Hochzeitsfotografie: Analyse eines Rituals

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Hochzeitsfotografie: Analyse eines Rituals
Universität Hamburg
Institut für Medien und Kommunikation
Veranstaltung: Rituale in gegenwärtigen Medienkulturen (MUK V1) – Seminar II
Dozentin: Prof. Dr. Kathrin Fahlenbrach
WiSe 2013/14
Hochzeitsfotografie:
Analyse eines Rituals
Vorgelegt von:
Valentina Hammer
Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
Inhaltsverzeichnis
E inleitung
3
1. Z u T heorie und M ethode
1.1 Ritualbegriff
4
1.2 Fotografie im sozialen K ontext
5
1.3 D rei E benen ritueller Praxis nach Bergesen
7
1.3.1
M ik roriten
8
1.3.2
M esoriten
8
1.3.3
M ak roriten
9
1.3.4
Z usammenfassend zu den drei E benen
9
2. Hochzeitsfotografie: A nalyse eines Rituals
2.1 E inordnung der Hochzeitsfotografie als Ritual
9
2.2 M ik roebene
10
2.3 M esoebene
13
2.4 M ak roebene
14
3. Hochzeitsfotografie heute
16
4. Schluss
19
5. L iteraturverzeichnis
20
6. Bildquellen
21
2 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
E inleitung
Fotografie „ist heute die verbreitetste Sprache unserer Zivilisation [sic!]“ (Freund 1989: 231). Wir benutzen sie, um die Welt zu verstehen und um diese außerdem aus unserer
Sicht zu dokumentieren. Man kann sich ihr kaum entziehen, da sie oft in Rahmen
gesellschaftlicher Gepflogenheiten als selbstverständlich und verbindlich gilt. Unser
Leben lässt sich mittlerweile anhand von Fotos ganz genau rekonstruieren: Fotografien
„belegen die einzelnen Phasen der menschlichen Existenz, von der Geburt bis zum Tod“
(Frizot 1998: 749). Auch bestimmte Zeremonien und Rituale begleiten unser Leben
„von Anfang bis Ende“ (Michaels 2007: 201). Sie markieren Tiefen und Höhen, an den man sich anders verhält, man anders handelt und man das Ganze in Form von Fotos als
Dokumente der entscheidenden Ereignisse fotografiert (vgl. ebd.).
Die Hochzeit stellt einen Höhepunkt im Leben eines Menschen dar und wird genauso
ernst genommen wie die Geburt und der Tod. Mit der Zeremonie der Hochzeit sind
viele rituelle Handlungen und Vorgehensweisen sowie hohe Erwartungen verbunden.
Seit dem Aufkommen der Fotografie gilt auch das Hochzeitfoto als ein unmittelbarer
Bestandteil dieser Zeremonie. Man kann sogar sagen, dass das Hochzeitsfoto selbst zu
einem Ritual geworden ist, das bestimmten Konventionen unterliegt.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist, das Ritual der Hochzeitsfotografie sowie genau diese
Konventionen unter die Lupe zu nehmen und ihre Bedeutung zu entschlüsseln. Dazu
wird eine Ritualanalyse nach Albert Bergesen vorgenommen, der ein Ritual in seiner
Funktionalität und Ordnung auf drei Ebenen zu analysieren vorschlägt: Mikro-, Mesound Makroebene. Dabei reicht die Analyse von scheinbar unwesentlichen symbolischen
Details bis hin zur Bedeutungen für die gesamte soziale Gesellschaft.
Im ersten Abschnitt dieser Arbeit liegt der Fokus auf den theoretischen
Voraussetzungen und Methoden: Der Begriff des Rituals wird erläutert, der soziale
Kontext der Fotografie an sich wird beleuchtet, die Analyse nach Bergesen wird
vorgestellt.
Der zweite Abschnitt wird durch eine Einordnung des Rituals der Hochzeit eingeleitet.
Im Anschluss wird das Ritual des Hochzeitsfotos Ebene für Ebene (Mikro-, Meso-,
Makro-) analysiert.
Der dritte Abschnitt befasst sich mit der Hochzeitsfotografie heute. Es werden
Neuerungen, Änderungen und Tendenzen untersucht. Zum Schluss sollen die
Ergebnisse der Analyse zusammengefasst werden.
3 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
1. Z u T heorie und M ethode
1.1 Ritualbegriff
Je nach wissenschaftlichem Bereich wird der Begriff des Rituals anders gedeutet,
definiert und unterschiedlich beleuchtet. Lange galten Rituale u.a. wegen ihrer
unveränderlichen wiederholbaren Struktur als „äußerlich“, „starr“, „und eben nicht fortschrittlich“ (Michaels 2007: 5), was einer immer progressiveren Gesellschaft nicht
eigen sein kann. Erst im Laufe der Zeit, im Laufe der Auseinandersetzung mit den
Ritualen und neuen Begriffen in diesem Bereich wurden Rituale „mehr und mehr als kulturelle (Sub-)Systeme wahrgenommen“ (ebd.: 6) und anerkannt. Wichtig ist, dass
nicht nur kirchliche bzw. religiöse Zeremonien und Liturgien als Rituale angesehen
werden dürfen, sondern auch rituelle Ordnungen und Handlungen außerhalb der
Religion, denn auch ihnen sind typische Merkmale eines Rituals wie Wiederholbarkeit,
symbolhafte Codes, fest strukturierte Handlungsabläufe, hierarchische Anordnung der
Teilnehmer und die Gemeinschaft stabilisierende Kraft eigen.
In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff des Rituals im sozialen Kontext verstanden,
der selbstverständlich das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Kollektiv
impliziert. Funktionen eines Rituals im sozialen Sinn stehen im Fokus. Diese
Funktionen bestehen nach Wulf (2007: 190-198) u.a. darin, die soziale Gemeinschaft zu
stabilisieren, einem Individuum zur Identifikations- und Identitätsbildung sowie zur
Selbsteinordung in der Gemeinschaft zu verhelfen, gesellschaftliche Hierarchien zu
erzeugen und zu sichern, das soziale Gedächtnis zu kontrollieren.
