Vor einiger Zeit las ich im Internet - Katharina-Henoth

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Vor einiger Zeit las ich im Internet - Katharina-Henoth
Die Rede von Heiner Beddies (ehemaliger Schulleiter der KatharinaHenoth-Gesamtschule) anlässlich der Namensgebungsfeier unserer
Schule:
Nichts trennt uns von Katharina Henoth, nicht einmal 400 Jahre
Vor einiger Zeit las ich im Internet:
Lieber eine Hexe in Deutschland als ein Häftling in Guantanamo.
Entsetzlich, wie in diesem Satz alles – Terrorismus und Zauberei, Magie und
Wirklichkeit, Damals und Heute – durch- und ineinander gerührt ist. Ich habe
die Seite schleunigst wieder verlassen.
Andererseits: Es wäre ein großer Irrtum zu glauben, der so genannte
Hexenwahn sei ein Ding des finsteren Mittelalters gewesen und hätte uns
heute nichts mehr zu sagen.
Was aber – wenn man auf vereinfachende Vergleiche verzichten will,
verbindet uns denn mit Katharina Henoth und begründet die Wahl ihres
Namens für unsere Schule?
Ich möchte im Folgenden sieben Gedanken entfalten, und so - auf dem
Hintergrund der Lebenssituation Katharina Henoths - deutlich werden lassen,
in welch existentieller Angst die Menschen damals lebten.
Sie lebten in einem Gefühl des Bedrohtseins, das heute in nicht geringerem
Maße existent ist und das heute ebenso menschenverachtende
Folgewirkungen hat wie damals zu Beginn unserer Neuzeit.
So gesehen, trennt uns nichts, nicht einmal 400 Jahre von Katharina Henoth.
Es ist durchaus Aufgabe der Erziehung, sich diesem Problem zu stellen.
Ich möchte Sie bitten, mir für meine Gedankenkette knappe 30 Minuten Ihre
Aufmerksamkeit zu schenken.
Zunächst: Der Anlass
Neun Jahre lang trug unsere Schule den ungeliebten bandwurmartigen
Namen Köln-Kalk-Höhenberg.
Ausschlaggebend für diesen Namen – so hörte man – war der Wunsch des
Leitenden Ministerialrats Nahl gewesen, einen Namen zu wählen, der ihm
eine Verwechslung mit Höhenhaus ersparte.
Als das zehnjährige Bestehen der Schule näher kam, wurde ein
Namengebungsausschuss ins Leben gerufen und Eltern, Lehrer und Schüler
debattierten Vorschläge in allen Mitwirkungsgremien. Schließlich entschied
sich die Schulkonferenz für "Katharina-Henoth-Gesamtschule“.
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Am 9. März 1992 stimmte der Schulausschuss des Rats dem Vorschlag der
Schule zu und begründete: „Ihre (Katharina Henoths) Persönlichkeit lässt mit
Selbstbewusstsein, Gerechtigkeitssinn und Standhaftigkeit Eigenschaften
erkennen, denen heute der Stellenwert von demokratischen Tugenden
zugemessen wird. Insofern kommt Katharina Henoth exemplarischer
Charakter zu.“
Der 1. Gedanke: Nur ein Personalblatt?
Wer war Katharina Henoth?
Am knappsten fasst sich das Karteiblatt des Hexensonderkommandos des
Reichsführers SS Heinrich Himmler aus dem Jahr 1935. Der im Auftrag
Himmlers arbeitende Historiker schrieb:
Henot(h), Catharina
Stand: Tochter des kaiserlichen Posthalters
Wohnort: Köln
Alter: 18
Familienverhältnis: ihr Bruder ist der Probst und Domherr Hartger Henoth
Rasse: von besonderer Anmut und Schönheit
verhaftet 1627
Grund: Hexerei
Gefangenschaft und Folter: auf unmenschliche Weise gefoltert; ihr
Bruder kann sie nicht retten; gräßlichste Schmerzen
Geständnis: kein
Urteil: zum Feuertode verurteilt
Hinrichtung: verbrannt zu Melaten 1627
Ein kurzer Hinweis zu dieser Hexenkartothek: Kaum glaublich, wie mit dem
Stichwort Rasse der Rassewahn des Nationalsozialismus in diesem simplen
Karteiblatt auftaucht, angefertigt im Jahr der Nürnberger Gesetze, die eine
Voraussetzung für den Völkermord an den Juden waren. Wie denn überhaupt
Himmlers Hexenkarthotek der Legitimation der Judenverfolgung dienen sollte.
