Einleitung: Theorien der Proto-fndustrialisierung

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Einleitung: Theorien der Proto-fndustrialisierung
Markus CERMAN - SheilaghC. OGILVIE
Einleitung: Theorien der Proto-fndustrialisierung
umfaBtdie Expansionder HausinduDer Begriff der ,,Proto-Industrialisierung"
strie in vielen Teilen Europaszwischendem 16.und dem 19. Jahrhundert,die
Gtiter ftr tiberregionaleMtirkte produzierte. Meistens, aber nicht immer, entstanden solche proto-industriellen Gewerbe in liindlichen Gegenden,wo sie
gemeinsammit der Landwirtschaft betriebenwurden; gewdhnlich entwickelten
sie sich ohne die Anwendung fortgeschrittener Technologien und ohne die
Zentralisierungvon Arbeitskriiften in Fabriken.
Dieses weitverbreiteteindustrielle Wachstum im frtihneuzeitlichen Europa
ist schon lange Gegenstandwissenschaftlicher
Forschungen.In den siebziger
Jahrenzog diesesPhiinomenbreiteresInteresseauf sich, als es von einer Anzahl
stimulierenderAufsiitze und Bticher als ,,Proto-Industrie"bezeichnetund argumentiert worden war, daBes eine wesentlicheUrsacheder Transformationzum
Kapitalismus und zur Fabrikindustrialisierungwar.
Der Begriff ,,Proto-Industrialisierung"wurde von Franklin Mendelsin seiner
1969verfaBtenDissertationund in einem nunmehrberilhmtenAufsatz im Jahre
1972geschaffen(Mendels1972).Mendelsbeschreibtmit ,,Proto-Industrialisierung" die erste Phaseder Industrialisierung.Die ,,vorindustrielleIndustrie (...)
ging der eigentlichenmodemenIndustrialisierungvorausund bereitetesie vot''
(Mendels 1972:241).WZihrenddieserPhaseerfolgte die Einbindung lZindlicher
Arbeitskriifte in ftir den iibenegionalen Markt produzierendehausindustrielle
Gewerbe.Durch diesenhozeB ltiste sich die Bevdlkerung von den agrarischen
Ressourcenund es kam zur Beschiiftigung freier, aufgrund des saisonalen
charakters der landwirtschaftlichen Produktion zuvor ungenutzter Arbeitskriiftepotentiale.Die Ausweitung der Produktion verlangteeine regionale Spezialisierung in l2indlich-gewerblicheund kommerziell-agrarische Regionen.
Mendels sah es als selbstverst2indlich
an, daBdas gesamtefrtihneuzeitliche
Europa (und nicht nur Flandem) vom Niedergang der ziinftigen stiidtischen
Gewerbebetroffen war, als sich das llindlich-industrielle Gewerbeausbreitete.
Dort zersttirtedie Proto-Industrialisierungnach Mendels auch ein traditionelles
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sozialesGleichgewicht- dasder AbstimmungdesBevolkerungswachsrums
auf
die vorhandenen wirtschaftlichen Ressourcen.Fiir die von ihm untersuchte
Region Flandem versuchte er nachzuweisen,daB die gtinstigen industriellen
Konjunkfuren zu einer Zunahme der Zahl der Verehelichungen fiihrre, die
irreversibel war, d.h. auch in Tniten schlechterKonjunkturen nicht zuri.ickging.
Dieshlitteumgekehrtzu einerweiterenExpansionderliindlichenHausindustrien
gefiihrt, die letztlich die Arbeitskriifte sowie das Kapital bereitstellte und die
EntstehungeinesUnternehmertums,der kommerziellenLandwirtschaftund von
tiberregionalenMiirkten ftir die Fabrikindustrialisierungeinleiteteund ftrrderte.
Wtihrendder siebzigerund achtzigerJahrewurden Mendels' Argumentevon
anderenHistorikernaufgenommenund gabenden AnstoBzur Entstehungverproto-industriellerTheorien.Eine ging von
schiedenerForschungsrichtungen
David l-evine aus, der in seinerDissertationdie Proto-Industrieebenfallsals
Fakor betrachtete,der das demographische
Verhaltenrevolutionierte(l-evine
1977).Fiir ihn war die Proto-Industrialisierung
und die siebegleitendeBev6lkerungsexplosionhauptsAchlich
deshalbvon Bedeutung,weil sie die Arbeitskriifte
Damitmeinteer dendurchdie Entwicklungausgeldsten
,,proletarisierte".
Zusammenbruchder sozialenund Grundbesitzstrukturen
der traditionellenliindlichen
Gesellschaft,der die Etablierungeiner landlosen,auf Lohnarbeitangewiesenen
Gruppemit sich brachte.Levine betrachtetedie Proto-Industrialisierung
lediglich alseinenAspektinnerhalbdesProzesses
der Proletarisierung,
derfi.irihn die
entscheidende
Vorbedingungftir Kapitalismusund Industrialisierungdarstellte.
AusltisereinerIntensivierungder Debattezundchstim deutsch-(1977)und
dannim englischsprachigen
Raum( lgB l ) war dasBuch von peterKriedte,Hans
Medick und JiirgenSchlumbohm:,,Industrialisierung
vor der Industrialisierung.
Gewerblichewarenproduktion auf dem Land in der Formationsperiodedes
Kapitalismus."Indem sie die Resultatevon Mendelsund Levine mit frtiherer
Literafurtjberdie Hausindustrie- insbesondere
jener derdeutschenHistorischen
schule der Nationaltikonomie- kombinierten,verwandeltensie die Theorieder
Proto-Industrialisierung
in ein generellesModell der sozialenund wirtschaftlichenveriinderungenzwischendemMittelalterunddem 19.Jahrhundert
(Kriedte/
Medick/Schlumbohm1983).In ihreneigenenworten liiBtsich
,,proto-Industrialisierungals 'Industrialisierungvor der Industrialisierung'... kennzeichnen
als
Herausbildung
von liindlichenRegionen,in deneneingroBerTeilderBevolkerung
ganz oder in berachtlichem MaBe von gewerblicherMassenproduktion
fiir
tiberregionaleund intemationaleMlirkte lebte.... ln der epochalenperspektive
gehdrtes in den groBenTransformationsprozeB
hinein, der die f'eudalverfaljten
europliischen
Agrargesellschaften
ergriff undsiein denindustriellenKapitalismus
hiniiberftihrte" (Krie dte/lr4edick/S
chlumbohm 1977 :26).