In diesen Funktionen spiegelt sich der Kern eines Rituals wider. Der besteht nämlich in
der Interaktion mehrerer Individuen, die in ihrer sozialen Gemeinschaft durch ein Ritual
bestätigt und stabilisiert werden, wobei aber ein Individuum auch eine gewisse
Bestätigung seiner Identität erfährt. Dies ist auch ganz im Sinne von Bergesen, wenn er
von einer „kollektive(n) Identität“ (Bergesen 2003: 50) spricht, die durch das Zusammenkommen von Individuen zu einer Gruppe bewirkt wird. Jedes Individuum
nimmt an dieser Identität teil, wenn es am Ritual teilnimmt. So wird soziale Einheit
geschaffen, die als identitätsstiftend für jedes Individuum gilt. Da diese Identität am
intensivsten bei einem Ritual erfahrbar ist, ist die Bestätigung der Gemeinschaft und des
Individuums als Teil dieser Gemeinschaft für Rituale typisch (vgl. Bergesen 2003: 50).
Jede Gemeinschaft weist bestimmte Hierarchien auf. Auch diese werden in einem
Ritual sichtbar bzw. sichtbar gemacht und bestätigt, so dass jedes Individuum seines
Platzes in der Gemeinschaft bzw. in der Gesellschaft gewiss sein oder werden kann.
4 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
1.2 Fotografie im sozialen K otext
„So verdankt die photographische Praxis in ihrer allgemeinsten Va riante der sozialen
Funktion, mit der sie ausgestattet ist, das und nur das zu sein, was sie ist“ (Bourdieu 2006: 43).1
Diese Behauptung von Bourdieu verdeutlicht seine Einstellung gegenüber dem
Phänomen der Fotografie. Er lehnt strikt ab, die Fotografie nur als eine Art Instrument
zur Befriedigung psychologisch angelegter Bedürfnisse des Menschen zu betrachten.
Viel wichtiger erscheint ihm der Zusammenhang zwischen Fotografie und dem
Sozialen: Die gesellschaftliche Funktion der Fotografie soll seiner Meinung nach
zentral für geisteswissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Fotografie und
fotografischer Praxis werden (vgl. ebd.: 26-27). Diese Meinung teilen auch angesehen
Autorinnen wie Susan Sontag und Giséle Freund. Die letzte sieht die Fotografie „als
genaustes und unbestechlichstes Verfahren zur Abbildung des sozialen Lebens“ (Freund
1989: 6).
Obwohl heutzutage die fotografische Praxis sich in Form der Mobilfotografie noch
fester in unserem Leben verankert hat und ihre soziale Funktionen u.a. dank Internet
und Social Web erweitert hat, gelten Überlegungen Bourdieus als grundlegend und als
in ihrem Kern auch heute noch aktuell.
Die Bedeutung der Fotografie im sozialen Kontext soll auch für die vorliegende Arbeit
ausschlaggebend werden.
Bourdieu sieht den stärksten Einfluss der Fotografie auf das Soziale und den Ursprung
ihrer Popularität in der Familie, die die Fotografie erst so „lebendig“ gemacht hat.
Bourdieu bezeichnet Familienfotografie als „Ritus des Hauskultes“ (Bourdieu 2006:
31). Die Familie bedient sich der Fotografie, um die Integrität der Familie und einzelner
Familienmitglieder zu stärken, die Einheit der Familie zu bestätigen, um schließlich
„die hohen Zeitpunkte des kollektiven Lebens einzufangen und auf Dauerhaftigkeit zu stellen“ (ebd.).2
Nicht nur diejenigen Familienmitglieder werden ihrer Integrität in der Familie gewiss,
die bei Festlichkeiten teilnehmen, sondern auch diejenigen, die physisch nicht dabei
sein konnten. Diese bekommen Fotos zugeschickt und nehmen so an dem Geschehen in
1
In dieser Arbeit werden nur die Zitate kursiv hervorgehoben, die zwei Zeilen lang oder länger sind 2
Da die Hochzeitsfotografie u.a. als eine Sonderart der Familienfotografie angesehen werden kann,
eignet sich der Ansatz Bourdieus hervorragend für die Ausführungen im späteren Verlauf der
vorliegenden Arbeit.
5 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
der Familie teil und können sich der Einheit der Familie sicher sein (vgl. Bourdieu
2006: 34). Familienfotos dienen aber auch als ein genealogisches Archiv: Kindern
werden anhand von Fotos Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern klar
gemacht, so dass die Kinder sich selbst in das Gefüge der Familie besser einordnen
können (vgl. ebd.). Es ist auch möglich, auch diejenigen Mitglieder der Familie kennen
zu lernen, die längst verstorben sind, die Kindheit unserer Eltern auf den Fotos zu
verfolgen: „Die Kamera ermöglicht eine alle Lebensalter umfassende Dokumentation“ (Sontag 1992: 157). So wird also auch das kollektive Wissen der Familien anhand von
Fotos weitergegeben. Dabei kommt auch das kollektive Gedächtnis nicht zu kurz.
Familienfeste werden durch die Fotografie verlängert: Sie erfasst „die ‚schönen Augenblicke‘, die sie in ‚schöne Erinnerungen‘ verwandelt“ (vgl. Bourdieu 2006: 38).
Die
außergewöhnlichen
Momente
der
Feierlichkeit
können
so
wieder
(gemeinschaftlich) erlebt und innerhalb der Familie geteilt werden.
Es ist auch wichtig zu beachten, dass viele Fotografien eine bestimmte Anordnung der
Personen aufweisen. In dieser Anordnung wird die soziale Rolle des Individuums
sichtbar:
„Das, was photographiert wird und was der ‚Leser‘ der Photographie erfaßt, sind
strenggenommen keine Individuen in ihrer Besonderheit, sondern soziale Rollen […] oder soziale Beziehungen [sic!] “ (ebd.: 35).
Die Hierarchie sozialer Ordnung wird also deutlich.