Der Historiker Gerhard Schormann hat denn auch verblüffende Parallelen
gezogen zwischen den staatlichen Massenmorden der NS-Zeit und den
obrigkeitlichen Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit.
Ohne dieser Beobachtung weiter nachzugehen, können wir doch festhalten:
Das Thema Hexerei hat eine Nähe zu unserer politischen Zeitgeschichte.
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2. Die Henoths gegen die von Taxis
Noch einmal kurz zurück zu den Daten über Katharina Henoth.
Sie war nicht 18 Jahre, sondern ihre 50 Jahre alt. Und sie war eine
erfolgreiche Geschäftsfrau.
Interessant der Zusatz eines zweiten Bearbeiters der Hexenkartothek:
sehr dramatischer Fall, voller Intrigen.
Der Hinweis zielt offenbar auf die Auseinandersetzungen zwischen der
Familie Henoth und dem Haus Taxis um die Posthalterei.
1579
Vater Henoth wird durch die Fürsprache derer von Taxis
Generalpostmeister.
1603
Das Amt wird ihm wieder entzogen.
1623
Die Henoths erhalten das Amt zurück.
1626
Im Oktober endgültiger Verlust der Posthalterei.
Katharina Henoth wurde im Januar 1626, also ein gutes halbes Jahr zuvor,
erstmals als Hexe besagt, d.h. denunziert. Manche Historiker haben deshalb
in Denunziation und Hinrichtung die intrigante Ausschaltung einer
Geschäftskonkurrentin gesehen. Dagegen spricht, dass zum Zeitpunkt der
Denunziation der wirtschaftliche Konflikt schon verloren schien und dass
überhaupt der Kampf sich nicht nur gegen Katharina allein, sondern ebenso
gegen ihren Bruder Hartger richtete.
Katharina Henoth war bei aller Selbständigkeit im Wirtschaftsleben wohl doch
nicht vorrangig eine emanzipierte Gechäftskonkurrentin, die ausgeschaltet
werden sollte. Insofern – um auf unsere Frage nach dem Grund der
Namengebung zurückzukommen – stand dieser Gedankengang für die
Schulkonferenz seinerzeit nicht im Vordergrund.
3. Zuständigkeiten:
Der Kölner Rat gegen - und gemeinsam mit dem Erzbischof
Die Verhaftung Katharina Henoths am 10.Januar 1627 geriet zu einem
Volksauflauf Schaulustiger - zu einem entehrenden „spectaculum“, wie
Hartger Henoth schrieb, (Siebel Anm. 235, S.166) bezeichnend für das Gerangel
zwischen Stadt und Erzbischof. Der historische Hintergrund sei kurz
angedeutet:
Eigentlich waren die Kölner Ratsherren bekannt für ihre nachlässige Haltung
bei der Hexenverfolgung. In der Regel ließen sie überführte Hexen
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lediglich mit Pranger oder Ausweisung davon kommen. Der Erzbischof hatte
sie deswegen sogar ausdrücklich getadelt.
Den Kölner Bürgern waren die Gründe für die laxe Handhabung von
Hexenprozessen durch den Rat hinreichend bekannt: Man wollte den
Erzbischof, der die Hohe Gerichtsbarkeit besaß, d. h. die Macht über Leben
und Tod inne hatte, in der Ausübung seines Richteramts in der Stadt
behindern. Schließlich besaß man vom Kaiser Jahrhunderte alte Privilegien.
Aber es herrschte Krieg. Und der Kaiser hatte jetzt, im 9. Jahr des
Dreißigjährigen Kriegs, überhaupt kein Interesse, sich gegen den Kölner
Kurfürsten zu stellen, gegen seinen Verbündeten im Kampf gegen die
protestantischen Mächte.
Im Januar 1627 sah man daher – gegen alle Erwartungen - den Rat der Stadt
und den Erzbischof einvernehmlich handeln. Sie hatten geradezu eine
Verfolgungsallianz gebildet.
