Was kostet der Arabische Frühling?

Transcription

Was kostet der Arabische Frühling?
Ausgabe 3/ 2011
www.zenithonline.de
BusinessReport
Euro 5,80 I CHF 8,50 I USD 8,50 I GBP 5,20 I AED 32,00 I TRY 16,00 I KZT 1.400,00
ISSN 2193-0333
Afrika, Naher Osten und Zentralasien
Was kostet der
Arabische Frühling?
DIE RENDITE DER REVOLUTION
Bauen für 2022
SIND KATARS PLÄNE ZU GEWAGT?
E-Commerce
DIGITALER MARKT IN DER TÜRKEI
EDITORIAL
I
n jener Nacht sollte der zenith-BusinessReport in Druck gehen – dann kam die
Nachricht vom Sturm auf Tripolis. Plötzlich ging alles schneller, als zu erwarten
war. Kaum 24 Stunden später hieß es aus französischen Diplomatenkreisen,
die eingefrorenen libyschen Staatskonten im Ausland würden bald wieder aufgetaut.
Mit diesem Geld sollen die Libyer nun einen Staat aufbauen – und Milliardenprojekte
für Infrastruktur durchführen.
Kritiker der deutschen Haltung im Libyen-Konflikt schimpfen: Deutschland dürfe
sich nicht wundern, wenn die neue libysche Regierung ihre Großaufträge nun in
jene Länder vergebe, die an ihrer Seite gegen Gaddafi gekämpft haben. Aber werden
die Libyer wirklich handeln wie der einstige Despot und ihre Öl-Dollars nach politischen Motiven verteilen? Oder am Ende doch das beste Angebot annehmen?
Für viele Großkonzerne gilt in Libyen eine Devise: Verluste abschreiben und im
Rennen bleiben! Diesen Eindruck gewann Korrespondent Alexander von Hahn, der
in Großbritannien, Russland und Deutschland recherchierte. (Seite. 20)
Titelillustration: Lesprenger
Der vorliegende zenith-BusinessReport legt neue Zahlen vor: 60 Seiten im Vergleich
zu 36 im vorherigen Quartal – der Arabische Frühling und seine wirtschaftlichen
Folgen sind das Titelthema des Heftes, das auch in englischer Ausgabe erscheint.
Erstaunlich ist: Während Wirtschaftswissenschaftler und Analysten durchaus auf
die Chancen der postrevolutionären Ära hinweisen, scheint die Laune der deutschen
Expats in Ägypten eher getrübt: »Wir hatten ein halbes Jahr lang unseren Spaß, jetzt
wird es düster«, sagte ein Manager einer deutschen Entwicklungsorganisation in
Kairo dem zenith-BusinessReport.
Abdulaziz al-Mikhlafi, Generalsekretär der Deutsch-Arabischen Handelskammer
Ghorfa, ermutigt aber deutsche Firmen und verspricht Hilfe, wenn es für deutsche
Investoren einmal brenzlig werden sollte. (Seite 14)
Auch die Ghorfa will »nicht länger Ancien Régime sein«, wie es ein Mitglied der
Organisation beschreibt. Sie muss sich umstellen – obwohl sie sich, anders als etwa die
Deutsch-Arabische Gesellschaft, nicht als Forum für außen- und nahostpolitische
Debatten sieht. Aber Politik und Wirtschaft sind verknüpft: Das Gutdünken der Diktatoren und ihrer geschäftstüchtigen Verwandten bieten keine Geschäftsgrundlage mehr.
Auch in Katar, das autoritär regiert wird, kann man sich auf Connections nicht
vorbehaltlos verlassen: Es zählt das bessere Angebot und die bessere Idee. Das
Land baut sich vollständig um, muss währenddessen aber weiter funktionieren.
Das ist – analog zum großen Sportereignis Fußball-WM 2022 – als wolle ein
Stürmer während des Angriffs auf das gegnerische Tor die Fußballschuhe wechseln.
Übernehmen sich die Kataris? (Seite 51)
Deutsche Spezialitäten wie Anlagenbau, Energielösungen, grüne Technologie,
aber auch Versicherungen sind gefragt: In Zentralasien und der Türkei ebenso wie
in der arabischen Welt. Aus diesem Grund erscheint im Oktober der neue zenithBranchenReport 2011 – mit »detaillierten Einblicke und Hilfestellungen bei der
Erschließung neuer Märkte in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten«,
wie Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler in seinem Grußwort schreibt.
BusinessReport 3/2011
03
I N H A LT
PROFIL
IMPRESSUM
06 Der ehrliche Makler
Daniel Gerlach (V.i.S.d.P.)
CHEF VOM DIENST:
40 Tulpen, Stahl und Hindemith
In Tanger investiert Taoufik Ben Gebara mit
seiner Bankgruppe in die ganz große Logistik
Deutscher Levante Verlag GmbH
Linienstraße 106
10115 Berlin
CHEFREDAKTEUR:
TÜRKEI
Istanbuls Industrielle erweisen sich als
die besseren Kulturförderer
44 Digitaler Kaufrausch
08
In Kleinasien boomt der E-Commerce
Q U A R TA L S B E R I C H T
Geld für Angola und Ärger für Steiff,
ein Löwe im Schafspelz und der Luxus im Wadi
GOLFREPORT
Marcus Mohr
REDAKTION:
Robert Chatterjee, Nils Metzger
AUTOREN UND KORRESPONDENTEN:
Kilian Bälz, Christoph Dreyer,
Alfred Hackensberger,
Alexander von Hahn, Sonja Hegasy,
Clemens Recker, Jörg Schäffer,
Sara Winter-Sayilir
ILLUSTRATIONEN:
Lesprenger
G E L D U N D M AC H T
14 »Wir befanden uns nie im Wettlauf
um Gaddafis Gunst«
Abdulaziz al-Mikhlafi, Generalsekretär der
deutsch-arabischen Handelskammer, im Gespräch
46 Ferien auf der Insel der Stabilität
Profitiert der Tourismus in den Emiraten
von den Revolutionen am Mittelmeer?
49 Konkurrenz kuriert
Nach Gesetzesreformen in den Golfstaaten erschließen Krankenversicherungen
den lukrativen Gesundheitsmarkt
18 Mit Abrissbirne und Musik
Aserbaidschan räumt auf für den Eurovision
Song Contest 2012
51 »Geld spielt erstmal keine Rolle«
Katar will bis 2022 seine gesamte
Infrastruktur neu bauen.
»Herausforderung« wäre untertrieben
ARTDIREKTION:
Lesprenger, Berlin
20 Aus der Reserve locken
Update Zentralasien: Maritimer Rüstungswettlauf
um Rohstoffe, Wasserknappheit in Afghanistan
54
DRUCK:
GCC GmbH & Co. KG
KONTAKT FÜR ANZEIGEN UND VERTRIEB:
[email protected]
GÜLTIGE ANZEIGENPREISLISTE:
SCHWERPUNKT
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
Eine Bilanz des Arabischen Frühlings
in Tunesien und Ägypten, Libyen und Syrien
28 Die große Schlacht um Transparenz
Deutsche Ausgabe: 6000
Englische Ausgabe: 14000
Bordmagazin bei Safi Airways
COPYRIGHT:
Deutscher Levante Verlag GmbH
Zitat nur mit Quellenangabe.
Nachdruck nur mit Genehmigung.
Namentlich gekennzeichnete Artikel
geben die Meinung der Autoren
wieder, nicht aber unbedingt die der
Redaktion.
ISSN 2193-0333
Empfehlungen für eine
weiße Nacht in Afrika
22 Was die Freiheit kosten wird
Nr. 2 vom 1. Januar 2011
DRUCKAUFLAGE:
M E I N . . . TA N G E R
Ägyptens Justiz soll mit der Korruption abrechnen.
Was haben ausländische Firmen zu erwarten?
58
DER SEKRETÄR
Letzte Meldungen und wichtige Termine
aus der Nichtraucherbar
32 Der Zamalek-Pakt
Deutsche engagieren sich als Jobvermittler
für die Jugend der ägyptischen Revolution
34 Nordafrika und seine Meister
Eine Region sucht nach
besseren Ausbildungsbedingungen
37 Sturm über dem Elefantenfeld
Ölinvestoren in Libyen hielten während
des Bürgerkrieges die Luft an
Luxus im Wadi Rum.
Illustration: Oppenheim Architecture + Design
04
BusinessReport 3/2011
PROFIL
INVESTMENT
Fotos: dge
Der ehrliche
Makler
Mit seiner Investmentbank Blue Ocean Group
hat Taoufik Ben Gebara die großen Player der
Logistik in seine Heimatstadt Tanger geholt.
Am Containerhafen Tanger Med soll niemand
mehr vorbeidampfen
Taoufik Ben Gebara auf der
Terrasse seiner Villa vor der Kulisse
seiner Heimatstadt Tanger.
Von Daniel Ger lach
»
Gott, Vaterland und König« – den
Schriftzug, der auf einem Berg über
dem Containerhafen Tanger Med
prangt, kann man wohl aus dem Weltall
lesen. Darunter, am Terminal des deutschen Betreibers Eurogate, herrscht lebhafter Betrieb. Auch am Samstag führen
die Ladekräne ihr symmetrisches Ballett
auf. Ein ohrenbetäubendes Warnsignal erklingt, wenn die Kolosse sich bewegen,
um vor einem anlegenden Containerfrachter in Position zu gehen. Der Kranführer lädt einen Maersk-Container auf
– »im Hamburger Hafen geht das schneller«, erklärt ein deutscher Transportexperte vor Ort. »Dort nutzt man noch den
Schwung des Containers aus der Luft und
setzt ihn in einer Bewegung auf die Leitstifte«, fachsimpelt er.
Abgesehen davon stimmt das Tempo
in Tanger Med. Es ist der stahlgewordene
Traum der marokkanischen Industriali-
06
BusinessReport 3/2011
sierung: Der Warenumschlag ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 2011 um
82 Prozent gewachsen – das klingt fantastisch, allerdings besteht der größte afrikanische Tiefwasserhafen auch erst seit
2008. Viele Terminals wurden vor kurzer
Zeit eröffnet. Eine Autobahn führt zu dem
Hafen – 2014 wollen Renault und Nissan
dort ein Werk eröffnen. Für Marokkos
Monarchie ist Tanger Med ein Prestigeprojekt – aber das Geld kommt vornehmlich von Investoren, die an ihre Rendite glauben.
Der Erfolg hat viele Väter – ein sehr
bedeutender ist Taoufik Ben Gebara, Chef
der Investmentbank Blue Ocean Group
und einer der Köpfe des Planungskomitees von Tanger Med. Über Jahre versuchte
Ben Gebara, Investoren in seine Heimatstadt zu holen. »Eurogate zu überzeugen,
war schwer, aber wir haben es geschafft,
dass sowohl Eurogate als auch der Betrei-
PROFIL
Hafenarbeiter und Zoll erwarten
die Ankunft der »Aenne Rickmers«
im Hafen Tanger Med.
ber MSC den Hafen Tanger Med nun in
ihre globale Strategie einbinden«, sagt Ben
Gebara. Das Vertrauen der beiden Riesen
und der Europäischen Investitionsbank,
die jeweils über hundert Millionen Euro
investierten, lockt nun auch andere – aber
über laufende Verhandlungen will Ben Gebara nicht sprechen.
Der Banker, der mehrere Jahre in
Frankreich und Spanien lebte, ist ein Sohn
Tangers und hat sich an einem Hanggrundstück eine Villa mit Blick über die
Stadt gebaut. Noch arbeiten darin Maurer und Zimmerleute, einen provisorischen Swimming Pool gibt es schon, in
dem die sechsjährigen Zwillinge plantschen. Kein Protzbunker wie die der stadtbekannten Drogenbarone, die nun in Immobilien machen. Das Haus soll einmal
elegantes arabisch-mediterranes Understatement demonstrieren. In Ben Gebaras Wohnzimmer steht das Modell eines
»Den Charme eines
Treffpunkts für
Gelichter und
Agenten wollen wir
uns erhalten!«
Frachters aus den 1950er Jahren, denn von
seinen Vorfahren fuhren einige zur See.
»Ich glaube, dass durch die Straße von
Gibraltar 2020 ebenso viel Schiffsverkehr
führen wird wie durch die Straße von Malakka in Südostasien«, sagt er. Tanger werde das Tor zu Afrika und ein Hub für afrikanische und europäische Häfen. Diese
Zuversicht teilen auch unabhängige Stimmen: »Die großen Transportfirmen sehen
das Mittelmeer als einen großen Teich und
werden langfristig zwei Hubs einrichten:
einen im äußersten Westen und einen im
Osten. Von dort werden die Waren auf
kleine Zubringer verladen.« So spricht ein
Logistikmanager, der anonym bleiben will,
da seine Firma auch in konkurrierende
Häfen investiert. Fürchten muss sich derzeit vor allem der spanische Containerhafen Algeciras; bislang hat das Wachstum
des Containertransports die Konkurrenz
allerdings noch abgefedert.
»Echte Konkurrenten sind vielleicht
Barcelona, Las Palmas und Dakar«, sagt
Ben Gebara. Das Geschäft werde noch besser laufen, wenn das rohstoffreiche Algerien, das viele Industriegüter importiert,
über Tanger seinen Atlantikhandel abwickeln würde. Eine Schwäche von Tanger Med seien allerdings hohe Energiekosten – Solar- und Windkraftwerke wären deshalb eine attraktive Quelle.
Auf die Frage, was er als nächstes anstoßen wolle, gibt sich Ben Gebara staatsmännisch: Mit dem Team seiner Investmentbank wolle er erreichen, dass Marokko in der internationalen Gemeinschaft
aufrückt und den Menschen der Zugang
zu Bildung und Gesundheitsversorgung
nicht verwehrt bleibe. Und natürlich wolle die Blue Ocean Group, die Projekte in
Infrastruktur, Verkehr und Hafenbau finanziert, den westafrikanischen Markt
ausbauen: »Eine Milliarde Konsumenten
bis 2030«, freut sich Ben Gebara.
Obwohl Tanger Med über 20 Kilometer von Tanger entfernt liegt, spüre man
jetzt schon, wie sich das Publikum der Geschäftsleute und Touristen verändert:
»Tanger ist eine mythische Stadt«, sagt der
Endvierziger mit ein bisschen Nostalgie
in der Stimme, »der internationale Treffpunkt von Gelichter, Agenten und Spionen. Etwas von diesem Charme möchten
wir uns durchaus noch erhalten.«
Lesen Sie dazu ab Seite 54: »Mein Tanger«
– Empfehlungen für Geschäftsreisende, aus
der Feder eines Insiders.
BusinessReport 3/2011
07
Q U A R TA L S B E R I C H T
Mit Mercedes
unter Feuer
Deutsche Investoren erleben
herbe Rückschläge im afghanischen
Ausbildungswesen
Allein in den ersten sechs Monaten 2011
starben nach UN-Berichten rund 1500 Zivilisten in Afghanistan. Diese Zahl frustriert nicht nur Militärs, sondern auch die
Mitarbeiter in der Entwicklungszusammenarbeit: So stellte die Hanns-SeidelStiftung eine seit 2007 bestehende Kooperation mit der Handwerkskammer
Kunduz ein, nachdem ein Mitarbeiter am
1. Juli 2011 nur knapp einen Anschlag
überlebte. Man konzentriere sich jetzt auf
andere Landesteile, sagt Martin Axmann,
Büroleiter der Stiftung in Islamabad.
Geldgeschäfte
in Luanda
Die Angolaner kaufen eine
Bank in Portugal und lassen sich
Zeit mit Staatsanleihen
Angolas Hauptstadt zählt zu den teuersten der Welt. Business-Flüge in die
Erdöl-Metropole sind oft ausgebucht,
Hotels – zumindest für Mittelständler
– schmerzhaft teuer. Und in Luanda
sucht man lange nach einem Geldautomaten! Währenddessen meldete die
Nationalbank im August ein Wachstum
der Devisenreserven von 5,1 Prozent
gegenüber dem Vormonat auf 22,6
Milliarden US-Dollar. Die Regierung
wollte demnächst Staatsanleihen auf die
internationalen Märkte bringen, um
Verbindlichkeiten – vor allem bei Baufirmen – zu begleichen. Man lässt sich
08
BusinessReport 1/2010
Auch eine Sprecherin des Auswärtigen
Amtes berichtet gegenüber zenith von
stillgelegten Bauvorhaben: Während in
Kunduz, Mazar-i-Scharif und Faizabad mit deutschem Geld errichtete Berufsschulen Lackierer, Kfz-Mechaniker,
Karosseriebauer, sowie Bürokauffrauen ausbilden, liegt der Ausbau der Technikerschulen in Khost und Oruzgan auf
Eis. Berufsschulen in Kunduz, Mazar-iScharif und Faizabad konnten mit Mercedes Benz einen wichtigen Partner bei
der Ausbildung von Kfz-Mechanikern
gewinnen, berichtet Lutz Petschick, Koordinator für berufliche Bildung bei der
Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Man versuche dort, »aktiv der Verschulung des
Lehrbetriebes entgegenzuwirken«, und
setze trotz der Sicherheitsprobleme und
Spannungen die Arbeit fort.
nun Zeit, bis die nervöse Finanzwelt
sich beruhigt.
Ausgerechnet der Ex-Kolonialmacht
Portugal greift die angolanische Bank
BIC nun unter die Arme: Sie wird wohl
die Banco Portugues de Negocios (BPN)
übernehmen. Die Portugiesen verkaufen Staatseigentum und sind angesichts
der letzten Bilanzen froh, den Laden
loszuwerden. Internationale Banken
interessieren sich nun für den angolanischen Markt, vor allem der südafrikanische Branchenriese Standard Bank
Group. Voraussetzung für den Markteinstieg: ein Mindestkapital von sechs
Millionen Dollar. Größtes Hindernis:
das Genehmigungsverfahren bei Überweisung größerer Summen ins Ausland.
In Luanda stoßen deutsche Finanzleute schon auf bekannte Gesichter: ExBundesbankchef Ernst Welteke hat bei
der angolanischen Banco Quantum einen Job gefunden.
Ärger in
Sidi Bouzid
Steiff produziert Plüschtiere im
Geburtsort der Revolution.
Nun klagen ehemalige Mitarbeiter
K
eine Marke repräsentiert deutsches
Wohlbefinden so wie »Steiff«. Den
Knopf bekommen die Teddys in
Deutschland ins Ohr – genäht werden sie unter anderem in Sidi Bouzid, dem Geburtsort
des Arabischen Frühlings und Symbol ökonomischer Verzweiflung. Nun hat die Firma
dort eine Produktionshalle geschlossen – rund
75 Näherinnen fürchteten um ihre Jobs und
demonstrierten. Ein Missverständnis, sagt die
Margarete Steiff GmbH. Alle würden in ein
neues Werk umziehen. Abdellatif Sedky, ExMitarbeiter von Steiff, bestreitet das: Nur ein
Dutzend würden übernommen – die anderen ohne Frist entlassen. Sedky und mehrere Arbeiterinnen strengen eine Klage an. In
einer Mitteilung an zenith beschuldigt Sedky
die Firma zudem, Sozialversicherungsbeiträge vom Lohn abgezogen zu haben, obwohl die
Arbeiterinnen keine Versicherungskarten besäßen. Die meisten seien für einen Lohn von
rund 75 Euro monatlich als Auszubildende
geführt worden. Steiff wehrt ab: Sedky wolle sich revanchieren, da er ein Verwandter des
Vermieters der geräumten Halle sei. Sein Arbeitsvertrag aus der ersten Jahreshälfte 2011
weist ihn als leitenden Produktionsmitarbeiter aus. Darüber hinaus erklärt Steiff, man
zahle gesetzliche Mindestlöhne und wolle »einen offenen und transparenten Umgang« mit
den Mitarbeitern in Tunesien pflegen.
Q U A R TA L S B E R I C H T
Iluustration: Amatir
Foto: dge
Löwe im
Schafspelz
Noch steht der Jordanier Hasan
Ismaik auf keiner Weltrangliste
arabischer Tycoons. Wer ist
der Großinvestor beim
Fußballverein 1860 München?
I
m blauen Bugatti rauschte Hasan Ismaik Ende Juli zum ersten Heimspiel
des TSV 1860 in die Münchener Allianz-Arena. Vier Monate hatten die Einstiegsverhandlungen beim krisengeplagten
Zweitligisten gedauert – dennoch ist kaum
etwas über den 34-jährigen Jordanier bekannt, der als erster arabischer Großinvestor im deutschen Profifußball auftaucht.
Warum ausgerechnet bei den »Sechz‘gern«?
18,4 Millionen Euro Verbindlichkeiten tilgte der Immobilienunternehmer und passionierte Hobbypilot und rettete die Löwen
vor der sicheren Insolvenz. Nach eigenem
Hasan Ismaik kaufte 49 Prozent bei
»1860« und schuf einen Präzedenzfall im
deutschen Fußball.
Bekunden will Ismaik 30 Millionen Euro in
den Klub investieren.
Auf der Homepage seiner Firma Marya
mit Sitz in Abu Dhabi prangt der Hinweis
»under construction«. Auch in den Top-Listen arabischer Tycoons taucht der Name des
dreifachen Familienvaters bisher nicht auf.
Über Geschäfte und Privatleben halte er sich
sehr bedeckt, klagen Münchner Sportre-
porter. Dem Vorbild der Abu Dhabi United
Group, die bei Manchester City hunderte
Millionen für Weltstars investierte, folgt Ismaik nicht – bekanntestes Gesicht im Team
ist Lokalmatador Benjamin Lauth.
Fußballbegeistert soll Ismaik durchaus
sein, aber sein Engagement bei 1860 ist Einstiegstor zum deutschen Markt. Das Geschäft bahnte Ismaiks palästinensischer Partner Hamada Iraki an, der das Nahostgeschäft für die italienische Unicredit in
München koordiniert und regelmäßiger
Gast auf der VIP-Tribüne der Allianz-Arena ist. Iraki und Ismaik besitzen gemeinsam die Sportagentur H.I. Squared, die den
Verein fortan exklusiv vermarktet. Ismaik
übernimmt neben 49 Prozent Vereinsanteilen auch den Vorsitz im Aufsichtsrat. In dem
Sechser-Gremium platzierte er Kompagnon
Iraki sowie seine Anwältin Lori-Ann Campbell von der Kanzlei Hadef & Partners. Praktischer Nebeneffekt: Sponsorenverträge und
Kooperationen der Löwen werden fortan
vom Aufsichtsrat nicht nur abgesegnet, sondern wohl auch schon eingefädelt.
Noch vor kurzer Zeit galten die Jets von Turkish Airlines als fliegende Gastarbeiter-Busse ohne Komfort. Als Drehkreuz nach Asien und
Afrika bietet sich Istanbul längst auch Geschäftsreisenden an, das Warten am Atatürk-Flughafen war aber bislang kein Vergnügen – nicht
einmal internationale Zeitungen fand man in der alten BusinessLounge von Turkish Airlines. Die im Sommer eröffnete »CIPLounge« ist nun allerdings ein Schmuckstück: 1100 Quadratmeter
unter geschwungenen Alkoven. Eine vorzügliche »hausgemachte«
Zitronenlimonade (es muss nicht immer Whisky sein), frische Pide
und türkische Salat-Vorspeisen – einfach, aber fein abgeschmeckt.
In der Computer-Ecke steht eine iMac-Batterie Spalier.
Und während man selbst in der Senator-Lounge der Lufthansa
noch kostenpflichtig über T-Mobile online geht, ist kabelloses Internet bei »TK« frei. Am Eingang steht ein Billard-Tisch, ein MusikKino zeigt Jazzkonzerte, und die Service-Mitarbeiterinnen kann
man als äußerst elegant bezeichnen. Geschmacklich fragwürdig: ein
automatischer Flügel, der lustlos Melodeien klimpert. Aber Vorsicht: Bei diesem Komfort kann es sich als fatal erweisen, dass »last
calls« nicht mehr ausgerufen werden.
BusinessReport 1/2010
09
Foto: Turkish Airlines
In Istanbul lohnt sich das Warten
Q U A R TA L S B E R I C H T
ARCHITEKTUR
Ursprünglicher
Luxus im
Wadi Rum
Die alten Nabatäer schlugen ganze Städte in
die Felsen der jordanischen Wüste – nicht nur,
weil dort Baustoff rar ist, sondern auch, um
sich der Hitze zu entziehen. Auf dem Prinzip
gründet auch der Entwurf des amerikanischen
Büros Oppenheim Architecture + Design für
das Hotel »Wadi Resort« im Wadi Rum
10
BusinessReport 3/2011
Q U A R TA L S B E R I C H T
Die schroffen Klippen werfen Schatten – die Thermik an den Felsen
soll für so genannte cross ventilation genutzt werden.
