Leonardo da Vinci

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Leonardo da Vinci
Vom Ort zum Wort
Ein Weg zu den Potentialen
der Heileurythmie
Theodor Hundhammer
www.bewegteworte.ch
Leonardo da Vinci – ein Vorbild?
Die gemeinsame Entwicklung von Kunst und
Technik
Die gesamte Menschheit ist seit langem in einem Spannungsfeld von Technologie und Kunst. Es ist ein Prozess der Seelenbildungs-Charakter hat.
Das jüdische Volk erlebte Gefangenschaften im TechnokratieLand Ägypten und im Kunst-Land Babylon. Im Kulturraum
von Griechenland und Rom standen sich herausfordernd die
künstlerisch-idealistisch-griechische und die pragmatischtechnologisch-römische Haltung gegenüber. Auch in unserer
Zeit kann man bemerkenswerte Parallelen zwischen der Entwicklung der Kunst und der Entwicklung der Technologie
finden. So ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass wiederholt
europäische Erfindungen erst in Amerika den wirtschaftlichen Erfolg fanden.
Leonardo da Vinci, der die Mechanik als eine selbstständige
wissenschaftliche Disziplin begründete, wird allgemein als
der Vater der modernen Wissenschaften und der Technologie
anerkannt. Gleichzeitig wurde er zum Schöpfer der modernen
Form der Malerei. Der Ausdruck, die Dramatik des Bildes
kommen bei ihm aus dem Inneren der dargestellten Menschen und nicht mehr aus Bildinhalten, die allegorische Hinweise auf abstrakte Bedeutungen oder auf einen göttlichen
Ursprung sind. Seine Bilder sprechen für sich selbst. Bei Leonardo wurde die Malerei zu einer absoluten, auf sich selbst
1
Dieses Kapitel basiert auf den Publikationen von Horst Wedde,
Professor der Informatik an der TU Dortmund. (Siehe Literaturverzeichnis: Wedde Horst 1996, 1997, 2005)
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1
gestellten Kunst.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelt sich die
Musik durch Mozart, Haydn und insbesondere Beethoven zu
einer Kunst, die eine menschliche Dramatik zum Ausdruck
bringen kann. Im gleichen Zeitraum erwacht in der Gesellschaft ein wissenschaftlich-technisches Interesse an elektrischen Phänomenen. Innerhalb von nur 50 Jahren entstehen
die Elektrizitätslehre und die Elektrotechnik.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts wird von Rudolf Steiner die
Eurythmie als eine neue Kunstform inauguriert, die die inneren Gesetzmässigkeiten des ganzen Menschen mit Gesten und
Bewegung zum Ausdruck bringen will. Kurze Zeit später entsteht aus abstrakten Vorbereitungen zur Berechenbarkeit von
Funktionen im Verband mit der Elektrotechnik die Computertechnologie1. Diese Technologie, die grosse Herausforderungen an die Persönlichkeit eines Menschen stellt, hat sich seitdem blitzartig auf der ganzen Welt verbreitet.
Eurythmie und Computertechnologie
Die Elemente der bildenden Kunst und die der Mechanik sind
sinnlich greifbar. Ihre Farben, Formen, Materialien nehmen
einen Raum ein, sind fest, beständig und undurchdringlich.
Wo das eine ist, kann das andere nicht sein. Flüssigkeiten und
Gase können nur unter Energieverlust gemischt werden.
Die Elemente von Musik und Elektrizität durchdringen sich
ohne jeden Energieverlust vollständig. Sie sind zeitweise beobachtbar oder hörbar, zeitweise offenbaren sie sich nur einem inneren, gedanklichen Wahrnehmen. Ihre Wahrneh1
Der erste frei programmierbare binäre Rechner war die 1938 von
Konrad Zuse gebaute, noch mechanische Z1. Die 1941 fertiggestellte
Z3 war der erste funktionstüchtige Computer der Welt.
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mung hat vorübergehend sinnlichen Charakter. Musik und
Elektrizität charakterisieren sich durch heftige und abrupte
Erscheinungen. In der Musik sind es die Stimmungs- und
Lautstärkewechsel, es entstehen Rhythmen, Melodien und
Harmonien. In der Elektrizität entladen sich Blitze. Die Kirchhoffschen Regeln offenbaren uns ihr Spiel zwischen elektrischen Strömungen und elektrischen Spannungen in Netzwerken.
Für das Gebiet der Computertechnologie sind die Beobachtungen von Horst Wedde, Professor für Informatik an der
Technischen Universität Dortmund, von Interesse. Er beobachtete bei seinen Studenten das Entstehen einer von ihm so
genannten überpersönlichen Sozialität. Damit meint er die
Fähigkeit, ohne Sympathie oder Antipathie, ohne vorgefertigte Meinungen oder gedankliche Prinzipien mit vollem inneren Einsatz für andere Menschen zu wirken und nicht für eine
Sache oder für sich selbst. Dies sei eine Folge der Arbeit mit
interagierenden autonomen Prozessen bei der Entwicklung
von Software.
Horst Wedde macht darauf aufmerksam, dass es auf dem Gebiet der Eurythmie ebenfalls um die Entwicklung des überpersönlichen Ich geht. Dieses lebendige, durch und durch
geistvolle Ich ist der Ausgangspunkt der Gesten der Eurythmie. In den eurythmischen Gesten drückt man sein inneres
Kraftsystem aus, man öffnet sich im wahrsten Sinne des Wortes. Horst Wedde sieht die Computertechnologie und die Eurythmie als zwei polare Felder der Ich-Begegnung im NichtStofflichen ausserhalb von Raum und Zeit.
