Beijing International SOS Clinic

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Beijing International SOS Clinic
Beijing International SOS Clinic
Bericht
Auslandspraktikum
Studienfach: Medizin, 7. Semester
Praktikum: 01.04.2010 – 30.06.2010
Beijing International SOS Clinic
Suite 105, Wing 1, Kunsha Building
No. 16 Xinyaunli, Chaoyang District
Beijing 100027
P.R. China
Phone: + 86 10 64 62 91 12
www.internationalsos.com
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„Ich gehe mit dir überall hin.“ Darin waren mein Mann und ich uns einig. Aber nach
Peking – oder besser Beijing?! Das ist ja in China…
Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich mir nicht wirklich jemals ernsthafte Gedanken
über dieses Land gemacht, geschweige denn jemals auf die Idee zu kommen dort
eine Zeit lang zu leben. Schon vor meinem Medizinstudium interessierte mich die
klinische und präklinische Versorgung in anderen Ländern. Ein Auslandssemester
oder ein Teil des Praktischen Jahres im Ausland zu verbringen war mein Wusch.
Wenn ich zehn Länder aufzählen sollte, die mich reizten, war China nicht dabei…
Jetzt ergab sich aber ganz unverhofft die Gelegenheit einen solchen Schritt zu
wagen und ich nutzte die Chance.
Die nächsten Wochen verbrachte ich damit mir über die Möglichkeiten von
Auslandssemestern, Praktika und Famulaturen in Peking zu informieren und alles,
was sonst noch wichtig ist, zu organisieren. Von Tag zu Tag wuchs das Interesse an
Land, Kultur und Lebensweisen.
Nach ausführlicher Recherche im Internet stellte ich den Kontakt zu mehreren
Kliniken in Peking her. Im Vordergrund standen chinesischen Kliniken mit englisch
sprechenden Ärzten, da ich kein chinesisch spreche. Eine neue Sprache mit
medizinischem Wortschatz neu zu lernen, war in dieser kurzen Zeit nicht möglich. Ich
schrieb viele Bewerbungen, die ich aber teilweise ins Chinesische übersetzten ließ,
um zu verdeutlichen wie ernst mir die Sache war und um einen guten
Praktikumsplatz zu bekommen. Dies allerdings war illusorisch. Ich bekam zwar
Antworten, die vielversprechend klangen, aber definitive Zusagen oder gar
Bestätigungen blieben aus. Selbst telefonische Anfragen verliefen im Sand und ich
hatte mehr und mehr das Gefühl ständig vertröstet zu werden, weil niemand vor Ort
eine Aussage treffen konnte bzw. wollte. Im Nachhinein wurde mir klar, dass ich zu
anders – zu westlich – nicht chinesisch gedacht habe…Ich hatte klare Vorstellungen,
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was meinen Tätigkeitsbereich und Aufgaben bei einem Praktikum in deutschen
Kliniken angeht. In China lag ich damit falsch. Ich musste einsehen, dass ein
studentisches Klinikpraktikum hier einen anderen Stellenwert hat als in westlichen
Ländern und dass vieles noch mehr von Sympathie, Vertrauen, Verständnis und
Missverständnis beeinflusst wird.
Zwei Monate vor der Abreise kam sie - die lang ersehnte Bestätigung einer Klinik in
Peking!
Um genauere Informationen über den bürokratischen Teil bezüglich Anerkennung,
Beurlaubung und eventueller finanzieller Unterstützung zu bekommen, wandte ich
mich Anfang des Jahres an das Auslandssekretariat der Medizinischen Fakultät in
München. Die sehr nette Frau S.F. stand mir mit Rat und Tat zur Seite, gab viele
Tipps und weitere Adressen, die helfen sollten den geplanten Aufenthalt in China
vorzubereiten und zu verwirklichen. Da wären zum Beispiel das Visum, der
Auslandskrankenschutz,
diverse
Impfungen,
Studiengebühren,
Praktikumsbestätigungen, Stempel, Unterschriften und, und, und. Ich will nicht
behaupten, dass alles reibungslos verlief, aber letzten Endes lief es und das war das
Wichtigste. Über das Auslandssekretariat wurde ich auch auf „Student und
Arbeitsmarkt“ aufmerksam, die mir ein kleines Stipendium in Form eines
Reisekostenzuschusses ermöglichten. Ich finanziere mir mein Studium mit der Arbeit
im Rettungsdienst und Intensivtransport. Dies bedeutet auch gleichzeitig, dass ich
ein halbes Jahr auf mein Gehalt verzichten muss. Somit war beschlossen die
Wohnung in München aufzugeben und sich nach dem Zurückkommen was Neues zu
suchen, um die Mietkosten für eine leere Wohnung zu vermeiden.
