"Neuen Medien"

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"Neuen Medien"
Inhalt
Vorwort
3
Allgemeine Anmerkungen zum Internet
Elektronische Kommunikation
Begriffsklärung und Funktionsweise des Internets
Die historische Entwicklung der internationalen Netze
Grundsätzliche Aspekte der Kommunikation im Internet
Asynchrone Kommunikation
Synchrone Kommunikation
7
8
9
14
E-Mail-Kommunikation
Allgemeine Anmerkungen zur E-Mail-Kommunikation
Nicht öffentliche E-Mail-Kommunikation
öffentliche E-Mail-Kommunikation
Sprachgebrauch in der E-Mail
19
22
23
24
Chat-Kommunikation
Geschichte des Chat
Konzepte der schriftlichen Mündlichkeit
Umgangssprachliche Merkmale
Direkte Ausdrücke von Mündlichkeit
Inflektive
Anglizismen
Akronyme
Grafostilistische Mittel
Effizienz
31
33
35
36
38
42
44
45
45
Sms-Kommunikation
SMS-Nutzung in Deutschland
Merkmale der SMS-Kommunikation
Nutzungsmotive
Sprachstil in SMS-Nachrichten
51
52
52
54
57
Schlusswort
63
Literaturverzeichnis
65
1
Vorwort
Vorwort
Die Welt der Wissenschaft entwickelt sich rasant und stetig. Ihre
Entdeckungen und neuen Erkenntnisse über den Planeten auf dem wir
leben, über immer modernere Dinge im Mikro- und Makrokosmos der
menschlichen Kultur offenbaren sich nunmehr in einer immer größer werdenden Vielfalt an fachsprachlichem Denken, Entwickeln und Handeln.
Parallel-Universum, Datenautobahn, Junk-Food – die Moderne erschafft
mehr und mehr neue Wörter und Wendungen. Fortschrittliche Neuerungen
und Technologien prägen sie, diese Begriffe für Modellierungen komplexer
Eigenschaften der Welt des Großen und des Kleinen.
Scheinbar im Verborgenen und nahezu unbemerkt haben sich die Menschen
vor rund drei Jahrzehnten selbst ein neues Universum geschaffen, den
Cyberspace. Trotz seines großen Abstaktionsgrades für uns alle so real wie
Himmel und Erde.
Dieses neue Universum existiert als ein eigenständiger Raum, in welchem
Daten und Informationen auf elektronischem Wege ausgetauscht werden.
Aber nicht nur auf diesem Weg findet der Kommunikationsdrang seinen
Weg sondern auch in anderen Kanälen wie die der Mobilfunknetze.
Das mit Strom betriebene Kommunikationsnetz wiederum besteht aus einer
großen Anzahl verkabelter Computer (dem Internet) und Mobilfunksendemasten, die über alle geographischen und technischen Grenzen hinweg miteinander in Kontakt treten.
„Mit der explosionsartigen Entwicklung der digitalen Medien und der
Telekommunikation in den neunziger Jahren ist die Ära der globalisierten
Informations- und Kommunikationsgesellschaft eingeläutet worden, und
der Cyberspace expandiert in Geschwindigkeiten, die in Bit pro Sekunde
gemessen werden“1.
Die PC-Netzwerke sind der Garant für eine solche Entwicklung, denn sie
umspannen immer größere Teile des Globus und beginnen das Leben von
uns allen zu verändern. Internetbeobachter prognostizieren dazu, dass die
Menschen in den hoch entwickelten Industriestaaten früher oder später den
Auswirkungen der Computernetzwerke am Arbeitsplatz, in ihren sozialen
Kontakten, in der Politik und womöglich auch in einigen anderen Gebieten
begegnen werden, die man heute noch meilenweit von jeder Computerisierung entfernt wähnte.
Dies gilt natürlich ganz besonders für den akademischen Bereich in Forschungseinrichtungen und Universitäten, wo Information und Kommunikation zum „Tagesgeschäft“ gehören.1
„People are distributed, information is distributed, and we need to build on
the work of others“ schreibt Clark und sieht darin den wichtigsten Grund
für das rasante Wachstum internationaler Computernetze.1
Das Internet verspricht, das menschliche Leben zu revolutionieren. Kein
Tag vergeht, ohne dass diese Erkenntnis durch die Medienlandschaft geistert. Alles soll jederzeit verfügbar sein, dies ist Anspruch und Versprechen
der weltweiten Vernetzung. Wer jenes nicht glaubt, gilt als ignorant, heillos
hinterwäldlerisch, vergreist und macht sich zum Außenseiter. Nachdrücklich und mit dem erhobenen Zeigefinder prophezeien Vertreter aus
Politik und Wissenschaft, dass auf dem (arg umkämpften) Arbeitsmarkt
nicht länger konkurrenzfähig ist, wer das Netz der Netze meidet.
Allein in der Bundesrepublik Deutschland verfügen bis zum heutigen
Zeitpunkt etwa zehn Millionen Einwohner über einen PC mit InternetAnschluß. „In Europa zeigt sich bei der Internet-Nutzung ein Nord-SüdGefälle. In Schweden surfen 66,1 Prozent der Bevölkerung, in Deutschland
45,9 Prozent, in Italien noch 31,2 Prozent. Auch die Liebe der Frauen zum
Netz unterscheidet sich deutlich. So nutzen in Schweden fast genauso viele
Frauen das Internet wie Männer. In Spanien und Italien sind dagegen nur
halb so viele Frauen online wie Männer. Insgesamt seien die InternetUnterschiede bei den Geschlechtern wesentlich geringer als einst angenommen. Weltweiter Spitzenreiter im Internet-Gebrauch sind die USA mit 71,1
Prozent“2.
Schätzungen3 beziffern die Anzahl der Internetnutzer weltweit auf momentan circa 605,60 Millionen Menschen (Stand September 2002, wobei die
USA und Kanada mit 182,67 Millionen und Europa mit 190,91 Millionen
die vorderen Plätze bilden). Industrie- und Handelssektor haben einen
neuen Standort für sich entdeckt. Gerade dieser Umstand führt dazu, dass
der Zugang zum Netz bald jedem und jeder ganz umsonst möglich sein
wird – um zu shoppen, sich zu informieren und zu kommunizieren.
Obwohl in einem größeren Umfang seitens akademischer Disziplinen wie
Natur- und Technikwissenschaften, in der Wirtschaft, in Psychologie und
1
2
1
Rundkehl, J. (u.a.) 1998, S. 7
2
3
Maier, G. u. Wildberger, A. 1994, S. 2
w&v Online Magazin für Marketing, Werbung, Medien und E-Business, 11.02.2004
vgl. www.nua.ie/how_many_online/
3
Vorwort
Sozialwissenschaften die Möglichkeit der Auswirkungen untersucht werden, ist festzustellen, dass Kommunikations-, Medien- und Sprachwissenschaften (die Philologen noch viel weniger) dieses Feld hingegen weitgehend
ignoriert haben. Dies führt zu einer minimalen Bandbreite an veröffentlichten systematischen Analysen zur Sprache und Kommunikation im Internet
und Mobilfunk.
Wenn wir vom Internet als ein Zusammenschluss von weltweiten Computernetzen zur Kommunikation von Menschen auf dem gesamten Erdball
sprechen, von internationalem Gedankenaustausch, wie die Vorsilbe des
Begriffs ja suggeriert, so muss natürlich zunächst festgehalten werden, das
hierzu Sprache oder (besser gesagt) Sprachen einen wesentlichen Faktor
darstellen.
Sprache (in Kombination mit Technik) macht Kommunikation und damit
die Sicherstellung von Daten und Informationen „around the world“ erst
möglich. Gerade diese Tatsache stimuliert die (Sprach-)Forschung nun, das
Internet in seiner Funktion als „neues“ Medium hinsichtlich seiner Kommunikationspraxen und sprachlichen Strukturierungen zu untersuchen.
Was dem Gestalter die Möglichkeit gibt sich „per Anleitung“ diese Medien
zu Nutze zu machen und die richtige Sprache zu finden.
Bei der elektronischen Kommunikation über das Internet entpuppen sich
dessen Inhalte, Angebote und Bedienungselemente als eine weitgehend
anglo-amerikanisch zentrierte Welt. Gründe hierfür liegen einerseits in der
entwicklungshistorischen Komponente des Internets als eine Erfindung von
Amerikanern und andererseits an der Vormachtstellung des Englischen als
eine internationale Wirtschafts-, Technologie-, Wissenschafts- und Verkehrssprache mit vielen Millionen SprecherInnen.1
Das World Wide Web existiert somit als ein weltweites grenzenloses
Computernetzwerk, ein so genanntes „global village“. Wer diese Informationsplattform nutzt, muss folglich primär englischsprachige Texte und
Quellen lesen.
Hierbei tauchen nun viele Begriffe auf, die wir weder in computerspezifischer Fachliteratur noch im englisch-deutschen Wörterbuch finden.
Gemeint sind also weniger die technischen EDV-Fachausdrücke, sondern
viel mehr ein reichhaltiges Sammelsurium an etablierten Slangwörtern, die
mit Idiomen und angelsächsischer Umgangssprache gemischt sind.
Die technologischen Entwicklungen wurden aus Amerika in die ganze Welt
getragen und somit ist auch die Sondersprache der Dot.com-Szene gewissermaßen nach „good old Germany“ exportiert worden. Sicherlich auch,
um hier Jugendlichkeit, Modernität und allgemeinen Fortschritt zu suggerieren. Überdies besteht das Vokabular des virtuellen Gebäudes Internet
nicht ausschließlich aus technischen Fachtermini, sondern aus einer ganzen
Reihe von Emoticons -und vor allem aus unverständlichen Kürzeln und
Sprachspielformen eines deutsch-englischen Cyberslangs, der sich anschickt, zu einer neuen weltumspannenden Minimalsprache zu „mutieren“.
Oft ist dieses „Weblish“ humorvoll, teilweise hintergründig und verklausuliert, nicht selten aber auch obszön. Ohne gewisse Grundkenntnisse dieses
überaus speziellen Vokabulars ist beispielsweise das Lesen von E-Mails
oder die Teilnahme an Chats im Internet nicht ganz einfach, einige Missverständnisse sind (vor-) programmiert.
In diesem Zusammenhang sehen nicht wenige Kritiker und Intellektuelle
ein Szenario des kommunikativen Werte- und Normenverfalls auf die
Angehörigen der „Generation @“ zurollen.1
Denn, so scheint es: „wird aus der Öffentlichkeit jedoch zum ersten Mal in
der Neuzeit ein Forum, das das Gespräch eines eher respektlosen Publikums mit sich selber ermöglicht. Diskussionen verselbstständigen sich,
Indiskretionen machen die Runde, alles ist allen zugänglich.
Ein autonomes, globales Bewusstsein der eigenen Kommunikationsmöglichkeiten entsteht, wie es Bertold Brecht schon 1932 in seiner Radiotheorie
erhoffte: „...den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu
machen...“2 und wie es Hans Magnus Enzensberger 1970 in seinem Bau
kasten zu einer Theorie der Medien wieder aufgegriffen hatte. Die ganze
Welt kann zum Chatroom werden, fragmentiert und chaotisch, basisnahe
und höchst unrepräsentativ, aber äußerst präsent“3.
So wundert es angesichts der rasanten Entwicklung und der Bedeutung des
Internets für die Arbeits-, Freizeit- und Alltagswelt nicht, dass Vorbehalte
gegenüber der Medienentwicklung bestehen, ja, Ängste und Vorurteile sind
nicht selten. „Medienverwahrlosung“, „Sprachverfall“, „Internetsucht“,
„PISA-Effekt“, „soziale Isolation“ und „kommunikativer Autismus“ sind
Stichworte, die mit neuen Medien und Kommunikationsformen verbunden
werden. Glaubte man solch kulturpessimistischen Positionen, so dürften in
1
2
1 Maier, Gunther
4
3
Holly, Werner/Biere, Bernd Ulrich
Bertolt Brecht
Avenarius, H. 2000, S.32
5
Allgemeine Anmerkungen zum Internet
Deutschland in einigen Jahren nur noch stammelnde Internetfreaks vor
ihrem Computer hocken. Ein Blick auf die Realität lässt andere Schlussfolgerungen zu.
Dass die Kommunikation mit den neuen Medien unsere Sprache und unser
Kommunikationsrepertoires beeinflusst ist unbestritten und Gegenstand
des vorliegenden Buches. Aber Medien als ein Faktor im Hinblick auf
Sprachvariation und Sprachwandel sind nicht Ursache für vermeintlichen
Sprachverfall, wenngleich ihre Bedeutung für die Entwicklung von Sprachund Kommunikationsgemeinschaften auch nicht unterschätzt werden darf.
Welche Kreativräume hat nun der Gestalter in der freien Wildbahn, um
noch verstanden zu werden? Welche Sprachstile sind bei der Nutzung verschiedenen Kommunikationswege angemessen? Auch auf diese Fragen versucht dieses Buch Antworten zu finden.
6
Elektronische Kommunikation
Um eine elektronische Kommunikation zu schaffen, benötigt man im simpelsten Fall zwei Computer, welche durch eine (Strom-) Leitung miteinander verbunden sind.
Und ebenso wie bei der technischen Abwicklung des Transports von Schallwellen von einem Fernsprechpartner zum anderen (etwa beim Telefonieren), existieren beim PC-bedingten Informationsaustausch natürlich
auch verschiedenartige Möglichkeiten, wie Zeichen gesendet und empfangen werden können (vor allem zwischen Rechnern unterschiedlicher Bauart
ist dies der Fall).
Der Fachausdruck für diese Technik, Zeichen von einem Betriebssystem
zum anderen zu transportieren, wird in EDV-Kreisen Protokoll genannt.
Der Auftrag des Protokolls ist eine Transportfunktion für digitale Daten,
die eine gewaltige Anzahl an Teilaufgaben beinhaltet. Die Gewährleistung
für eine möglichst sichere Übertragung von Bytes ist seine primäre Funktion; dazu unterteilt es die Ausgangszeichenfolge in mehrere durchnummerierte Pakete (packets). Sie finden unabhängig voneinander ihren Weg
durch das riesige Netzwerk und fügen sich erst an der Bestimmungsadresse
wieder zusammen.
