
hinein in die Blumen des Bettvorlegers. Sie schaukelt noch einmal durchs
Schlafzimmer, öffnet einen Spalt breit das Fenster, kehrt zum Spiegel
zurück, nimmt ihre schweren Brüste in die Hände, drückt sie ein wenig
nach oben und sagt zur anderen im Spiegel:
Ich habe immer noch einen schönen Busen.
Im fahlen Licht der Strassenlampe gleicht das Korsett mit seinen
blinkenden Häkchen einem Insekt.
2
Das Dorf ist ein Ort voller Schatten tief unten zwischen den Bergen, und
noch tiefer eingegraben faucht der Fluss, dick und glänzend, in Richtung
Grenze.
Eine Kirche gibt es auf einem Hügel nahe der Waldgrenze, ein
Schulhaus, ein paar Läden, Restaurants und den Dorfplatz. Dort steht eine
lange Bank.
Ist die Bank leer, so setzt sich das Kind dorthin und überlegt, welche Geschichten die Bank gehört hat. Die Sitzfläche ist vielleicht noch
warm, und das heisst, dass jemand kurz davor dort sass und Zeit hatte,
der Bank Lügen zu erzählen. Darum heisst die Bank Lügenbank.
Das Kind streicht mit dem Finger durch die Rillen und Ritzen im
Holz, ein Hund oder eine Ziege spazieren vorbei auf der Hauptstrasse, die
um diese Zeit in der Sonne flirrt und nach Teer stinkt.
Warum die Ziege ohne Glocke immer allein unterwegs ist, weiss
man nicht. Ist sie verloren gegangen in den Gassen? Es ist, als würde sie
ständig auf der Suche sein nach irgendetwas.
Manchmal ist das Kind unglücklich wegen der vergeblichen Suche
der Ziege. Es kann den fremden Kummer nicht auf Abstand halten.
Auf der anderen Seite des Flusses verschwindet ein Seitental zwischen den Bergen.
Der Grossvater hatte dem Kind erzählt, dass dort Schneehasen
und Schneehühner und andere Wesen und Pflanzen wohnen, die die
Fähigkeit haben, ihr Kleid der Umgebung so genau anzupassen, dass
man sie nicht mehr sieht.
4
Das Herz der Grossmutter ist ein grosser Wald mit dichtem Gestrüpp, mit
himmelhohen und niedrigen Bäumen, mit vielen Sträuchern. Man kann
darin spazieren gehen oder sich darin verirren.
Da gibt es auch Lichtungen, die sich wie eine Überraschung öffnen.
Ein Schritt, und das Kind steht plötzlich im Licht, über ihm der Himmel,
die weichen Wolkenkissen, die Sonne. Da ist die Grossmutter ein Engel,
der jeden Wunsch erfüllt.
Sie hüpft durch die Wohnung, nimmt das Kind bei der Hand, läuft
mit ihm in den Schuhladen und kauft ihm plötzlich die roten Ballerinas,
die es sich schon lange wünscht.
Ein anderes Mal wird das Kind ins Gestrüpp gejagt, es zerkratzt
sich die Füsse und die Beine, die Äste schlagen ihm ins Gesicht, es hockt
sich ins Dunkel und zittert vor der Grossmutter, die zur Hexe wird.
3
An manchen Abenden schmeckt alles nach Heimweh. Für das Dorf hat die
Grossmutter kein gutes Wort.
Es fängt dort an, wo es aufhört, sagt sie, es ist nicht mehr als ein
Fliegendreck auf der Karte.
Wenn der Wind in den Wald hineinbläst, spürt man schon die
Schauer des Herbstes.
5
Ohne es zu wollen, hat das Kind eine böse Erinnerung in der
Grossmutter wachgerufen; im falschen Moment hat es die falschen Töne
auf dem Klavier angeschlagen.
Und es hasst die Grossmutter mit seiner ganzen Kraft. Wie sie die
Lippen zusammenpresst, weil sich in ihrem Mund ein ganzer Klumpen
von bösen Wörtern gebildet hat. Das Kind kennt diese schmalen Lippen,
es muss auf der Hut sein in solchen Momenten, es verkriecht sich ins
Unterholz, bis sich der Mund wieder entspannt.
Der grosse Klumpen darf nicht entwischen. Es gibt Töne und Wörter, die schlitzen einem das Herz auf, besser als jedes scharfe Messer.
Da ist es ratsam, eine Weile im Unterholz zu verschwinden und ganz leise
zu sein.
[…]
10
Bevor der Grossvater nach Tamangur ging, war er am Morgen immer als
Erster am Tisch und rührte mit dem Suppenlöffel in seinem Kaffee. Wenn
das Kind sich setzte, hob er augenzwinkernd den Löffel mit dem geschmolzenen Käse aus der Tasse in die Höhe, und das Kind zog vor Begeisterung die Schultern hoch bis unter die Ohren und fing an zu kichern.
Käse im Kaffee, das hatte die Grossmutter verboten.
Du bringst ihr lauter Unsinn bei, schimpfte sie aus der Ecke, wo
sie dabei war, einen Laib Brot an ihre Brust zu drücken und in Scheiben
zu schneiden.
Jemand muss das tun, sagte der Grossvater ruhig, du bringst ihr
ja den ganzen Rest bei.
Er schaute das Kind fragend an, es nickte, der Grossvater nahm
sein Militärmesser aus der Hosentasche, schnitt ein paar grosse Käsestücke in die Tasse, goss den heissen Kaffee darüber, streute einen Suppenlöffel Zucker hinein, und das Kind begann zu rühren, bis der Käse die
hellgelben Fäden zog.
Wenn die Grossmutter an den Tisch kam, schauten sie beide ganz
unschuldig in ihre Tassen, und die Grossmutter setzte sich schnaufend
auf ihren Stuhl. Man konnte ihr nichts vormachen. Mit kleinen Äuglein beobachtete sie die Fäden, die sich zwischen den Tassen, dem Mund des
Kindes und dem Schnauz des Grossvaters bildeten.
Wie immer, wenn sie vor Empörung glühte, bekam sie vom Grossvater einen Kuss.
Es ist mit dem Herzen wie mit den Gelenken, sagt die Grossmutter. Schau
einmal nach Indien, sagt sie. Da gibt es neunzigjährige Männer, die sich
die Beine um den Nacken wickeln. Auch das Herz muss in Übung bleiben.
Es muss erschüttert werden – und gedehnt bis zum Zerreissen, damit
es in Form bleibt. Man muss es brauchen, solange es schlägt, sonst
schrumpft es und sieht am Ende aus wie eine verschrumpelte Kartoffel.
Sie hat keine Lust, sich aufs Wartebänkchen vor dem Haus zu setzen und
Socken zu stricken. Socken hat sie genug gestrickt. Für den Grossvater.
Damit seine Seidenfüsse gut beschützt von der Wolle und der Liebe wieder von der Jagd zu ihr zurückkehrten.
Sie erkennt ihn sofort, wenn er auf der anderen Seite des Flusses
am Waldrand erscheint und mit grossen, federnden Schritten zur Brücke
hinunterläuft. Ob mit oder ohne Beute, er schreitet wie ein König voran.
Es gab noch ein anderes Spiel.
In der hintersten Ecke des Gartens steht ein alter Fliederbaum, wo
der Grossvater an Sonntagen mit dem Kind eine kleine Siesta machte.
Zeig mir deine Zähne, sagte das Kind.
Der Grossvater nahm sein grosses, schwarzes Portemonnaie aus
der Hosentasche. Ganz ernst und ganz langsam. Dann schälte er aus dem
weichen Leder ein kleines Päckchen aus Seidenpapier. Vom Rascheln bekam das Kind jedes Mal eine Hühnerhaut.
Es waren fünf lange, gelbe Zähne. So viele, wie der Grossvater
Lücken im Mund hatte. Das Kind durfte die langen, gelben Hirschzähne
anfassen, und jedes Mal schauderte es ihm ein wenig, und es musste
den Kopf zwischen die Schultern ziehen.
Wenn man alt ist, sagte der Grossvater, während er die Hirschzähne wieder ins Seidenpapier einwickelte, braucht man nicht mehr so viele
Zähne. Beissen muss man, wenn man jung ist. Nachher ist es zu spät,
7
sagte er und schaute hinauf in die Krone des Flieders.
Er sass da mit seinen Händen auf den Oberschenkeln. Eine grüne
Heuschrecke kroch über seine linke Hand und hüpfte dem Kind auf den
Schoss.
Warum sind deine Hände so gross?, fragte das Kind.
Weil die Grossmutter so grosse Brüste hat. Die müssen Platz haben, eine in jeder Hand.
Werde ich auch so grosse Brüste haben wie die Grossmutter?
Sie werden genau so gross sein, dass sie in die Hand des Mannes
passen, der dir gefällt, sagte der Grossvater, und beide schauten hinauf
in die Äste des Fliederbaumes und hingen ihren Gedanken nach.
Ob der Flieder wie der Grossvater roch oder der Grossvater wie
der Flieder, das war nicht auszumachen. Der Fliederbaum stand in voller
Blüte, und der Wind wehte seinen Geruch bis ins Haus hinüber.
[…]
26
Wenn die Frau Doktor über die Grenze geht, darf die Grossmutter mit
dem Kind mitfahren und denkt einen ganzen Tag lang nicht mehr an den
Grossvater.
Alles ist billiger jenseits der Grenze, das Fleisch, der Käse und die
Butter, die Leute reden eine andere Sprache und es gibt dort Puffs.
Auch der Kaminfeger fährt einmal im Monat über die Grenze. Seine
Frau sagt, dass er dort Geschäfte macht, aber was für welche, sagt die
Frau Doktor, lässt das Steuer los, schlägt sich mit der Hand an die Stirn
und schüttelt den Kopf, dass die Backen zittern.
Mädchen dürfen nicht in Puffs, auch Buben nicht. Erst, wenn sie
gross sind.
