Betriebsinformatik-Projekt — Virtuelle und simulierte Realitäten

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Betriebsinformatik-Projekt — Virtuelle und simulierte Realitäten
Betriebsinformatik-Projekt
—
Virtuelle und simulierte Realitäten
Prof. Dr. Thorsten Spitta – Dipl.-Inform. Meik Teßmer
Universität Bielefeld
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
Angewandte Informatik
Sommersemester 2008
Vorwort
Virtual Reality war in den 1990er Jahren groß in Mode. Es gab erste Versuche,
virtuelle Online-Welten zu erzeugen, die eine Art 3D-Version des World Wide Web darstellen sollten, aber auch Spiele und Kommunikationsplattformen.
Selbst in den Medien hielt die VR mit zunehmender Leistung der Computer Einzug und mittlerweile ist kaum ein Film ohne Computer-generierte Spezialeffekte
möglich, im Gegenteil: Filme werden immer häufiger vollständig im Rechner erstellt.
Neben der Forschung haben sich folgende Gebiete etabliert:
• Spiele
• Kommunikation
• Simulation
Bekannte Vertreter aus dem Spielebereich sind u. a. World of Warcraft und
EVE aus der Kategorie der Massively Multiplayer Online Role-Playing Games
(MMORPGs).
Diese Spiele simulieren nicht nur die Darstellungen von Objekten bis zu einem
gewissen Grad, sondern beinhalten auch physikalische Modelle und Handelssysteme. Das Spiel Die Sims legt bei der Simulation den Schwerpunkt hingegen
eher auf die menschlichen Aspekte.
Neben Spielen wird besonders die Kommunikation als Anwendung für VR hervorgehoben. Populärstes Beispiel ist Second Life, eine Online-3D-Infrastruktur
für die Erstellung virtueller Welten.
ViOS war ein Versuch, das Internet als Mehrbenutzer-3D-System abzubilden.
Simulationen werden hauptsächlich in der Forschung eingesetzt. Ihre Anwendung reicht von der Protein-Faltung über simulierte Crash-Tests bis hin zur
Simulation einer Atombombenexplosion.
Die Teilnehmer waren: Jana Baumgarte, Kai Bormann, Patrick Bremehr, Katharina Elisabeth Hilbenz, Roman Krause, Matthias Lohmann, Philipp Möhlmeier, Mario Ostović, Wiebke Pottschull, Philipp Schmidt, Björn Schulte und
Han Sun.
Bielefeld, im August 2008
Prof. Dr. Th. Spitta
Dipl.-Inform. Meik Teßmer
3
4
Teilnehmer und Themen
Thema
Gruppe 1: Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
Gruppe 2: Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
Gruppe 3: Virtuelle Systeme im Internet
Gruppe 4: Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
5
Teilnehmer
Patrick Bremehr, Roman Krause, Wiebke
Pottschull
Katharina Elisabeth Hilbenz, Matthias Lohmann, Björn Schulte
Kai Bormann, Philipp Möhlmeier, Philipp
Schmidt
Jana Baumgarte, Mario Ostović, Han Sun
6
Inhaltsverzeichnis
1 Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche
und Pornographie in Second Life
1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Was ist Second Life? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Second Life – Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . .
1.4 Kritik an Second Life . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.5 Virtueller Geldbetrug und Manipulationsversuche . . . . . . . . .
1.5.1 Vorfälle in Second Life . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.5.2 Rechtliche Konsequenzen und Auswirkungen . . . . . . .
1.6 Virtuelle Plagiate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.6.1 Vorfälle in Second Life . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.6.2 Rechtliche Konsequenzen und Auswirkungen . . . . . . .
1.7 Pornographische Inhalte in Second Life . . . . . . . . . . . . . . .
1.7.1 Entwicklungen und Vorfälle in Second Life . . . . . . . . .
1.7.2 Rechtliche Konsequenzen und Auswirkungen . . . . . . .
1.8 Straffälligkeit in Second Life . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.9 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2 Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
2.1 Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Entstehung der Online-Rollenspiele . . . . . . . . . . . . .
2.2.1 Pen-and-Paper-Rollenspiele . . . . . . . . . . . . .
2.2.2 Multi-User-Dungeons . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.3 Massively Multiplayer Online Role-Playing Games
2.3 World of Warcraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.1 Geschichte des Spiels . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.2 Die Spielwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.3 Die ersten Schritte im Spiel . . . . . . . . . . . . .
2.3.4 Der Spielablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4 Anreize von World of Warcraft . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.1 Motivation und Faszination . . . . . . . . . . . . .
2.4.2 Identifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.3 Soziale Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.4 Erfolg und Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5 Gefahren und Suchtpotential von World of Warcraft . . .
2.5.1 Persönliche Hintergründe der Spieler . . . . . . . .
2.5.2 Persönlicher Ehrgeiz . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5.3 Starke Identifikation mit dem virtuellen Charakter
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INHALTSVERZEICHNIS
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3 Virtuelle Systeme im Internet
3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Life Sim - Second Life . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.1 Anziehungskraft und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . .
3.2.2 Suchtpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.3 Auswirkungen auf die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . .
3.3 Soziale Online-Netzwerke / Social Network Sites . . . . . . . . .
3.3.1 Thematische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.3 Wirkungen der SNSs auf gesellschaftliche Strukturen . . .
3.3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4 Wissen aus dem Netz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.1 Themenüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.2 Suchmaschinen, Informations- und Wissensplattformen . .
3.4.3 eLearning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.4 Gesellschaftliche und soziale Aspekte in der virtuellen Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4 Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
4.1 Thema und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Marketing in Second Life . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.1 Gründe und Motivationen für die Präsenz in Second Life .
4.2.2 Chancen und Geschäftsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 Nutzungsmöglichkeiten von Second Life für Unternehmen . . . .
4.3.1 Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3.2 Geschäftsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3.3 Gestaltungsempfehlungen für Markenunternehmen . . . .
4.4 Reale Unternehmen in der virtuellen Welt . . . . . . . . . . . . .
4.5 Kritik am Marketing in Second Life . . . . . . . . . . . . . . . .
4.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.6
2.7
2.5.4 Gruppenzwang . . . . . . .
Folgen . . . . . . . . . . . . . . . .
2.6.1 Gesundheitliche Folgen . . .
2.6.2 Soziale und gesellschaftliche
2.6.3 Wirtschaftliche Folgen . . .
Lösungsansätze . . . . . . . . . . .
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Folgen
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Thema 1
Geldbetrug,
Urheberrechtsverletzung,
Manipulationsversuche und
Pornographie in Second Life
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
Wiebke Gambera, Roman Krause, Patrick Bremehr
1.1
Einleitung
Durch die fortschreitende weltweite Vernetzung steigt die Zahl virtueller Welten, in denen sich Individuen eine virtuelle Identität erschaffen können, konstant
an. Dort können die Individuen als Nutzer der jeweiligen virtuellen Welt interagieren, ohne dabei den realen gesellschaftlichen Regeln und Normen, sowie den
realen juristischen Gesetzen zu unterliegen. Deshalb kommt es besonders in virtuellen Welten häufig zu opportunistischen Handlungsweisen, welche oft nicht
unerhebliche rechtliche Folgen nach sich ziehen. Dies wirft Fragen auf, wie opportunistisches Verhalten verhindert werden kann oder sollte, welche Schäden
dieses Verhalten anrichten kann und wie weitreichend die Folgen daraus sind.
In dieser Arbeit sollen die rechtliche Verantwortung der Anbieter sowie die
9
10Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
möglichen rechtlichen Auswirkungen für Anwender angesprochen werden. Exemplarisch beziehen wir uns dabei primär auf die Online - Community Second
Life. Hierbei werden wir zunächst einige Grundfunktionen von Second Life einschließlich deren AGB erläutern. Die zahlreichen Möglichkeiten und Freiheiten,
die die Entwicklerfirma Linden Lab den Nutzern gewährt, sollen hier im Wesentlichen vorgestellt werden. Anschließend setzen wir uns mit einigen realen
Gerichtsprozessen auseinander, die durch Aktivitäten innerhalb von Second Life entstanden sind. Die Ursachen sowie die daraus resultierenden Konsequenzen
werden hier im Detail diskutiert. Thematisch werden wir auf Rechtsstreitigkeiten aus den Bereichen virtueller Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung durch
Plagiate und Pornographie, sowie Manipulationen der Spielwelt eingehen.