Schickt nun der Sendecomputer zum Beispiel ein Datenpaket auf die Reise
und geht dieses unterwegs verloren, so ist das empfangende „Elektronengehirn“ in der Lage jenes Problem zu erkennen und schickt eine entsprechende Rückmeldung an den (Ab-)Sender, wobei es meist um ein nochmaliges Senden der fehlerhaft übertragenen Datensequenz „bittet“. Weiterhin
muss das Protokoll auch dafür Rechnung tragen, dass die gesendete Daten
auf ihrem Weg über die elektronischen Kanäle den angepeilten Empfänger
auch finden. Es löst diese Vorgabe mittels der Wahl einer erfolgsversprechenden Route durch den Dschungel von Netzwerkrechnern. Dadurch lässt
sich ein Stau auf den „Datenhighways“ vermeiden und Unterbrechungen
der Leitungen haben keinen Ausfall des gesamten Systems, sondern höchstens eine Zeitverzögerung der Informationsübertragung zur Folge.
Bei der Verbindung von Computern unterschiedlicher Bauart beziehungsweise ungleicher Rechner, achtet die Protokollfunktion darauf, dass die
Zeichencodes des einen Systems in die des anderen übersetzt werden.
Abschließend agiert das Protokoll als eine Art Anbieterinstitution, indem es
Benutzern selbst einige Grundfunktionen zur Verfügung stellt, auf welche
die Anwendungsprogramme dann Bezug nehmen respektive aufbauen und
den Usern das Übertragen von Dateien oder das Einloggen auf einen andere Datenverarbeitungsanlage möglich machen.
7
Allgemeine Anmerkungen zum Internet
Begriffsklärung und Funktionsweise des Internets
Das Wort Internet steht als eine Kurzform des englischen Begriffs interconnected networks, was übersetzt soviel heißt wie weltumspannendes Computernetz oder internationales Netzwerk.
Sinn und Zweck dieses riesigen elektrischen Gewebes (welches aus einem
Zusammenschluss etlicher, über den gesamten Erdball verteilter, Rechner
besteht) ist es, die Infos und digitalisierten Daten, die auf allen diesen partizipierenden (Personal-) Computern gespeichert sind, allen zugängig zu
machen, die einen Zugang zu diesem Netz aller Netze haben - ferner die
Nutzung verschiedener Dienste (hauptsächlich World Wide Web und EMail) zu ermöglichen.
Die zugangsbeschränkte Verflechtung von Computern innerhalb eines Unternehmens bezeichnet man als Intranet.
Die Protostruktur des Netzes besteht aus zwei miteinander verbundenen
Rechnern – nennen wir sie A und B. Zwischen ihnen können Informationen
ausgetauscht werden.
Zu einem Mininetz expandiert dieser Zusammenschluss, sobald ein drittes
EDV-Gerät C ins Spiel kommt und zusätzlich mit den beiden bereits vorhandenen Systemteilnehmern A oder B verbunden wird. Der Rechner A,
der dem Rechner C den Zugang zum Netz vermittelt, wird Host (Gastgeber) genannt. Ist C nun mit A zusammengeschlossen, so ist er folglich
auch in der Lage, die Daten und Informationen von B abzurufen, wobei A
als Knotenpunkt dient.
Der Computer B, der die Nachrichten zur Verfügung stellt, wird als Server
(Diener) bezeichnet. Derjenige, der die Informationen oder Daten in Empfang nimmt heißt Client (Kunde).
Es ist weder erforderlich, dass alle Anlagen des Netzes vom gleichen Typ
sind, noch ist Bedingung, dass bei sämtlichen teilnehmenden Rechnern dieselbe Software eingesetzt werden muss. Vielmehr hat sich die Hardware,
die miteinander in Kontakt tritt beziehungsweise miteinander kommuniziert, auf einheitliche Übertragungsregeln und Zeichensätze zu einigen.
Dies wird durch die speziellen, international gültigen Übertragungsstandards (Übertragungsprotokolle) erreicht .
Die historische Entwicklung der internationalen Netze
„ Like distant islands sundered by the sea,
We had no sense of one community.
We lived and worked apart and rarely knew
That others searched with us for knowledge, too.“
Vinton G. Cerf
In diesem Zitat aus Cerfs „Requiem for the ARPANET“ kommt etwas zum
Ausdruck, was den weitreichenden, globalen und weltumspannenden Gesellschaftswandel durch das (Massen-) Medium Internet ausdrückt; nämlich eine Vorstellung oder Idee, wonach sich eine Technologie entwickelt
hat, die beabsichtigt, den „Ausbau der Informationsgesellschaft auf eine
historisch einzigartige Weise synchron im globalen Rahmen (zu)
vollzieh(en)“1.
Der Grundgedanke dieser Sequenz ist, einzelne Computer technisch so zu
konzipieren, dass es ihnen möglich sein sollte, sich über einen Dialogbetrieb miteinander zu verständigen.
Doch der Weg zu einer Realisierung dieser Vision war ebenso spannend wie
langwierig, denn aller Anfang ist schwer...
Vor dem Hintergrund des Sputnik-Schocks, nachdem die Amerikaner eine
herbe Niederlage im Wettstreit um den ersten (bemannten) Satelliten im
Weltall gegen die UdSSR einstecken mussten, wurde im Jahre 1957 auf
Veranlassung des wissenschaftsaufgeschlossenen US-Präsidenten Dwight D.
Eisenhower eine Organisation namens ARPA (Advanced Research Projects
Agency) ins Leben gerufen, die mit dem Auftrag betraut wurde, den technologischen Vorsprung und damit die Sicherheit der westlichen Welt im
Zeitraum des eskalierenden Rüstungswettlaufs zwischen den demokratischen USA und der kommunistischen Sowjetunion sowie dem damit verbundenen Szenario einer nuklearen atomaren Vernichtung zu gewährleisten.
Anfänglich begann sich diese Institution nun mit Fragen der Raketenabwehr oder Problemen der militärischen Kommando- und Kontrollstruktur zu beschäftigen, bis 1962 dem Leiter der zentralen Abteilung
„Command and Control“ bei der ARPA, J.C.R. Licklider, das Forschungsprojekt vorgeschlagen wurde, „Nutzungsmöglichkeiten für Computer zu
1
8
Rundkehl, J. (u.a.) 1998, S. 9
9
Allgemeine Anmerkungen zum Internet
finden, die über numerische Berechnungen für wissenschaftliche Zwecke
hinausgingen“1.
Nachdem allerdings die Umsetzung dieser Forderung, bedingt durch zu
vage Vorstellungen hinsichtlich der Zielsetzung und Halbheiten bezüglich
der Umsetzung zur Lösung des Problems das Team scheitern ließen, begann
Licklider die führenden Zentren der nationalen Computerindustrie aufzuspüren und sie für die ARPA zu verpflichten. Das geschah primär in der
Absicht, die materiellen Ressourcen und - was noch viel wichtiger war- das
Wissenspotential dieser Experten für die Zwecke der Organisation zu nutzen.
Die Überlegung war, ein integriertes Netzwerk zu schaffen - mit dem Ziel,
teure Hardware und akademischen Grips ökonomischer einzusetzen.
Mitte der 1960er Jahre kristallisierte sich nun die Prämisse heraus, forciert
auch durch die Forderung des US-Verteidigungsministeriums, ein rechnerbasiertes System zu entwickeln, welches fähig sein sollte, die elektronische
Kommunikationswege der US Army gegen die Folgen feindlicher Atomschläge zu sichern.
Man fragte sich also in der Hauptsache, wie sich Kommunikationsstrukturen aufbauen ließen, in denen Teilbereiche auch nach einer verheerenden
größeren Zerstörung anderer Teilstücke noch als eine zusammengehörige
Einheit funktionstüchtig bleiben könnten.
Paul Baron, ein Mitarbeiter der RAND Corporation (Forschungsgesellschaft für Beratungs-, Planungs- und Prognoseaufgaben), beschäftigte sich
in der Kommunikationsabteilung dieser Vereinigung schon frühzeitig mit
der Entwicklung von Modellen, die die Überlebensfähigkeit von (militärischen) Kommunikations- und Nachrichtensystemen zum Ziel hatte. Barons
Arbeit trug schließlich Früchte.
Das von ihm erfundene Modell einer Netzwerkstruktur war revolutionärund bitter nötig, denn das bisherige Problem stellte sich wie folgt dar:
Die herkömmlichen Netzwerklösungen, die auf zentraler und dezentraler
Basis arbeiteten, wiesen immer einen maßgeblichen Schwachpunkt auf.
Durch die Verbindung eines oder mehrerer zentraler Knotenpunkte kam es
beim Ausfall dieser Knoten zu einem teilweisen oder gar totalen
Netzausfall.
Knotenpunkt wiederum multipel mit drei bis vier anderen Knoten vernetzt)
darstellte, was gegenüber den herkömmlichen, momentan fehleranfälligen
Modellen eine bislang ungeahnte Zuverlässigkeit und Sicherheit bieten
würde .
„Der Vorteil dieser Idee lag auf der Hand: war ein Knoten belegt oder zerstört, folgte der nächstbeste als Übertragungsweg. Selbst nach einem Ausfall großer Teile des Netzes besteht noch immer die Möglichkeit für die Daten, einen Weg durch das Netzwerk zu seinem Ziel zu finden“1.
Der Tüftler schuf weiterhin eine zweite bahnbrechende Neuerung. Es war
ein Verfahren, die Daten nicht mehr in Form eines gleichmäßigen Stroms
von Signalen durch die Leitungen zu jagen, sondern die Botschaften aufgeteilt in einzelne Nachrichtenblöcke zu versenden. Am Zielort eingetroffen,
sollten diese Teilstücke dann zu Gesamtdokumenten zusammengefügt werden.
Obwohl diese beiden Prinzipien auf einem hochgradig ineffizienten System
beruhten, garantierten die Konzepte des verteilten Netzes und der Nachrichtenblock-Übermittlung dafür jedoch eine bis dato nie gekannte Sicherheit bei der Datenübertragung – und genau das war der springende Punkt.
Anzumerken bleibt in diesem Zusammenhang, dass die Firma AT&T (zu
jener Zeit größte Telefongesellschaft in den USA), welche das alleinige
Monopol über das gesamte landesweite Leitungsnetz besaß, die Idee als
völlig absurd abkanzelte. Daten und Informationen in Form kleiner Pakete
zu versenden, kam den Konzernchefs etwa so logisch vor, wie Wasser tassenweise durch einen Feuerwehrschlauch zu pumpen. Doch hat die Ignoranz der Unternehmensführung in diesem Fall letztendlich doch noch einen
positiven Aspekt nach sich gezogen: die Freiheit des Internets.
Das neue Konzept schaffte den Durchbruch deshalb, weil es ein verteiltes
Netzwerk mit einem Redundanzniveau von drei bis vier (folglich ist jeder
Wenn man sich die Internet-Entstehung als eine Evolution vom ganz
Kleinen zum Riesengroßen vor Augen führen will, so zeigt sich, dass der
Grundstein dieses Mediums, zunächst weitab aller Öffentlichkeit, durch die
Vernetzung zweier Computer eingeleitet wurde, bei der die Möglichkeit
eines Zugreifens von Rechner A auf die gespeicherten Daten von Computer
B bestand.
1960 wurde das erste dezentrale Netzwerk aus vier Militärcomputern
geschaffen, basierend auf dem Grundstock des ARPANET-Protokollkonzepts.
23 Jahre später konzentrierte die Armee der Vereinigten Staaten die militä-
7
1
Hafner, K. u. Lyon, M. 2000, S.43
10
Rundkehl, J. (u.a.) 1998, S.11
11
Allgemeine Anmerkungen zum Internet
rischen Informationen aus Sicherheitsgründen auf ein eigenes Verbundsystem.
Bald schon schlossen sich weitere Computer, vor allem aus wissenschaftlichen Einrichtungen, dem ARPANET an. Es folgten Universitäten und zivile Forschungsstellen.
Im Laufe der Jahre wurden durch immer umfangreichere Zusammenschlüsse einer immer größer werdenden Anzahl von Rechnern die Netzwerke kontinuierlich vergrößert und erweitert. Somit begannen diese nun
den Vorteil der gemeinsamen Ressourcenteilung (Sharing) weitaus intensiver zu nutzen.
“Das Netz, welches diese Verbindungen zwischen den Netzen herstellte,
wurde Internet (Netz zwischen den Netzen) genannt“1.
Aus jenem Boom resultierte schließlich die Möglichkeit, allen an diesem
Netzwerk teilnehmenden Rechnern den Zugriff etwa auf einen Hochleistungsrechner zu bieten.
Im Jahre 1972 wird die INWG (International Network Group) gegründet.
Dort beschäftigt man Technik-Experten aus aller Welt, um eine Methode zu
finden, mit dem PC über den gesamten Globus zu kommunizieren. Diese
Vereinigung erweist sich als eine äußerst erfolgreiche Maßnahme, denn nur
ein Jahr später stellen die US-Amerikaner die ersten internationalen Verbindungen nach Übersee (England und Norwegen) her.
Seit Ende der 1970er Jahre entstanden daneben im Forschungsbereich, aber
auch auf dem Kommerz-Sektor zahlreiche Netzwerke mit unabhängigem
Status.
Der Grund für eine solche (Trend-) Entwicklung lag darin, dass das ARPANET inzwischen technisch überholt war und durch neuere Konzepte ersetzt
wurde.
1982 gingen Betreiber dazu über, das Übertragungsprotokoll TCP / IP
(Transmission Control Protocol / Internet Protocol) einzuführen.
Es ermöglichte die Verknüpfung der bisher (noch) isolierten Teilnetze.
„Computer, die bis dahin nicht miteinander kommunizieren konnten, weil
sie mit unterschiedlicher Software arbeiteten oder eine unterschiedliche
Hardware-Architektur aufwiesen, konnten jetzt miteinander verbunden
werden, wobei die Übertragungssicherheit des ARPANET übernommen
und stark verbessert wurde“2 (1983 kam es aus Logistik- und Organisationsgründen zur Einführung des ersten Domänennamens, da die
Anzahl der vernetzten Rechner bereits zu hoch war, um einen effektiven
Überblick zu gewährleisten).
1
2
Kauffels, F.-J. 1997, S.705
Schönherr, H. u. Tiedemann, P. 1999, S.4
12
Die Einführung dieses Novums kann als die eigentliche Geburtsstunde des
Internets angesehen werden. Den ersten deutschen Computer integrierten
Wissenschaftler 1984 in das globale Netz, es handelte sich um den Großrechner der Universität Dortmund.
