automobil produktion 6/00 - neue

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automobil produktion 6/00 - neue
Zulieferer-Profil
Riesselmann
Komplett-Konzepte
aus einer Hand
Dem Kunststoffteile-Produzenten Riesselmann ist der
Turnaround geglückt. Mit Konzentration auf die Automobilindustrie, Kooperationen und Innovationen will der Lohner
Zulieferer nun neue Ufer und Kunden erreichen. Hauptziel:
Den OEMs ein kompetenter Entwicklungspartner sein.
Die Kunststoffspezialisten für Motorraum- und Innenraumteile in
Lohne erwirtschafteten 1999 mit
550 Mitarbeitern einen Umsatz von
123 Millionen Mark. Für das laufende Jahr erwartet RiesselmannGeschäftsführer Jürgen Alter einen
Umsatz von 128 Millionen Mark
und im Jahre 2001 sollen es dann
140 Millionen sein.
Nicht immer befand sich das 1925
gegründete Unternehmen so gut in
Fahrt. Und nicht immer war Riesselmann ein Automobil-Zulieferer.
Ursprünglich Flaschenkork-Produzent, wandelten die Söhne des
Firmengründers den Familienbetrieb
zunächst in einen Spritzgießbetrieb
um. Anfang der siebziger Jahre entwickelten sie ihn zu einem kompetenten Kunststoffpartner der Automobilindustrie weiter.
Die rasante Fahrt wurde jedoch
zu Beginn der neunziger Jahre ge-
bremst. Die Rentabilität hinkte dem
Wachstum hinterher, und die schwache Konjunktur der Automobilindustrie tat ein Übriges.
1993 verkaufte die Gründerfamilie das Unternehmen an die Familie
Roßberg. Dort bildet Riesselmann
das Schwergewicht der Gruppe, die
insgesamt über 800 Mitarbeiter beschäftigt und neben der Kunststofftechnik hauptsächlich im Korrosionsschutz und im Kommunikationsbau tätig ist.
„Riesselmann & Sohn wieder zu
seiner ursprünglichen Stärke zu
führen, war ein sehr langer Prozess.“
Der erste Ansatz, nämlich das
Nicht-Automobilgeschäft zu forcie-
Abschied von
Karosserie-Außenteilen
ren, trug nicht die erwarteten Früchte. Das Ziel von 1994, den Umsatzanteil mit der Automobilindustrie
stark zurückzuführen, brachte das
Unternehmen nicht weiter.
1998 wurde von Riesselmann &
Sohn der neue Kurs festgelegt: volle
Kraft voraus in Richtung Automobilindustrie. Das bedeutete Konzentration auf die Kernfelder Kunststoffteile
für den Motorraum, den Fahrzeuginnenraum und für die Fahrzeugelektrik.
Der neuen Strategie gemäß soll
die Produktion von lackierten Karosserie-Außenteilen demnächst auslaufen, denn die Lackieranlagen sind
für eine Zweischichtlackierung, wie
sie zum Beispiel Motorraumteile und
Innenraumteile erfordern, ausgerichtet.
Konsequent wurde das Werk in
Otterndorf veräußert. Die Fokussierung auf den Standort Lohne war
wichtig für die Neuausrichtung.
Schon 1999 gelang der Durchbruch,
sagt Alter. Am Jahresende betrug der
Anteil des Nicht-Automobilgeschäftes nur noch vier Prozent.
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Hochautomatisierte Fertigung von Kabelkanälen: Riesselmann hat die Prozesse weitgehend automatisiert, um in Lohne wettbewerbsfähig produzieren zu können.
Bilder: Riesselmann/Strenger
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Zulieferer-Profil
Riesselmann
Riesselmann-Geschäftsführer Jürgen Alter:
„Unser Anspruch ist es,
schon in der Konzeptphase mit dabei zu sein,
um die Entwicklung von
vorne herein beeinflussen zu können.“
zent der Mitarbeiter in Lohne sind in
alle Phasen der Entwicklung eingebunden, angefangen bei der Auswahl der optimalen Rohstoffe über
Konstruktion mit diversen CAD-Systemen bis zu letzten Werkzeugänderungen vor dem Serienstart.