Gegen Ende der Arbeit werden noch einige Aspekte zur Straffälligkeit in Second
Life angeführt. Es soll hier gezeigt werden wie umfangreich und kompliziert die
Materie ist, da sich die Verfassungen verschiedenster Länder berühren. Desweiteren soll dem Leser ersichtlich werden, dass es für virtuelle Welten und besonders
deren Betreiber von Wichtigkeit ist, sich auch mit dem Thema Straffälligkeit
auseinander zusetzen.
Den Abschluss der Arbeit bildet ein zusammenfassendes Fazit, in dem alle vorher
erarbeiteten wesentlichen Punkte noch einmal aufgegriffen werden.
1.2
Was ist Second Life?
Abbildung 1.1: Second Life Logo
Second Life ist eine Online-3D-Infrastruktur, in der von Benutzern gestaltete
virtuelle Welten in Form von Inseln erschaffen werden, um hier Interaktion und
Kommunikation zwischen Individuen zu ermöglichen. Das offizielle Second Life
Logo ist in Abbildung 1.1 dargestellt. Jeder Teilnehmer erstellt sich hierfür ein
Avatar1 , welcher dann virtuell seine Person verkörpert. Dabei ist es möglich,
sich mit Hilfe einiger, von der Client Software bereitgestellten Werkzeugen, online eine zweite, virtuelle Identität zu erschaffen. Diese Identität nennt man
dann Avatar. Der Großteil der Teilnehmer in Second Life tritt mit humanoiden
Avataren auf. Zudem gibt es allerdings einige andere Gruppen. Diese stellen
1 Ein Avatar ist eine künstliche Person oder ein grafischer Stellvertreter einer echten Person
in der virtuellen Welt, beispielsweise in einem Computerspiel. [Wik08b]
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
11
dann Vampire, Monster und andere Gestalten, beispielsweise aus der Sagenund Drachenwelt dar. Die wohl bedeutendste Gruppe ist die der Furrys“ 2 .
”
Mit Hilfe der angesprochenen Client Software ist es möglich, seinen Avatar so
individuell zu gestalten, dass er in der Welt von Second Life einzigartig ist. So
ist bei der Auswahl die Einstellung von über 200 Parametern möglich. Somit
kann eine hohe Identifikation mit dem eigenen Avatar sichergestellt werden.
Jedes Körperteil ist durch viele Parameter variierbar. Es ist möglich, beliebig
gestaltete Kleidungsstücke und Objekte zu tragen. Neben den eher alltäglichen
Dingen wie Piercings oder Ohrringen ist es in Second Life außerdem möglich
Körperteile über die normalen Einstellungen hinaus, zu tragen. Ein drittes Bein
am Rücken, eine Hand im Gesicht oder eine weitere Nase am Bauch ist somit
in Second Life denkbar. Ein Beispiel für den Variantenreichtum dreier jedoch
noch relativ normaler“ weiblicher Avatare ist auf Abbildung 1.2 zu sehen. Der
”
eigenen Kreativität sind hier nur wenig Grenzen gesetzt.
Abbildung 1.2: Drei weibliche Second Life Avatare
In dem seit 2003 online verfügbarem System gibt es mittlerweile mehr als 11
Millionen Benutzerkonten. Rund um die Uhr sind im Schnitt etwa 60.000 Nutzer
gleichzeitig eingeloggt.
Es ist möglich, andere Objekte (Kleidung, Accessoires, Wohnungen, Häuser,
Landgestaltung etc.) zu schaffen, die dann in Second Life benutzt werden können
oder mit denen Handel betrieben werden kann. Zudem können unterschiedliche
Personen und/oder Unternehmen miteinander in Kontakt treten, um virtuellen
Handel zu betreiben, indem sie sich gegenseitig virtuelle Produkte und Dienstleistungen anbieten. Die Kommunikation hierbei kann über verschiedene Ebenen
2 Pelz-Tiere
mit denselben Eigenschaften wie menschliche Second Life Avatare
12Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
in privaten oder öffentlichen Chaträumen erfolgen. Neuerdings besteht sogar die
Möglichkeit mit der Option Second Talk über Headsets mündlich miteinander
zu kommunizieren.
Des weiteren dient Second Life auch als Plattform für Interaktionen bestimmter
Interessengruppen. So können interaktiv Gruppen gebildet werden, deren Mitglieder dann über den integrierten Instant Messenger chatten können. So wurde
das System für Schulungen, universitäre Veranstaltungen und sogar Livekonzerte genutzt.
Die soziale Komponente von Second Life drückt sich besonders dadurch aus,
dass es leicht möglich ist, Gruppen zu bilden oder Freundschaften zu schließen.
Außerdem sind eine Vielzahl von Animationen im System vorhanden, die mit
den passenden Befehlen dann abgespielt werden können. Klatschen, Umarmen,
Pfeifen oder den Vogel zeigen ist kein Problem. Die Anzahl dieser Animationen
ist nicht beschränkt, so dass diese unendlich erweiterbar sind. Jedem Teilnehmer
steht es also offen, neue Animationen zu programmieren und hochzuladen.
Seit die Second Talk Option eingeführt wurde, ist auch diese mit bestimmten
Animationen verknüpft, so dass der Avatar bestimmte Gestiken von sich gibt,
sobald der Teilnehmer ins Mikrofon spricht.
Es gibt Gebiete in Second Life, in denen die Benutzung von Waffen erlaubt ist.
Je nach Art der Waffen und der Skripte für die jeweilige Region wandelt sich
Second Life dann in eine Art Egoshooter3 um.
Im System von Second Life gibt es eine virtuelle Währung, den Linden Dollar.
Dieser kann in eine reale Währung transferiert werden, so dass Second Life auch
in den realen Wirtschaftskreislauf eingebunden ist. Dies hat dazu geführt, dass
sich immer mehr reale Unternehmen in Second Life präsentieren. Besonders marketingtechnische Aspekte bilden dabei den Hauptgrund. Denn neben den Reaktionen auf neuartige Produkte kann auch eine virtuelle Kaufwahrscheinlichkeit
gemessen werden. Unternehmen versuchen so bereits vor der Produkteinführung
herauszufinden, ob das jeweilige Neuprodukt am Markt erfolgreich werden wird.
Hierbei stellt sich allerdings zunehmend die Frage, inwieweit virtuelle Kaufwahrscheinlichkeiten auf die reale Welt übertragbar sind.
Seit einiger Zeit ist zu beobachten, dass mehr und mehr sexuelle Angebote
und Glücksspiele mit Wetteinsatz in den Vordergrund des Systems drängen.
Letzteres wird seit dem 25.07.2007 von Linden Lab offiziell nicht mehr geduldet
4
. In geringem Umfang finden jedoch weiterhin Glücksspiele statt. Ein Beispiel
für ein virtuelles Casino in Second Life zeigt Abbildung 1.3. In Second Life gibt
es sowohl Casinos in dieser Form, also quasi unter freiem Himmel, wie auch
3 Als Ego-Shooter oder First-Person-Shooter (FPS) werden Computerspiele bezeichnet, bei
der die Perspektive des Spiels durch die Augen des Charakters den man spielt dargestellt
wird. Man spricht auch von der sogenannten Ich-Perspektive. Der typische Spielverlauf eines Ego-Shooters beinhaltet die Erkundung unterschiedlicher dreidimensionaler Welten und
die dortigen Feuergefechte gegen Gegner. Dem Spieler stehen dabei verschiedene Waffen zur
Verfügung, die im Spielbild sichtbar dargestellt werden. Populäre Vertreter des Genres sind
z.B. Doom, Quake oder Call of Duty. [Wik08e]
4 Mehr zum Glücksspielverbot in Kapitel 1.5
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
13
Varianten, die der Realität nachempfunden in Gebäuden ihren Platz haben.
Abbildung 1.3: Beispiel eines Second Life Casinos
Es gibt kostenpflichtige und kostenfreie Second Life Accounts. Der Hauptunterschied besteht darin, dass nur Spieler mit einem kostenpflichtigen Account
virtuelles Land auf dem Hauptkontinent von Second Life kaufen können. Dieses
Land wird zur dauerhaften Erstellung von Objekten oder Landschaften benötigt
und stellt somit die bedeutendste Handelsware des Systems dar. Inhaber kostenfreier Accounts können hingegen nur Land auf dem Hauptkontinent mieten
oder Land auf privaten Inseln kaufen. Der Mitgliedsbeitrag für die kostenpflichtige Mitgliedschaft beträgt zwischen 6 und 9,95 US$, abhängig davon, ob man
monatlich, quartalsweise oder jährlich bezahlt.