Der Pfarrer darf da auch nicht hin. Er ist gegen Puffs, aber die
Frau Doktor meint, wenn der Pfarrer nicht Pfarrer wäre, dann würde er.
Im Dorf gibt es auch so eine, sagt sie, aber die wohnt auf dem
grossen Platz, wo man jeden sieht, der ein und aus geht – auch wenns
dunkel ist. Darum gehen die Männer lieber über die Grenze. Da sind sie
anonym, sagt die Frau Doktor.
Die Fenster auf dem Platz haben nämlich Augen und Ohren, und
die grosse Holztüre quietscht wie ein Schwein, wenns zum Schlachten
am Schwanz die steile Gasse hinaufgezogen wird.
Im Frühling wächst unter dem Baum viel Löwenzahn, es ist eine fröhliche
Wiese, die Erde ist weich und freundlich.
An manchen Tagen steht das Kind an den Stamm gelehnt und
überlegt, wie lange es dauern würde, ein Loch zu graben, in das es mit
Haut und Haaren hineinpassen würde.
In der steilen Gasse wohnt der Coiffeur, der auch gerne über die Grenze
geht, er nimmt sogar seine Tochter mit und hie und da auch ihre kleine
Freundin, das Kind, damit sich die Tochter nicht langweilt, wenn sie warten muss im Restaurant hinter einem Teller mit Knödeln oder Kaiserschmarren.
Die Tochter aus der Gasse weiss nicht, warum der Vater über die
Grenze fährt. Sie freut sich auf die Knödel, auf den Kaiserschmarren,
wenn sie mit der Freundin ins Auto des Vaters steigt.
Sie ist hübsch, die Kleine, sagt die Frau Doktor, nur schade, dass
sie die gleichen Säbelbeine hat wie ihre Mutter, kein Wunder, dass der
Alte über die Grenze fährt.
Wenn der Coiffeur mit der Tochter und dem Kind über die Grenze
fährt, erzählt er von früher und von den Pferden und wie saukalt es da
gewesen ist und wie die Männer das gute Stück in Zeitungspapier einwickeln mussten, damit es nicht erfriere, wenn sie stundenlang im Sattel
sassen.
Das Kind hört aufmerksam zu, es mag ihn gut leiden – wegen der
Nase, die es an die Ziege erinnert.
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Einmal, als die Ziege, die keine Glocke trägt, wieder am Kind vorbeiging,
machte es die Augen zu und stellte sich vor, es wäre der Coiffeur. Dann
sagte es wieder Guten Tag, und die Ziege drehte sich um, als wäre sie der
Coiffeur. Und dann machte es taptaptap, und sie lief weiter mit ihrem
Coiffeurgesicht.
der weiten, braunen Kutte kommt auf sie zu, lächelt und nimmt aus seiner
tiefsten Tasche zwei rote Äpfelchen. Er reibt sie an seiner Kutte, bis sie
glänzen. Da weiss er noch nicht, dass Luzia und das Kind seine Mirabellen
gestohlen haben.
Mit der Luzia aus der Alpenrose langweilt sich das Kind nie. Hinter der Kirche, versteckt von den Bäumen, liegt das Hühnergehege des Paters mit
den langweiligen Gackernden und dem schwarzen Gockel, der genau so
läuft wie der Lehrer der oberen Klassen.
Einmal hat Luzia die Schnapsflasche ins Hühnergehege mitgenommen und mit dem Schnaps das Weiche von ihrem Pausenbrot getränkt.
Die feuchten Brocken hat sie dann zusammen mit dem Kind dem Hahn
vorgesetzt, und der hat sie alle gierig aufgepickt. Danach ist er herumgetorkelt wie der Kasimir, wenn er zu tief ins Glas geschaut hatte, und hat
zur Unzeit gekräht und krakeelt und sogar gegackert wie ein Huhn – was
die Hühner so durcheinanderbrachte, dass sie für ein paar Tage keine
Eier mehr legen wollten.
Und das Kind hat gekichert und gelacht, ganz laut, und es konnte
gar nicht mehr aufhören zu lachen – und ganz plötzlich ist dieses Lachen in ein Schluchzen hinübergehüpft, und die Luzia hat die Augen aufgerissen und gesagt, das ist doch nicht so schlimm, morgen ist der
Hahn wieder normal.
Der Kaminfeger aber geht nicht in Puffs. Bei ihm ist es etwas anderes.
Er mag keine Frauen.
Der ist doch pervers, sagt die Frau Doktor.
Jeden Abend kauft der Kaminfeger sein Päckchen Gauloises bleues in der Alpenrose, trinkt ein Glas Rotwein an der Theke und hält ein
Schwätzchen mit der Serviertochter Claudia. Die versteht, dass er hie und
da über die Grenze muss.
27
Über dem Restaurant von der Alpenrose gibt es ein Zimmer mit einer
dünnen Holzwand.
Luzia, das Mädchen von der Alpenrose, das in der Schule neben
dem Kind sitzt, obschon sie drei Jahre älter ist, schaut regelmässig durch
ein Astloch in der Wand und sagt dem Kind, wann es interessant ist. Die
Mädchen stehen dann ganz leise im dunklen Korridor, damit die Leute
nicht erschrecken in ihrer Nacktheit. Der Mann und die Frau ren-nen im
Zimmer herum und kichern, oder sie kriechen aufeinander herum und
schnaufen.
Jetzt ficken sie, sagt das Mädchen von der Alpenrose. Alle Erwachsenen ficken, und der Kaminfeger, der keine Frauen mag, der fickt
Männer.
Das Mädchen aus der Alpenrose nimmt das Kind manchmal in ihre kleine
Kirche mit, die sich im unteren Teil des Dorfes in einem grossen Garten
mit Obstbäumen befindet.
Luzia hat Mitleid mit dem Kind, das keine Mirabellen im Pfarr­
garten stehlen darf. Sie selber darf sogar stehlen, wenn sie nur nachher
beichten geht, so wird ihr alles verziehen.
Darum ist es viel besser, katholisch zu sein, sagt Luzia, und das
Kind denkt darüber nach. In der kleinen katholischen Kirche riecht es
so gut.
Die zwei Mädchen stehen im Dämmerlicht im Eingang der Kirche,
und Luzia bringt dem Kind bei, wie man das Kreuz macht. Der Pater in
11
Français
1
Il est midi, les cloches sonnent, les rues sont déjà vides. Le goudron suinte
sous les pieds, dans les fissures. L’enfant se penche, récupère un peu
de la masse noire au bout de son index, agite vivement le doigt de-ci delà pour refroidir le goudron, le fourre dans sa bouche et le mastique tout
en remontant la ruelle raide d’un pas rapide, la tête baissée, encore prise
par la fin d’une histoire que le maître a lue à haute voix : étroitement embrassés, un garçon et une fille dérivent sur une barque chargée de foin,
et la lune en or rouge a déposé sur le fleuve une traîne brillante.
Dans sa bouche, le goudron a un goût dangereux.
L’oreille qui est encore libre pour les bruits extérieurs entend des
pas menus qui se rapprochent et quand les pas croisent cette oreille
libre, automatiquement, la bouche dit bonjour.
Ce n’est qu’en l’absence d’un salut en retour que l’enfant, en un
éclair, s’arrache à l’histoire de la lune rouge, réajuste ses lunettes sur son
nez et jette un regard dans la direction des pas.
Plus bas, une chèvre rousse avec une bande noire sur le dos
s’éloigne, descend la ruelle en pente. Elle tourne la tête en arrière, l’air
de s’excuser de son impolitesse.
Parfois, grand-père disait à grand-mère : tu es comme une chèvre, très
affectueuse, d’une part, mais il suffit que tu aies humé un brin d’herbe
pour que rien ne puisse te retenir.
Un peu plus tard, l’enfant est assise avec sa grand-mère à la cuisine et mange sa soupe. De temps à autre, la vieille femme pose sa cuillère dans son assiette et regarde le plafond.
La troisième chaise, à table, est vide. Grand-père est à Tamangur.
Devant la fenêtre de la cuisine, le sureau s’incline. Il est déjà couvert de grappes.
Au moment où un chasseur est accueilli à Tamangur, il perd vingt et un
grammes parce que son âme s’échappe de son corps pour revenir à
l’endroit où elle demeurait avant.
L’âme, dit grand-mère, est comme un animal aux habitudes immuables, elle est forte, bien qu’elle ne pèse que quelques grammes, et elle
impose toujours sa volonté.
Elle peut se glisser en tous lieux, et quand elle veut. Avec ses vingt
et un grammes, elle trouve toujours une petite place où se loger, où
arracher grand-mère à son train-train. Grand-mère se dispute avec l’âme,
elle l’insulte : Espèce de rien du tout, dit-elle, espèce de petit tas de
13
Grand-mère aspire l’air par le nez à grand bruit. Elle fait cela afin
de repousser une larme dans son canal, après, elle a de nouveau ses
grands yeux, elle ébouriffe ses cheveux et se déshabille.
Sous sa robe, elle porte encore une robe couleur chair, avec de
petits crochets brillants qu’elle dégrafe un par un. Elle la plie minutieusement, la pose comme il faut sur la chaise et la lisse de la main.
Même nue, grand-mère a l’air habillée. Elle s’arrête un instant
devant le miroir et y plonge des yeux curieux, comme si elle y voyait une
autre femme. Elle montre à l’autre son derrière et tourne la tête vers le
miroir pour voir à quoi l’autre ressemble, de dos, avant de laisser retomber autour d’elle sa chemise de nuit.
Les pieds de grand-mère sont tout petits. Lorsqu’elle est couchée
sur son lit et qu’elle étend les jambes, ses orteils ressemblent à des baies
juteuses, mais quand elle est debout sur le tapis, les baies s’étalent sous
son poids, tout aplaties. Le poids les écrase dans les fleurs de la descente
de lit. Elle tangue encore une fois à travers la chambre, ouvre la fenêtre
l’espace d’une fente, revient vers le miroir, prend dans ses mains ses deux
seins lourds, les soulève un peu et dit à l’autre, celle du miroir :
J’ai encore une belle poitrine.