Also stand uns noch ein Auszug mit Kisten packen und Renovierung bevor.
Am 29. März um 19.40 Uhr startete LH 722 in München. Knapp 9 Stunden später
landeten wir in Peking. Uns stand eine tolle Zeit bevor. Nicht, weil es immer einfach
war und nicht, weil immer alles so lief, wie wir es kannten. Eher, weil alles so anders
war. „Ni hao“ und auf ins Land der Mitte.
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Unsere Wohnung liegt im CBD, dem Central Business Distrikt. Es ist ein kleines
1Zimmer-Apartment mit kleinem Bad und Küche, hell und gemütlich. U-Bahn und
Supermarkt sind gleich in der Nähe und die Klinik in akzeptabler Entfernung. Anfangs
zu Fuß und per U-Bahn, später mit einer motorisierten Rikscha unterwegs,
erkundeten wir die Stadt und verschafften uns einen guten Überblick.
Vor jedem größeren Gebäude steht im Normalfall immer ein Wachmann in der Nähe
des Eingangs und versucht sich irgendwie die Zeit zu vertreiben. Meist trägt er ein
kleines Mützchen und eine entweder zu enge oder zu weite bunte Uniform. Jeden
Morgen steht an der Ecke eine kleine Karre mit einem Sonnenschirm, wo zwei
Frauen eine Art gefüllte Pfannkuchen zum Frühstücken verkaufen.
Gerade in den kalten Monaten sieht man am Straßenrand dick eingepackte Männer,
die mit metallenen Tonnen, die als Ofen dienen, Kartoffeln garen. Der Duft ist herrlich
und die Hitze erzeugt eine gemütliche Wärme.
Es sind immer unglaublich viele Leute auf den Straßen und Plätzen unterwegs und
anfangs waren wir regelrecht geschockt, überall lachenden und rufenden Menschen
zu begegnen, die sich anzuschreien schienen. Später stellten wir fest, dass es sich
um normale Konversation handelt. Man muss laut und deutlich sprechen um 10.000
Buchstaben des Alphabetes (wobei nur wenige diese beherrschen) in verständliche
Sätze zu formulieren. Ich habe nicht viel über die chinesische Sprache gewusst, aber
es ist sehr empfehlenswert so ein paar Kleinigkeiten zu können wie z.B. das Zählen,
Höflichkeiten, Redewendungen, dem Taxifahrer den Weg erklären usw. Die meisten
freuen sich, wenn man es zumindest versucht (auch wenn sie das meiste nicht
verstehen, weil wir Europäer einfach alles falsch aussprechen). Das Englisch der
Chinesen, die ich kennen gelernt habe, war meist nicht perfekt, aber in Ordnung.
Was wohl daher kommt, dass die Chinesen im Unterricht nur lesen und schreiben
lernen und nicht das Aussprechen und Verstehen. Die Kommunikation im
Krankenhaus vor allem mit den Krankenschwestern war meist sehr begrenzt. Mir
schien als gebe es 15 Standardsätze mit denen man sich verständigt und der Rest
wird halt irgendwie umschrieben oder mit Händen und Füßen erklärt. Am besten
man redet einfach drauf los. Den Chinesen ist es sehr peinlich (sie verlieren ja so
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leicht ihr Gesicht), wenn heraus kommt, dass sie etwas nichts wissen oder können,
lieber tun sie dann so als hätten sie es sprachlich nicht verstanden.
Es gibt das Lied von Katie Melua: „ …there are nine million bicycles in Beijing…“,
was mir immer wieder durch den Kopf geht, wenn ich genau diese Fahrräder suche.
Es gibt sie nämlich nicht. Jedenfalls nicht in diesen Ausmaßen. Es handelt sich dabei
nämlich eigentlich um Taxen, aber das würde sicherlich nicht so romantisch klingen.