Sowohl kostenpflichtige als auch kostenfreie Accounts erhalten nach Bereitstellung von Zahlungsinformationen einen Einschreibebonus. So bekommen die Inhaber von kostenfreien Basic-Accounts 250 Linden Dollar. Kostenpflichtige Premium Accounts erhalten 1000 Linden Dollar und können zusätzlich 512m2 Land
auf dem Hauptkontinent erwerben, ohne dafür die übliche Landmiete zahlen zu
müssen. Zusätzlich bekommen diese ein Stipendium von 300 Linden Dollar in
der Woche. Linden Dollar können nur gegen echte Währung verkauft werden,
wenn Zahlungsdetails hinterlegt sind. Seit 2005 ist dies für die kostenfreien Basic Accounts freiwillig. Auf Mitgliedsbeiträge und Miete in Second Life wird die
im Land des Inhabers geltende Mehrwertsteuer aufgeschlagen.
In Second Life ist es auch möglich eine ganze Region, dass sind in der virtuellen Realität 25 000 Quadratmeter, zu kaufen. Dafür wird dem Teilnehmer dann
von Linden Lab zugesichert, dass für diese Region ein eigener Rechner bereit-
14Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
Abbildung 1.4: Gesamtausgaben der Bevölkerung Second Life’s in Mrd.
gestellt wird. Eine Region kostet einmalig 1650 US$, sowie monatlich 295 US$.
Die täglichen kumulierten Gesamtausgaben aller Nutzer in Second Life werden
auf der Second Life Homepage von Thomson Reuters [Reu08a] veröffentlicht.
Abbildung 1.4 zeigt die Ausgaben vom 03.07.2008 bis 08.07.2008. Auch wenn
in dieser Abbildung die Entwicklung der Ausgaben als relativ stark schwankend
erscheinen mag, so bewegen sich die Gesamtausgaben längerfristig jedoch relativ
stabil zwischen 1,5 - 2 Millionen US$. [Wik08]
1.3
Second Life – Allgemeine Geschäftsbedingungen
Die Geschäftsbedingungen [Lin07] der Online-Community Second Life weisen
in vielen Aspekten Lücken oder Uneindeutigkeiten auf. Der Betreiber Linden
Lab versucht somit schon im Vorfeld, durch unklare und vage Formulierungen
der Verantwortung aus dem Wege zu gehen, die er für die Bereitstellung der
Software und des damit verknüpften Systems eigentlich haben sollte.
Bereits in Abschnitt 1.2 der AGB wird gesagt, dass Linden Lab lediglich den
Service bereitstellt auf diese Online-Plattform zuzugreifen. So versucht sich der
Betrieber der virtuellen Welt seiner Verantwortung für kontroverse Inhalte zu
entziehen. Linden Lab hat laut eigener Aussage in den Geschäftsbedingungen
auf große Teile des Geschehens in Second Life weder Einfluss noch kontrollieren
sie alle Aktivitäten der Nutzer. Es wird gesagt, dass weder die Benutzer an sich
noch die Kommunikation zwischen den verschiedenen Benutzern kontrolliert
wird. Linden Lab behauptet sinngemäß übersetzt, dass sie - wenn überhaupt nur sehr geringen Einfluss auf Aspekte wie Qualität, Sicherheit, Moral, Legalität,
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
15
Wahrheit und Genauigkeit haben.
Zugriffs- und Urheberrechte
Der nächste Abschnitt der AGB 1.3 behandelt die Urheberrechte von Linden
Lab und anderen Benutzern. Es wird gesagt, dass man als Benutzer des Systems
Zugriff auf Grafiken, Soundeffekte, Audio, Video, Computerprogramme, Textdokumente und andere kreative Inhalte erhält. Diese Zugriffe werden von Linden
Lab nicht vor der Einführung in das System kontrolliert. Zudem wird erklärt,
dass die volle Verantwortung und Haftbarkeit für die Benutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten beim Benutzer liegt. Für den Fall, dass einige
Benutzer in Second Life geschütze Inhalte benutzen, publizieren oder vertreiben, stiehlt sich Linden Lab somit schon durch diese Aussage in den allgemeinen
Geschäftsbedingungen aus der Verantwortung.
Währung in Second Life
In einem weiteren Abschnitt äußert sich der Betreiber über die systemeigene
Währung, den Linden Dollar. Laut Linden Lab wird diese Währung als Eigenschaft des Produktes Second Life angesehen und somit ist eine eingeschränkte
Verwaltung und Benutzung durch den Benutzer erlaubt. Allerdings wird gesagt,
dass Linden Lab zu keiner Zeit dazu verpflichtet ist, den Gegenwert der Linden Dollar als echten monetären Wert an den Benutzer auszuzahlen. Darüber
hinaus behält sich Linden Lab vor, die Linden Dollar, das virtuelle Second Life
Zahlungsmittel, weitgehend selbst zu verwalten. So können zum Beispiel virtuelle Käufe oder Verkäufe grundlos untersagt werden. Zudem werden Preise und
Wechselkurse von Linden Lab mehr oder weniger willkürlich festgelegt. Die Kursentwicklung der Linden Dollar im Vergleich zum realen US-Dollar wird ebenfalls fortlaufend auf der Second Life Homepage von Thomson Reuters [Reu08a]
veröffentlicht. Abbildung 1.5 zeigt die Kursentwicklung am 09.07.2008. Es befindet sich außerdem der Zusatz in den AGB, dass Linden Lab die Währung
sogar komplett abschaffen darf, ohne für eventuelle Verluste oder Schäden am
Benutzer haftbar gemacht werden zu können.
Weiter wird angeführt, dass Linden Lab das Recht hat, das System mit oder
ohne vorheriger Ankündigung zu unterbrechen. Linden Lab kann weder für die
Unterbrechung des Services noch für Verzögerungen oder Systemfehler haftbar
gemacht werden. Es wird darauf hingewiesen, dass in den Zahlungsbedingungen
eindeutig steht, dass auch bei solchen Fehlern oder längeren Systemunterbrechungen der Benutzer nicht das Recht hat, die gezahlten Gebühren zurückzufordern. Linden Lab schreibt sich außerdem das Recht zu, begründet oder
unbegründet, ganze Inhalte in Second Life zu verändern oder zu löschen.
16Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
Abbildung 1.5: Kursentwicklung in Abhängigkeit vom US$
Zahlungsbedingungen und Nutzungsbeschränkungen
Desweiteren wird in den AGB festgesetzt, dass Benutzer, die einen kostenpflichtigen Account haben, sich zu jeder Zeit mit den Zahlungsbedingungen von Linden Lab einverstanden erklären müssen. Diese besagen unter anderem, dass
jederzeit bisher freie Inhalte kostenpflichtig werden oder neue Inhalte hinzukommen können, die dann kostenpflichtig sind. Bei kostenpflichtigen Inhalten
kann es zu willkürlichen Preisveränderungen kommen, die von Linden Lab allein
beschlossen und durchgeführt werden.
Der Zutritt zur Plattform wird generell Benutzern ab 13 Jahren gewährt. Dabei ist es wichtig, dass die 13-17 Jahre alten Benutzer sich in einem eigens für
sie eingerichteten Bereich von Second Life bewegen, der Teen Area“. Vom Be”
treiber ist es so gedacht, dass in die Teen Area“ keine Erwachsenen kommen
”
und in den Bereich für volljährige Personen keine minderjährigen Benutzer Zutritt haben. Es gibt zwar eine Klausel in den Geschäftsbedingungen, dass jeder
Benutzer verpflichtet ist, wahre Angaben bei der Registrierung zu machen und
andernfalls für die Konsequenzen, die möglicherweise aus Falschaussagen folgen,
haftbar gemacht werden kann. Dennoch kann vom Betreiber Linden Lab nicht
gewährleistet werden, dass nicht doch einige Benutzer sich unauthorisierten Zugang zu den Gebieten verschaffen, die nicht für ihre Altersgruppe bestimmt
sind.
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
1.4
17
Kritik an Second Life
Im Mittelpunkt der Kritik steht die bereits im Kapitel der allgemeinen Geschäftsbedingungen angesprochene fehlende Haftung von Linden Lab für virtuelle Gegenstände und Finanzmittel. So wäre zum Beispiel ein worst case-Szenario“
”
denkbar, wo Linden Lab Insolvenz anmeldet oder die gesamten Server abstürzen.
Dies würde unter Umständen dazu führen, dass aufwendig von den Benutzern
erstellte Objekte (Animationen, Gegenstände, Avatare), teuer erworbene Ausstattungsgegenstände oder das hart erarbeitete virtuelle Kapital unwiderbringlich gelöscht wären.