Mit der Fortschritt der Personal Computer in den 1980er Jahren ist das
Internet de facto für alle potentiellen Benutzer zugänglich.
Doch erst zu Beginn der 1990er Jahre trat das internationale Weltnetz seinen geradezu explosionsartigen Siegeszug um den Planeten an.
Initiiert wurde diese Ausbreitung durch die Entwicklung des World Wide
Web (WWW, W3 oder einfach Web genannt) am Genfer Kernforschungszentrum (CERN) durch den Informatiker Tim Berners-Lee anno 1989.
Das WWW existiert als das Pendant zum textbasierten Mailen und Chatten
und wird mit Hilfe eines Browsers erzeugt. Der Browser ist ein Programm,
das zum Bewegen und Zurechtfinden in einem Datensystem oder –netz verwendet wird. Weiterhin schafft es einen Zugang zu und das Betrachten von
graphischen Internet-Seiten (allerdings nicht deren Bearbeitung!). Browser
stellen somit den Graphik-Teil des multimedia-fähigen World Wide Web
dar, welches dessen akustische Inhalte (Sprache, Laute, Musik) an entsprechende Programme zur Ausgabe weitergeben kann.
Das Web ist zum einen in der Lage, per Mausklick und ohne spezielle
Computersprachen-Kenntnisse, Texte aus dem Internet zu holen und zum
anderen ermöglicht es die sogenannte Hypertext-Technik (HTML: Hyper
Text Markup Language) auf Verweise (in Form anderer Texte und Dateien,
die auf weit entfernten PCs gespeichert sind) zurückzugreifen, diese unmittelbar auszuwählen und auf den (eigenen) Monitor zu ziehen. Die benutzerfreundliche Oberfläche beinhaltet ebenfalls Steuerfunktionen, um auch die
wichtigsten anderen Dienste im Netz zu erreichen.
Dank W3 wandten sich nun immer mehr private User dem Netz der Netze
zu. Und natürlich drängten kommerzielle Unternehmen und Firmen in den
Cyberspace dieses Mediums, in dem sie (unter anderem) ein ideales
Werbeforum sahen.
Gerade diese Aspekte und innovativen technischen Angebote waren die
besten Voraussetzungen dafür, dass die computermediatisierten Netzwerke
einen solch durchschlagenden Erfolg verbuchen konnten und zum
„Medium für die Massen“ avancierten. Die These, dass bei gleich bleibender Entwicklung das Internet bald ein ebenso weit verbreitetes und alltäglich genutztes Medium wie das Telefon oder das Fernsehen sein wird, dürfte heutzutage wohl niemand mehr ernsthaft bezweifeln.
13
Grundsätzliche Aspekte der Kommunikation im Internet
Grundsätzliche Aspekte der Kommunikation im Internet
Kommunikationsdienste im World Wide Web lassen sich grundsätzlich in
zwei Bereiche aufteilen. Im Folgenden sollen diese beiden Typen der Netzinteraktion kurz erläutert werden.
Asynchrone Kommunikation
Von einer Asynchronität der Kommunikation wird gesprochen, wenn der
Austausch von Nachrichten zeitversetzt erfolgt. Als besonders typisches
Beispiel wäre hier die Nachrichtenübermittlung mittels E-Mail zu nennen,
aber auch Diskussionsforen wie Mailing-Listen oder das Usenet fallen in
diesen Bereich. Grundlegendes Prinzip ist hier, dass die Kommunikation
verzögert – also zeitversetzt – erfolgt; einmal bedingt durch die technische
Seite der Nachrichtenübermittlung und weiterhin durch die individuelle
Reaktionszeit des angesprochenen Partners.1
die andere Möglichkeit zur Verfügung. Durch diese Verkopplung beider
Systeme können die Nutzer einerseits im Internet Relay Chat an Gruppendiskussionen teilnehmen, gleichzeitig jedoch auch Privatgespräche in einem
separaten Fenster führen.
Dasselbe gilt für die elektronische Post (E-Mail): Prinzipiell dient sie dem
Austausch von Nachrichten und Information zwischen Sender und
Empfänger, aber über Durchschläge, Verteiler und Mailing-Listen lassen
sich auch Diskussionen in einer größeren Runde realisieren.
Eine dritte –im Gegensatz zur zwischenmenschlichen Face-to-Face-Kommunikation ganz wesentliche – Unterscheidungsmöglichkeit berührt schließlich die zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel:
E-Mail, Usenet und Internet Relay Chat basieren auf (nonverbaler) schriftlicher Fixierung, während Telefonieren die direkte Audiokommunikation
zur Grundlage hat und Video auf der Übertragung von Bild-(und Ton-)
Informationen beruht.
Synchrone Kommunikation
Entsprechend vollziehen sich die synchronen Kommunikationsdienste im
Internet direkt – also zeitgleich; will heißen, beide (interagierenden) Gesprächspartner sitzen zur selben Zeit am Gerät. Die Kommunikation erfolgt
ohne Verzögerung in Echtzeit. Übliche Vertreter dieser Kommunikationsform sind Internet Relay Chat, aber auch Telefon- und Videosysteme.
Neben dieser ersten Unterteilung lässt sich noch eine weitere Differenzierung vornehmen.
Sprachen wir zuerst von der Kommunikationsart, so wenden wir uns nun
der Anzahl der Kommunikationsteilnehmer zu.
Bei einer Kommunikation zwischen zwei Personen wird der Begriff der privaten Kommunikationssysteme verwendet. Sind mehrere Leute beteiligt,
greift die Bezeichnung Chatsysteme. Die Grenzen sind jedoch fließend,
denn die meisten Kommunikationsdienste stellen sowohl die eine als auch
1
Reid, Elizabeth M.
14
15
E-Mail-Kommunikation
E-Mail-Kommunikation
Allgemeine Anmerkungen
Electronic Mail steht im Englischen für den Begriff der elektronischen Post.
Analog der gewöhnlichen Postbeförderung, bei der Texte handschriftlich
auf Papier festgehalten sind, „wird beim electronic mailing eine beliebige
Mitteilung in Form von Sprache, Text, Bild oder sonstigen Daten an den
Empfänger geschickt und in dessen „elektronischem Postfach“ (electronic
mailbox) gespeichert. Der Empfänger kann die bei ihm eingehenden Mitteilungen zu beliebiger Zeit und in beliebiger Reihenfolge aus dem elektronischen Postfachspeicher abrufen, bearbeiten und beantworten“1. Die
Email Kommunikation charakterisiert sich u. a. durch die zeitliche Asymmetrie, d. h. eine Email wird versandt, ohne zu wissen, ob der oder die Empfänger gerade online sind und die Nachricht zeitgleich lesen können. Im
Vergleich zum Telefon, welches ein synchrones (Kommunikations-) Medium zur Nachrichten- und Informationsübertragung darstellt, da es voraussetzt, dass Sender und Empfänger gleichzeitig präsent sind, um miteinander zu interagieren, stellt die E-Mail ein asynchrones Medium dar. Das
gleiche gilt für die Reaktion, die Antwort, auf diese Mail. Durch diese
Definition grenzt sich die Email Kommunikation z.B. von der Kommunikation über Mobiltelefone (SMS) ab.
Über SMS können zwar ebenfalls in Sekundenschnelle schriftliche Mitteilungen an ausgewählte Empfänger geschickt werden, in der SMS-Kommunikation stehen aber nur wenige Zeichen zur Verfügung und es besteht
nicht die Möglichkeit, Dateien mitzuschicken. Andererseits bietet die SMS
die Möglichkeit, den Adressaten auf Schritt und Tritt zu erreichen, was
über E-Mail als einer (noch) stationären Form der Kommunikation nicht
der Fall ist.2
Formell sind E-Mails mit der Adresse des Senders und einem Betreff gekennzeichnet. Aus dieser Kopfzeile, dem sog. Header kann der Empfänger
einer E-Mail die Adresse, und wesentliche Informationen entnehmen. So
sind Adressat, Absender, Datum und subject (Thema) einer E-Mail dort
vermerkt3. Außerdem ist es möglich, durch einfachen Tastendruck (reply4)
zu antworten. Der eigentliche Text oder Body erscheint im Anschluss. Wird
auf eine Mail geantwortet, so erscheint die erste Nachricht als Zitat. So entsteht in einer E-Mail Kommunikation eine gewisse Dialogstruktur. Der
Kommunikationsstrang lässt sich somit durch die einzelnen Nachrichten
1
2
3
4
Abel, J. 1999, S. 8
Koch, Peter & Oesterreicher, Wulf
Langham 1993 S. 18
Uhlirova S. 276
19
E-Mail-Kommunikation
bzw. Zitate verfolgen. Die erscheint aus syntaktischer Sicht unvollständig,
aus kommunikativer Sicht ist diese Struktur jedoch durchaus angemessen.
Die dadurch entstehende neue Textsorte bringt Lenk zu der Hypothese, daß
die Quote durch ihren Aufbau Elemente in sich vereint, die für die gesprochene Sprache, insbesondere für das Gespräch (...), typisch sind.“1 Auch das
Versenden einer Nachricht an mehrere Adressaten wird durch E-Mail
wesentlich erleichtert. Derartige Schreiben gehen z.B. an alle Manager oder
an alle Mitarbeiter“2.
Auch in E-Mail-Kommunikationen gibt es bestimmte (informelle) Verhaltensregeln, so genannte Netikette, die E-Mails ihre Form und Struktur verleihen. Darüber hinaus werden auch in dieser Kommunikationsform Emoticons, wie z.B. Smilies verwendet, um bspw. bestimmte Stimmungen „bildlich“ auszudrücken. Wobei die Häufigkeik gegenüber Chat- oder SMSKommunikation deutlich geringer ist.
Anwendungsdomänen von E-Mail-Kommunikation lassen sich anhand verschiedener Merkmale unterscheiden. Dies sind vor allem Textsorten und
Kommunikationsbereiche, die sich wiederum linguistisch von einander
unterscheiden. Durch diese Merkmale lässt sich die E-Mail-Kommunikation von anderen Kommunikationsformen, wie z.B. dem herkömmlichen
Schreiben aber auch SMS- und Chat-Kommunikation abgrenzen. Diese finden in anderen Kommunikationsräumen statt.
Allgemein lässt sich der Trend der letzten Jahre jedoch so beschreiben, dass
E-Mails zu einem „praktisch universal verwendbaren Mittel allgemeiner
Kommunikation herangewachsen sind“3. Uhlirova stellt weiter fest: „Two
parties who are in e-mail contact always communicate with each other also
via other media.“4 Dabei wird die elektronische Post als unterstützendes
Hilfs-Medium gesehen, welches den Sinn hat: „to inform the other party
that a message ( a letter, a document...) has been/was/will be send/received
via another medium - by post, fax ect., at the same time to inform what
was/is/will be the subject matter of it.“4 Solche Absicherungen des Informationsverkehrs über andere Medienkanäle werden erst sinnvoll durch die
Ausnutzung der typischen Eigenschaften von E-Mail, nämlich geringen
Kostenaufwand, hohe Übertragungsgeschwindigkeit, Speicherbarkeit und
einfache und schnelle Handhabung.
1
2
3
4
Lenk (1995) S. 91
Janich (1994) S. 252
Schmitz, 2002 S. 33
Uhlirova (1994): S.274 ff.
20
Die Wahl eines bestimmten Mediums für den Informationsfluß hängt
jedoch nicht nur von dessen technischen Möglichkeiten, sondern auch vom
Gegenstand der Kommunikation ab. Janich stellt fest, daß E-Mail vor allem
der Kommunikation zwischen größeren Personengruppen dient und daß
sie fast immer informierende Funktion hat. „Hat der Kontakt ein anderes
Ziel als bloße Informationsübermittlung, werden andere Medien bevorzugt. E-Mails verglichen mit herkömmlichem Schreiben (in Briefform)
haben nicht nur in ihrer funktion sondern auch im Sprachgebrauch eher
informellen, umgangssprachlicheren Charakter“2. Darüber hinaus können
sie sich einer sehr großen stilistischen Variationsbreite bedienen. Allerdings
kann man diese Unterscheidung nicht ohne Einschränkungen definieren.
Häufig haben E-Mails einen Zwitterstatus, der auf den Sprachgebrauchsformen resultiert. Sie können Brief- und Gesprächscharakter zugleich auf sich vereinen.
Die elektronischen Medien allgemeinhin als Hilfsmedien gesehen. Sie werden häufig zur Absicherung von Informationen benutzt, was darauf hindeutet, daß sie es nicht geschafft haben, herkömmliche Medien zu verdrängen. Holland/Wiest3 und Janich haben hierzu Verschiedene Unternehmen
auf den Gebrauch von E-Mail untersucht und festgestellt, dass der Anteil
der traditionellen Hauspost an der Kommunikation deutlich abgenommen
hat, doch werden die anderen Kommunikationsformen kaum seltener
genutzt als vor der Einführung von E-Mail. Dies verdeutlicht Janich am
Beispiel des Telefons, das gerade bei der Notwendigkeit schneller
Antworten der E-Mail vorgezogen wird. Falls telefonisch niemand zu erreichen ist, werden E-Mails verschickt. „Die E-Mail ersetzt weniger das
Telefon als vielmehr den Anrufbeantworter.“2
Die Verwendung englischer Spracheigentümlichkeiten bei Deutsch sprechenden E-Mail-Usern zeichnet in der von Schlobinski1 angestrengten
Analyse ein relativ unspektakuläres Bild.
Elektronische Briefbotschaften weichen in Konsistenz und Inhalt im
Vergleich zu ihrem handschriftlich-fixierten Pendant nicht ab, denn es sind
schlichtweg keinerlei Anglizismen festzustellen. Selbst wenn tatsächlich
Wörter anglophonen Ursprungs gebraucht wurden, erwiesen sich diese als
völlig unabhängig von der computervermittelten Interaktion.
Im Folgenden sollen nicht die unterschiedlichen Textsorten wie z.B. Geschäfts- oder Freundschafts-E-Mails erläutert werden. In dieser Betrach1
2
3
Schlobinski (WWW)
Janich S.252
Holland/Wiest
21
E-Mail-Kommunikation
tung liegt der Schwerpunkt auf den Anwendungsdomänen, den Kommunikationsbereichen. Man unterscheidet dabei in erster Linie zwischen öffentlicher und nicht-öffentlicher E-Mail-Kommunikation.
