Leseprobe - Websteven.de

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- Ein gewöhnlicher Morgen Er wälzte sich noch in seinem Bett, er war noch nicht wirklich soweit aufstehen zu wollen.
Zu gern blickte er auf und ließ sich, wie jedes Mal zuvor, wieder zurückfallen.
Die Federn waren viel zu gut zu ihm. In seinen Träumen hatte er sein Glück schon vor langer
Zeit gefunden und jede Nacht klar vor Augen.
Noch ein flüchtiger Moment ging vorbei. Sechs Uhr und zwanzig Minuten. Aus der StereoAnlage beginnt es zu klingen „Du bist das Beste, was mir je passiert ist“.
Ja, er wusste wer gemeint war. Seine Träume vertieften sich wieder.
[…]
- Niveaulose Nachmittagsunterhaltung Die nächsten beiden Wochen zogen an Simon wie im Flug vorbei. Nichts Erwähnenswertes
stellte sich zwischen ihn und seinen Alltagstrott. Zur Monatsmitte sollte sich dies wieder
ändern.
Simon war schon so weit sich niveaulose Gerichtsshows im Nachmittagsfernsehen zu Gemüte
zu führen.
Niveaulos?
Viele der Zuschauer würden gegen diese Auffassung sicherlich ein Wort des Zorns einlegen.
Die Gründe für Simons Meinung waren einfach.
Es gab diese Sendungen viel zu oft. Die Schauspieler waren oft genug einfach schlecht.
Und vor allem: Am Ende wurde der Ausgang der Verhandlung gezeigt und dazu noch ein
Zukunftsausblick.
Beispielsweise wie sich das Leben der verurteilten Person veränderte.
Das entbehrte jedoch jeden Sinns, da im selben Moment am Bildschirmrand bemerkt wurde,
dass die ganze Situation reine Erfindung gewesen sei.
Das Schlimmste für den begeisterten Fernsehzuschauer, der nicht nur den / die Richterin(in)
gut aussehend und sympathisch fand, sondern sich auch für die Anklage interessierte.
Der Sohn der Nachbarin einer Freundin der Angeklagten stürmt in den Verhandlungssaal,
nachdem Wachmeister Meier ihn angekündigt hatte und teilt vor voller Versammlung mit,
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dass alles doch ganz anders sei. Nein, die Angeklagte hat ihre Freundin nicht aus Eifersucht
mit einer 500 Euro teueren Ming-Vase erschlagen! Sie starb ganz anders.
Vor Ort zeigt sich, dass der Zeuge dazu durch Wände hätte sehen können müssen.
Das fördert die Spannung der Verhandlung, löst aber das Rätsel nicht auf. Trotzdem ist die
Angeklagte nicht Schuld.
Die folgenden Begründungen dafür sind heiter bis schwachsinnig, tragen aber mit etwa einem
Viertel der Verhandlungszeit dazu bei, dass die Gerichtsshow die übliche Länge von einer
vollen Stunde erreicht.
Ergebnis der Verhandlung: die verstorbene Freundin der Angeklagten wurde mit einem
selbstgebauten Gewehr eines Freundes der Toten erlegt.
Interessant, da spielt ein bisschen Blut an den Händen von anderen Beschuldigten keine Rolle
mehr.
Der Zuschauer ist zufrieden. Die Unschuld der Angeklagten war bewiesen, in diesem Fall
sogar doppelt.
Ihr Freund hatte ein Geständnis abgelegt.
Er konnte es nicht mehr verantworten, den wirklichen Täter zu verdecken, als er erfuhr, dass
seiner Freundin als Hauptverdächtigen eine harte Strafe drohte.
Schließlich liebte er sie doch über alles auf der Welt. Bei weiterem Geplänkel stellt er
überflüssigerweise noch klar, dass sie schon alleine deshalb unschuldig sei, weil sie noch
Jungfrau wäre.
Nutzen für die Verhandlung hatte das nicht im entferntesten Sinne, aber die der Verhandlung
Beiwohnenden vermochten zu schmunzeln.
Das Ganze wurde nur durch die detaillierte Beschreibung des unbeabsichtigten Tathergangs
getoppt.
Alles war ein Unfall gewesen.
Der Freund des Freundes der Angeklagten, welcher zugleich mit der Toten befreundet
gewesen war, wollte seiner Clique ein selbstgebautes Luftgewehr präsentieren.
Dank Bauanleitung aus dem Internet und etwas Erfindergeist entstand ein voll
funktionierendes Gewehr mit Abzug.
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Da dieser bei der Vorführung klemmte, versuchte er mit Haarspray und anderen Utensilien
dem Ganzen auf die Sprünge zu helfen.
Beim Auslösen rutschte der Profischütze dann leider ab, verzog und traf durch die doppelte
Fensterverglasung den Kronleuchter, welcher auf die verstorbene junge Dame fiel.
Wenn auch absurd, so war dies die Wahrheit. Die Anwesenden mussten sich das Lachen
verkneifen, als ebenso bekannt wurde, dass der Kronleuchter mit Gartengemüse von der
Zimmerdecke geholt worden war.
Trauriger Ausgang, aber der Tod hatte in diesem Fall doch eine belustigende Nachwirkung.
Der Richter sah das natürlich anders, so dass es am Ende der Verhandlung folgendes auf dem
Fernsehbildschirm zu lesen war:
„Markus Henke wurde wegen fahrlässiger Tötung in Verbindung mit illegalem
Schusswaffenbesitz zu einem Jahr auf Bewährung und 30 Sozialstunden verurteilt.“
Die Kartoffelkanone hatte also eine echt durchschlagende Wirkung gehabt.
[…]
- Ein verfrühtes Ende? […]
Die Tür des Krankenzimmers öffnete sich. Da stand sie. Melanie.
Nachdem einige Zeit vergangen war, hatte sie es also nun für nötig gehalten zu erscheinen.
Aber Simon trat nicht einfach zurück ins Leben. Er lag einfach da. So wie man ihn kannte,
nur ein wenig blasser und mit geschlossenen Augen.
Es lag in niemands Macht zu sagen, ob er kämpfte.
Der einzige Grund zu kämpfen war Melanie ganz allein. Wusste sie davon?
Sie stand in der Tür.
Melanie trat ein und konnte ihren Augen zunächst nicht trauen. Sie stand fassungslos einige
Minuten da.
Dann nahm sie seine Hand.
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Konnte sie sich jetzt noch eine Welt ohne Simon vorstellen? War wirklich kein Gespür mehr
übrig geblieben, etwas das Melanie jetzt nachdenklich werden lassen würde?
Immer wenn sie Simons Hand für kurze Zeit losließ, schein noch mehr Leben aus seinem
Körper zu entweichen.
Zum ersten Mal konnte Melanie annähernd die Verzweiflung nachempfinden, die Simon
schon seit einer Ewigkeit gekannt hatte.
Sie begann langsam zu zweifeln, während sie in Simons friedliches Gesicht sah.
Melanie schloss die Augen und hoffte, dass alles sei nur ein schlimmer Alptraum, aus dem sie
einfach jeden Moment aufwachen musste.
Oder war dies etwa doch schon ihre selbst geschaffene Realität?
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