Strukturelle Voraussetzungen der Demokratie Gemeinhin werden

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Strukturelle Voraussetzungen der Demokratie Gemeinhin werden
Hauptseminar: Empirische Demokratieforschung Am Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft An der Universität Bamberg Leitung: Prof. Dr. Ursula Hoffmann‐Lange Referent: Daniel Schamburek 14.12.2010 WS 10/11 Strukturelle Voraussetzungen der Demokratie Gemeinhin werden Einflussgrößen wie etwa eine positive Einstellung der Bevölkerung zu demokratischen Werten, Bildungsniveau der Gesellschaft und insbesondere der wirtschaftliche Entwicklungsgrad als strukturelle Voraussetzungen für Demokratie angesehen. Tatu Vanhanen streitet in Democratization – A comparative Analysis of 170 democratic countries nicht ab, dass diese Faktoren eine Rolle spielen. Er stellt die These auf, dass sich eine Vielzahl der – von verschiedenster Seite propagierten – Einflussvariablen auf eine Erklärungsgröße zurückführen lässt: die Verteilung von Ressourcen unter den Menschen. Er stützt sich dabei auf die neo‐darwinistische Evolutionstheorie. Dort ist der Kampf ums tägliche Überleben aufgrund knapper Ressourcen zentral. Der Stärkere (also derjenige, der – relativ zu anderen Spielern – die meisten Ressourcen anhäufen kann) wird entsprechende politische Macht (und die damit verbundenen Sanktionierungsmöglichkeiten) auf sich vereinigen können. Die Verteilung der Ressourcen zwischen den Menschen bewegt sich dabei zwischen vollkommener Gleichverteilung und Konzentration auf eine oder wenige Personen. Vanhanens folgert weiter: „the concentration as well as the distribution of political power depends on the degree of resource distribution“ (S. 28 Z 2f). Der Schluss von Machtverteilung auf das politische System ist schnell geschafft: je niedriger der Grad der Konzentration, desto höher ist die Chance eine Demokratie vorzufinden. Daraus ergeben sich folgende idealtypische Kausalketten: [a] Ressourcen gleich verteilt > Macht gleich verteilt > strukturell günstige (fast zwingende) Voraussetzung für Demokratie. [b] Ressourcen konzentriert > Macht konzentriert > strukturell günstige Voraussetzung für Monarchie oder Oligarchie. Zwischen diesen beiden Reinformen [a] und [b] spannt Vanhanen ein Kontinuum. Er will einen Zusammenhang (mit Anspruch auf hochgradigen Korrelationen aufgrund der Monokausalität des Modells) zwischen dem Demokratiegrad und dem Grad der Ressourcenkonzentration herstellen. Es ist naheliegend, dass Vanhanen zum Vergleich beider Größen die Ergebnisse der Messungen mithilfe seines Demokratie‐Index ID (dessen Verteidigung er mehrere Textpassagen in Kapitel 2 widmet) heranzieht. Es stellt sich jedoch die Frage, wie resource distribution zu messen sei, da „nearly everything“ (S.39 Z13) eine Ressource im Kampf um Macht sein kann. In Hinblick auf das Problem der Unmöglichkeit, bei einer Untersuchung von 170 Staaten alle Einflussfaktoren zu erkennen und zu messen 1 , entscheidet sich Vanhanen für die zwei ‐ seiner Meinung nach ‐ wichtigsten Ressourcen: die ökonomische und die intellektuelle. Diese sollen unter Zuhilfenahme des IPR (Index of Power Ressources) gemessen werden. Sofern Einflussfaktoren von der Theorie nicht erfasst sind 2 , bleiben sie wegen ihrer geringen Bedeutung für die Erklärung außen vor. Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ‐ der nur bei sorgfältiger Lektüre auffällt ‐ ist die Aussage zur Grundveranlagung des Menschen. Sie ist bei allen Individuen (nahezu?) gleich ausgeprägt. Für die quantitative Herangehensweise dieser Untersuchung eröffnet dies erst die Möglichkeit, einen Vergleichswert bilden zu können. Geographische Lage, Kultur und Zeitperiode mögen zwar Einflussfaktoren sein; die Messung kann jedoch nur anhand eines Indikators stattfinden, bei dem alle Menschen die gleichen Grundvoraussetzungen mitbringen. Der Index selbst konstituiert sich aus mehreren erklärenden Variablen: 1. Anteil der Städtischen Bevölkerung mit der Begründung: je mehr städt. Bevölkerung, umso höher die Spezialisierung der Wirtschaft, umso höher der sozio‐ökonomische Entwicklungsstand, umso weiter sind in der Regel die Ressourcen verteilt. 2. Anteil der nicht‐landwirtschaftlichen Bevölkerung mit der Begründung: je größer die nicht‐landw. Bevölkerung, umso höher die Spezialisierung der Wirtschaft … 1
Die „Ausübung von Gewalt“ wäre laut Vanhanen eine gute Variable im Gesamtindex gewesen. Er ließ sich aber nicht zufriedenstellend messen. 2
wobei sich (ähnlich auch Vanhanen zu dieser Thematik) so ziemlich alles in das Modell integrieren lässt 3. Anteil der Studierenden an der Bevölkerung mit der Begründung: je mehr Studierende, umso gebildeter die Bevölkerung, umso breiter die intellektuelle Ressourcenverteilung 4. Anteil der Bevölkerung, die des Lesens mächtig ist, mit der Begründung: je weniger Analphabeten, umso gebildeter die Bevölkerung …. 5. Anteil der landwirtschaftlichen Familienbetriebe mit der Begründung: je größer family farms, umso größer die Konzentration von Ressourcen im landwirtschaftlichen Sektor 6. Grad der Dezentralisierung im nicht‐landwirtschaftlichen ökonomischen Machtressourcen (über die Messung der Größe des staatlichen Sektors in vier Stufen: zentral‐/planwirtschaftlich, vom Öffentlichen Sektor dominiert, vom Privaten Sektor dominiert, marktwirtschaftlich) mit der Begründung: je mehr freier Markt, umso mehr dezentrale Ressourcenverteilung 7. Reales Bruttoinlandsprodukt pro Kopf mit der Begründung: je höher das Entwicklungslevel und der Wohlstand, umso breiter sind Machtressourcen verteilt Da Vanhanen mit diesen Indikatoren bereits statistische Erfahrung gesammelt hat, inkludiert er (aufgrund hoher Korrelationen mit dem ID und dem IPR) den Indikator [7] als dritten (‚extended‘) Faktor in sein Modell (IPR+GDP=IPR 2) ‐ neben den ökonomischen (ER) und intellektuellen Ressourcen (IR). GDP war in den vorherigen Untersuchungen auf diesem Forschungsgebiet nicht immer mit eingeschlossen. Die erklärenden Variablen [1] und [2] werden in dieser Untersuchung wegen Überschneidung und (wohl eher) wegen Unbedeutsamkeit ausgeschlossen und nur noch zur Gewichtung von ER verwendet. Schließlich wird der Mittelwert aller fünf verbleibenden Variablen gebildet (MEAN). Der Vergleich von ID und IPR (alternative Vergleiche mit: IPR 2 und MEAN) zeigt einen hohen Prozentsatz an Erklärungskraft auf: über 70%. Vanhanen war mit dem Anspruch angetreten „nur einen“ Faktor (Ressourcen) als strukturelle Voraussetzung für Demokratie heranzuziehen, weil diese für alle Menschen gleich gilt und nicht zuletzt deshalb gut vergleichbar ist. Von seiner Warte aus gesehen sind 70% mehr zufriedenstellend. Hohe Korrelationswerte bedeuten jedoch nicht automatisch, dass sauber gearbeitet wurde. Um dies zu prüfen, werden die drei zentralen Bausteine seiner Untersuchung einer Kurzbetrachtung unterzogen. Der zweite Baustein kann als die große Leistung Vanhanens in diesem Text gesehen werden. Dort schafft er mit „einer“ Variable – der Ressourcenverteilung/konzentration – einen Erklärungsfaktor, der die Vielzahl der erklärenden Teilaspekte 3 sowohl zu berücksichtigen versucht, als auch schematisch in ein nachvollziehbares Modell integriert. Den ersten Schritt, indem ein