Der Verkehr in Peking ist grauenhaft. Das bekommt man auch als Fußgänger und
Fahrradfahrer zu spüren. Es ist ein immer wiederkehrendes Abenteuer mit großem
Adrenalin-Kick. Jeder fährt, wann und wie er möchte, Ampelzeichen werden gerne
ignoriert, die Geschwindigkeitsbegrenzungen sind vielen egal und im Taxi
anschnallen geht eh nicht, weil es keine Gurte gibt. Nachmittags und abends wird
man vor der Türe von einem Haufen Fahrradtaxis und Rikschas erwartet, die einen
gerne chauffieren würden. Hierbei hat man die Auswahl zwischen der Singlevariante,
einfach einem Fahrrad mit einem gepolsterten Gepäckträger oder aber einem
Dreirad mit einer Rückbank wo zwei Leute Platz haben. Man sieht aber auch nicht
selten drei oder mehr Leute auf so einem Rad, wobei die Fahrer sich dann kräftig
abstrampeln
müssen.
Je nach Distrikt stapelt sich auf den Straßen und Gehwegen mehr oder weniger Müll.
Ein Umweltbewusstsein scheint es nicht zu geben. Oder die Leute wissen, dass
sowieso jemand kommt und hinter ihnen her putzt. Ein Heer von Müllsammler sind zu
Fuß oder auf umgebauten Fahrrädern unterwegs, die mit einer Plattform
ausgestatten sind, um vor allem Papiermüll gestapelt zu transportieren. Bei der
Abgabe bekommen sie Geld und die meisten müssen davon überleben. Die reichste
Frau Chinas hat als Papiersammlerin angefangen… Der Weg über den Bürgersteig
birgt durchaus unerwartete Gefahren. Die Kanalisation ist hier mit großen
Steinplattenabgedeckt, die jedoch an vielen Stellen teilweise oder ganz
eingebrochen sind. Vor allem im Dunkeln muss man gut aufpassen, wenn man nicht
ein paar Meter tiefer landen will. Die Bordsteine sind bis zu 20 cm hoch, was ein
„barrierefreies“ Fortbewegen deutlich erschwert. Ich bewundere hier die Mütter mit
Kinderwagen und manche Chinesinnen mit Ihren hochhackigen Stiefeln, die damit
scheinbar mühelos zurechtkommen. Leider fällt es gleichzeitig schwer sich
vorzustellen, wie etwa ein Rollstuhlfahrer oder jemand mit Krücken diese Wege
meistern soll. Sehen tut man sie selten. Manchmal erblickt man einen Fahrstuhl, der
extra für gehbehinderte gebaut wurde, um zum Beispiel in einen hoch gelegenen
Park zu kommen, der sonst nur durch steile und bröckelnde Steintreppen zu
erreichen ist. Oben angekommen muss man dann jedoch feststellen, dass es im
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gesamten Areal keine geteerten Wege gibt, sondern lediglich Kies, in den man
Zentimeter tief einsinkt. Das befahren mit einem Rollstuhl wäre undenkbar.
Winzige Läden und Kioske oft nur wenige Quadratmeter groß wechseln sich mit
Restaurants, SPA's und Frisören ab. Die Möglichkeiten zu Essen zu kommen sind
hier gewaltig. Es gibt alle Arten von Straßenimbissen bis zu edlen Restaurants und
das in einer Fülle, wie es in Deutschland höchstens auf den großen
Weihnachtsmärkten anzutreffen ist. Nacht für Nacht verwandeln sich die Straßen in
große Freilichtrestaurants. Überall bauen Leute ihre Essensstände auf. Die Karren,
die sie da hinter sich herziehen sind bis zum Himmel hoch beladen. Diese
Essensstände findet man zu jeder Tages- und Nachtzeit. Vor allem spät abends ist
dort immer viel los, ein paar Plastikhocker werden aufgestellt und Tische aufgeklappt.
Das Angebot aus dem man sich sein Essen zubereiten lassen kann braucht den
Vergleich mit einem "richtigen" Restaurant auch kaum zu scheuen. Eine breite
Palette an verschiedenen Gemüsesorten wird mit einer Auswahl von Fisch, Fleisch
und Meerestieren aller Arten ergänzt. Egal ob Muscheln, Hühnerfuß oder
Strandkrabbe, alles scheint essbar zu sein und auch zu schmecken. Da es allerdings
alles über mehrere Stunden in der Hitze offen herumliegt und das wahrscheinlich
schon den ganzen Tag, schreckt den Europäer dann doch meistens ab.