Zugegeben, im ländlichen Bereich ist der Einfluss des Fotos auf die Institution der
Familie stärker als im städtischen Bürgertum. Doch trotzdem bleibt ihre Hauptaufgabe,
egal, ob nun in der Stadt oder auf dem Lande, die „Verstärkung der Familienbande“ (vgl. ebd.: 37). Ein Bauer würde einen Photographen einladen und sich von diesem
aufnehmen lassen, so dass das Aufnehmen dabei sehr zeremoniell ablaufen würde. Die
Bürgerlichen haben meist ein eigenes Apparat. Die Fotografie wird zu einer kollektiven
Aktivität der Familie. Wer die Kamera zu seinen eigenen autonomen Zwecken nutzt,
sondert sich von der Einheit der Familie ab, distanziert sich (vgl. ebd.: 52). Ein Zeichen
für Lockerung familiärer Bande wäre zum Beispiel auch, dass man eher und mehr Fotos
von Landschaften macht und präsentiert (in der Wohnung, als Unterstützung eines
Gesprächs) (vgl. ebd.: 37). Wer die Fotos von Familienmitgliedern wegwirft, begeht
eine „grausame Zurückweisung“ (Sontag 1992: 153). Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Fotografie die Macht besitzt, die
soziale Gemeinschaft der Familie zu formen, zu bestätigen, zu stärken. Doch diese ihre
6 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
Kraft wirkt sich auch auf andere soziale Gefüge und gar auf die Gesellschaft an sich
aus. Ganz zutreffende hat es Giséle Freund (1989: 6-7) formuliert:
„Die Bedeutung der Photographie besteht also […] darin, dass sie eines der wirksamsten Mittel
zur Formung unserer Vorstellungen und zur Beeinflussung unseres Verhaltens darstellt“. 1.3 D rei E benen ritueller Praxis nach A lbert Bergesen
Wie bereits erwähnt, stützt sich Bergesen in seinen Überlegungen zur rituellen Praxis
stark an den sozialen Kontext und nimmt diesen als Ausgangspunkt für seine
Ausführungen. Dabei fokussiert er seinen Blick auf das Verhältnis bzw. auf den
Zusammenhang zwischen Individuum und Gemeinschaft. Diese beiden sind
voneinander abhängig:
„Der Kern des rituellen Prozesses besteht darin, die individuellen Teilgefühle zu sammeln und
daraus ein kollektives Gefühl zu machen, denn nur im gesammelten und konzentrierten Zustand
kann sich die spezifisch kollektive Natur dieser Gefühle manifesti eren“ (Bergesen 2003: 49).
Das „kollektive Gefühl“ wirkt dann aber auf Individuum zurück.
Die Abhängigkeit äußert sich auch in der Stiftung „kollektiver Identität“, die durch kollektive Begegnung mehrerer Individuen in einer Gruppe geschaffen wird und
genauso wie das „kollektive Gefühl“ auf jedes Individuum zurückwirkt (vgl. ebd.: 50). Die beschriebenen Abhängigkeitsmodalitäten könnte man sich wie eine Kreiszirkulation
vorstellen: Gefühle und identitätsstiftende Empfindungen werden vom Individuum an
die Gruppe gegeben, von der Gruppe ans Individuum. In dieser Zirkulation spielt ein
Ritual den
„Vermittlungsmechanismus, der regelmäßig eingesetzt wird, um isolierte Individuen zu sammeln und sie symbolisch in eine soziale Gemeinschaft zu transformieren“ (ebd.: 51).
Ein Ritual beinhaltet viele kleine und scheinbar wenig bedeutsame Aspekte, die jedoch in
Wirklichkeit sehr wesentlich für die Präsentation von „Bindungen sozialer Zusammengehörigkeit“ (ebd.: 52) sind. Dabei stellt nicht nur eine große Zeremonie ein Ritual
dar. Genau so wie es in der Gesellschaft kleinere und größere Formen von Gemeinschaften gibt,
gibt es auch dementsprechend kleinere und größere rituell geordnete Praktiken, die die
entsprechende Gruppe ihrer Zusammengehörigkeit gewiss macht, diese bestätigt und stabilisiert.
Rituelle Praktiken unterliegen also auch einer hierarchischen Ordnung. Diese versucht Bergesen
widerzuspiegeln, indem er drei „Typen des Rituals“, „drei Formen des Rituals“ (vgl. ebd.)
präsentiert: Mikro-, Meso- und Makroriten. Die Mikroriten sind mit der „linguistischen
Codierung“ identifizierbar. Die Mesoriten bezeichnen „geordnete Verhaltensformen sozialer Interaktion“ und die Makroriten zielen auf die „Gemeinschaft als Ganzes“ ab (ebd.: 53).
7 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
1.3.1
M ik roriten
Die erste Form ist auf der sprachlichen Ebene wiederzufinden. Sie bezieht sich auf linguistische
Codierungen und Nutzung dieser. Diese Form ist die „einfachste Form ritueller Praxis“ (Bergesen 2003: 54). Die Sprache stellt eine Konvention dar, auf die sich eine Gemeinschaft
geeinigt hat. Die Verwendung dieser Sprache bzw. die Verwendung bestimmter Codes
impliziert bereits, dass ein Individuum sich auf eine Interaktion mit dem Kollektiv einlässt. Es
verlässt den privaten Zustand und begibt sich auf die gemeinschaftliche Ebene, indem es durch
das Sprechen an „einer codierten Struktur“ (ebd.: 55) teilnimmt. Und obwohl man etwas ganz Individuelles ausdrücken möchte, bedient man sich dabei allgemein anerkannten Codes,
Symbolen, Zeichen. „Die Verwendung gewisser linguistischer Codes verwandelt Sprechakte in
Ritualakte“ (ebd.: 56).
Entwicklung spezifischer linguistischer Codes findet nicht nur auf der Ebene von Völkern und
Nationen statt. Auch kleine Gruppen wie z. B. Arbeitskollegen, enge Freunde oder ein Ehepaar
entwickeln eigene Codes, die die Kommunikation der entsprechenden Gruppe vereinfacht,
spezifiziert und Mitgliedern dieser Gruppe ein Gefühl von Zusammengehörigkeit verleiht (vgl.
ebd.: 58). Solche Codes beinhalten eine bestimmte Botschaft. Diese muss von den anderen
Gruppenmitgliedern natürlich auch decodiert werden können. Die Decodierung „verlangt, dass die gemeinsame Kultur aktiviert wird“ (ebd.: 59). So wird die Kultur der Gruppe immer wieder
reproduziert und bestätigt.
Die linguistische Codierung kann sich unterschiedlicher Kanäle bedienen. Dazu gehören zum
Beispiel Tanz, Musik, Kunst (vgl. ebd.: 60). Es scheint, als könnte man an dieser Stelle das
Spektrum erweitern und auch bestimmte Handlungsmuster, einen bestimmten Kleidungsstil
oder eine bestimmte Symbolik, bestimmte symbolhafte Gegenstände als Codes verstehen.