Ein weiterer Kritikpunkt, aus volkswirschaftlicher Sicht, ist der Vorwurf, dass
der Wechselkurs des Linden Dollar mit zunehmendem Zeitablauf immer weiter
sinkt. Der Grund dafür besteht in der Tatsache, dass Linden Lab für den Linden Dollar die Funktion einer Zentralbank übernimmt. Da die Benutzeranzahl
des Systems stetig wächst und somit auch mehr und mehr Teilnehmer des Systems Handel in Second Life betreiben, erhöht sich die vorhandene Geldmenge
in Second Life fortlaufend. Jeder Benutzer hat also relativ gesehen immer weniger finanzielle Mittel zur Verfügung. Demnach müsste Linden Lab in Zukunft
Linden Dollar zurück kaufen, um den Wechselkurs stabil zu halten.
Desweiteren behält sich Linden Lab ein Verfügungsrecht über sämtliche in Second Life befindliche Inhalte vor. Zwar wird dem Benutzer in den Geschäftsbedingungen ein explizites Urheberrecht an eigens erschaffenen virtuellen Produkten zugesprochen. Dieses Recht ist allerdings dadurch leicht zu unterlaufen,
indem man sich auf das weitreichende Recht auf Eigentum an der Software
beruft. Zudem können jederzeit, auch ohne Begründung, einzelne Nutzer vom
System ausgeschlossen werden.
Ein weiteres, von Linden Lab nur schwer in den Griff zu bekommendes Problem sind die Angriffe auf bestimmte Benutzer durch sogenannte bad scripts“.
”
Diese rauben den Benutzer durch geschickte Programmierung virtuell aus. Dabei haben es die virtuellen Diebe meist auf die Linden Dollar Guthaben oder
übertragbare Inhalte des Inventars abgesehen. In erster Linie wird dabei die
Unerfahrenheit und Neugier der neuen Bewohner ausgenutzt. Allerdings sind
die Skripte mittlerweile manchmal so komplex und ausgereift, dass selbst erfahrene Benutzer Opfer dieser virtuellen Räuberei werden. Hierzu noch mehr im
späteren Teil der Arbeit.
Zudem gibt es einige Kritikpunkte, die sich auf die Grafik und Technik von Second Life beziehen. So kritisieren Experten die vergleichbar rückständige Grafik.
Besonders verwaschene Texturen und ein anhaltendes massives Ruckeln5 werden
hierbei als besonders störend angesehen.
Zudem ist die Kapazität der Rechner ziemlich begrenzt. So ist es aktuell nur bis
5 Mit Ruckeln ist hier der nicht flüssig wiedergegebene Spielablauf gemeint. Dies kann zum
einen eine niedrige Bildwiederholrate unter 25 Bildern pro Sekunde sein, als auch Ladepausen
von mehreren Sekunden. Dies kann den Spielfluß mindern und frustrierend auf die Nutzer des
Spiels wirken.
18Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
zu 100 Benutzern gleichzeitig möglich, sich in einer Region aufzuhalten. Dies
wird mit der Aufteilung einer Region in 4 Sektoren teilweise gelöst. So haben
immerhin 400 Benutzer gleichzeitig die Chance, sich in einer Region einzufinden.
Für in Second Life denkbare Großveranstaltungen wie Konzerte, Messen oder
andere Treffen von Interessensgruppen dürften allerdings auch 400 gleichzeitige
Nutzer bei weitem nicht ausreichen, um alle Nutzer, die teilnehmen möchten, in
die jeweilige Region zu lassen.
Die Client6 Software stellt ein weiteres großes Problem dar. Schon am Tag
der Einführung von Second Life lief die vom Betreiber zur Verfügung gestellte Software oftmals instabil. Bis heute müssen Benutzer von Second Life mit
Geschwindigkeitsproblemen, Abstürzen oder gar mit Funktionsausfällen leben.
Die Teilnehmer sind im Grunde gezwungen, den offiziellen Second Life Blog7
zu verfolgen, weil Linden Lab dort umfangreiche Informationen sowie aktuelle
Fehler und Hilfe zur Behebung veröffentlicht.
Aufgrund des hohen Funktionsumfangs gilt die Client Software als fehleranfällig.
Notwendige Updates gab es nicht zuletzt deshalb oftmals wöchentlich. Dies war
meist mit mehrstündigen Offlinezeiten des kompletten Systems verbunden gewesen, womit Linden Lab logischerweise den Zorn der registrierten und zahlenden
Benutzer auf sich zog.
Der Verwaltungsaufwand der virtuellen Welt steigt exponentiell mit der Anzahl
registrierter Benutzer. Problematisch erscheint dies, da allmählich die Grenzen des für Linden Lab maximal möglichen Aufkommen erreicht wird. Deshalb
wurde dort sogar schon über ein Maximalkontingent von gleichzeitig im System
agierenden Benutzern nachgedacht.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Suchtgefahr und Realitätsflucht. Diese kann
durch übermäßige Teilnahme an der virtuellen Welt hervorgerufen werden. So
können besonders unvorsichtige und unerfahrene Nutzer bei spielerischen Handlungen vergessen, dass virtuelle Transaktionen auch reale Kosten mit sich bringen können.
Die Benutzer von Second Life setzen sich durch die Angabe von Zahlungsdetails und ihr Konsumverhalten im System Marktforschungsuntersuchungen von
Unternehmen aus. Die Unternehmen können sich sowohl im Spiel selbst ansiedeln oder aber möglicherweise auch über Kontakte zu Linden Lab verfügen. So
gehört zu den Geldgebern für Linden Lab unter anderem der Gründer von Ebay
sowie der Geschäftsführer von Amazon USA.
Seit 2005 ist für den kostenfreien Basis-Account kein Altersnachweis mehr erforderlich. Dies führt dazu, dass der Jugendschutz im System nicht gewährleistet ist. Speziell bei einer Vielzahl von Pornographie- und Glücksspielangeboten
6 Man bezeichnet als Client ein Computerprogramm, das mit einem Server Kontakt aufnimmt und mit diesem Informationen bzw. Nachrichten austauscht. [Wik08c]
7 Ein Weblog ist ein online geführtes Tagebuch, welches auf einer Webseite öffentlich
verfügbar ist. Der Begriff Blog entstand aus einer Mischung der Worte World Wide Web und
Log. In chronologischer Abfolge sortiert bietet ein Blog die Möglichkeit ein (meist spezifisches
Themenfeld) in vielfältiger Weise darzustellen. [Wik08g]
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
19
stößt dieser Missstand natürlich auf breite Kritik. Die im Mai 2007 von Linden
Lab angekündigte Altersverifikation durch einen externen Dienstleister lässt bis
heute auf sich warten. Die Einführung einer neuen Software, in der bei der
Registrierung neben den persönlichen Daten auch eine Dokumentnummer überprüft wird, hat bisher außerhalb der USA kaum funktioniert. Besonders durch
die Datenschutzvorschriften in Europa dürfte dies wohl auch in Zukunft nur zu
mäßigem Erfolg führen. [Wik08a]
1.5
1.5.1
Virtueller Geldbetrug und Manipulationsversuche
Vorfälle in Second Life
Im Juli 2007 geriet Second Life in eine Finanzkrise und zahlreiche User verloren
ihr virtuelles Geld. Ausschlaggebend war dafür unter anderem, dass eine der
drei Börsen in Second Life, die World Stock Exchange (WSE), Ende Juli 2007
in eine Krise geriet. Diese Börsenkrise wurde durch einen ehemaligen Berater von
WSE hervorgerufen, der sich in den Börsencomputer hackte und mit gefälschten
Geldsummen an der Börse spekulierte. Durch diese Aktion erbeutete der Hacker
rund 10.000 US-Dollar und verunsicherte die Finanzwelt in Second Life, so dass
mehrere Aktienbesitzer versuchten ihre Anteile zu verkaufen und auch einige
Unternehmen den Markt verließen. [Spi07a]
Bank in Second Life in der Krise
Aufgrund dieser Geschehnisse an der Börse geriet die virtuelle Ginko-Bank in
Zahlungsschwierigkeiten und konnte viele ihrer Kunden nicht mehr bedienen.
Die Ginko-Bank war zuvor die größte virtuelle Bank in Second Life und verwaltete etwa 18.000 Konten mit einem Gesamtvermögen von 750.000 US-Dollar.
Der reale Besitzer dieser Bank ist Andre Sanchez, ein Unternehmer aus Sao
Paulo, der seine virtuellen Kunden mit hohen Zinsversprechungen wie etwa 0,1
Prozent täglich lockte. Dieses Versprechen finanzierte Sanchez mit den stetig
steigenden Kundengeldern. Außerdem legte er das Geld seiner Kunden an der
Second-Life-Börse in virtuelle Aktien der WSE-Mutter Hope Capital an.