Die Stichworte »Nachhaltigkeit« und »ökologisches Bauen« dienen
dabei nicht zuletzt der Vermarktung des Hotels in der Nähe der
jordanischen Felsenstadt Petra, die zu den größten Attraktionen des
Nahen Ostens zählt. 2014 soll das Resort den Betrieb aufnehmen.
Illustration: Oppenheim Architecture + Design
BusinessReport 3/2011
11
Q U A R TA L S B E R I C H T
ARCHITEKTUR
»Wir wollen ursprünglichen Luxus schaffen«,
erklärt Architekt Chad Oppenheim,
der im Mai die Design-Ausschreibung für
das Projekt gewonnen hat. Der Entwurf
brachte dem Büro zudem den Ehrenpreis 2011
des American Institute of Architects im
US-Bundesstaat Florida.
Illustration: Oppenheim Architecture + Design
12
BusinessReport 3/2011
Sie wollen
etwas
Handfestes?
Dann abonnieren Sie die Printausgabe
des zenith-BusinessReports zusammen
mit dem renommierten Reportage-Magazin
zenith – Zeitschrift für den Orient für nur 34,00 Euro
(60,00 Euro bei Versand ins Ausland).
Hier geht es zum
Aboformular:
www.zenithonline.de.
G E L D U N D M AC H T
Foto: Ghorfa
VERBÄNDE
»Wir befanden uns
nie im Wettlauf um
Gaddafis Gunst!«
Abdulaziz al-Mikhlafi, Generalsekretär
der deutsch-arabischen Handelskammer
Ghorfa, über die Kostenbilanz des
Arabischen Frühlings, Konkurrenz
unter den Wirtschaftsvereinen und die
Erkenntnis, dass die arabische
Tradition Frauen unwillkürlich in
Führungspositionen bringt
zenith: Herr al-Mikhlafi, ist der Arabische
Frühling für die deutsch-arabischen
Wirtschaftsbeziehungen ein Gewinn?
Abdulaziz al-Mikhlafi: Natürlich kann man
nicht alle arabischen Staaten über einen
Kamm scheren. Es gab Oasen von Entwicklung, aber in der Masse hatte sich in den
letzten Jahren nicht viel bewegt. Nehmen
Sie Ägypten: Vor 20 Jahren war das Bruttoinlandsprodukt des Landes gleichauf mit
dem der Türkei. Heute hat die Türkei mehr
als 700 Milliarden US-Dollar, Ägypten rund
200 Milliarden. Man sprach in den letzten
Jahren von Wachstum, aber die Bevölkerung
hat das nicht erreicht. Die jungen Araber
blicken – auch dank der neuen Kommunikationsmittel – nach Ost und West und sehen: Überall geht es voran. Holländer und
Japaner können sich frei bewegen und sind
überall willkommen, junge Araber bekommen nicht einmal ein Visum.
14
BusinessReport 3/2011
Und warum sollte das jetzt besser werden?
Den Zahlen nach werden sich Handel und
Entwicklung sogar kurzfristig verschlechtern.
Aber mittel- und langfristig geht es bergauf.
Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Teilhabe sind die entscheidenden Aspekte. Die freien
Märkte werden sich auch auf die europäischarabischen Wirtschaftsbeziehungen auswirken. Und je mehr Transparenz besteht, desto
größer ist der Wettbewerbsvorteil für die
Deutschen. Denn die sind auf transparente
Verhältnisse ausgerichtet.
Sie kümmern sich um die Wirtschaftsbeziehungen zur gesamten arabischen
Welt. Nun waren die arabischen Länder –
von den Golfstaaten abgesehen – nicht
in der Lage, gemeinsame Wirtschaftsräume zu schaffen. Warum?
Die Entscheidung lag nicht bei den Menschen, sondern bei einigen Machthabern mit
kurzfristigen Interessen. In Organisationen
wie unseren Handelskammern arbeiten die
Unternehmer ja zusammen: Dort trifft die
Wirtschaft die Entscheidungen und nicht
die Regierungen, auch wenn wir mit denen
zusammenarbeiten. Schauen Sie: Uns, die
Generalunion der arabischen Kammern, gibt
es seit den 1950er Jahren. Wir sprechen seitdem immer wieder von einer arabischen
Wirtschafts- und Zollunion. Aber die Regierungen haben das nicht mitgemacht.
Halten Sie es für sinnvoll, dass Marokko
und Jordanien Mitglieder im Golfkooperationsrat GCC werden?
Das kann man verschieden interpretieren.
Einige sagen, der GCC sei nun der Club der
Monarchien – aber ich denke: jede wirtschaftliche Integration wird der arabischen
Welt helfen.
Oder sie spalten?
Aus Sicht der Kammer sehe ich jede Integration positiv. Das Ganze »GCC« zu nennen ist
dann allerdings fragwürdig. Denn Jordanien
und Marokko liegen ja nicht am Golf.
Der Arabische Frühling gilt als das Werk
der Jugend. Umfragen zufolge wollen –
beispielsweise in Syrien – über 80 Prozent
der Hochschulabsolventen in Betriebswirtschaft selbst Unternehmer werden.
Tüchtige Geschäftsleute sind das, die Syrer!
Tüchtig oder gezwungen, sich selbst einen
Job zu schaffen, weil es keine gibt. Wie
kann man das junge Unternehmertum in
der arabischen Welt stützen?
Bildung ist das wichtigste. In den bevölkerungsreichen Ländern der arabischen Welt
haben nur wenige Menschen Kontakt mit
dem Ausland. Gerade deshalb konnten sich
die alte Regime ja so lange halten. In meinem Dorf …
… nahe der jemenitischen Stadt Taizz …
G E L D U N D M AC H T
»Handelskammern
sind die ältesten
Instanzen der
arabischen
Zivilgesellschaft«
Abdulaziz al-Mikhlafi, 1963 geboren,
trat nach seinem Studium der Politischen
Wissenschaft und Wirtschaft dem diplomatischen Dienst Jemens bei. Während
seiner Laufbahn, mit Auslandsstationen
unter anderem in Saudi-Arabien und
Ägypten, konnte sich als Wirtschaftsexperte profilieren. Seit Anfang der 1990er
Jahre leitete Mikhlafi die Wirtschaftsabteilung der jemenitischen Botschaft in
Bonn. Im Jahr 2000 wurde er zum
Generalsekretär der Ghorfa gewählt.
2004 erhielt er den Botschafterstatus
der Republik Jemen.
… sind zwei oder drei Menschen meiner Generation jemals im Ausland gewesen. Die anderen nie. Aber nun gut, die Sicht verändert
sich ja nun allmählich nun.
Die jungen Araber, die sich selbstständig
machen wollen, sind aber oft gebildete
Menschen, die durchaus Kontakte ins
Ausland haben. Was kann die Ghorfa für
diese Menschen tun?
Die Förderung muss vor allem von unseren
Partnern und Trägern ausgehen, also den
Handelskammern. Vergessen Sie nicht: Die
Handelskammern sind wohl die ältesten zivilgesellschaftlichen Instanzen in der arabischen Welt. Da sitzen Unternehmer, sagen ihre Meinung, und dort wird auch gewählt.
Und noch zu Ihrer Frage: Die Vorausset-
zungen in der arabischen Welt für Unternehmer sind unterschiedlich, in Ägypten anders als in den Golfstaaten.
Aber am Golf gibt es auch Jugendarbeitslosigkeit, und sie wächst sogar.
Ja, dennoch ist dort ein anderes Potenzial
vorhanden. Dort gründen viele Ausländer
Unternehmen, was auch Einheimische tun
könnten. Aber es fehlt noch ein bisschen
an der Einsicht, dass Reichtum nicht einfach
nur schnelle Autos oder teure Urlaube bedeutet.
Von der so genannten Nationalisierung,
also einer Quotenregel für Einheimische in
Führungspositionen, halten Sie also nichts.
Die Menschen müssen doch sich selber entwickeln. Durch Nationalisierung bringt man
seine Landsleute auf Stellen, auch wenn sie
dafür oft nicht geeignet sind. Aus Sicht der
Wirtschaft ist das nicht förderlich.
In Ägypten laufen derzeit Korruptionsprozesse gegen Vertreter des alten Regimes.
Auch ausländische Unternehmer kommen
ins Schwitzen, da viele mit dem System zusammengearbeitet haben. Was kommt da
auf die deutsche Wirtschaft zu?
Ich glaube, die Angst ist übertrieben. Auch die
neuen Regierungen haben Interesse, mit dem
Ausland zusammenzuarbeiten. Solange eine
Firma nicht wirklich in unregelmäßige Geschäfte verwickelt ist, sehe ich da kein Problem.
Generell gilt: In Fällen, wo wir Unternehmen
helfen können, setzen wir uns über unsere Träger in den Ländern für den Wettbewerb ein.
Sie sind ja nicht der einzige Verein
in Deutschland, der die Wirtschaftsbeziehungen zur arabischen Welt
fördern will.
Es gibt so viele, man kann sie ja kaum zählen. Allein schon hier in Berlin! Aber ich sehe da keine Konkurrenz. Wir sind die Vertretung aller arabischer Handelskammern.
Es gibt Interessenvereine, die um Mitglieder
werben und in Konkurrenz stehen. Aber die
Außenhandelskammern bleiben die offiziellen Vertretungen der Wirtschaft im Ausland.
In der Szene der Wirtschaftsvermittler hat
der Arabische Frühling ja doch einige kalt
erwischt. In Libyen tobte schon der Bürgerkrieg, da warb der Nah- und Mittelostverein (Numov) in einer druckfrischen Broschüre noch mit den exklusiven Kontakten
seines Ehrenvorsitzenden Gerhard Schröder zum Gaddafi-Regime.
Wir befanden uns nie im Wettlauf mit anderen um Gaddafis Gunst.
Diplomaten kolportieren folgendes: Otto
Wiesheu, Ex-Bahnvorstand und Präsident
der Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft (DAFG) soll bei einem Treffen
mit arabischen Botschaftern vorgeschlagen
haben, dass seine Organisation zukünftig
die Rolle der Ghorfa einnehmen solle. Was
halten Sie von dieser Idee?
>>
BusinessReport 3/2011
15
G E L D U N D M AC H T
»Die Legalisierung ist kein
Ghorfa-Thema, sondern eine
internationale Frage«
Herr Wiesheu kann sich denken und vorschlagen, was er möchte. Wir sind eine solide Organisation und machen keine Hobbyarbeit. Deshalb haben wir das Vertrauen unserer Träger und Unternehmen.
Was werden denn Ihre Themen in den
kommenden Monaten sein?
Wie gesagt, wir machen das hier nicht als
Hobby und rennen anderen mit ihren Themen nicht hinterher. Uns interessieren nachhaltige Themen: Investitionen, Bildung, Gesundheit, Energie. Unser deutsch-arabisches
Wirtschaftsforum ist deshalb eine Art
Pflichttermin für viele deutsche und arabische Unternehmen. Wir haben keine Hektik,
sondern wir sind eine Institution.
Eine unabhängige?
Unsere Aktivitäten werden allein von Präsidium und Vorstand festgelegt. Ich bin Geschäftsführer der bilateralen arabisch-deutschen Kammer, die es ja auch in anderen
Ländern, etwa in Großbritannien oder
Frankreich, gibt. Wir folgen natürlich auch
den Leitlinien unserer Träger, der Generalunion der arabischen Kammern.
Eine wichtige Einnahmequelle der Ghorfa
ist das Privileg, die Legalisierung von
Dokumenten für den Warenexport in die
arabische Welt durchzuführen. Die meisten
arabischen Staaten fordern das. Was würde
passieren, wenn ein wichtiges Exportland
wie Saudi-Arabien nun aus dem Verfahren
aussteigt? Das wird ja diskutiert.
Mein Verständnis von der Arbeit der Ghorfa ist
das eines Dienstleisters – und die Unternehmen
sind dankbar dafür, dass wir das machen. Die
Ursprungszeugnisse bedeuten: Wenn Sie reisen,
brauchen Sie einen Pass. Ebenso die Ware: Der
16
BusinessReport 3/2011
Pass ist in diesem Fall das Ursprungszeugnis,
das die Herkunft der Ware bestätigt. Legalisierung ist kein Ghorfa-Thema, sondern eine
internationale Frage. Wenn etwa die Mitglieder der Welthandelsorganisation das Verfahren abschaffen, dann wird es abgeschafft.
Aber die Ghorfa lebt doch davon.
Die Ghorfa hat ihre Dienstleistungen in den
letzten Jahren intensiviert und erzielt heute
fast 60 Prozent ihrer Einnahmen aus diesem
Service. Der Rest sind Einnahmen aus dem
Legalisierungsservice. Die Entscheidung, ob
Dokumente legalisiert werden, ist ja auch
keine Entscheidung der Ghorfa. Einige Staaten haben zum Beispiel Vereinbarungen mit
der EU und brauchen keine Legalisierung.
Das Ursprungszeugnis weist unter anderem aus, dass keine israelischen Produkte
in der Ware enthalten sind.
Einige arabische Staaten begnügen sich mit
der Auskunft, dass die Ware aus der Europäischen Union stammt. Andere wollen
»Deutschland« oder spezifischere Angaben.
Unsere Arbeit konzentriert sich auf die Förderung der deutsch-arabischen Wirtschaftsbeziehungen.
Aber die Regelung stammt aus der Zeit des
Handelsboykotts der Arabischen Liga gegen
Israel, der nie offiziell aufgehoben wurde.
Soll ich ehrlich sein? Ich bin seit elf Jahren
bei der Ghorfa und habe noch nie einen
Boykott erlebt. Und das gilt nicht nur für
die Kammer hier in Deutschland: Ich bin
schließlich auch Koordinator der anderen
arabischen Auslandskammern in Europa.
Früher spielte der Israel-Boykott für die
Ghorfa aber eine Rolle.
Da waren Sie noch nicht geboren und ich noch
nicht in der Wirtschaft aktiv. Was vor über 30
Jahren war, dafür kann ich nicht sprechen.
Der saudische Botschafter hat einmal
gesagt, man müsse den Deutschen
hinterherlaufen, wenn man ihnen
etwas abkaufen will. Sind deutsche
Exporteure zögerlich?
Man muss den Mittelstand verstehen. Der
rechnet nach: Der Markteinstieg kostet Geld,
man braucht gutes Personal; und oft ist Zurückhaltung durchaus angebracht. Ich schlage öfter Unternehmen, die schon in den
Golfstaaten aktiv sind, vor, ihre Aktivitäten
im Maghreb zu erweitern, und höre dann:
»Wir haben keine Mitarbeiter, die Französisch sprechen!« Die Konzerne haben damit
kein Problem, der Mittelstand schon.
Bei Ihnen in der Ghorfa arbeiten auffällig
viele junge Frauen. Wie viele Ihrer Mitgliedsunternehmen haben weibliche Manager, Geschäftsführer oder Vorstände?
Zu wenige. Deshalb ist uns das Thema ja
wichtig. Wir thematisieren es auf unseren
Veranstaltungen, zum Beispiel beim deutscharabischen Wirtschaftsforum.
Die Unterschiede zwischen deutschen und
arabischen Firmen sind da wahrscheinlich
gar nicht groß.
Richtig. Aber interessant ist: Durch Erbschaften, aber auch gesellschaftliche Entwicklungen kommen viele arabische Frauen – etwa in den Golfstaaten – in die Führung von Familienunternehmen.
Eine interessante Wendung: Stärkt am Ende ausgerechnet die arabische Tradition
der Familienbetriebe die Rolle von Frauen
in der Wirtschaft?
So kann man es sehen. Meine Kollegen in der
arabischen Welt sagen manchmal: »Da
kommt Mikhlafi und bringt lauter Frauen
mit.« Aber ich habe großes Vertrauen und sehe, dass meine Kolleginnen sehr motiviert
sind, Verantwortung zu tragen.
WEITERLESEN
Lesen Sie noch
mehr Wirtschaftsberichte
und Analysen auf
www.zenithonline.de
zenithonline.de berichtet täglich über die
Länder Afrikas, des Nahen Ostens und Zentralasiens.
Die Seite bietet neben politischen Analysen
und Wirtschaftsreportagen jeden Tag wichtige Meldungen und Personalia.
Im zenith-BusinessBerater erfahren Sie
alles zum Thema
Recht und Consulting. Neue Rege-
lungen für Doppelbesteuerungsabkommen,
neue Handelsbestimmungen oder neue Fördergesetze – im zenith-BusinessBerater berichten Experten über alles, was Sie über die
Auslandsmärkte wissen müssen.
»zenithonline.de – das ist das Online-Portal
der zenith – Zeitschrift für den Orient. Gute
Storys und Hintergründe vor allem zu aktuellen Wirtschaftsthemen im tumultösen
Morgenland.«
Astrid Frohloff, Moderatorin des ARDPolitmagazins Kontraste
Exportartikel Weiterbildung
Besuchen Sie unser
3. Deutsch-Arabisches Bildungsforum
6. – 7. Oktober 2011 in Berlin
TRAINING – MADE IN GERMANY
[email protected] | www.imove-germany.de
[email protected] | www.imove-germany.de
G E L D U N D M AC H T
IMMOBILIEN
Mit Abrissbirne und Musik
Aserbaidschan beherbergt 2012 den Eurovision Song Contest,
den größten Schlagerwettbewerb der Welt.
Dafür wird in kurzer Zeit ein neuer Event-Komplex hochgezogen
– und in großem Stil Privatbesitz enteignet
Von Sara Winter-Say ilir
G
18
BusinessReport 3/2011
stattfinden wird. Ausrichter ist die European Broadcasting Union (EBU), der Verein der öffentlichen Rundfunkanstalten
Europas mit Sitz in Genf. Sietse Bakker
leitet das Riesenprojekt ESC. »Wir fordern, dass die lokalen Veranstalter unter
anderem die Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und ein barrierefreies Internet
für die Gäste, Fans, Crew, Teilnehmer und
Presse rund um den ESC garantieren
können«, sagt Bakker gegenüber zenith.
Hotelreservierungen
sind bis auf
Weiteres verboten
Falls nicht, können Sanktionen verhängt
werden – von Geldbußen bis zum Ausschluss vom Wettbewerb oder sogar dem
Verlust des Gastgeberstatus.
Laut Bakker ist noch nicht engültig entschieden, wo genau der ESC in Baku stattfindet. Auch wenn in Genf bereits ein Treffen mit den aserbaidschanischen ESCAusrichtern, dem öffentlich-rechtlichen
Rundfunk der Kaukasusrepublik, Ictimai
TV, stattgefunden habe, und im August
ebenfalls eine Delegation der EBU nach
Baku gereist sei.
Aserbaidschans Regierung schafft indes
Fakten: Leyla Aliyeva, Tochter des Präsi-
Foto: Pieter Van den Berghe / EBU
anz in der Nähe der großen Zentrale von BP in Baku, an der Küste des Kaspischen Meeres, steht der
mit 162 Metern zweithöchste Flaggenmast
der Welt. Aserbaidschans Präsident Ilham
Aliyev lässt sich dort gerne fotografieren.
Er ist derzeit gut gelaunt, zumal Aserbaidschan erstmalig den Eurovision Song
Contest (ESC) gewonnen hat. Vieles spricht
dafür, dass hier, gleich neben der Flagge,
das neue Veranstaltungszentrum gebaut
wird – der Schlagerwettstreit gastiert im
Mai 2012 in Baku.
Bisher verfügt Baku über keine geeignete Spielstätte, Schätzungen zufolge werden bis zu 30 000 Gäste aus aller Welt erwartet. Das Größte, was Baku bisher zu
bieten hat, ist das Tofiq-BehramovStadion mit 14 000 Sitzplätzen. Auch an
Hotelbetten mangelt es der Ölmetropole.
Gerade hat die Luxuskette Kempinski ein
Haus eröffnet. Four Seasons, Marriott, Hilton und Jumeirah legen bald nach. Um die
Kontrolle über die Bettenpreise und
-vergabe während des ESC zu behalten,
untersagte das Kultur- und Tourismusministerium kürzlich allen Hotels, bereits
Zimmer für die Daten um den Wettbewerb zu vermieten. Vorbestellen können
die Fans also noch nicht.
Doch zunächst gilt es, den Veranstaltungsort festzulegen. Aserbaidschan entscheidet nicht allein, wo genau der ESC
Preisträger und Stolz Aserbaidschans:
Ell und Nikki in Düsseldorf 2011.
G E L D U N D M AC H T
denten, ließ jüngst auf der offiziellen aserbaidschanischen Seite eurovisionaz.com
verlauten, dass ein neues Veranstaltungszentrum am Ufer des Kaspischen Meeres
gebaut werde. Auf der Nachrichtenseite
modern.az ist zu lesen, dass dieser Komplex
im Stadtteil Bayil direkt neben dem Flaggenmast entstehe. Das Sport- und Veranstaltungszentrum solle im März nächsten
Jahres fertiggestellt werden – für 25 000
Gäste. Bereits am 7. Juli unterschrieb Präsident Ilham Aliyev eine Präsidialverordnung für den Bau eines solchen Komplexes. Sietse Bakker von der EBU ist über die
Neuigkeiten erstaunt: »Solange wir nicht
grünes Licht gegeben haben, können sie
in Aserbaidschan bauen, was sie wollen.
Mit dem ESC hat das nichts zu tun.«
Wer den Gebäudekomplex in der unglaublich kurzen Zeit bis nächsten März
bauen soll? Nach zenith-Informationen
wird es sich wahrscheinlich um eine deutsche Baufirma handeln. Gemäß Schätzungen des Deutsch-Aserbaidschanischen
Wirtschaftsfördervereins (DAWF) sind
derzeit etwa 200 deutsche Firmen in Aserbaidschan aktiv.
Rasim Mammadov vom Industrie- und
Energieministerium beziffert die bisherige Gesamthöhe deutscher Investitionen
in Aserbaidschan auf etwa zwei Milliarden
Euro: in Bauwesen, Umwelttechnologie,
Nahrungsmittel- und Energieproduktion.
Ein Investitionsschutzabkommen soll
Unternehmen vor Korruption und Willkür
schützen. Florian Schröder, Geschäftsführer des DAWF in Baku, sieht dem ESC mit
Freude entgegen: »Baku wird sich als moderne und tolerante Metropole am Kaspischen Meer präsentieren. Und der ESC
wird Aserbaidschan und Europa einander
näher bringen.« Die Vorbereitungen dazu
liefen bereits auf Hochtouren.
Neben dem Flaggenmast und der angeblichen Baustelle für das neue Veranstaltungszentrum steht derzeit aber noch
ein großer Wohnblock. Dort besitzt Natalya Alibekova eine Eigentumswohnung.
Erstmals erfuhr sie im Januar 2010 von
Umbauplänen der Bezirksverwaltung, lange vor dem Sieg Aserbaidschans beim ESC.
»Man bot uns rund 1350 Euro pro Quadratmeter Entschädigung«, sagt sie. Der
Marktpreis liege etwa doppelt so hoch.
Die 62 Jahre alte Dame lebt seit 2001 in
dem Block, der 72 Familien beherbergt.
Ein Jahr lang passierte nichts, die Bewohner vergaßen allmählich die unheilvolle Verkündung. Bis im Februar 2011
plötzlich Angestellte der staatlichen Eigentumskommission den Anwohnern erzählten, sie müssten sich eine neue Bleibe
suchen. Neue Apartments stünden ihnen
Deutsche sollen
den Bauauftrag
erhalten
in den Vorstädten zur Verfügung, gebaut
von Azinko, einer aserbaidschanischen
Baufirma. Von einer Kompensation in bar
war nicht mehr die Rede. Viele bezweifeln
aber die Sicherheit der Neubauten – das alte Haus Nr. 5 hat hingegen schon ein großes Erdbeben unbeschadet überstanden.
»Wir können nicht vor Gericht gehen,
weil wir keine offiziellen Dokumente in
der Hand haben«, sagt Alibekova. Normalerweise hätte man ihnen Einsicht in
die Baupläne verschaffen müssen. Einzig
die Räumungsaufforderung kam schriftlich. Sollten sie nicht gehen, würden Maßnahmen gegen sie ergriffen, hieß es da.
Nun beginnen Bauarbeiter bereits, erste
Wohnungen zu entkernen. Die Anwohner werden indes mit immer neuen Ultimaten unter Druck gesetzt.
Eine gängige Praxis: An vielen Orten
der Bakuer Innenstadt wurden Menschen
innerhalb kürzester Zeit aus ihren Wohnungen geworfen. Ist zum Zeitpunkt der
Räumung keiner zu Hause, wird das persönliche Hab und Gut in Abwesenheit zerstört. Videoaufnahmen lokaler Journalis-
ten auf Youtube zeigen verzweifelte Bewohner in den Trümmern ihrer ehemaligen Behausungen. Dazwischen klettern
Abrissraupen über die Ruinen.
Ein Betroffener, der lieber anonym bleiben möchte, hat seine 45 Quadratmeter
große Wohnung im zentral gelegenen, so
genannten Winterpark-Areal verloren.