Nicht öffentliche E-Mail-Kommunikation
Nicht öffentliche E-Mail-Kommunikation wird bereits in der technischen
Übermittlung der Nachrichten deutlich. Sie sind lediglich für jene einsehbar, die Zugang zu den Mailboxen der Empfänger haben, sie sind somit
durch Passwörter verschlüsselt. Der Versand und der Empfang dieser Art EMail geschieht unter der Annahme, dass die Nachricht nur einen Sender
bzw. Empfänger hat. Es handelt sich hierbei um eine Eins-zu-eins-Kommunikation. Sie haben einen privaten und persönlichen Charakter und entsprechen am ehesten herkömmlichen Briefen oder Postkarten. Sie zeichnen
sich außerdem durch die Nähe zwischen den Sender und Empfänger aus.
Dies wird durch die sprachliche Stilistik unterstützt, man bezeichnet dies
als „konzeptionelle Mündlichkeit, die Sprache der Nähe“1. Deutlich wird
die konzeptionelle Mündlichkeit durch „Ellipsen, Satzabbrüche, umgangssprachliche Ausdrücke, Gesprächsartikel“ (ebd.) etc.
Innerhalb der nicht öffentlichen Kommunikation unterscheidet man zwischen verschiedenen Anwendungsdomänen. Dies wäre zum einen, wie
bereits angedeutet, Nachrichten, die zwischen zwei sich bekannten Personen ausgetauscht werden. Aber auch zwischen Personen, die sich (noch)
nicht kennen. Ein Beispiel hierfür wäre eine Bewerbungsmail.
Eine weitere Domäne beschreibt den Versand von Mailinglisten und
Newslettern. Die Nachrichten aus dieser Kategorie werden an individuelle
Adressen geschickt. Hierbei stimmt der Empfänger dem Empfang einer solchen Mail vorab zu. Dennoch hat diese Art von E-Mail einen massenmedialen Charakter, bleibt doch der Sender dem Empfänger unbekannt.
(Linguistisch zu klären bleibt, wie solche Sendungen an Spamfilter vorbei
geschleust werden, also auch jene Empfänger erreichen, die diesen Nachrichtenempfang nicht explizit zugestimmt haben. Häufig werden hierbei
Buchstaben durch Zahlen oder Sonderzeichen ersetzt, die ihnen ähneln.) Im
Gegensatz zu Newsletter sind Mailinglisten nicht unidirektional gerichtet.
Die Empfänger können ebenso auf die Mails antworten.
1
Koch / Oesterreicher
22
Öffentliche E-Mail Kommunikation
Die öffentliche E-Mail Kommunikation zeichnet sich durch Distanz zwischen dem Sender und dem Empfänger aus. „Auch hier können die E-Mails
an bestimmte Personen gerichtet sein, sie werden aber an eine zentrale
Adresse geschickt, von der aus sie – für alle zugänglich – ins Internet gestellt
werden.“ Dazu werden die Nachrichten der Anwendungsdomänen in
Newsgroups, in Weblogs und elektronische Gästebücher gezählt. Sie haben
massenmedialen Kommunikationscharakter, denn theoretisch können eine
große Zahl anonymer, heterogener Rezipienten an unterschiedlichen Orten
und Zeiten diese Nachrichten erreichen. Darüber hinaus haben sie meist
keinen unidirektionalen Charakter, sondern stellen stattdessen eine andere
Kommunikationsform dar, sie sind schriftlich, Zeit versetzte, am Computer
übermittelte Nachrichten.
Als nächstes sind die elektronischen Diskussionsforen im Netz, die
Newsgroups zu erwähnen. Diese Diskussionsforen sind öffentlich. Jeder,
der seine Meinung zu einem bestimmten Thema kund tun möchte, antwortet auf eine entsprechende Nachricht. Die Themen in einer Newsgroup werden als Tthread bezeichnet. Der Diskussionsstrang/struktur in einem thread bleibt immer sichtbar und lässt sich dadurch leicht nachvollziehen.
Weblogs sind weiter Anwendungsdomänen innerhalb der öffentlichen EMail-Kommunikation. „Ein Weblog ist eine Website, auf der ein Autor in
regelmäßigen Abständen Einträge veröffentlicht.“1 Häufig kann auf die einzelnen Weblogs ein Kommentar von den Besuchern abgegeben werden.
Dazu steht dem Besucher ein Online-Formular zur Verfügung, in das er seinen Namen und den Beitrag schreibt und frei schalten lässt. Auch hier gilt,
dass viele der Texte einen nähe sprachlichen Charakter haben.
Elektronische Gästebücher werden auch zur öffentlichen E-Mail-Kommunikationen gezählt. Sie sind, wie die anderen Anwendungsdomänen auch,
hauptsächlich durch Mündlichkeit konzeptioniert, darüber hinaus beinhalten sie häufig Schreibfehler, die von den Betreibern der Gästebücher nicht
berichtigt werden.
1
Schönberger
23
E-Mail-Kommunikation
Sprachgebrauch in der E-Mail
Der Medientheoretiker McLuhan ist mit seiner These „The medium is the
message“ populär geworden. Für ihn liegt das Wesentliche des Mediums in
seiner Form und nicht in dem vom Medium übermittelten Inhalt. „Nicht
die aus dem Inhalt zu entschlüsselnde Botschaft ist für eine Medientheorie
relevant, sondern die aus dem Medium heraus entstehende Wirkung.“1
Folgt man dieser Theorie und wendet sie auf die Sprache an, so müsste man
aufgrund der Form des Mediums, und zwar hier der E-Mail, eine Wirkung
auf die Sprache feststellen können. Denn schon allein die Wahl des Mediums impliziert die Aussage und somit auch die Form des Sprachgebrauchs.
Wobei bei der E-Mail Kommunikation die charakteristische Sprache nicht
so sehr von dem Medium, sondern viel mehr von dem Inhalt und den
Themen bestimmt wird. So bringen bestimmte Themengebiete eine spezifische Form sprachlichen Ausdrucks mit sich und nicht nur allein die Art des
Mediums. Deswegen muss man bei der E-Mail-Kommunikation weitere
Unterscheidungen treffen.
Es kann davon ausgegangen werden, daß der Schreibstil adressatenspezifisch ist: Der Stil einer Nachricht wird durch den Empfänger mitbestimmt.
Aber auch das Verfassen von Texten am Computer mittels der Tastatur läßt
Konsequenzen für den Sprachgebrauch erwarten.
Janich stellt weniger medienspezifische Auswirkungen auf die Sprache als
erwartet fest, muss aber dazu anmerken: „Als spezifische sprachliche und
formale Auswirkungen der E-Mail kann man also beim untersuchten Unternehmen eine Tendenz zu einer gewissen Art von „Schludrigkeit“ oder
zumindest zu formaler Freiheit festhalten, sowie zu Kürze und Ökonomie.“2
Ein Beispiel für die „Schludrigkeit“ ist das vernachlässigen der Rechtschreibung. „Betrachtet der Schreiber das Medium als formlos", neigt er
dazu, am Zeilenende nicht zu trennen, Groß- und Kleinschreibung zu ignorieren und Tipp- und Rechtschreibfehler nicht zu korrigieren.“3
Einer der Vorteile der E-Mail-Kommunikation ist die schnelle Informationsübermittlung. Kommt es auch beim Schreiben einer E-Mail auf
Geschwindigkeit an, weisen einige E-Mail-Systeme große Nachteile auf, da
es in ihnen beispielsweise nicht möglich ist, den „Überschreib-Modus“
abzustellen. Im Falle eines Tippfehlers muß man dann die gesamte Zeile
neu schreiben. Dies führt dazu, daß „the performer of a non-edited e-mail
does not go back to delete typing errors. (...) the performer sometimes „corrects“ errors ex post and comments them verbally.“1 Auch bei moderneren
E-Mail-Programmen geht es schneller, Fehler im Nachhinein zu kommentieren, als sie im Text zu verbessern. Vergessene Kommata werden aufgrund
von Relevanz überhauptnicht kommentiert, außer sie sind notwendig um
den Inhalt korrekt zu erfassen.
Eine weitere Möglichkeit, die Schreib-Geschwindigkeit zu erhöhen, ist der
Verzicht auf Groß- und Kleinschreibung. Zwar wird dieser Verzicht durch
die Geschichte und die sprachliche Herkunft des Internet, mithin durch die
englisch-amerikanische Schreibweise, nahegelegt, aber auch dort, wo Großschreibungen möglich sind „(...), verzichtet man gerne, da auch die Umschalttaste zu bedienen Zeit kostet.“2
Die vorgestellten Merkmale einer E-Mail-Sprache beziehen sich vor allem
auf den falschen Gebrauch von Grammatik und orthographischen Regeln.
Zu beachten ist, dass diese Merkmale kaum kommunikative Aussagekraft
besitzen und E-Mails mit diesen Fehlern den Inhalt genauso gut transportieren können. Wenn die Lesbarkeit noch zu erkennen ist.
Abkürzungen bilden in der elektronischen Kommunikation ein Mittel der
Schreibökonomie, und „(...) erfüllen zudem noch soziale Funktionen, die
den Verlust nonverbaler Kommunikation möglichst auszugleichen
suchen.“3 Einige Beispiele für Abkürzungen, die deren humorvolle
Komponente verdeutlichen:4
cu
linx
2
3
McLuhan, Marshall
Janich S.256
Wichter S.87
24
=
mom
=
ne
=
n8
=
see
you
4get it =
forget
mfg
mit
2
3
4
moment
der
(...)
links
Moment
a
=
(in
demnächst
mompls =
1
1
=
demnxt =
please
eine
(...)
gute
nacht
Bedeutung
(Moment,
,Tschüss)
bin
gleich
(...)
wieder
it
freundlichen
grüssen
Uhlirova S.277
Wichter S.87
Wichter S.88
Dürscheid
25
da)
Während Kopf- oder Endformen wie „mom“ oder „ne“ als Akronymeauch
in anderen Medien nicht ganz ungewöhnlich sind, sind Formen vie „cu“
oder „4get it“ in E-Mails durchaus gewöhnungsbedürftig. Im Falle von
„cu“ wird der alphabetische und phonetische Wert von „c“ gleichgesetzt
mit dem phonetischen Wert des englischen Verbes „see“. Im zweiten Fall
entspricht die phonetische Realisierung der englischen Ziffer „4“ der phonetischen Realisierung der Vorsilbe „for-“. Solche Abkürzungen werden in
der betriebsinternen Kommunikation oder in rein in E-Mails mit rein informellem Charakter nur selten gebraucht. Einen Verzicht auf Abkürzungen
sowie längere und höflichere Grußformeln stellt Janich nur in konkreten
Geschäftsbriefen fest.1
1
Janich S.259
26
Chat-Kommunikation
Chat
Geschichte des Chat
Chatten ist das englische Wort für Plaudern oder Quatschen. Es beschreibt
als Oberbegriff die direkte Live-Kommunikation (über Online-Dienste) mit
einem oder mehreren Partnern im Internet. Es gibt mehrere Möglichkeiten
miteinander zu chatten. Welche man benutzt hat etwas mit persönlichem
Geschmack, den Möglichkeiten, zusätzlich erforderlicher Software oder
den Zielen, die man mit einem Chat erzielen möchte, zu tun. Im Folgenden
stellen wir die wichtigsten Formen vor.
Als „Vater“ des Chat gilt der finnische Student Jarkko Oikarinen, welcher
1988 an der Universität von Oulu den IRC (Internet Relay Chat) entwickelt
hat. Oikarinen wollte ein elektronisches Echtzeit-Diskussionssystem schaffen. Dies gelang ihm gemeinsam mit seinen Freunden Jyrki Kuoppala und
Jukka Pihl; es entstanden schnell Anbindungen an die Universitäten von
Helsinki und Tampere, wenig später kamen schon Denver und Oregon
hinzu. Schon 1989 gab es weltweit 40 IRC-Server, an denen durchschnittlich 12 User online waren.
Das Netzwerk wuchs schnell zu einer solchen Größe heran, dass es zu technischen Problemen, Unübersichtlichkeit und chaotischen Zuständen kam.
Daher entstanden ab etwa 1993 weitere kleinere Netzwerke. Im Sommer
1996 wurde dann auch das ursprüngliche IRC-Netzwerk aufgrund von
Differenzen der Betreiber geteilt. Diese Teile findet man heute im IRCNet
(meistens europäische Betreiber) und im EFnet (hauptsächlich Betreiber in
den USA) wieder. Heute gibt es tausende voneinander unabhängige Netze,
Die Größten mit gleichzeitig mehr als 120.000 verbundenen Clients.1
Der etwas spröde Charme des IR-Chat hat zu einer großen Beliebtheit der
Webchats geführt. Hierfür wird keine zusätzliche Software benötigt; man
gibt im Browser einfach eine entsprechende Webadresse ein und kann
sofort in die angebotenen Chat-Kanäle einsteigen.
Obwohl IRC sicherlich das älteste real-existierende Chatsystem ist, hatte es
immer das Problem, dass, um daran teilzunehmen, eine zusätzliche Software installiert werden muss. Als das WWW populärer wurde entwickelten
sich dort viele kleine Chatsysteme, die innerhalb des Browsers funktionierten und eben keine extra Software benötigten. Diese Chatsysteme nennt
man Web-Chats. In der IRC-Welt werden Web-Chats mit einem arrogant
1
Klau, Peter
31
Chat
müde lächelndem Auge gesehen weil sie sich der technischen Herausforderung der Softwareinstallation nicht gestellt haben. Objektiv lässt sich
aber nichts gegen Web-Chats sagen. Allerdings muss man feststellen, dass
die Benutzerzahlen beim IRC um ein vielfaches größer als beim Web-Chat
sind. Wer also möglichst viele Menschen via Chat erreichen möchte, sollte
IRC benutzen. Wer kleine Kreise sucht, für den ist vielleicht ein Web-Chat
das Richtige.
Als andere Möglichkeit via Chat zu kommunizieren stellte 1996 die ICQSoftware bereit. Sie wurde im November 1996 vom israelischen StartupUnternehmen Mirabilis veröffentlicht und wurde von den vier israelischen
Studenten Yair Goldfinger, Arik Vardi, Sefi Vigiser und Amnon Amir entwickelt. ICQ breitete sich rasch aus, da es damals keine vergleichbare
Software auf dem Markt gab und das Programm kostenlos erhältlich war.