Katharina wohnte in Haus Heimbach, das dem Kloster St. Andreas gehörte.
Eine Verhaftung war grundsätzlich Recht der Stadt . Der städtische
Gewaltrichter, der Katharina hätte verhaften sollen, durfte aber ein kirchliches
Gebäude nicht betreten. Also war der Erzbischof am Zug: Es musste der
Rodendräger, ein erzbischöflicher Beamter, hinzugezogen werden. Da aber
Katharina sich dem Rodendräger offenbar widersetzte, war dann wieder der
Rat der Stadt an der Reihe: Von einem Haufen Stadtsoldaten wurde die
Henoth endlich gefangen gesetzt.
Katharina Henoth war gefangen, gefangen in einem Netz weltlicher und
geistlicher Interessen und Mächte.
Diese Verquickung geistlicher und weltlicher Interessen ist kein Problem
eines vergangenen Jahrhunderts. Es ist ebenso ein Problem unserer
Gegenwart und moderner Gesellschaftssysteme. Nur zwei Beispiele:aus
Salmon Rushdie analysiert 2005 mit Blick auf die Bedrohung der
Meinungsfreiheit die Situation mit diesen Worten: (ZEIT Nr.14, 31.3.2005)
„Ich habe mich nie als einen Autor gesehen, der über religiöse Dinge
schreibt, bis ich von einer Religion verfolgt wurde...
Die Menschen haben sich immer der Religion zugewandt, wenn sie
Antworten auf die beiden großen existentiellen Fragen suchten: Woher
kommen wir, und wie soll man leben?...(Und) Was die soziale Frage
angeht, so lautet die Wahrheit ganz einfach: Überall dort, wo die Religion
– und man könnte hinzufügen: eine Ideologie - den Kurs einer
Gesellschaft bestimmt, kommt es zu Tyrannei. Zur Inquisition. Zu den
Taliban.“
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Erst vorgestern, am Donnerstag, sagte die amerikanische Philosophin Martha
Nussbaum in einem Gespräch mit dem Kölner Stadtanzeiger (KstA 21.6.12, S. 8) mit Hinweis auf die in Indien geltenden Gesetze gegen Gotteslästerung und deren
politische Auswirkungen - Folgendes:
„Gott sollte komplett aus der Politik rausgehalten werden. Politische Prinzipien
können nicht auf metaphysische Vorstellungen gestützt sein, die nicht alle teilen.“
4. Widerstand
Das Gerücht, die Henoth sei eine Hexe -– das sogenannte gemein geschrey verdichtete sich im ersten Halbjahr des Jahres 1626.
Am 29. August 1626 wies Katharina Henoth alle Beschuldigungen in einer
Eingabe an die zuständige Kommission des Erzbischofs zurück.
Im Oktober beantragte sie sogar die Einsetzung einer neuen Kommission.
Der Erzbischof hingegen verwies den Fall wieder zurück an das Hohe
Weltliche Gericht der Stadt .
Am 9. Januar 1627 erfolgte der Ratsbeschluss: Verhaftung von Katharina
Henoth
Dann aber am 18. Januar 1627: Lieferung, d. Übergabe, an das Hohe Gericht
des Erzbischofs
Vom ersten bis zum letzten Augenblick kämpfte Katharina Henoth um ihr
Recht als Kölner Bürgerin und um ihr Menschenrecht . Sie forderte Ihren
Bruder Hartger in ihrem Brief am 16. März 1627 energisch auf, Beweise
beizubringen und schreibt: “Cito,cito,cito – schnell, schnell, schnell - mit allem
Beweis“. Ihr Brief schließt: „Halt ahn, das wir uns moge verdedigen, damit ich
nit unschuldig umbkom.“
Insgesamt wurden 18 Eingaben von Katharina Henoth, von ihrem Anwalt, von
ihrem Bruder und von ihren Freunden an den Erzbischof und an das Hohe
Gericht gesandt. Die Zahl sämtlicher Petitionen und Verteidigungsschriften
betrug 40. Das hat der Rechtshistoriker Siebel ermittelt. (Siebel, Anm. 248)
Zuletzt versuchte Anwalt Laurentius Mey, das Reichskammergericht in Speyer
einzuschalten. In Katharina Henoths Brief an Ihren Bruder
vom 10. Mai 1627 beschreibt sie eindringlich ihre verzweifelte Lage, ganz
allein für sich mit ihrem Anspruch auf Menschenrecht gegen geistliche
Obrigkeit, gegen weltliche Obrigkeit und gegen die Justiz:
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„...nhun denck / was harte feient ich hab / der Chrofrost / die Stadt Cöln /
die Scheffen, die habe all mehr freunt zu Speir als meir / denck wie
bedrenk ich benn, wan ich nit so gar auff got hoffe / ich moeß zugrunt
gan.“
Die Aktion Meys in Speyer hatte so wenig Erfolg wie alles andere, was er
zuvor unternommen hatte: Seine Hinweise auf die Carolina, sein Hinweis auf
die theologische Kapazität Delrio, sein Hinweis auf das Naturrecht.