»Wenn man selbst für den Staat arbeitet,
überlegt man sich gut, ob man vor Gericht geht«, sagt der junge Mann. Die Eigentumskommission begründet die Maßnahmen mit einem staatlichen Anspruch
auf die Grundstücke, der eigentlich nur
bei wichtigen Verkehrswegen oder Militäreinrichtungen gilt.
Mit dem Abriss wird viel Geld verdient.
Die Familie des Vorsitzenden der Eigentumskommission, Kerem Hasanov, scheint
davon zu profitieren. Denn Hasanovs Bruder Malik gehört die Baufirma Azinko, die
den Abriss der meisten Häuser besorgt –
er sitzt zudem als Abgeordneter der Regierungspartei YAP im Parlament.
Einige Betroffene haben Beschwerde
eingelegt. Sie schrieben unter anderem
dem Präsidenten. Eine Antwort bekamen
sie nicht. Inzwischen hat sich auch Human Rights Watch gegen die Enteignungen und die Zerstörung intakter Wohnhäuser in Baku ausgesprochen. Sietse Bakker von der EBU möchte darüber nicht
urteilen: »Wir organisieren das größte Musikereignis der Welt und klären keine Menschenrechtsfragen. Aber wir machen die
Veranstaltung für das Volk und nicht für
die Regierung.« Die Vorgänge in Baku
seien nur bedingt mit dem ESC in Verbindung zu bringen. Schließlich wäre das
geplante Gebäude auch ohne den ESC gebaut worden. Und ob der dort stattfindet,
sei keinesfalls sicher.
Andere Mitveranstalter des Schlagerwettbewerbs sehen Diskussionsbedarf: Auf
der deutschen Website des ESC ist inzwischen von »staatlichem Vandalismus« in
Baku zu lesen. Die deutlichen Worte stammen von der deutschen ARD.
BusinessReport 3/2011
19
G E L D U N D M AC H T
ROHSTOFFE
Aus der Reserve
locken
Während die kaspischen Anrainer über OffshoreRessourcen verhandeln, rüsten sie zeitgleich
ihre Flotten auf. In Afghanistan wird derweil das
Wasser knapp, und Kasachstans Finanzwelt sorgt
sich um Rohstoffpreise. Ein Zentralasien-Update
Von Alex ander von Hahn
W
Foto: NASA
Das größte Binnenmeer der Welt birgt
große Schätze. Iran und die ehemaligen
Sowjetstaaten sind darauf erpicht.
Wem gehört das
Wasser des
Amu Darya?
20
BusinessReport 3/2011
ährend die Rohstoffbörsen mit
den Folgen der weltweiten Finanzkrise kämpfen, werden in
Europa die Preise für Energie voraussichtlich
weiter steigen. Die Anrainer des Kaspischen
Meeres, die dort Öl und Erdgas fördern,
schauen auf die lukrativen Märkte der Europäischen Union, aber auch nach China.
Angeblich liegen im kaspischen Becken 2 bis
6 Prozent der weltweit nachgewiesenen Ölund 6 bis 10 der Gasreserven. Aber noch ist
nicht klar, wer offshore fördern darf, auch
wenn in die Verhandlungen Bewegung
kommt. Vertreter von Aserbaidschan, Iran,
Kasachstan, Russland und Turkmenistan kamen diesen Sommer in Moskau zusammen
– vor Jahresende wollen sich auch die Präsidenten der »Kaspischen Arbeitsgruppe«
treffen: Zugang zu Bodenschätzen, Fischereirechte und internationale Wasserwege stehen
auf der Agenda.
Teheran will eine Nord-Süd-Aufteilung
des Meeres – die ehemaligen Sowjetstaaten
sollen sich dann um die Nordhälfte streiten.
Die Iraner berufen sich auf einen Vertrag
mit der Sowjetunion von 1921. Kasachstan,
Aserbaidschan und Turkmenistan wollen eine »Medianlinie«, also Einflusszonen entsprechend der jeweiligen Küstenlänge. In Sicherheitsfragen will man zusammenarbeiten:
Im Juli legte Russlands Präsident Dimitri
Medvedev dem Parlament ein Abkommen
zur gemeinschaftlichen Bekämpfung von
Terrorismus und Schmuggel im Kaspischen
Meer vor, das die Arbeitsgruppe 2010 in Baku entworfen hatte.
Während Diplomaten sprechen, demons–
trieren die Militärs Stärke: Laut dem russischen Marine-Chef, Admiral Wladimir Wysotsky, rüstet die Kaspische Flottille bis 2020
auf – mit zwei neuen Kriegsschiffen, drei
Landebooten und landbasierten Batterien
mit Anti-Schiff-Raketen. Außerdem baut
Russland einen Militärhafen in Machatschkala, der Hauptstadt der bürgerkriegsgeplagten Teilrepublik Dagestan.
Die Iraner stellen dagegen Selbstbewusstsein zur Schau. »Wir haben volle
Kontrolle über 20 Prozente des Kaspischen
Meeres«, verkündete kürzlich der Kommandeur der iranischen Marine Habibollah Sayyari.
Auch Kasachstan, Russlands Verbündeter, stellte kürzlich seine neue Marinebasis im
kaspischen Seehafen Aktau fertig und orderte Patrouillenboote in Südkorea.
Über den so genannten Cooperation
Council der Turkstaaten spielen auch die
Türken im kaspischen »Great Game« mit: Sie
trainieren kasachische Seestreitkräfte und
G E L D U N D M AC H T
haben den Aserbaidschanern 30 Patrouillenboote geliefert. Laut Medienberichten
bauen türkische Werften auch die Schiffe für
die neue turkmenische Marine.
Die Ressourcenfrage sorgt auch anderswo in Zentralasien für Probleme: Im Juli ermahnte die Umweltagentur der Vereinten
Nationen (UNEP) Afghanistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Uzbekistan, endlich
ein Abkommen über die Nutzung des Flusses Amu Darya und seiner Zuflüsse zu schließen. Am Oberlauf baut Tadschikistan derzeit
den Rogun-Staudamm für ein Wasserkraftwerk, was sich vor allem auf die afghanische
Landwirtschaft auswirken wird. Laut UNEP
steigen die Sommertemperaturen in Zentralasien jährlich, Wasser wird knapper.
Nach einem Bericht des US-Senates werden die sicherheitspolitischen Folgen der
Wasserknappheit, »die landwirtschaftlicher
Verbrauch, Hydrokraftwerke und mangelnde Klimastabilität zusehends verschlimmern«, weltweit spürbar sein.
»Demnächst kommt
Kulibaev mit
überraschenden
Ideen!«
Auch im Südosten Kasachstans herrscht seit
Jahren Wassermangel durch Trockenheit –
nun sorgt sich das Exportland auch um den
Einbruch der Rohstoffpreise, ausgelöst durch
das weltwirtschaftliche Klima und nervöse
Börsen.
Kasachische Banken leiden bereits seit
2008 unter den Folgen der Finanzkrise. Zwei
Jahre verhandelte die in Not geratene Handelsbank BTA über eine Übernahme durch
die russische Sberbank – Gerüchten zufolge
ist der Deal aber geplatzt. »Die beste Strategie für Kasachstan bleibt wohl, die BTA so
schnell wie möglich zu verkaufen«, sagt Yerlan Q. Askarbekov, Kommunikationsberater für kasachische Finanzfirmen, im Ge-
spräch mit zenith. Es gebe allerdings Hoffnung, dass die neue Führungsspitze der
BTA, vor allem Vorstandschef Marat Zairov,
wieder einige finanzkräftige Kunden im
Land akquirieren könne, die 2009 ausgestiegen waren – darunter die Familienclans
Tatishev und Abliazov.
Immerhin: Das Interesse der Kasachen an
Geschäften mit Deutschland wächst. Noch
vor Jahresende wollen beide Länder ein Partnerschaftsabkommen für Rohstoffe unterzeichnen. Stellvertretender Vorsitzender des
Kasachisch-Deutschen Wirtschaftsrats ist Timur Kulibaev, Schwiegersohn des Präsidenten und aussichtsreicher Nachfolgekandidat. »Kulibaev wird demnächst mit ein paar
überraschenden Ideen kommen«, sagte ein
Mitglied einer kasachischen Wirtschaftsdelegation in Berlin gegenüber zenith. »Vielleicht ein Antrag, Kasachstan anstelle der
Türkei in die EU aufzunehmen.« Schließlich gebe es fast eine Million deutschstämmige Kasachen.
The Global Charter Broker
Your wish is our passion
“Any time you need,
we fly it.”
www.lhcharter.com
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
Dass der Arabische Frühling die Wirtschaft in
Nahost und Maghreb durcheinander bringen würde,
war klar – von Anfang an. Was aber ist die Bilanz
der Ereignisse und was können Investoren nach einer
politischen Stabilisierung in Tunesien und Ägypten,
Libyen und Syrien erwarten?
Von Jörg Schäffer
22
BusinessReport 3/2011
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
VOLKSWIRTSCHAFT
Was die Freiheit
kosten wird
D
er Tourismussektor bricht dramatisch ein,
das produzierende Gewerbe verliert, ausländische Direktinvestitionen bleiben aus,
die Inflation nimmt zu, Nahrungsmittel werden immer teurer – es war nicht schwer vorauszusehen,
dass der Arabische Frühling die betroffenen Länder
einiges kosten würde. Aber diesen Preis waren die
Menschen offenbar bereit für ihre Freiheit zu bezahlen. Und alles das geschah ausgerechnet zu einer
Zeit, in der sich manche arabische Staaten gerade erst
von der weltweiten Finanzkrise erholten.
Die wirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen
Ländern wird nach dem Arabischen Frühling wohl
unterschiedlich ausfallen. Eines haben sie aber alle gemeinsam: Der Schlüssel für eine dynamischere Wirtschaft, von der mehr Menschen als bisher
profitieren können, liegt in der Korruptionsbekämpfung und in besserer Bildung für die junge Bevölkerung – eine Bildung, die dem Arbeitsmarkt
und dessen Anforderungen gerecht wird. Diese Aufgabe ist eine gesamtgesellschaftliche.
Wie Korruption die Wirtschaft bremst und –
trotz großer Investitionen – die arbeitende Bevölkerung frustriert, zeigt Tunesien. Niemand hätte
gedacht, dass die Revolutionsbewegung ausgerechnet von dem viel gelobten ökonomischen Musterland im Maghreb ausgehen würde. Eine breite
Mittelschicht hatte sich lange mit dem Regime arrangiert – das Land konnte vergleichsweise stabile
makroökonomische Rahmendaten aufweisen. Auch
wenn geforderte Reformen in den letzten Jahren
ins Stocken gerieten, wuchs die tunesische Wirtschaft stabil – aufgrund der guten Binnenkonjunktur – selbst im Krisenjahr 2009. Der Familienclan der Ben Alis und Trabelsis ließ jedoch wenig Raum für Wettbewerb und Teilhabe. Präsident
Zine El Abidine Ben Ali zog seine Legitimation
auch aus dem Umstand, dass Tunesien besser dastand als seine Nachbarn – aber die Entwicklung
kam in vielen Bevölkerungsteilen nicht an, von
Chancengleichheit konnte keine Rede sein. Dann
stiegen die Lebenshaltungskosten bei stagnierenden Löhnen. Obwohl nun in diesem Jahr der Einbruch der Tourismuswirtschaft um 44 Prozent und
der Produktionsrückgang von Industriegütern
um 13 Prozent dem Land einen Dämpfer versetzten, ist davon auszugehen,
dass sich Tunesiens Wirtschaft
nach der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung im
Herbst erholen wird.
Die Entwicklungen im östlichen Nachbarland spielen
dabei eine Rolle: Viele wohlhabende Libyer haben in Tunesien investiert, umgekehrt arbeiteten tausende Tunesier im Dienstleistungssektor Libyens. Das Land ist bislang der
wichtigste Handelspartner Tunesien – ein Ende des
Krieges in Libyen kommt den Tunesiern, die sich
hilfsbereit und solidarisch zeigten, mit Sicherheit zugute. Der Internationale Währungsfonds (IWF)
prognostiziert Tunesien für 2012 ein Wirtschaftswachstum von 5,6 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist dort aufgrund der eher geringen Bevölkerungszahl und der bereits stark diversifizierten
Wirtschaft eher in den Griff zu kriegen als in dem
deutlich bevölkerungsstärkeren Ägypten.
Niedrige Ausbildungsstandards bleiben ein
Hemmschuh – internationale Unternehmen setzen noch immer auf mitgebrachtes Personal. Für Investoren bleibt Tunesien dennoch ein interessantes
Land: Es gibt kurze Transportwege nach Europa,
zahlreiche Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union und den Golfstaaten sowie womöglich bald mit den USA, sofern die neue Regierung
die lang erwarteten Reformen im Landwirtschaftsund im Bankensektor umsetzen sollte. Gewiss werden in Tunesien demnächst höhere Löhne fällig –
Arbeitnehmerinteressen werden stärker vertreten
und artikuliert werden.
In Tunesien
werden bald höhere
Löhne fällig
>>
BusinessReport 3/2011
23
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
Mit höheren Löhnen wollte Ägyptens ehemaliger
Präsident Hosni Mubarak auch seine Bevölkerung
beschwichtigen – wie man weiß, vergeblich. Trotz seiner diktatorischen Herrschaft und der Selbstbereicherung muss man ihm zu Gute halten, dass unter
seiner Führung in den letzten Jahren viele positive
Entwicklungen begannen, auch wenn diese wohl zu
spät kamen. Die alte Regierung verfolgte das Ziel, die
Gesamtverschuldung bis 2015 auf maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und die Neuverschuldungsquote auf 3,5 Prozent zu drücken – und
machte dabei große Fortschritte: Ein Land, in dem
jährlich eine Million Menschen mehr leben und der
überwiegende Teil der Bevölkerung in tiefer Armut
lebt, näherte sich den europäischen
Konvergenzkriterien. Durch die
zusätzlichen Belastungen aufgrund
der politischen Unruhen ist dieses
Ziel nun in Gefahr; die Auslandsschulden Ägyptens sind aber mit
13,6 Prozent des BIP schon jetzt
auf einem eher stabilen Niveau. Ägyptens Pfund
konnte sich selbst während der Revolution behaupten und hat nur leicht gegenüber dem US-Dollar
verloren: Dafür musste man allerdings die Devisenreserven anzapfen. Sorgen bereiten auch die Staatsanleihen, die zu über 60 Prozent von ägyptischen
Banken gehalten werden. Sollte das Rating der Anleihen, das bei Redaktionsschluss mehrheitlich bei
BB+ lag, noch weiter sinken, könnte dies zum Bumerang für das ägyptische Finanzsystem werden.
Ägyptens Staatskonzerne konnten ihre Schulden
seit 2004 erheblich reduzieren – die zum Militär gehörenden Unternehmen arbeiten zum Teil durchaus
profitabel. Niedrigere Kosten für Gründung neuer
Der Massenstaat
Ägypten ist Binnenmarkt mit Potenzial
Inflationsentwicklung im Vergleich zum Vorjahr in Prozent
2003
2004
2005
2006 2007
Ägypten
3,2
8,1
8,8
4,2
Tunesien
2,7
3,6
2,0
4,2
2008 2009
2010
11,0
11,7
16,2
11,7
11,5
12,0
9,8
3,5
4,9
3,5
4,4
4,0
3,3
3,1
Quelle: IWF (World Economic Outlook Database, April 2011). (1 Schätzungen
24
BusinessReport 3/2011
2011(1 2012(1 2013(1
Unternehmen sowie eine Modernisierung und Liberalisierung des Handelssystems haben den privaten Sektor gestärkt. Aber wie in Tunesien fehlt das
Fachpersonal. Nach wie vor gibt es strukturelle Probleme im ägyptischen Bildungs- und Ausbildungswesen. Auf den Wachstumsbranchen Telekommunikation und Bauwirtschaft ruht derzeit die Hoffnung der ägyptischen Wirtschaft – wenngleich
letztere den Investoren wohl in Zukunft etwas geringere Margen einbringen dürfte als früher. Aufgrund der vielen Korruptionsvorwürfe wegen Vergabe zu billigen Baulandes und Unregelmäßigkeiten
bei den Ausschreibungen kommen vermutlich Strafzahlungen auf die Branche zu.
Die bis vor zehn Jahren noch negative Leistungsbilanz konnte Ägypten schon vor der weltweiten Finanzkrise 2008 zwischenzeitlich ausgleichen. In diesem Jahr deuten die Prognosen auf ein Minus von
3,2 Prozent hin. Dies ist neben dem Einbruch des
Tourismussektors um 81 Prozent auch dem schwächeren Welthandel insgesamt geschuldet, der Ägypten unmittelbar berührt: Weniger Schiffe passieren
den Suezkanal, also nimmt der Staat weniger Gebühren ein. Der Tourismus wird sich wohl erst 2014
wieder erholt haben. An ein Wachstum über das Niveau vor der Revolution hinaus glauben Experten
aber nicht. Die Direktinvestitionen in Ägypten sind
in diesem Jahr eingebrochen: um 60 Prozent von 9
auf 2,5 Milliarden US-Dollar. Das Wirtschaftswachstum wird daher für 2011 nur 1 Prozent anstatt
der ursprünglich prognostizierten 6 Prozent betragen. Die insgesamt positiven Entwicklungen vor der
politischen Krise geben Hoffnung auf Stabilisierung,
zumal die devisenkräftigen Golfstaaten Ägypten mit
dem massiven Kauf von Staatsanleihen stützen. Saudische Direktinvestitionen sind schon jetzt spürbar,
werden aber in Kairo durchaus argwöhnisch gesehen – man befürchtet starke politische und wirtschaftliche Einflussnahme.
Neben Europa sind gerade die Golfstaaten die
wichtigsten Direktinvestoren und andersherum auch
ein wichtiger Arbeitsmarkt für die junge ägyptische
Bevölkerung: Ägyptens Jugend ist Segen und Fluch
zugleich. Wer es schafft, sie als Potential zu begreifen, und sich ernsthaft bemüht, sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wird langfristig die Früchte
ernten: Der potenzielle Binnenmarkt mit weit über
80 Millionen Menschen ist riesig. Auch wenn die
Kaufkraft nur geringfügig wächst, steigt die Nachfrage nach Verbrauchsgütern erheblich. Noch sind
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
die Parteiprogramme und Kandidaten wenig überzeugend, die Strategie der Armeeführung unklar.
Fest steht: Wer versucht, die Jugendlichen mit halbherzigen Gesten abzuspeisen, riskiert, dass das Land
von einem Aufstand in den nächsten schlittert.
Dieses Schicksal könnte auch Syrien widerfahren. Das Land, das von Welthandel und internationalem Kapitalmarkt weitgehend isoliert ist, gehört
zu den ärmsten arabischen Ländern – trotz eines
stetigen Wirtschaftswachstums in den letzten Jahren.
In absoluten Zahlen beeindruckte jedoch bestenfalls
der Tourismussektor. Die Löhne im produzierenden Gewerbe und in der Landwirtschaft sind niedrig,
aber die Kosten zu hoch, als dass syrische Produkte
etwa mit türkischen konkurrieren könnten. Ein Vorteil der Isolation: Weltwirtschafts- und Finanzkrise
trafen die Syrer kaum. Sie erlebten ihre eigene Wirtschaftskrise 2003, als das Bruttoinlandsprodukt um
2,3 Prozent schrumpfte. Grund waren der Irakkrieg
und das Ende Saddam Husseins. Der hatte Syrien bis
dato viel Geld für den Zugang zum Erdölhafen von
Banias gezahlt, um das UN-Embargo gegen den Irak
zu umgehen. In den Folgejahren strömten außerdem fast eine Million irakische Flüchtlinge nach Syrien. Bis zum Beginn des Arabischen Frühlings erlebte das Land eine allmähliche politische Aufwertung seitens Europas und der USA. Anfang 2009
eröffnete eine Börse in Damaskus – nicht mehr als
ein politisches Signal: Gehandelt wird hier nur zweimal in der Woche; die Wochenumsätze betragen wenige Tausend Dollar. Bei Kursschwankungen von
mehr als zwei Prozent wird der Handel ausgesetzt –
aus Angst vor Spekulanten.
Politisch motiviert war auch die Öffnung für ausländische Investoren – die mussten allerdings erst an
den geschäftstüchtigen Verwandten von Präsident
Bashar al-Assad vorbei. Die Wachstumsbranche Telekommunikation und Mobilfunk befand sich bis
vor kurzem in Händen des Assad-Cousins Rami
Makhlouf. Das brutale Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte wird Syrien weiter isolieren, auch die
guten Handelsbeziehungen zur Türkei haben darunter gelitten. Der Westen wird sich nicht militärisch
engagieren: Syrien ist geostrategisch zu sensibel,
wirtschaftlich zu wenig relevant.
Ganz im Gegensatz zu Libyen mit den weltweit
neuntgrößten Erdölreserven. Die Bevölkerung hatte freien Zugang zu Bildung und Gesundheit, und
die Revolution traf das Land mitten in einem langsamen Öffnungsprozess. Dennoch gibt es hier zahl-
reiche gut ausgebildete Ingenieure, die nie in ihrem
Beruf tätig waren. Die Wirtschaft ist kaum diversifiziert. Außer Öl- und Gasförderung und – in geringem Maße – der Bauwirtschaft, die vor allem von
ausländischen Unternehmen dominiert wird, trägt
kein Wirtschaftszweig nennenswert zum BIP bei.
Daher schwankt auch das Wirtschaftswachstum erheblich, abhängig von Ölpreis und
Förderquote der OPEC.
Aufgrund der gewaltigen Devisenrücklagen von 150 Milliarden Dollar – 160 Prozent des BIP
– und minimalen Auslandsschulden sind die wirtschaftlichen Folgen der Revolution für das Land
tragbar, vorausgesetzt, es kommt
nicht zum nächsten Bürgerkrieg.
Es gibt viel zu tun: 2000 Kilometer fast unbebaute
Küste, reparaturbedürftige Straßen, mangelnde moderne Telekommunikation, marode Schienennetze
und der Bedarf nach einem neuen Regierungsviertel – sollte eine neue Administration die Marktöffnung des Landes weiter voran treiben, könnte sich
Libyen zum wichtigsten Wirtschaftspartner der
Mittelmeerstaaten werden. Franzosen, Briten, Italiener, Türken – alle buhlen bereits um die Gunst der
Gaddafi-Nachfolger. Bald werden auch die Deutschen vortreten. Es wäre denkbar, dass beispielsweise China oder Russland, die lange Zeit die Hand
über das Gaddafi-Regime hielten, Einfluss und Aufträge verlieren. Aber am Ende werden die neuen
Machthaber in Libyen pragmatisch sein und über das
beste Angebot entscheiden. Anders als Gaddafi, der
die Vergabe von Milliardenprojekten nur als politisches Instrument benutzte.
Die Libyer
werden über
das beste Angebot
entscheiden
Staatsverschuldung in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt
2003
2004
2005
2006 2007
2008 2009
2010
2011(1 2012(1 2013(1
Ägypten
114,8
112,8
112,8
98,8
87,1
74,7
75,6
73,8
74,9
73,8
70,9
Tunesien
66,4
53,7
52,5
48,8
45,9
43,3
42,9
40,4
42,8
42,8
41,6
Quelle: IWF (World Economic Outlook Database, April 2011). (1 Schätzungen
BusinessReport 3/2011
25
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
Die Konten
der Diktatoren
Dem teils schmutzigen Geld arabischer Potentaten auf die Spur
zu kommen, ist herausfordernd.
Während des Arabischen Frühlings sind in der Presse Summen
aufgetaucht, die sicher nicht für
bare Münze genommen werden
dürfen. Selbst den Korruptionsjägern von Transparency International fällt es schwer, hier durchzublicken. Immerhin: Die Berichte deuten die Dimension an, in
der sich Kleptokraten wie Mubarak und Gaddafi bedient haben.
WACHSTUM UND KORRUPTION
Die arabische Welt polarisiert
Die vergangenen Jahre waren nicht normal, das gilt besonders für die
wirtschaftliche Entwicklung im Nahen Osten: Die Karte zeigt im Überblick,
wo die Weltfinanzkrise 2009 zuschlug, der Arabische Frühling Spuren
hinterlassen wird – und wo nicht. Zugleich grassieren in der Region
Bestechung und Bestechlichkeit. Lässt sich die ökonomische Leistung noch
verbessern, wenn mit den bevorstehenden Reformen endlich ernsthaft
die Korruption bekämpft wird?