theoretisches Konzept um den neo‐darwinistischen Kampf zur Ressourcenerlangung in aller Breite dargelegt wird, mag interessant sein, wenn man Vanhanens Überlegungen im Einzelnen nachvollziehen will. Diese, der eigentlichen Theorie vorgelagerten Theorie, erscheint in dieser Form überflüssig. Vanhanen hätte sich hier beispielsweise 4 unter Zuhilfenahme der unumstrittenen Definitionen Max Webers zum Macht‐(und Herrschafts)begriff 5 einige Textpassagen sparen können. Nur kann es Vanhanen eben nicht egal sein, worauf eine Macht‐ Chance beruht. In seinem Fall ermöglichen die Macht‐Ressourcen eben diese Chance. So wäre (nur anhand dieses einen Beispiels) der Grundstein für alles Weitere gelegt, ohne die vorliegende Aneinanderreihung zweier Theorien. Bei der Betrachtung des dritten Bausteins muss berücksichtigt werden, dass sich die Suche nach Indikatoren, die sowohl den Ansprüchen der Messbarkeit und der Genauigkeit genügen sollen, in jedem Fall schwierig gestaltet. So wundert es nicht, dass die Indikatoren [1] und [2] als erklärende Variablen herausgenommen werden. Schwierig bleibt zum Beispiel die Messung der Zahl von Studenten an der Gesamtbevölkerung, weil Staaten unterschiedliche Maßstäbe an den Status Student legen. An diesem und an anderen Beispielen sieht man jedoch das Bemühen Vanhanens, das ‚Rohmaterial‘ vergleichbar zu machen – insbesondere in Hinblick auf die family farms, für die nicht in allen Erdteilen und Staaten die gleichen Messskalen verwendet werden können. Innerhalb dieses Bausteins kann neben diesen messtechnischen Erwägungen ein großes Methodenproblem gesehen werden. Ökonomische und intellektuelle Ressourcen werden 3
Ökonomie, Bildungsgrad der Bevölkerung, Entwicklungsstand etc. und die Darstellung anderer Faktoren als verwandte, unterordenbare oder begleitende Variablen 4
Alternativ zum Beispiel wäre zu erwägen, ob der erste Teil vielleicht sogar komplett weggelassen werden könnte. 5
Danach ist Macht die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht und Herrschaft die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhaltes bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden gleichwertig nebeneinander gemessen, obwohl sich die Messgegenstände nicht nur gegenseitig beeinflussen, sondern erheblich überschneiden und bedingen. Angebrachter wäre als grundlegenden Faktor ‐ neben der intellektuellen Einflussgröße – die gegenständlichen Ressourcenverteilung zu messen. Denn erst die Kombination aus beidem ergibt die ökonomische Verteilung. ER ist also nur mittelbare Variable, die dem IR [in der Skizze: 1] nebst gegenständlicher Ressourcenverteilung (Bodenschätze, Flora&Fauna, Hitzegrad) [in der Skizze: 2] nachgelagert ist. Folgende Skizze (eigene Darstellung) soll diese Überlegungen verdeutlichen: Es muss gesehen werden, dass die Verteilung der intellektuellen Ressourcen wesentlich darauf Einfluss hat, wie später die ökonomische Verteilung – unabhängig vom Niveau! – aussieht. Dieser „Indikator“ aus den gegenständlichen Ressourcen und den (damit indirekt doppelt gemessenen) intellektuellen Ressourcen muss entweder geringer gewichtet werden oder zugunsten der gegenständlichen Ressourcenverteilung abtreten. Literatur: Vanhanen, Tatu: Democratization – A comparative analysis of 170 countries. New York. 2003. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft – Herrschaft (Hg. Hanke Edith) Teilband 4; In: Max Weber Gesamtausgabe (Hg. Baier, Horst et al.) Abteilung 1: Schriften und Reden. Band 22‐4. Tübingen. 2005. Stehr, Nico: Wissen und Wirtschaften – Die gesellschaftlichen Grundlagen der modernen Ökonomie. Frankfurt am Main. 2001.