Für Katharina Henoth gab es nirgendwo Recht.
Dreihundert Jahre später ebensolche Rechtlosigkeit : Am 24. Februar 1933
schreibt der Breslauer Historiker Willy Cohn nach den ersten antijüdischen
Maßnahmen in sein Tagebuch: (Cohn Bd.1, S. 13)
„Nirgends ist mehr Recht in Deutschland! Nirgends.“
5. ... wegen starker Tortur gelähmt
Was für ein Gerichtsverfahren hatte Katharina Henoth zu erwarten?
Wesentlicher Teil des Strafverfahrens, des Inquisitionsprozesses, war die
Ermittlung des Corpus delicti, des äußeren Tatbestandes der Straftat. Nicht
immer war es leicht, einen Täter zu überführen. Wenn wesentliche
Verdachtsmomente vorlagen, z. B. der Besitz eines Tatwerkzeugs – war die
peinliche Frage, die Folter, zulässig.
Um Willkür einzudämmen, waren Dauer und Anzahl der Folterungen von der
Carolina, der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V., begrenzt worden. Aber
die Carolina stellte es den Landesherren frei, abweichende Vorschriften zu
erlassen.
Hexerei war natürlich ein schwer nachzuweisendes Verbrechen.
Katharina Henoth wurde von ihren Richtern unmenschlich gefoltert.
Ihr Zeitgenosse, der Jesuit Friedrich von Spee, schrieb in der 39. Frage
(Dubium) seiner Cautio Criminalis, wenn auch ohne ihren Namen zu nennen:
„Erst kürzlich hat man eine Angeklagte zum Flammentode geführt, die
drei, vier, ja fünf Male gefoltert worden war. Mit lauter Stimme bestritt sie,
schuldig zu sein, hielt das durch alle Folterqualen hindurch bis zum
Richtplatz aufrecht und bestieg, nachdem sie es dort auch noch einem
Notar erklärt hatte, den Scheiterhaufen .“ (Spee, Cautio S. 190)
Der hier angesprochene Advokat, Laurentius Mey, berichtet, wie Katharina
Henoth ihm auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte die Echtheit des letzten
Briefs an Ihren Bruder bestätigte, geschrieben mit der linken Hand, "weiln die
rechte wegen so starken torquirens gantzlich verlamdet“.
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Dies vor Augen führten wir in der Schulkonferenz vor 30 Jahren eine
ernsthafte und engagierte Diskussion, an die ich mich deutlich erinnere.
Wir fragten:
Kann Katharina Henoth, die in Ihrem Leiden sich weit über das menschliche
Normalmaß als standhaft erwiesen hatte, eine Leitfigur für unsere
Schülerinnen und Schüler sein? Wir wollen zur aktiven Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben erziehen, nicht zu passivem Ertragen.
Ist andererseits Katharina Henoth nicht gerade deswegen die richtige
Namenspatronin? Denn wenn wir zur Handlungsfähigkeit in unserer
Gesellschaft erziehen wollen, so bedeutet das ja nicht zwangsläufig, dass
unsere Schule nur den Namen einer historischen Person tragen kann, der
äußerer Erfolg im Handeln beschieden war.