Gerade das Know-how im Werkzeugbau ist ein Pfund, mit dem Ries-
Das wussten die Automobilhersteller schon früher zu schätzen. Innovationen aus Lohne haben Tradition. So entstand bei Riesselmann &
Sohn 1982 das erste Gaspedal aus
Kunststoff für den Golf A2 und 1990
für Opel die erste Zylinderkopfhaube
aus Thermoplast.
Heute wissen die Riesselmann &
Durchgängige Know-how-Kette von der
Rohstoffauswahl bis zur Serie
In den Produktionshallen kommen alle modernen Technologien
wie Gasinnendruck- und Mehrkomponenten-Spritzgießen zum Einsatz.
Desgleichen beherrschen die Riesselmänner auch andere Verfahren wie
Beflocken oder Hinterpressen.
Jährlich werden für die 700 verschiedenen Teile in diversen Varianten rund 10 000 Tonnen Granulat in
etwa 200 Rohstoffvarianten, alles
recyclingfreundliche Thermoplaste,
verarbeitet. Dazu stehen 91 Spritzgießmaschinen mit Schließkräften
von 20 bis 1 600 Tonnen zur Verfügung. Die Prozesse sind weitgehend
automatisiert.
Dabei geht es der Riesselmann &
Sohn-Führung nicht um Masse, sondern in erster Linie darum, den Automobilherstellern ein kompetenter
Entwicklungspartner zu sein.
Alter: „Als reiner Spritzgießbetrieb müssten wir uns beispielsweise mit Unternehmen in Niedriglohnländern messen. Das können wir nicht. Unser Anspruch ist
es, schon in der Konzeptphase mit
dabei zu sein, um die Entwicklung
von vorne herein beeinflussen zu
können.“
Entsprechend schlagkräftig ist die
Entwicklungsmannschaft. Neun Pro-
Die Riesselmann & Sohn GmbH als Hauptbestandteil der Roßberg-Gruppe: Mit 550 Mitarbeitern will Riesselmann 2001 einen
Umsatz von 140 Millionen Mark erreichen.
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selmann & Sohn wuchern kann. Gebaut werden die Werkzeuge zwar
nach den Konstruktionen der Riesselmann & Sohn-Ingenieure bei Spezialisten.
Aber Wartung und Änderungen
werden in Lohne vorgenommen.
„Die Kunden erwarten, dass schnelle
Ideen auch schnell umgesetzt werden“, begründet Alter das Engagement im Werkzeugbau.
Sohn- Kunden, dass sie bei den Lohner Entwicklern auch komplette
Konzepte bestellen können, die über
den Produktionsanteil von Riesselmann & Sohn hinausgehen. Jüngste
Beispiele sind die Laderaumverkleidungen VW Golf-Variant und BoraVariant.
Keine ganz leichte Aufgabe, denn
in die Fertigung ist auch ein Teppichformteilhersteller involviert. Über-
Riesselmann auf einen Blick
Riesselmann-Muttergesellschaft:
Roßberg Holding
Mitarbeiter Roßberg-Gruppe (Ende 1999): 800
Geschäftsfelder:
– Kunststoffe
– Korrosionsschutz (Feuerverzinkung)
– Kommunikationsbau
(Telekommunikationsanlagen)
– Hotelbetrieb
Riesselmann & Sohn GmbH & Co.
Produktionstandort:
Lohne
Mitarbeiter (Ende 1999):
550
Umsatz 1999:
123 Millionen Mark
Umsatz 2000 (erwartet):
128 Millionen Mark
Umsatz 2001 (erwartet):
140 Millionen Mark
Umsatzanteil mit der Automobilindustrie: 100 Prozent
Produktspektrum:
– Motorraumteile: Zylinderkopfhauben, Zahnriemenhauben, Motorabdeckungen, Behältersysteme, Luftführungen, Anbauteile für Ölwannen
– Fahrzeuginnenraumteile: Säulen-,
Tür-, Sitz- und Laderaumverkleidungen, Reserveradabdeckungen, Mittelkonsolen, Fensterkurbeln, Anbauelemente für die Instrumententafel
– Teile für die Fahrzeugelektrik:
Kabelkanäle, E-Boxen, Getriebesteuerungsboxen
– Werkzeugbau
Zertifizierungen:
nach QS 9000 und VDA 6.1
Quelle: Riesselmann
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Zulieferer-Profil
Riesselmann
Zweigeteilte Zylinderkopf-Haube für den Audi-V6-Motor: Auf die Zweischicht-Lackierung,
wie sie derartige Motorraum-Teile erfordern,
sind die Lackieranlagen von Riesselmann speziell ausgerichtet.