Dans la lueur blafarde du réverbère, le corset, avec ses petits crochets brillants, ressemble à un insecte.
misère ! Mais qu’est-ce que tu veux que je fasse d’un petit tas de misère pareil ?
2
Le village est dans l’ombre, enfoncé entre les montagnes, et enfoncée
encore plus bas, la rivière mugit, grosse et luisante, en direction de la
frontière.
Il y a une église sur une colline, près de la lisière de la forêt, une
école, quelques magasins, des restaurants et la place du village. Un long
banc est posé là.
Quand le banc est vide, l’enfant va s’y asseoir et se demande quelles
histoires le banc a déjà entendues. Parfois le siège est encore tiède,
et cela veut dire qu’un instant auparavant, quelqu’un y était encore assis,
qui a eu le temps de raconter au banc des mensonges. Pour cette raison,
le banc s’appelle le banc des mensonges.
L’enfant parcourt du doigt les fentes et les craquelures du bois, un
chien ou une chèvre trottine sur la grand-route qui à cette heure grésille
au soleil et répand une mauvaise odeur de goudron.
Pourquoi la chèvre sans cloche est-elle toujours seule, personne
n’en sait rien. S’est-elle perdue dans les ruelles ? C’est comme si elle
était éternellement à la recherche de quelque chose.
Parfois, la quête infructueuse de la chèvre attriste l’enfant. Elle est
incapable de mettre le chagrin d’autrui à distance.
De l’autre côté de la rivière, une vallée latérale s’enfonce entre les
montagnes.
Grand-père avait raconté à l’enfant que des lièvres des neiges vivaient là-bas, et des perdrix des neiges, et d’autres êtres et plantes
capables d’adapter si parfaitement leur robe à ce qui les entoure qu’on
ne les voit plus du tout.
4
Le cœur de la grand-mère est une vaste forêt avec des broussailles
épaisses, des arbres hauts et des arbres bas, et beaucoup de buissons.
On peut s’y promener ou s’y perdre.
Il y a là aussi des clairières qui s’ouvrent comme par surprise. Un
pas, et brusquement l’enfant est en pleine clarté, au-dessus d’elle, le ciel,
les doux coussins des nuages, le soleil. Là, la grand-mère est un ange
qui répond à son moindre désir.
Elle sautille à travers l’appartement, prend l’enfant par la main, file
avec elle au magasin de chaussures et lui achète à l’improviste les ballerines rouges dont elle rêvait depuis longtemps.
Un autre jour, l’enfant s’enfonce dans les fourrés, elle se griffe les
pieds et les jambes, les branches lui fouettent le visage, elle s’accroupit
dans la pénombre et tremble devant la grand-mère qui devient une sorcière.
Sans le savoir, l’enfant a rappelé à grand-mère un mauvais souvenir ; au faux moment, elle a joué les fausses notes au piano.
Alors elle hait grand-mère, de toutes ses forces. Sa façon de serrer
3
Souvent, le soir, tout a une odeur de mal du pays. Grand-mère n’a rien de
bon à dire du village.
Il commence là où il finit, dit-elle, juste une crotte de mouche sur
la carte.
Quand le vent se met à souffler dans la forêt, on sent déjà les pluies
de l’automne.
15
[…]
les lèvres parce que dans sa bouche, une grosse boule de mots méchants
s’est formée. L’enfant connaît ces lèvres minces, elle doit rester sur ses
gardes, à ces moments-là elle va se terrer dans les sous-bois jusqu’à ce
que la bouche se détende à nouveau.
La boule ne doit pas s’échapper. Il y a des sons et des mots qui
fendent le cœur en deux, mieux que n’importe quel couteau tranchant.
Il est alors conseillé de disparaître quelque temps dans les sous-bois,
et de ne faire aucun bruit.
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Avant de s’en aller à Tamangur, grand-père était toujours le premier à
table, le matin, et il remuait son café avec sa cuillère à soupe. Quand
l’enfant venait s’asseoir, il soulevait avec un clin d’œil la cuillère dégoulinante de fromage fondu au-dessus de sa tasse et l’enfant, émerveillée,
haussait les épaules jusqu’aux oreilles et pouffait de rire.
Le fromage dans le café, grand-mère l’avait défendu.
Tu ne lui apprends que des bêtises, grommelait-elle dans le coin
où, une miche de pain serrée contre sa poitrine, elle coupait des tranches.
Il faut bien que quelqu’un les lui apprenne, disait grand-père tranquillement, puisque tu lui apprends tout le reste.
Il posait sur l’enfant un regard interrogateur, elle acquiesçait,
grand-père sortait de sa poche son couteau militaire, coupait quelques
gros morceaux de formage dans sa tasse, versait par-dessus le café
bouillant, saupoudrait le tout d’une cuillerée de sucre, et l’enfant se mettait à remuer jusqu’à ce que le fromage fasse des fils jaune pâle.
Lorsque grand-mère venait à table, tous les deux contemplaient
leur tasse d’un air parfaitement innocent, et grand-mère s’asseyait sur sa
chaise en maugréant. Il était impossible de la tromper. Du coin de l’œil,
elle observait les fils qui se formaient entre les tasses, la bouche de l’enfant et la moustache de grand-père.
Comme chaque fois qu’elle bouillait d’indignation, elle recevait un
baiser de grand-père.
Il en va du cœur comme des articulations, dit grand-mère. Regarde en
Inde, dit-elle. Il y a là-bas des hommes de quatre-vingt-dix ans qui enroulent leurs jambes autour de leur cou. Le cœur aussi, doit rester entraîné. Il faut le secouer – et le gonfler à craquer pour qu’il garde sa forme.
Il faut en faire usage tant qu’il bat, sinon il rétrécit et finit par ressembler
à une pomme de terre ratatinée.
Elle n’a pas envie de s’asseoir sur le petit banc d’attente, devant la maison,
et de tricoter des chaussettes. Elle en a tricoté assez, des chaussettes.
Pour grand-père. Afin qu’après la chasse, ses pieds de soie lui reviennent
bien protégés par la laine et l’amour.
Elle le reconnaît tout de suite lorsqu’il apparaît à la lisière de
la forêt de l’autre côté de la rivière et descend jusqu’au pont à grandes,
souples enjambées. Avec ou sans proie, il avance comme un roi.
Il y avait encore un autre jeu.
Dans le coin le plus reculé du jardin, il y a un vieux lilas sous lequel,
le dimanche, grand-père faisait une petite sieste avec l’enfant.
Montre-moi tes dents, disait l’enfant.
Grand-père sortait de sa poche son grand portemonnaie noir.
Avec beaucoup de gravité et de lenteur. Puis il extrayait du cuir souple un
petit paquet enveloppé de papier de soie. Chaque fois, le bruissement
donnait à l’enfant la chair de poule.
C’étaient cinq longues dents jaunes. Autant qu’il y avait de brèches
dans la bouche du grand-père. L’enfant avait le droit de toucher les longues dents de cerf jaunes et chaque fois elle avait un peu peur, et elle rentrait la tête dans les épaules.
Quand on est vieux, disait grand-père, tout en remballant les dents
de cerf dans le papier de soie, on n’a pas besoin d’autant de dents.
Il faut mordre tant qu’on est jeune. Après, c’est trop tard, disait-il en regardant la cime du lilas.
17
[…]
Il était assis là, les mains posées sur les cuisses. Une sauterelle
verte grimpait sur sa main gauche et sautait sur les genoux de l’enfant.
Pourquoi tes mains sont elles aussi grandes ? demandait l’enfant.
Parce que ta grand-mère a des gros seins. Il faut qu’ils aient
assez de place, un dans chaque main.
Et moi, est-ce que j’aurai des seins aussi gros que grand-mère ?
Ils auront exactement la grosseur qu’il faudra pour tenir dans
la main de l’homme qui te plaira, disait grand-père, et leurs deux regards
parcouraient les branches du lilas, là-haut, et chacun suivait le cours
de ses pensées.
Était-ce le lilas qui avait l’odeur du grand-père, ou le grand-père
qui avait l’odeur du lilas, on ne savait pas. Le lilas était couvert de fleurs
et le vent soufflait son parfum jusque dans la maison.
26
Quand Frau Doktor va de l’autre côté de la frontière, grand-mère peut
l’accompagner avec l’enfant, et pendant une journée, elle ne pense pas
à grand-père.
Tout est meilleur marché de l’autre côté de la frontière, la viande, le
fromage et le beurre, les gens parlent une autre langue et il y a des bordels.
Le ramoneur aussi, traverse la frontière une fois par mois. Sa femme
dit qu’il y va pour ses affaires, mais Frau Doktor dit quelles affaires,
et elle lâche le volant, se frappe le front de la main et secoue la tête de
sorte que ses joues tremblotent.
Les petites filles n’ont pas le droit d’aller au bordel, les garçons non
plus. Seulement quand ils sont grands.
Le pasteur non plus, n’a pas le droit d’y aller. Il est contre les bordels, mais Frau Doktor pense que si le pasteur n’était pas pasteur, il irait.
Au village, il y a aussi une de ces femmes, dit-elle, mais elle habite
sur la grand-place, où l’on voit qui entre et sort – même pendant la nuit.
Pour cette raison, les hommes préfèrent traverser la frontière. Là-bas, ils
sont anonymes, dit Frau Doktor.
Les fenêtres qui donnent sur la place ont en effet des yeux et des
oreilles, et la grande porte de bois couine comme un cochon qu’on
tire par la queue le long de la ruelle en pente pour l’amener à l’abattoir.
Au printemps, sous l’arbre, pousse un tapis de pissenlits, c’est une prairie
joyeuse, la terre est tendre et accueillante.