Ähnlich den beschriebenen Chats arbeitet ICQ als sogenannter „instant
messanger“. Dieser Dienst stellt nicht, wie im IRC, Chaträume zur
Verfügung sondern schafft eine Verbindung zwischen zwei bestimmten
Clients. Somit chattet man nicht im öffentlichem Raum sondern privat mit
Freunden und Bekannten. Wenn Freunde die ICQ-Software benutzen und
online sind, wird eine entsprechende Meldung an den jeweiligen Partner
vermittelt – so weiß man jederzeit, wer gerade von seinen Bekannten online
ist und kann mit ihnen in Kontakt treten. Mit ICQ lassen sich auch
Nachrichten senden wenn der angeschriebene User nicht verbunden ist,
diese Nachricht erhält der User, sobald er wieder seinen ICQ-Client startet.
Wobei sich die Beiträge („Turns“) der Chatter im Chat bei allen technischen Varianten ähneln abgesehen von kleinen technischen unterschieden
die Clients bieten. So werden in einigen Programmen die Emoticons aus den
Schriftzeichen gleich in kleine Bilder übersetzt und angezeigt. Die Turns Sie
sind im Regelfall sehr kurz, Kleinschreibung wird bevorzugt und auf
Interpunktion wird fast gänzlich verzichtet1. Die Ursache hierfür ist in der
Tatsache zu suchen, daß die Turns der anderen Teilnehmer, besonders in gut
besuchten Chats, durch den Autoscroll sehr schnell wieder vom Bildschirm
verschwinden. Da die Texteingabe per Tastatur sehr zeitaufwendig ist, ist es
daher kaum möglich, einem Chat zu folgen, wenn man beim eigenen
Beitrag auf genaue grammatikalische Korrektheit achten möchte. Somit
entsteht eine chat-spezifische Schnell- und Kurzsprache, die jedoch von den
meisten Chattern verstanden wird.
Punkte und Bindestriche stehen stellvertretend für Pausen und Abbrüche:
„(...)boah...findet noch jemand dass die total hässlich sind?(...)“.
Großschreibung mehrerer oder aller Zeichen in einem Wort signalisiert
Schreien. Iterationen und Großschreibung werden zumeist emphatisch
gebraucht: „(...) SCHEISSE(...)“ oder beispielsweise „HAAALLLOOOOO!!!!“. All diese schriftsprachlichen Formen ersetzen zumeist
paraverbale Ausdrucksmöglichkeiten der Face-to-face-Kommunikation,
wie z. B. Lautstärke.
Konzept der schriftlichen Mündlichkeit
Der Chat ist nicht nur aufgrund seiner kommunikative Dynamik dem
Telefongespräch zuzuordnen sondern auch dem Briefwechsel. Zwar ist der
Briefwechsel asynchron, da er erst noch mit der Post verschickt werden
muss und nicht wie beim Chat über einen Server in Bruchteilen einer Sekunde bei seinem Empfänger ankommt. Dennoch teilt der Chat mit dem Brief
die „mediale Schriftlichkeit und konzeptionelle Mündlichkeit“1.
Für Gottsched und Gellert war die Verschriftlichung mündlicher Rede die
Briefkommunikation schlechthin - der Brief ist eine „geschriebene Anrede
an einenAbwesenden“2, und Gellert schreibt, der Brief sei zwar „kein ordentliches Gespräch“, doch er vertrete „die Stelle einer mündlichen Rede“3.
Dabei erfordert der schriftliche Dialog der Briefkommunikation eine
Kunstsprache, welche die gesprochene Sprache in eine „schriftliche Mündlichkeit“ transformiert. Das Resultat ist eine briefliche Schriftsprache, die
durch ihre Ähnlichkeit zur gesprochen Sprache unter Freunden ausgezeichnet ist.
Hier stellt sich die Frage wie man den Chat damit vergleichen kann. Zwar
zeigt die Sprache des Chats eine sorglose Umgangssprache, wie sie Gellert
beschreibt - an die Stelle der Gefühlsbeschreibungen, welche die freundschaftliche Umgangssprache aufweisen soll, sind allerdings die chatspezifischen Ausdrucksformen der, Flektive, Emoticons und die der Comicsprache
entlehnten Sprechblasen getreten.
Ein weiterer Unterschied ist das Verhältnis zwischen Sender und
Empfänger: Für die antike Brieftheorie ist der Brief kein Mittel zum
Austausch von reinen Informationen, sondern ein Beweis für Freundschaft4.
1
2
3
1
Schlobinski S. 76
32
4
Fürchtegott Gellert, Christian (1989) S. 99-104
Gottsched 1973: S. 145
Gellert 1989:III
Koskenniemi 1956: S. 35
33
Chat
Deshalb ist auch ein lockerer Umgangston die vorherrschende Kommunikationsform. Zwar ist im Chat der Umgangston meist auch ungezwungen aber während in der antike Brieftheorie sich Freunde unterhalten sind
es beim Chat im IRC meist unbekannte Personen. Der Chat dient nicht der
Aufrechterhaltung des Kontakts zwischen Freunden, sondern der
Kontaktanbahnung zwischen Fremden1.
Ein dritter Unterschied betrifft die Übertragungsbedingungen. Der Chat
stellt eine Radikalisierung jenes „written to the moment dar“, was auch
einen Briefroman auszeichnete, wobei sich eine Verschiebung von der
Sprechäußerung die eine schriftlichen Verkörperung zum Ziel hat zur
Sprechäußerung die weitestgehend durch die Übertragungsbedingungen geprägt ist feststellen lässt.
Während bei einem Brief die Freundschaft schon vorhanden ist muss beim
Chat erst eine gewisse nähe hergestellt werden, dabei lässt sich bei der
Chatkommunikation eine Tendenz zur Selbstbeschreibung feststellen.
Damit radikalisiert sich im Schriftverkehr des Chat, was Luhmann als
Konsequenz der Fremdheit zwischen Autor und Leser über die schriftliche
Kommunikation im Allgemeinen sagt: Da Autor und Leser einander unbekannt sind, muss sich der Prozess der Kommunikation selbst kontrollieren,
„indem er sich durch Ersatz-Anzeichen von Interesse und Relevanz konditioniert“2. Womit wir bei der genaueren Betrachtung der verwendeten
Sprache in Chats angekommen sind.
1
2
Wirth 2006 S. 122
Luhmann 1993: 365
34
Umgangssprachliche Merkmale
Typische umgangssprachliche Merkmale im Chat sind direkte Übernahmen
von Ausdrücken aus der Alltagssprache, die das Gesagte verkürzen oder auf
ein Minimum reduzieren. Sehr häufig sind hierbei Auslassungen von eigentlich grammatikalisch relevanten Redeteilen, die sog. Ellipsen1, z. B. „Ich
komme nicht mit. - Ich schon.“. Die Entgegnung „Ich schon“ ist ein grammatikalisch gesehen unvollständiger und inkorrekter Satz. Uns sind diese
Aussparungen aus der Umgangssprache jedoch so vertraut, dass wir sie
schon gar nicht mehr als syntaktischen Fehler wahrnehmen. Auch ein plötzlicher Wechsel in der Satzkontruktion während des Sprechens (bzw. des
Schreibens innerhalb eines Turns), Anakoluth genannt, fällt nur noch am
Rande als inkorrekt auf. Das bekannteste Beispiel hierfür ist sicherlich der
Weil-Satz mit Verb-Zweit-Stellung: „Ich konnte nicht kommen, weil ich
war krank.“ Häufiger noch sind Tilgungen von Personalendungen anzutreffen, zumeist bei der 1. Person Singular (hab - habe, komm - komme
etc.), oftmals in subjektlosen Sätzen: „Hab dich lieb.“ Wortinitiale
Tilgungen treten fast nur bei unbestimmten Artikeln auf (‘ne - eine, ‘n ein etc.). Die wortfinalen t,d-Tilgungen werden am häufigsten vorgenommen: „(...) Wer is aus LIMBURG??(...)“. Andere Tilgungen am Wortende,
wie „nu“ statt „nun“ oder „ma“ anstelle von „mal“, sind seltener. Assimilationen, die Zusammenziehung zweier Wörter, sind ein ebenfalls typisch
umgangssprachliches Merkmal, das in der Chat-Kommunikation zu finden
ist. Zumeist wird das es-Pronomen assimiliert (wars - war es, bins - bin es
etc.), aber auch Zusammenziehungen der Personalendung der 2. Person
Singular mit dem vorangehenden Verb sind häufig: „(...) biste sauer?(...)“.
Diese Assimilation wird ebenfalls an den femininen bzw. maskulinen
Personalpronomina der 3. Person Singular vorgenommen (kannse - kann
sie, isser - ist er etc. ). Unbestimmte Artikel nach Verben oder Präpositionen
können gleichermaßen assimiliert werden (aufn - auf einen etc.).
Reduktionen (sehn - sehen) sind weitere alltagssprachliche Merkmale im
Chat. Typisch umgangs- bzw. jugendsprachliche Lexik, wie „tach“, „nix“,
„vollabern“ etc., oder dialektale Formen und Regionalismen, z. B. „(...) do
schwetze se e bisje anners wenn de wast woas ich mahn!(...)“, werden bald
von jedem verstanden und erweitern das Schreibregister.
Trotzallem darf man nicht vergessen, dass die meisten der oben angeführten Stilmerkmale (von den meisten Regionalismen und dem Jugendjargon
1
Schlobinski S. 76
35
Chat
einmal abgesehen) auszeitökonomischen Gründen angewandt werden, was
eine weitere Gemeinsamkeit der Chat-Kommunikation mit der Sprechsprache darstellt.
(18)
<N trägt
LaLaRu
(19)
A:
[zu
J]
ähm..ja
(20)
O:
[zu
H]
Bin
[...]
gibt
LaLaRu
Direkte Ausdrücke von Mündlichkeit
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
A:
B:
C:
D:
A:
E:
[zu
7me
B]
Einen
Hallo
[zu
[zu
[zu
Q]
(9)
G:
[zu
E]
C:
Tag
(10)
B:
[zu
(12)
<I
mal
(11)
(13)
H:
J:
[zu
an
A]
O]
is
na
G]
(16)
<L
geniesst
(17)
M:
[zu
D]
A]
;)
lass
nen
mich
wie
hi
da
wir
länger
kotz
[zu
[zu
du
gehen
A:
K:
nen
auto
hallöchen
(14)
(15)
B]
mitn
schon
alle
ich
etwas
...lool>
[zu
^^
G] wir
F:
^^
wünscht
wunderschönen
B]
(7)
(8)
hallöle
und
kotz
geht
die
A
in
in
aber
den
dir?
...gg>
nur
rest
gurkenlaster
nicht
fährt
daily/x?
mail
wie
^^
einsperren
schreiben
ohhhhhhhh
ärger
Sonntag
kmiscvh
raum
ist..
kübel
es
nen
bissel
weg
ruhe
gibts
schönen
guten
schon
drin
in
die
Legos
Krabbelecke
zum
Spielen.>
und
man
doch
sieht
.......lach
Der exemplarische (anonymisierte) Chatdiskurs ist bereits bereinigt von
Computer-generierten Informationen wie „volkan“ kommt in den Raum
Lobby gestürmt oder „soistes“ verläßt diesen Raum - und gleichwohl noch
recht unübersichtlich. Geschuldet ist dies den parallelen „Gesprächssträngen“1: In einem Chatraum („Channel“) sprechen - ähnlich dem „Gesprächswirrwarr“ in einem Partykeller - nicht sämtliche Personen miteinander, sondern unterschiedlich große Gruppen vorwiegend untereinander, und
die Bildschirmzeilen stellen quasi das niedergeschriebene Protokoll des mit
einem Raummikrofon aufgenommenen Ganzen dar. Hierfür wäre es notwendig, die parallelen Gesprächbeiträge zu arrangieren, was der den Chat
anbietende Server erledigt, indem er die eingegangenen Äußerungen (chronologisch) an alle oder beim „Flüstern“ an ausgewählte Nutzer weiterreicht. Aus dieser Abfolge ergibt sich, dass der Text nicht Zeile für Zeile
gelesen werden kann, sondern zuerst die zusammengehörenden Gesprächspartner ermittelt werden müssen; nur deren Zeilen ergeben einen
kohärenten Sinnzusammenhang, ein Gespräch.
Da bei der Chat-Kommunikation die Gesprächsteilnehmer nicht wirklich
anwesend sind und die Beiträge leicht zeitverzögert auf dem Bildschirm
erscheinen, sind Interaktionen, im Besonderen die hörbaren beim echten
Gespräch, kaum möglich. Daher wird eine Art schriftlicher Kodifizierung
derselben durch die Chatter vorgenommen.
So wird z. B. Lachen simuliert: „hahahahah“. Ein „oh“ steht für Erstaunen.
Ausdrücke mit rein interaktiver Funktion werden häufig verwendet („mh“,
„ähm“, „naja“, pff“ etc.), obwohl diese eigentlich nur in der Face-to-faceKommuniktion sinnvoll sind, um mit einem „mhmh“ beispielsweise zu signalisieren „Ich höre dir zu.“. Auch Lautwörter ersetzen hörbare Interaktionen: „aua“, „oops“, „huch“, „igitt“ etc. Auch wird Minik und Gesten
mit Wörtern umschrieben wie in diesem Beispiel „kotz kotz kübel“ Oftmals
werden diese Ausdrücke iteriert, um ihre Bedeutung zu intensivieren2 oder
die Lautstärke zu simulieren.
1
2
36
paar
Quelle: Mainfranken-Chat, 03.07.2005
Vor dem Einstieg in den Chat schlüpft der Nutzer allerdings - unabhängig
vom Ort des Chattens - mittels selbstgewählten Pseudonyms wie Lisamaus,
Mazuiruu oder Mr.Right in eine virtuelle Identität, über deren Übereinstimmung mit dem 'Original' in Bezug auf Alter, Geschlecht oder
Wesenszuschreibungen etc. der Chattende selbst entscheidet. Nach dem
Betreten eines „Raumes“, der ein Gesprächsthema (Flirt, Computer, Auto,
usw.) oder örtliche Verbundenheit (Muenchen, Darmstadt, Schweiz, usw.)
vorgibt, folgen in der Regel nach mehr oder minder langem Beobachten des
Chatprotokolls die Begrüßungssequenzen, wie im folgenden Beispiel die
Zeilen 1, 3-5, 7-8 illustrieren.
(1)
zurück
ein
Lenke/Schmitz 50: 117-141
Schlobinski S. 101
37
Chat
Inflektive
Inflektive wie *freu* erinnern vor allem an Comics. Hier werden und wurden sie vornehmlich als Lautwörter (Onomatopoetica) eingesetzt, um die
auf Papier nicht realisierbaren Laute und Klänge indirekt darzustellen.