1.3.2
M esoriten
Den Mesoriten können bestimmte Verhaltensformen zugeordnet werden, die mit alltäglichen
Benehmen und Manieren zu tun haben, wobei die Anerkennung dieser sowie gegenseitige
(Rollen- bzw. Status-)Anerkennung seitens interagierender Akteure entscheiden sind. Immer
wenn wir einer anderen Person einen bestimmten Grad an Respekt und Ehre erweisen, erkennen
wir damit eine soziale Hierarchie an und bestätigen diese. Auch hier gilt: Prozess symbolischer
Reproduktion findet statt (vgl. ebd.: 61).
Die Mesoriten sind also solche, bei welchen es um interpersonale Beziehungen geht und darum,
wie und auf welche Art und Weise diese gepflegt und durch kleine alltägliche Zeremonien
bestätigt werden. Die Mesoriten spiegeln die soziale Ordnung einer Gemeinschaft wieder.
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Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
1.3.3
M ak roriten
Bei Makroriten handelt es sich um „formelle“ „öffentliche“ Zeremonien, bei denen es darum geht, eine Gemeinschaft, egal wie groß diese auch sein mag, „als Ganzes“ zu konstituieren (vgl.
Bergesen 2003: 63).
Typisch für Makroriten ist, dass sie durch Grenzen und Übergänge gekennzeichnet sind:
Während so eines Rituals überschreitet man eine Grenze, man geht von einer sozialen Situation
bzw. Position in eine andere über. Van Genneps pflegte in diesem Zusammenhang den aktuell
allgemein anerkannten Begriff „Übergangsriten“. Dabei kann es sich um einen Übergang in eine
andere Gemeinschaft handeln, um Erweiterung der bereits konstituierten oder um einen
Wechsel innerhalb einer Gemeinschaft. Die prominentesten Beispiele hierfür sind Geburt, Tod,
Konfirmation, Heirat (vgl. ebd.).
1.3.4
Z usammenfassend zu den drei E benen
Zusammenfassend lässt sich noch sagen, dass die drei Ebenen, wie es bei jeder hierarchischen
Ordnung der Fall ist, voneinander abhängig sind: „Die drei verschiedenen Ebenen des Rituals sind ineinander integriert“ (ebd.: 66). Die höhere Ebene setzt die niedrigere voraus. Erst muss auf der Mikroeben ein Selbstverständnis für allgemeine Konventionen gebildet werden, damit
die Meso- und schließlich die Makrobene aktiviert werden können (vgl. ebd.: 66-67).
Wichtig ist auch, dass die Ebenen jeweils einen unterschiedlichen Grad an Potenzial zur
Veränderung aufweisen. Während sich die Mikroriten ständig unter Einfluss jedes einzelnen
Akteurs ändern können, sind die Makroriten tief in der Geschichte einer Gemeinschaft
verwurzelt, wodurch sie stabil sind und nur durch Transformationen historischer Natur, also im
Laufe der Zeit, verändert werden können (vgl. ebd.: 73). „Im Allgemeinen gilt: Riten ändern
sich mit der Schnelligkeit jener sozialer Strukturen, die sie reproduzieren“ (ebd.: 71). 2. Hochzeitsfotografie: A nalyse eines Rituals
2.1 E inordnung der Hochzeitsfotografie als Ritual
Bergesen ordnet die Hochzeit an sich der Makroebene zu, denn bei der Hochzeit bestätigt das
Brautpaar seine „Ehe als kooperatives Ganzes“ (ebd.: 63). Die Hochzeit stellt außerdem eine formelle Zeremonie dar. Sie beinhaltet Mikro- und Mesoriten: Eine bestimmte Art von
Kleidung wird getragen (z.B. das Brautkleid, feierliche Roben der Gäste), bestimmte
Sprachcodes gelten (z. B. Ehe-Gelöbnis/-Versprechen), bestimmte Handlungsmuster werden
befolgt (z. B. der Gang in die Kirche, der Eröffnungstanz), wobei auch bestimmte Hierarchien
und Rollen belegt werden (ein Zeremonienmeister ist anwesend, das Brautpaar steht im
Mittelpunkt).
Die Hochzeit ist aber auch ein Übergangsritual. Die Braut und der Bräutigam lösen sich in
gewisser symbolhafter Weise von eigenen Familiengemeinschaften ab und gehen in die
9 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
Familiengemeinschaft des jeweils anderen über, um auch dort ein Familienmitglied zu werden,
sich anzupassen. Gleichzeitig erfolgt aber auch die Integration von den beiden Familien
zwischen einander. Außerdem verlässt das Paar aber die Familiengemeinschaft an sich, um eine
neue eigene zu gründen. Diese Schemata entsprechen einem Übergangsritual: Erst kommt die
„Ablösung“ (bzw. „Trennung“), dann die „Umwandlung“ und schließlich die „Angliederung“ (bzw. „Integration“) (vgl. van Gannep nach Michaels 2007: 240). Und obwohl Michaels die Hochzeit nur eingeschränkt als Übergansritual sieht, da man
heutzutage auch mehrmals heiraten kann oder vielleicht nur einmal in hohem Alter (vgl.
Michaels 2007: 239), bleibt der Übergang bestehen, den man als einzelner Akteur oder gar als
ganze Familiengemeinschaft überwinden muss, egal ob einmalig oder mehrmals.
Die Hochzeitsfotografie kann auf allen drei Ebenen wiedergefunden werden. Sie beinhaltet
selbstverständlich bestimmte Codes, die der Mikroebene zuzuordnen sind. Sie zeigt bestimmte
interpersonale Beziehungen auf und dient dazu diese zu bestätigen. Sie manifestiert aber auch
eine Ehe als Ganzes und markiert das entscheidende Moment des Übergangs. Die
Hochzeitsfotografie kann also als ein Makroritual verstanden werden. Die Hochzeitsfotografie
ist selbst zu einer Zeremonie geworden und der Fotograf ist der neue Zeremonienmeister, der
die frisch vermählten Liebenden mit seinem Schuss segnen soll, damit sie von dem Rest der
Gemeinschaft akzeptiert werden. Das Ritual der Hochzeitsfotografie gilt international und wird
immer wieder durch prominente international anerkannte Häuser (z. B die britische
Königsfamilie) bestätigt.