Il y a des jours où l’enfant s’adosse au tronc et se demande combien de temps il faudrait pour creuser un trou dans lequel elle entrerait
tout entière, des pieds à la tête.
Dans la ruelle en pente, il y a un coiffeur qui lui aussi, aime traverser
la frontière, il prend aussi sa fille et de temps en temps, il emmène également sa petite camarade, l’enfant, pour que sa fille ne s’ennuie pas
quand elle doit attendre au restaurant, devant une assiette de boulettes
ou de crêpes Empereur.
La fillette de la ruelle ne sait pas pourquoi son père traverse la
frontière. Elle se réjouit des boulettes et des crêpes Empereur, lorsqu’elle
monte en voiture avec son amie.
Elle est jolie, cette petite, dit Frau Doktor, juste dommage qu’elle
ait les mêmes jambes en tonneau que sa mère, il ne faut pas s’étonner
que son père traverse la frontière.
Quand le coiffeur traverse la frontière avec sa fille et l’enfant,
il parle du temps passé et des chevaux et du froid de canard qu’il faisait,
et raconte que les hommes devaient emballer leurs parties dans du
papier journal pour qu’elles ne gèlent pas quand ils restaient en selle plusieurs heures d’affilée.
L’enfant écoute avec attention, elle l’aime bien – à cause de son
nez qui lui rappelle la chèvre.
19
Luzia et l’enfant lui ont volé des mirabelles.
Un jour, quand la chèvre qui ne porte pas de cloche l’a croisée, l’enfant
a fermé les yeux et s’est imaginé que c’était le coiffeur. Puis elle a dit bonjour, comme d’habitude, et la chèvre s’est retournée comme si elle était
le coiffeur. Et puis on a entendu taptaptap et elle s’est éloignée, avec son
visage de coiffeur.
Avec cette Luzia de L’Edelweiss, l’enfant ne s’ennuie jamais. Derrière
l’église, caché derrière les arbres, se trouve le poulailler du curé, avec les
ennuyeuses caqueteuses et le coq noir qui marche exactement comme
le maître de la classe des grands.
Un jour, Luzia a apporté la bouteille de schnaps jusque dans le
poulailler, et humecté de schnaps la mie de son pain de dix heures. Avec
l’enfant, elle a ensuite déposé les miettes humides devant le coq qui
les a toutes picorées avec avidité. Ensuite, il a titubé comme Casimir
quand il a trop bu, et il a coqueriqué à tort et à travers, braillé et même
gloussé comme une poule – ce qui a si bien perturbé les poules que
pendant quelques jours elles ont refusé de pondre.
Et l’enfant s’est mise à rire, et elle riait très fort, elle riait sans plus
pouvoir s’arrêter – et tout soudain ce rire a basculé dans un sanglot,
et Luzia a écarquillé les yeux en disant que ce n’était pas si grave, que demain le coq serait de nouveau normal.
Le ramoneur, lui, ne va pas au bordel. Chez lui, c’est différent. Il n’aime
pas les femmes.
C’est qu’il est pervers, dit Frau Doktor.
Chaque soir, le ramoneur achète son paquet de Gauloises bleues
à L’Edelweiss, il boit un verre de rouge au comptoir et fait un brin de
causette avec Claudia, la serveuse. Elle, elle comprend qu’il doive de temps
en temps traverser la frontière.
27
Au-dessus du restaurant de L’Edelweiss, il y a une chambre dont la cloison
de bois est mince.
Luzia, la fillette de L’Edelweiss, qui est assise à côté de l’enfant
à l’école bien qu’elle ait trois ans de plus, regarde régulièrement par
un petit trou dans la cloison, et annonce à l’enfant quand c’est intéressant.
Les fillettes restent alors debout dans le couloir obscur, sans faire aucun
bruit, pour que les gens ne prennent pas peur dans leur nudité. L’homme
et la femme se poursuivent autour de la chambre, pouffent de rire ou
grimpent l’un sur l’autre en respirant fort.
Maintenant, ils baisent, dit la fillette de L’Edelweiss. Tous les adultes
baisent, et le ramoneur qui n’aime pas les femmes baise les hommes.
La fillette de L’Edelweiss emmène parfois l’enfant jusqu’à sa petite église
située dans un grand verger dans la partie inférieure du village.
Luzia a pitié de l’enfant qui n’a pas le droit de voler les mirabelles
dans le jardin de la cure. Elle-même a le droit de voler si après, elle va
se confesser, alors tout lui est pardonné.
Voilà pourquoi il vaut beaucoup mieux être catholique, dit Luzia, et
l’enfant y réfléchit. Dans la petite église catholique, cela sent si bon.
Les deux fillettes sont dans l’entrée de l’église, dans la lumière du
soir, et Luzia apprend à l’enfant à faire le signe de croix. Le curé dans
sa grande soutane brune s’approche d’elles en souriant et sort de la plus
profonde de ses poches deux petites pommes. Il les frotte contre sa
soutane pour les faire briller. Il ne sait pas encore, à ce moment-là, que
21
Italiano
1
È mezzogiorno, suonano le campane, le strade sono già vuote. Dalle crepe dell’asfalto affiora il catrame. La bambina si china, stacca un po’ di
quella massa nera con l’indice, agita rapidamente il dito per raffreddarla,
la infila in bocca e comincia a masticare salendo in fretta il vicolo ripido,
a testa bassa e ancora catturata dal finale di una storia che il maestro ha
letto in classe: stretti l’uno all’altra, un ragazzo e una ragazza vanno alla
deriva su una barca carica di fieno, e una luna d’oro rosso ha posato la sua
scia luccicante sul fiume.
In bocca, il catrame sprigiona un sapore pericoloso.
Un orecchio, quello rimasto permeabile ai rumori esterni, sente
venirgli incontro dei passetti e, mentre i passi lo superano, la bocca dice
buongiorno di sua iniziativa.
Solo quando non arriva risposta la bambina si separa in un lampo
dalla storia della luna rossa, spinge gli occhiali all’attaccatura del naso
e si volta verso i passi.
Una capra color ruggine con una striscia nera sul dorso sta scendendo più a valle per la viuzza. Gira indietro la testa con uno sguardo
come per scusarsi della villania.
A volte il nonno diceva alla nonna: sei come una capra, per certi versi attaccatissima, ma se fiuti un’erba succosa non ti tiene più nessuno.
Poco dopo la bambina è seduta a tavola e mangia la minestra
insieme alla nonna. Di tanto in tanto la vecchia posa il cucchiaio nel piatto
e guarda il soffitto.
La terza sedia è vuota: il nonno è a Tamangur.
Davanti alla finestra della cucina si flettono i rami del sambuco.
Sono già carichi di bacche.
Nell’istante in cui un cacciatore viene accolto a Tamangur perde ventuno
grammi, è l’anima che abbandona il corpo per tornare dove abitava prima.
L’anima è un animale abitudinario, dice la nonna, è forte anche se
pesa pochi grammi e ottiene sempre quel che desidera.
Se vuole può andare dappertutto. Con i suoi ventuno grammi trova
ovunque un posticino dove riposare e tirar fuori la nonna dal trantran
quotidiano. Ma lei litiga con l’anima e la prende a male parole: un niente,
le dice, ecco cosa sei, un misero affarino! Cosa me ne faccio di un affarino tanto misero?
23
da notte.
La nonna ha i piedi minuscoli. Quando allunga le gambe distesa
sul letto, le dita sembrano delle bacche succose, ma se è in piedi sul tappeto, le bacche si allargano per il peso e si schiacciano. La sua mole le
imprime nei fiori dello scendiletto. Riattraversa un po’ traballante la stanza,
socchiude la finestra, torna davanti allo specchio, prende i grossi seni
tra le mani, li schiaccia appena verso l’alto e dice all’altra nello specchio:
ho ancora un bel seno.
Alla luce fioca del lampione il busto con i gancetti luccicanti somiglia a un insetto.
2
Il paese è un luogo pieno di ombre incavato tra le montagne e, ancora
più infossato, un fiume gonfio e lucido serpeggia sibilando verso il confine.
Su un colle prossimo al limite del bosco c’è una chiesa, poi una
scuola, qualche bottega, un paio di osterie e la piazza. In piazza si trova
una lunga panca.
Se è libera, la bambina ci si siede sopra e pensa alle storie che la
panca può aver sentito. Certe volte è ancora tiepida, allora vuol dire che
fino a poco prima l’ha scaldata qualcuno che aveva tempo di raccontarle
bugie. Per questo si chiama così, panca delle bugie.
La bambina percorre col dito le venature e le crepe del legno,
un cane o una capra le passa davanti nella via principale che a quell’ora
tremola al sole e puzza di catrame.
Chissà perché la capra senza campanaccio è sempre in giro da
sola. Che si sia smarrita nei vicoli? Sembra alla costante ricerca di qualcosa.
Ogni tanto il vano cercare della capra mette tristezza alla bambina. Non sa tenere a distanza il dispiacere altrui.
Al di là del fiume una valle laterale sparisce tra le montagne.
Il nonno aveva raccontato alla bambina che ci vivono lepri e pernici candide, e anche altri esseri e piante capaci di adattare così bene
il loro vestito all’ambiente intorno che uno non li vede più.
4
Il cuore della nonna è un grande bosco con sterpi intricati, alberi bassi e
altissimi, tanti cespugli. Ci si può passeggiare o perdere.
Contiene anche delle radure che si aprono come una sorpresa.
Un passo, e di colpo la bambina si ritrova alla luce, sopra di lei il cielo,
morbidi cuscini di nuvole, il sole. E allora la nonna è un angelo che esaudisce qualsiasi desiderio.
Saltella per la casa, prende per mano la bambina, la accompagna
al negozio di scarpe e le compra d’impulso le ballerine rosse che voleva
da tanto tempo.
Invece un’altra volta spedisce la bambina nei rovi dove i rami la colpiscono in faccia, si graffia i piedi e le gambe, si accuccia al buio e trema
di fronte alla nonna diventata strega.