Die Proto-Industrialisierung
stelltfiir siedie ,zweite phase"desTransformationsprozesses
dar, dennsie konnte,Jrurdort platz greifen,wo sich dasFeudal-
Einleitung
ll
Aufldsungbefand" (1977:26)'
syspm entwedergelockerthatteodersichbereitsin
bildete die Ausdifferentjie CrunOtagediiser Entwicklung in der,,erstenPhase"
Aufsplitterung deragrarischen
o"^nga"tigrarischen Klassenstrukturenunddie
bedingtdurchdie
noOo[,ion ineinenkommerziellenund einenSubsistenztypus,
und nordwestin
westbesonders
in
Geldrenten
Umwandlung der ProduktBevtilliindlichen
der
europziischenfeudalenGesellschaften.Die Polarisierung
der
liindAngehorige
terung in, idealtypischgesehen,bliuerlicheSchichtenund
der zweitenGruppe
licherlUnterschichtenist die Basisfiir die splitereIntegration
in die liindliche Hausindustrie'
Ausl6ser fiir diese Integration ist das EntstehentiberregionalerMZirkteund
der Autoren,
die erforderlicheAusweitungder Produktion,die, nach Meinung
Verlegung der
aufgrund der ziinftigen Beschriinkungenin den Stiidten die
proiuktion auf liindliche Regionennotwendigmachte.Uber die Abfolge verschiedener,aber nicht starr oder deterministischzu denkenderEntwicklungsAusgehendvom Kaufsystem,
stufenwandeltesichdie Produktionsorganisation.
in dem die liindlichen hoduzenten Autonomie tiber Produktion und Absatz
behielten,bedingte das zunehmendeEindringen von Kaufmannskapitaldie
wachsendeAbhiingigkeitder Produzentenvon Kaufleutenund verlegem. wesentlichstesElement dieser Abhiingigkeit war der verlust des selbstiindigen
Marktzugangssowohlfiirdie BeschaffungderRohstoffealsauchfiir denAbsatz
der produkte.DieseEntwicklungbeinhalteteschlieBlichdie graduelleKonzentrationund Mechanisierungder Produktion.Das Konzeptvon Kriedte,Medick
und Schlumbohmberticksichtigtexplizit die MtiglichkeiteinesScheitemsdieser
und De-lndustrialisierung'
Entwicklungmit derKonsequenzderReagrarisierung
Konsequenzenspielenin der Theorieeine wichtige
Die demographischen
Rolle. Das von Hans Medick entwickelte ,demo-$konomischeSystem" der
Entwicklung systemaverkniipft die demographische
Proto-lndustrialisierung
Haushalte.Medicks
proto-industriellen
tisch mit der Familienwirtschaftder
Zusammendirekten
Konzeptgeht damit i.iberdie von Mendelsinterpretierten
von JiirgenSchlumbohmsBeitragin diesem
hlingehinausund wird ausfi.ihrlicher
Band behandelt.
Was von Kritikern und BefiirwortemdesKonzeptsvon Kriedte,Medickund
Schlumbohmoft iibersehenwurde,ist die Tatsache,daBihre Theorieeigentlich
bietet'Peter
der Proto-Industrialisierung
Einschiitzungen
zwei unterschiedliche
in
Kriedte und Hans Medick schreibender Phaseder Proto-Industrialisierung
dencharaktereineseigenenSystemszu, d.h.einerProihrem ,,systemkonzept"
dieEleundKapitalismus,
zwischenFeudalismus
duktionsweise
desUbergangs
verhingegen
vereinigt.JtirgenSchlumbohm
mentebeiderProduktionsweisen
tritt die These,daBdie proto-industriellePhasezwar MerkmalebeiderProdukderPeriodeund beurtionsweisenvereinigte,abererbetontdenProzeBcharakter
feudalen
der
Produktionsweise.
Teil
als
teilt sie nicht als System,sondern
l2
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Das Konzept der Proto-Industrialisierunghattesich somit spatestens1977n
eine Familie verschiedenerTheorien verwarldelt, die relativ unterschiedliche
Definitionen von Proto-Industrie verwendetenund die sich iiber die Ursachen
wirtschaftlicher Entwicklung in grundsaefichen Punkten uneinig waren. Fast
alles, was ihnen gemein war, ist, da8 sie diese Ursachenin einem bestimmten
Sektor der Wirtschaft ansiedelten- bei den exportorientiertenliindlichen Hausindustrien - und daB dieser Sektor das traditionelle demographischeGleichgewicht durchbrach. Uber die folgenden Jahre und Jahrzehnteregten die verschiedenenRichrungen der Proto-Industrialisierungs-Theorieeine gewaltige
T,ahlvonForschungeniibef Hausindustrie-Regionen
in ganzEuropaund dariiber
hinaus an.
1982wurden Franklin Mendels und Piene Deyon eingeladen,eine der drei
Hauptsektionendes ,,Eighth Intemational Economic History Congress" in
Deyonund MendelshattendavordenVorschlageiner
Budapestzu organisieren.
Definition und eine Liste von Hypothesenzirkulieren lassen.46 Forscherinnen
und Forscher prdsentiertenempirische Papiere (Deyon/1\4endels
1982) und
MendelsfaBtedie Resul[atein einem ,,allgemeinenBericht" zusammen,der eine
i.iberarbeiteteDefinition und eine Reihe von Hypothesen beinhaltete,die die
Basis fiir darauffolgendeDebattenwurden (Mendels lgBZ).