3,1
3,7
1,3
2009 2010 2011*
TUNESIEN
4,9
3,2
3,9
2009 2010 2011*
MAROKKO
2,4
3,3
3,6
2009 2010 2011*
ALGERIEN
Baschar al-Assad, Syrien
Das Vermögen der Verwandtschaft Assads soll sich auf 123
Milliarden US-Dollar belaufen,
nach einigen Quellen sogar auf
bis zu 200 Milliarden Dollar. Assads Cousin Rami Makhlouf alleine hat vermutlich ein persönliches Vermögen von 6 Milliarden
Dollar und soll 60 Prozent des syrischen Wirtschaftslebens beeinflussen können, auch wenn er
sich angeblich aus dem Geschäft
zurückgezogen hat. Das mutmaßliche Vermögen des AssadClans soll in verschiedenen europäischen Banken liegen, 70 Milliarden allein in Schweden. Hinzu
kommen Anlagen in den USA.
Im Juli fror die Schweizer Regierung Konten von Regimevertretern mit Einlagen von 34 Millionen Dollar ein. 20 Milliarden
aber wurden angeblich schon in
den Libanon geschmuggelt.
26
BusinessReport 3/2011
Wirtschaftswachstum
Änderung des BIP
in Prozent im Vergleich
zum Vorjahr (1
2009 2010 2011*
LAND
Korruption
Index wahrgenommener
Korruption:
10,0 sehr sauber – 0,0 extrem korrupt (2
9-10
8-8,9
7-7,9
6-6,9
5-5,9
4-4,9
3-3,9
2-2,9
1-1,9
Keine Angaben
1) Quelle: IMF, World Economic Outlook April 2011
2) Quelle: Transparency International, 2010
* Angaben für 2011 sind Schätzungen
2009 8,2
4,6
-4,7 2010 2011*
TÜRKEI
6,0
3,2
2,9
2009 2010 2011*
4,2
SYRIEN
0,8
9,6
0,1
2009 2010 2011*
IRAK
0,8
4,6
3,8
-5,2 2,0
2009 2010 2011*
ISRAEL
1,0
0,0
2009 2010 2011*
IRAN
5,3
2009 2010 2011*
2,3
3,1
3,3
KUWAIT
2009 2010 2011*
JORDANIEN
3,1
2009 4,2 k.A.
4,1
3,1
2009 2010 2011*
-2,3 2010 2011*
BAHRAIN
LIBYEN
8,6 16,3
K ATA R
4,7
5,2
1,0
20
2009 2010 2011*
2009 3,2
3,3
-3,2 2010 2011*
2009 2010 2011*
VA E
ÄGYPTEN
0,6
3,7
7,5
2009 2010 2011*
SAUDI-ARABIEN
1,1
4,2
4,4
2009 2010 2011*
OMAN
3,9
6,0
5,1
4,7
2009 2010 2011*
8,0
3,4
2009 2010 2011*
JEMEN
SUDAN
2009 3,5
2,5
-4,7 2010 2011*
DEUTSCHLAND
BusinessReport 3/2011
27
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
VETTERNWIRTSCHAFT
Die große Schlacht
um Transparenz
Die Bekämpfung der Korruption und die
Aburteilung der Profiteure des Mubarak-Regimes stellt
die ägyptische Justiz auf eine harte Probe.
Es fehlt an Konzepten der Vergangenheitsbewältigung
Von Kilian Bälz
K
Wie lange wird das
Prinzip »Nichts sehen,
nichts hören, nichts
sagen«, wenn es um
Korruption geht,
in Ägypten wohl
noch gelten?
28
BusinessReport 3/2011
eine Talkshow, keine Konferenz und keine Demonstration in Ägypten, ohne dass
die Sprache auf die Korruption kommt:
Was lange Zeit als Systemfehler geduldet wurde,
wird jetzt als zentrales Problem des Landes erkannt. Verkäufe von Staatsland an private Investoren stehen auf dem Prüfstand. Transaktionen
werden annulliert, Vertreter des Regimes und ihre Geschäftspartner zu erheblichen Gefängnisstrafen verurteilt. Der stellvertretende Ministerpräsident Ali al-Selmy will nun sämtliche Unternehmensprivatisierungen des letzten Jahrzehnts
durch eine Kommission untersuchen lassen: Der
Verschleuderung von Staatsbesitz und der Bereicherung politischer Funktionsträger müsse endlich
Einhalt geboten werden.
Das Ziel der Korruptionsbekämpfung ist konsensfähig – auch die internationale Gebergemeinschaft ist leicht dafür zu gewinnen. Bei näherem
Hinsehen allerdings kommen Zweifel an den Erfolgen der Justiz. Die medienwirksamen Verurteilungen stehen juristisch oft auf tönernen Füßen.
Und tragen kaum dazu bei, das systemische Problem anzugehen.
Korruption liegt vor, wenn jemand einem staatlichen Entscheidungsträger einen Vorteil verspricht
oder gewährt, um so eine Entscheidung zu beeinflussen. Das jedenfalls ist der Kerntatbestand gemäß
OECD-Konvention und ägyptischem Strafgesetzbuch. »Private Parkraumbewirtschaftung« durch
Polizisten, »Beschleunigungsgelder« bei der KfzZulassung und andere Aufmerksamkeiten gehören
zum Alltag in Ägypten. Auch hier hat sich seit der
Revolution einiges geändert: Es entsteht ein neues
Problembewusstsein – auch wenn Prinzipien nur
sporadisch gelebt werden.
Zugleich besteht Einigkeit darin, dass die Alltagskorruption nicht das Hauptübel ist. Der Vorwurf
trifft vielmehr die großen wirtschaftlichen Akteure,
die Entwickler der Trabantenstädte, wie der Traumstadt »Madinati«, oder die Käufer privatisierter Staatsbetriebe, unter ihnen das ägyptische Traditions-
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
kaufhaus Omar Effendi, das 2006 an einen saudischen Investor ging. Viele Geschäfte genügen
nicht den üblichen Transparenzanforderungen.
Doch nicht immer erfolgten Zahlungen »unter
dem Tisch«. In einer Gemengelage aus Profitund Machtinteressen innerhalb einer kleinen
Gruppe von Entscheidungsträgern waren Transaktionen häufig zwar nicht im engen juristischen Sinn, aber doch relational miteinander
verbunden. Unternehmer, die zugleich Parlamentsabgeordnete waren, beeinflussten die
Spielregeln der Wirtschaft in einer für sie günstigen Weise. Verschleiern Kopplungsgeschäfte
oft eine direkte Zuwendung, ist in dem zweiten Fall die Trennlinie schwieriger zu ziehen: Wo
folgt ein zum Politiker mutierter Unternehmer
seinem marktwirtschaftlichen Credo, wo nutzt
er seine Macht zu eigenen wirtschaftlichen
Zwecken?
Noch schwieriger wird es auf staatlicher
Seite: Dort gedeiht der wirtschaftlich-politische Klientelismus auf dem Boden einer eingeschränkten Transparenz öffentlicher Haushalte. Große Teile des Etats sind der parlamentarischen Kontrolle effektiv entzogen und
so genannten Sonderfonds zugewiesen. Nicht
jede Haushaltsposition ist bar unterlegt – Ministerien generieren Einkünfte über eigens gegründete Zweckgesellschaften. Schattenhaushalte entziehen sich den Buchprüfern. Aber
nicht jeder Verstoß gegen Vergabe- und Haushaltsrecht ist ein Straftatbestand.
Die in der ägyptischen Wirtschaft verbreiteten korrupten Praktiken sind eingebettet in
eine Kultur der Intransparenz, die sie hervorbringen und befördern. Strafrechtlich ist
dieses System schwer zu fassen. Denn die
nachweisbare Zahlung an den Funktionsträger zum Zwecke der Beeinflussung einer Entscheidung ist im Wirtschaftsverkehr eher die
Ausnahme. Straftatbestände wie die Veruntreuung oder Verschwendung öffentlicher
Mittel sind in vielen Fällen nicht einschlägig
oder zu vage formuliert.
Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, dass die Versuche der Gerichte, Korruption juristisch aufzuarbeiten, oft unbefriedigend sind. Tatbestände wie »Verschwendung
von Staatsmitteln« werden gedehnt. Auslän-
dischen Investoren wie dem emiratischen Immobilieninvestor DAMAC wird zur Last gelegt, durch den Erwerb zu günstigen Baugrundes dazu Beihilfe geleistet zu haben.
Alternativ dazu kursieren Vorschläge, den
Tatbestand des Hochverrats aus den Jahren
der nasseristischen Revolution zu reaktivieren,
um politische Entscheidungsträger zur Rechenschaft zu ziehen – ein Gesetz von 1952,
das danach in Vergessenheit geraten war. Der
Wunsch, die Korruption der Mubarak-Zeit
gerichtlich aufzuarbeiten, ist juristisch schwierig einzulösen – jedenfalls nichts ohne rechtsstaatliche Kollateralschäden.
Die Prozesse machen
ausländischen
Investoren Angst
Erste Investoren, etwa DAMAC, haben sich
gegen die Verurteilung an das »International Centre for Settlement of Investment Disputes« der Weltbank gewandt: Sie beklagen
die Verletzung völkerrechtlicher Verträge über
den Investitionsschutz, insbesondere den
Schutz der »legitimen Erwartungen« eines
Investors. Aber unter welchen Voraussetzungen darf ein Investor darauf vertrauen, dass die öffentliche Hand rechtmäßig
handelt, wenn er ein marodes Staatsunternehmen oder eine Wüstenbrache zu einem
Schnäppchenpreis erwirbt? Die Entscheidung
in Sachen DAMAC wird mit Spannung erwartet und sie wird diese Diskussion prägen,
auch über Ägypten hinaus.
Bei der Transformation zur Demokratie
muss die Vergangenheit »bewältigt« werden.
Wie ein steiler Berg liegt sie zwischen der
neu errungenen Freiheit und dem demokratischen System. In der Politik gibt es dafür
verschiedene Modelle: Im Deutschland der
Wendezeit etwa die Kombination aus GauckBehörde und Mauerschützenprozessen. In
Lateinamerika Sondertribunale oder die
Wahrheitskommission in Südafrika. All diesen Verfahren liegt die Einsicht zu Grunde,
dass ein Systemwechsel eine Ausnahmesitu- >>
Die Konten
der Diktatoren
Hosni Mubarak,
Ägypten
Pressemeldungen aus dem
Frühjahr beziffern Mubaraks
Vermögen und das seiner
Familie auf bis zu 70 Milliarden US-Dollar. Der
britische Guardian gab
allerdings zu, dass einige
Informationen bis zu zehn
Jahre alt seien. Dazwischen
lag die Finanzkrise. Schwer
zu beziffern ist, was direkt
aus der Entwendung öffentlichen Eigentums stammt,
da Mubaraks Sohn Gamal
auch erfolgreich als Investmentbanker operierte.
Geld- und Immobilienvermögen in Höhe von 500
Millionen Dollar sperrte die
Schweiz im Mai, zeitgleich
mit Einlagen von Tunesiens
Ben Ali und Libyens
Gaddafi. Bislang hat die
Übergangsregierung in
Kairo, trotz Anfrage, auf das
Geld keinen Zugriff.
≠BusinessReport 3/2011
29
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
Das Schiedsurteil
um DAMAC wird
einen Weg weisen
ation darstellt, die mit Bordmitteln nicht zu bewältigen ist. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Straftaten, die unter
dem alten Regime begangen und
damals aus Gründen der politischen Opportunität nicht geahndet wurden, sollten verfolgt werden. Nur darf man sich davon
nicht zu viel für die Zukunft versprechen. Es gilt,
die individuelle Strafverfolgung mit einer kollektiven Vergangenheitsbewältigung zu verknüpfen.
Im wirtschaftlichen Bereich fehlt es da an Vorbildern. Es gibt keine Modelle, wie eine als »Crony
Capitalism« bezeichnete Günstlingswirtschaft in
eine transparente, soziale Marktwirtschaftwirtschaft
überführt werden kann. Aber es gibt erste Diskussionsansätze: etwa die Überlegungen, bei umstrittenen Landzuteilungen und Privatisierungen das
Strafverfahren durch Nachzahlungen in die Staatskasse zu ersetzen. Eine »Freikaufslösung«, die Geld
in den öffentlichen Haushalt spülen soll. Die Erwerber günstigen Baugrundes und unterbewerteter Staatsunternehmen müssen die Differenz zum
Marktwert nachzahlen, und möglicherweise eine
Geldbuße obendrauf. Aber das Geschäft bleibt bestehen. Dadurch kuriert man aber letztlich an
Symptomen, weil die Strafverfahren das Vertrauen
internationaler Investoren in den ägyptischen Markt
erschüttert haben – die internationalen Direktin-
vestitionen sind im ersten Quartal 2011 um 75 Prozent zurückgegangen.
Die Aufgabe, die öffentlichen Finanzen und das
wirtschaftliche System neu zu ordnen, hat erst begonnen. Denn nachhaltig lässt sich die Korruption in
der Wirtschaft nur bekämpfen, wenn ein Systemwechsel gelingt. Und Ägypten wird die Standards für
die Nachbarländer setzen. Auch die internationale
Gemeinschaft ist hier gefordert. Es gilt Konzepte zu
entwickeln, die die strafrechtliche Aburteilung um
eine systemische Aufarbeitung ergänzen. Diese müssen die enge Perspektive des Strafrechts verlassen und
bei einer Reform der öffentlichen Finanzen ansetzen.
Die Organisation Transparency International etwa
schlägt vor, den Rechnungshof und die Rolle des Parlaments in der Kontrolle der öffentlichen Finanzen zu
stärken – ebenso ein neues Informations- und Klagerecht für die Bürger einzuführen. Entscheidend wird
sein, diese Konzepte in der lokalen Wirtschafts- und
Rechtskultur zu verankern. Die Schlacht um Transparenz ist mit der Bestrafung einzelner Regierungsund Wirtschaftsvertreter nicht gewonnen.
Kilian Bälz ist Partner bei Amereller Rechtsanwälte.
Von Kairo und Dubai aus berät der promovierte
Jurist internationale Unternehmen bei Investitionen
in der MENA-Region (Kontakt: [email protected]).
Ausgewählte Wirtschaftsdaten Ägypten
Bruttoinlandsprodukt
in Milliarden US-Dollar
Entwicklung und Prognosen zur Leistungsbilanz in Prozent vom BIP
2008
2009
2010(1
2011(1
2012(1
Handelsbilanz
-14,4
-13,3
-11,5
-9,7
-2,9
Export von Gütern
18,0
13,3
10,9
11,5
10,4
Import von Gütern
32,4
26,6
22,4
21,2
19,9
Dienstleistung
8,4
6,5
6,7
3,9
3,8
Faktoreinkommen
0,8
0,1
-2,0
-1,8
-1,7
Währungstransfers
5,7
4,4
4,8
4,5
4,4
Leistungsbilanz
0,5
-2,3
-2,0
-3,2
-2,9
2007
2008
2009
2010(1
2011(1
2012(1
130,3
162,4
188,6
218,5
231,1
251,9
Veränderung im Vergleich zum Vorjahr in Prozent
7,1
Quelle: Ägyptische Zentralbank und CAPMAS. (1 Schätzungen
30
BusinessReport 3/2011
7,2
Quelle: IWF. (1 Schätzungen
4,7
5,1
1,0
4,0
Foto: Wer???
*HPHLQVDPJHKW¶VOHLFKWHU
'HQQ*HPHLQVFKDIWVFKDɆW
9HUWUDXHQXQG6LFKHUKHLW
:RKLQ6LHGHU:HJDXFKNQIWLJIKUHQZLUGZLUVLQGDOVYHUOlVVOLFKHU
3DUWQHUDQ,KUHU6HLWH²XQGVWHOOHQGLH$EVLFKHUXQJ,KUHUEHWULHEOLFKHQ
5LVLNHQÁlFKHQGHFNHQGLQJDQ]'HXWVFKODQGRGHUZHOWZHLWLQPHKUDOV
/lQGHUQVLFKHU8QVHUHGH]HQWUDOH6WUXNWXUJDUDQWLHUW,KQHQLQDOOHQ%HODQJHQ
NXU]H:HJHXQGGHQGLUHNWHQ'UDKW]XXQV :LUVLQGDOVRLPPHUIU6LHQDK
:LUGHQNHQZHLWHU
ZZZKGLJHUOLQJGH
LQGXVWULH
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
ARBEITSVERMITTLUNG
Der Zamalek-Pakt
Modell-Jobcenter und 5000 Ausbildungsstellen bis
Oktober: Mit einem »National Employment Pact« lassen
sich deutsche Unternehmen in Ägypten in die Pflicht
nehmen. Aber was steckt hinter diesem Beschäftigungsplan und ist er mehr als eine Geste guten Willens?
Von Rober t Chatterjee
V
on seinem Kairoer Büro aus konnte Rainer Herret Anfang Februar tagtäglich beobachten, wie sich Ägypten veränderte. So
schnell, dass er sich das eine oder andere Mal die
Augen rieb. In der Luft lag Tränengas. Schließlich
gesellte sich der Geschäftsführer der deutsche Industrie- und Handelskammer Nahost (AHK MENA) zu den Protestierenden auf dem Tahrir-Platz.
Für zenith schrieb er einen Gastkommentar mit
dem Titel »Wenn sich Leistung wieder lohnt«. Aber
wie kann man den Ägyptern Gelegenheit geben,
das auch zu beweisen? In der
deutschen Botschaft auf der Nilinsel Zamalek am 29. März traf
Herret auf Gleichgesinnte unter
den »Vertretern der deutschen
Wirtschaft«. Große politische und
soziale Projekte sind naturgegeben nicht das Betätigungsfeld ausländischer Firmen, die vor allem eines im Sinn haben: Geld verdienen. Aber die strukturellen Probleme der ägyptischen Wirtschaft und des Arbeitsmarktes, die
letztendlich die Revolution befeuerten, kannten
viele von ihnen aus eigener Erfahrung. »Wir wussten auch vorher«, so sagt Herret, »dass da etwas
grundlegend nicht stimmte.«
Die Revolution hat viele in der deutschen Business-Community nachdenklich gestimmt. »Der Privatsektor muss seiner Verantwortung gerecht werden«, fordert Naguib Sawiris, Präsident der AHK
Noch steht
Ägypten auf der
schwarzen Liste
32
BusinessReport 3/2011
MENA und einer der bekanntesten Unternehmer
Ägyptens. Ende März war die Anfangseuphorie
längst verflogen, als landesweit Streiks die ohnehin gebeutelte Wirtschaft zu erlahmen drohten.
Und so besiegelten am 29. März AHK MENA
und Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein »National Employment Pact« (NEP)
für den Partner Ägypten – eine Mischung aus Aktionsprogramm und Strukturplan, das in dieser
Form bislang einmalig ist. Der NEP versteht sich explizit als Initiative der Privatwirtschaft. Schirmherr
ist allerdings ein Staatsbeamter: der deutsche Botschafter Michael Bock. Unternehmen, Verbände
und Ministerien sollen an einem Strang ziehen –
und so auch einen positiven Präzedenzfall schaffen.
Gleich zu Beginn konnte die Initiative Schwergewichte – und mögliche Zugpferde – wie Siemens,
BASF und Mercedes-Benz für ein so genanntes »NEP
Core Team« gewinnen.
Die NEP-Strategie soll Stellen schaffen und Arbeit vermitteln – durch Jobcenter wie in Deutschland. Die GIZ soll Jobvermittler ausbilden – ein
Berufsbild, dass es in Ägypten so bislang nicht gibt.
Zwar suchen auch dort einige Headhunter nach
Führungskräften, am unteren Ende der Verdienstpyramide vermitteln Agenturen auch Wanderarbeiter. Aber für den Bereich dazwischen sind praktisch keine Strukturen vorhanden. Zumindest
keine formellen, schließlich zählten bei der Jobvermittlung in Ägypten persönliche Beziehungen,
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
familiäre Seilschaften zu Eliten in Wirtschaft, Verwaltung und – nicht zuletzt – zum Militär.
Das schlägt sich auch in der Qualität der Bewerber, und ihrer Bereitschaft sich überhaupt zu bewerben, nieder. Deutsche Unternehmer in Kairo bekommen nur selten einen brauchbaren Lebenslauf
oder ein aussagekräftiges Bewerbungsschreiben auf
den Tisch. Seit Juli nun startet die GIZ-Ausbildung
der ersten 20 Arbeitsvermittler, die in Modell-Jobcentern ägyptischen Schulabgängern, Hochschulabsolventen und Arbeitslosen bei Bewerbungen
helfen sollen.
Ein vorrangiges Problem: Der Arbeitsmarkt müsste erst einmal abgebildet werden. Das Statistikamt
veröffentlicht zwar quartalsweise Zahlen, erfasst damit aber nur einen Bruchteil der tatsächlich arbeitsfähigen Bevölkerung. Für das erste Quartal 2011
wurde eine Erwerbslosenquote von 11,9 Prozent
ausgewiesen – ein Anstieg um 3 Prozent gegenüber
Dezember 2010 und der höchste Wert seit zehn Jahren. Zieht man die Arbeitsmarktdaten des »Egypt
Human Development Report 2010« der UNDP hinzu, lässt sich erahnen, dass die Dunkelziffer höher
liegt. Da Arbeitslose in Ägypten nicht mit staatlichen
Zuwendungen rechnen können, melden sich viele gar
nicht erst als solche. Neben »erwerbslos« führen die
Behörden noch eine andere Kategorie: »nicht für
den Arbeitsmarkt verfügbar«. Unter den 18- bis 29Jährigen liegt dieser Wert bei 58,5 Prozent. Eine zentrale Datenbank muss also her, die die Lücke zwischen Arbeitsgesuch und Jobangebot schließen und
in Kooperation mit dem ägyptischen Arbeitsministerium angelegt werden soll.
Während die Modell-Jobcenter bereits ausgebildete Arbeitssuchende in Lohn und Brot bringen
sollen, steht das zweite Standbein der NEP-Initiative auf Ausbildung in Handwerk und Industrie:
Die Unternehmen aus dem »NEP Core Team« haben sich verpflichtet, bis Oktober 2011 die Zielmarke von 5000 neuen Ausbildungsstellen zu erreichen. Insgesamt verzeichnet die AHK MENA
2200 Mitgliedsfirmen, die sie nach und nach für das
NEP-Konzept gewinnen will.
Wer sich an der NEP beteiligen will, muss allerdings soziale Standards einführen: bei Arbeitsbedingungen, Gehältern und Vertragsgestaltung. Die
Parameter der sozialen Gerechtigkeit sieht Herret
als Bedingung für eine nachhaltige Wirkung der
NEP-Initiative. So könne man eine hohe Akzeptanz bei den ägyptischen Arbeitssuchenden erreichen, die der NEP anstrebt.
Bei den Unternehmen ist das Echo bisher gespalten. »Ausländische, darunter auch die deutschen, Unternehmen, produzieren meist für den
Weltmarkt«, sagt Herret. »Deswegen sind für sie
gute Produktionsbedingungen und Unternehmensführung wichtig. Sie zahlen meist ohnehin
schon besser.« Ägyptische Firmen hingegen wehrten sich noch vehement gegen Forderungen nach
Mindestlohn und Versicherungsschutz – ein Grund dafür, dass
Ägypten noch immer auf der
»schwarzen Liste« der Weltarbeitsorganisation (ILO) steht.
»Die ägyptische Business-Community sollte erkennen, dass es
in ihrem besten Interesse ist, ein
System des inklusiven Wachstums zu schaffen –
eine soziale Marktwirtschaft«, sagt Naguib Sawiris
und warnt: »Wer diese Voraussetzung für den Strukturwandel nicht akzeptiert, wird die Zukunft
verlieren.«
Das sind staatstragende Worte – allerdings hat Sawiris den familieneigenen Konzern Orascom
Telecom noch nicht auf die Rahmenbedingungen
der NEP verpflichten können. Und das ist nicht
das einzige Problem: Ministerwechsel, politische
Unsicherheit und das Fortbestehen alter Machtstrukturen in Wirtschaft und Verwaltung verlangsamen das Fortkommen und machen es
schwer, interessierte Unternehmen langfristig zu
binden. Viele haben derzeit ganz andere Sorgen.
Herret ist dennoch optimistisch: »Wir schauen
auf den Oktober. Bis dahin wollen wir 5000 Ausbildungsstellen geschaffen und etwa 300 Arbeitsvermittler geschult haben.« Sollte die NEP Erfolg
zeigen, würden auch Firmen aus anderen westlichen Ländern auf den Zug aufspringen – und
letztlich auch die ägyptischen Unternehmen. »Uns
ist klar, dass NEP kein deutsches Einzelspiel bleiben kann. Wir sehen uns als Vorreiter – und das
NEP-Konzept als Franchise.«
Erfolgsbedingung
soziale
Marktwirtschaft
BusinessReport 3/2011
33
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
BILDUNGSMARKT
Nordafrika sucht
seine Meister
Die hohe Jugendarbeitslosigkeit im Maghreb zählt zu
den Triebfedern der Unruhen des Arabischen Frühlings.