Geht es überhaupt vorrangig um Katharina Henoth als Opfer ? Oder ist sie in
ihrer Standhaftigkeit und mit ihrem persönlichen Mut nicht vielmehr ein
Zeichen dafür, dass unerschrockenes Einstehen für Bürger- und
Menschenrecht, dass individuelle Unabhängigkeit und Freiheit möglich sind –
auch im Schnittpunkt der Interessen von religiös begründeter und von
weltlicher Macht und gegen härtesten Zwang?
Dieser komplexe Zusammenhang muss aufgefächert werden. Hat dieser
Gedanke heute, 20 Jahre nach der Entscheidung in der Schulkonferenz noch
dieselbe Aussagekraft?
6. Die Ketzersekte der Hexen
Eine grundsätzliche Frage bleibt:
Was hat denn unsere aufgeklärte Gegenwart, unser moderner Rechtsstaat,
mit den Hexenverfolgungen vor 400 Jahren zu tun?
Für viele Historiker seit dem 19. Jahrhunderts stand fest, dass
Hexenverfolgungen nichts als ein Hexenwahn waren. Selbst als unsere
Schulkonferenz einen neuen Namen suchte, konnte man immer noch die
Meinung hören, dass die Hexenverfolgungen ein hysterischer, wenn nicht gar
geisteskranker, paranoider Irrsinn gewesen seien.
Für Katharinas Zeitgenossen hingegen stand außer Frage , dass Hexen in der
Wirklichkeit existierten . Hexen waren keine Einzeltäter wie ehedem die
Zauberer. Dämonologen, das waren hochgelehrte Theologen, hatten sich seit
Jahrhunderten gemüht, klar zu machen, woran man diese neuen Hexen
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erkennen konnte: nämlich an Hexenflug, Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft,
Hexensabbat und Schadenszauber.
Das Ziel der Dämonologen war also – im heutigen Sprachgebrauch – die
Erstellung eines Täterprofils der Hexen als der neuen Art von Ketzern.
Es war unzweifelhafte Wirklichkeit, dass Hexen mit dem Teufel einen Pakt
schlossen, wodurch sie aufgenommen wurden in die Hexensekte, gleichsam
in einen Geheimbund; dass sie leibhaftig zum Hexensabbat flogen, wo der
Pakt mit dem Teufel durch körperliche Vereinigung besiegelt wurde, und dass
diese Hexensekte dann der ganzen Gesellschaft und der göttlichen
Weltordnung größten Schaden zufügten.
Der Dominikaner Heinrich Kramer hatte angesichts des bevorstehenden
Weltendes in seinem Vorwort zum Malleus maleficarum, dem Hexenhammer,
die Gefährlichkeit der Ketzerei der Hexen beschworen. (Kramer, Malleus / Apologia S.
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Und auf seiner Linie hatte 100 Jahre später der Weihbischof Peter Binsfeld in
Trier wirklich ganze Scharen von Hexen überführt .
Es ging um die Abwehr der Feinde Gottes und die Sicherung des
Gemeinwohls, und jeder, der nicht selbst in den Verdacht der Zugehörigkeit
zur Hexensekte geraten wollte, durfte bei der Verfolgung der Hexen nicht
abseits stehen.
Selbst für Friedrich von Spee, der Katharinas Hinrichtung miterleben musste,
war trotz seiner sehr kritischen Einstellung die Hexerei ein schweres
Verbrechen:
„Sie (die Hexerei) ist ein besonders ungeheuerliches, schweres und
abscheuliches Verbrechen, denn in ihr treffen die schlimmsten
Verbrechen zusammen, wie Abfall von Glauben, Ketzerei,
Religionsfrevel, Gotteslästerung, Mord, ja sogar Vatermord, oft auch
widernatürliche Unzucht mit einem Geschöpf der Geisterwelt und Hass
gegen Gott, welches die denkbar grässlichsten Verbrechen sind.“ (Spee,
Cautio S. 5)
Hatten Theologen seit Jahrhunderten intensiv erörtert, wie die Hexensekte
nachweisbar zu beschreiben sei, so war nicht weniger Mühe war darauf
verwandt worden abzuklären, wie man Hexen überführen konnte.
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Als Katharina Henoth verhaftet wurde, galt allgemein und erst recht im
Kurfürstentum Köln unter Erzbischof Ferdinand von Bayern, dass Hexerei ein
Crimen exceptum sei, sozusagen ein „Sonderverbrechen“,
für dass die Verfahrensregeln des normalen Strafprozesses, des processus
ordinarius, überhaupt nicht gelten würden.
