- Tempodrom

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Berlin Fashion Week
Blut, Schweiß und Tränen für die Mode
Von Alfons Kaiser
Mischa Barton kauft am liebsten bei Topshop ein
21. Juli 2008 Und dann gab es da doch noch ein paar symbolische Auftritte bei der Berliner
Modewoche. Die Protagonisten der verdichteten Szenen sind drei Männer, die noch vor fünf
Jahren nicht viel mit Berlin zu tun hatten: Wolfgang Joop, Kai Kühne und Raf Simons. Sie
vergossen, zum Nutzen der Berliner Szene und in der korrekten Reihenfolge: Blut, Schweiß
und Tränen.
Beginnen wir aber von hinten, mit den Tränen von Raf Simons auf offener Bühne. Für den
Samstagabend war, als Event-Höhepunkt der „Mercedes Benz Fashion Week“, eine BombastVeranstaltung zum zwanzigjährigen Bestehen der deutschen „Elle“ angekündigt. Anders als
in Berlin erwartet, trugen die meisten Gäste wirklich Abendkleid oder „Black Tie“ - und nicht
etwa den ortsüblichen Experimentier-Look. Nun gut, viele kamen aus München und
Hamburg. Aber plötzlich finden Events statt in der neuen deutschen Modehauptstadt, zu
denen man - ohne Witz - seinen Smoking mit auf die Reise nehmen muss. Mode als
Kulturtechnik: Hubert Burda gestand gar zur Begrüßung, dass er seiner Frau Maria
Furtwängler für den Abend ins Kleid geholfen habe; bei Jeans und T-Shirt wäre das nicht
passiert.
Karl Lagerfeld hat nicht mal ein paar Sottisen fürs Publikum übrig
Die größte Offenbarung saß aber im Publikum. Wohl niemals zuvor waren an einem Ort in
Deutschland so viele herausragende Designer versammelt. Im Tempodrom saßen also nicht
nur die üblichen Verdächtigen, mal abgesehen von „Vogue“ und „Vanity Fair“, die beim
Burda-Konkurrenten Condé Nast erscheinen und trotz freundlicher Einladung der Fremdfeier
fernblieben. Es kamen aus Berlin und aus aller Welt unter anderen: Karl Lagerfeld (Chanel),
Derek Lam (Tod's), Albert Kriemler (Akris), Roberto Raimondi und Tommaso Aquilano
(Ferré), Ingo Wilts (Boss), Gabriele Strehle (Strenesse), Dirk Schönberger (Joop!), Phillip
Lim, Michael Michalsky - und eben Raf Simons, der genialisch-scheue Designer der Marke
Jil Sander, den Dutzende Mails und Anrufe der „Elle“ wirklich dazu brachten, auf der Bühne
den Designerpreis entgegenzunehmen. Als er Jil Sander würdigt, muss er schon schlucken.
Und als er oscarreif schließlich allen bis hin zu, natürlich, „dem Team“ dankt, erstickt die
Stimme. Da schnurrt der Mega-Abend auf einen intimen Moment zusammen. Den meisten
bedeutet das mehr als die von Claudia Schiffer überbrachte Auszeichnung für Karl Lagerfeld,
der nicht einmal ein paar Sottisen fürs Publikum übrig hat.
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Weiter geht's mit dem Schweiß, den Kai Kühne vergoss, weil seine Kleider noch irgendwo
auf dem Flughafen hingen. Da saß er also in der Marlene-Bar des Interconti, aus New York
gekommen, um erstmals in Deutschland seine Entwürfe zu zeigen, und musste erst einmal
Worte aufbieten - bevor er am Sonntag zum Abschluss der Schauen, die in vier Tagen mehr
als zwei Dutzend Marken präsentierten, seine Ideen für Frühjahr und Sommer 2009 dann
doch noch zeigen konnte. Kai Kühne also, der aus Bremerhaven stammt und seit dreizehn
Jahren in Manhattan lebt, erzählt, per Zufall und passend unter einem Bild von Marlene
sitzend, warum er an Marlene nicht nur die Hosen mag, warum er aber vor allem
architektonisch klare Kleider macht, warum er, obwohl Avantgardist, nach amerikanischer
Art nah an der Kundin bleibt. Er mag es eben „ladylike“. Der notorische DowntownBewohner ist Richtung Midtown gezogen. Und trotzdem kommt er nach Berlin. In dieser
Stadt hat sich demnach genauso viel getan wie in Kai Kühne. Und das wiederum ist
symbolisch für viele junge Berliner Modemacher, die nun sogar nach Düsseldorf verkaufen.
Ja, junge Marken wie Pulver, von Wedel & Tiedeken, Sisi Wasabi, Talking means trouble
und Lala Berlin sind schon erwachsen und noch spannend.