Wenn man so durch die Stadt schlendert trifft man auf eine ziemlich bunte Mischung
an Leuten. Neben den Müllsammlern und Bettlern, die teilweise behinderte und
entstellte Angehörige zur Schau stellen, sieht man Geschäftsleute, die aus edlen
Autos aussteigen und aufgeschickte Chinesinnen, die manchmal an leichte Mädchen
erinnern. Kleine Kinder tragen Hosen, mit offenem Schritt, so dass auf eine Windel
verzichtet werden kann. Es gibt Prostituierte, die ihre Dienste in kleinen
„Massagesalons“ mit Schaufenster anbieten und dunkelhäutige Bauarbeiter ohne
Schuhe, die gierig schmatzend eine Schüssel Reis als einzige Mahlzeit des Tages
verputzen.
Die U-Bahn war auch ein kleines Abenteuer. Der Eingangsbereich ist mit dicken
alten, sehr schmutzigen Teppichen ausgelegt und es riecht nach Moder und Tod.
Natürlich gibt es, wie an allen öffentlichen Orten eine Röntgen-Sicherheitskontrolle,
die die Passagiere davon abhalten soll, gefährliche Dinge, wie brennbare
Flüssigkeiten oder Waffen in den Untergrund zu schmuggeln. Scheint sich aber um
Attrappen zu handeln – habe es getestet. Bahn und Bus kosten zwischen 1 und 3
RMB, was ca.10 bis 30 Cent entspricht. Kleine und meist laut eingestellte Fernseher
dienen dazu den Alltag zu erklären und wichtige Tipps für das Miteinander zu geben:
„Wie stellt man sich in einer Reihe auf?“, „Was ist die Nummer der Polizei?“, Wann
soll man sein Kind abstillen?“ usw. Zur Zeiten der Rush-Hour strömen tausende
Chinesen zu den öffentlichen Verkehrsmitteln. Teilweise ähnelt das Ein- und
Aussteigen einer Massenpanik. Hinzu kommt der stechende Geruch der Chinesen.
Es ist die Mischung aus Knoblauch, mangelnder Körperhygiene und ungeputzten
Zähnen, die einem schon morgens die Tränen in die Augen treibt. Das Ganze in
einem stickigen Wagon kombiniert mit einer weiteren „Unart“ hauptsächlich der
chinesischen Männer, die überall „auf den Boden rotzen, nachdem der Schleim von
untersten Bronchialbaum hochgehustet wurde“, ungeachtet davon, wen es trifft...(Bei
diesen Äußerungen handelt es sich nicht um Übertreibung oder Diskriminierung,
sondern um Tatsachen, die von mehreren Personen unabhängig voneinander
bestätigt werden können.)
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Da es Anfang April in Peking noch sehr kalt ist und die Heizungen Mitte März
ausgeschaltet werden, war es die ersten Wochen ohne dicken Mantel kaum
auszuhalten. Dieser musste allerdings erst noch gekauft werden, da die
„Zugezogenen“ das Klima nicht berücksichtigt hatten.
Leider war es oft schwer richtige Freundschaften mit Chinesen zu schließen, da die
kulturellen Unterschiede doch zu groß sind. Die meisten Kontakte ergaben sich mit
anderen Zugereisten, die kurzfristig beruflich in China zu tun haben oder schon viele
Jahre hier leben. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl unter uns Ausländern ist
überraschenderweise sehr angenehm und man versteht sich meist sofort gut. Die
deutsche Community in Peking ist zu dem sehr gut organisiert, es herrscht eine
lockere Atmosphäre und viele Bekanntschaften werden sicher halten.
Ich möchte gerne noch auf ein paar Eigenheiten der Chinesen eingehen, die ein sehr
einprägendes Bild in unseren Köpfen hinterlassen haben und die es wahrscheinlich
nur hier gibt. Man kann über die Chinesen durchaus behaupte, dass sie jederzeit und
überall schlafen. Am Straßenrand, in der Arbeit, auf der Toilette, am Markt auf
Parkbänken und mitten in der Innenstadt neben hunderter hupenden Autos...
Schlafanzüge bedeuten anscheinend Freizeit, zumindest sieht man viele Chinesen
mit Schlafanzügen herumlaufen. Wenn sie zum Beispiel aus der Klinik entlassen
werden, fahren viele Patienten einfach im Schlafanzug nach Hause, steigen so ins
Taxi und fahren damit U-Bahn.