Im Folgenden wird die Hochzeitsfotografie als rituelle Praxis Ebene für Ebene untersucht.
Dabei werden zunächst Hochzeitsfotografien aus dem zeitlichen Rahmen zwischen ca.
1900 und 1950 als Beispiele eingeführt und untersucht. Das traditionelle bzw. typische
Ritual der Hochzeitsfotografie steht dabei im Fokus. Erst im Kapitel drei werden
moderne Tendenzen privater Hochzeitsfotografie aufgegriffen.
2.2 M ik roebene
Die Fotografie eignet sich perfekt dazu, bestimmte Codes abzubilden, diese unterschwellig zu
kommunizieren. Für den „Leser“ einer Fotografie spielen diese eine enorme Rolle fürs
Verständnis des Bildes. Die Hochzeitsfotografie ist keine Ausnahme. Auch sie kommuniziert
mit uns durch Codes und Details. Diese Codes können einerseits unmittelbar zur Zeremonie der
Hochzeit an sich angehören. So verrät ein weißer Schleier sofort, um welchen Anlass es sich auf
dem Foto handelt. Andererseits kann die Fotografie vielmehr Details aufzeigen, die eine weitere
Dimension des Verständnisses möglich machen. Strohdächer und Kleidung mit Elementen
traditioneller Tracht auf einem Hochzeitsfoto deuten daraufhin, dass die Hochzeitsgesellschaft
auf dem Lande aufgenommen wurde (vgl. Foto 1). Reklameplakate, ein Treppenhaus,
gepflasterter Bürgersteig sind eindeutige Hinweise auf eine städtische Gemeinschaft (vgl. Foto
10 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
2). Die Plakate können außerdem beim genauen Hinsehen die ungefähre Zeit der Aufnahme
verraten.
Aufnahmen in Fotoateliers geben keine eindeutigen Hinweise preis. Doch im Atelier
kann das Paar sich selbst entscheiden, welche symbolhafte oder persönliche
Gegenständen oder Motive ins Bild dürfen. So kann jeder Fotografie eine „persönliche Note verliehen werden. […] Auf diese Weise ist die – auf den ersten Blick
unveränderliche - Aussage einer Fotografie tausendfach zu beeinflussen“ (Frizot 1998: 751). So hat sich das Paar auf dem Foto 3 für einen Hintergrund entschieden, der eine
Wohnzimmerwand nachahmt, als wäre das Paar bereits in seinem neuen Zuhause
angekommen, als würde es sich als eine Einheit in eigenen vier Wänden präsentieren
und sich so von der Gemeinschaft ablösen wollen, um eine eigene zu bilden.
Beim „Lesen“ von diesen Codes, die allgemein verständliche bildhafte Sprache
sprechen, fällt es dem „Leser“ leichter, sich mit dem Abgebildeten zu identifizieren oder sich davon zu distanzieren. So würde ein Bauer sich eher der Hochzeitsgesellschaft
vom Lande näher fühlen als der aus der Stadt.
Ein Mikroritual, das außerdem unmittelbar zu der Hochzeitsfotografie gehört ist die
Geschichte, die mündlich dazu erzählt wird. Oft erfährt ein Kind anhand von
Hochzeitsfotografien, wer wer in der Familie ist und wo in dieser Familie der Platz vom
Kind selbst ist: „Kurz, die Hochzeitsfotografie ist ein veritables Soziogramm und wird auch so verstanden“ (Bourdieu 2006: 34).
Foto 1 (Deutschland, Zeit unbekannt)
11 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
Foto 2 (Deutschland, in der Zeit des Nationalsozialismus)
Foto 3 (Land unbekannt, 1920-1930)
12 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
2.3 M esoebene
Die Hochzeitsfotografie weist folgenden Mesomerkmale auf: Die Hierarchie einer
Gemeinschaft wird deutlich, so dass soziale Rollen und interpersonale Beziehungen
aufgezeigt werden; Fotoerwerb oder Fotoaustausch innerhalb einer Gemeinschaft
gehören längst zu Benimmregeln und gelten als Respekterweisung.
Es gibt nicht viele unterschiedliche Varianten einer typischen Hochzeitsfotografie: Das
Brautpaar wird halb und ganz aufgenommen, ein Gruppenfoto vom Paar und
Trauzeugen, Gruppenfotos vom Paar und den beiden Elternpaaren. Doch ein
bestimmtes Foto ist am wichtigsten und darf auf keinem Fall fehlen. Das ist das Foto
von der gesamten Hochzeitsgesellschaft.
Dieses Foto ist entscheidend, denn es bezeugt nicht nur den Übergang, den das
Brautpaar und die beiden Familien machen, sondern es bezeugt auch die Hierarchie der
Gemeinschaft, die sozialen Rollen. Die Aufstellung von Personen auf so einem Foto
unterliegt bestimmter konventioneller Ordnung und darf gar als ein Abbild der
Hierarchie der Gesellschaft an sich interpretiert werden (vgl. Frizot 1998: 750). Schaut
man sich die Beispielfotos 1 und 2, so entdeckt man ganz schnell die wesentlichsten
Gemeinsamkeiten. Das Brautpaar wird in die Mitte gesetzt bzw. gestellt. Hinter dem
Brautpaar stellen sich die Bekannten und Freunde sowie Familienmitglieder wie Tanten,
Onkels, Cousinen auf, also Menschen, die eine Gemeinschaft mit dem Brautpaar teilen,
die Gemeinschaft als Masse ausmachen In der ersten Reihe um das Brautpaar sitzen die
Großeltern und die Eltern der beiden Vermählten. Diese Personen stehen dem Brautpaar
am nächsten und stellen den Kern der Gemeinschaft dar. Die Kinder werden meist ganz
vorne platziert. Vermutlich nicht nur weil sie so klein sind, sondern weil sie auch die
Zukunft der Gemeinschaft symbolisieren. So sieht nicht nur eine typische
Hochzeitsfotografie aus, sondern unsere gesamte Gesellschaft: Die Institution der
Familien besteht aus einem Kern und einer Masse, die durch Verwandtschaft und
Freundschaft zusammengehalten wird und die Kinder haben immer eine Sonderstellung
als Träger der Gemeinschaftszukunft. So wird auch das Brautpaar einst den Kern
bilden, um den sich eine weitere familiäre Gemeinschaft bildet, die wiederum ein Teil
der Gesellschaft ist.