Das theoretischeKonzeptausdem Jahr 1982betontebestimmteSchliisseleigenschaften(Mendels 1982:77ff).Proto-Industrialisierungwurde nicht als
nationalesoder intemationales,sondernregionalesphiinomen betrachtet (und
sollte auch am bestenin dieserDimensionuntersuchtwerden).Innerhalbvon
Regionenwurden ftir eine Definition der Proto-lndustriendie Kombination von
drei bestimmtencharakteristikenangenommen:(l) von traditionellen,Ilandwerken" unterschiedsichdie Proto-Industriedadurch,daBihre Produktenicht fiir
den lokalen oder regionalenKonsum bestimmt waren, sondemftir den verkauf
auf Exportmiirkten auBerhalbder Region. (2) ,,Der signifikanteste Aspekt der
Proto-Industrialisierung"
war, daBsie,,Beschiiftigungsmdglichkeiten
in landlichenGebietenschuf ': siewurdein Nebenbeschiiftigung
von ,,Bauem,.ausgetibt,
die auchin der Landwirtschaftarbeiteten,und nur in ihrer,,extremenoder letzten
Ausformung"schloBsiedie vollbeschtiftigungmit ein. (3) Die proto-Industrialisierungbeinhaltetedie ,,symbioseliindlicherIndustriemit der regionalenEntwicklung einer kommerziellen Landwirtschaft". zusatzlich gab es
,,dasdynamischeElement":Proto-Industrialisierung
wurde als ein diachroneswachstum
in der Industriebeschiiftigungvon liindlichen Arbeitskaften definiert.
Deyon und Mendelsprlisentiertenvier weitereHypothesenzu den AuswirkungenderProto-Industrialisierung.Erstenshaftesiezu Bevdlkerungswachstum
und zur ZersplitterungdesGrundbesitzes
geftihrt,indem sie die durch Bauern,
GrundherrenoderErbschaftssysteme
getragenentraditionellenBeschriinkungen
des demographischenVerhaltensbrach. Zweitens hiitte sie Profite abgeworfen.
Einleitung
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Drittens hiitte sie eine
die das Kapital fiir die Fabrikindustrialisierungbildeten.
und Erfahrungenfiir
Fiihigkeiten
deren
schicht von Kaufleuten hervorgebracht,
wiire von ihr die
viertens
Und
ai, ruutititrdustrialisierung gebrauchtwurden.
die in der Folge
worden,
Kommerzialisierungder Landwirtschafthervorgerufen
(Mendels 1982:80).
urbanisierungundFabrikindustrialisierungermoglichthiitte
Mendelsichlug 1982auch gewisseRevisioneneiniger der urspriinglichen
(Mendels 1982:93f0' Zuerstgaber
Hypothesender Proto-Industrialisierungvor
Oi" Chronologieder Froto-Industrialisierungvariierteund im Kontext der
muB. Zweitens
"u,iuS
wirtschaftsgeschichteder fraglichen Region untersuchtwerden
zur Pauperisierung
bestiitigteer, daBProto-Industrialisierungnicht unvermeidlich
der Produktionsvon
Produzenten
der
Einkommen
ftihrte;-er meinte, daB die
obwohl er
abhingen.
Erzeugnisses
funktion desspezifischenproto-industriellen
das demounweigerlich
nach wie vor daran festhielt, da8 die Proto-Industrie
mdglichergraphischeSystemstdrte,rAumrcer drittensein, daBihr EinfluB sich
die
iveise nictrt nur auf die Verehelichungen auswirkte, sondern auch auf
von
der
EinfluB
der
daB
er
ein,
gestand
Fertfftat und Migration. weiters
vom Vorherrscheneines,Buropdischen"FamiliensyHaushaltsorganisation,
von Frauenund
stemsim SinneHajnals (Hajnal 1965,1983),von det Stellung
der HausJugendlichen,dernAusmaB des Bevtllkerungsdrucksund der Natur
Mendels
hob
Viertens
abhing.
Gesellschaft
haltsbeziehungenin der spezifischen
von
Anzahl
einer
von
in
Abhiingigkeit
hervor, daB Proto-Industrialisierung
fiihren
Faktoren entwederzur Industrialisierungoder zur De-Industrialisierung
konnte. Fiinftens wurde von ihm anerkannt,daBder Effekt der Proto-Industriariskant
lisierung vom groBerenRahmender weltwirtschaft abhiingigwar, wases
anzuEntwicklungsliinder
gegenwlirtigen
die
auf
erscheinenlieg, Oie Theorie
modernen
die
wenden. Ztletztarg\mentierte er, daBdie Proto-Industrialisierung
der
Entwicklungsdkonomen vor den Gefahren simpler linearer Sichtweisen
Entwicldung, eingeschlossendie geradlinige Transformation von statischen
feudalen Gesellschaftenzu dynamischenkapitalistischen,warnen sollte'
Was wurde an systematischerKritik gegentiberden urspriinglichenKonzepMedick
ten geiiuBert?Ein grundslitzlicherPunktbetraf vor allem dasvon Kriedte,
vorund Schlumbohmentwickelte Modell. Ihnen wurde vorgeworfen, falsche
stellungen von der Funktionsweiseund Struktur jener ,,traditionellen Gesellschaften..zu haben,ausdenenheraussichdie Proto-lndustrialisierungentwickelVorauste. Dieser PunlCrichtete sich sowohl gegendie von ihnen formulierten
konkret
Setzungender,,ersten Phase"der Auflosung des Feudalismusals auch
mit
gegen t, gilo der Agrarverfassung,insbesonderejenes Teiles, den sie
1984:525ff,Houstolv
1983:zt40ff,Eley
-suU.irt"n"typus"beschreiben(Coleman
Snell 1984:491,Linde 1980:l06fl schremmer 1980:434ff,vgl. dazu Kriedte/
Medick/Schlumbohm 1983:92ff und den Beitrag von Schlumbohm in diesem
fii
Band). Dies fiihrt zur Frage,ob das iibemommene,von Alexander dajanov
IA
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russische Bauem des fnihen zwanzigsten Jahrhundertsentwickelte Modell
bliuerlicherFamiliendkonomie(Cajanov 1923) wirklich ftir frtihneuzeitliche
europiiischeGesellschaftenGtiltigkeit hat. Kritisiert wird auch dasProblemdes
proto-industriellen
konstruiertenKontrastszwischenden subsistenzorientierten
Produzentenund den profitorientierten,d.h. kapitalistischagierendenVerlegern
und Untemehmem (Mosser 1981:404ff).Tats?ichlichist die angenommene
ausschlieBlicheSubsistenzorientierungder liindlichen Heimarbeiterkeinesfalls
erwiesenund kann auch den beobachtetenAufstieg von Produzentenzu Faktoren, Verlegem und sogarManufakturistenoder die von ihnen vorgenommenen
Investitionenin die Landwirtschaft nicht erkliiren.