Senza volerlo, la bambina le ha risvegliato un brutto ricordo; ha toccato al momento sbagliato i tasti sbagliati del pianoforte.
E odia la nonna con tutte le sue forze. Il modo in cui serra le labbra
perché le si è formato in bocca un grumo di parole cattive. La bambina
conosce quelle labbra sottili, quand’è così deve stare all’erta, si rintana nel
sottobosco finché la bocca si rilassa.
Il grumo non deve sfuggire. Ci sono toni e parole che squarciano
il cuore più di qualsiasi coltello affilato. Meglio sparire nel sottobosco per
un po’ e non fare rumore.
3
Certe sere sa tutto di nostalgia. La nonna non spende una sola buona
parola per il paese.
Finisce dove comincia, dice, non è altro che una cacca di mosca
sulla cartina.
Quando il vento soffia nel bosco, si sente già il brivido dell’autunno.
La nonna inspira l’aria nel naso con un rumore forte. Lo fa per
rimandare le lacrime nel loro canale, e poi le tornano gli occhi grandi, sistema i capelli e si spoglia.
Sotto il vestito ne porta un altro, uno color carne con dei gancetti
lucidi che apre uno per uno. Lo piega meticolosamente, lo posa in bell’ordine sulla sedia e lo liscia con la mano.
La nonna sembra vestita anche da nuda. Si ferma un momento davanti allo specchio e lo guarda incuriosita, come se ci vedesse dentro
un’altra. A quest’altra mostra persino il sedere e gira la testa per osservare
com’è fatta l’altra da dietro, poi si lascia scivolare addosso la camicia
Con il cuore è come con le articolazioni, dice la nonna. Prendi l’India, dice.
Lì ci sono dei novantenni che si attorcigliano le gambe intorno al collo.
Anche il cuore deve restare in esercizio. Per tenerlo in forma bisogna scuoterlo – e tenderlo fino a strapparlo. Bisogna usarlo fino all’ultimo battito,
altrimenti avvizzisce e alla fine sembra una patata raggrinzita.
25
[…]
Non ha voglia di sedersi a fare la calza sul panchetto davanti a casa. Di
calze ne ha fatte abbastanza. Per il nonno. In modo che i suoi piedi di
seta, finita la caccia, tornassero da lei ben protetti dalla lana e dall’amore.
Quando compare al margine del bosco oltre il fiume e scende
al ponte a grandi passi elastici, la nonna lo riconosce subito. Con o senza
preda, incede come un re.
10
Prima di andare a Tamangur, il nonno era sempre il primo a colazione
e rimestava il caffè con il cucchiaio della minestra. Quando la bambina
arrivava a tavola, il nonno tirava fuori dalla tazza il cucchiaio con il formaggio fuso e le faceva l’occhiolino, lei alzava le spalle fino alle orecchie
e partiva a ridacchiare per l’entusiasmo.
Il formaggio nel caffè era vietato, decreto della nonna.
Le insegni un sacco di stupidate, si arrabbiava lei dall’angolo in cui
stava affettando il pane premendolo contro il petto.
Qualcuno deve pur farlo visto che tu le insegni già tutto il resto,
rispondeva placido il nonno.
Lanciava uno sguardo interrogativo alla bambina, lei approvava con
un cenno, il nonno prendeva il coltello militare dalla tasca dei pantaloni,
tagliava un paio di grossi pezzi di formaggio nella tazza, ci versava sopra il
caffè bollente, aggiungeva un cucchiaio di zucchero e la bambina continuava a mescolare finché il formaggio si scioglieva in fili di un color giallo
pallido.
Quando veniva a tavola la nonna, i due guardavano le rispettive
tazze con l’aria più innocente del mondo e lei si lasciava cadere sulla sua
sedia con un sospiro. Non le sfuggiva niente. Esaminava con i suoi occhietti i fili che si tendevano tra le tazze, la bocca della bambina e i baffi
del nonno.
Il nonno le scoccava un bacio, come ogni volta che lei cuoceva
d’indignazione.
C’era anche un altro gioco.
Nell’angolo più remoto del giardino cresce un vecchio lillà, dove la
domenica il nonno schiacciava un sonnellino insieme alla bambina.
Fammi vedere i tuoi denti, diceva lei.
Il nonno prendeva il grande portamonete nero dalla tasca dei pantaloni. Molto serio, molto lento. Poi estraeva dal cuoio morbido un
piccolo involto di carta velina. A quel fruscio alla bambina veniva sempre
la pelle d’oca.
Erano cinque denti, lunghi e gialli. Tanti quanti i buchi che il nonno
aveva in bocca. La bambina poteva toccare i lunghi denti di cervo
ingialliti, ogni volta rabbrividiva un po’ e incassava la testa tra le spalle.
Quando si è vecchi, diceva il nonno riavvolgendo i denti di cervo nella carta velina, non servono più tanti denti. Bisogna mordere quando si
è giovani. Poi è troppo tardi, aggiungeva guardando in su, verso la chioma
del lillà.
27
[…]
Se ne stava seduto con le mani sulle cosce. Una volta una cavalletta era saltata sulla sua gamba sinistra, e da lì in grembo alla bambina.
Perché hai le mani così grandi?, aveva chiesto lei.
Sono grandi come i seni della nonna. Devono poterci stare dentro,
uno per mano.
Anche a me verranno i seni grandi come a lei?
Diventeranno grandi esattamente quanto le mani dell’uomo che
ti piacerà, aveva detto il nonno, ed entrambi avevano guardato i rami del
lillà perdendosi nei propri pensieri.
Impossibile sapere se fosse il lillà a profumare di nonno o il nonno di lillà. L’albero era coperto di fiori e il vento trasportava il profumo
fino in casa.
26
Quando la dottoressa va oltreconfine, la nonna può accompagnarla con
la bambina e per l’intera giornata non pensa più al nonno.
Al di là del confine è tutto meno caro, la carne, il formaggio, il burro,
la gente parla un’altra lingua e ci sono i bordelli.
Una volta al mese passa il confine anche lo spazzacamino. Sua
moglie dice che ci va per affari, immagino quali, commenta la dottoressa,
molla il volante, si dà una pacca in fronte e scuote così forte la testa che
le tremano le guance.
Nei bordelli le bambine non sono ammesse e i bambini nemmeno.
Possono entrarci solo da grandi.
Neanche il parroco ci può andare. È contrario ai bordelli, ma la dottoressa dice che il parroco, se non fosse parroco, altroché se ci andrebbe.
Una così c’è anche in paese, continua, ma abita nella piazza grande dove tutti vedono chi entra e chi esce, persino quando è buio. Quindi
gli uomini preferiscono andare oltreconfine. Per essere in incognito, spiega la dottoressa.
Le finestre affacciate sulla piazza del paese hanno gli occhi
e le orecchie, e il grosso portone di legno geme come un maiale quando
lo trascinano per la coda lungo la viuzza ripida per portarlo al macello.
In primavera sotto l’albero crescono tanti denti di leone, è un prato allegro,
la terra è morbida e accogliente.
Certi giorni la bambina si appoggia al tronco e si chiede quanto
ci vorrebbe per scavare un buco grande abbastanza da contenerla
tutta intera.
Nella viuzza ripida abita il parrucchiere, anche lui va spesso oltreconfine,
porta con sé persino la figlia e ogni tanto anche l’amichetta di lei, ossia
la bambina, in modo che la figlia non si annoi ad aspettare al ristorante
davanti a un piatto di Knödel o Kaiserschmarren.
La figlia non sa perché il padre va oltreconfine. Quando sale in macchina con l’amichetta, pregusta i Knödel e il Kaiserschmarren.
È una bambina graziosa la figlia del parrucchiere, dice la dottoressa, peccato che abbia le stesse gambe storte della madre, non stupisce
che ogni tanto il marito passi il confine.
Quando il parrucchiere va oltre la frontiera con la figlia e la bambina, racconta loro dei tempi andati e dei cavalli e del freddo maledetto
che faceva e del fatto che gli uomini dovessero avvolgere il loro gioiellino
nella carta di giornale perché non gli si congelasse durante le tante
ore in sella.
La bambina lo ascolta attentamente, le sta simpatico – per via del
naso che le ricorda la capra.
Un’altra volta che le è passata davanti la capra senza campanaccio,
la bambina ha chiuso gli occhi e immaginato che fosse il parrucchiere.
29
Con la Luzia dell’Alpenrose la bambina non si annoia mai. Dietro la chiesa,
nascosto dagli alberi, c’è il pollaio del prete con quelle barbose delle
galline e il gallo nero che cammina proprio come il maestro dei grandi.
Una volta Luzia ha portato nel pollaio una bottiglia di acquavite
e ci ha intinto la mollica del panino della merenda. Poi, insieme alla bambina, ha dato i pezzetti umidi al gallo e lui li ha becchettati con avidità.
Dopo barcollava come il Kasimir quando ha alzato il gomito, si è messo a
cantare all’ora sbagliata, a schiamazzare e persino a starnazzare – mandando così in confusione le galline che per qualche giorno non hanno più
fatto le uova.
E la bambina rideva, rideva fortissimo, non riusciva più a smettere
di ridere – poi improvvisamente il riso si è riversato in pianto, la Luzia ha
fatto tanto d’occhi e le ha detto che non era niente, il giorno dopo il gallo
sarebbe tornato normale.
Ha detto di nuovo buongiorno, e la capra si è voltata come se fosse stata
lui. Poi ha fatto taptaptap e ha proseguito con quella sua faccia da
parrucchiere.
Lo spazzacamino invece non va nei bordelli. Il suo è un caso diverso.
Non gli piacciono le donne.
È un pervertito, dice la dottoressa.
Tutte le sere lo spazzacamino compra un pacchetto di Gauloises
bleues all’Alpenrose, beve un bicchiere di rosso al bancone e chiacchiera
con Claudia, la cameriera. Lei capisce che lui ogni tanto abbia bisogno
di passare il confine.