Der Erwerb einer Hochzeitsfotografie durch die Anwesenden ist Pflicht. Wer kein Bild
mitnimmt, schließt sich aus der Gemeinschaft aus. So eine Geste gilt als taktlos und
kann als persönliche Beleidigung gegenüber dem Brautpaar aufgefasst werden (vgl.
Bourdieu 2006: 32). Doch auch diejenigen, die nicht anwesend waren, können sich
13 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
beleidigt füllen, wen Sie kein Hochzeitsfoto zugeschickt bekommen. Die Gemeinschaft
will um die Neuankömmlinge wissen, um diese als Teil der Gruppe akzeptieren zu
können (vgl. Bourdieu 2006: 34). Oft wird durch den Versand von Hochzeitfotos
Kontakt zu fast vergessenen Familienmitgliedern neu aufgenommen, intensiviert (vgl.
ebd.: 34). So wird die Einheit der Gemeinschaft bestätigt und stabilisiert.
2.4 M ak roebene
Die Hochzeitsfotografie manifestiert nicht nur ein Ehepaar als eine Einheit. Eine
Fotografie von der ganzen Hochzeitsgesellschaft manifestiert die entsprechende
Gemeinschaft als eine Einheit. Die Hochzeitsfotografie als ein allgemein anerkanntes
Ritual manifestiert unsere Gesellschaft als Einheit. Die Konventionen, die bei der
Hochzeitsfotografie gelten, sind jedem bekannt. Sie gelten religions-, kultur- und
zeitübergreifend sowie international. Fotos 4 und 5 liefern gute Beweise dafür.
Nur die Codes der Mikroebene weichen voneinander ab: Die Kleidung und die
Umgebung lassen auf die Herkunft der Gemeinschaft schließen. Die Aufstellung der
Personen nach sozialer Hierarchie bleibt beibehalten. Die symbolhafte Vereinigung
zweier Familien zu einer Einheit ist die zentrale Botschaft der beiden Bildern und der
Hochzeitsfotografie an sich.
„Im Falle der Hochzeit gehört das Bild, das die versammelte Gruppe, genauer: die Versammlung zweier Gruppen, für die Ewigkeit festhält, notwendig zu einem Ritual, das den
Bund zweier Gruppen, der auf dem U mweg über den Band zweier Individuen geschlossen wird,
weiht, d. h. sanktioniert und heiligt“ (ebd.: 32).
Der Inszenierung einer Gemeinschaft als ein Ganzes bedienen sich oder besser gesagt
folgen auch die Adeligen (vgl. Foto 6). Wieder einmal stechen die mikrorituelle
Elemente hervor: Kleidung, Accessoires deuten auf eine höhere Gesellschaftschicht hin.
Doch auch die Adeligen bestätigen die Struktur unserer sozialen Gesellschaft in ihren
Hochzeitsfotografien nochmal und funktionieren gar als Vorbild für tausende
Hochzeitsgesellschaften weltweit.
Das Traditionelle, das Makrorituelle wird aktiviert. Die wiederholte Visulisierung von
bestimmten Mustern auf allen sozialen Ebenen der Gesellschaft lässt diese Muster als
einzig richtig erscheinen. Die von allen gesellschaftschichten Schichten anerkannte
Muster haben eindeutig einen makrorituellen Charakter.
14 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
Foto 4 (Indien, unsere Zeit)
Foto 5 (Japan, unsere Zeit)
Foto 6 (Hochzeit von Victoria und Daniel von Schweden, 2010)
15 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
3. Hochzeitsfotografie heute
Wie bereits erwähnt unterliegen Rituale selbstverständlich gewissen Veränderungen. Je
nach Ebene brauchen die Veränderungen ihre Zeit: Auf der Mikroebene setzen sie sich
viel schneller durch als auf der Makroebene. Doch sich ganz loszulösen von Ritualen,
schafft die Menschheit nicht.
Häufig wird angenommen, dass in der modernen Zeit zunehmender Individualisierung
Rituale nutzlos und ersetzbar seien. Doch sie bleiben trotzdem bestehen, denn sie
dienen heute genauso wie früher der sozialen Sicherheit. Im Wandel zum Individuellen
kompensieren die Rituale den Verlust von Gemeinschaft. Sie rufen in jedem von uns
das Gefühl der Stabilität hervor und werden dazu trotz ihrer angeblichen Ersetzbarkeit
immer und immer wieder betätigt, inszeniert, wiederholt (vgl. Wulf 2007: 180).
Besonders unveränderbar und besonders dauerhaft sind die Rituale auf der Makroeben.
Die Hochzeit gehört dazu. In jeder Religion, in jeder Kultur bildet die Zeremonie der
Hochzeit ein Ritual von enormer Wichtigkeit. So bleibt auch die Hochzeitsfotografie als
Ritual dauerhaft bestehen.
Das Ritual der Hochzeitsfotografie hat sich mit der Zeit dahingehend verändert, dass
sich die mikrorituelle Elemente vervielfacht haben, so dass neue Codes entwickelt
wurden; dass sich die Mesoebene dieses Rituals Bedürfnissen und Manieren der
modernen Gesellschaft angepasst hat; dass das Ritual sich als ein Makroritual global
und international endgültig etabliert hat.
Da Hochzeitsfotografie heute ein eigenständiges Genre ist und der Beruf des
Hochzeitsfotografen einer speziellen Ausbildung oder zumindest eines speziellen
Wissens bedarf, ist es nicht verwunderlich, dass das Spektrum der Hochzeitsaufnahmen
gewachsen ist. Heutzutage ist alles von klassischer Hochzeitsfotografie mit typischen
traditionellen Motiven, über eine detaillierte Hochzeitsreportage bis hin zum Trash-TheDress möglich und buchbar (vgl. Roggemann 2012). Den Beobachtungen von
professionellen Hochzeitsfotografen zufolge geht die Tendenz immer weiter in
Richtung der Individualisierung: „modern“, „unkonventionell“ (vgl. Roggemann 2012:
18), „persönlich“ und „informell“ (vgl. Evans 2004: 70, 72) sind dabei die Stichwörter.