Also : Zulässig, ja erwünscht, war die Besagung, d. h. die Denunziation der
Verdächtigen. Unbegrenzte Folter war zulässig, da im Todesfall der
Verhafteten der Teufel selbst es war, der die Hexe erwürgt hatte; zulässig war
die Todesstrafe ohne Geständnis, da lebende Augenzeugen die Angeklagte
auf dem Hexensabbat eindeutig identifiziert hatten.
Nicht zulässig aber war die Verteidigung der Angeklagten.
Wenn strafrechtliche Verfahrensvorschriften Menschenrechte schützen sollen
– auch in der Carolina Karls V. - einem Strafgesetzbuch mit
prozessrechtlichen Regelungen - so war dieser Schutz für die Angehörigen
der Ketzersekte der Hexen ganz und gar aufgehoben.
Warum nur haben die Menschen das alles zugelassen? Es gab doch – wenn
auch nur vereinzelt – mutige Stimmen gegen die Hexenverfolgung:
Unerschrockene Theologen, Ärzte, Juristen, die keine Drohung davon abhielt,
ihre abweichende Meinung in Wort und Schrift zu veröffentlichen. Um nur drei
Beispiele zu nennen:
Der Jurist Ulrich Molitor hatte sich in Reaktion auf den Hexenhammer schon
sehr früh eher skeptisch zum Verbrechen der Hexerei geäußert.
Dem Theologen Anton Prätorius war sein freies kritisches Wort und sein
energisches Auftreten gegen die Folter wichtiger gewesen als seine gute
Stellung bei Hofe.
Für den Arzt Johann Weyer, der gleichermaßen gegen Folter und ebenso
gegen Denunziation sich erklärte, waren Hexenflug und Hexensabbat nichts
als dämonische Vorspiegelungen.
Warum also?
Hätte man diese Frage seinerzeit Bürgern oder Dorfbewohnern gestellt, so
hätten sie auf die tagtägliche Schädigung durch Hexerei in ihrer unmittelbaren
Umgebung gezeigt: Die einzige Kuh gab keine Milch, der Bruder war plötzlich
schwer erkrankt, das Kind der Nachbarin gleich nach der Geburt verstorben,
ein schweres Unwetter hatte die Ernte verdorben.
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Das Wetter war fast täglich in aller Munde. Seit etwa 1560 hatte sich das
Klima drastisch verschlechtert – wir wissen heute, es war eine Kleine Eiszeit.
Und so herrschten denn seit Jahrzehnten katastrophale Bedingungen für
Aussaat und Ernte, und nicht zuletzt für den Weinanbau. Dafür konnten nur
Hexen verantwortlich sein.
Die Liste der ängstigenden Schäden nahm einfach kein Ende.
Die allgemeine Überzeugung - der mainstream - ließ keinen Zweifel: Hexerei
war keine Einbildung. Die Menschen fühlten sich von der ungreifbaren
Ketzersekte der Hexen bedroht und waren in abgrundtiefer Angst. Man fühlte
sich zutiefst verunsichert, zumal die Größe und die Nähe der Gefahr
überhaupt nicht einzuschätzen waren.
Es war dieses Gefühl des Bedrohtseins durch eine nicht fassbare Macht,
diese existentielle Angst der Menschen, die das absolut reale Fundament für
jeden Hexenglaubens bildete, eine so reale Basis, wie für uns Heutige Angst
nur sein kann.
7. Ein Terrornetzwerk
Noch einmal die Frage: Was hat die Lebenssituation im 17. Jahrhundert mit
unserer Gegenwart zu tun?
Ersetzen wir die Bezeichnung Hexensekte durch Terrornetzwerk. Rufen wir
uns ins Gedächtnis, in welchem Ausmaß, der internationale Terrorismus uns
bedroht, und zwar nicht nur die globalisierte Wirtschaft, sondern ebenso die
westlichen Freiheitsrechte - zu allererst die Meinungsfreiheit.
Die Gefahr durch den Terror liegt so im Dunkeln und ist doch so präsent, wie
für die Menschen seinerzeit die Gefahr durch die Ketzersekte der Hexen.