Beispiele hierfür sind knarr, zisch und klapper. Neben den kurz Wörtern
gibt es in Comics auch solche, die Mimik und Gestik begleiten bzw. unterstreichen und andere, die ganze Handlungsstränge in ein oder wenige
Wörter stecken – z.B. kick! kuppel! schalt! (für ein rasant wegfahrendes
Motorrad). Sind diese Wörter nun die ersten Inflektive?
Während Teuber1 den Ursprung der Inflektive schon weit vor der ComicZeit ansetzt, sieht Schlobinski2 in diesen Wortstämmen den entscheidenden
Anfang der Inflektive. Für Teuber sind Inflektive schon älter, da Johann
Christoph Adelung sich bereits 1782 mit knall beschäftigt. Schlobinski hingegen hält diese Auseinandersetzung und möglicherweise weitere InflektivBelege für singuläre Erscheinungen und sieht in den Comics die maßgebliche Quelle.
Den ersten möglichen Beleg konnte Schlobinski im Mickey Mouse newspaper comic strip vom 23.5.1931 finden - d.h. als Comic-Folge in einer
Zeitung. Es handelt sich hierbei allerdings um einen englischsprachigen
Comicstrip, sodass der Infinitiv mit der Nominalform übereinstimmt (to
click, klicken vs. click das Klicken). Im ersten deutschsprachigen Micky
Maus finden sich allerdings eindeutige Inflektive. *poch*, *schnapp*und
*knarr* sind zweifelsfrei deutschsprachige Inflektive.3
Wobei nur einfache Inflektive als Belege gefunden worden sind.
Komplexere Inflektiv-Konstruktionen (z.B. *aufdenbodenschmeißundlach*) hingegen sind anscheinend noch etwas Chat-Spezifisches da solche
Beschreibungen in Comics die Bilder übernehmen.
Aus den beschriebenen Handlungen wie sie in Briefen vorkommen werden
explizite Handlungen in Form von „SPOOKY freut sich“ bzw. Sprechblasen (*freu*), Acronyme (*g* = „grins“) oder Emoticons wie z. B. :-). Die
Selbstbeschreibungen und Ersatz-Anzeichen des Chat sind dabei nicht nur
,,Kompensationsmaßnahmen für fehlende non-verbale Information“4, sondern sie kommentieren die Aussagen der Chatter.
Dabei unterscheidet man zwischen zwei Formen, die eine bezieht sich auf
andere wie das unvermeidlichen *knuddel* oder auf sich selbst wie
1
2
3
4
„Schneckchen24 kriecht durch den Raum und begrüßt mal alle
Anwesenden“ oder „Jim wundertsich grad mal, dass hier zwei Frauen im
Raum rumsitzen“, bei denen der Absender in der dritten Person auf sich
Bezug nimmt. Diese ,,Zuschreibungsturns“ erinnern an Regieanweisungen
und stellen mit Hilfe dieser Sprechakte imaginäre Zustände her. „Der
Chatter ist sozusagengleichzeitig Regisseur und Akteur bzw. Autor und dramatis persona.“1
Aus Sprachökonomischer Sicht sind Inflektive in Chat außerst effizient da
sie manchmal mit nur einem Buchstaben wie z.B. *g* eine Palette von
Gefühlen beschreiben kann die je nach Kontext leicht variiert.
Hier einige Inflektiven und Inflektivkonstruktionen aus dem Buch „Sprache
und Kommunikation im Internet“
auffang:
bussiauffang
aufreiss:
klappeaufreissundhandvorhalt
aufsperr:
mund
aufhalt:
aufsetz:
38
pappnase
ausquetsch:
pickel
begrüß: sunny
beneid:
drueck:
fall:
festhalt:
flüster:
zunge
ausquetsch
begrüß
beneid
daumendrueck
kruemmend
Kite
ins
JELLY
aufzieh
ausfaaaaaaahhhhhhr
herzlich
dich
zu
festhalt
Ohr
fütter:
MD
mit
vvvvvvviiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeee-
ellllllllllllllllll
Schokolade
fütter
malsoebenmalindierundegaehnentuuauchmalwaszusagen
saugen
grins:
fiesgrins
guck:
ganzliebguck
1
fall
superfreu
geh:
greif:
zw.
flüster
vorsichtigfrag
gaehn:
im
boden
frag:
freu:
zurückwerf
aufsetz
aufsperr
fahrradhelm
ausfahr:
und
aufhalt
aufzieh:
guck:
Oliver Teuber S. 7-26
Schlobinski (2001) S. 192–218
Dolle-Weinkauff S. 312-315
Lenke und Schmitz: S. 128
arme
geh
nachbutzeseisenstange
greif
frechguck
Turkle 1997 S. 328
39
Chat
guck:
ganzliebundverführerischguck
sabber
grumpfelschluckglucksjubelierundsabber
guck:
gespanntguck
schau:
AngeIMooon:
guck:
liebguck
schlabber:
liiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeeebt
guck:
neugierigguck
schlawenzel:
umxantirumschlawenzel
guck:
schüchtern
schluck:
japs
schneid:
grimmassen
schneid:
kleinschneid
schüttel:
kopfschüttel
in
die
runde
guck
wer
möchte
mit
chatten?
mir
guck:
traurig
guck:
traurigindieeckeguck
guck
halt:
locker
halt:
sackhalt
herschleich:
hinter
mit
einer
hand
auf
abstand
halt
und
<-------gebannt
wasser
dahinschweb
seh:
am
away
herschleich
sei:
Nobse
herspring
sei:
schonoksei
spring:
in
sprint:
zum
See
sprint
der
leitung
hinter
hinweis:
drauf
hochschick:
huhu
hoer:
AufschreidurchdieMengegehenhoer
steh:
auf
klopf:
auf
stress:
Arrg
stups:
liebstups
teil:
die
die
;-))
Gruss
Schuzlter
klopp:
ineen
knuddel:
ciaoknudeel
knuddel:
drachenknuddel
knuddel:
hinlauf
knuddel:
reknuddel,
die
A2
hochschick
klopf
solarplexusklopp
und
(drachen
Traeumling
weil
ein
=
MrsDragon)
nieder
baer
knuddel
den
See
:-)
spring
steh
stress
Kinderschokolade
handliche
bin
seh
sei
herspring:
Surfine
schluck
liegen
Nobse
hinweis
den
stücke
tret:
mal
tröst:
schlappohr
mal
Wasser
auspack
getarnten
clown
gegens
warriorknuddel
tunk:
Kite
zurueckindenChatknuddele
versteh:
nixversteh
knuuuuutsch:
auch
vorhalt:
klappeaufreissundhandvorhalt
kraul:
rücken
kraul:
und
kues:
am
lach:
CATTIE
love:
roomlove
mach:
denknmach
mach:
Kopfstand
plansch:
wild
nochmal
ganz
lieb
knuuuuutsch
kraul
die
flügel
Hals
MD
kraul
kuess
its
mit
von
MAGIC
lach
mach
nobse
proll:
sorumproll
raetsel
raetselraetsel
raushol:
mobilatraushol
renn:
schnell
rett:
iiiiiiihhhh
zu
rüberreich:
rüber
rüttel:
AngeIMooon:
dir
zu
mal
wein:
megawein
von
werd:
rotwerd
staub
Kite
werf:
in
wink:
zaunpfahlwink
wink:
winkwild
zuck:
mit
den
schienbein
tret
tunk
wegschleich
werf
Schultern
zu
elise
zuck
plansch
MANTI
reich
wegschleich:
in
tröst
knuddel:
unter
und
teil
knuddel:
cyber
bildschirmschau
schneid
schweb:
boden
auf
schlabber
renn
vor
Manti
...
dem
schleim
Wird
schon
<-------Waldfee
mal
rett
;))
noch
klappen
an
(L-D)
schulter
rüttel.......
40
41
Chat
Anglizismen
Wenn wir uns nun noch einmal explizit die Benutzung von Anglizismen in
den deutschsprachigen Teilen der vernetzten Welt vor Augen führen, dann
sticht eines ganz besonders hervor:
Im Umgang mit den World Wide Web-Angeboten hat sich ein anglophoner
Wortstamm herausgebildet, der aus technischen, werbesprachlichen und
netspezifischen Wörtern und Sprachformeln zusammensetzt ist.
Anglizismen werden laut Definition in wissenschaftlicher Hinsicht verstanden als eine aus dem britischen Englisch in eine andere Sprache übernommene beziehungsweise entlehnte lexikale, idiomatische oder syntaktische
Einheit.
Es sollen hier noch die Typisierungen von Anglizismen im Hinblick auf ihre
Verwendung (sowohl bei deutschen Internet-UserInnen als auch im gewöhnlichen Leben) aufgeführt und unterschieden werden:1
1.
Eingedeutschte Anglizismen, welche Begriffe repräsentieren, die bestimmend in die Umgangs- und Alltagssprache eingegangen oder entlehnt worden sind. Hierzu lassen sich Ausdrücke wie Center oder Shop anführen.
2.
Anglizismen, die durch einen deutschen Begriff ersetzt werden. Etwa display durch Bildschirm.
3.
Anglizismen, die, obwohl sie in das Deutsche eingegangen sind, im Englischen faktisch nicht existent sind und neu kreiert wurden, zum Beispiel
dress man oder handy.
4.
Hybride (Misch-) Formen, auch Internationalismen genannt, die halbdeutsche respektive halbenglische Kunstprägungen darstellen. Hier werden eine
deutsche und eine englische Wortkomponente kombiniert. Virenscanner
wäre hier möglich.
1
Mackensen
42
Im Zusammenhang mit Anglizismen (wobei es in Bezug auf das Internet
korrekterweise eigentlich Amerikanismen heißen müsste) tritt oftmals auch
der Begriff des Denglisch in den Blickpunkt der öffentlichen und akademischen Diskussion.
Scheinbar kein anderer Begriff als dieser Wortzwitter drückt treffender aus,
wie entscheidend dass Anglo-Amerikanische Einfluss auf die deutsche
Sprachgemeinschaft nimmt.1
Das Kunstwort Denglisch, zusammengesetzt aus Deutsch und Englisch,
steht für die Vermischung von deutschen und englischen Sprachelementen,
wobei ab und an auch anglophone Grammatik auf Wörter des Deutschen
angewendet wird. Als Beispiel hierfür lässt sich anführen, dass häufig
gesagt wird „etwas macht keinen Sinn“, obwohl es in der deutschen
Grammatik korrekter „es ergibt keinen Sinn“ heißen müsste.
Diese Begriffskreation ist ursprünglich aus der Jugendkultur entstanden
und etabliert sich heutzutage mehr und mehr, nicht zuletzt durch Werbung,
Massenmedien und vor allem durch die fortschreitende Computerisierung
der Gesellschaft, im (bundesrepublikanischen) Sprachgut.
Anglizismen kommen in diesen netzbasierten „Brabbel“-Stuben allerdings
kaum vor.
Werden sie tatsächlich verwendet, dann zumeist im Bereich der rituellen
Kommunikation. Bestimmend hier bei Begrüßungs- („Hi“) und Verabschiedungssequenzen („Bye“ oder „CU“), als Abkürzungen (etwa für expressive
und nicht-assertive Sprechakte), mitunter auch bei der Wahl von Pseudonymen.
Da die aus dem englischen Wortschatz stammenden Begrüßungsformeln
vornehmlich aus der Alltagssprache übernommen sind, lassen sie sich somit
nicht unter die internetspezifische Fachlexik subsumieren.
Akronyme etablieren sich indes neben den Smilies als besondere Produkte
der Netzsprache, da diese Abkürzungen eines aus mehreren Wörtern bestehenden Begriffs (zum Beispiel „rtfm“ =“read the fucking manual“,
deutsch: lies das verdammte Handbuch – wenn jemand eine überflüssige
Frage stellt), hauptsächlich aus englischsprachigen Raum stammend, den
ökonomischen Vorteil besitzen, die Tipparbeit wesentlich erträglicher zu
machen.
1
Turkle, Sherry
43
Chat
Akronyme
Grafostilistische Mittel
Neben den Akronymen, die uns aus dem alltäglichen Sprachgebrauch
geläufig sind, wie etwa „USA“, finden sich in der Chat-Kommunikation
solcherlei Abkürzungen, die nur in ihrem schriftlichen Gebrauch sinnvoll
sind. Dies trifft besonders auf Akronyme zu, die - zumeist aus dem Englischen stammend - auf Homophonen basieren (Schlob., S. 87), d. h. sie werden unterschiedlich geschrieben, lauten jedoch gleich. Ein Beispiel hierfür
ist „4“ für „for“ oder „u“ für „you“, doch auch Mischformen wie „8ung“
statt „Achtung“ sind zu finden. Eines der beliebtesten Akronyme im Chat
ist wohl das „lol“ für „laugh out loud“, das, ebenso wie das einfache „g“
für „grins“, stellvertretend für eine nicht sicht- oder hörbare non-verbale
Interaktion steht. Es ist selbstredend, dass auch Akronyme wegen ihrer
Kürze im Chat so beliebt sind1. Einige dieser Abkürzungen haben sich im
Laufe der Zeit verselbstständigt und nun wird auch ihre reduzierte Form
ausgesprochen, was definitionsgemäß den Kurzwörtern vorbehalten ist. In
diese Reihe fügen sich bd/bb (bis dann, bis bald) oder cu (seeyou), sofern
cu und nicht see you verbalisiert wird, außerhalb der Chatwelt km/h oder
cl (Zentiliter).2
Akronyme sind folglich schriftliche Ökonomieformen par excel-lence, da
sie zwar in der Kurzschriftform dastehen aber vom Leser in ihrer Vollform
verstanden werden. Sie reduzieren unmittelbar die Zahl der Anschläge und
sind von den Rezipienten, sofern ihnen die zugehörige Vollform bekannt
ist, schneller zu verarbeiten, so dass die Kommunikationsgeschwindigkeit
gesteigert wird3. Wobei es einige Kurzformen gibt mit denen man sich
durchaus unterhalten kann ohne das man die Vollform kennt, wenn man
weiß, welches Sinnkonzept dahinter steht. So hat beinahe jeder eine
Ahnung davon was DNA ist oder was sie macht. Um mitreden zu können
reichen nur einige Schlagwörter aus die wir mit dem Kürzel DNA verbinden. Erbinformation, Gene, Doppelhelix, usw. Man muss nicht wissen das
DNA in der Vollform Desoxyribonukleinsäure heißt. So haben es einige
Akronyme geschafft in den Olymp der „eigenständigen Wörter“ aufgenommen zu werden. Zumindest in ihrem gebrauch.