Zahlreiche Programme sollen Universitätsabsolventen
ihren Berufseinstieg erleichtern. Ausbildungsberufe
wurden zu lange vernachlässigt – obwohl durchaus
Personalbedarf besteht
Von Nils Me tzger und D aniel Ger lach
D
as Fensterglas sollte eigentlich schalldicht
sein, dennoch hört man es rauschen und
knattern. Kein Wunder, denn die Nähmaschinen der Firma MAHDCO Corseterie im tunesischen Küstenort Mahdia machen einen gewaltigen
Lärm. »Die Revolution hat das Land verändert, aber
unsere Produktion läuft ordentlich«, sagt Hamza,
der sonst eher zu bescheidenen Worten neigt.
Schließlich identifizierten sich seine rund 250 Arbeiterinnen und Arbeiter mit dem Betrieb. Während der dramatischen Tage nach dem Sturz des ExDiktators Ben Ali, als ein Gefängnisbrand mit vielen Toten und entflohenen Häftlingen die Stadt
Mahdia in Aufruhr versetzte, seien die Näherinnen
mit ihren Männern und Söhnen zur Fabrik gekommen, um sie gegen Plünderer zu schützen.
MAHDCO produziert Unterwäsche und Bikinis für europäische Dessousmarken wie Kookai,
Lejaby oder die Calida-Tochter Aubade. An den
Wänden hängen Werbeplakate mit leicht bekleideten Modellen in lasziven Posen, darunter nähen
und falten Damen mit henna-bemalten Händen
und Kopftüchern Höschen für die Herbstkollektion. Jede Stunde geht eine Vorarbeiterin mit einem dicken Filzstift an die Tafel und schreibt die
34
BusinessReport 3/2011
aktuellen Produktionserfolge an: Stückwaren, Retuschen, Fehlerquoten. Je nachdem schaltet sie dann
eine grüne, gelbe oder rote Lampe an. Um einen
Büstenhalter in betriebswirtschaftlich rentabler Zeit
so zu nähen, dass er weder aufgeht noch beim Tragen zwickt, muss man sehr fingerfertig sein – nicht
aber unbedingt Textilwirtschaft studiert haben.
»Um die Ausbildung von Facharbeiterinnen müssen wir Unternehmer uns selbst kümmern und uns
in Zukunft viel besser organisieren«, sagt Hamza,
der 1992 einen Staatskredit aufnahm und seine erste Fabrikhalle aufbaute – gemeinsam mit einem
französischen Partner. Ihm selbst gehören heute 80
Prozent der Anteile am Unternehmen. Das Design
und die Aufträge kommen aus Europa – vor einigen Jahren baute Hamza unter dem Markennamen
Mia Kara seine eigene tunesische Linie auf. »Der
Zeitpunkt war allerdings etwas ungünstig: Als wir
an den Markt gingen, legte die Weltfinanzkrise 2008
die Exportwirtschaft lahm«, sagt er.
Dennoch: MAHDCO kann als Erfolgsgeschichte gelten. Hamza ist nicht nur stolz auf die Qualität
seiner Ware, sondern auch darauf, dass er seinen Arbeiterinnen einen Tariflohn von mindestens 300
Euro im Monat zahlt. Das liegt über den Lohnkos-
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
Foto: dge
Die Firma MAHDCO in der tunesischen
Hafenstadt Mahdia produziert Dessous für
europäische Designermarken.
Korn, weil sie ausreichend qualifizierte Facharbeiter und Handwerker noch immer aus
der Heimat einfliegen müssen. Das ist keine
unmittelbare Folge der politischen Verhältnisse, aber es fällt bei der Abwägung allgemeiner Risiken, Erträge und Kosten nun stärker ins Gewicht.
Gleichzeitig schwankt die Jugendarbeitslosigkeit in der Region laut einer Studie der
»European Training Foundation« aus diesem
Jahr zwischen 15 und 39 Prozent. Während in
Ägypten die Berufsbildung 61 Prozent des
höheren sekundären Bildungswesens einnimmt, sind es in Marokko lediglich 5 Prozent, in Algerien gerade einmal 0,8 Prozent.
Auch kommen in Algerien 20,2 Schüler auf einen Ausbilder – Ägypten erreicht hier immerhin einen Wert von 12,4.
Die Konten
der Diktatoren
Zine El Abidine Ben Ali,
Tunesien
»Es gibt zu viele
Akademiker«
ten in China, macht den Produktionsstandort Tunesien aber noch immer konkurrenzfähig – zumal die Nähe zu Europa es erleichtert, kurzfristige Bestellungen zu bedienen.
Müsste die Firma nicht zahlreiche Komponenten wie Spitzen, Gummizüge oder BHVerschlüsse aus Europa importieren, könnte
sie noch schneller auf die Wünsche der Kunden reagieren. Auch die Arbeit höher qualifizierter Fachkräfte – am Ende sogar das Design – könnte einmal in Tunesien erledigt
werden. »Wir haben hier keine Rohstoffe, unser Kapital muss in die Ausbildung von Menschen fließen«, sagt der Fabrikbesitzer: Das
nennt man wohl »in die Demokratie investieren«.
Das Feuer der Revolution, das von Tunesien ausging, wirft derzeit nicht nur Licht,
sondern auch Schatten auf die Wirtschaft in
Nordafrika. Während die marokkanische Hafenstadt Tanger freudig der Eröffnung einer
neuen Autofabrik der Hersteller Nissan und
Renault im Jahr 2014 entgegenblickt, werfen
in manch anderen nordafrikanischen Staaten
europäische Firmen frustriert die Flinte ins
Auch deutsche Ausbildungsunternehmen mit
Projekten in der Region bestätigen diese großen Qualitätsunterschiede. Die Lucas Nülle
GmbH liefert Ausbildungsgeräte insbesondere für Messtechniker an Trainingszentren weltweit. Manfred Masson, Verkaufsleiter für
Nordafrika, beklagt dabei insbesondere die
Unterfinanzierung des beruflichen Bildungssektors: »Zuletzt wurde in Tunesien vor 15
Jahren ausreichend investiert. Die Lehrkräfte dort sind sehr gut, die Arbeitsgeräte aber
nur mangelhaft.« Auch von politischen Veränderungen erhofft er sich nicht viel. »Die
Umbrüche werden keinen positiven Effekt
haben. Stattdessen werden sich europäische
Unternehmen mehr und mehr zurückziehen«,
sagt Masson im Gespräch mit zenith.
Nader Imani, verantwortlich für das Auslandsgeschäft beim Qualifizierungsanbieter
Festo Didactic, wirft manchen Staaten Nordafrikas eine verfehlte Bildungspolitik vor. »Die
berufliche Bildung Tunesiens wird, verglichen
mit der akademischen, nur wenig gefördert.
Außer europäischen Hilfsgeldern wird nichts
Im Vergleich zu seinen
Diktatorenkollegen ist Ben
Ali ein kleiner Fisch. Sein
persönliches Vermögen wird
auf 7,7 Milliarden US-Dollar geschätzt. Seine Familie
und die seiner Frau Leila
Trabelsi sollen aber immerhin 30 bis 40 Prozent der
tunesischen Wirtschaft kontrolliert haben, auch den
Handel mit vielen
europäischen Unternehmen.
75 Millionen Dollar Vermögen von Ben Ali und Co
sperrte die Schweiz im Mai,
darunter nicht nur Geld,
sondern auch Immobilienvermögen. Eine Entscheidung, was mit dem Geld geschehen soll, steht aus.
Die Anteile an Telekommunikationsfirmen werden
vermutlich verstaatlich und
danach versteigert.
>>
BusinessReport 3/2011
35
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
Foto: dge
investiert und der Bedarf der Wirtschaft ist wie in allen anderen
nordafrikanischen Staaten nicht gedeckt.« Es gebe schlicht »zu viele
Akademiker«, sagt Imani. Der beruflichen Bildung müsse man wieder ein Prestige geben. Am besten
ausgebaut sei Marokko: Hier habe
Festo Didactic zusammen mit der
staatlichen Behörde für Berufsbildung seit 1992 rund 18 000 Jugendliche in verschiedenen Technikerberufen ausgebildet. Dabei habe man auch gemerkt, dass sich
viele lokale Arbeitgeber nur schwer
in die staatlichen Ausbildungsprogramme eingliederten.
Desolat hingegen ist die Lage in
Algerien. Der bevölkerungsreichste
Adnene Hamza ist Mitinhaber
Maghreb-Staat habe es bislang nicht
und Geschäftsführer des Kosetteriegeschafft, eine landesweit einheitlibetriebs. Er nutzte die
che Berufsbildung aufzubauen. »Wir
Chancen eines Staatskredits.
wollten mit Algerien kooperieren,
aber ohne Bestechung kommt man
nicht weit«, bedauert Imani. Das
Land sei isoliert und ohne politische Veränderung
könne keine Besserung erwartet werden.
Nokia Siemens Networks unterhält in Tunis seit
2007 ein bedeutendes Trainings- und Service-
zentrum. Kundenanfragen aus dem gesamten französischsprachigen Afrika werden hier bearbeitet.
Von den politischen Unruhen sei man ȟberrascht
gewesen«, berichtet Afrika-Verkaufsleiter Houssem
Ben Othman. In Tunesien könne die politische Veränderung aber Besserung bewirken: In den letzten
Jahren ist Tunesien bei der Verbreitung moderner
Internetanschlüsse zurückgefallen. Da diese Hightech-Branche aber inzwischen zu einem der wichtigsten Arbeitgeber geworden sei, erhoffe man sich
von der aktuellen Regierung wichtige Reformen
und Investitionen.
Pragmatisch blickt auch die deutsche Außenhandelskammer in Tunis in die Zukunft. Seit Juni
2011 werden hier in Kooperation mit dem GoetheInstitut sechsmonatige Deutschkurse für bis zu 40
junge Arbeitnehmer angeboten – anschließend sollen sie über eine Jobbörse an lokale Unternehmen
vermittelt werden. Für AHK-Mitarbeiterin Martina Schubert ist dieses Projekt »einer der Auswege
aus der Misere der Jugendarbeitslosigkeit«. Deutsche Unternehmen hätten sich mehrfach gewünscht,
vor Ort deutlich mehr Angestellte mit Deutschkenntnissen beschäftigen zu können. Kritisiert
werde auch, dass das Auswendiglernen noch immer den Lehrbetrieb dominiert. Doch vielleicht gewinnt das eigenständige Handeln durch die Revolution auch in der beruflichen Bildung zukünftig Anerkennung.
Ausgewählte Wirtschaftsdaten Tunesien
Bruttoinlandsprodukt
in Milliarden US-Dollar
Entwicklung und Prognosen zur Leistungsbilanz in Prozent vom BIP
2008
2009
2010(1
2011(1
2012(1
Handelsbilanz
-8,9
-8,5
-10,9
-12,4
-11,6
Export von Gütern
42,7
33,1
33,7
33,4
33,6
Import von Gütern
51,7
41,6
44,6
45,8
45,3
Dienstleistungsbilanz
5,9
5,8
6,3
4,8
6,1
Faktoreinkommen
-1,2
-0,7
-0,6
-0,6
-0,6
Währungstransfers
0,5
0,5
0,6
0,7
0,6
Leistungsbilanz
-3,8
-2,8
-4,7
-7,6
-5,6
2007
2008
2009
2010(1
2011(1
2012(1
38,9
44,9
43,5
44,3
46,6
49,0
Veränderung im Vergleich zum Vorjahr in Prozent
6,3
Quelle: Tunesische Zentralbank. (1 Schätzungen
36
BusinessReport 3/2011
4,5
Quelle: IWF. (1 Schätzungen
3,1
3,7
1,3
5,6
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
KONZESSIONEN
Foto: www.imtwelve.com
Sturm über
dem
Elefantenfeld
Ausländischen Industriekonzernen kam der Aufstand
in Libyen eher ungelegen,
denn das Geschäft mit Staatsprojekten boomte. Was nun
aus den Verträgen wird?
Unter den Großen herrscht das
Motto: Verluste abschreiben
und im Business blieben
Bei Ras Lanuf, einem der wichtigen
Ölstandorte Libyens, brennen im März die
Raffinerien. Dreimal wechselten
die Anlagen im Bürgerkrieg den Besatzer.
Von Alex ander von Hahn
A
ls die ersten ausländischen Journalisten im
Februar 2011 die Front zwischen den libyschen Rebellen und Gaddafis Truppen sahen, wunderten sie sich über den Anblick einer nagelneuen Geisterstadt in der Nähe der Ölraffinerie
von Ras Lanuf. Die Siedlung – von Bombardements
weitgehend unbeschädigt – war wenige Wochen
zuvor fertiggestellt worden: Hunderte Arbeiter und
Ingenieure sollten dort Quartier beziehen, um Eisenbahnschienen zu verlegen. Im Februar 2008 hatte die Gaddafi-Regierung die staatliche russische
Eisenbahngesellschaft RZD zum Bau einer 550 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Sirte und Benghazi verpflichtet – mit 30 Eisenbahn- und 23 Straßenüberführungen sowie 23
Haltestellen für Fracht und Passagiere. Gesamtkosten: rund 2,2 Milliarden US-Dollar. In Ras Lanuf
sollte ein Schweißwerk mit einer jährlichen Produktionskapazität von 700 Schienenkilometern den
Betrieb aufnehmen.
Natürlich hat RZD seine Mitarbeiter längst abgezogen. »Wir unterhalten derzeit noch ein Verbindungsbüro in Tripolis, haben aber keinen Kontakt mehr zur Regierung«, sagte Mitte August ein
Unternehmenssprecher im Gespräch mit zenith,
»jetzt können wir nur hoffen, dass das ganze
Equipment heil bleibt – vor allem die 200 Fahrzeuge, die wir in den letzten zwei Jahren nach Libyen geschafft haben.«
Der Aufstand machte vielen internationalen
Konzernen einen Strich durch die Rechnung –
das große Geschäft lässt auf sich warten und hohe Investitionssummen, die auf Verträgen mit
dem alten Regime beruhen, stehen auf dem Spiel.
2009 hatte Tripolis einen Vierjahresplan verkündet: 100 Milliarden Dollar sollten in die Verkehrsinfrastruktur investiert werden. Im Juni 2010
folgte das nächste Programm: 52 Milliarden für
Immobilienbauten. Laut einer Studie des britischen Wirtschaftsdienstes UKTI galt Libyen als
>>
BusinessReport 3/2011
37
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
Die Konten
der Diktatoren
Muammar al-Gaddafi,
Libyen
Aus von Wikileaks veröffentlichten Dokumenten geht
hervor, dass das US State
Department das Vermögen
des Gaddafi-Clans auf 120
Milliarden US-Dollar
schätzt. Zum Besitz der
Gaddafis im Großbritannien
gehören Immobilien im
Londoner Theater- und
Shopping-Distrikt West End
(455 Millionen Dollar) und
Anteile an der Verlagsgruppe
Pearson (325 Millionen
Dollar), die unter anderem
die Financial Times und
Penguin Books besitzt.
Im März bereits beschlagnahmten die USA 31 Milliarden, Kanada 2,4 Milliarden, Österreich 1,7 und
Großbritannien 1 Milliarde
Dollar. Von den in Deutschland eingefrorenen 7 Milliarden Euro wurden noch vor
dem Ende Gaddafis 100
Millionen dem Übergangsrat
der libyschen Rebellen wieder zur Verfügung gestellt.
38
BusinessReport 3/2011
»potenziell viertbester Überseemarkt für britische Exporte in den Jahren 2012 bis 2014.«
Nicht nur britische Firmen wie der BauConsulter Hill International kamen ins Land.
Auch die österreichische Strabag, Odebrecht
aus Brasilien, Arab Contractors aus Ägypten
und die kanadische SNC-Lavalin führten die
Liste der Auftragnehmer an.
Der Bürgerkrieg hat deren Arbeit zum Erliegen gebracht – nicht zuletzt, weil die Gastarbeiter aus Ägypten, Bangladesch und den
Sahelstaaten aus dem Land geflohen sind. »Es
war nie einfach, in Libyen zu arbeiten«, sagt ein
britischer Bauingenieur, der Anfang März in
die Heimat zurückgekehrt ist. »Ich hoffe, das
ist alles schnell vorbei und eine neue Regierung
übernimmt die Macht, dann können wir
weitermachen und unser Büro vergrößern.«
Weitermachen, das scheint für viele ausländische Konzerne nur eine Frage der Zeit zu
sein. Sie wissen: Libyen braucht ihre Leistung
und hat genug Öl, um dafür zu bezahlen. Das
Problem: Diese Voraussetzung bot auch der
Irak nach dem Sturz Saddam Husseins 2003.
Und dort kamen die Dinge bekanntlich anders als erhofft.
Weitermachen
ist nur
eine Frage
der Zeit
Der russische Energieriese Gazprom hatte
gute Karten in Libyen und einige Konzessionen: darunter die lukrativen OffshoreGasförderblöcke 19 und 64. Durch einen
Aktientausch mit der deutschen BASF im
Dezember 2007 erwarb Gazprom auch 49
Prozent der Anteile an zwei weiteren bedeutenden Konzessionen.
Nur wenige Tage vor Beginn des Aufstands
in Benghazi im Februar unterzeichnete Zarubezhgeologica B.V., die Öl-Tochter von Gazprom, mit der italienischen Mineralölfirma
Eni für 163 Millionen Dollar die Übernahme
einer 33-prozentigen Beteiligung im so genannten Elefantenfeld 800 Kilometer südlich
von Tripolis. Im Mai übernahmen die Rebellen die Kontrolle über das lukrative Ölfeld.
Im Namen von Zarubezhgeologica, das
in Nordafrika aktiv ist, bestätigt Unternehmenssprecher Ivan Gogolev dass die Arbeit
eingestellt sei, bis sich die politische Lage klärt.
»Wir fördern Öl und Gas und mischen uns
nicht in Politik ein«, sagt Gogolev gegenüber
zenith, »deshalb warten wir, bis die Libyer die
Sache unter sich ausgemacht haben.«
Wann die Förderung in Libyen nach dem
Ende des Bürgerkrieges weiter gehen könnte,
dazu haben die ausländischen Konzerne sehr
verschiedene Prognosen – wenn sie sich überhaupt festlegen wollen. Eigentlich könne man
die Situation nur beobachten und versuchen,
sich so gut es geht auch um die libyschen Mitarbeiter zu kümmern, teilte Rainer Seele, Vorstandschef der deutschen BASF-Tochter Wintershall, vor kurzem mit. Wintershall ist Gazprom-Partner im »Elefantenfeld«.
Vor Ausbruch des Krieges produzierte
Libyen rund 1,55 Millionen Fass Rohöl täglich. Die Produktion könne in maximal zwei
bis drei Wochen nach Beendigung des Krieges wieder aufgenommen werden, so zitierte Energiewirtschaftsdienst Argus Media
kürzlich den Finanzminister des Nationalen Übergangsrates der Rebellen, Ali Tarhouni. Zumindest 50 Prozent könnten so
kurzfristig nach dem Sturz Gaddafis erreicht
werden.
Wintershall-Sprecher Stephan Neu bestätigt diese Einschätzung für zenith: Sofern
die Ausrüstung nicht beschädigt sei, könne
man sogar innerhalb einer Woche wieder Öl
pumpen. Die spanische Repsol, die gemeinsam mit dem Total-Konzern und der österreichischen OMV im »Sharara«-Feld bohrt,
rechnet indes laut Argus Media mit vier Wochen bis zum Produktionsbeginn. Das Feld
lieferte zuvor 350000 Barrel pro Tag. Spanien
deckte bislang rund sieben Prozent seines
Verbrauches mit libyschem Öl.
Am schwersten hat es offenbar die italienische Eni getroffen. Aus dem Konzern
heißt es, dass es bis zu zwölf Monate dau-
R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N
ern könne, bis die Produktion wieder anläuft.
Derartige Äußerungen haben in der jetzigen Lage aber auch eine strategische Dimension – Eni
galt als besonders eng verbandelt mit dem GaddafiRegime.
Ob Investoren sich bei Verlusten an Material
und Geld auf Investitionsschutzabkommen berufen können, ist fraglich. Klar hingegen: Nach dem
Regimewechsel ist es womöglich schwer zu beweisen, wer für die Zerstörungen verantwortlich ist –
Gaddafis Truppen oder die Rebellen; Staatsvertreter oder Einzelpersonen, vor denen der Staat die Anlagen nicht schützen könnte. Libyen hat insgesamt
30 bilaterale Handelsabkommen unterzeichnet, 17
davon sind in Kraft: unter anderem mit Österreich,
Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien
und Russland.
Schon jetzt haben viele den Schaden abgeschrieben. »Unser Kunde schaut nicht auf Schadensersatz, sondern will vor allem weiter im
Libyengeschäft bleiben und sich dort womöglich
ausdehnen«, sagt der Anwalt eines großen Immobilienentwicklers mit Sitz in Malta.
Und was wird aus den Investitionen Libyens in Europa? Diese Frage stellen sich derzeit vor allem die Italiener. In den vergangenen zehn Jahren hat die libysche Auslandsinvestitionsagentur LAFICO Anteile an
»Jetzt können wir
nur hoffen,
dass das Material
heil bleibt«
Fiat und der Rüstungsfirma Finmeccanica erworben. Libyen pumpte 360
Millionen Dollar in den Ölgiganten
Eni und besitzt zwei Raffinerien in Neapel und Cremona. Nicht zu vergessen
die 7,5 Prozent Anteile am Fußballverein Juventus Turin.
In Großbritannien kaufte LAFICO vor allem Immobilien: für insgesamt acht Milliarden Dollar, wie die Fondsgesellschaft 2010 verkündet hatte. Der britischen Regierung, die durch
Verkauf von Immobilien den Staatshaushalt ausgleichen wollte, kam das nicht eben ungelegen. Den
Banken Goldmann Sachs, Royal Bank of Scotland
und HSBC vertraute Gaddafi mehrere hundert
Millionen seiner Staatsgelder an.
Und auch in Deutschland hat der libysche
»Volksstaat« noch Besitz: Insgesamt 400 Tankstellen und die Holborn-Raffinerie in Hamburg,
die zur Tamoil-Gruppe gehören – mit einem Jahresumsatz von 1,6 Milliarden Euro. Wem diese
Anteile nun eigentlich gehören? Bislang waren
Gaddafi und das Volk sozusagen ein und derselbe Eigentümer. Privates und staatliches Eigentum
zu trennen, wird die vordringlichste Aufgabe
gleich welcher Regierung sein, die fortan Libyens
Geschicke lenkt.
Ausgewählte Wirtschaftsdaten Libyen
Bruttoinlandsprodukt
in Milliarden US-Dollar
Entwicklung und Prognosen zur Leistungsbilanz in Prozent vom BIP
2008
2009
2010(1
2011(1
2012(1
Handelsbilanz
50,6
25,6
32,9
18,0
25,9
Export von Gütern
77,7
62,8
67,6
58,5
63,3
Import von Gütern
27,1
37,2
34,7
40,5
37,4
Dienstleistungsbilanz
-3,1
-5,5
-3,1
-3,2
-2,8
Faktoreinkommen
0,9
1,0
0,4
1,0
1,2
-1,3
-2,6
-1,8
-2,0
-1,6
47,0
18,5
28,4
13,7
22,7
Währungstransfers
Leistungsbilanz
2007
2008
2009
2010(1
2011(1
2012(1
71,6
88,9
60,2
74,2
60,1
69,8
Veränderung im Vergleich zum Vorjahr in Prozent
7,5
Quelle: Central Bank of Libya. (1 Schätzungen
2,3
-2,3
4,2
-19,0
16,0
Quelle: IWF. (1 Schätzungen
BusinessReport 3/2011
39
TÜRKEI
Foto: Hadiye Cangokce
»Istanbul Wall Painting«
von Jerry Ceniuk: In den
Chef-Etagen hängen schon jetzt
Kunstwerke zur Besichtigung –
wochenends müssen die Manager
dafür ihre Schreibtische
aufräumen.
MÄZENE
Tulpen, Stahl
und Hindemith
Istanbuls Industrielle fahren gut mit der
Regierungspartei AKP, auch wenn sie
mit deren provinziellem Kulturverständnis
nichts anfangen können. Sie gründen
deshalb selbst Museen und Orchester,
wie das Beispiel der Borusan-Gruppe zeigt
Von Sonj a He gasy
40
BusinessReport 3/2011
TÜRKEI
Foto: Wer????