Am 26. Juli 2007 sprach Linden Lab das Glücksspielverbot aus und einen Tag
später kriselte es aufgrund des Hackers auch an der WSE-Börse. Daraufhin versuchten Aktienbesitzer zu verkaufen und verließen den Markt. Schließlich wurden nur noch wenige Aktien gehandelt und der Ginko-Bank-Besitzer Sanchez,
der rund 9 Millionen Stück der Hope-Aktien hielt, konnte seine Anteile nicht
mehr veräußern. Das führte dazu, dass die Avatare, die ihr Geld bei der GinkoBank angelegt hatten, keine Auszahlungen am Geldautomaten mehr erhielten.
[Spi07]
20Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
Viele Kunden reagierten mit einer Kontoauflösung und zehrten somit die letzten Geldreserven der Bank auf. Dieser Vorfall zwang die Bank dazu vorerst zu
schließen. Obwohl die Ginko-Bank nun mehrere Millionen Linden Dollar Schulden hatte, gab sie nicht auf und auch Linden Lab sprach kein Verbot für die
Fortführung der Geschäfte aus. Deshalb erhielten die geschädigten Kunden von
der Bank Schuldscheine, sogenannte Ginko Perpetual Bonds“, die sie an der
”
virtuellen Börse tauschen können. Allerdings wird den Avataren dort nur der
Marktwert ausgezahlt, der deutlich unter dem Betrag liegt, den sie auf ihren
virtuellen Konten haben. Für manche Second Life User ist dieser virtuelle Verlust von Geld auch im realen Leben ein großer finanzieller Verlust, den sie nun
verschmerzen müssen. [Knü07]
Virtueller Immobilienbetrug: Der Fall Landbaron Merlin
Ein weiterer Fall sorgte Anfang 2007 für große Aufregung in Second Life, als
der Avatar Landbaron Merlin sich durch günstige Grundstückskäufe bereicherte. Der US-amerikanische Anwalt, der hinter diesem Avatar steckt, hatte einen
Fehler im URL-System von Second Life entdeckt und konnte mit Hilfe sogenannter Landbots preisgünstiges Land erkennen sobald dies angeboten wurde.
Mit diesem Tool hatte er die Möglichkeit die virtuelle Welt systematisch nach
neuen, preisgünstigen Grundstücksangeboten zu durchsuchen.
Die generelle Problematik dieses Falls bestand darin, dass einige Avatare ihr
Land versehentlich anboten oder den endgültigen Preis noch nicht festgelegt
hatten, obwohl der Verkauf bereits freigeschaltet war. Das Programm erkannte
diese günstigen Grundstücke, sobald sie angeboten wurden, und kaufte diese auf.
So erstand Landbaron Merlin oftmals Land unter dem eigentlichen Marktwert
und konnte das erstandene Land für einen deutlich höheren Preis weiterverkaufen. Ein Opfer des Landbarons erlitt durch dieses Tool einen Verlust in Höhe
von 1.400 US-Dollar, als es versehentlich 30.000 qm seines Landes für nur 6.600
Linden Dollar zum Kauf anbot. Bevor der Verkäufer den Preis für die einzelnen
Grundstücke festsetzen konnte, hatte das Programm des Anwalts das Angebot
bereits erstanden. Zwei weitere Geschädigte verloren durch die Landbots 2.000
US-Dollar und zwei Drittel ihres virtuellen Seegrundstücks.
Nicht nur Betrugsfälle, bei denen Second Life Mitglieder um ihr Vermögen gebracht werden, sind in der virtuellen Plattform aufgetreten. Es gibt wiederum
auch Nutzer oder Hacker, die sich lediglich amüsieren und profilieren wollen und
so das Leben“ in Second Life versuchen zu manipulieren. Sie greifen in den All”
tag der Avatare ein und kontrollieren auf diese Weise für einige Momente oder
auch Stunden das Geschehen in Second Life. Eine Gruppe von Second Life Nutzern schreckte auch nicht davor zurück den Terror in Form von Atombomben,
in die virtuelle Welt zu holen.
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
21
Virtueller Terror
Am Anfang des Jahres 2007 zündete die Terror-Organisation Second Life Liberation Army (SLLA) zwei Atombomben vor Second Life-Filialen bekannter
Unternehmen. Die Explosion einer dieser Atombomben ist in Abbildung 1.6 dargestellt. Somit wurden erstmals virtuelle nukleare Waffen als Druckmittel gegen
Linden Lab eingesetzt. Die SLLA besteht aus etwa 12 Second Life-Mitgliedern,
die seit der Entstehung dieser virtuellen Welt dabei waren und sich nun als Befreiungsorganisation betrachtet, die gegen die Diktatur von Linden Lab und für
eine Regierung mit Second Life-Bewohnern kämpft.
Abbildung 1.6: Die Explosion der virtuellen Atombombe
Durch den starken Mitgliederzuwachs innerhalb eines Jahres von 100.000 auf
über zwei Millionen Nutzer, zogen auch viele Unternehmen in die virtuelle Welt,
um ihre Produkte auch dort zu vermarkten. Dieser Wandel in der virtuellen
Welt missfiel den Mitgliedern der SLLA und sie stellten an Linden Lab die
Forderung für mehr Mitspracherecht der Avatare in Second Life. Die Second
Life-Verantwortlichen reagierten nicht auf die Forderungen und so begann die
SLLA erste virtuelle Attentate auf die Second Life-Welt. Der bisherige Höhepunkt ihrer Aktionen war die Zündung von zwei virtuellen Atombomben vor
den Second Life-Filialen von Reebok und American Apparel. [20m07]
Diese Anschläge sind als wenig gefährlich einzustufen, da die Bomben, außer
kleinen temporären Stoerungen, keine Auswirkungen hatten. Selbst durch die
Schusswaffen der SLLA, der sogenannten Push Guns“ , können andere Avatare
”
lediglich für kurze Zeit von einem Ort entfernt werden oder der User ist kurzzeitig handlungsunfähig. So trat auch bei der Explosion der Atombomben das
Problem auf, dass für die Nutzer, die sich in der Nähe der Explosion aufhielten,
für eine gewisse Zeit keine Steuerung ihrer Avatare möglich war. [Ros07]
Solch eine Störung tritt auf, wenn dem Servernetz von Second Life aus über
2500 Servern, dem so genannten Grid, zuviel Rechenleistung abverlangt wird.
Schleusen Hacker bestimmte Programme mit komplexen Konstruktionen auf
die Server, dann werden diese derart überlastet, dass dies zu einem Zusammenbruch des Systems führt. Auf diese Weise versuchen immer wieder Nutzer dieser
Plattform durch aufsehenerregende Aktionen den Alltag in der virtuellen Welt
22Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
zu stören und zu manipulieren. [Beu07]
Wurm in Second Life
Im Herbst 2006 wurde ein Wurm8 in Second Life gebracht, der rotierende und
sich stetig vermehrende Goldringe in der Welt platzierte. [Hei06] Dadurch wurden mehrere Cyber-Quadranten, bestehend aus 5 Millionen Objekten, gestört
und alle Aktivitäten in Second Life verlangsamten sich. Linden Lab reagierte
darauf mit der Sperrung der Logins für eine halbe Stunde, um die virtuelle Welt
vom Wurm zu säubern.
Nach 3 Stunden war Second Life schließlich vom Wurm und seinen Auswirkungen befreit und das virtuelle Leben konnte seinen gewohnten Gang nehmen. Für
einige Nutzer bedeutete der Ausfall des Systems letztendlich auch der Verlust
von Geld, denn der Tagesumsatz in Second Life beträgt eine halbe Millionen
US-Dollar und somit trifft der Serverabsturz einige User deshalb umso härter.
Ähnliche Vorkommnisse gab es einige Wochen später bei einer virtuellen Pressekonferenz der ersten Second Life-Millionärin als diese von mehreren hautfarbenen, fliegenden Dildos angegriffen wurde. Der Anschlag ging von Nutzern aus,
die der Dollar-Millionärin ihren Erfolg nicht gönnten. [Rei07]
Am 8. Januar 2007 ereignete sich ein weiterer Manipulationsvorfall, der durch
vorsätzliche Serverüberlastung von einigen Usern ausgelöst wurde. Man entledigte einige Online-Prominente ihrer Frisuren und Designerkleidung und ließ sie
so auf dem Bildschirm der Nutzer erscheinen.