Wenn die eigene rechtschaffene Mutter urplötzlich als Hexe erkannt und
überführt wurde, so war das ebenso erschreckend, unerklärlich und
verunsichernd, wie heute die Veränderung des eigenen Sohnes vom sog.
Schläfer zum Selbstmordattentäter. (vgl. Zopfs, S. 35)
Staaten waren und sind aufgerufen, Antiterrormaßnahmen zu ergreifen, und
wir erleben, dass anerkannte rechtsstaatliche Verfahren, die Menschenrechte
schützen sollen, außer Kraft gesetzt werden.
Nach dem Terrorangriff auf das World Trade Center rief Präsident Bush den
Krieg gegen das Böse aus, in dessen Verfolg es Gefangennahme
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aufgrund bloßen allgemeinen Verdachts der Zugehörigkeit zu einer
Terrorgruppe und Folter zum Zweck der Beweissicherung gab. Bis heute
erlaubt es die Terrorbekämpfung durch Fernlenkwaffen zudem, Verdächtige
ohne Strafverfahren, ohne Verteidigungsmöglichkeit und ohne Geständnis zu
töten.
In der Bundesrepublik wurde das Gesetzesvorhaben, eine Abschussermächtigung zu ermöglichen, wenn Flugzeuge als Waffe gegen andere
Menschen eingesetzt werden sollten, vom Bundesverfassungsgericht zwar für
nichtig erklärt.
Aber die Gefährdung durch den internationalen Terrorismus, das daraus
entstandene Gefühl des Bedrohtseins und das Bedürfnis nach mehr
Sicherheit führte dazu, in mehreren Anti-Terror-Gesetzen die Kompetenzen
der Sicherheitsorgane zu vergrößern, um Mobilität und Informationsverhalten
eines Verdächtigen kontrollieren zu können. Hier stehen Grundrechte in
Gefahr, eingeschränkt zu werden.
Wenn aber Grundrechte in Gefahr sind, dann ist auch die Meinungsfreiheit
nicht mehr gesichert.
Schließlich: Was für ein nachhaltiger Appell -– hier und heute an uns
Muss ich es noch einmal hervorheben? Dass es mir ganz und gar nicht um
eine kurzschrittige und schiefe Gleichsetzung von Hexerei und Terrorismus
geht, wie in dem eingangs wiedergegebenen Internet-Zitat.
Es geht mir aber um die Gleichsetzung der
psychischen Realität der Angst der Menschen vor 400 Jahren und der
psychischen Realität der Angst von uns heute.
Es geht mir also um unser Verhalten, wenn Angst herrscht,
wenn infolge einer Politik der Angst Menschenrechte auf dem Spiel stehen.
Viel weniger - als uns lieb sein kann - trennt uns von jenen Menschen zu
Beginn der Neuzeit, die das Spektakel, als Katharina Henoth verhaftet wurde,
schaulustig genossen und die auf ihrem Weg zur Hinrichtungsstätte tatenlos
an der Straße standen, als ihr Menschenrecht missachtet wurde. Es waren
einfach Menschen, die im Grunde nur heilfroh waren,
dass sie nicht selbst betroffen waren. Dass Katharina Henoths
Menschenrechte missachtet wurden, kümmerte sie nur wenig.
Und heute? Wir alle sind aufgerufen, darauf zu achten, auch in der Angst vor
drohenden Terrorangriffen, vor nachhaltigem Schaden für uns selbst,
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für unsere Wirtschaft und Gesellschaft und im Streben nach größtmöglicher
Sicherheit, nichts der in Jahrhunderten erkämpften Rechte aufzugeben.
Welch starke Aufforderung für unser gegenwärtiges und künftiges Tun und
Handeln geht da von Katharina Henoth aus, welch konsequenter und
kompromissloser Aufruf, dass wir hier und heute für die Wahrung der
Menschenrechte einstehen – angefangen bei der Verteidigung der
Meinungsfreiheit - und unsere Schülerinnen und Schüler in diesem Geist
erziehen.
Rückblickend zeigt sich: Die Schulkonferenz hat 1992 allen Grund gehabt
sich für den Namen Katharina Henoth zu entscheiden.
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