Weiters wurde darauf hingewiesen, daB die in den Theorien genannten
Voraussetzungenftir die Proto-Industrialisierungeigentlich nur im nordwestlichenEuropagi.iltigwaren,somitftirdasModellkeine allgemeineAnwendbarkeit
in Anspruchgenommenwerdenkann (Houston/Snell 19I 4 :476). Dariiberhinaus
wlire England auszuklammem, weil der Kommerzialisierungsgradund das
VorhandenseinkapitalistischerStrukturenbereitsvor der Etablierungvon ProtoIndustrien sehr weit fortgeschrittenwar, die Proto-Industrialisierungalso nicht
die UrsachedieserEntwicklunggewesenseink6nne.Auch wtirden die demographischenPostulateunddie CharatceristikadesUbergangeszurlndustrialisierung
ftir England nicht zutreffen (Coleman 1983:439ff , Housron/Sn ell:,476).
In denmeistenEntgegnungenfand auchdie Kritik am,,demo-rikonomischen
System" bzw. an dem von Mendels hergestelltenZusammenhangzwischen
Proto-Industrieund demographischemwachstum Beri.icksichtigung.Der Erkliirungswert und die Giiltigkeit dieser Konzepte wurden insgesamt in Zweifel
gezogen(Coleman 1983:442f,Linde 1980:I l3ff, Houston/Snell 1984:479ff,
Schremmer l98o:429ff , KriedteMedick/Schtumb ohm l99Z7 3ff).
Eine Kritik kam auchvon denvertretern der Gewerbegeschichte,
welche die
Konzentrationder Proto-Industrialisierungs-Theorie
auf lediglich einenBereich
desvorindustriellenGewerbes- die Hausindustrie- und die BetonungihrerRolle
im ubergang zur Industrialisierung zurtickwiesen (Kaufhold 19g6, stromer
r986).
Einletzter zentralerPunktbetraf die Rolle der Proto-Industrialisierungin der
Vorbereitungder Industrialisierung.Die konkretenGriinde ftir die Entwicklung
zur De-Industrialisierung bleiben weitgehend unklar (clarkson l9g5:34ff,
Houston/Snell1984:488ff;vgl. dazudenAufsatz von Clarksonin diesemBand).
obwohl die Erweiterung der Definitionen und Hypothesen aus dem Jahr
1982wesentlichgrdBereallgemeineAkzeptanzfandenals friihere (oderspiitere)
und, innerhalbgewisserGrenzen,bisheuteGiiltigkeithaben, wfudweiterhin tiber
beinahejeden einzelnenihrer Aspekte diskutiert. Es gibt noch immer Debatten
UberdieDefinition derProto-Industrie(Kriedte/Ivledick/Schlumbohm1992:70ff1
undes bestehtauchkeine ubereinstimmungiiberdie genaueGr6BeeinerEinheit,
Einleitung
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die als Region zu betrachtenwdre. Des weiteren herrscht Uneinigkeit i.iberdie
exakte theoretischeBedeutung des ,,Exportmarktes",dartiber, wie signifikant
dasExportelementsein muBte,und iiber die priiziseAbgrenzungzwischenlokal
orientiertenHandwerkenund exportorientiertenProto-Industrien.Obwohl Deyon
und Mendels anerkannten,daB ,der gesamtegewerbliche Sektor von der Stadt
organisiertoder koordiniert wurde", scheinensie die Proto-IndustrieausschlieBlich als die liindliche KomponentediesesSektorsbetrachtetzu haben(Mendels
lgg118). Dies ist ein Aspekt der Definition, der am stlirkstenkritisiert wurde.
Von einer anderenRichtung wird das Argument gebracht, daB groBe urbane
Exportindustrien, oder jene, die zentralisierteProduktionseinheitenmiteinbezogen,ebenfails unter der Kategorie der Proto-IndustrialisierungBerticksichtigungfinden sollten(Poni 1984,Hohenberg1991,Cerman1993).Auch entwikkelten sich Proto-lndustrienin RegionenohnekommerzialisierteLandwirtschaft
und es gab eine Anzahl, in denen von Anfang an wenig oder kein agrarischer
Nebenerwerbexistierte.SchlieBlichgibteskeineUbereinstimmungdartiber,wie
groB der Beschiiftigungsanteilregionaler oder lokaler ArbeitskAfte oder wie
schnell und anhaltenddasWachstumgewesensein muBte,um als ,,Proto-Industrialisierung" zu gelten.