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Leonardo da Vinci, La Gioconda, die Lächelnde
Übersinnlich – untersinnlich
Die historische Entwicklung von Mechanik, Elektrotechnik
und Computertechnologie stellt eine Entwicklung dar hin zu
immer untersinnlicheren Kräften. Malerei, Musik und Eurythmie greifen nach immer feinstofflicheren Bereichen des
Übersinnlichen. Im Spannungsfeld dieser Polaritäten entwickeln sich unsere Kulturen.
Die Polarität von Malerei und Mechanik förderte bei Linoardo
da Vinci die bewusste Entwicklung der Fähigkeit zur Imagi124
nation. Das Spannungsfeld von Musik und Elektrizität kann
die Fähigkeit des inneren Lauschens, der Inspiration fördern.
Der Gegensatz von Computertechnologie und Eurythmie hat
Beziehung zu dem, was mit der Intuition, mit der persönlichen inneren Stimme, zusammenhängt.
Leonardo da Vinci war ein Künstler auf dem Gebiet der Malerei und auf dem Gebiet der Mechanik. Auf beiden Gebieten
entwickelte er Neues. Das war ihm wichtiger als eine herausragende Karriere in nur einer Richtung. So erarbeitete er sich
die Fähigkeit, Lebenskräfte wahrzunehmen und durch seine
Bilder hindurchscheinen zu lassen. „La Gioconda“, „die Lächelnde“ wurde zum weltberühmten Urbild für dieses Prinzip.1
Das Spannungsfeld von Eurythmie und Computertechnologie
ist neu. Welches Potential und welche Aufgabe damit verbunden sind, ist unklar. Noch gibt es keine öffentliche Diskussion, die diese Polarität aufgreift. Entsprechende Versuche, Eurythmie auszuüben und gleichzeitig neuartige Computer-Software zu entwickeln, blieben Einzelfälle.2
1
2
Lächeln ist eine Regung der Persönlichkeit, die von innen aufsteigt
(vgl. Seite 35).
Arno Höffken, Computer-Experte und Software-Entwickler, studierte in Den Haag Eurythmie. Parallel dazu entwickelte er das ausschliesslich mit Begriffen arbeitende Betriebssystem Concepts. Sein
frühzeitiger Tod (†2002) verhinderte die Fertigstellung seiner Arbeit.
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Bilderverzeichnis
Umschlag: Gold auf Quarz, NHM-B 2012 (th); S.13: Taucher, Etruskisch, (gf), Text von
(th); S.15: Stilles Mineralwasser, Walter J. Pilsak (wc, gnu V1.2); S.19, 25: Greek Blackfigure Amphora with Herakles and Apollo, 4821 - Side A, Walters Art Museum (wc, cc,
sa-3.0); S.19, 25: Cherub, San Marco, Venedig (gf); S.25: Die drei Kabiren, R. Steiner, 1917
(th); S.26: Ich bin Eins, 2012 (th); S.28: Pferdeskelett, Chauveau Auguste, Arloing Saturnin, Traité d'anatomie comparée des animaux domestiques, 1890, Paris (gf); S.28: Kreuzbein, Gray's Anatomy 1858 (gf); S.33: Der Mensch ist ein zweispaltiges Wesen, Steiner
16.6.1923, © 2003 RSN; S.36: Rosa 'Red Chateau' , Hamachidori (wc, cc, sa-2.1JL); S.36:
Lilium auratum, Kenpei (wc, cc, sa-2.1JL); S.43: Tango, Tanz der Herzen, Seite 108, Ralf
Sartori, http://tango-a-la-carte.de (mfg); S.50: Venustransit am 06.06.2012, MakePictures
(wc, cc, sa-3.0); S.34: Karfreitag, Rudolf Steiner © RSN; S.34: Auferstehung am
Ostersonntag, Matthias Grünewald, Colmar (gf); S.51: Nut auf ägyptischem Sargdekel,
Lexikon der Astrologie (unbekannte Quelle); S.54: Feder, 2012 (th); S.56: Restoration of a
Diplodocus carnegii skeleton, Hatcher 1901 (gf); S.56: Vorderläufe eines Afrikanischen
Elefanten, NHM-B (th); S.58: Kugelfisch Aluteres, NHM-P (th); S.58: Rückgrat und
Rückenflosse des Dorsch, NHM-P (th); S.58: Fisch von Monte Bolca, NHM-P (th); S.60:
Sternum des Strauss, NHM-P (th); S.60: Sternum des Pferdes, NHM-P (th); S.62: Appareil
hyoidien des Windhunds, NHM-P (th); S.62: Brust und Schultergürtel der Wildgans,
NHM-P (th); S.62: Felsentaube, NHM-P (th); S.63: Tierkreismensch, Heinrich von Laufenberg ca. 1450 (gf); S.65: Eurythmieübung Stabwerfen, 2011 (th); S.68: Tango am Meer,
Gonzalo Alonso y Mariel Robles (mfg); S.73: Auf- und abstrebende Hände, 2011 (th); S.76:
Torso Altes Museum Berlin, Marcus Cyron 4.1.2007 (cc by-sa-2.5); S.118: Wassertropfen,
pjt56, 12 Dezember 2009 (gnu V1.2); S.125: Mona Lisa, Leonardo da Vinci (gf); S.127:
Johannes der Täufer, Leonardo da Vinci (gf); S.130: Planetengebärden, R. Steiner, Eurythmie als sichtbare Sprache © RSN; S.87: Vitruvischer Mensch, Leonardo da Vinci (gf)1
1
cc
gf
gnu V1.2
JL
mfg
NHM-B
NHM-P
RSN
sa-3.0
th
wc
12/2012
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