Die Szene lebt und wächst
Und wer noch nicht so weit ist, wird durch den „Karstadt New Generation Award“ gefördert
(wie nach Kaviar Gauche nun der Münchner Designer Marcel Ostertag), durch die „Fashion
Patrons“ der Esmod-Schule oder die Ecke für Jungdesigner in den Galeries Lafayette. Die
Szene lebt und wächst und zieht Fotografen, Models, Casting-, Styling-, Grooming-, PR-,
Event-Fachleute an. Für Soziologen: Die Szene differenziert sich aus, professionalisiert und
globalisiert sich. Messen wie „Premium“ und „Stark“ helfen dabei, die neun Modeschulen
ebenfalls und die vielen neuen Läden ohnehin. Allein in den letzten Wochen wurden an
sehenswerten Geschäften eröffnet: Adidas (“No 74“) in der Torstraße, Michalsky am
Monbijouplatz, Marlies Dekkers in der Oranienburger Straße, Muji am Hackeschen Markt,
Karl-Heinz Müllers Jeans- und Accessoiregeschäft „14 oz.“ in der Neuen Schönhauser und
der Wunderkind-Vintage-Store in der Tucholskystraße.
Und was die Modewoche angeht, haben vielleicht gerade die enttäuschten Erwartungen der
ersten beiden Wochen der dritten geholfen. Der Veranstalter IMG muss nun keine großen
Namen mehr einkaufen - schon Vivienne Westwood wirkt in Berlin fake. Die Designer
müssen nicht einmal amerikanische Stars in die erste Reihe setzen. Ortsgerechte Damen mit
Stil wie Minh-Khai Phan-Thi, Barbara Schöneberger, Angelika Taschen und Nicolette
Krebitz tun es auch. Kein Wunder also, dass Kai Kühne ernsthaft darüber nachdenkt, mal hier
zu leben. Berlin ladylike - das wär' doch mal was! Wie sagt es der Münchner Hubert Burda
den Berlinern ins Gesicht? „Die Schönheit ist eines der ehernsten Gesetze!“
Die Jungen haben sich den Respekt schon erarbeitet
Und damit sind wir schon beim Blut, dem Herzblut von Wolfgang Joop. Früher machte er mit
„Joop!“ Konfektion. Heute macht er mit „Wunderkind“ Couture. Seine Linie präsentiert er
zwar in Paris, aber zumindest eine Schau in Berlin besucht er doch. Bei Michalsky also sitzt
er am Freitagabend in Reihe eins. Nach der Schau stürmt er backstage - um Michael
Michalsky, dem ersten großen Eigengewächs der neuen Berliner Mode, fotogerecht zu
herausragenden „city prints“ und rundum abendtauglichem Siebziger-Jahre-Look zu
gratulieren. Sogar hinter der Bühne versteht sich Michalsky auf den großen Auftritt. Bei
Donatella Versace in Mailand hat er entdeckt, dass sie im Backstage-Bereich noch eine
persönliche Kabine hatte. „Backstage vom Backstage! Das wollte ich auch haben!“ Also ist
nun hinter den halbnackten Models und den freudetrunkenen Gratulanten eine Holzhütte mit
der Aufschrift „Michalsky wardrobe“ zu sehen.
Aber nicht dieser kleine Größenwahn erinnert Wolfgang Joop an sein Herzblut. Nein, es ist
ein noch junger, aber schon graumelierter Herr, der wie durch höhere Gewalt gleich neben
ihm steht. „Dirk? Dirk!“ Zum ersten Mal treffen sich Joop und sein Nachlassverwalter zu
Lebzeiten. Dirk Schönberger renoviert gerade die vom Gründer abgestoßene und
zwischenzeitlich bedeutungslose Marke „Joop!“, und Joop ist begeistert: „Endlich muss ich
mich nicht mehr schämen!“
Die Jungen haben sich den Respekt also schon erarbeitet, heißt das. Und: Lizenzen wieder ins
Haus zu holen und die Mode vollständig selbst zu entwerfen und zu vermarkten lohnt sich.
Und: Auch große Konfektionäre können mit einem starken Designer weiterkommen. Das
haben Schönberger mit seiner Jeans-Schau fast zu sehr und Bruno Pieters mit seiner HugoSchau fast zu bescheiden gezeigt - Gabriele Strehle zeigte es mit der einfach genialen
Strenesse-Zweitlinie „Blue“ dagegen in der richtigen Tonlage. Und was die guten alten
deutschen Marken angeht, kommt auch Escada nun in Bewegung. Bruno Sälzer, der sich an
der Münchner Marke auch persönlich beteiligt und gerade in der Umgebung ein Haus sucht,
sagt nicht viel zu seinen Plänen. Aber in Berlin präsent zu sein - das hält er für keine schlechte
Idee. Herzblut ist dabei. Und ladylike wird das auf jeden Fall.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa, F. A. Z. - Alfons Kaiser, F.A.Z. - Alfons Kaiser
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