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[FÜR IMMER JUNG?]
[FÜR IMMER JUNG?]
midlife-crisis
iSt der Zug wirklich
40 41 42 43 44
45 46 47 48 49
50 51 52 53 54
11
BUCHTIPP
10
halbZeit:
waS mit 40
wirklich
Zählt
Volker Marquart
Schon
Rowohlt, 2009
16,90 Euro
Foto: Thinkstock
abgeFahren?
Die Jahre vergehen und plötzlich steht man vor der
Tatsache, dass man den größten Teil seines Lebens
schon hinter sich gebracht hat. Eine Erkenntnis, die
viele Menschen in eine Krise stürzt und dazu bringt,
ihr Leben komplett auf den Kopf zu stellen. Wie man
am besten mit der Torschlusspanik umgeht und
warum die besten Jahre vielleicht sogar noch vor
einem liegen.
von Katrin Schmoll
n
ie wird man sie vergessen, die rauschende Party zum 20er. Damals, als man am
nächsten Tag ohne Kater wieder aus dem Bett
hüpfte. Damals, als einem ohnehin die ganze Welt
offenstand. Die Feier zum 30er war dann schon
etwas gedämpfter und ehe man es sich versieht,
steht der 40er vor der Tür – für viele alles andere
als ein Grund zum Feiern.
Dann nämlich ist man an einem Punkt angekommen, wo nicht mehr „das ganze Leben vor
einem liegt“, sondern vielmehr die Hälfte schon
hinter einem. Für viele ist das ein Anlass, Bilanz
zu ziehen und den eigenen Lebensentwurf zu
hinterfragen. Was von dem, was ich erreichen
wollte, habe ich denn wirklich erreicht? Warum
habe ich nicht das gemacht, was ich eigentlich machen wollte? Fragen wie diese können Menschen
in ihrer Lebensmitte in eine echte Krise stürzen.
Dass sich körperliche Wehwehchen häufen und
man sich mit der schwindenden Haarpracht und
dem größer werdenden Bauchansatz nur schlecht
anfreunden kann, kommt erschwerend hinzu. Man
hat den Eindruck, die besten Zeiten wären schon
vorbei. Von nun an geht es nur noch bergab.
Lange hielten Wissenschaftler die Midlife-Crisis für einen Mythos, inzwischen ist ihre Existenz
durch weltweite Studien belegt. Das Lebensalter
zwischen 40 und 55 ist in der Tat eine Zeit des
Wandels, in der viele krisenanfällig sind.
Die Ökonomen David Blanchflower und
Andrew Oswald untersuchten Datensätze zur
Lebenszufriedenheit von mehr als einer Million
Personen aus über 70 Ländern. Überall zeigte
sich ein ähnliches Bild: Ab etwa Mitte 30 werden
Menschen immer unzufriedener, mit Mitte 40
sind sie am absoluten Tiefpunkt, danach geht es
zunehmend bergauf.
Natürlich erlebt nicht jeder eine echte Krise
und manche sind in ihrer Lebensmitte sogar
glücklicher als jemals zuvor. Auch erleben Frauen
und Männer diese Phase ganz unterschiedlich.
In der Krise: Mit Mitte vierzig
überkommt viele eine Art
Torschlusspanik.
APROPOS · Nr. 136 · Jänner 2015
Klassischerweise wird die „Midlife-Crisis“ den
Männern zugeschrieben. Bei ihnen sinkt in der
Lebensmitte die Testosteronproduktion und sie
verspüren körperliche Veränderungen wie etwa
das Nachlassen der Potenz, Glatzenbildung,
Gewichtszunahme, Falten oder die Abnahme der
Leistungsfähigkeit.
Für viele ist das ein Anstoß, den eigenen Lebenswandel zu verändern bzw. zu verjüngen. So ist es
zu erklären, dass sich Männer im fortgeschrittenen
Alter plötzlich wieder ins Nachtleben werfen und
Frauen anflirten, die ihre Töchter sein könnten,
Man will
beweisen, dass
man es immer
noch draufhat.“
oder gar die langjährige Partnerin durch eine jüngere ersetzt. Auch ein sehr jugendlicher Kleidungsstil
und der Kauf von Statussymbolen sind klassische
Begleiterscheinungen der „Midlife-Crisis“.
„Man will seinen Marktwert testen, beweisen,
dass man es ‚immer noch draufhat‘“, bestätigt der
deutsche Psychologe Rolf Merkle.
Frauen sind vor der Torschlusspanik aber genauso wenig gefeit. Sie erreichen mit Vierzig den
Höhepunkt ihrer Sexualität. Untersuchungen legen
nahe, dass verheiratete Frauen in diesem Alter
besonders häufig fremdgehen. Die Wechseljahre
sind für viele genauso einschneidend wie das
Einsetzen der Pubertät. Plötzlich spüren auch
sie das Verlangen, ihr Leben noch mal so richtig
umzuwälzen.
Dieser Wunsch nach Veränderung kann durchaus förderlich sein. Psychologe Merkle rät sogar
APROPOS · Nr. 136 · Jänner 2015
dazu, aus der Routine auszubrechen und Neues
auszuprobieren. Es muss ja nicht gleich die HarleyDavidson oder eine optische Radikalveränderung
sein – ein Hobby oder neue Aufgaben im Job tun
es genauso. Diese Phase kann ein Anlass sein, sich
bewusst mit sich selbst auseinanderzusetzen und
sich die Fragen zu stellen, die zu jeder Lebenszeit
sinnvoll sind: Was ist mir wichtig? Was will ich
noch erreichen?
Schafft man es, sein Leben abwechslungsreich
zu gestalten und sich selbst zu überraschen, kann
man dadurch indirekt das Älterwerden „ausbremsen“. Besonders im Alter kommt es einem vor, als
würde die Zeit nur so dahinrennen. Das liegt daran,
dass man nicht mehr so viele „erste Male“, so viele
Meilensteine, wie in der Jugend erlebt.
Das ist schade, denn je mehr Neues und
Emotionales man erlebt, desto mehr prägt sich
im Gedächtnis ein – und desto länger wirkt ein
Zeitraum im Nachhinein.
Es gibt noch eine weitere Glücksformel im Alter:
Zufrieden wird, wer etwas an Jüngere weitergibt.
„In der Lebensmitte wächst bei vielen, wenn auch
oft unbewusst, das Bedürfnis, der Nachwelt etwas
zu hinterlassen und so ein Stück weit unsterblich
zu werden“, sagt Pasqualina Perrig-Chiello, die
Entwicklungspsychologie an der Universität
Bern unterrichtet. Je mehr sich Menschen für
die nachfolgende Generation einsetzen, desto
selbstbewusster sind sie und desto wohler fühlen
sie sich psychisch und körperlich. Selbst wer eigene
Kinder hat, profitiert davon, sich zusätzlich um
andere Jüngere zu kümmern, fanden Forscher aus
Missouri heraus.
Eine gute Nachricht gibt es zudem für alle jene,
die von der „Midlife-Crisis“ heimgesucht werden:
Die beste Zeit kann durchaus noch vor einem
liegen. Wie die Untersuchung von Blanchflower
und Oswald zeigt, geht die Zufriedenheitskurve
ab Mitte 60 nämlich wieder steil nach oben. <<