Es war früher ein kleiner Luxus, sich im Atelier ganz individuell mit einem speziellen
Hintergrund fotografieren zu lassen (vgl. Kapitel 2.2 in dieser Arbeit). Heute ist es
verwunderlich, wenn bei einer Hochzeit keine persönlichen, einzigartigen und
möglichst detaillierten Aufnahmen gemacht werden. Was früher ein Luxus war, ist
heute zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die Paare legen Wert auf Drama und
16 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
Emotion (vgl. Evans 2004: 70). Jedes Lächeln, jede Träne wollen aufgenommen
werden. Natürlich ist dabei zu bedenken, dass diese Tendenz auch der Technik zu
verdanken ist. Früher war die Belichtungszeit sehr lang. Daher sieht man auf alten Fotos
meist sehr versteifte Gesichter (vgl. Gutsche/Kegler/Prinzen/Suceveanu 2006: 73). Die
neue Technik machte es möglich, Hochzeitsaufnahmen spontaner und lebendiger zu
machen. Die Individualisierung soll hier verstanden werden als Tendenz, den
Fotografen die Einzigartigkeit der Augenblicke dokumentieren zu lassen, damit man
sich später auf etwas ganz Persönliches erinnern kann, damit man die intensiven
Momente der Freude noch einmal erleben kann. Die Aufgabe des Fotografen besteht
also darin, „intensive Erinnerungen zu schaffen“ (Roggemann 2012: 20). Doch die
Individualisierung äußert sich auch auf eine andere Art. Viele Paare wollen das
Konventionelle überwinden und lassen sich aus ungewöhnlichen Perspektiven, in
ungewöhnlichen Posen, an ungewöhnlichen Orten aufnehmen, um damit ihre modern
Einstellung, ihre Originalität zu bezeugen. Man will sich heutzutage von anderen
Paaren abheben und von der spießigen Gesellschaft da draußen distanzieren.
Nicht nur die Emotionen wurden zum Objekt, sondern auch die vielen Details, die
früher immer in den Hintergrund gerückt waren. Die Codes wurden zur Tradition. Man
kann heute das Kleid der Braut in den Mittelpunkt stellen (Trash-The-Dress). Eine
Aufnahme von den Schuhen der Braut ist zur Pflicht geworden: „Die Brautschuhe sollte man bei der Vorbereitung immer einmal ‚solo‘ fotografieren“ (ebd.: 46).
Doch die neue Art der Aufnahmen verdrängt nicht die typischen und traditionellen
Gruppenfotos. Einige Paare lassen Gruppenfotos zu, um den Eltern ein Gefallen zu tun
(vgl. Evans 2004: 72). Dies ist schon ein Zeichen dafür, dass die Mesoriten bewahrt
werden: Man erfüllt die Erwartungen der Gemeinschaft, um diese zu sichern. Die Fotos
sollen allen gerecht werden, denn sie sind ja nicht nur da, um das Paar originell
darzustellen, sondern um zwei Familien harmonisch zu vereinen (vgl. Roggemann
2012: 18). Oft werden Fotografen nicht nur unmittelbar zur Hochzeit eingeladen,
sondern schon zum Abend der Vorbereitung. An so einem Abend kommen die beiden
Familien vielleicht zum ersten Mal vollständig zusammen, lernen sich näher kennen
(vgl. Roggemann 2012: 43). Die an so einem Abend entstandenen Fotos legen den
ersten Stein auf dem gemeinsamen Wege der neu zusammengestellten erweiterten
Gemeinschaft, die am Tag der Hochzeit in einem Gruppenfoto ihre offizielle
Entstehung manifestiert.
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Zusammenfassend kann man also sagen, dass die moderne Hochzeitsfotografie den
Anspruch hat, dem Zeitgeist aber auch der traditionellen Sichtweise gerecht zu werden.
Nicht nur das Bedürfnis nach Originalität wird gestillt, sondern auch die rituelle
Ordnung wird bewahrt.
Als Makroritual ist die Hochzeitsfotografie international und interkulturell anerkannt.
Sie bezeugt mittlerweile nicht nur eine bestimmte Familiengemeinschaft als Ganzes und
repräsentiert die Ordnung der sozialen Gesellschaft, sondern sie schweißt die ganze
Gesellschaft zusammen. Die Hochzeiten von Royals und Stars sind längst zu
Medienereignissen geworden. Schaut man sich die Live-Übertragung so einer Hochzeit
im Fernsehen an, hat man das Gefühl, man nimmt unmittelbar an der
Hochzeitszeremonie teil. Die Hochzeitsfotos der Mächtigen dieser Welt gehen um die
Welt. Wenn solche Fotos durch die Medien gehen, fühlt sich jeder angesprochen, denn
jeder versteht die Botschaft dieser Bilder. Solche Bilder sichern die Tradition, das
Ritual der Hochzeitsfotografie. Doch sie sichern auch die Stabilität der Gesellschaft
durch das Gefühl der Einheit und der Zugehörigkeit, die durch diese Bilder ausgelöst
werden. Jeder erklärt sich mit diesen Bildern einverstanden, identifiziert sich mit ihnen,
fühlt sich als Teil der Hochzeitsgesellschaft und somit der Gesellschaft an sich (vgl.
Foto 7). So wird das kollektive Wissen unserer Gesellschaft kontrolliert und gesichert.
Foto 7 (Deutschland: Hamburg, 2011)3
3
Die Ostfriesische Tee Gesellschaft in der Hafen City in Hamburg nahm die Hochzeit des Prinzen von
Wales als Anlass für eigene Hochzeitsfeier mit dem entsprechenden Brautpaar aus Pappe (vgl.
Bildquelle). Das Foto zeigt die „Hochzeitsgesellschaft“. 18 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
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4. Schluss
Die Analyse des Rituals der Hochzeitsfotografie führte zum Ergebnis, dass dieses
Ritual alle der Ebenen eines Rituals nach Bergesen abdeckt. Es beinhaltet wie Elemente
der Mikro- so auch Elemente der Mesoebene. Das Ritual insgesamt ist der Makroebene
zuzuordnen.