1.5.2
Rechtliche Konsequenzen und Auswirkungen
Der Bankenbetrug der virtuellen Ginko-Bank hatte auch für die anderen bestehenden Banken in Second Life weitreichende Konsequenzen. Aufgrund der
finanziellen Schäden mehrerer Nutzer von Second Life verhängte Linden Lab
im Januar 2008 neben dem Glücksspielverbot auch ein Bankenverbot. Linden
Lab lässt nun lediglich Finanzdienstleister zu, die auch in der realen Welt eine
Erlaubnis der Behörde besitzen. Problematisch ist hierbei jedoch, dass Linden
Lab eine Bank als Institution bezeichnet, die ihren Kunden Zinsen verspricht.
[Rec08]
In Second Life haben somit die Banken, die ihren Kunden keine Zinsen versprechen, nun die Möglichkeit, den Bewohnern von Second Life ohne behördliche Genehmigung eine sichere Verwahrung ihres Vermögens anzubieten. Diese
Möglichkeit erzeugt zwar keine Mehrung des Vermögens, allerdings ist hier das
Geld vor möglichem Missbrauch anderer Avatare geschützt. Dieses Bankenverbot brachte die Bank of Second Life auf die Idee, zusätzlich noch einen Euro8 Gemeint ist hier ein Computerwurm, der infizierte Software in erheblichem Maße verbreiten kann. Im Gegensatz zum Virus warten Würmer in der Regel nicht darauf über infizierte
Dateien verbreitet zu werden, sondern verbreiten sich über Netzwerke und deren Dienste z.B.
email. [Wik08h]
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
23
Lindentausch anzubieten und zudem sichere Bankautomaten in ihren Filialen
einzurichten. [Wis07]
Im Fall des Grundstücksbetrügers Landbaron Merlin deaktivierte Linden Lab
den Account des hinter dem Avatar steckenden Anwalts, nachdem sich dutzende Nutzer über ihn beschwert hatten. Da durch die Sperrung des Accounts
das Linden Dollar Guthaben des Landbarons Merlin verfiel und sein Land auf
Linden Lab überging, verklagte der Geschädigte Linden Lab auf Schadensersatz und somit um die Erstattung seines virtuellen Vermögens von rund 3.200
US$. Linden Lab versuchte die Klage zu verhindern und stellte beim Gericht
zwei Anträge auf Abweisung der Klage aufgrund einer Aneignung von Land mit
Hilfe unerlaubter Mittel.
Beide Anträge wurden vom Richter am Gericht in Pennsylvania abgelehnt. Die
Entwickler mit Sitz in Kalifornien versuchten erneut die Klage zu umgehen,
indem sie feststellten, dass das Gericht wegen der Lizenzvereinbarung nicht
zuständig sein konnte. Doch der Richter begründete eine weitere Abweisung des
Antrags mit der Tatsache, dass das Unternehmen auch landesgrenzenübergreifend tätig sei und somit ein Verfahren auch außerhalb Kaliforniens möglich ist.
Weitere Informationen zum Beginn und Verlauf des Prozesses zwischen Linden
Lab und dem Anwalt sind nicht bekannt geworden.
Bislang liegen keine offiziellen Informationen vor, ob Linden Lab etwaige Gegenmaßnahmen aufgrund der Manipulationsversuche in Second Life wie z.B. dem
Wurm und den virtuellen Atombomben unternommen hat. Rechtliche Konsequenzen erscheinen in den meisten Fällen allerdings auch nicht notwendig zu
sein, da die Nutzer offensichtlich nicht finanziell geschädigt wurden oder eine Missachtung eines Gesetzes hier nicht tatsächlich beobachtbar war. Im Fall
des Wurms erlitten jedoch einige Nutzer einen finanziellen Verlust und so wären
hierbei rechtliche Maßnahmen oder zumindest eine Reaktion seitens Linden Lab
möglicherweise angebracht gewesen.
1.6
1.6.1
Virtuelle Plagiate
Vorfälle in Second Life
In letzter Zeit häuft sich die Anzahl der angebotenen Plagiate in der Second Life
Welt massiv. So sind laut einer Studie aus dem Jahre 2007 der Firma P4M9 ca.
59% aller angebotenen Produkte der untersuchten Firmen die in Second Life
vertreten sind Plagiate. [Zpr07]
Diese Studie untersuchte 44 Weltkonzerne, die in den unterschiedlichsten Branchen tätig sind. Betroffen sind unter anderem bekannte Marken wie Coco Cha9 Die Partners for Management GmbH ist ein eigentümergeführtes Unternehmen mit Standorten in München, Paris und London. Diese Firma hat es sich zum Ziel gemacht, Inhaber von
Urheber-, Marken- und Lizenzrechten bei der Sicherung und Wahrung ihrer Rechte im Internet
zu beraten und zu unterstützen.
24Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
nel, Nike und Puma. Zum einen werden die Produkte als originale Markenprodukte angepriesen und oftmals auch durch urheberrechtlich geschützte Bilder
beworben. Zu den kopierten Produkten zählen beispielsweise sowohl Lippenstifte als auch Turnschuhe. Die Bandbreite ist hier sehr hoch. Dieser fortschreitende
Trend gibt genügend Möglichkeiten für Firmen wie z.B. P4M, die sich unter anderem auf das Aufspüren von virtuellen Plagiaten im Internet über spezielle
Suchverfahren spezialisiert haben.
Von allen untersuchten Firmen haben 23% eine offizielle Präsenz in Second Life.
Von diesem Anteil sind 70%10 nur mit einer einzigen Repräsentanz in Second
Life vertreten. Die übrigen 30%11 sind Betreiber eines virtuellen Online-Shops.
18% der untersuchten Unternehmen wurden bisher in Second Life noch gar nicht
aktiv. Die restlichen obig bereits angesprochenen 59% sind als Marken in Second
Life präsent, jedoch abseits der Zustimmung des Herstellers. Folglich handelt es
sich um Plagiatprodukte.
Interessanterweise müssen aber die Effekte, die durch Plagiate erzielt werden,
nicht nur negativ sein. BMW z.B. ist offiziell in Second Life vertreten und besitzt
die viertgrößte Markenbekanntheit, dicht hinter Nike. Es ist jedoch verwunderlich, dass die Marke Nike gar nicht offiziell in der Second Life Welt vertreten ist.
Nike hat nie selbst Produkte für Second Life entwickelt, folglich handelt es sich
bei allen Nike-Produkten in Second Life ausschließlich um Plagiate. [Iwe07]
Hier können massive juristische Konflikte entstehen. Zum einen können sich
Käufer weder auf allgemeine Geschäftsbedingungen, Widerrufsrechte oder Umtauschrechte berufen, noch werden Markenschutzrechte geachtet. So etwas gibt
es in der Welt von Second Life für diese Produkte nicht. Darüber hinaus werden
die Plagiate für virtuelles Geld, das zuvor einmal als reales Geld eingetauscht
worden ist, erworben und somit Umsätze generiert. Verständlich, dass eine Vielzahl an Unternehmen diese Umsätze für sich beanspruchen möchte.
Virtuell erstellte Objekte = geistiges Eigentum?
Problematisch ist allerdings, dass prinzipiell selbst erstellte Inhalte in Second
Life nicht unter das Patentgesetz12 fallen. Es handelt sich schließlich nur um
virtuell existierende Objekte, bestehend aus Vektorensätzen ( Prims“), Skripten
”
und Texturen13 . Verschiedene Arten von Prims, eine sogenannnte Prim Family
10 Hierzu
zählen Marken wie FriendScout24 oder Mazda
zählen Marken wie Reebok, Adidas und Sony BMG
12 § 1 PatG
13 Bei Primitives (Prims) handelt es sich um die Grundformen geometrischer Körper. Kugeln, Quader, Zylinder, Kegel und weitere Formen zählen zu dieser Gruppe. In Second Life ist
es möglich über diverse Einstellungen das Aussehen und die Größe dieser Prims zu verändern.
Die Parameter, die verändert werden können sind unter anderem die Abmessungen (Länge,
Breite, Höhe), Transparenz, Aushölung und weitere. Second Life bietet die Möglichkeit solche
Prims einerseits zu erstellen und andererseits auch miteinander zu kombinieren um größere
Objekte mit komplexen Details zu erschaffen. [Sec08] Programme, die in Skriptsprachen geschrieben sind, werden auch Skripte genannt. Üblicherweise liegen diese Programme in ihrer
Rohform in Skriptsprache vor um leichter editiert werden zu können. [Wik08e] - Textur ist
ein Begriff aus der Computergrafik und bezeichnet die grafische Darstellung der Oberfläche
11 Hierzu
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
25
zeigt beispielhaft Abbildung 1.7 .