StarkeKontroversenbetrafenauch die Hypothesenvon Deyon und Mendels,
die sich auf die Auswirkungen der Proto-Industrialisierungbezogen.Die Forschung hat gezeigt, daB die demographischenAuswirkungen der Proto-Industrialisierung und die Beeinflussung der Grundbesitzstrukturextrem variabel
waren (Kriedteffedick/Scfiumbolwr 1992:73ff,235 f0. Weiters schien ProtoIndustrialisierungnur eine von vielen Kapitalquellen ftir die Industrialisierung
gewesenzu sein.In manchenFlillen flossenProfite ausder Proto-Industriein die
Landwirtschaft, in Grundbesitzoder sozio-politischeInvestitionen.Proto-Industrialisierung war auch nur eine von zahlreichenUrspriingen von untemehmerischen Kompetenzenfiir die Industrialisierungund fand manchmalunter stark
beschriinktenRahmenbedingungenstatt, sodaBes tiberhauptnicht zur Herausbildung entsprechenderunternehmerischerF?ihigkeitenkam. Es gibt dari.iber
hinaus keinen Hinweis darauf, daB die Entwicklung kommerzieller LandwirtschafttabAchlich durch die Proto-Industrialisierungverursachtwurde und nicht
etwa durch landwirtschaftliche Uberschtisse,die umgekehrt zum Wachstum
sowohl von Proto-Industrienals auchStZidtenund Miirkten geftihrt haben.Kommerzielle Landwirtschaft entwickelte sich in vielen Fiillen friiher als eine ProtoIndustrieund auchin unterschiedlichenRegionen.Zuletztkamesin vielen protoindustriellenGebietennicht zurlndustrialisierung,sondemsie verbliebenprotoindustriell oder kehrtenzur Landwirtschaftzuriick. Es gibt tiber die Faltoren, die
diese Frage entschieden,keine Einigkeit und daher sind die determinierenden
Aspekte der Theorie stark reduziert.
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Markus Cerman - SheilaghC. Ogilvie
Mendels' eigene Revisionen der Hypothesenhaben weitere perspektiven
eriiffnet, und diese werden noch immer erforscht. somit gibt es eine Reihe
anhaltenderDebattensowohl iiber die Natur der Proto-Industrieund der protoIndustrialisierung selbst als auch tiber ihre demographischen,sozialen und
wirtschaftlichen Konsequenzen.Die in diesem Buch versammeltenBeitriige
deckendie meisten Aspelte dieserDebattenab und legen besondereBetonung
aufjene, die speziellrelevantsind und entsprechendzum Verstilndnisder protoIndusrialisierung in den einzelnenTeilen Europasbeitragen.
Die vielfalt der Zugangsweisenim vorliegendenSammelbandzeigt sich an
den jeweils gewllhlten Definitionen von proto-Industrie. Die Mehrheit der
Autoren geht zunlichst von den Konzeptenvon Mendels bzw. Kriedte, Medick
und Schlumbohmaus.Leslie Clarksonkritisiert dariiberhinausdie Entwicklung,
alle mOglichenvorindustriellen Gewerbeformenunter die Proto-Industrien zu
reihen.Die Autoren andererBeitrtigelegensich diesbeziiglichnicht konkret fest
und vertreten einen breiteren Ansatz (wie z.B. Lars Magnusson und James
Thomson). Dieser breitere Ansatz schlieBtdie Distanzierungvon der urspri.ing_
lichen schwerpunktsetzung auf die Textilindustrie (clarkson 19g5, Jeannin
1980)ebensomit ein wie unterschiedliche
Formender Produktionsorganisation,
die wlihrend der Proto-lndustrialisierunggleichzeitig und auch vermischt existierten. Somit tritt in einzelnen Studien das Kriterium der produktionsorganisationin Form einer liindlichen Hausindustrieals Definition fiir proto-Industrien
hinter dem desauf Export bzw. auf riberregionaleMiirkte orientierten
Gewerbes
zurtick (cerman, Magnusson, Thomson, vgl. Kriedtefir4edick/Schlumbohm
1992:7OfQ.
Dementsprechenddifferenziert sind auchdie von den Beitriigenbehandelten
Themenschwerpunkte.wiifuend ftir Belfanti, clarkson, Deyon,-Magnusson
und
ThomsonwirtschaftshistorischeFragestellungenund insbesondere
O"ie
UUerglinge zur Industriellen Revolution im vordergrund
stehen,versuchendie Beitrage
von cerman, Hudson, Myska und pfister nebender wirtschaftrichen
Entwicklung andereThemen miteinzubeziehen.Dazu ziihlen
der wandel von sozialen
strukturen,die demographische
Entwicklung,aberauchsozialhistorische
Fragestellungenwie die veriinderung von Geschlechterrollen,
der Alltagskultur und
des Konsumverhaltens
sowie der Familienwirtschaftund -strukturen.Der Bei_
trag von christiaan vandenbroeke ist der einzige
mit dem Hauptakzent auf
demographischenFragestellungen.
von den schdpfem der urspri.inglichenTheorien wird
angemerkr,daB die
demographischenvoraussagen durch die empirischen
Forsc-hungsergebnisse
nicht generellbestiitigtwerdenkdnnen(Kriedte/}4edick/Schlumbohm
l99}:73ff) .
Diese Merkmale traten in Katalonien, B6hmen, in einigen - aber
nicht allen Regionen Osterreichs und der Schweiz sowie in der Toskana auf.
Fertilit?it.
Einleitung
t7
nahm auch in Flandernmit dem FortNuptialitiit und Bevdlkerungswachstum
Reakschreitender Proto-Industrialisierungab. Eine Vielfalt demo.graphischer
tionen auf Proto-lndustrienkann ftir England,Schweden,Osterreichund die
Situation
Schweiz beobachtetwerden.Sogardort, wo sich die demographische
Landwirtschaft
eher
die
Irlands
und
Teilen
Englands
in
verdnderte,konnte wie
alsdie proto-Industrieverantwortlichsein.Wie Hudsonfeststellt,war dasprotoauchnicht irreversibel.Die einzigestatistiindustrielleBevtilkerungswachstum
daBsichproto-industrielleNuptialitiit
Behauptung,
fiirMendels'
Besttitigung
sche
Aussichten
erhdhtenund in Krisenzeiten
guten
wirtschaftlichen
und Fertilitiit bei
Deyon weist daraufhin,
Oberland;
findet sich im Ztircher
nicht zuri.ickgingen,
daB franztjsischeForschungenim Gegenteileine Anpassungdes proto-induund der Fertilitiit an wirtschaftlicheWechsellagen
striellen Heiratsverhaltens
zeigen.