Ich wurde grundsätzlich zum Essen eingeladen, obwohl ich wahrscheinlich mehr
Geld hatte als die ganze Familie zusammen. Ich durfte aber nicht zahlen! (Ich habe
es wirklich versucht!) Gegessen wird auch immer und überall. Dabei wird geschmatzt
und gelutscht und gerülpst – erst dann schmeckt es wahrscheinlich richtig gut.
Komisch, dass die meisten Chinesen so dünn und klein sind. Ich vermute, dass die
eine oder andere Mahlzeit einfach verschlafen wird und so am Ende des Tages ein
gutes Mittel erreicht wird. Taxifahrer können oft keine Karte lesen oder generell
nichts lesen, wenn es nicht groß und fett gedruckt ist, weil sie sehr kurzsichtig sind.
Hupen auf der Straße heißt so viel wie "hallo hier komme ich". Infolgedessen hupen
alle immer aber vor allem wenn sie die Kreuzung überqueren. Chinesen sagen
manchmal nein und meinen ja und umgekehrt oder sie antworten auf eine ganz
andere Frage oder wiederholen die gleiche Aussage während des ganzen
Gesprächs: Wenn einer dieser verwirrenden Punkte auftritt, dann hat der Chinese
wahrscheinlich keine Ahnung aber kann es nicht sagen, weil er sonst sein Gesicht
verliert oder jemanden anders schlecht dastehen lässt. Chinesinnen laufen fast
immer mit Sonnenschirmen herum und in den Läden gibt es statt Bräunungscreme
Bleichmittel oder weiße Schminke. Alle Jobs sind mehrfach belegt: Der Witz mit den
zwei Handwerkern, die kommen um eine Glühbirne auszuwechseln ist kein Witz.
Einer schraubt, zwei reichen an, drei überwachen das Ganze und vier kommen um
danach alles zu begutachten. Es gibt Ampeln die sogar beachtet werden wenn sich
zusätzlich noch vier Verkehrswächter auf die Straße stellen. Drei Kühlschränke, zwei
Sofas oder 16 Getränkekästen kann man mit einem umgebauten Fahrrad locker
transportieren.
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Das Praktikum
Die International SOS Klinik gehört zu den Kliniken, deren Standorte sich vor allem in
den Ländern befinden, in denen die medizinische Versorgung von internationalem
Standard nicht verfügbar ist oder wo kulturelle und sprachliche Barrieren die Pflege
erschweren. Das Spektrum in Peking beinhaltet die Primärversorgung,
weiterführende Diagnostik und 24 Stunden Notfallversorgung. Spezialisten gibt es in
allen Bereichen. Angefangen von einfachen Impfungen über pädiatrische Versorgung
bis hin zu komplizierten chirurgischen Eingriffen. Auch gynäkologische und
ophthalmologische Notfälle werden behandelt. Die Klinik ist sehr gut ausgestattet
und wird den westlichen Standards in den meisten Fällen gerecht.
Mein erster Praktikumstag sollte um acht Uhr morgens beginnen. Ich hatte meinen
weißen Kittel im Gepäck, ein Stethoskop und meinen Impfpass eingesteckt und war
voller Vorfreude und Erwartungen. Die Praktikumsbetreuerin Frau Dr. Heinke
erwartete mich bereits. Anstatt jedoch sofort in den Stationsalltag zu starten, wurde
mir erst einmal mitgeteilt, was mich in der Klinik alles erwartete und vor allem, was
von mir erwartet wird. Frau Dr. Heinke war es wichtig, dass ich den Alltag in einem
chinesischen Krankenhaus kennenlerne. Das bedeutete, im Unterschied zu
Deutschland, dass ich zum Beispiel kein Blut abnehmen darf, da dies nur von
speziell ausgebildeten Krankenschwestern gemacht wird. Das wunderte mich sehr,
denn bei anderen Praktika und Famulaturen war man als Medizinstudent ja immer
dazu verdammt und machte je nach Station manchmal nichts anderes. Da in China
80 % der Bevölkerung Hepatitis B positiv ist, konnte ich ohne Probleme diesen
Verlust verschmerzen. Die ersten vier Wochen würde ich erst einmal auf einer
chirurgischen Station verbringen und würde dort auch die Möglichkeit haben bei OPs
dabei zu sein und in der Anästhesie zu assistieren.