Abbildung 1.7: Prim Family
Es ist auch ganz klar zu unterscheiden zwischen dem privaten Gebrauch von
Markennamen und folglich den zugehörigen Produkten14 und dem kommerziellen Vertrieb solcher virtuellen Produkte in Second Life. Solange ein Nutzer
solche Markennamen, Markenlogos, bestimmte akustische Signale oder ähnliches nur für seinen Privatgebrauch nutzt, macht er sich in Second Life vor dem
Gesetz nicht strafbar.
Sobald ein Nutzer kommerziell aktiv wird und mit Plagiaten Umsätze erwirtschaftet, also virtuelles Geld in Form von Linden Dollar verdient, liegt ein Fall
von Urheberrechtsverletzung vor. Solche Betreiber könnten vom Markenträger
auf Schadensersatz verklagt werden. Käme es zur Verurteilung, so wäre Schadensersatz in Höhe der doppelten Lizenzkosten15 fällig. Im schlimmsten Fall
könnte ein Angeklagter von einem deutschen Gericht mit bis zu drei Jahren
Freiheitsstrafe verurteilt werden.
Einen Sonderstatus nehmen in diesem Kontext die Immobilien ein. In Second Life ist es durchaus legitim, ein Gebäude, wie z.B den Dubai Tower, originalgetreu
nachzubauen. Im juristischen Sinne handelt es sich nicht um einen konkreten
Nachbau des Originalgebäudes, sondern nur um eine dreidimensionale Darsteleines dreidimensionalen Körpers. Texturen sind also quasi wie die Haut eines dreidimensionalen Körpers zu verstehen. Sie können beliebig verändert werden und mit einer Reihe von
Effekten versehen werden (z.B. Glanz oder Unebenheiten) um eine realistischere Darstellung
zu ermöglichen. [Wik08f]
14 Gemeint wäre hiermit zum Beispiel die Verwendung des Logos Coca Cola auf einem
Kleidungsstück für den eigenen Second Life Avatar.
15 Entspricht dem Betrag, der fällig gewesen wäre wenn man eine Handelslizenz für diese
Marken erworben hätte.
26Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
lung. Die zugrunde liegende Panoramafreiheit16 würde hier juristisch nicht verletzt.
Virtuell erstellte Gebäude dürfen hingegen nicht einfach 1:1 in die Realität umgesetzt werden. Würde also jemand ein nur in Second Life existentes Gebäude
eines fremden Nutzers nachbauen, ohne dessen Erlaubnis dafür zu besitzen, besteht ein Fall von Diebstahl geistigen Eigentums. Dies begründet sich darauf,
dass Second Life Gebäude keine öffentlich immobilen Gegenstände sind. Screenshots sind aber legal und dürfen vervielfältigt werden.
Das virtuelle Leben“ in Second Life entscheidet sich deutlich von der Realität.
”
Folglich könnte man annehmen, dass wenn es zu rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Usern untereinander oder Betreibern und den Usern kommt, dass
diese Konflikte auch vor virtuellen Gerichten verhandelt werden könnten.
Dies ist jedoch nicht der Fall, einige Praxisbeispiele belegen, dass ein kleiner
virtueller Betrug schnell zum bitteren Ernst im wahren Leben werden kann.
Plagiat eines virtuellen Sexspielzeugs
Second Life ist als Handelsplattform sehr beliebt. Gewisse Inhalte sexueller Natur begünstigen den boomenden Handel mit virtuellem Sexspielzeug und ähnlichem. Kevin Alderman, Betreiber eines offiziellen Second Life Sexshops mit dem
Namen Eros LLC, bot unter anderem sein Produkt SexGen17 für 12.000 Linden
Dollar, was in etwa 45 echten amerikanischen Dollar entspricht, zum Verkauf
in der Online-Welt an. Dargestellt ist das SexGen in Abbildung 3. Durch das
kommerzielle Auftreten des Konkurrenten Volkov Cattaneo mit Plagiaten dieses
SexGen fühlte sich Alderman um sein geistiges Eigentum betrogen und forderte
Schadensersatz.
Das Erstellen von Plagiaten wurde nur dadurch möglich, dass Volkov und seine
Komplizen eine Technik entwickelten, die einen Systemcrash auf dem Linden
Lab Server hervorrufen konnte. Im Falle eines solchen Crashs stellt das Second
Life System einen Zeitpunkt kurz vor dem Absturz wieder her. Entfernt man
aus dem Account, der den Crash verursacht hat, eines der Objekte der Begierde
kurz bevor die Wiederherstellung, der sogenannte Rollback einsetzt, erzeugt
das System eine exakte Kopie. Hat man ein Objekt verdoppelt, kann man beim
nächsten Mal beide Objekte verdoppeln und kann so letztendlich mit geringem
Aufwand eine Vielzahl an Plagiaten herstellen.
Insbesondere die Dumping-Preise des Plagiathändlers machten dem virtuellen
Sexshopbetreiber zu schaffen. So wurde das SexGen Plagiat für nur 4.000 Linden Dollar verkauft. Laut eigenen Angaben hatte Alderman zuvor bereits in
Summe ca. 100.000 Exemplare seines SexGen absetzen können. Erinnert man
sich an den echten“ Verkaufspreis von ca. 45US$, so handelt es sich schon um
”
16 §
59 UrhG
handelte es sich um ein besonderes virtuelles Bett mit einigen Extras, insbesondere
in Form von sexuellen Animationen für den Avatar.
17 Hierbei
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
27
ein sehr beachtliches Umsatzvolumen. Abbildung 1.8 zeigt das verkaufsfertige
Produkt Sex Gen im Original, wie es bei Eros LLC im Shop zu erwerben ist. Bei
dem Plagiat des Users Volkov Cattaneo handelte es sich um eine exakte Kopie
hiervon.
Abbildung 1.8: Das virtuelle Bett SexGen
1.6.2
Rechtliche Konsequenzen und Auswirkungen
Infolgedessen erhob Alderman Anklage wegen Verletzungen gegen das Markenrecht und Copyright. Die Klageschrift lautete Eros LLC vs John Doe“ . John
”
Doe wird immer dann als synonym verwandt, wenn der wahre Name des Angeklagten nicht bekannt ist. Volkov Cattaneo behauptet bis zum Zeitpunkt der
Anklage, nur 50 SexGen Betten abgesetzt zu haben.
Etwas merkwürdig erscheint, dass der Kläger die Anklage nicht gegen eine reale
Person, sondern gegen einen sogenannten Avatar erhoben hatte. Dieser Avatar
Volkov Catteneo“ kann natürlich nicht als elementarer Teil einer realen Ge”
richtsverhandlung angesehen werden. Folglich wurde Linden Lab um die Herausgabe der persönlichen Daten des Users hinter Volkov Catteneo gebeten. Auch
die Herausgabe von Paypal Transaktionen wurde gefordert. Unglücklicherweise
besitzt Linden Lab zumindest laut Angaben der Person hinter Volkov Catteneo
diesbezüglich keine genaueren persönlichen Daten. In einem Interview mit der
Nachrichtenagentur Reuters behauptete Volkov Catteneo, er habe weder virtuell
noch im realen Leben eine feste Adresse.
Nach viermonatiger Suche konnten jedoch der Name und feste Wohnsitz der
realen Person hinter Volkov Cattaneo festgestellt werden. Nach Einsicht in die
Logdaten von Linden Lab sowie Paypal konnte die Adresse über AT&T sowie
Charter Communications ermittelt werden. So wurde der 19 jährige Robert
Leatherwood, wohnhaft in North Richland Hills, Texas als der Besitzer dieses
Avatars identifiziert. Er bestreitet jedoch jegliche Anschuldigungen und bleibt
bis dato unbestraft. [Reu07a]
28Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
Verurteilung wegen virtueller Piraterie
Diesem bereits bis dato äußerst ungewöhnlichen Fall sollten allerdings noch einige direkte Nachfolger beschert werden. So reichten laut Bericht der Washington Post 6 in Second Life aktive Unternehmen eine Klage gegen insgesamt elf
verdächtige Nutzer der Online Plattform vor einem New Yorker Gericht ein.
Allen voran als Klageführer schritt wieder Eros LLC. Ein realer US Bürger mit
dem zugehörigen Second Life Avatar Rase Kenzo“ ist genauso angeklagt wie
”
zehn weitere Nutzer, deren wahre Identitäten jedoch ungeklärt sind. Die Anklage lautete auf Urheberrechtsverletzung, Markenfälschung sowie unlauteren
Wettbewerb.