Foto: Borusan
17
Millionen Türkische Lira –
rund 8 Millionen Euro – gibt
Istanbul jährlich für 17 Millionen Tulpen aus, um das Stadtbild zu verschönern. Annähernd die gleiche Summe
investiert die Borusan Holding dort in
Kunst und Kultur. Sie finanziert ein philharmonisches Orchester unter Leitung des
österreichischen Dirigenten Sascha Goetzel, Kinderbibliotheken, das MusicHouse
und in Zukunft wohl auch ein Museum
für die private Kunstsammlung von Ahmet Kocabiyik. Die Borusan Holding ist
einer der größten Industriekonzerne im
Land. Ahmets Vater, Asim Kocabiyik,
gründete das Unternehmen 1944. Er
brachte es »vom Obstverkäufer zum Millionär« und rief 1992 die Stiftung Borusan
Kocabiyik ins Leben. Fünf Jahre später
folgte das Borusan Center for Culture and
Arts (BCCA), das Musikstipendien vergibt, einen Kinderchor fördert und einen
Dirigent Sascha Goetzel
mit dem Borusan Istanbul
Philharmonic Orchestra.
eigenen Kunstverlag betreibt. Seit 2006 ist
der Konzern Hauptsponsor des International Istanbul Music Festivals.
»Aus der Staatsschatulle gibt es keinen
Cent für klassische Musik«, sagt Serhan
Bali, Chefredakteur von Andante, einem
Partner von BMW,
EnBW und
Mannesmann
türkischen Magazin für klassische Musik.
Umso wichtiger sei es, dass die Industriellenfamilien wie die Kocabiyiks, die
Eczacibasi oder die Kocs einspringen. Borusan setzte 2010 rund 3,5 Milliarden USDollar um. Die Holding verfügt über zehn
Sparten, darunter Logistik, Energie und
Telekommunikation. Borusan ist JointVenture-Partner des Stahlriesen Salzgitter >>
BusinessReport 3/2011
41
TÜRKEI
Foto: Borusan
Musik aus
schweren
Nadeldruckern
Ahmet Kocabiyik erbte ein
Imperium und sammelt Kunst,
die er anderen gerne zeigt.
42
BusinessReport 3/2011
Mannesmann, des Energieversorgers
EnBW und von BMW.
Das BCCA vermeidet es, mit Orient,
Islam oder Tradition in Verbindung gebracht zu werden. Nur Dirigent Goetzel
lässt stolz die traditionellen türkischen Instrumente streichen und hebt orientalische Rhythmen und Klangfarben hervor.
Unter Erdogan hat die AKP seit ihrer
Regierungsübernahme nicht an erster Stelle auf eine Islamisierung der Türkei hingewirkt, sondern eine wirtschaftsliberale
Politik betrieben. Wenn man die Kaufkraftparität zu Grunde legt, so erwirtschaftet die Türkei heute ein Bruttoinlandsprodukt von 12 500 Dollar pro
Einwohner. Auch wer nicht mit der Kulturpolitik der AKP einverstanden ist, muss
das anerkennen. Die Industriellenfamilien sind gut mit Erdogan gefahren. Nur
sollte die Partei keine Zweidrittelmehrheit erhalten und womöglich eine Verfassungsänderung im Alleingang durchsetzen können – schließlich erhielt die AKP
nur knapp 50 Prozent der Sitze.
Während samstagvormittags Väter und
Söhne durch die geräumige BMW-Verkaufssaustellung schlendern, nimmt auf
dem Dach das Orchester von Borusan eine CD auf. Komplett besetzt zählt das Orchester 92 Mitglieder. Unter Sascha Goetzel spielt es Musik des 20. Jahrhundert
ein, die im Nationalsozialismus als entartet galt – von Béla Bartók, Paul Hindemith oder Erwin Schulhoff. Hindemith
kam 1936 in die Türkei und half bei der
Gründung des Staatskonservatoriums in
Ankara.
Die Türkei ist auf dem Weg nach Europa und macht es sich nicht leicht – auch
das könnte man aus Borusans Engagement lesen. Man möchte in allem glänzen, und innerhalb der nächsten zehn Jah-
re soll das Orchester zu den besten Europas gehören.
Nun will Ahmet Kocabiyik den Hauptsitz seines Unternehmens in ein Museum
umwandeln: In Zukunft müssen rund 80
Manager ihre Schreibtische am Freitagnachmittag aufräumen und wichtige Korrespondenz wegschließen, damit Besucher
dort Kunstwerke bewundern können. Jetzt
liegt im Chefbüro noch die Anfrage eines
südkoreanischen Stahlunternehmens zuoberst auf dem Stapel – daneben ein knallgelbes Notizbuch mit dem Titel »Artists I
met and liked«. Die Sammlung soll im
Herbst 2011 zur Istanbul Biennale eröffnet werden.
Das MusicHouse der Borusan-Stiftung
zeigt derzeit eine Ausstellung unter
dem Titel »Matter-Light«, kuratiert von
Richard Castelli. Das deutsche Duo
Joachim Sauter und Dirk Lüsebrink von
»ART+COM« zeigt die Filmskulptur »Invisible Shades of Things Past«. Die bereits
preisgekrönte Klanginstallation »Quartet
for dot matrix printers« des Künstlerkollektivs »[The User]«, wird hier ebenfalls
gezeigt. Zu hören sind vier schwergewichtige Nadeldrucker. Man fühlt sich in
eine längst vergangene Bürowelt zurückversetzt, hört aber auch den Rhythmus eines Musikinstrumentes heraus. Arbeit,
Moderne, helles Licht, grelle Farben, wilder Takt – das sind die Elemente aus denen Ahmet Kocabiyik das Werk seiner Stiftung zusammensetzen will.
Sonja Hegasy ist stellvertretende
Direktorin des Zentrums Moderner Orient
in Berlin.
NGlobal, Wirtschaftsförderungsgesellschaft des
Landes Niedersachsen.
Ansiedlung
Außenwirtschaft
Standortmarketing
Ihre erste Adresse in Niedersachsen!
Niedersachsen Global GmbH
T ++49 511 89 70 39 -0
·
·
Osterstraße 60
F ++49 511 89 70 39 -69
·
D-30159 Hannover - Germany
·
[email protected]
· www.nglobal.de
TÜRKEI
SALES
Digitaler
Kaufrausch
E-Commerce boomt in der Türkei wie in
kaum einem anderen Land weltweit.
Inzwischen werden internationale Investoren
auf diese Branche aufmerksam, die ihr
Potenzial noch lange nicht erschöpft hat.
Jeden Monat drängen neue Unternehmen
Von Nils Me tzger
auf den Markt
»
Etohum« nennt sich selbst einen
»Startup Venture Capital Catalyzer«.
Tatsächlich aber ist diese Webplattform eine Kaderschmiede: 2008 haben sich
im zugehörigen Fonds 19 Unternehmen
der türkischen Netzbranche zusammengetan, um vielversprechenden Nachwuchs
heranzuziehen. Seitdem werden jedes Jahr
aus hunderten Bewerbern die 15 vielversprechendsten Internet-Startups ausgewählt, die anschließend in Seminaren auf
Erfolg getrimmt werden. Überzeugt ihr
Geschäftsmodell, finden sie anschließend
solvente Investoren, die dem Projekt zum
großen Durchbruch verhelfen. Neben einer Alumni-Plattform für Ingenieursstudenten und einem Social Game befinden
sich auch in diesem Jahr wieder mehrere
E-Commerce-Angebote unter den Nominierten – schließlich kann kaum eine andere Branche auf solche Wachstumszahlen
im türkischen Markt blicken. Die inzwischen rund 35 Millionen türkischen Internetnutzer generierten laut einer Studie der
in Istanbul ansässigen BKM Bank im Jahr
2010 rund 16,3 Milliarden US-Dollar Umsatz für digitale Warenanbieter und Dienst-
44
BusinessReport 3/2011
leister. Das ist ein Plus von 325 Prozent
gegenüber dem Wert von 2006.
Mit in der Jury von Etohum sitzt Sina
Afra, der seinen früheren Arbeitgeber
GittiGidiyor, die türkische eBay-Tochter,
im Frühjahr 2010 verließ und sich dem
aufstrebenden Shopping-Portal markafoni
als CEO anschloss. Im Unterschied zu den
Das Portal
Groupon
wird geklont
meisten Versandhäusern wird hier lediglich stark reduzierte Markenkleidung angeboten. Ein Geschäftsmodell, das zwar
zunächst einiges an Überzeugungsarbeit
bei den Lieferanten bedurfte, sich aber
mehr und mehr durchsetzt. »Insbesondere Frauen haben durch uns zum ersten
Mal das Onlineshopping entdeckt«, beschreibt Afra den Erfolg seines Unternehmens gegenüber zenith. Schon 2008 hatte man mehr als eine Million registrierter
Kunden und gegenwärtig verzeichnet
markafoni 200000 Einkäufe im Monat eigenen Angaben zufolge.
»Die erste Million Mitglieder haben wir
nur viral bekommen – ohne MarketingAusgaben«, sagt Afra. Inzwischen setzt sein
Unternehmen aber auch verstärkt auf soziale Medien und plant, bis Ende 2011 mindestens 250000 Facebook-Kontakte werbetechnisch nutzen zu können. »Shopping
Clubs sind bedarfserweckend, nicht bedarfsdeckend wie beispielsweise Amazon.«
Dadurch bekämen Impulskäufe eine zentrale Bedeutung – insbesondere da die formulierte Zielgruppe »einkommensstark,
weiblich, urban und zwischen 25 und 35
Jahre alt« ist. Mit gegenwärtig 3,5 Millionen Kundenprofilen zählt markafoni inzwischen zu den wichtigsten Marktteilnehmern.
Belohnt wurde der Erfolg der Firma Anfang Juli, als der südafrikanische Medienkonzern Naspers mit 70 Prozent bei dem
türkischen Designershop einstieg. Medienberichten zufolge bezifferte der Investor
den Gesamtwert des Unternehmens auf 200
Millionen Dollar. »Wir haben einen der
größten Deals der türkischen Internetgeschichte abgeschlossen. Darauf sind wir
enorm stolz«, so Afra. Man hätte auch komplett an die Südafrikaner verkaufen können, jedoch »macht es gerade so viel Spaß,
dass wir die nächsten Jahre noch dabei bleiben wollen«. Inzwischen versucht Markafoni auch in Australien, Russland und der
Ukraine Fuß zu fassen. In der Türkei selbst
erwirtschaftet das Tochterunternehmen
grupfoni, eine Kopie des bekannten Schnäppchenportals Groupon, inzwischen ebenfalls
zwischen 25 und 30 Millionen Dollar jährlich. Und auch hier gibt es dem renommierten Blog Techcrunch zufolge Übernahmegerüchte: Es ist die Rede von 50
Millionen Dollar, die der US-amerikanische Konkurrent LivingSocial für grupfoni
geboten haben soll.
Es wäre ein logischer Schritt. Während
zwar der Gebrauchtwarenmarktplatz Sa-
TÜRKEI
hibinden und das Auktionshaus Gittigidiyor einen Großteil des Branchenumsatzes für sich vereinnahmen, gewinnen
Rabattportale mit lokaler Anpassung des
Angebots rasant an Bedeutung. »Groupon-Klone gehören aktuell zu den attraktivsten Geschäftsmodellen«, berichtet Efe
Aras, Manager beim E-Marketing-Entwickler Visilabs in Istanbul. Während der
Markt für Versandhäuser bereits erschlossen wurde, sei das im Rabattgeschäft noch
nicht der Fall. »Es existieren hier mehr als
100 Unternehmen, von denen nur zwei bis
drei das Ende des Jahres erleben werden«,
so Aras gegenüber zenith.
Gleichzeitig strömten auch immer mehr
bestehende Einzelhändler und Dienstleister
ins Internet, was erstmals einen Bedarf
für professionelles Internet-Marketing
schafft. »Bislang ist die Professionalität,
was Zielgruppenanalyse und Targeting an-
geht, noch sehr gering«, so Aras. Seine Betriebsgründung Visilabs ging aus einem
Universitätsprojekt hervor und ist auch
heute noch in einem so genannten »Teknopark« nahe der Bosporus-Universität
in Istanbul beheimatet. »Fast alle Hochschulen unterhalten inzwischen solche
Einrichtungen für Startups. Der große
Vorteil ist, dass man dort von der Einkommenssteuer befreit ist.«
Marktanalysten erwarten für das Jahr
2011 sogar noch ein rasanteres Wachstum
als zuvor, was die Zahlen für die erste Jahreshälfte deutlich belegen: 10,6 Milliarden
Dollar wurden bislang erwirtschaftet. Ausschlaggebend waren laut einer Studie der
Wirtschaftskanzlei Kolcuoglu Demirkan
umfangreiche Rechtsreformen. So ist der
Einsatz der Kreditkartenverschlüsselung
»3-D Secure« seit Januar 2011 Pflicht für
jede digitale Geschäftsabwicklung. Da Kre-
ditkarten in der Türkei eine deutlich höhere Verbreitung besitzen als beispielsweise in Deutschland sind sie bevorzugtes Zahlungsmittel.
Gleichzeitig bereitet die türkische Regierung aktuell mehrere Gesetzestexte zum
Verbraucherschutz im Internet vor – der
Vertrauensgewinn in Onlineshops wird
deren Umsatz deutlich steigern, so das Fazit der Rechtsstudie.
Eine Vorahnung auf das Kommende
malt Unternehmer Sina Afra in seinem eigenen Blog aus: »Gegenwärtig geben nur
etwa sechs bis neun Millionen der türkischen Nutzer Geld im Internet aus« – was
rund einem Viertel der User entspricht.
»In Deutschland oder Großbritannien
liegt dieser Wert bei 60 Prozent. Was passiert, wenn wir diesen Wert in wenigen
Jahren erreicht haben? Rechnet es doch
einfach aus!«
www.renex-expo.com
ECO
Renewable Energy Technologies, Energy Efficiency and Insulation Exhibition
OCTOBER 20-23, 2011
ISTANBUL EXPO CENTER - CNR EXPO / TURKEY
Organizer
International Sales
Tel : +90 212 290 33 33
Fax : +90 212 290 33 32
e-mail : [email protected]
www.renex-expo.com
Supported By
Tel : +49 511 89 31158 / 31151
Fax : +49 511 89 39681
e-mail : [email protected]
[email protected]
Media Sponsor
THIS FAIR IS ORGANIZED WITH THE PERMISSION OF THE UNION OF CHAMBERS AND COMMODITY EXCHANGES OF TURKEY IN ACCORDANCE WITH THE LAW NUMBER 5174.
GOLFREPORT
TOURISMUS
ie Fahrt auf die Palmeninsel hat
etwas von einer Reise in eine ungewisse Zukunft. »Wird 2011 eröffnet«, verheißen noch immer die Schilder an zwei der vier Stationen, über die die
Einschienenbahn Besucher auf die »Palm
Jumeirah« bugsiert. Nur an der Endstation
spucken die Wagen ihre Besucher aus, damit sie sich im Wasser-Freizeitpark »Aquaventure« vergnügen können. Der liegt auf
dem Gelände des Luxus-Hotels »Atlantis
The Palm«, das, mit seinem zwei Einfamilienhäuser hohen Spitzbogen im Mittelpunkt des Gebäudes, von einer etwas kitschigen Vision eines touristentauglichen
Orients kündet.
Dass die meisten übrigen Hotel-Projekte
auf der künstlichen Insel bis heute auf ihre
Fertigstellung warten, sagt mehr als viele
Zahlen darüber aus, wie sehr Dubai noch
immer mit den Spätfolgen seiner BeinahePleite 2009 kämpft. Ursprünglich sollten es
einmal 30 Fünf-Sterne-Häuser mit zusammen 14000 Zimmern werden; mittlerweile
hat neben dem »Atlantis« immerhin ein
zweites Hotel eröffnet.
Für ein Emirat, das knapp ein Fünftel
seines Bruttoinlandsprodukts mit dem
Tourismus erwirtschaftet, sind solche
Rückschläge keine Kleinigkeit. Dubai hat
lernen müssen, dass Wachstum kein
Selbstläufer ist. Doch zumindest was den
Tourismus angeht, gibt es wieder Hoffnung – nicht zuletzt, seit der »Arabische
Frühling« in Tunesien und Ägypten die
Regierungen hinwegfegte. Schnell sagten
Optimisten voraus, dass die Vereinigten
Arabischen Emirate (VAE) und dort vor
allem Dubai zu Nutznießern der Umbrüche werden könnten: Wem Ägypten oder
Tunesien zu unsicher ist, so die Vermutung, der könnte die Stabilität am Golf zu
schätzen wissen. Zum Erliegen gekommen war der Expansionsdrang der Branche dort – ungeachtet des Stillstands auf
der Palmeninsel – ohnehin nie.
Sogar die Welt-Tourismusorganisation
UNWTO hob in ihrem Bericht für die
D
46
BusinessReport 3/2011
Ferien auf der
Insel der Stabilität
Während in Ägypten und Tunesien wegen der
Revolutionen die Touristen ausbleiben, wächst
das Geschäft in den Vereinigten Arabischen
Emiraten. Profitieren sie von den politischen
Unruhen in der Nachbarschaft?
Von Chr istoph D re yer
ersten vier Monate 2011 Dubai als positive Ausnahme hervor, während sie aus
dem Nahen Osten insgesamt mit minus 7
Prozent und Nordafrika mit minus 11
Prozent deftige Einbrüche bei den Ankunftszahlen ausländischer Reisender zu
vermelden hatte.
Tatsächlich konnten die VAE seit Beginn der Unruhen beträchtliche Zuwächse
verbuchen. Dubai wies für das erste Quartal 2,4 Millionen Hotelgäste aus – 13,6 Pro-
zent mehr als im Vergleichszeitraum 2010.
Trotz einer deutlich gewachsenen Anzahl
von Hotelzimmern – plus 13 Prozent –
stieg gleichzeitig die Auslastung um knapp
4 Punkte auf 79 Prozent. Vertreter Dubais
kokettieren in diesem Zusammenhang
schon einmal mit dem Kontrast zu den
Umwälzungen in der übrigen arabischen
Welt. »Einen Teil unseres Erfolges haben
wir natürlich auch unserem Ruf als sicheres Reiseziel mit stabilem politischen Um-
GOLFREPORT
Foto: Dubai DTCM
feld zu verdanken«, sagt Mara Kaselitz,
Deutschland-Direktorin des Dubaier Tourismusbehörde DTCM.
Auch Abu Dhabi – das andere international bedeutsame Reiseziel in den VAE –
kann ordentliche Steigerungsraten verbuchen. In den ersten fünf Monaten des Jahres stieg seine Gästezahl um 10 Prozent
auf 867000; die Auslastung legte ebenfalls
um 10 Punkte auf 71 Prozent zu. Abu
Dhabi baut ebenfalls seine Hotelkapazität
aus: Allein diesen Herbst sollen zehn größere neue Luxusanlagen eröffnen, darunter mehrere mit Strandzugang. Für das
gesamte Jahr rechnet die Tourismusbehörde des Emirats ADTA mit zwei Millionen Gästen, 11 Prozent mehr als 2010.
Doch wie viel davon haben die Emirate tatsächlich den Umbrüchen in den herkömmlichen arabischen Reiseländern zu
verdanken? Was deutsche Touristen angeht, wohl nicht allzu viel: »Zunächst einmal haben die anderen Ziele natürlich alle profitiert, auch die Golfstaaten«, sagt
Alexa Hüner, Pressesprecherin beim Reiseanbieter TUI. Rund 90 Prozent der Urlauber, die eigentlich nach Ägypten oder
Tunesien reisen wollten, hätten die im Januar und Februar angebotene Möglichkeit einer kostenlosen Umbuchung zu anderen Zielen genutzt. Flugkapazitäten seien
in großem Stil umgeschichtet worden.
Die Golfstaaten seien davon allerdings nur
in Maßen betroffen gewesen. »Da haben
wir andere Länder, die viel mehr profitieren – die Kanarischen Inseln und die Türkei zum Beispiel«, erläutert Hüner, nicht
zu vergessen den Klassiker Mallorca. Auch
unter den Fernreise-Zielen reihten sich die
VAE erst nach der Karibik, Mexiko und den
Malediven ein – zwar unter den Top Ten,
aber dort auf einem hinteren Platz. Nach
»hohen zweistelligen Zuwachsraten« im vergangenen Winter seien die VAE-Buchungen zuletzt sogar etwas rückläufig.
»Ich bin mir nicht sicher, wie viele von
denen, die normalerweise eine Woche
Ägypten für 200 Euro buchen, nach Du-
bai und Abu Dhabi ausweichen«, sagt auch
die Hotellerie-Analystin Konstanze Auernheimer vom Branchendienst STR Global. Denn während in Ägypten Pauschalreisende einen erheblichen Teil des Geschäfts ausmachten, sprächen die VAE
bislang eher ein gehobenes Preissegment
an. Entsprechend habe es vor allem bei
den teureren Hotels eine Ausweichbewegung an den Golf gegeben gegeben. Im
Januar etwa – der Ferienzeit in Saudi-Arabien – wären viele dortige Reisende von
Ägypten nach Dubai umgeschwenkt. »Die
arabischen Gäste sind eine andere Klientel, was die Beträge angeht, die sie ausgeben können. Denen ist es egal, ob sie in die
teureren Resorts in Scharm al-Scheich gehen oder in die Luxus-Hotels in Dubai.«
Dubai hat lernen
müssen, dass
Wachstum kein
Selbstläufer ist
Überhaupt ergibt der Blick auf das Verhalten zum Beispiel deutscher Touristen
nur ein eingeschränktes Bild der Situation.
Denn westliche Reisende machen für die
VAE – anders als für Ägypten mit seinen
zwei Dritteln europäischen Gästen – nur
einen relativ kleinen Anteil des Geschäfts
aus: Die wichtigsten Herkunftsländer des
Dubai-Tourismus waren 2010 – in dieser
Reihenfolge – Großbritannien, Indien, Iran
und Saudi-Arabien. Gerade der Reisemarkt
innerhalb der Staaten des Golfkooperationsrats habe seit etwa 2003 kräftig zugelegt, sagt Analystin Auernheimer.
Auf einen anderen Aspekt des Tourismus-Booms in den VAE weist Nadejda
Popova vom Marktforschungsunternehmen Euromonitor hin: Die Emiratis haben seit Jahren zielstrebig die nötige Infrastruktur aufgebaut, um wachsende Zahlen von Besuchern aufzunehmen. Dazu >>
BusinessReport 3/2011
47
IHR NEUES
PROJEKT
IST UNSER
SPEZIALGEBIET
SEIT
15 JAHREN
PROFI BEI
MITARBEITERENTSENDUNGEN
INS
AUSLAND
WIR KENNEN
DIE FALLSTRICKE
UND ERARBEITEN
MASSGESCHNEIDERTE
LÖSUNGEN
FÜR EIN
REIBUNGSLOSES
EXPATRIATEMANAGEMENT
BDAE GRUPPE
WIR
UNTERSTÜTZEN
SIE
MIT UNSEREM
KNOW-HOW
BDAE GRUPPE
KÜHNE HÖ F E 3
2 2 7 6 1 HA M B U R G
F ON +4 9 -4 0 -3 0 6 8 7 4 -0
FAX +4 9 -4 0 -30 6 8 7 4 - 90
in fo @b d ae.d e
w w w.b d ae.c o m
GOLFREPORT
Als exklusiv
zu gelten,
hat auch manche
Nachteile
Im Zuge der Expansion entstanden gerade auf dem Hotelmarkt allerdings auch
Überkapazitäten – was zumal in der Wirtschaftskrise sinkende Preise zur Folge hatte. Zugleich hat diese Ausgangslage die
VAE nun aber in die Lage versetzt, kurzfristig zusätzliche Touristenströme aufzunehmen. »Ich denke, es ist eine Kombination beider Faktoren«, sagt Popova deshalb. »Die politischen Ereignisse haben
die Präferenzen der Reisenden ein Stück
weit zu den VAE verschoben, aber die haben auch einiges unternommen, um ihre
Tourismus-Infrastruktur zu verbessern.«
Eine Folge der Tourismus-Expansion:
Schon jetzt sinken die durchschnittlich
erzielten Hotelzimmerpreise. Auch versuchen sich die ersten internationalen Budget-Hotelketten zu etablieren. Expertin
Auernheimer hält das für einen durchaus
beabsichtigten Bestandteil der nötigen Diversifizierung. Ebenso wie ein Reiseziel
auf die Dauer versuchen müsse, neben Erholungs- auch Geschäftsreisende anzuziehen, müsse es auch früher oder später
sein Preisangebot auffächern. Dieses Muster sei auch aus relativ jungen TourismusDestinationen etwa in Asien bekannt: Ist
ein Ziel erst einmal mit der gehobenen
Preisklasse am Markt etabliert, folgen auch
die mittleren und unteren Preissegmente.
»Immer als die teuerste Destination an-
48
BusinessReport 3/2011
gesehen zu werden, ist nicht von Vorteil,
denn dann sagen sich manche Leute vielleicht: ›Da fahre ich nicht hin‹«, meint Auernheimer. »Insofern ist es eher gewünscht, dass es genügend Angebote gibt,
damit jeder etwas für sich findet.«
Daneben wird es für die Emiratis in den
kommenden Jahren auch darum gehen, ihren Anteil an der wachsenden Zahl von Touristen aus aufstrebenden Schwellenländern
wie China und Indien mit ihren MilliardenBevölkerungen anzuziehen. Die Chancen
dafür stehen gar nicht so schlecht. »Dubai
ist da einfach näher dran als zum Beispiel
Ägypten – nur zwei bis drei Flugstunden
von Indien«, sagt Auernheimer. »Deswegen
ist das dort natürlich sehr beliebt.«
Insgesamt schätzen die Branchenkenner
die Wachstumsaussichten der Touristikbranche in den VAE äußerst positiv ein.