Die mikrorituellen Elemente findet man auf einer Hochzeitsfotografie in Form von
allgemein bekannten Symbolen der Hochzeit sowie auch in weiteren Details, die die
Herkunft, die soziale oder die kulturelle Zugehörigkeit verraten. Auf der Mikroeben
wird die Gemeinschaft angesprochen, die diese Codes kennt. Einerseits werden also alle
angesprochen, die das Ritual der Hochzeit kennen und andererseits diejenigen, die der
speziellen Gemeinschaft angehören, deren Mitglieder abgebildet sind. In der heutigen
Zeit gewinnen Codes immer mehr an Bedeutung. Durch bestimmte materielle Details
und körperliche sowie emotionale Einzelheiten lässt sich eine Hochzeitsfotografie
individueller gestalten. Diesen Anspruch haben viele junge Paare der heutigen
Generation, da sie sich von der grauen Masse abheben möchten und an das
Unkonventionelle glauben.
Der Mesoebene ist die Aufstellung der Personen zuzuordnen. Die Aufstellung auf allen
Gruppenfotos aller Hochzeiten ist von einem bestimmten Muster geprägt. Dieses
Muster verrät nicht nur die soziale Ordnung in der abgebildete Gemeinschaft, sondern
auch die soziale Hierarchien, die allgemein in der Gesellschaft wiederzufinden und
akzeptiert sind. Ein Foto der gesamten Hochzeitsgesellschaft ist auch heute noch Pflicht
und darf neben den ganzen kreativen und originellen Aufnahmen nicht vergessen
werden. Um von der Gemeinschaft akzeptiert zu werden, muss sich jedes Paar dem
Ritual der klassischen Hochzeitsfotografie unterwerfen. Die Eltern und andere
Verwandten erwarten diese Form von Respekt und Benehmen.
Die Hochzeitsfotografie markiert nicht nur einen Übergang für das Brautpaar, sondern
auch einen Übergang für die beiden Familien, die sich vereinen. Ein Foto der gesamten
Hochzeitsgesellschaft manifestiert das Ehepaar als ein Ganzes und die Gemeinschaft
der beiden Familien als ein Ganzes. Heutzutage manifestiert die Hochzeitsfotografie oft
auch die ganze Gesellschaft als ein Ganzes, indem sie durch die Medien an der
entsprechenden Hochzeit quasi teilnehmen lässt, alle Welt anspricht, von jedem
verstanden und akzeptiert wird.
Die Botschaften der Hochzeitsfotografie bleiben unabhängig von Kultur, Religion, Zeit
und gesellschaftlichem Status dieselben.
19 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
5. L iteraturverzeichnis
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Handbuch. Belliger, Andrea/Krieger, David J. (Hrsg.). Wiesbaden: Westdeutscher
Verlag/GWV Fachverlage GmbH. S. 49-76).
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Kunst: Die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie. Bourdieu, Pierre/Boltanski, Luc
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Evans, Duncan (2004). Digitale Porträtfotografie . Reinbek bei Hamburg: Rowolth
Taschenbuch Verlag. S. 70-73.
Freund, Giséle (1989). Photographie und Gesellschaft. Reinbek bei Hamburg: Rowolth
Taschenbuch Verlag GmbH. S. 5-8, 218-230.
Frizot, Michel (Hrsg.) (1998). „Riten und Bräuche. Fotografien als Erinnerungsstücke“. Neue Geschichte der Fotografie. Köln: Könemann Verlagsgesellschaft mbH. S. 746754.
Gutsche, Fanny/Kegler, Franziska/Prinzen, Susanna/Suceveany, Corinna (2006).
„‘Familienfotografie war nie ein Thema‘. Reflexionen über das private Bild“. Der
knipsende Volkskundler: Fotografien aus dem Tübinger Ludwig-Uhland-Institut der
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Heidelberg:
Universitätsverlag Winter GmbH. S. 237-260.
Roggemann, Hendrik (2012). Professionelle Hochzeitsfotografie. Heidelberg, München,
Landsberg, Frechen, Hamburg: mitp/Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH.
Sontag, Susan (1992). Über Fotografie . Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch
Verlag GmbH. S. 150-157.
Wulf, Christoph (2007). „Die Erzeugung des Sozialen in Ritualen“. Die neue Kraft der
Rituale. Michaels, Axel (Hrsg.). Heidelberg: Universitätsverlag Winter GmbH. S. 179200.
20 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
6. Bildquellen:
Foto 1:
<http://www.museum-wahlstedt.de/wb/media/.gallery/main35.jpg>
Foto 2:
<http://1.bp.blogspot.com/as7cdEYxn0U/Tk98j8h0mXI/AAAAAAAASEI/M_Jw5uNaBtA/s1600/Doernach_1940
9999_ca_Wezel.jpg>
Foto 3:
<http://www.google.de/imgres?start=299&biw=1366&bih=674&tbm=isch&tbnid=5xZ
DZbt1jTmTPM%3A&imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.allerleih.com%2Fproduct%2Fhochzeitsfoto-1920er%2F&docid=SBGCSB49B5qTM&imgurl=http%3A%2F%2Fwww.allerleih.com%2Fstatic%2Fimages%2Fproductimage-picture-hochzeitsfoto-1920er8956_jpg_200x200_q85.jpg&w=129&h=200&ei=w5sIU5v2BombtQbAYHYCA&zoom=1&iact=rc&dur=314&page=13&ndsp=25&ved=0CEIQrQMwFDisAg
>
Foto 4:
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Foto 5:
<http://www.rtd-reisen.de/galerie/japan/00152.jpg >
Foto 6:
<http://image.gala.de/v1/cms/If/21-jun-8-get_4804820-ORIGINALimageGallery_standard.jpg?v=6742675>
Foto 7:
<http://www.google.de/imgres?start=144&biw=1366&bih=674&tbm=isch&tbnid=8Q4
EUiswOLkjM%3A&imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.hafencitynews.de%2F%3Fp%3D1527&
docid=hL0vp_tuEI5B-M&imgurl=http%3A%2F%2Fwww.hafencitynews.de%2Fwpcontent%2Fthemes%2Fresponz%2Fthemify%2Fimg.php%253Fsrc%253Dhttp%3A%2
F%2Fwww.hafencitynews.de%2Fwpcontent%2Fflagallery%2Fhcn%2Fgastronomie%2Fmomentum%2Froyalviewing%2F_
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act=rc&dur=398&page=7&ndsp=25&ved=0CMYBEK0DMEA4ZA>
21 Die Autorin hat diese Hausarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.

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