Nachdem ich den anderen Ärzten und Schwestern auf der Station vorgestellt wurde
bekam ich einen weißen Kasack mit grüner Hose und wurde Dr. Li eingeteilt. Die
kleine zierliche Frau hatte einen etwas grimmigen Blick und schob dauernd ihre
rutschende Brille auf der Nase nach oben. Obwohl sie mir immer viel erklärte und
manchmal sogar lächelte, fühlte ich mich die meiste Zeit wie ein lästiges Anhängsel.
Dazu kam, dass wir uns oft missverstanden, da ihr englisch sehr schlecht war. Oft
diente ich ihr als „Übersetzerin und Erklärerin“ bei den englisch sprechenden
Patienten. In diesen Situationen musste ich mit Erschrecken feststellen, dass sie
teilweise gar nicht verstand, was die Patienten wirklich wollten und vieles mit „ah,
yes, ok – no problem“ abtat. Da auch manchmal Deutsche zu ihren Patienten
gehörten, wollten diese gerne die Behandlung von mir erklärt bekommen. Anfangs
war das auch kein Problem. Später bekam ich den Mund verboten, da Dr. Li der
Meinung war, ich würde mit den Patienten über sie sprechen und nicht über die
Behandlung. Völlig absurd. Mein Gefühl war eher, dass sie Probleme hatte ein
Vertrauensverhältnis mit ihren Patienten aufzubauen, da sie nicht auf sie einging.
Und mich beschlich komischerweise das Gefühl, sie sei eifersüchtig auf die
Studentin. Bald wurde mir auch klar, dass Geld eine sehr große Bedeutung für sie
hatte und auch nicht davor zurückgeschreckt wurde den Betroffenen regelrecht dazu
zu überreden sich operieren zu lassen, auch wenn dies aus medizinischer Sicht nicht
notwendig war.
Abgesehen von den persönlichen Diskrepanzen war Dr. Li eine großartige Chirurgin.
Sie hat in Peking studiert und war dann fast 17 Jahre in den USA. (Warum sie kaum
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englisch sprach, ist mir heute noch ein Rätsel.) Mit über 30 Jahren medizinischer
Erfahrung, beinhaltet Dr. Li`s Fachgebiet die Handchirurgie, chirurgische
Rekonstruktion bei traumatischen und angeborenen Handfehlstellungen, plastische
rekonstruktive und ästhetische Chirurgie mit mikrovaskulärer Technik. Sie hat sogar
mehrere Auszeichnungen für ihre erfolgreichen klinischen Arbeiten erhalten. Der
"Yanni Knoten", war eine weit verbreitete chirurgische Methode in den USA und
wurde nach Dr. Li benannt. Ich sah zu und assistierte ihr, wenn sie Knochen-und
Gelenkverletzungen operierte, Nerven wiederherstellte, Sehnen nähte, Haut- und
Weichteilverletzungen behandelte, Haut- und Knochentumore entfernte und
angeborene Fehlstellungen korrigierte. Diese Operationen dauerten meist sehr lang
und ihr Feingefühl und die Fingerfertigkeit überraschten mich jeden Tag aufs Neue.
Sie konnte sich unglaublich lange auf die kleinsten Nähte konzentrieren und die
Ergebnisse waren unglaublich. Trotz diesem Perfektionismus kam es fast immer zu
Infektionen. Die Hygiene und Desinfektion waren mangelhaft und in Deutschland
hätte man sicher die eine oder andere Klage erwarten können. Trotz alle dem, der
Lerngewinn für mich war einzigartig und es machte großen Spaß Dr. Li bei der Arbeit
zu begleiten. Auf Station wurde ich stets in die Visiten mit eingebunden, durfte
selbständig Untersuchungen durchführen und war an Diskussionen über
Röntgenbilder und CTs beteiligt.