Euromonitor bezeichnet sie als das Land
mit dem drittstärksten Wachstum weltweit und rechnet für den Zeitraum von
2010 bis 2015 mit jährlich im Schnitt 6,9
Prozent mehr Ankünften internationaler
Touristen; 2015 wären es demnach schon
12,8 Millionen nach voraussichtlich 9,2
Millionen in diesem Jahr. Zum Vergleich:
Vom ägyptischen Markt erwarten die Analysten eine durchschnittliche Schrumpfung von 0,5 Prozent bis 2015 – auf nur
noch 12,4 Millionen Ankünfte. Gemessen
an diesen Zahlen, würden die VAE Ägypten im Jahr 2014 erstmals überholen.
»Bis sich der Tourismus in Ägypten wieder auf den Stand von 2010 erholt, wird es
wohl mehrere Jahre dauern«, sagt Analystin
Popova. Bestätigt sieht sie sich in dieser Einschätzung durch die lauter werdende Kritik
an der Übergangsregierung in Kairo und
durch die religiösen Spannungen, die sich
schon mehrmals in Gewalt zwischen Muslimen und Christen entladen haben.
All das werde dazu beitragen, dass sich
Touristen noch einige Zeit mit Reisen nach
Ägypten zurückhielten – »und es wird
wiederum Zielen wie den VAE zugute
kommen«. TUI jedenfalls erhofft sich
noch einiges vom VAE-Geschäft. »Wir sehen da für uns durchaus noch Potenzial
für Wachstum«, sagt TUI-Konzernsprecherin Hüner.
Illustration: Lesprenger
gehören stetig wachsende Hotelkapazitäten, aber auch der Ausbau der Flughäfen
in Dubai und Abu Dhabi zu internationalen Drehkreuzen. Neben reinen Transitpassagieren sollen dadurch auch zusätzliche Besucher ins Land gelockt werden. Und die Zahlen legen nahe, dass
tatsächlich so mancher nur einen Stopover einlegt: Der durchschnittliche VAETourist bleibt allenfalls drei bis vier Nächte; in Ägypten sind es zehn.
GESUNDHEIT
iesmal waren die Saudis wohl
am schnellsten. 2005 schuf
das Königreich den rechtlichen Rahmen einer verpflichtenden
privaten Krankenversicherung für Beschäftigte im Privatsektor. Die föderalen Vereinigten Arabischen Emirate,
wo dieses Thema »Ländersache« ist,
zogen allmählich nach. Die phasenweise Einführung der privaten Krankenversicherung in Dubai etwa sollte
bereits 2010 beginnen, verschob sich
jedoch durch die Auswirkungen der
Wirtschafts- und Finanzkrise, die das
Emirat besonders stark getroffen haben. Für die anderen Golfstaaten erwarten Experten bald entsprechende
Gesetze.
Diese Welle der Umstrukturierung
des Krankenversicherungsmarkts ist
Ausdruck eines Paradigmenwechsels
D
GOLFREPORT
Konkurrenz
kuriert
Bevölkerungswachstum, Zivilisationskrankheiten
und mangelnde Effizienz machen den Golfstaaten zu schaffen: Neue Gesetze locken private
Krankenversicherungen an den Markt. Aber
welches System wirkt? Was ändert sich für Expats
und wo werden deutsche Anbieter einsteigen?
Von Cle me ns Recker
am Golf: Lange Zeit trat der ölfinanzierte
Wohlfahrtsstaat allein als Regulierer, Dienstleister, Fürsorger und Versicherer auf.
Aber das nach wie vor hohe und nicht
nur durch Zuwanderung ausgelöste Bevölkerungswachstum hat den Druck auf
die staatlichen Gesundheitssysteme erhöht.
Durch die rasche Modernisierung der vergangenen Jahrzehnte ist die Lebenserwartung deutlich angestiegen, was dazu führt,
dass mehr Menschen länger gesundheitlich versorgt werden müssen. Zivilisationskrankheiten wie Diabetes oder HerzKreislauf-Leiden treiben die Behandlungskosten in die Höhe. So steigt der
Kosten- und Anpassungsdruck auf das
staatliche Gesundheitssystem. Die Golfstaaten stocken daher ihre Gesundheitsbudgets auf und strukturieren den gesamten Sektor um: Privatwirtschaftliche Anbieter sollen mehr Spielraum erhalten und
die öffentlichen Anbieter unterstützen und
entlasten.Wettbewerb soll die Kosten des
Gesundheitssystems reduzieren und seine
Effizienz, etwa bei erbrachten Leistungen
und Abrechnungen, zu erhöhen. Ein Großteil der Zusatzkosten soll durch Arbeitgeber gedeckt werden, die je nach System Pauschalen pro Arbeitnehmer zahlen oder sich
am Versicherungsbeitrag beteiligen.
Der Wandel geht phasenweise vonstatten, wie das saudische Beispiel zeigt. Die
im Jahr 2005 umgesetzte Versicherungspflicht umfasste zunächst nur ausländische Arbeitnehmer in privaten Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern.
Schrittweise wurde dieses Kriterium auf 50
Mitarbeiter gesenkt und gilt seit 2009 auch
für saudische Staatsbürger im Privatsektor. Mit der Versicherungspflicht wurde
der Markt auch für private Anbieter geöffnet, die durch den Council of Coope-
rative Health Insurace (CCHI) lizensiert
und reguliert werden. Die Lizenzvergabe
erfordert Nachweise über Liquidität und
Solvenz sowie Rückversicherungsvereinbarungen.
Mit der Einführung der verpflichtenden privaten Krankenversicherungen sind
die Gesamtbeiträge enorm gestiegen – wie
die Zahl der Beitragszahler, die mittlerweile deutlich über sechs Millionen liegt.
2006 betrugen die Krankenversiche-
Diabetes und
Herz-KreislaufLeiden treiben
die Kosten in
die Höhe
rungsbeiträge im Königreich etwa 411
Millionen Euro. 2010 hatte sich dieser Betrag mit 1,61 Milliarden Euro vervierfacht.
Krankenversicherungen machen mittlerweile mehr als die Hälfte des Gesamtversicherungsmarkts in Saudi-Arabien aus.
Auch in Abu Dhabi ließ eine 2007 eingeführte Versicherungspflicht die Beiträge steigen. Der Markt dort ist jedoch stärker segmentiert als in Saudi-Arabien. Es
gibt grundsätzlich drei Arten von Versicherungsnehmern: »Basic«, »Thiqa« und
»Enhanced«. Basic ist eine Grundversicherung für kleinere Einkommen. Thiqa
– das arabische Wort für »Vertrauen« –
gilt ausschließlich für emiratische Staatsbürger. Beide Varianten werden von der in
staatlichem Mehrheitsbesitz befindlichen
Daman National Insurance Company abgedeckt. An ihr ist die Münchener Rück
mit 20 Prozent beteiligt. Insgesamt sind
mehr als zwei Millionen Menschen durch
Daman versichert, davon fast 90 Prozent
der emiratischen Bürger Abu Dhabis und
25 Prozent der gesamten lokalen Bevölkerung der Emirate.
>>
BusinessReport 3/2011
49
GOLFREPORT
Bei der so genannten Enhanced-Versicherung findet der eigentliche Wettbewerb
zwischen Anbietern statt. »Die Basic Insurance ist wie die deutsche gesetzliche
Krankenversicherung, und das Enhanced
Scheme entspricht einer deutschen privaten Krankenversicherung«, erklärt Andreas
Opitz, Versicherungsexperte und Leiter
der Vertretung des Bundes der Auslandserwerbstätigen (BDAE) in Dubai.
Auch im Enhanced-Geschäft liegt Daman mit einem Marktanteil von 28,6 Prozent im Jahr 2010 vorn, gefolgt von Oman
und ADNIC mit 16,4 und 14,5 Prozent.
Die großen Drei haben also einen Marktanteil von knapp 60 Prozent. Ähnlich steht
es in Saudi-Arabien, wo die Anbieter Bupa Arabia, Ta’awuniya und MedGulf 52
Prozent des Marktes abdecken.
In Abu Dhabi und Saudi-Arabien sind
jeweils mehr als zwanzig weitere Versicherungsanbieter registriert, deren Marktanteil aber drei Prozent nicht überschreitet. »Diese Marktentwicklungen in Kombination mit steigenden Ausgaben im
Gesundheitssystem könnten die Krankenversicherungsbeiträge mittelfristig in
die Höhe treiben«, sagt ein Analyst des
Anbieters Daman.
Auch deutsche Arbeitnehmer in den
Golfstaaten sind von diesen Entwicklungen betroffen: Durch gesetzliche Bestimmungen könnten Arbeitnehmer von einer doppelten Versicherungspflicht, in
Deutschland und im Zielland, betroffen
sein, vor allem bei zeitlich begrenzten Entsendungen ins Ausland.
Zudem existieren keine Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland
und den arabischen Golfstaaten, die eine
solche Doppelversicherungspflicht vermeiden würden. BDAE-Manager Andreas Opitz
sieht hier eine klare Schieflage: »Außerhalb
Europas sind Doppelbesteuerungsabkommen die Regel, Sozialversicherungsabkommen aber leider nur die Ausnahme.«
Neben den verpflichtenden Krankenversicherungen für Arbeitnehmer gibt es
50
BusinessReport 3/2011
auch Angebote für Touristen, die sich beispielsweise bei Daman für 40 bis 190 Tage in den Emiraten versichern können.
Nimmt man Saudi-Arabien einmal
aus, das bereits über ein verpflichtendes
Krankenversicherungsgesetz verfügt, so
ist der Markt relativ klein, zumindest im
Vergleich zu den bevölkerungsreichen
Schwellenländern, in denen internationale Versicherungsanbieter andernorts
expandieren. Etwa 13 Millionen Menschen leben in den kleineren Golfstaaten
Bahrain, Katar, Kuwait, Oman und den
VAE. Der größte Spielraum für Anbieter
findet sich dort im Premiumsegment, das
gut verdienende ausländische Arbeitnehmer, aber auch Einheimische im Privatsektor umfasst.
Der Wettbewerb
dreht sich um das
Enhanced-Geschäft
Saudi-Arabien bietet noch große Wachstumschancen, da die Versicherungsdichte noch relativ gering ist, die Menschen
also nur einen recht geringen Teil ihres
Einkommens für Krankenversicherungen
ausgeben.
Aber auch in den anderen Golfstaaten
kommt der Markt in Bewegung – große
Anbieter wie Daman versprechen sich davon Expansionspotenzial und mehr Planungssicherheit.
Katar plant ein Krankenversicherungsgesetz im Rahmen einer im April
vorgestellten Nationalen Gesundheitsstrategie für die kommenden fünf Jahre.
Man will dem Beispiel anderer Golfstaaten folgen, es aber besser machen.
Vor Einführung eines Gesetzes sollen sowohl die statistischen Grundlagen als
auch die technischen Voraussetzungen
wie standardisierte Abrechnungsmethoden vorliegen.
In Bahrain hat der Wirtschaftsausschuss
des »Nationalen Dialogs«, der nach den
Unruhen Anfang des Jahres 2011 eingesetzt wurde, die Einführung einer Krankenversicherungspflicht für ausländische
Arbeitnehmer verlangt. Wann konkrete
gesetzgeberische Schritte folgen, ist indes
noch offen.
Kuwait hat zwar eine Pflichtversicherung für ausländische Arbeitnehmer, diese wird jedoch nicht durch private Anbieter gedeckt: Der Staat zieht dafür monatlich einen Betrag von umgerechnet 127
Euro ein – direkt vom Arbeitgeber. Ein
neues Krankenversicherungsgesetz ist geplant, um das bestehende von 1961 zu ersetzen.
Deutsche Versicherer sind bereits seit
einiger Zeit in den arabischen Golfstaaten
aktiv, beispielsweise die Münchener Rück
in Abu Dhabi mit Dependencen in Bahrain, Katar und Saudi-Arabien. Allianz
tritt in Saudi-Arabien in einem JointVenture mit der Saudi-Fransi Bank auf,
hat eine »Takaful«-Sparte in Bahrain und
tritt in der ganzen Region auch als »Third
Party Administrator« auf. »Chancen für
ausländische Firmen sind nur in Zusammenarbeit mit einem starken lokalen
Partner gegeben«, sagt ein hochrangiger
Daman-Mitarbeiter im Gespräch mit zenith. »Zusätzlich muss ein deutscher Versicherer auch ausreichend international
erfahrene Manager in die Region schicken.« Beides mache den Markteinstieg
nicht gerade einfach.
Immerhin: Durch neue Gesetze hat der
Markt der Krankenversicherungen in den
Golfstaaten Fahrt aufgenommen. Dies wird
sich mit den geplanten Reformen in Bahrain, Katar und Kuwait fortsetzen. Andreas Opitz vom BDAE sieht deshalb für deutsche Anbieter gute Geschäftsmöglichkeiten: »Früher gab es zum Teil abenteuerliche
Tarife, mittlerweile sind deutsche Partner
mit ihrem traditionell hochwertigen Leistungsangebot und der entsprechenden Erfahrung willkommen.«
GOLFREPORT
Entwurf: Albert Speer & Partner / Visualisierung: HH Vision
Im großen Fußballstadion »Al-Rayyan« soll
das Eröffnungsspiel der WM 2022 stattfinden.
GROSSPROJEKTE
»Geld spielt erstmal
keine Rolle«
Katar will in den kommenden Jahren praktisch seine gesamte
Infrastruktur neu bauen. Auf ausländische Unternehmen warten
Dutzende Milliardenaufträge – und immense Herausforderungen
an Planung und Logistik.
Von Chr istoph D re yer
avid Howell, Baron of Howell of
Guildford, hat schon ein paar
Jahrzehnte im politischen Geschäft auf dem Buckel. Der 75-Jährige war
britischer Energie- und Transportminister, außenpolitischer Sprecher der Opposition und ist heute Staatsminister im
Londoner Außenministerium. In Katar ist
er im Laufe der Zeit acht oder neun Mal
gewesen. »Vor dreißig Jahren hatten alle
Mitleid mit Katar, weil es bloß Gas hatte«,
erinnert er sich. »Bloß Gas, denn wir be-
D
fanden uns ja im Ölzeitalter.« Mitleid für
seine Gasvorkommen – das würde Katar
heute nicht mehr passieren. Längst vorbei
sind die Zeiten, da Erdgas in erster Linie
als lästiges Beiwerk zum Öl gesehen wurde, schwer zu transportieren und deshalb
wirtschaftlich nicht lukrativ. Im März ist
in dem Golfstaat das erste Erdgas in die
von Shell erbaute Gasverflüssigungsanlage »Pearl GTL« geleitet worden, die weltweit größte Anlage ihrer Art. Die global
zunehmende Atom-Skepsis kurbelt die
Nachfrage nach dem Rohstoff eher noch
an. Und auch wenn Lord Howell etwas
kokettiert – immerhin profitiert Katar seit
Jahrzehnten durchaus auch von seinen
Ölquellen –, hat er recht: Katar ist derzeit
die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft weltweit. Um 20 Prozent wird sein
Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr laut
Schätzung des Internationalen Währungsfonds wachsen.
Was sie mit all den Gas-Einnahmen anstellen wollen, wissen die Kataris ziemlich >>
BusinessReport 3/2011
51
GOLFREPORT
genau: Sie wollen sich eine quasi komplette neue Infrastruktur zulegen. Bahnnetz, Schnellstraßen, Energie- und Wasserversorgung – fast alles soll aus- oder
völlig neugebaut werden. Die Zeit drängt,
denn das Land muss in den kommenden
Jahren voraussichtlich ein Bevölkerungswachstum von im Schnitt acht Prozent
verkraften.
Seit Katar auch noch den Zuschlag für
die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 bekommen hat, gibt es zudem ein festes Zieldatum für einen Großteil der Projekte.
Die sollen zwar deutlich länger halten,
aber rechtzeitig zur WM müssen sie zum
großen Teil fertig werden, will sich Katar
nicht vor aller Welt Augen blamieren. Und
dank der FIFA-Entscheidung beginnt allmählich auch dem Rest der Welt zu dämmern, welche wirtschaftlichen Chancen
sich in dem Land derzeit auftun – weshalb Lord Howell für seine Anekdote auf
der Investorenkonferenz »MEED Qatar
Infrastructure Projects« in London herzhaftes Gelächter erntete.
Daumenschrauben
angedreht
Floss der Großteil der Investitionen bislang in Öl- und Gasanlagen sowie zuletzt
auch in Immobilien, so wird sich der
Schwerpunkt in den kommenden Jahren
zusehends auf Infrastrukturprojekte verlagern. Die Qatar National Bank (QNB),
das größte Kreditinstitut des Landes, veranschlagt mindestens 88 Milliarden USDollar für Projekte, auf die sich das Land
für seine WM-Bewerbung festgelegt hat.
Insgesamt habe Katar derzeit Großprojekte für 189 Milliarden Dollar beschlossen, davon 63 Prozent für Infrastrukturund Bauvorhaben. Aufträge im Volumen
von fast 100 Milliarden Dollar sind dabei
laut MEED noch zu vergeben.
»Keines dieser Quasi-Regierungsprojekte wird Finanzierungsprobleme haben«,
betont der stellvertretende QNB-General-
52
BusinessReport 3/2011
direktor Enrico Grino. Auch die Projektfinanzierung für Baufirmen und andere
Auftragnehmer werde keine Hürde sein –
im Prinzip: Katars Banken seien liquide
genug, um die benötigten Kredite zu stellen. Sie stießen bloß an Kapazitätsgrenzen, und regulatorische Hürden und seien
deshalb dringend auf die Unterstützung
ausländischer Partner angewiesen, um die
anstehenden Finanzierungen so schnell
wie nötig auf die Beine zu stellen.
Der größte Bereich der hochfliegenden
Pläne ist mit 35 Milliarden Euro der Bau
eines Bahnnetzes. Mehr als 200 Kilometer
Fernbahnstrecke sollen bis spätestens 2020
Personen- und Güterverbindungen nach
Saudi-Arabien und Bahrain schaffen; die
Zugfahrt von Katars Hauptstadt Doha
nach Manama, der Hauptstadt Bahrains,
soll weniger als eine Stunde dauern. Daneben soll Doha eine komplette Metro
mit vier Linien und 100 Bahnhöfen bekommen – Gesamtlänge: 358 Kilometer,
davon 119 Kilometer in Tunneln. Zusätzlich ist eine U-Bahn mit 19 Bahnhöfen im
Finanzdistrikt West Bay geplant. Dutzende Milliardenaufträge für die Bauindustrie
sind zu vergeben: Schienentrassen, Brükken, Bahnhöfe, Stromversorgung, Planung, Bauaufsicht, einfach alles. »Es geht
darum, eine komplette neue Branche in
Katar aufzubauen – mit einer Lebensdauer
von mindestens 100 Jahren«, sagt der Vizechef der Bahngesellschaft Qatar Railways,
Geoff Brian Mee.
Über die Herausforderungen, die damit verbunden sind, macht er sich keine
Illusionen. »Gleich vier Metro-Strecken
in einer Stadt zu bauen, ist etwas, das noch
nirgends versucht wurde.« Allein für den
Bau der nötigen Tunnel sind zwölf Aufträge im Wert von jeweils einer bis anderthalb Milliarden Dollar zu vergeben.
Auch das ein Novum: »Niemand hat bislang irgendwo versucht, zwölf Tunnelbohrmaschinen gleichzeitig in einer Stadt
zu betreiben.« Die Tunnel für die U-Bahn
im West Bay sind da noch gar nicht mitgerechnet. »Das Ziel lautet, für eine abso-
Vision einer Innenansicht
des Al-Khor-Stadions: Die Arena
soll mit Solarenergie gekühlt werden,
damit Fans und Spieler nicht
zu sehr ins Schwitzen kommen.
lut reibungslose Fahrt in einem klimatisierten System bis direkt ins Büro-Hochhaus zu sorgen«, sagt Mee. Denn es gehe
darum, ein attraktives Nahverkehrssystem
für eine Bevölkerung zu schaffen, die bislang ans Autofahren gewöhnt ist. Und das
werde nur mit höchster Qualität funktionieren: »Die Leute werden ausschließlich
auf zwei Dinge achten: Ist es bequem und
sieht es gut aus?«
Der Zeitplan für die Bahn-Vorhaben
ist stramm: Mitte 2012 sollen die ersten
Bauaufträge vergeben werden, die Arbeiten an den wesentlichen Teilen müssen
bis Mitte 2020 abgeschlossen sein. Nur so
bleibt ausreichend Zeit, die neuen Systeme zu testen, damit sie 2021 verlässlich
funktionieren. Dann steht in Katar der
Confederations Cup an, quasi der Probelauf zur WM ein Jahr darauf. Derzeit bittet Katars neu gegründete Bahnentwicklungsgesellschaft, an der die Deutsche Bahn
als Joint-Venture-Partner beteiligt ist, beinahe händeringend um Interessenbekundungen potenzieller Auftragnehmer. »Das
Problem ist, dass es nur eine begrenzte
Anzahl von Leuten auf der Welt gibt, die
so etwas schaffen können«, sagt Mee. »Wir
werden einen Großteil der weltweiten
Bau- und Planungsfachleute benötigen.«
Ähnlich ambitioniert sind Katars Straßenbauvorhaben. 550 Kilometer teils acht-
GOLFREPORT
Entwurf: Albert Speer & Partner / Visualisierung: HH Vision
»Das Land muss
funktionieren,
wenn wir bauen!«
spurige Schnellstraßen müssten geplant
und gebaut werden, sagt Ron Rimkus, Spezialist für Projektmanagement beim staatlichen Hoch- und Tiefbauamt Ashghal. Die
einzelnen Spuren aneinandergereiht, ergäbe das eine Strecke von Doha bis nach
Rom. Kostenpunkt: zwölf Milliarden Dollar. Praktisch bedeutet das laut Rimkus,
dass im Laufe der kommenden fünf Jahre
35 Großprojekte verwirklicht werden müssen, von denen 24 noch gar nicht vergeben
sind; die Vorauswahl endet in diesen Wochen. Noch nicht mitgerechnet ist dabei
die dringend fällige Modernisierung mehrerer Hundert Kilometer Nebenstraßen.
Auch Rimkus betont, anders als in der
Vergangenheit sei heute nicht mehr allein
der Preis ausschlaggebend dafür, wer den
Zuschlag für solche Aufträge bekomme.
Die Bieter hätten klare Qualitätsvorgaben
zu erfüllen, und wer sich daran nicht halte, bekomme seine Post zurück.
»Geld spielt erstmal keine Rolle«, bestätigt der deutsche Verkehrsplaner Uwe
Reiter, der anderthalb Jahre in Qatar gelebt hat. »Wenn Sie eine vernünftige Idee
haben, dann kann die auch umgesetzt werden.« Deutsche Unternehmen etwa genössen als Qualitätsgaranten einen guten
Ruf im Land. Allerdings hätten die Kataris auch sehr hohe Erwartungen an ihre
Geschäftspartner. Wenn die nicht lieferten
wie vereinbart, »dann drehen die Ihnen
halt die Daumenschrauben an«.
Rechtzeitig zu liefern, oder zu bauen,
könnte sich aber als Herausforderung erweisen. Nicht nur, weil die diversen Zeitpläne für Projekte dieser Dimension eher
ambitioniert sind, sondern auch wegen
der damit verbundenen logistischen Herausforderungen. Stahl für 150 Eiffeltürme und Beton für 20 Dubaier KhalifaTürme müsse allein für die Bahnprojek-
te ins Land geschafft und für 32 CheopsPyramiden Erde ausgehoben werden,
rechnet Bahn-Manager Mee vor. Und
dann sollen ja auch noch der neue, voraussichtlich 2015 fertige Flughafen (13
Milliarden Dollar) sowie 240 Hotels und
Ferienanlagen (17 Milliarden Dollar) entstehen – und die zwölf WM-Stadien natürlich, von denen neun völlig neu gebaut
werden müssen.
Als echtes Nadelöhr für alle diese Großvorhaben könnte sich der Seehafen von
Doha erweisen: Bis jetzt liegt er mitten in
der Stadt und kann weder weiter ausgebaut noch vertieft werden. Das wäre aber
für die größten modernen Frachtschiffe
dringend nötig. Der Bau eines neuen Hafens – Volumen: rund fünf Milliarden Dollar – duldet deshalb keinen Aufschub;
möglichst 2014, spätestens aber 2016 soll
er eröffnen.