Ein zentralesThemain den einzelnenLiindersrudienstellt auchdie Produkin denurspriinglichen
dar. Die DominanzdesVerlagswesens
tionsorganisation
Theorien- wenn sie auch in Abgrenzungzu friiherenArbeitenbewuBtgesetzt
Vielfalt wohl kaum rechtfertiwordenwar - liiBt sich ausder hier geschilderten
proto-induunterschiedlichen
Zahl
der
sich
aus
der
ergibt
gen. Diese Vielfalt
Gewerberegion
und
derselben
in
einstriellenBranchen,die unter Umstiinden
Bereiche:zumeinenauf
und beziehtsichaufzwei unterschiedliche
koexistierten,
(ztinftiges Gewerbe,
die tatsAchlichenFormen der Produktionsorganisation
Kaufsystem,Verlagssystem,Manufakturen,zentralisierteBetriebe)und zum
anderenauf die Arbeitsteilturginnerhalb der einzelnenProduktionsformen
Arbeitsteilung
(spezifischeOrganisationderHeimarbeit,geschlechtsspezifische
in Haupt- und Nebenerwerb).
teilweiseauch in Erg?inzung
Die BedeutungeinzelnerProduktionsformen,
wird fi.irdenerstenBereichbetont.F{irdie proto-industrielle
zumVerlagssystem,
Textilproduktion in Btihmen und Osterreich,fiir die Seidenverarbeitungin
Italien und fiir die Baumwollproduktionin KatalonienspieltenManufakturen
eine wichtige Rolle. DaB die ztinftig-gewerblicheProduktionkeinen WiderliindlichenHausindustriedarstellenmuBte,zelgen
spruchzur exportorientierten
die Textilgewerbein Kastilien,die l-einenindustriein Osrcrreichund die vielflilGebieten.Uber
tigenFormendesZunftkaufesin dendeutschenund bcihmischen
Kaufleute wurden ziinftig-gewerblicheProduzentengenausoin das Verlagssystemintegriert wie die liindlichenHeimarbeiterder spiiterenJahrhundene
scheintin diesen
Eine klare Abgrenzbarkeitzwischenden Produzentengruppen
Flillen nicht mehr gegeben,zumal es auch wie Deyon und Thomsonzeigenund zi.inftigorganisierten
Zusammenarbeit
zwischenliindlichenHausindustrien
gegebenhat.Es verschwimmendie Grenin St?idten
Endverarbeitungsgewerben
zen zwischenden liindlichenProto-Industrienund ihren zi.inftig-gewerbliche
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Vorl[ufem im Spiitmittelalterund in der Frtihneuzeit.Dies bedeutetaberkeinesfalls die Integration von Gewerbeproduktion fiir den lokalen Bedarf in die
Konzepte der Proto-Industrie(vgl" KriedteMedick/schlumbohm I 992:Toff).
Fiir die in den Theorien vorrangig behandeltenOrganisationsformendes
Kauf- und Verlagssystemszeigen die Beitriige ebenfalls Variabilitiit. In den
meistenproto-industriellenRegionenschwedensz.B. gelanges den produzenten, die Kontrolle tiber den ProduktionsprozeBund den Absatz mit der AufrechterhaltungdesKaufsystemszu bewahren.Ahnliches gilt fiir Frankreich,wo
Fallstudien auch die ubergangsmechanismenzwischen Kauf- und verlagssystemzu erkldren suchen,bzw. ftir Katalonien, wo trotz der Involvierung des
Handelskapitalskeine Beeinflussungdes Produktionsprozesses
erfolgte. ln der
wollindustrie in west Riding erkliirt Hudson die Ausbreinrng des Verlagssystemsin der T.eugproduktionund die Aufrechterhaltung des von Landhandwerkem getragenenKaufsystemsin der Tucherzeugungmit unterschiedenim
LandbesitzundderSozialstruktur(vgl.Kriedte/MediclVschlumbohml992:232fi.
SchlieBlich zeigen fast alle Beitrlige, daB die Arbeitsteilung innerhalb von
proto-industriellen
HaushaltenvonderArtdesGewerbes,denSchichten.die sich
in der Produktion engagierten(ob biiuerlich oder unterbiiuerlich), der Struktur
von Haupt- und Nebenerwerbund von sozialenund institutionellenFaktoren
abhlingi g war ( vgl. Kriedte/lvledick/schlumbohm r 992:gzf , 23s tf).
Die urspri.inglichen
Theoriengingendavonaus,daBdie Proto-Industrialisierung die Abldse ,,traditioneller"sozialer Institutionendurch Miirkte sowohl
voraussetzte
alsauchweiterfcirderte.Allerdingsweistdie Uberblicksdarstellung
von ogilvie daraufhin, daBstiidtischeRegulierungen,ziinfte,Handelskompa_
nien, Dorfgemeindenund grundherrschaftliche
Institutionenin vielen Fiillen
europdischerProto-Industrialisierung
von Bedeutungblieben.
Mit der Ausnahme von England, Irland und Flandern behielten
stiidte
verschiedenerechtlicheprivilegien, um noch bis zu einem
spiitenZeitpunkt
Proto-Industrialisierung
regulierenzu kdnnen. ln Italien konnten sich proto_
Industriennur in,,institutionellenEnklaven..entwickeln,wo
stadtischeprivile_
gien nicht giiltig waren. In anderenFrillen wurde
der Aufstieg von protoIndustriendurchdieseprivilegiennichtbehindert,aberihrwachstum
beeinfluBt:
in Kastilien,in Katalonienwiihrenddesl g. Jahrhunderts
und in schwedenbis ca.