Laderaumverkleidung für VW: In etwa 40 Varianten, von einfach bis hochwertig, fertigt
und liefert Riesselmann die Laderaumverkleidungen für den Golf A4 Variant und den Bora
Variant.
Bild: Strenger
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lespektrum schwierig dar. Aber als
Lieferant kompletter Module wie
beispielsweise Zylinderkopfhauben
mit integrierten Entkoppelungselemente hat der Name Riesselmann &
Sohn bei den OEMs einen guten
Klang.
Die zunehmende Integration von
Funktionen erweitert auch das Aufgabengebiet, und das kann Riessel-
Kooperationen mit Partnern vor Ort sichern
Präsenz in Brasilien und USA
mann & Sohn mit seinen Entwicklungen beeinflussen. „Wir wollen
durch solche Entwicklungen den
Kunden einen Mehrwert anbieten
und bei uns auf diese Weise die
Wertschöpfung ausweiten“, umreißt Alter das Konzept. Die Strategie, sich voll der Automobilindustrie zu verschreiben, verlangt auch
den Schritt über die Grenzen. Dabei
fällt es einem Unternehmen von
Riesselmann & Sohns Größe nicht
ganz leicht, überall vor Ort zu sein,
wo es die Automobilhersteller wünschen.
onsstrategie weiter erfolgreich sind,
können wir auch wieder daran denken, eigene Fertigungsstätten aufzubauen“, sagt Alter zu den Zukunftsplänen.
Damit befindet sich der Kunststoffteile-Produzent im Jahre seines
75jährigen Bestehens auch geografisch auf dem Weg zu neuen Ufern.
Dabei will das Unternehmen aufbauen auf seinen Erfahrungen und seiner alten Stärke – was Geschäftsführer Alter im Jubiläums-Motto so formulierte: „Zukunft braucht Herkunft“.
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dies müssen die voluminösen Teile
just-in-time ans Band geliefert werden, womit Riesselmann & Sohn einen externen Logistikdienstleister
vor Ort beauftragte, der die Komplettierung der Laderaumverkleidungen vornimmt und die richtige
Sequenz herstellt.
„Diese Kompetenzen werden wir
ausweiten und treten bei der Entwicklung neuer Konzepte auch in
Vorleistung“, gibt Alter die Marschrichtung vor.
Teil der Neuausrichtung war auch
die Änderung der Kundenstruktur.
Während früher hauptsächlich die
Aufträge aus Wolfsburg den Umsatz
beeinflussten, so haben heute die
Marken des VW-Konzerns sowie GM
mit den Werken in Rüsselsheim,
Brasilien und Australien jeweils 35
Prozent Anteil am Umsatz. 15 Prozent verteilen sich auf DaimlerChrysler, Porsche und Volvo. Die
restlichen 15 Prozent sind Direktlieferungen an Systemlieferanten der
Automobilindustrie.
Selbst zum Systemlieferanten
„aufzusteigen“, stellt sich für Riesselmann & Sohn mit dem aktuellen Tei-
Riesselmann & Sohn beschreitet
hier den Weg, den auch andere Mittelständler bereits erfolgreich gingen:
Zusammenarbeit mit Partnern vor
Ort. So bestehen schon Produktionspartnerschaften mit Zulieferern in
Portugal und Mexiko. Kurz vor dem
Vertragsabschluss stehen Kooperationen in Brasilien und in den USA.
Auch in Polen hat Riesselmann &
Sohn einen lokalen Partner für die
Produktion. Diese Zusammenarbeit
beziehe sich zunächst auf ein zeitlich
begrenztes Projekt, erläutert Alter
die Strategie.
Daraus könne sich aber durchaus,
wie in Portugal, eine längerfristige
Zusammenarbeit entwickeln. „Wenn
wir mit unserer jetzigen Kooperati-