Das andere Problem: Katar hat keine
unbefleckte Vergangenheit, was die zügige Umsetzung von Großprojekten angeht.
Die geplante Straßen- und Schienenbrücke nach Bahrain liegt seit Juni 2010
auf Eis. Die Schnellstraße zum Prestigeprojekt »Lusail City« – einer geplanten
neuen Stadt nördlich von Doha – liegt
schon im Ausschreibungsstadium weit
hinter Plan, ebenso der Bau des neuen
Flughafens, dessen erste Teilstücke längst
in Betrieb sein sollten.
Den Kataris scheint das Ausmaß dessen,
was sie da vorhaben, durchaus bewusst zu
sein. In den entscheidenden Lenkungskomitees sitzen Vertreter des Königshauses,
die bei Bedarf für zügige Entscheidungen
sorgen sollen. Die Umsetzung werden sie
allerdings größtenteils Anderen überlassen. »Wir brauchen alles Fachwissen der
Welt«, sagt Saad Khodr vom Planungsministerium über die anstehenden Bauvorhaben. Und fügt mit einer Mischung
aus Vergnügen und Ehrfurcht vor der Größe der Aufgabe hinzu: »Unsere größte
Herausforderung ist, dass das Land weiter funktionieren muss, während wir das
alles bauen.«
BusinessReport 3/2011
53
M E I N . . . TA N G E R
Weiße Nacht
in Afrika
Tanger, einst verschrien als Drogennest und Sündenpfuhl,
zieht heute immer mehr Geschäftsreisende an. Aber wie
verbringt man einen guten Abend mit Kollegen in der legendären
Hafenstadt? Und geht das notfalls auch allein?
Von Alfred Hacke nsberger
»Sie fahren geschäftlich nach Tanger?«,
fragt Nabil mit großen Augen und fügt
dann augenzwinkernd an: »Na, da werden Sie ganz sicher viel Spaß haben.« Danach grinst er verschmitzt. Für Touristen
mag die »weiße Stadt« am Mittelmeer
kaum attraktiv sein. Schließlich hat sie im
Vergleich zu Marrakesch oder Fes wenige
Sehenswürdigkeiten zu bieten. Marokkanern dagegen gilt Tanger als eine Stadt, in
der man sich hervorragend amüsieren
kann. So gut, dass manche sie auch als
Sündenpfuhl bezeichnen. Ein schlechter,
54
BusinessReport 3/2011
legendärerer Ruf, den die Hafenstadt an
der Meerenge von Gibraltar schon beinahe 100 Jahre hat.
Er geht zurück auf die Zeit, in der Tanger internationale Zone (1923 bis 1956)
und Weltstadt war: ein Eldorado für
Künstler, Millionäre und jede Menge
zwielichtiger Gestalten.
Wer das nötige Kleingeld hatte, flog
aus Tanger nach Paris oder London, um
sich für Festivitäten einzukleiden. »Jeder
konnte sich hier nach seinem Geschmack
wohlfühlen«, erinnerte sich der ameri-
kanische Schriftsteller Paul Bowles, der
von 1947 bis zu seinem Tod 1999 in Tanger lebte, bei unserer letzten Begegnung.
»Viele kamen, um weiße Weihnachten
zu feiern, was sich natürlich auf nichts
anderes als Kokain bezog«.
In Tanger war damals frei verfügbar,
was in den USA oder Europa unter schweren Strafen stand: Opiate konnte man in
der Apotheke ohne Rezept kaufen, in den
Kabaretts und Bordellen rund um den
Socco Chico wurden alle erdenklichen sexuellen Dienste angeboten. Daneben war
M E I N . . . TA N G E R
Foto: Dale Beckett
Tanger gleichzeitig ein Ort für gute Geschäfte. Für 100 Dollar gab es eine Lizenz
zur Eröffnung einer Bank zu erwerben.
Die Stadt lebte vom Schmuggel, besonders
während des Zweiten Weltkriegs. Bis Ende der 1960er Jahre blieb Tanger ein Ort
der Künstler und der High Society. Die
Feste der Multimillionärin Barbara Huttons in ihrer Villa in der Kasbah sind bis
heute legendär. Sie ließ Reiter aus der Sahara auftreten und postierte Fackelträger
am Eingangsportal. »Die Party-Gäste pulten Smaragde, Rubine und Brillanten aus
einem der Sofaüberzüge ihrer Gastgeberin«, erzählte Paul Bowles gerne.
Die internationale Zone ist längst vorbei, zur mondänen Welt hat man heute
nicht mehr so leicht Zugang, wie noch anno dazumal. »Man muss schon sehr gute
Beziehungen haben, um jetzt zu einem
Für 100 Dollar
gab es die Lizenz
zur Gründung
einer Bank
kann. Bekanntschaften macht man hier
sehr leicht. Live-Musik gibt es gleich
nebenan im »Chellah-Beach-Club«. Meist
südamerikanische Rhythmen von Bands,
die bis spätnachts zum Tanz aufspielen.
Wenn sich schon jetzt der zweite Hunger
meldet, hier kann man gut essen. Wer ger- >>
Foto: Hevan Chan / soulblend.com
Fest in einer der Villen der Superreichen
eingeladen zu werden«, erklärt Marc, ein
Amerikaner, der seit mehr als 15 Jahren in
Tanger lebt. »Erst kürzlich gab es eine
Pool-Party, zu der die Gäste aus der ganzen Welt für ein Wochenende in Privatjets
eingeflogen kamen.« Und was bleibt für
die Normalsterblichen oder für Geschäftsreisende, die einen Abend totzuschlagen haben?
In Casablanca oder Rabat sind die Straßen am späten Abend wie leergefegt. Nur
in Tanger ist der Boulevard im Stadtzentrum voll von Menschen. Wer eine Begleitung sucht – ob Mann oder Frau –
muss hier nur mit seinem Wagen lang-
sam auf und abfahren und auf »Signale«
aus der flanierenden Menge warten. So ist
schnell jemand für ein Dinner, Bar-Hopping oder für ein Abenteuer gefunden.
Restaurants, Bars und Discos sind in
den letzten drei Jahren wie Pilze aus dem
Boden geschossen. Seit Tanger 2005, mit
neuem Mittelmeer- und Yachthafen, Industrienansiedelungen, Bauboom und
Stadtsanierung zur neuen Weltmetropole aufgerüstet werden soll, wird natürlich
ebenfalls in neue Gastronomie investiert.
Trotzdem: Das alte Tanger, charmant und
einzigartig, existiert fort.
Als erste Station des Abends bieten sich
das »Pilo« (Ecke Rue de Mexico und Rue
de Fès) oder »La Grenouille« (zwischen
Hotel Rembrandt und Casa de Espana)
an. Beides sind ehemalige Luxusrestaurants aus der Zeit der internationalen Zone, entsprechend abgebröckelt ist der
Glanz alter Tage. Hier kann man sich jedoch kulinarisch für den Abend rüsten.
Tapas gibt es kostenlos und reichlich zu jedem Bier serviert. Wer sich für Fußball
interessiert, kann am Wochenende im
»Grenouille« die spanische Liga verfolgen:
Das lautstarke Publikum setzt sich ausnahmslos aus Fußballexperten zusammen.
Als nächste Station sei das »Tanger Inn«
empfohlen. Es liegt direkt im Untergeschoss der Pension »Hotel Muniria«, in
dem einst der US-Kultschriftsteller William S. Burroughs wohnte. Im »Tanger Inn«
hängen noch heute Fotos des Autors der
Beat-Generation und seiner Freunde. Der
Laden wird freitags wie samstags voll.
Wenn um eins oder zwei zugemacht wird,
geht es weiter zur Strandpromenade, auf
der der Verkehr vor den unzähligen Bars
und Discos immer zum Stocken kommt.
Clubs wie »555« oder »Pasarela« sind klassische Großdiskos, in denen man aber
auch Drinks draußen am Pool nehmen
Früher mussten sich Touristen
vor den Straßen Tangers fürchten.
Heute genießen sie das Flanieren.
BusinessReport 3/2011
55
M E I N . . . TA N G E R
56
BusinessReport 3/2011
La Grenouille, Rue el Jabha el Watania, Telefon: +212.539 93 62 42
Tanger Inn, Hotel El-Muniria, 1 Rue
Magellan, Telefon: +212.539 93 53 37
Beach Club 555h
beachclub555.com
Chellah Beach Club
facebook.com/pages/Chellah-BeachClub
Scotts Night Club, Rue al-Moutanabi Ville Nouvelle
Hotels und Pensionen:
Ein Geheimfach
für Devisen
La Tangerina, Tangier 19, Riad Sultan
Angenehme, elegante Pension auf
dem Altstadthügel.
latangerina.com
Mövenpick Hotel & Casino Malabata,
Route de Malabata, Baie de Tanger,
Telefon: +212.539 32 93 00
Vornehmes Spitzenklassehotel mit
Blick auf die Straße von Gibraltar.
Hotel Continental, Tangier 36, Rue
Dar El Baroud
Legendäres Hotel, dessen Besitzer
Jimmy Mjami alle Hollywoodgrößen
getroffen hat. Einfache Zimmer mit
Blick auf den alten Fischereihafen.
Keine Zufahrt für Busse und Vans.
continental-tanger.com
Die Sicherheitslage in Tanger ist deutlich
besser als früher. Taschendiebstahl und Straßenraub mit Messern kommen leider trotzdem noch vereinzelt vor. Man sollte also
300 Dirham (circa 25 Euro) in der Tasche
haben, um den Angreifer nicht zu verärgern, und seine Devisen in einem Geheimfachgürtel unterbringen. Um bei den Schuhen zwischen schwarz und braun variieren
zu können, am Besten gleich in beiden Farben kaufen. Am Flughafen fragen die Zöllner, ob Bargeld mitgeführt wird. Summen
über 10000 Euro sind vorab zu deklarieren.
Anbieter: corporatetravelsafety.com
Preis: 34,95 US-Dollar
Foto: BMW
Hackensberger, geboren in München,
berichtet als freier Korrespondent für
deutsche und schweizerische Tageszeitungen aus Spanien und Nordafrika.
Pilo, Rue de Mexico/Rue de Fes
Foto: Corporate Travel Safety
Fast zehn Jahre lebte zenith-Autor
Alfred Hackensberger in der Hafenstadt
Tanger – die Preise für gut gelegene
Immobilien stiegen in diesem Zeitraum
um das Vierfache.
Bars, Restaurants,
Clubs und
Hotels in Tanger
Foto: Mövenpick Hotels & Resorts
ne arabische Musik ausprobieren will, der
findet auf der Strandpromenade einige
passende Etablissements, die man bei einem Rundgang leicht entdeckt. Dort sind
die Gäste allerdings überwiegend Männer, die Frauen in der Regel in Unterzahl
und viel gefragt. Sie sind hier beruflich
unterwegs.
Die Nacht in ruhigem Ambiente abschließen, dazu eignet sich die »Bar Asociados«, die am Ende der Promenade liegt
– vielleicht noch einmal Tapas mit Blick
aufs Mittelmeer, auf die Lichter der vorbeifahrenden Schiffe und der Stadt Tarifa,
auf der spanischen Seite der Meerenge im
Hintergrund.
Falls jemand noch nicht genug hat und
noch etwas wirklich Außergewöhnliches
sucht, muss man zurück ins Stadtzentrum.
Das »Scotts« liegt in der Verlängerung der
Rue Mexiko. Das ist ein marokkanischer
After-Hour-Club, den man vor vier Uhr
morgens nicht besuchen sollte: mit arabischer Live-Band! Am besten findet man
einen Platz an einem Tisch, denn sonst
wird man von einer tanzenden, betrunkenen Menge hin und her geschubst. Bei
Morgengrauen wankt hier normalerweise
niemand allein nach Hause. Um diese
Uhrzeit ist es eine goldene Alternative zum
»Morocco Palace«, das nur einige hundert
Meter entfernt auf der anderen Seite des
Boulevards liegt. Der »Palast« ist zwar wesentlich bekannter, aber dafür ungleich
langweiliger und teurer.
M E I N . . . TA N G E R
Marokkanisches Ambiente in
einem der Restaurants des Mövenpick
Hotels Tanger. Dort geht es
dezenter zu als im »Scotts Night Club«.
Spritztour auf
der Corniche
Fotos: KLM / Iberia
Iberia hat
die Nase vorn
Der Flughafen von Tanger trägt den Namen
des berühmtesten arabischen Weltenbummlers: Ibn Battuta, der 1304 in der
Nähe der Hafenstadt geboren wurde und
auf unbequemen Segelschiffen reiste.
Flugreisende nach Tanger müssen ebenfalls auf Komfort verzichten: Ausgerechnet die spanische Iberia, deren Bordservice
in die Kategorie Billigflieger fällt, hat dort
die Nase vorn – mit Verbindungen über
den Flughafen Madrid Barajas in verschiedene deutsche Städte. Iberia-Flüge
sind kärglich und nicht für Pünktlichkeit
bekannt, aber der meist menschenleere
Umsteigeflughafen bietet Feinkostläden mit
spanischem Brandy und Serrano-Schinken. Unter Umständen empfiehlt sich auch
eine Kombi-Buchung mit Royal Air Maroc
und KLM über Amsterdam. Air Berlin hat
die Strecke Köln/Bonn-Tanger im kommenden Winterflugplan gestrichen. Easyjet fliegt viermal wöchentlich von Tanger
nach Paris. Direktflüge aus den Golfstaaten oder der Türkei gibt es noch nicht.
Ein Taxi von der Innenstadt zum Flughafen kostet 100 bis 150 Dirham (8 bis 12
Euro). Die Wartezeiten bei der Sicherheitskontrolle sind kurz, man kann mit
dem Auto nahe vor die Abflughalle fahren.
Alle Flugzeuge stehen auf Außenpositionen und werden mit Bussen angesteuert.
Sehr wichtig: Vor dem Eingang zur Passkontrolle die Ausreisekarte ausfüllen, sonst
wird man wieder zurückgeschickt. Eine
fast lane für Business-Reisende gibt es
noch nicht.
Stau kann ein Indikator für eine schlechte Infrastruktur sein – aber auch für wirtschaftliche Entwicklung: Die Straßen um
Tangers Altstadt sind stark befahren, Taxifahrer weigern sich oft, kürzere Strecken
zu bedienen. Vor allem Geschäftsleute, die
den neuen Hafen Tanger Med oder Industriestandorte besuchen wollen, empfiehlt
sich ein eigener Wagen – am Flughafen
Tanger gibt es inzwischen mehrere internationale Autovermietungen.
So genannte SUVs sind zwar nicht ökologisch, aber ein Statussymbol unter Tangaouis. Ein Mitsubishi Pajero oder BMW
X5 ist ab rund 750 Euro pro Woche zu
haben – mit Vollkaskoversicherungen bei
einem Selbstbehalt von 1600 Euro bei Sixt.
Der Konkurrent Europcar hat inzwischen
eine Filiale in Tanger Med eröffnet. Die
Küstenstraße zur Stadt bietet Fahrvergnügen – aber Vorsicht ist geboten. Marokkos Polizei führt regelmäßig Radarkontrollen durch.
Wer sich in Tanger die Parkplatzsuche
sparen möchte, kann einen Limousinenservice engagieren, etwa den Anbieter
Lamarti Group (www.lamartigroup.com).
Auch Mini-Vans für Gruppen und Helikopter sind dort zu haben. Da die Website der Agentur nicht mit jedem Browser
funktioniert, empfiehlt sich ein Anruf:
+212.539.938 858. Dort wird Englisch und
Französisch gesprochen – Spanisch ist in
Tanger ohnehin zweite Verkehrssprache.
BusinessReport 3/2011
57
DER SEKRETÄR
Blauer Dunst wird illegal
IHRE TERMINE
RENEX 2011
20. bis 23. Oktober 2011, Istanbul
Nachdem das türkische Parlament
Ende 2010 das Erneuerbare-EnergienGesetz erlassen hat, wittert die Branche Morgenluft: Zum dritten mal findet in Istanbul die Fachmesse für Solar, Wind und Geothermie RENEX
statt, eine Tochter der Hannover Messe. Mit Nordrhein-Westfalen, BadenWürttemberg, Niedersachsen und
Bremen sind vier deutsche Bundesländer mit eigenem Stand vertreten.
Auch Österreich wartet mit einem Pavillon auf.
www.hmsf.com
Eine Zigarette nach Vertragsabschluss – dafür müssen
Geschäftsleute im Libanon demnächst vor die Tür.
Denn der globale Trend Rauchverbot kommt auch in
Beirut an. Mitte August verabschiedete das Parlament
ein Gesetz zum Nichtraucherschutz. Auch soll Tabakwerbung verboten werden. Inhaber von Cafés und
von Büros, die das Verbot nicht beachten, sollen ebenso Geldstrafen zahlen, wie ihre Gäste oder Mitarbeiter.
Hotels dürfen allerdings 10 bis 20 Prozent ihrer Zimmer für Raucher freihalten. Libanesische Anti-TabakAktivisten glauben nicht daran, dass die Polizei die Bestimmungen durchsetzt – aber immerhin habe man ein
Gesetz durchgebracht, was selten genug vorkomme.
Sommerfest der DAG
16. bis 18. September 2011, Dresden
Die Deutsch-Arabische Gesellschaft
(DAG) lädt zum alljährlichen Sommerfest, diesmal nach Dresden. Das Programm mit Referenten aus Politik,
Wirtschaft und Medien behandelt die
Folgen des Arabischen Frühlings –
auch die ökonomischen. Trocken dürfte
hier nur der Begrüßungssekt sein:
DAG-Präsident Peter Scholl-Latour
empfängt unter anderem Maitha alShamsi, Staatsministerin der VAE und
Expertin für Frauen in der Wirtschaft.
www.d-a-g.de
Kunstmesse Abu Dhabi Art
16. bis 19. November 2011, Abu Dhabi
Kurz vor dem 40. Jahrestag der Unabhängigkeit der VAE lädt das Emirat
Abu Dhabi zur internationalen Kunstmesse – und zwar auf die Insel Saadiyat. Besucher können dort schon
einmal den Kulturdistrikt in Augenschein nehmen, wo ab 2013 auch
Louvre und Guggenheim ihre Zweigstellen eröffnen. Bis dahin kann man
den emiratischen Pavillon der Expo
2010 aus Schanghai bewundern. Daneben wird moderne Kunst gezeigt.
www.abudhabiartfair.ae
3. Deutsch-Arabisches Bildungsforum
6. bis 7. Oktober 2011,
Estrel Hotel Berlin
Kooperationen bei Aus- und Weiterbildung sollen Ägypten und Tunesien
beim wirtschaftlichen Neustart nach
der Revolution helfen. Die beiden Länder stehen im Fokus des Deutsch-Arabischen Bildungsforums von iMove
und Ghorfa, daneben aber auch SaudiArabien, das in den vergangenen Jahren massiv in den Bildungssektor
investiert hat – bisher ohne revolutionäre Begleiterscheinungen.
www.ghorfa.de
3 Internationale Messen in Kairo
17. bis 20. November 2011, Kairo
Machtech, Airtech und Transpotech –
zum 11. Mal finden die drei Messen
rund um Werkzeugmachinen, Drucklufttechnik und Nutzfahrzeuge gleichzeitig und unter dem Dach des Cairo
International Convention Center statt.
Wer sich über das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) anmeldet, bekommt seinen bis zu 50 Quadratmeter großen Stand im deutschen Pavillon 10 bis 20 Prozent ermäßigt. Ein
»Made in Germany«-Logo gibt es gratis dazu.
www.bmwi.de
Foto: Sheikh Khalifa Medical City
sent wie die Desertec Industrial Initiative (DII) oder der Weltenergierat.
Dort treffen sie auf Vertreter verschiedener arabischer Energieministerien.
Springt der Funke über?
www.ghorfa.de
VORSCHAU AUF DAS NÄCHSTE HEFT
Hausbesuche
Biotech und Health Care
in den Golfstaaten
2. Deutsch-Arabisches Energieforum
20. bis 21. Oktober 2011,
Hotel Adlon Kempinski Berlin
Der Fachverband Dampfkessel-, Behälter- und Rohrleitungsbau mag einem
nicht sofort in den Sinn kommen,
wenn es um Energiegeschäfte in der
arabischen Welt geht. Auf dem
deutsch-arabischen Energieforum von
Ghorfa und GIZ ist er aber ebenso prä-
58
BusinessReport 3/2011
Round Table zu Libyen
15. Dezember 2011, La Valetta, Malta
In der besinnlichen Vorweihnachtszeit
lädt der Nah- und Mittelostverein
(NUMOV) in die neue Mittelmeeridylle. Im Fokus: Libyen. Gäste mit dem
Nachnamen Gaddafi werden wohl
nicht mehr erwartet.
www.numov.de
LETZTE MELDUNGEN
Bestechung im Irak wird teurer
Die Korruption im Irak bereitet Unternehmern Kopfzerbrechen: Die Preise für »Provisionen« an Beamte und Clans steigen, wie jüngst eine deutsche Firma erlebte, die im Nordirak ein Baustoffwerk errichten sollte. Nach Abschluss der Planung des 150
Millionen Euro schweren Projekts forderten die Entscheider vor Ort 20 Millionen extra.
»Wir haben bereits tausende Arbeitsstunden investiert«, sagt der deutsche Unternehmer im Gespräch
mit zenith. Als er ablehnte, drohte man, eine türkische
Firma zu beauftragen. Manche erinnert das an den Fall
des deutschen Pipeline-Spezialisten Eginhard Vietz:
Der hatte 2010 im Handelsblatt gesagt, ohne Schmiergeld gehe es in Ländern wie Irak nicht. Darauf ermittelte die Staatsanwaltschaft Hannover gegen Vietz.
Wie tief steigt Glencore ein?
Seit Monaten brodelt die Gerüchteküche um eine
Übernahme des kasachischen Minenbetreibers ENRC
durch den weltweit größten Rohstoffhändler: Die in
der Schweiz ansässige Glencore könnte das Unternehmen für 19,5 Milliarden US-Dollar übernehmen.
Angeblich verhandelt Glencore mit der Regierung
Kasachstans, die 12 Prozent an ENRC hält. 20 Prozent sind auf dem Markt. Glencore könnte auch einen 26-prozentigen Anteil an ENRC von der Firma
Kazakhmys kaufen. Indes hat die Staatsanwaltschaft
Brüssel ein Verfahren gegen drei ENRC-Anteilseigner wegen Geldwäsche und Betrugs eingestellt, nachdem die Männer ein Bußgeld überwiesen hatten.
Hier wächst was.
Der Erfolg von internationalen Kooperationen ist im hohen Maße von dem
Verständnis der Interessen, des Potenzials und des kulturellen Kontextes
der jeweiligen Partner abhängig. Auch in der deutsch-arabischen Entwicklungszusammenarbeit haben sich in den letzten Jahren die Inhalte zunehmend von der fachlich-technischen Ebene hin zu übergreifenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fragestellungen erweitert.
Deshalb unterstützt der DAAD den Aufbau von bikulturellen Masterprogrammen mit arabischen Ländern. Deutsche und arabische Studierende
erwerben hier nicht nur aktuelles Fachwissen, sondern auch regionales Wissen und interkulturelle Kommunikationsfähigkeit.
Folgende bikulturelle Masterstudiengänge werden im Rahmen dieses Programms bisher gefördert:
t“Integrated Water Resources Management (IWRM)” ,
an der FH Köln und der University of Jordan, Jordanien
www.iwrm-master.info
t “Renewable Energy and Energy Efficiency for the MENA Region
(REMENA)”,
an der Universität Kassel und der Cairo University, Ägypten
www.uni-kassel.de/remena
t“International Education Management (INEMA)”,
an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und der Helwan
University, Ägypten
www.inema-master.com
www.pwc.de
Wissen, wohin
die Reise geht
Ob rechtliche oder steuerliche Fragen, ob Compliance oder
Finanzierung: Die Experten unserer Turkish Business Group
unterstützen Ihr Unternehmen dabei, erfolgreich in der Türkei
]XLQYHVWLHUHQ,KUH$QVSUHFKSDUWQHULQ+HUD&LODF“.RKQHUW
7HOKHUDNRKQHUW#GHSZFFRP
© 2011 PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Alle Rechte vorbehalten.
ࡐ3Z&´EH]LHKWVLFKDXIGLH3ULFHZDWHUKRXVH&RRSHUV$NWLHQJHVHOOVFKDIW:LUWVFKDIWVSUIXQJVJHVHOOVFKDIWGLHHLQH0LWJOLHGVJHVHOOVFKDIWGHU3ULFHZDWHUKRXVH&RRSHUV,QWHUQDWLRQDO
/LPLWHG3Z&,/LVW-HGHGHU0LWJOLHGVJHVHOOVFKDIWHQGHU3Z&,/LVWHLQHUHFKWOLFKVHOEVWVWlQGLJH*HVHOOVFKDIW