27
Sopra l’osteria dell’Alpenrose c’è una camera divisa da un tramezzo di
legno sottile.
Luzia, la ragazzina dell’Alpenrose che è compagna di banco della
bambina anche se ha tre anni in più, spia sistematicamente da un buco lasciato nel tramezzo da un nodo del legno e, se vede qualcosa di interessante, avvisa l’amica. Le due si appostano allora senza fiatare nel corridoio
buio per non spaventare gli occupanti, tanto più che sono nudi. L’uomo
e la donna corrono per la stanza e ridacchiano o si strusciano ansimando
uno contro l’altro.
Stanno scopando, dice la ragazzina dell’Alpenrose. Tutti gli adulti
scopano, e lo spazzacamino, visto che non gli piacciono le donne, scopa
gli uomini.
Ogni tanto la ragazza dell’Alpenrose porta con sé la bambina nella
sua chiesetta che sorge nella parte bassa del paese, in un grande giardino
pieno di alberi da frutto.
Luzia compatisce la bambina perché non può rubare le susine
nel giardino del parroco. Lei invece può fare persino quello, basta che poi
si confessi e le viene perdonato tutto.
Ecco perché è molto meglio essere cattolici, spiega Luzia, e la
bambina ci pensa su. Nella chiesetta cattolica c’è un profumo buonissimo.
Le due si fermano nella penombra all’ingresso della chiesa e Luzia
insegna alla bambina a fare il segno della croce. Il prete con l’ampia
tonaca marrone va loro incontro, sorride e prende due meline rosse dalla
più recondita delle sue tasche. Le sfrega sulla sottana finché sono lucide
lucide. Non sa ancora che Luzia e la bambina gli hanno rubato le susine.
31
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Feuilleton
Bücher
«Tamangur» von Leta Semadeni
Das Herz ist ein dichter Wald
«Tamangur» ist das erste Prosawerk der Lyrikerin Leta Semadeni. Es erzählt
präzis und expressiv von der Zuneigung zwischen Grossmutter und Enkelin.
von
Martina Läubli
9.6.2015, 05:30 Uhr
Tamangur. Ein Name wie geschaffen für ein phantastisches Zauberreich. Er
ist aber der Wirklichkeit entlehnt. Tamangur gibt es tatsächlich, so heisst ein
hoch gelegener Arvenwald
in S-charl im Unterengadin. Doch Tamangur bezeichnet in Leta Semadenis
gleichnamigem Prosawerk nicht in erster Linie diesen Wald, sondern den Ort,
an den der Grossvater verschwunden ist. Die Grossmutter schaut immer zur
Decke, wenn sie vom Grossvater spricht, deshalb muss Tamangur wohl dort
oben in den Wolken liegen, reimt sich das Kind zusammen. Die Grossmutter
erklärt ihm: «Es gibt dort keine Gemsen. Es gibt keine Dohlen in Tamangur,
keine Sonntage, kein Weihnachten, keinen Braten, keinen Osterhasen. Es ist
als ob.» So wird Tamangur zur Chiffre für das Reich der Toten. Der fremde
Klang übersteigt die Vorstellung dessen, wie es dort aussehen könnte.
Im ersten Roman der Lyrikerin Leta Semadeni spielen die Abwesenden eine
ebenso wichtige Rolle wie die Anwesenden. Die Grossmutter und das Kind
müssen im Dorf in den Bergen allein zurechtkommen – ohne den Grossvater,
den Jäger, der Füsse hatte wie Seide und zu jedem leeren Blatt eine
Geschichte erfinden konnte; und ohne die Eltern des Kindes, deren
Abwesenheit auf eine noch abgründigere Leerstelle verweist: auf einen
kleinen Bruder, der im Fluss ertrunken ist, vielleicht durch die Schuld des
Kindes. Wie die beiden nach diesen Verlusten weiterleben, davon erzählt
Semadeni ebenso präzis wie expressiv.
Das Kind geht zur Schule und setzt sich auf dem Heimweg auf die Lügenbank
auf dem Dorfplatz, und die lebenskluge Grossmutter kocht und gönnt sich
abends einen Fernsehkrimi. Gegenseitige Verbundenheit grundiert ihr
Zusammenleben, auch wenn die Grossmutter manchmal unversehens zornig
wird. «Das Herz der Grossmutter ist ein grosser Wald mit dichtem Gestrüpp,
mit himmelhohen und niedrigen Bäumen, mit vielen Sträuchern. Man kann
darin spazieren gehen oder sich darin verirren.» Das Kind hat gelernt, sich im
richtigen Moment zu verkriechen und stillzuhalten. Das tut es immer, wenn
ihm das Verhalten der Erwachsenen Rätsel aufgibt. Etwa wenn Kasimir, der
Freund des Grossvaters, stolpernd durch die Stube tanzt und krächzt:
«Alkohol ist die Kaminfegerbürste für die Seele.»
Neben Kasimir bevölkert eine Reihe weiterer Sonderlinge Semadenis Roman,
der eigentlich kein Roman ist, sondern ein Reigen von 73 in sich
geschlossenen Erzählungen. Die Unterengadiner Schriftstellerin zeichnet das
namenlose, schattige Bergdorf als ein Panoptikum skurriler Persönlichkeiten,
allen voran die seltsame Elsa mit Elvis Presley im Schlepptau oder die
Schneiderin mit den Krokodilsäuglein, die Erinnerungen klaut. Doch im Blick
des Kindes ist die Welt der Erwachsenen ohnehin befremdlich. Während sich
jene in ihren Erinnerungen oder ihrem Begehren verstricken, wundert sich
das Kind, dass es in der Nacht nicht aus dem Bett fällt, wo die Erde doch eine
Kugel ist und das Bett deshalb auf dem Kopf stehen müsste.
In der kindlichen Erzählperspektive kommen Phantasie und Realität
gleichermassen zu ihrem Recht, und Leta Semadeni fasst diese magische
Mélange in eine Sprache von kräftiger, aber stets unangestrengter
Bildlichkeit. «Tamangur» ist das erste Erzählwerk der rätoromanischen
Lyrikerin und das erste, das sie,
die bisher zweisprachig dichtete
, ausschliesslich auf Deutsch verfasst hat. Man merkt ihm die Arbeit der
Verdichtung und die Achtsamkeit für die kleine Form an; die einzelnen
Geschichten fügen sich zum Gesamtbild, in dem Alltagsabenteuer und
existenzielle Fragen, Verlust und Liebe, Trauer und Humor dicht
nebeneinanderliegen. Was die Grossmutter bereits weiss, muss das Kind erst
noch erfahren: Das Leben ist nie eindeutig. Deshalb hegt und pflegt die
Grossmutter die Sehnsucht, denn «die Sehnsucht hat kleine, spitze Krallen,
die einen immer in Bewegung halten».
Leta Semadeni: Tamangur. Roman. Rotpunktverlag, Zürich 2015. 144 S., Fr. 26.90.
Aktuell
Restauration in Ägypten
«Wir könnten sterben, ohne dass es jemand merkt»
In Ägypten mehren sich im Zuge der Restauration des Militärregimes Berichte von unrechtmässigen
Verhaftungen und willkürlicher Polizeigewalt. Öffentliche Aufschreie bleiben weitgehend aus.
von
Monika Bolliger, Kairo
vor 2 Stunden
Abbau von bis zu 50'000 Stellen
HSBC verschreibt sich eine Radikalkur
Die britische Grossbank HSBC setzt zu einem Kahlschlag an und streicht bis gegen 50'000 Stellen.
Damit könnte fast jeder fünfte Arbeitsplatz wegfallen. Die Bank zieht sich auch aus der Türkei und
grösstenteils aus Brasilien zurück.
von
Gerald Hosp, London
vor 2 Stunden
Was heute wichtig ist
Wahlen in Mexiko / Sparrunde bei HSBC / Weniger Arbeitslose in der Schweiz sowie weitere Themen. Letzte Aktualisierung: 11:05
Uhr
Tamangur - Viceversa Literatur
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Tamangur - Viceversa Literatur
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07.04.2016 11:29
Donnerstag, 16. April 2015 / Nr. 87
Kultur
Neue Luzerner Zeitung Neue Zuger Zeitung Neue Nidwaldner Zeitung Neue Obwaldner Zeitung Neue Urner Zeitung Bote der Urschweiz
KRIMI
Ein fataler Mord
are. Den englischen Autor C. S.
Forester (1899–
1966) kennt man
am ehesten als
Autor der Romane um Admiral
Hornblower. Die
Figur wiederum
wurde dank der
Verfilmung «Des Königs Admiral» mit
Gregory Peck auch bei uns populär.
Die Hornblower-Geschichten sind
weitschweifig. Da überrascht Foresters
Erstling «Grausame Schuld» von 1926,
nun erstmals auf Deutsch erhältlich, mit
Prägnanz und Schärfe. Erzählt wird vom
Bankangestellten und Familienvater
Marble. Der ist ständig knapp bei Kasse. Als ein unbekannter Verwandter aus
dem Ausland ihn besucht, der viel Geld
bei sich trägt, nützt er die Gelegenheit
für einen Mord. Obwohl er in der Folge zu Wohlstand kommt, lässt ihn der
Fluch der bösen Tat nicht mehr los.
Die lineare Erzählweise Foresters mag
heute etwas altmodisch wirken. Aber
die psychologische Tiefenschärfe und
die brutale Logik des Geschehens hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck.
C. S. Forester: Grausame Schuld.
dtv, 237 Seiten, Fr. 24.90.
KRIMI
Autor im Visier
sda. Der neue
Protagonist in
den Krimis des
Berners Roger
Strub ist selbst
Krimiautor. Dieser Tobias Landauer schreibt ausgerechnet über
Kindsmorde. Das
ruft nicht nur einen Kinderschutz-Verein
auf den Plan, sondern sorgt auch in
seinem eigenen Umfeld für Unwillen.