Vom Anästhesiebereich war ich jedoch nicht so begeistert, wie ich es mir zu Beginn
des Praktikums erhofft hatte. Trotz langer Operationsdauer von bis zu sechs Stunden
wurden die Patienten meist nicht intubiert. Eine Propofolperfusor reicht aus. Falls der
Patient zwischendrin aufwachte, weil die Spritze leer war, wurde einfach eine hohe
Dosis nachgelegt. Falls der Patient dann aufhörte zu atmen, kam die Maske zum
Einsatz und wenn man sich völlig verschätzt hatte, musste halt mit manuell beatmet
werden bis der Patient von alleine wieder schnaufte. Da konnte die Sättigung schon
mal auf magere 65 % fallen bis es panisch wurde. Vorteil an dieser Methode ist, dass
der Anästhesist bei der Operation ein inniges körperliches Verhältnis zu dem
Patienten aufbauen kann, da er ja die ganze Zeit intensiv damit beschäftigt ist, ihn
am Leben zu halten. Dieses Schauspiel brachte immer wieder Spannung und
Nervenkitzel in die Sache und zeigte schließlich, dass auch solche Methoden
funktionieren. „Operation vorbei, Patient lebt…noch“
Sehr schwer tat ich mir im OP- und Stationsalltag mit den Medikamenten. Andere
Bezeichnungen, chinesische Beschriftungen und Beipackzettel erschwerten mir das
Verständnis. Leider bekam man auch nicht immer eine ausreichende Antwort auf
diesbezüglich gestellte Fragen. Ich bekam zwar den Namen raus, konnte aber damit
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auch nicht viel anfangen und musste zu Hause immer wieder im Internet
recherchieren. Toller Lerneffekt.
Eine meiner Hauptaufgaben bestand darin medizinische Reporte über die Patienten
zu verfassen. Diese beinhalteten Anamnese, Untersuchungsergebnisse und weitere
Behandlungen. Teilweise wurden Untersuchungen angeordnet, die nicht wirklich
notwendig waren. Aber da in China die Patienten selber für die Kosten ihrer
Behandlung zahlen mussten, machte sich niemand der Ärzte wirklich Gedanken über
das Budget .Die Mehrbettzimmer waren neben den Patientenbetten mit
ausklappbaren Liegen ausgestattet, so dass die Angehörigen mit in den Zimmern
schlafen konnten. Die nicht medizinische Versorgung, wie Körperpflege und Essen
wird nämlich komplett von den Familien übernommen. Dies führt dazu, dass es auf
den Fluren und in den Zimmern von Menschen nur so wimmelt. Privatsphäre gibt es
so gut wie gar nicht und bei Untersuchungen sind die Angehörigen stets anwesend.
Im nächsten Abschnitt meines Praktikums hatte ich die Möglichkeit einen Einblick in
die Traditionell Chinesische Medizin (TCM) zu erhalten. Diese beinhaltet Akupunktur,
Moxibustion, Tui na (Massage), die Therapie mit speziellen chinesischen Kräutern
und vieles mehr. Seit tausenden von Jahren schwört man in China auf diese nichtpharmazeutischen Behandlungen, die sich durch einfache Applikation, ein weites
Wirkspektrum, gute kurative Effekte und nicht zuletzt niedrige Kosten auszeichnet.
Hier ist China der richtige Ort um die kulturellen und medizinischen Hintergründe
dieser Behandlungsform zu erfahren und zu verstehen. Ich muss zugeben mein
Interesse hielt sich anfangs in Grenzen. Letztlich war es aber die Kombination aus
fortschrittlichen westlicher Medizin und TCM, die mir eine ganz neue Sicht auf die
Dinge verschaffte. Ich begann von Null an. Worte wie Qi (Energie), Yin und Yang und
die fünf Elemente sind grundlegende Dinge, die den Ausgangspunkt für viele
Therapien bilden. Das Schwierigste waren die Akupunkturpunkte zu lernen, was mir
in der kurzen Zeit nicht wirklich gelang. Es dauert fünf Jahre bis man sich Doktor für
TCM nennen darf. In dem einen Monat wurden mir zumindest das Konzept und die
Gedanken dahinter bewusst. Nach dem Mittagessen hatte ich meistens noch etwas
Zeit um mich mit den Patienten zu unterhalten. Trotz vieler Vorurteile, war es
interessant zu sehen, wie die traditionellen Methoden den Krankheitsverlauf in zwei
bis drei Wochen doch positiv beeinflussen. Auf dem gleichen Flur arbeiteten Ärzte
der TCM und der westlichen Medizin Hand in Hand. Zwei Arten von Medizin, die
kombiniert werden. TCM ist also eher eine Erweiterung und keine grundsätzliche
Alternative – jedenfalls in modernen Krankenhäusern.
Weitere sehr spannende Eindrücke sammelte ich auf der Intensivstation des Hauses.