Für eine unterhaltsame Kommunikation sind die Abkürzungen von erheblicher Bedeutung, so dass über die standart Abkürzungen hinaus auch ad
hoc gebildete verwendet werden; so mom für Moment, j für Jahre (das sich
20j bin) oder NP für Nickpage“. Wobei einige wiederum nur im Kontext
entschlüsselt werden können.
Die Chattenden kennen die Einschränkungen des Mediums genau. Da
Mimik, Gestik und andere außersprachliche Handlungen für die Gesprächspartner nicht sichtbar sind, bedarf es einer entsprechenden Kompensation. Als Mimikersatz dienen Smileys wie ;) als zwinkerndes „Gesicht“ (die Vollform mit Nase ist ;-) ).
Während im Rahmen eines Briefes jede schriftliche Mitteilung ein Abdruck
der des emotionalen Zustandes war, welcher vom Leser erst erschlossen
werden musste, wird bei der schriftlichen Mitteilung des Chats die Gemütsverfassung des Schreibenden in Form eines kommentierenden Emoticons
angezeigt. Emoticons erscheinen an der Oberfläche als „ikonische Rekonstruktion typisierter Gesichtsausdrücke“1, welche die emotionale und intentionale Einstellung ihres Verfassers porträtieren. So ist das Smiley :-) ein
Zeichen für gute Laune, das iterierte Smiley :-))) bezeichnet sehr gute
Laune, und das winky Smiley ;-) dient als Ironiesignal. Die semiotische
Funktion der Emoticons bestehtjedoch nicht in erster Linie darin, eine
„Verbildlichung der Schrift“ (Sandbothe 1997:152)vorzunehmen, sondern
emotionale und intentionale Einstellung ihres Verfassers hinweisen. Das
Typische des Schreibens im Chat ist dadurch ausgezeichnet, dass alle
Ersatzzeichen - ebenso wie die gewählten Pseudonyme - den Charakter der
Selbstbeschreibung haben. Sie fungieren als Selbstkommentar des
Schreibenden.
1
2
3
Schlobinski
Kobler-Trill
Moser 1970 S 102ff.
44
Effizienz
Ein weiterer Wesenszug von Chats ist Effizienz. Korrekte Schreibweise ist
in der Regel einer schnellen, schlagfertigen Kommunikation untergeordnet,
sodass sich in den seltensten Fällen Groß- und Kleinschreibung findet, sondern vorwiegend konsequente Kleinschreibung. Auch bei den Satzzeichen
wird wenig Wert auf die richtige Schreibung gelegt: wir mitn auto in nen
gurkenlaster fährt is schon nen bissel kmiscvh. Die Vermutung, dass es sich
um Schreibschwächen handelt, ist nicht nur vielfach bezweifelt worden,
sondern zeigt sich auch innerhalb eines Chats. Als Ursache für die „fehlerhafte“ Schreibung wird in der Regel die Verwendung einer Tastatur in
1
Beißwenger 2000: 97
45
Chat
Verbindung mit der Dauer für das Tippen angesehen, das für den oder die
Gesprächspartner unsichtbar abläuft. In der Umkehrung bedeutet dies, dass
die Chattenden keine Kenntnis haben von einer Reaktion oder Inaktivität
ihres Chatpartners. Folgerichtig bemühen sie sich um eine möglichst zügige Antwort, schon um zu verhindern, dass andere früher oder zeitgleich
reagieren - was zu Überlagerungen führt. Auch hier lässt sich wiederum
Gesprächswertiges insofern erkennen, als man das Gegenüber nicht lange
auf eine Antwort warten lassen möchte und kann. Parallelen lassen sich gar
zu solchen Telefonaten ziehen, die unter einer „schlechten Verbindung“ leiden, d.h. wo zwischen Äußerung und Rezeption zeitliche Differenzen liegen. In solchen Fällen kommt es ebenfalls immer wieder zu parallelen
Turns. Um dies beim Chat zu vermeiden, müssen Äußerungen schnellstmöglich produziert oder aber fragmentiert werden.
tragenen Sinne eine Art analytische Komparation zugrunde liegt, d.h.g entspricht dem Positiv, gg etwa dem Komparativ, ggg und mehr demSuperlativ.
Für gesteigerte Lautstärke wird üblicherweise die Majuskeischreibung
gewählt (KRACH!).
Alle Belege sind einem Chat entnommen, der am 3. Juli 2005 unter www.mainchat.de aufgezeichnet wurde; der Text kann nachgelesen werden. www.mediensprache.net/dudenchat/
Neben der „falschen“ Orthografie bleiben weitere Möglichkeiten zur effizienteren Kommunikation. Auffällig sind hierbei fehlende Zeichensetzung
sowie Phänomene wie die Assimilationen (kannste statt kannst du).
Natürlich gehören auch Abkürzungen in diesen Bereich. Wenngleich die
beschriebenen sprachlichen Merkmale in zahlreichen Chatdiskursen auszumachen sind, können sie je nach Serverbetreiber, Inhalt, persönlichen Erfahrungen (vor allem mit Chats), dem Alter und weiteren Variablen erheblich variieren - so etwa bei einigen moderierten (z.B. politischen) Chats1
oder bei multilingualen Chats (Code-Switching).
Durch die Eingabe über die Tastatur ist auch die Übermittlung von
Betonungen oder wortakzent bei der Schriftkommunikation ausgeschlossen, und auch hier haben sich kompensierende Mittel etabliert. Als wichtigstes kann sicherlich die Wiederholung von Buchstaben- und Interpunktionszeichen angesehen werden, die zwar ein Mehr an Zeichen bedeutet, jedoch dennoch als ökonomisch anzusehen ist, da eine Betonung nur
mit vielen Wörtern korrekt vermittelt werden kann. Das ungläubige „bayern anja?????“ müsste bei nicht iteriertem ungefähr mit du hast dir nicht
wirklich den nickname „bayern anja“ gegeben? umschrieben werden, um
nicht etwa als Anrede aufgefasst zuwerden. Mittels Iteration lässt sich eine
gedehnte und damit als verständnislos zu interpretierende Aussprache
simulieren. Entsprechende Dehnungen können z.B. auch als nöööö und
ohhhhhhhh vorkommen. Iteriert werden auch Smiley-Bestandteile wie in
:»), umauszudrücken, dass sich der oder die Schreibende nicht nur freut,
sondern sich sogar sehr freut, oder Abkürzungen wie g in gg, dem im über-
1
Diekmannshenke 2001
46
47
SMS-Kommunikation
SMS-Kommunikation
Einleitung
Auch die SMS (Short Message Service) ist als Kommunikationsform kaum
noch aus unserem Alltag wegzudenken. Ob Liebesbotschaft , nüchterne
Informationen oder einfach ein “Ich denke gerade an Dich“, fast alles kann
scheinbar auf wenige Zeilen reduziert im Handumdrehen von Sender zu
Empfänger huschen. Und schon lange ist die SMS nicht mehr nur eine
Kommunikationsform für Jugendliche. Manchen Pennäler wird voraussichtlich noch ein überraschtes Lächeln ereilen wenn eine SMS von seiner
Oma erhält, insgesamt jedoch haben die Kurznachrichten ihren Platz in der
allgemeinen Privaten Kommunikation wie auch zunehmend in der
Arbeitswelt gefunden.
Zwar gab es früher schon die Möglichkeit, kurze Nachrichten über Funkruf-Dienste wie Quix und Telmi an mobile Endgeräte zu verschicken, doch
setzte sich dieses „Paging“ in Deutschland nicht durch.1
Von den Telekommunikationskonzernen als wichtigen Profitposten erkannt
werden immer weitere Nutzungsmöglichkeiten wie SMS-Chat, Gewinnspiele per SMS oder Klingeltonabonnements entwickelt welche einen stetig
hohen Umsatz garantieren sollen.
Natürlich unterliegt die SMS-Kommunikation auch gewisser Einschränkungen die sich unabhängig von der Beschränkung durch die Preispolitik
der Anbieter ergeben. Und gerade innerhalb der kleinen Sprachfragmente
haben Einschränkungen erstaunliche Auswirkungen auf die Sprachgestaltung der gesamten Kommunikationsform: Die Beschränkung der
Zeichenzahl, die für eine Nachricht zur Verfügung steht, die Art der eher
umständlichen Eingabe mit dem dicken Daumen auf zwölf filigranen
Tasten, die Dezentheit des Verschickens und Empfangens, die erstaunliche
Nähe die durch wenige Zeilen scheinbar kalter digitaler Zeichen generiert
werden kann, haben eine inzwischen technisch sowie kulturell etablierte
Kommunikationsform hervorgebracht. Bereits haben sich in der SMS-Kommunikation jedoch unterschiedliche kommunikative Gattungen herausgebildet was eine gewisse kommunikative Kompetenz der Benutzer erfordert.
Der Kommunizierende muss entscheiden welche sprachliche Ausarbeitung
dem jeweiligen Verwendungszweck wie auch dem Verhältnis von Sender
und Empfänger am besten gerecht wird.
1
„Allenfalls nie auffindbare Schulhausmeister oder wichtige Oberärzte schleppten die vergleichsweise leistungsschwachen Teile mit sich herum“, so schreibt Haller (2000: 8).
51
SMS-Kommunikation
SMS-Nutzung in Deutschland
Die SMS ist wohl die jüngste Kommunikationsform mit solch starker
Ausbreitung. Kaum zehn Jahre alt ist sie, eigentlich von den Betreibern
nicht intendiert, zunächst ein reines Zufalls- und Nebenprodukt des mobilen Telephonierens und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Achtzig
Prozent der Deutschen sind bereits Handynutzer und die Tendenz ist immer
noch steigend. Somit kann von einer nahezu Flächendeckenden Handynutzung in Deutschland gesprochen werden. Das Handy selbst hat sich von
einem Telephon zu einem Multimediagerät entwickelt: SMS, MMS
(Multimedia Messaging Standard), Diktiergerät, mp3-player, Kamera und
Spielkonsole.
Während sich MMS-Nachrichten momentan auch aus preislichen Gründen
nochweiter etablieren müssen kann man sagen, dass die SMSKommunikation sich in Deutschland großer Beliebtheit erfreut. Das lässt
sich leicht an den Zahlen ablesen. So wurden alleine im Jahre 2003 in
Deutschland rund 25 Milliarden SMS-Botschaften verschickt, was Deutschland an die Spitze im Europäischen vergleich setzt.1 Vor allem Jugendliche
haben das Handy für sich entdeckt. Diese Entwicklung hat durch die
Prepaid-Karten – d.h. die Nutzung des Handys ohne feste monatliche
Grundgebühren – einen besonderen Schub erfahren. Insbesondere die SMSMöglichkeiten sind bei Jugendlichen besonders beliebt: Über ein Handy zu
verfügen heißt für sie vor allem, kurze Textbotschaften zu verschicken! 2
im Schnitt mehr Botschaften. Dabei zeigt sich, dass SMS-Gespräche hauptsächlich von Personen geführt werden, die SMS aus Gründen der
Lebenshilfe nutzen.1
Verwandte Kommunikationsformen sind im Online-Chat und in der E-Mail
zu finden. Dennoch unterscheidet sich die SMS-Kommunikation vom Chat
durch die Zeichenmenge und die Asynchronität und von der E-Mail vor
allem durch die verwendbare Zeichenmenge sowie Einbussen im Komfort
der Zeicheneingabe über die Zahlentastatur des Mobiltelephons.
Das wichtigste Merkmal der SMS-Kommunikation ist somit die eingeschränkte Zahl der zur Verfügung stehenden Zeichen von in der Regel 160
Zeichen. Bei neueren Geräten ist auch das Verschicken von Nachrichten
mit deutlich mehr Zeichen oder das Aneinanderketten von Nachrichten
technisch möglich. Jedoch ist davon auszugehen, dass die recht mühselige
Eingabe der Zeichen nicht zu einem signifikanten Anstieg von längeren
SMS-Botschaften und damit zu einer Veränderung der Kommunikationsform führt.
Diese Kapazität wird von Personen, die häufig SMS-Gespräche führen, tendenziell häufiger voll ausgenutzt. Dabei handelt es sich hauptsächlich um
Mädchen, die an diese Grenze vorstoßen.1
Typischerweise läuft die SMS-Kommunikation vor allem in zwei- bis viersträngigen Dialogen ab.
So zum Beispiel:
Frage und Antwort
Grundlegende Merkmale der SMS-Kommunikation
Vorschlag und Reaktion
Die SMS-Kommunikation wird, sieht man von der Sonderform des SMSChat ab, in der Regel zwischen zwei einzelnen Kommunikationsteilnehmern abgehalten. Es besteht also eine 1:1- Kommunikation, die zumeist
Dialogartige und stets asynchrone Merkmale aufweist.
In einer Studie wird speziell nach der Häufigkeit sogenannter SMSGespräche gefragt, in denen Nachrichten in schneller Folge hintereinander
ausgetauscht werden, ähnlich wie beim Online-Chat. Diese Nutzungsform
erweist sich insbesondere unter Mädchen als sehr verbreitet, während Jungs
häufiger auch nur einzelne Botschaften absenden. Und erwartungsgemäß
verschicken bzw. empfangen Personen, die SMS-Gespräche führen, pro Tag
1
2
Bundesamt fur Strahlenschutz, Salzgitter
Patrick Rössler
52
Wunsch und Gegenwunsch
Oft wird dies durch einen dritten Strang erweitert der in der Regel phatischexpressiven Inhalt wie Dank, Bedauern oder Grüße beinhaltet.
Der zeitliche Abstand zwischen den Dialogzügen ist unterschiedlich überschreitet allerdings selten eine bestimmte Dauer. (15-30 Minuten) Fast die
Hälfte aller SMS-Dialoge sind zweisträngig (44%) gefolgt von den dreisträngigen Abfolgen (23%).2 Dies unterscheiden die SMS-Kommunikation
1
2
Joachim Höflich
Androutsopoulos / Schmidt (2002: 61)
53
SMS-Kommunikation
deutlich von gesprochener Sprache, E-Mail Dialogen und Chatdialogen
welche meist längere Strangfolgen aufweisen.