Kommen die Drohbriefe, die Landauer
erhält, womöglich von dort? Im grossen
Showdown entgeht der Autor selbst
knapp einem abscheulichen Verbrechen.
Zum Glück, denn er wird als Held
weitergebraucht: Nach einem halben
Dutzend Krimis um Kommissarin Bellmann beginnt Strub eine neue Reihe.
Mit Landauer hat er einen bunten Vogel
mit gar sonderlichen Vorlieben kreiert.
Roger Strub: Verfalldatum.
Gmeiner Verlag, 279 Seiten, Fr. 17.–.
Die Mythen durchschaut
SACHBUCH Bekanntlich wird
in der Schweizer Geschichte
vieles mythisch überhöht. Historiker Thomas Maissen zeigt
spannende Zusammenhänge.
Dass er dabei die SVP provoziert, ist allerdings unnötig.
ARNO RENGGLI
[email protected]
Das Buch «Schweizer Heldengeschichten» sorgte schon für Aufsehen,
als es noch kaum jemand gelesen hatte.
Es war sicher provokatorisches Kalkül,
dass Maissen jedes Kapitel mit einem
Zitat einer SVP-Grösse, meistens von
Christoph Blocher, beginnt. Ein Zitat,
das jeweils eine eher mythologische und
heroisierende Sicht auf die Schweiz
zeigt, die Maissen dann pointiert widerlegen kann. Das Kalkül ging auf, SVP
und Blocher protestierten medienwirksam, Letzterer zuletzt sogar in der
«Schweizer Illustrierten», wo er Maissens
Darlegungen als pubertär geisselt.
Rein inhaltlich wäre das alles nicht
nötig gewesen. So wird sogar von rechtskonservativen Kreisen nicht mehr bestritten, dass vieles aus unserer Geschichte mythisch überhöht ist. Nur wird
dem Mythos ein Identität stiftender Wert
beigemessen, den wiederum Maissen
im Vorwort selber auch einräumt.
Im Bild von Balthasar Anton Dunker (1798) bekämpft Tell
das Ungeheuer der Französischen Revolution. Aus Sicht
von Thomas Maissen (kleines Bild) brachte die
Helvetische Republik der Schweiz auch Positives.
Habsburger als ewige Feinde?
Im spannenden, temporeich geschriebenen Buch knöpft sich Maissen fünfzehn Schweizer Mythen vor. (Die etwas
schwerfällige Einführung über Schweizer
Geschichtsschreibung kann man auch
überspringen.) Die ersten Kapitel über
den Bund von 1291 und Wilhelm Tell
bieten wenig Überraschendes, einfach
eloquente Darlegungen, warum weder
das Ereignis noch der Held in der altüberlieferten Form stattgefunden haben.
Bereits interessanter ist, dass die «Erbfeindschaft» mit Habsburg sehr zu relativieren ist, weil es vor und nach
Morgarten oder Sempach komplexe und
wechselhafte Beziehungen zur Adelsdynastie gab. Auch in den folgenden
Kapiteln geht es immer wieder darum,
dass die Eidgenossenschaft über Jahrhunderte kein verschworener Bund war,
sondern ein loses Bündnis mit immer
wieder wechselnden Allianzen, Kooperationen, auch mit externen Partnern,
vielen internen Konflikten. Und dabei
keinesfalls basierend auf gleichen Rech-
Bilder PD/Keystone
ten, sondern teils
mit Herrschern und
Beherrschten.
Neutralität?
Ein zentrales Kapitel gilt Marignano, wo nicht die
Schweizer Neutralität entstand. Laut
Maissen hatte die Schweiz weiterhin
Anteil an europäischen Kriegen. Und
wenn nicht, dann nicht prinzipiell, sondern eher aufgrund der Umstände und
der Überlegungen der Grossmächte.
Interessant ist das Kapitel über die
von Napoleon eingesetzte helvetische
Republik. Diese brachte der Schweiz
nebst der unerfreulichen Besatzung
wertvolle Impulse für die heutige Demokratie. Spannend sind auch die Hintergründe der Bundesverfassung von 1948,
welcher der Sonderbundskrieg voran-
ging, wo konservative und moderne
Weltanschauungen aufeinanderstiessen.
Weitere Kapitel enthalten eher Bekanntes, etwa die Relativierung von
humanitärer Tradition oder der Verteidigungsbereitschaft der Schweiz, beides
etwa im Zweiten Weltkrieg. Im letzten
Kapitel zweifelt Maissen den «Sonderfall
Schweiz» an, etwa in Hinblick auf die EU.
Auch dies hat Blocher scharf kritisiert.
Nun ist Maissen zwar ein bekannter
EU-Befürworter. Aus seinen historischen
Darlegungen lässt sich aber nicht zwangsläufig ableiten, dass ein EU-Beitritt heute sinnvoll ist. Bekanntlich kann man aus
der Geschichte lernen, sie aber kaum
direkt auf die Gegenwart übertragen. Vor
allem auf eine, die eine gesellschaftliche,
wirtschaftliche und technische Dynamik
erlebt wie keine Epoche zuvor.
ROMAN
Grossmutter und
Kind erinnern sich
sda. Leta Semadeni, 1944 in
Scuol geboren,
hat bisher Gedichte in Romanisch und Deutsch
publiziert. Nun
legt sie mit «Tamangur» ihren
ersten Roman
vor. Im Schatten der Berge helfen sich
ein Kind und seine Grossmutter gegenseitig über die vielen Verluste hinweg,
die ihr Leben zeichnen.
Tamangur klingt nach Arabien oder
Asien. Hier wohnt der Grossvater, seit
ihn seine Seele mitten im Schlaf verlassen hat. Doch Seelen können überall
hinfliegen, sagt die Grossmutter.
Seelen sind aber auch «Gewohnheitstiere», sie kehren immer wieder zurück.
Deshalb liegt Tamangur viel näher, droben im Val S-charl, wo der Grossvater
gerne auf die Jagd ging. Manchmal
schreiben Kind und Grossmutter mit
der Schreibmaschine, die kein Farbband
mehr hat, Briefe an den Grossvater.
Oder sie erinnern sich an ihn, als er
lebte. Das Kind, wie er Geschichten
erzählte; Grossmutter, wie sie ihn kennen lernte und mit ihm auf Reisen ging.
Leta Semadenis Prosabuch ist kein
Roman im engen Sinn. Es erzählt keine
fortlaufende Geschichte mit Anfang
und Ende. In 73 Kapiteln legt die Autorin einen Reigen von Bildern, Anekdoten und Begebenheiten aus, die vom
Kind und seiner Grossmutter erzählen
und behutsam um eine grosse Leere
kreisen. Mit einer bildhaft poetischen
Sprache, die sich keine prosaischen
Zwänge auferlegt, lässt Semadeni ihren
Figuren allen Freiraum zur Entfaltung.
Leta Semadeni: Tamangur.
Rotpunktverlag, 144 Seiten, Fr. 22.–.
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Thomas Maissen: Schweizer Heldengeschichten
und was dahintersteckt. Hier und Jetzt,
235 Seiten, Fr. 29.–.
CHARTS
SINGLES
1
(neu)
ALBEN
1
(Vorwoche
Platz 13)
Wiz Khalifa
See You Again
Soundtrack
Furious 7
2 (1) Lost Frequencies Are You With Me
3 (2) Omi Cheerleader (Felix Jaehn Remix)
4 (3) Ellie Goulding Love Me Like You Do
5 (4) Rihanna/K.West/P.McCartney FourFiveSeconds
6 (5) Kygo feat. Conrad Firestone
7 (8) Mark Ronson feat. Bruno Mars Uptown Funk!
8 (6) Klingande feat. Broken Back Riva
9 (9) The Weeknd Earned It
10 (11) Hozier Take Me To Church
11 (neu) Felix Jaehn Ain’t Nobody
12 (13) Maroon 5 Sugar
13 (10) James Bay Hold Back The River
14 (18) Nickless Waiting
15 (14) Ed Sheeran Thinking Out Loud
16 (20) Years & Years King
17 (15) Lo & Leduc Jung verdammt
18 (22) Major Lazer & DJ Snake feat. MØ Lean On
19 (17) Zara Larsson Uncover
20 (neu) Robin Schulz feat. Ilsey Headlights
21 (16) Sia feat. The Weeknd & Diplo Elastic Heart
22 (23) Kwabs Walk
23 (neu) Flo Rida G.D.F.R.
24 (24) Calvin Harris feat. Ellie Goulding Outside
25 (neu) Kid Ink,Tyga,Wal,Y,Rich Homie Quan Ride Out
2 (neu) Frei.Wild Opposition
3 (neu) Fratelli-B Welt us
4 (2) Nightwish Endless Forms Most Beautiful
5 (14) Ed Sheeran x
6 (7) Mark Knopfler Tracker
7 (10) James Bay Chaos And The Calm
8 (3) The Prodigy The Day Is My Enemy
9 (11) Soundtrack Fifty Shades Of Grey
10 (12) Lo & Leduc Zucker fürs Volk
11 (8) Les Enfoirés Sur la route des Enfoirés 2015
12 (4) Stefanie Heinzmann Chance Of Rain
13 (-) Stiller Has Alterswild
14 (25) Sam Smith In The Lonely Hour
15 (1) Farid Bang Asphalt Massaka 3
16 (6) U. Jürgens Das letzte Konzert
17 (17) Louane Chambre 12
18 (neu) Liont Löwenkind
19 (-) Robin Schulz Prayer
20 (-) David Guetta Listen
21 (-) Taylor Swift 1989
22 (19) Christine And The Queens Chaleur humaine
23 (9) Selah Sue Reason
24 (21) Helene Fischer Farbenspiel
25 (-) Herbert Grönemeyer Dauernd jetzt
DVD
1
(Vorwoche
Platz 1)
Interstellar
Matthew McConaughey reist durch
die Zeit und stösst
dabei auf interessante Dinge.