1820.Sogarin der Schweiz,wo der stddrische
EinfluBwtihrenddes r 7. Jahrhundens zurtickging, bewahrtendie sHdte Inspektionsr
echte, znrprivilegien und
Monopole ftir Kaufleute; Ztirich sfiirkte sogar nach
1670 seine Kontrolle iiber
liindlicheUnternehmer,was
spiiterzurverzdgerung
derMechanisierung
beitrug.
Der stiidtischeEinflu8 auf viele proto-Industrienzog auch privilegien
rtir
bestimmteGruppenvon Kaufleutennach sich: die
korporativen
,,besonderen
organisationen"der Deutschschweizer
proto-Industrien;die ,,franquicias,.
der
katalanischenBaumwollindustrie;die privilegiertenManufakturen,die
fi.ir die
Einleitung
t9
6sterreichischenProto-Industriencharakteristischwaren; und der Einflu$ der
Kaufleute der sogenannten,,Blackwell Hall factors" auf die siidenglischen
Textil-Proto-Industrien.
AusgenommenEngland,Irland und Flandem waren auch ziinftige Organisadoneninnerhalbder Proto-Industrienweit verbreitet.Dies galt ftir die Schweiz
bis zum friihen 17. Jahrhundert,fiir Frankreichbis zum spliten 17. Jahrhundert
und teilweise dariiber hinaus, ftir Btrhmen,Osterreichund Katalonien bis zum
spiiteren 18. und fi.ir Schwedenbis ins 19. Jahrhundert.In Kastilien und Italien
verhindertenZtdrnfteletztlich die Entwicklung von Proto-Industrieniiberhaupt.
Lange politische Auseinandersetzungenwaren erforderlich, bevor die Ztinfte
vieler Proto-Industrienin Katalonien geschwiichtwerdenkonnten.In Osterreich
bezogen,,regionale"Ziinfte llindliche Produzentenmit ein; zahlreichellindliche
proto-industrielle Ziinfte gab es auch in Deutschlandund Italien.
Bauerngemeindenund grundherrschaftlicheInstitutionen beeinfluBten
ebenfalls Entwicklung und Verlauf vieler Proto-Industrien.In Osterreichregulierten sie Niederlassungund Verehelichungbis ins spatere18.Jahrhundertund
verhinderten so eine proto-industrielle Bev0lkerungsexplosionoder Proletarisierung.In Bdhmen, Schlesienund Miihren determiniertedie Stiirkung feudaler
Institutionen nach ca. 1650 fast jeden Aspekr der Proto-Industrialisierung.In
Italien waren es Institutionen des Pachtwesens,die einige Proto-Industrien
deutlich formten. Sogar in England waren ,,sowohl der Standort als auch die
Lebensdauerder Proto-Industrie" von agrarischenInstitutionen mitbeein{luBt.
Urspri.inglichwurde argumentiert,daBdie Proto-Industrialisierungunter den
Beschiiftigten zur Pauperisierungftihrte. Allerdings zeigen einzelne Beitriige,
daB durch die Beschiiftigung in Proto-Industrienh?iufigbessereLebensbedingungengeschaffenwurden. Belfanti weist daraufhin, daBsie in der Poebenevor
sinkendenEinkommen schiitzte;in der Toskanabedeutetesie lange Toitunter'
Pachtverrage.WodieHeimarbeitergeringere
stiitzunggegendie verschlechterten
Einkommen in Kauf nehmenmuBten,hing dies oft mit allgemeinenKonjunktureinbrtichenzusammenwie in Flandemim 19.Jahrhundertund in Nordfranlaeich
nach 1789.Die Proto-Industrialisierungfiihrte in Flandemim 18. Jahrhundert,in
Nordfrankreich und in KatalonienohneZweifel zu steigendenEinkommenunter
den Beschliftigten. Die meisten proto-industriellen Regionen in der Schweiz
verzeichnetenlaut Pfister aufgrund der besserenEm?ihrungslageunterdurchschnittliche Mortalitiit. Wie Deyon schlieBt,wurde ,die Verarmung von Haushalten nicht ftir alle unterschiedlichenModelle und aufeinanderfolgendenPhasen der Proto-Industrialisierungbewiesen".
Es wurde angenommen,daBdie Proto-Industrialisierungmit der Kommerzialisierung der Landwirtschaft (Mendels 1972) wd mit dem Zusammenbruch
desFeudalismus(Kriedte/Ivledick/Schlumbohm1977) n Zusammenhang steht.
Es gilt aber nun als gesichert,daB die Aufteilung in Regionen kommerzieller
20
Markus Cerman- SheilaghC. Ogilvie
Landwirtschaftund ftoto-Industrie lediglich ein - mit den Worren Jiirgen
Schlumbohms-,,Spezialfall eineswesentlichkomplexerenZusammenhangs"
keineSpezialisierung
die Proto-Industrie
war. In Katalonienverursachte
anderer
Regionenauf kommerzielleLandwirtschaft.In der Schweiz war das System
komplementiferRegionenmit kommerziellerLandwirtschaftoder mit ProtoIndustrie komplexer und sHrker segmentiert,als im Modell beschrieben.In
Italien entwickelte sich die Proto-Industriein unterschiedlichenagrarischen
Kontexten.
Auch standdie Proto-Industrialisierung
nicht immer mit dem ZusammenbruchdesFeudalismusim Zusammenhang.
SpanischeHistorikerftihrenan, daB
die Proto-lndustrieLandwirtschaftsformengeringer Produktivitiit am Leben
erhielt und somit ,,alseine Stiitze fiir die Fortdauerdes Feudalismus"diente.
Milan My5ka hebthervor,daBsich in Bdhmen,Mfiren und Schlesienwichtige
Proto-Industrien
trotz,,dersogenannten'zweiten
Leibeigenschaft'einerseitsund
desstarkenEngagements
der obrigkeitenin der Finanzierungund organisation
des liindlichen Heimgewerbesandererseits"bildeten. Myska beschreibtverschiedeneArten, wie die feudalenobrigkeiten geradedurch die Ausbeutung
ihrerMonopolrechteauf die Arbeitskraftihrer Untertanenin die Proto-Industrialisierungeinbezogenwurden.Diesesfeudalesystemwardamit durchausvereinbar.