Der Nutzungsraum der SMS-Kommunikation ist durchaus vielfältig.
Inhalte können sowohl Liebesbotschaften, Verabredungen oder arbeitsinhaltliche Hinweise sein. Nach einer Untersuchung von Krause und
Schwitters (2002)1 sind Freizeitplanung und Termine (21,5 %) sowie Liebe
und Freundschaft (17.6%) die weitaus wichtigsten kommunizierten
Themen. Kommuniziert wird hierbei vornehmlich zwischen Freunden und
Partnern.
Nutzungsmotive
An der Universität Erfurt wurde im Juli 2000 eine kommunikationswissenschaftliche Studie zur SMS-Nutzung Jugendlicher durchgeführt, unterstützt
von der Universität Augsburg. Hierzu wurden 204 Jugendliche im Alter
zwischen 14 und 18 Jahren in verschiedenen Regionen Deutschlands
befragt, die in öffentlichen Einrichtungen oder an öffentlichen Plätzen kontaktiert wurden. Das Durchschnitttsalter der Teilnehmer beträgt 16,4
Jahre, 45% waren männlich und 55% weiblich. Das Bildungsniveau der
Stichprobe ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung leicht überdurchschnittlich, denn 43% der Befragten besuchen ein Gymnasium (auch
Fachgymnasium), 32% eine Real- oder Hauptschule und 25% absolvieren
derzeit eine Berufsausbildung.
Den Befragten wurde eine Reihe von Begründungen vorgelegt, weshalb
man SMS nutzen kann. Befragt nach ihren eigenen Motiven liegt der
Schwerpunkt eindeutig auf dem einfacheren verabreden und dem planen
von gemeinsamen Unternehmungen. Mehrheitlich treffen ferner diejenigen
Motive zu, die die gegenseitige Vergewisserung über das eigene Befinden
bzw. das des Angeschriebenen umfassen, sowie die allzeitige Erreichbarkeit.
Außerdem wird SMS gerne an Stelle von Telefonaten eingesetzt, und um
Kontakte zu erhalten, oft in Fällen räumlicher Distanz. Von untergeordneter Bedeutung, aber keineswegs ausgeschlossen sind hingegen komplexere
Bedürfnisse wie die Erörterung von Problemen oder das Erteilen von Ratschlägen.
1
Auch die Nutzungsmotive sind zum Teil geschlechtsspezifisch verteilt:
Mädchen legen größeren Wert darauf, anderen ihre Befindlichkeit mitzuteilen oder sich nach deren Befindlichkeit zu erkundigen, und genauso nutzen
sie SMS eher, um Langeweile zu vertreiben oder einfach nur wegen des
Spaßes am Kontakt mit anderen. Jungs hingegen spielen lieber mit den
technischen Möglichkeiten des Geräts und rufen eher zweckorientiert
Informationen ab bzw. verabreden sich mit anderen.
Fragt man nach dem Einfluß dieser Motive auf die letztlich angegebene
Nutzungshäufigkeit, so stechen in einer Regressionsanalyse besonders drei
Dimensionen her-aus: das Geben und Annehmen von Ratschlägen sowie
der Informationsabruf. Ob-wohl diese Motive nicht sonderlich verbreitet
sind, tragen sie am meisten zur Erklärung der Nutzungshäufigkeit bei: während alle anderen Motive wenig differenzieren, sorgt die Befürwortung dieser Items für eine deutlich erhöhte SMS-Nutzung.
Mit Hilfe einer Faktorenanalyse lassen sich die 15 abgefragten Motive auf
fünf Nut-zungsdimensionen reduzieren, die die Einzelergebnisse verdichten.
Probleme besprechen
Ratschläge geben
in Erinner. bleiben
Kontakte erhalten
Befinden der Freunde
eig. Befinden mitt.
statt telefonieren
sich verabreden
Spass am Kontakt
Überbrückung Distanz
Notsituationen
immer erreichb. sein
Technik ausprobieren
Information abrufen
Männlich
Langeweile vertreib.
Weiblich
0
20
40
60
80
100
Krause, Melanie / Daniela Schwitters
54
55
SMS-Kommunikation
Zentrales Nut-zungsmotiv ist demnach die gegenseitige Rückversicherung zu erfahren, was die Freunde oder der Partner machen und ob es ihnen gut
geht bzw. selbst mitzuteilen, was man macht und wie es einem geht. Am
zweitwichtigsten ist die allgemeine Kontaktpflege: man verabredet sich
oder schickt Mitteilungen um ihrer selbst willen, einfach weil es Spass
macht, und schickt SMS an Leute, die man gerade nicht persönlich treffen
kann oder mit denen man in der Situation nicht telefonieren kann. Fast
gleichbedeutend ist die Verfügbarkeit des Mediums, beispielsweise in
Notsituationen, gepaart mit der ständigen Erreichbarkeit. Bereits deutlich
weniger relevant sind Aspekte der Lebenshilfe, z.B. das gegenseitige Rat
geben oder die Bindung an die Freunde in dem Wissen, daß andere Leute
an einen denken. Bemerkenswert erscheint ferner, dass alle diese
Gratifikationen von Mädchen eher genannt werden als von Jungen, also die
weiblichen Befragten generell stärkere Motive für die SMS-Nutzung angaben. Einzig für ein Bündel von Gründen gilt dies nicht, und zwar für das
am wenigsten relevante: wenn es nämlich um den Nutz-Spass an SMS geht
– das ausprobieren der Technik, Informationsabruf und das Vertreiben von
Langeweile.
Das Alter der Jugendlichen und die Dauer des Handy-Besitzes machen kei-
nen Unterschied für die angegebenen Motive, jedoch ist die Bildung ein
relevanter Einflußfaktor: Insgesamt ziehen Haupt- und Realschüler aus
ihrer Sicht den größten Nutzen aus SMS (MW 2,5), gefolgt von Personen
in Berufssausbildung (2,7) und Gymnasiasten (3,0). Hinsichtlich der
Bedeutung für Kontaktpflege und Rückversicherung zeigen sich keine
Unterschiede, ansonsten nutzen Gymnasiasten SMS signifikant weniger als
Real- und Berufsschüler wegen des Nutz-Spasses und seiner Verfügbarkeit,
und weniger als Realschüler für die Lebenshilfe.
Sprachstil in SMS-Nachrichten
Der Sprachstil in SMS-Nachrichten ist vornehmlich durch Reduktion geprägt.
Hierbei ist der Grad der Reduktion allerdings abhängig vom Grad der
Vertrautheit der jeweiligen Kommunikationspartner. Je näher die persönliche Bindung desto stärker die Reduktion. Bei unpersönlicheren Kontakten
wird meist auf traditionelle Sprachformen, welche als höflicher empfunden
werden, zurückgegriffen.
1. SMS-Verabredung zwischen Freunden:
Hanne:
Lebenshilfe
Jan:
um
20.00
geht
in
vorm
kino?
ordnung.
Der Nachrichtendialog ist von einer einfachen Fage-Antwort-Struktur
geprägt. Der Dialog ist vollständig ungerahmt, das heißt, es ist weder eine
Gruß- noch eine Abschiedsfloskel integriert. Das völlige Wegfallen dieser
rahmenden Floskeln zeugt von einer intakten und recht nahen Beziehung
und wird ob der Wortkargheit keineswegs als unhöflich aufgefasst.
Rückversicherung
Verfügbarkeit
Kontaktpflege
Spass
1,0
2,0
3,0
1= Trifft voll zu, 5= Trifft gar nicht zu
4,0
5,0
Männlich
Weiblich
56
57
SMS-Kommunikation
2. Offiziellerer SMS-Kontakt
Herr
X:
Guten
Tag
Beispiele für Abkürzungen in SMS-Nachrichten:
Herr
angesetzten
verschieben?
Herr
Y:
Hallo
einen
ihnen
um
Herr
X:
Y.
steckengeblieben.
Sie
Termin
Mit
Ich
aber
alternativ
die
im
Stunde
dank
Gruß
und
leider
Ich
Umstände.
um
WE
den
zu
Grüssen
könnte
einen
Y
Stau
möglich
eine
habe
Termin.
anbieten.
bitte
es
freundlichen
X
Vielen
leider
um
Herr
weiteren
13.00
Gerne.
Bin
Wäre
X
11.30
Termin
entschuldigen
Im Gegensatz zu dem vorangegangenen Beispiel zeigt dieser Dialog kaum
sprachliche Reduktion, sondern ist standartsprachlich gehalten. Die
Kommunikationspartner sind nicht besonders vertraut miteinander und
versuchen durch die gewählte Sprachform höflich und bemüht zu wirken.
Je privater und näher die Beziehung der Kommunizierenden , desto stärker
werden die Nachrichten an der Mündlichkeit orientiert. In diesem Punkt
kann eine starke Ähnlichkeit zur Chat- oder E-Mail-Kommunikation festgestellt werden.
Abkürzungen von Wörtern scheinen eher auf einer spontanen Entscheidung zu basieren als auf der Anlehnung an allgemein gültige Abkürzungen oder bereits etablierter Regelform innerhalb der SMS-Kommunikationsform. Hierbei steht die größere Effizienz bei der Texteingabe im
Vordergrund. Eine nicht reduzierte Schreibweise hätte keinen Mehrwert für
die Nachricht, weder für den Informationsgehalt der Nachricht noch auf
der Beziehungsebene.
Wochenende
viell.
HDL
–
–
h
–
–
heimgekommen
vielleicht
„Hab
Knubus
Uhr
–
zumiozudi
Dich
lieb“
Knutscher
–
„Zu
mir
und
oder
Bussis
zu
1
Dir?“
Neben den beobachteten Abkürzungen sind bei Textnachrichen jedoch
auch Wörter oder Phrasen festzustellen, die nicht abgekürzt, sondern explizit ausgeschmückt werden. Hier wird deutlich das es in der SMS-Kommunikation letztlich nicht nur um das Erreichen einer bestmöglichen Effizienz in
der Textgestaltung geht sondern sehr wohl auch auf das generieren von persönlicher Nähe durch die Zeichenwahl geachtet wird.
Das folgende Beispiel kann eine ganze Reihe sprachlicher Reduktions- und
Verlängerungsphänomene zeigen:
Anna: Tu
grad
knubus
mit
jo
phonieren:
tschüssilein!
ganz
Anna+jo
viele
BYE
:-)
Zunächst wird mit dem Verb Tu eine kindliche Sprache verwendet, die mit
phonieren, einer englisch-deutschen Wortkreation verbunden ist. Diese
Kreation spart gerade einmal drei Zeichen ein, was die Reduktion nicht als
primären Grund der Verwendung des Ausdrucks erscheinen, sondern eher
eine dem Mündlichen ähnelnde Sprachspielerei vermuten lässt. Das Wort
grad ist ebenfalls an den Mündlichen gebrauch angelehnt. Knubus ist quasi
als Akronym von Knuddeln und Bussi zusammengesetzt. Tschüssilein von
„tschüss“ und eine ausdrückliche Verlängerung, die der Nachricht eine sehr
1
58
–
heimgek.
Die Eingabevon „knubu“ bei Google ergibt ca. 12600 Treffer
59
herzliche Note verleiht, was alleine durch das Wort „Tschüss“ nicht zu
erreichen wäre. Die Verabschiedungsfloskel wird mit BYE verstärkt und ein
Smiley, bekannt aus E-Mail und Chatkommunikation, :-), wird dahinter
gesetzt. Mehr als die Hälfte der Nachricht besteht also aus verschiedenartigen Verabschiedungsfloskeln die unterstreichen das der Sender gar keine
Zeit hat, eine SMS zu schreiben. Allerdings ist die gesamte Nachricht
zusammengesetzt aus Reduktionen und Verlängerungen sowie der
Verwendung nonverbaler Zeichen, die der SMS eine herzliche und Nähe
erzeugende Färbung verleihen.
Die gezeigte SMS steht exemplarisch für das vielfältige Ausdrucksrepertoire
in Textnachrichten, das unter anderem Elemente aus konzeptioneller
Mündlichkeit, Dialektalem, Kindersprachlichem, „gebrochener Sprache“
und Sprachverformung beinhalten und all diese Elemente in gerade mal 160
Zeichen einbinden kann.
60
Schlusswort
Schlusswort
Es wird oft behauptet, dass das Kommunikationsmedium die Gedanken
beeinflusst – auch, dass das Schreibwerkzeug nicht nur den Schreibprozeß
und das Schreibprodukt1, sondern auch das damit verbundene Denken verändere2.
So trägt die „Technologisierung des Wortes“3 dazu bei, dass nicht mehr
gedacht sondern nur noch aufgenommen wird. Wie ja schon Platon sagt:
Schrift verleite die Lernenden dazu, „sich nur von außen vermittels fremder
Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar (zu) erinnern“4.
Aber Schrift schafft auch zu dem Gedachten eine Distanz durch die man
sich besser mit dem eigenen Gedachten auseinandersetzen kann.
Ein Zusammenhang zwischen Medium und Denkweise ist schwer nachzuweisen, weil andere Medien oft mit anderen kulturellen Bedingungen einhergehen.5 Doch so ganz kann man den Gedanklichen Inhalt nicht von dem
Kommunikationsmedium trennen.
Schrift in Printmedien erlaubt nur eine lineare Darstellungsweise. Schrift als
Kommunikationsmedium hat der Kultur „bestimmte allgemeine Formen
aufgeprägt, für die syllogistisches Denken und lineare Kodifizierungen der
Realität zwei Beispiele wären“6.
Neue Medien erlauben dem entgegen assoziative, mehrdimensionale, hierarchische, netzartige, multimediale Darstellungsweisen. Sie verändern
demzufolge lineare Denkstrukturen.7
Mit anderem Denken entsteht eine andere Sprache. Wir sehen uns „einer
fortschreitenden Formatierung der Sprache gegenüber (...), einer Festlegung
und Vorstrukturierung von Handlungsmöglichkeiten“, während gleichzeitig „aber das Wissen über Sprache durch das Rationalisierungspotential der
Technik differenzierter und die individuellen Handlungsmöglichkeiten (...)
durch technische Unterstützung potentiell erweitert“ wird.8
Der Wert neuer Medien hängt davon ab, was man mit ihnen tun will und
wie man mit ihnen umgeht. „Man kann dummes Zeug sagen und geniales
in Computer tippen, schlimme Bücher lesen und bewegende elektronische
Botschaften empfangen - und eben auch umgekeh“.9
1
2
3
4
5
6
7
8
9
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