Die International SOS Klinik verfügt 18 Betten. Die technische Ausstattung und die
medizinischen Geräte sind vergleichbar mit westlichen Standards. Was die
Therapiekonzepte angeht gibt es große Unterschiede. Dadurch, dass nur zwei Ärzte
pro Schicht anwesend sind, geht s manchmal drunter und drüber. Das hohe
Arbeitspensum und die fehlende Zeit für die einzelnen Patienten führen dazu, dass
es manchmal „nur“ gelingt den Patienten am Leben zu erhalten und nicht eine
optimale medizinische Betreuung zu gewährleisten. Auch hier sind die Angehörigen
mit der Pflege ihrer Angehörigen betraut. Problematisch dabei ist aber sicherlich der
hygienische Aspekt. Je mehr Menschen, die sich lange Zeit auf der Intensivstation
aufhalten, desto mehr Keime werden verbreitet. Mein Aufgabenbereich auf der
Intensivstation beschränkte sich in erster Linie auf das Zuschauen. Zwar konnte ich
kleinere Tätigkeiten ausführen, aber im Großen und Ganzen galt der Satz „learning
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by watching“ und nicht „learning by doing“. Schwierig war das medizinische
Verständnis, da sich die Intensivmedizin mit komplexeren pathophysiologischen und
biochemischen Vorgängen beschäftigt und ich trotz eines guten medical english oft
nicht alles verstand.
Ein heimlicher und besonderer Wunsch von mir war es einen Tag lang mit den
chinesischen Kollegen auf einem Rettungswagen zu verbringen. Ich wollte unbedingt
die präklinische Versorgung und das Rettungsdienstsystem in Peking kennenlernen.
Ernüchternd an der ganzen Sache war, dass es gar kein Rettungsdienstsystem gibt.
Wenn man hier die 120 oder die 999 wählt, kommt ein Rettungswagen, der mit einem
Arzt und einem oder zwei „Fahrern“ besetzt ist. Also quasi eine Art NAW. Die
medizinische und technische Ausstattung ähnelt der in Deutschland. Allerdings
erfolgt die Versorgung der Patienten auf niedrigstem Niveau. Bevor der Patient
überhaupt in den Wagen gebracht wird, muss gezahlt werden. Je nach Weg, der
übrigens nicht mit Sondersignal erfolgt, ein Betrag um die 150 RMB. Eigentlich wird
er dann nur auf die Trage gelegt und (nein nicht ins nächst geeignete) ins eigene
Standortkrankenhaus gebracht. Die Finanzierung erfolgt über die Kliniken. Ich habe
miterlebt wie ein einfacher Güdeltubus dem Bewusstlosen das Leben in Rückenlage
rettete. Den Arzt interessierte das wenig. Zumal man bedenken muss, dass der Weg
zum Krankenhaus zwar mit Sondersignal erfolgt, sich aber keiner der Autofahrern
darum schert. Dann steht der Rettungswagen halt 45 Minuten im Stau. Daher kann
ich nur empfehlen, lieber mit letzter Kraft ins Taxi schleppen als den Notruf wählen.
Leider konnte ich nicht herausbekommen, in welchem Maße eine rechtliche
Absicherung in solchen Fällen gewährleistet ist. Ich weiß nicht einmal genau, was für
eine Ausbildung die „Fahrer-Sanis“ genossen haben. Am Ende dieses Tages befand
ich mich in einer kleinen ethischen Konfliktsituation, weil ich ja fachlich gekonnt hätte,
aber nicht durfte.
Abschließend kann ich von mir behaupten viel in dem Praktikum gelernt zu haben.
Ich habe einen anderen medizinischen und kulturellen Einblick bekommen und die
verschiedensten Arbeitsweisen kennengelernt. Die Dauer des Praktikums war genau
richtig und so konnte ich im allgemeinen Stationsdienst der Klinik tätig sein und einen
guten Einblick in die Erstversorgung von Patienten mit akut lebensbedrohlichen
Krankheiten bekommen. Mir bot sich ein breites Spektrum chirurgischer und
internistischer Krankheitsbilder und ich habe die Prinzipien und Indikationen
chinesischer Diagnostik und Therapie kennengelernt. Nicht zuletzt hatte ich
ausreichend Gelegenheit mein medizinisches Englisch anzuwenden und zu
verbessern. Und vor allem hatte ich in dieser Zeit eine Menge Spaß, habe viele
wertvolle Kontakte geknüpft und kleine Freundschaften geschlossen.
Ich bin gerne jederzeit wieder bereit eine solche Chance zu nutzten und ins Ausland
zu gehen. Trotz der anfänglichen Zweifel und manchem Ärger war es ein durchaus
glückliches, erfolgreiches und spannendes Jahr.
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