Eine letzte,allen Beitriigengemeinsame
Fragestellungbehandeltden Ubergangvon der Proto-lndustrialisierung
zur Industrialisierungbzw. De-Industrialisierung.Die Studien zeigeneine hohe AbhiingigkeitdieserEntwicklung von
regionalwirksamenFaktoreneinerseitsund richtenandererseits
auchden Blick
auf die BetrachtungeinesPhiinomens,
dasin denbisherigenDiskussionenwenig
hervortrat,ntimlich die Kontinuitiit von proto-industriellenProduktionsformen
gleichzeitigund in Ergiinzungzum Fabriksystem.
wie Ji.irgenSchlumbohmrichtig hervorhebt,waren es zentraleVerdienste
der Proto-Industrialisierungs-Theorien,
die IndustrielleRevolutionals regionalesPhlinomenzu begreilenund durchdie untersuchungder sozialenAuswirkungenderProto-IndustrialisierungVerstiindnisfiir diequantitativenund qualitativen
,,Revolutionen"im GefolgederIndustrialisierung
zu schaffen.was ihre Rolle in
diesemModernisierungsprozeB
betrifft,wird von Deyonnochmalsdaraufhingewiesen,daBdie Proto-Industrialisierung
nureinenweg desUbergangsdarstellte.
Der Schwerpunktdes Argumentessollte aber- abgesehen
uon
Ande"in.t
rung der wissenschaftlichen
Perspektiveauf die Phaseder Proto-Industrialisierung,die bisherdurchdenvollendetenIndustriekapitalismus
im 19.Jahrhundert
vordefiniertwar (Mosser 1981:392f0- auf dem Faktum der variabilifiit von
Kontinuitiiten und Diskontinuitiiten und ihren Bedingungenliegen. pat Hudson
ftihrt in ihrem Beitrag die Diskontinuitaten,d.h. die De-Indusrrialisierung,vor
Einleitung
2l
Faktorenzuriick, die mit der Art der Proallem auf sozialeund institutionelle
mit dem starkenwiderstand der proto-indulut ionro.ganisation,aber auch
striellenProduzentengegendasFabriksystemzusammenhlingenkonnten.
mit der Frage der Standortfaktoren(z'B'
,i" *O fi.ir Lars tnlugiuJson kommt
hinzu'
oderRohstofflager)ein weiteresUrsachenbiindel
Verkehrsverbindungen
stuuui,n"RahmenbedingungenfijrdieLiberalisierungderGewerbeoderwir
von Agrarwirtschaft oder anderen
sctraruictreGunstlagenitit oi" Expansion
Stelle von lrinen) konnten laut
der
an
inJurr.i"r*eigen (2.8. Baumwolle
aberauchbetont,daBAuftreten
wird
entscheidendsein.Es
nnugnut.oneb--enfalls
Industrialisierung
der einsetzenden
unJiurn'ug der Diskontinuitiitenzwischen
unddervorangegangenenproto-industriellenPhaseinhohemMaBegewerb
in einerBranchezurDe-Industriailir.,gig*-.nLO Oii Konzentrationsprozesse
lisierungandererRegionenfiihren konnten'
die Rolle
weiig beleuchteibleibtin denmeistenStudieninteressanterweise
der
Aufhebung
Die
intemationaler Konjunkturen in diesem ubergangsprozeB.
engqualitativ hochwertigelen
Kontinentalsperre18 15 und das Eindringen der
spinnereiin Europa
mechanisierter
Anseitze
lischenGamesturztez.B.zahlreiche
der protoNiedergang
in eine schwereKrise bzw. verursachteden endgi.iltigen
war' Aber
eingetreten
industriellenHeimspinnerei,soweiter nicht schonzuvor
industriellen
und
auchzeitweiligeDiskontinuitlitenzwischenproto-industriellen
Territorien
in
deutschen
und
Frankreich
Bijhmen,
in 6steneich,
i..iG"*..uen
1964:5'72fD'
(vgl.
crouzet
werden
kdnnen auf diese Ursachezurtickgefi.ihrt
protoEinige BeiFage verweisen auf die langanhaltendenKontinuitliten
der
Frage
die
auf
bzw.
industrieller Produktion in Ergiinzung zu den Fabriken
der
aus
sich
Abgrenzbarkeit.Die Bedingungenftii dieseKontinuitiiten ergaben
(2.B. Spinnerei
stufenweisenMechanisierungbestimmterProduktionszweige
SchwierigkeitenbeiderMechanisierun
vorderweberei)bzw.ausdentechnischen
Die Bliitezeitderweberei,diehziufig
Rohstoffen.
mitbestimmten
derProduktion
Entwickerst nach der Mechanisierungder spinnerei auftrat, ist eine bekannte
und die
lung. Weniger bekannt hingigen sind die langfristigen Kontinuitiiten
AbbewuBte Aufrechterhatung von verlagsproduktion zur konjunkturellen
Beobsolchen
von
federung der zentralisiertenFabrikproduktion. Ausgehend
das protG'
achtungen schlieBt Pierre Deyon, daB die Industrielle Revolution
sondem im
industrielle system in franzosischenGewerben nicht beseitigte,
wohl auchals
Gegenteil,gmwarb, integrierteund weiterentwickelte".Dies kann
Perspektivenwechsels
die Kemaussageeines sich schon lZingerabzeichnenden
betrachtetwerden, der sowohl die Historiographie der Proto-Industrialisierung
beeinals auch der Industrialisierung in den nlichstenJahrenund Jahrzehnten
flussen wird.
d;[
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Christiaan VANDENBROEKE, Faculteit van de Letteren en Wijsbegeerte, Rijksuniversiteit Gent

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