2 Game of Thrones – Staffel 4
BELLETRISTIK
1
(Vorwoche
Platz 1)
Martin Suter:
Montecristo.
SACHBUCH
1
(Vorwoche
Platz 1)
Giulia Enders:
Darm mit Charme.
Der neue Krimi
des Bestsellerautors spielt im Bankenmilieu.
Eine Wissenschaftlerin
korrigiert das schlechte
Image des menschlichen Darms.
2 Viveca Sten: Tod in stiller Nacht.
2 Wilhelm Schmid: Gelassenheit.
(2) Mord, Machtgier und Intrigen prägen auch
die vierte Staffel der Erfolgsserie.
(6) Im sechsten Fall für Thomas Andreassons
wird eine Frau brutal ermordet.
(3) Der Autor beschreibt, was wir gewinnen,
wenn wir älter werden.
3 Die Tribute von Panem – Mockingjay 1
3 Jussi Adler-Olsen: Verheissung – der Grenzenlose.
3 Kurt Lauber: Matterhorn, Bergführer erzählen.
Heldin Katiss will Panem mit Hilfe der
(3) Rebellen in eine bessere Zukunft führen.
Im neuen Krimi des Starautors geht
(2) es um einen dubiosen Guru.
Geschichten rund ums Matterhorn, gesammelt
(6) und erzählt von Bergführer Kurt Lauber.
4 Paddington (D)
(5) Der Bär Paddington macht sich auf eine
Reise von Peru nach London.
4 Lukas Hartmann: Auf beiden Seiten.
(4) Ein politisch brisanter Roman über die
Nachwehen des Kalten Kriegs.
4 Thomas Maissen: Schweizer Heldengeschichten.
(2) Der Schweizer Historiker hinterfragt
tradierte Schweizer Heldenbilder.
5 Kill the Boss 2
(6) Gescheiterte Jungunternehmer versuchen, mit
Kidnapping ihre Investitionen zu retten.
5 Milena Moser: Das Glück sieht immer anders aus.
(5) Die Autorin begibt sich nach einer Trennung auf einen Roadtrip.
5 Jean Ziegler: Ändere die Welt!.
(4) Der streitbare Ziegler schreibt ein flammendes
Plädoyer, die Welt zu verändern.
6 Die Pinguine aus Madagascar
(4) Die Pinguine müssen verhindern, dass ein
Bösewicht die Weltherrschaft an sich reisst.
6 Cecelia Ahern: Das Jahr, in dem ich dich traf.
(7) Die Bestsellerautorin schreibt auch dieses Mal
über Liebe, auch dieses Mal mit Erfolg.
6 Mahtob Mahmoody: Endlich frei.
(7) Endlich frei. Mutter und Tochter werden vom Vater
im Iran festgehalten. Eine bewegende Geschichte.
7 Love, Rosie – Für immer vielleicht
7 Lucinda Riley: Die sieben Schwestern.
7 P. J. Andersson: Vom Inder, der auf dem Fahrrad …
(3) Eine junge Frau versucht, das Geheimnis
ihrer Herkunft zu entdecken.
(neu) Abenteuerliche Velo-Reise eines Inders, der nach
Schweden reist, um seine Liebe wiederzutreffen.
8 Nachts Im Museum 3
(neu) Die lustige Komödie über den Nachtdienst
im Museum geht in die dritte Runde.
8 Peter Bichsel: Über das Wetter reden.
(8) Die Kolumnen des Schweizer Autors
sind nun in Buchform gesammelt.
8 Lukas Bärfuss: Stil und Moral.
(neu) Der bekannte Schweizer Autor denkt über die grossen
Begriffe nach: etwa Freiheit, Lüge und Raum.
9 Marvel Agents of S.H.I.E.L.D. – Staffel 1
(neu) Die Marvel-Comic-Helden gibt es
jetzt auch im Serienformat.
9 John Williams: Butcher’s Crossing.
(-) In diesem Buch entführt John Williams in die
Welt der Cowboys. Ein grosser Roman.
9 Naomi Klein: Die Entscheidung.
(neu) Die bekannte Globalisierungskritikerin legt
mit einem wuchtigen Buch nach.
10 Lori Nelson Spielman: Morgen kommt ein
10 Walter Mischel: Der Marshmallow-Test.
(7) Schon als Kinder waren sie verliebt –
und jetzt werden sie ein Paar.
10 Dumm und Duemmehr
(9) Fortsetzung der Klamauk-Komödie mit
Jim Carrey in der Hauptrolle.
(-) neuer Himmel. Eine Mutter zeigt ihrer Tochter
den Weg, wie sie Träume verwirklichen kann.
8
(5) Kinder, die auf Belohnung warten können,
sind in der Schule erfolgreicher.
Singt melancholische, ungemein
lyrische Lieder:
Lucinda Williams.
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LUCINDA WILLIAMS: «THE GHOSTS OF HIGHWAY 20»
HOFFNUNGSLOS SCHÖN
2470 Kilometer lang führt der Interstate
Highway 20 von Texas nach South Carolina,
auf 2470 Kilometern verblichene grossflächige Reklametafeln, abgetakelte Motels und
kaputte Träume. Von ihnen erzählt die Grammy-gepriesene Singer-Songwriterin aus dem
US-Süden mit verwitterter, tief aus dem Dunkeln ihres Innern drängender, mal resignierter, mal bitterer Stimme. Sie kenne
diese Strasse wie ihren Handrücken,
singt die 63-Jährige und führt an,
dass jede Ausfahrt einen kleinen Tod
bedeute. Von Tod und Elend, von
verblasster Liebe und Einsamkeit
(Irascible)
handeln denn auch die 14 melancholischen,
ungemein lyrischen Lieder, die Williams auf
diesem Doppelalbum versammelt, von Geistern eben, die von keinen Exorzismen vertrieben werden können. Dies wird unterstrichen von den Gitarrenklängen, in die Greg
Leisz und Bill Frisell die im Country, Folk
und Blues angesiedelten Songs betten. Was
die beiden Gitarristen zu den Songs
beisteuern, ist nicht nur bestes Saiten-Handwerk, das ist instrumentale
Kunst, die Williams’ schwermütige
Lieder ins beinahe Überirdische
hebt. ★★★★★
Heinz Storrer
(Edition Simili)
MEDIENTIPPS
MUSIK
BRAHMS TZIGANE
Musique Simili
Seit bald zwanzig Jahren interpretieren Musique Simili
europäische Zigeunermusik
auf ihre ganz eigene Art. Auf
ihrem zwölften Album «similisiert» diese Formation aus
dem Berner Seeland mit zwei
Gastmusikern und einer Sopranistin 13 Volkslieder von
Johannes Brahms (1833–
1897). Dabei treffen die zerbrechlichen Stücke des deutschen Komponisten und Pianisten auf die okzitanische
Spielfreude von Akkordeonist
Marc Hänsenberger und Violinistin Juliette Du Pasquier.
Eine Zusammenkunft, an der
Brahms vermutlich seine helle Freude gehabt hätte. Der
zweite Teil des Albums versammelt dreizehn vertonte
Gedichte des Schweizer Dichters Rainer Frei. Wie immer
bei Musique Simili sind Produktion und Gestaltung des
Albums von höchster Güte.
Und wie gewohnt zelebrieren
sie die Musik lebhaft und gefühlvoll. Ein gelungenes Experiment. Auf das man sich
jedoch mit allen Sinnen einlassen muss – denn nur so
eröffnet es die ihm eigene Liebelei aus Sprache und Musik.
★★★★★
Roland Studer
BÜCHER
TAMANGUR
Leta Semadeni
EINE ZEIT OHNE TOD
José Saramago
«Am darauf folgenden Tag starb
niemand.» Mit diesem Satz beginnt der portugiesische Literaturnobelpreisträger Saramago
(1922–2010) sein romanhaftes Gedankenspiel. Die zehn Millionen
Menschen des kleinen Landes werden zwar altersschwach, verunfallen oder erkranken,
aber sie können
nicht mehr sterben.
Das tönt an sich
wunderschön. Doch
bald werden die
Folgen sichtbar:
(Atlantik)
Sargmacher, Bestatter, Lebensversicherer verlieren ihre Arbeit,
Altenheime und Spitäler stellen
ihre Betten in Abstellkammern.
Eine kriminelle Organisation, die
sich «Maphia» (sic!) nennt,
schleust Todeskandidaten über
die Grenzen, damit sie endlich
aus dem Leben scheiden können. Saramago ist ein brillanter
Erzähler. Scharfsinnig, mit Humor und in überraschenden Variationen spielt er das Thema
durch. Süffige Literatur bester
Qualität. ★★★★★
Klaus Lieber
Tamangur ist ein Moor- und Waldgebiet im Unterengadin, und der
God da Tamangur ist der grösste
zusammenhängende Arvenwald
Europas. In diesem Buch ist es
aber der Ort, wo der Grossvater
seit seinem Tod weilt. Die Grossmutter, die mit der Enkelin in einem kleinen Dorf
wohnt, trauert um
ihn. Auch das Kind
hat jemanden verloren, seinen kleinen
Bruder, der «auf dem
Fluss davon ge(Rotpunktverlag)
★★★★★ Berauschend ★★★★ Beeindruckend ★★★ Beachtlich ★★ Befriedigend ★ Bemühend
schaukelt» ist, und vermutlich
trägt das Kind Schuld an diesem
schrecklichen Ereignis. Trotz
dieser Tragik leben die alte Frau
und das Mädchen einen Alltag, der immer wieder von kleinen Freuden und Farbtupfern gespickt ist. Die Engadiner Lyrikerin Leta Semadeni erzählt in schöner Sprache, die mancherorts an
ein Gedicht erinnert. Die einzelnen Kapitel kommen wie Bilder
daher, in denen sich Wirklichkeit,
Erinnerung und Traum vermischen. ★★★★★
Regula Tanner
Fotos: David Mc Clister Photography/LLC
Schweizer Familie 7/2016
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