Rase Kenzo“ , der mit bürgerlichem Namen Thomas Simon heißt wurde letzt”
endlich zu einer Geldstrafe von 525US$ verurteilt. Genau genommen handelt
es sich jedoch hierbei nur um eine Abmachung zwischen den beiden Klägerparteien, um den Rechtsstreit zu beenden. In der Anklage Eros LLC vs Thomas
”
Simon“ wurde zuerst ein Schadensersatz in Höhe von 7.000US$ gefordert. Thomas Simon war sich laut eigenen Angaben ziemlich sicher, dass die Firma Eros
gegen ihn nichts in der Hand haben könne, da sonst die geforderte Summe deutlich höher gewesen wäre. Der Betrag von 525US$ entspricht nur dem Gewinn,
den Thomas Simon durch den Verkauf einiger Plagiate erwirtschaften konnte.
Sämtliche eigene Prozess- und Anwaltskosten fielen auf Eros LLC zurück. Daher
sieht Simon den Prozeß eher als Niederlage für die Firma an, obwohl Eros LLC
ganz klar von einem Sieg spricht. [Reu07b]
Zusätzlich zu den 525US$ Schadensersatz verpflichtete sich Thomas Simon, einige Auflagen zu erfüllen. Diese sind in der Urteilsverkündung [Uni07] aufgelistet.
Simon leistete einen gerichtlichen Eid, dass er nicht mehr als 525US$ an den Plagiaten verdient hat und außerdem keine weiteren Personen in den Fall verstrickt
waren. Er verpflichtete sich sämtliche noch bestehenden Plagiate zu vernichten.
Zusätzlich hat er den Anwälten des Klägers Einsicht in die finanziellen Transaktionen über Second Life sowie Paypal zu gewähren. Zuletzt verpflichtet sich
Simon dazu über jeden alt“ 18 , also über jeden weiteren Second Life Charak”
ter neben seinem Hauptavatar, den er erstellt und nutzt, bei der Klägerpartei
Bericht zu erstatten. Unter diesen Umständen sei es laut Aussagen von Thomas
Simon ungewiss, ob er weiter in Second Life aktiv sein werde. [Dur07a]
In dem Fall Eros LLC vs Thomas Simon“ handelt es sich um den ersten staat”
lich anerkannten Fall mit virtuellem Eigentum als Anklagegrund.
Linden Lab löscht Inhalte
Betreiber Linden Lab distanziert sich geschickt von diesen Vorgehen. Auf der
Online Plattform überlässt der Betreiber die Urheberrechte den Nutzern selbst
und greift bisher nicht selbst in das Geschehen ein. Der Umgang mit Urhe18 Dies ist ein übliches Phänomen in Second Life. So erstellen sich einige User alternative
Charaktere, um z.B. den eigenen Ruf in Second Life zu überprüfen oder gänzlich andere
Aufgaben zu übernehmen.
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
29
berrechten liegt somit nur bei den Nutzern. Unter diesen Umständen wäre das
Handeln der angeklagten Nutzer als völlig legal anzusehen. Die damit erwirtschafteten Gewinne dürften somit einbehalten werden. Allerdings könnten solche
Gerichtsfälle Folgen haben, die Linden Lab dazu bewegen könnten, zukünftig in
ähnlichen Fällen selbst einzugreifen.
Im Juni 2007 ergriff Linden Lab jedoch eine überraschende Maßnahme. Ohne
eine vorherige Ankündigung der betroffenen Nutzer von Second Life wurden
verdächtige Piraterieprodukte aus der Second Life Welt gelöscht. Grund hierfür
waren Verstöße gegen das DMCA19 , ein Gesetz der Vereinigten Staaten von
Amerika. Das DMCA erweitert die Rechte von Urheberrechtsinhabern unter
dem Gesichtspunkt der Möglichkeiten digitaler Reproduktion. Unter anderem
werden Urheberrechtsverletzungen über das Internet hierdurch stärker bestraft.
Es existieren Unternehmen, die sogenannte Bots herstellen, die das Internet,
oder z.B. auch eine Plattform wie Second Life nach verdächtigen Inhalten durchsuchen. Umstritten ist, dass falls ein verdächtiger Nutzer gefunden wird, dies
Grund genug ist seinen Account zu sperren, bzw. ihm den Zutritt zu den möglicherweise illegalen Inhalten zu verwehren. Als Reaktion darauf haben es sich
einige Programmierer zur Aufgabe gemacht, selbst Bots zu entwerfen, die soviel
nutzlose Daten in Form von verdächtigen Dateinamen erzeugen, dass die Bots
zum Ausspionieren nutzlos werden. [Cbs07]
Einige Second Life Nutzer gaben an, dass sie ein legales SexGen besessen hätten,
oder dass gar völlig andere Inhalte aus ihrem Account gelöscht wurden. [Reu08]
Auch die Klägerseite ist mit den Maßnahmen die durch DMCA und Linden Lab
ergriffen wurden nicht zufrieden. In beiden bereits oben angesprochenen Anklagefällen gegen Thomas Simon sowie Volkov Cattaneo wurde Linden Lab darum
gebeten, das DMCA geltend zu machen. Obwohl Linden Lab ausdrücklich dazu auffordert, dass solche Urheberrechtsverstöße auf diesem Wege behandelt
werden sollen, blieben beide Anfragen von Eros LLC ohne Reaktion. Letztendlich kam es nur zu oben angesprochener Entfernung verdächtiger Inhalte, die
schätzungsweise relativ wahllos über Bots vorgenommen worden ist. [Reu07]
Zumindest ist kein Ende dieses Trends abzusehen. Folglich wird der Druck auf
Linden Lab wachsen, die Gerichtsfälle werden sich häufen und letztendlich könnte eine grundlegende Anpassung der AGBs oder der kompletten Spielwelt die
Folge sein.
1.7
Pornographische Inhalte in Second Life
1.7.1
Entwicklungen und Vorfälle in Second Life
Wie bereits zuvor erwähnt, wächst die Zahl angebotener sexueller Inhalte in
Second Life. Jedem Second Life Nutzer ist es möglich, völlig frei mit ande19 Digital
Millenium Copyright Act, aufgesetzt 1996
30Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
ren Nutzern zu diskutieren. Sexuelle Inhalte, z.B. Animationen für den eigenen
Avatar, können problemlos gegen eine bestimmte Summe Linden Dollar erworben werden. Darüber hinaus gibt es regelrechte Treffpunkte, die nur bestehen,
um virtuellen Sex mit anderen Avataren auszuüben.
Erinnert man sich nun zurück an die AGBs von Linden Lab für Second Life, so liegen die kritischen Berührungspunkte fast schon auf der Hand. Linden
Lab ermöglicht den Zugang zur Second Life Welt ab 13 Jahren, weitere Einschränkungen gibt es nicht. Zwar wird 13-17jährigen nur ein Zugang zu einer
kleinen Nebenplattform, dem Teens Second Life“ gewährt, aber es findet in
”
keinster weise eine reliable Altersprüfung statt. Das heißt im Klartext, dass es
für ein 13 jähriges Mädchen oder einen gleichaltrigen Jungen problemlos möglich
wäre, mit anderen Nutzern Dialoge über sexuelle Praktiken durchzuführen oder
sogar virtuellen Sex zu haben.
Virtueller Sex, Kinderpornographie und Sodomie
Die Darstellung der Second Life-Welt ist zwar weit entfernt vom Fotorealismus, jedoch können Animationen oder Darstellungen ziemlich eindeutig als das
identifiziert werden, was sie darstellen sollen. Zusätzlich bietet Second Life die
Möglichkeit, einen Avatar zu erstellen, der ein Kind ist. Second Life könnte somit als Plattform für Pädophile fungieren, die sich Zusatzpakete für virtuellen
Sex herunterladen, um diesen dann mit kindlichen Second Life Avataren auszuüben. Da es unklar ist, wer genau hinter einem Avatar im Real-Life steckt
könnte es auch durchaus der Fall sein, dass eine erwachsene Person einen kindlichen Avatar erschafft und ihn in Second Life benutzt. Ein umgekehrtes Szenario
ist jedoch auch denkbar, da eine minderjährige Person sich relativ einfach einen
erwachsenen Second Life Avatar erschaffen kann.
Ein weiterer kritischer Punkt ist, dass Second Life die Möglichkeit bietet, tierhafte Avatare zu erstellen. So können Nutzer zum Beispiel einen Fuchs als Avatar
wählen. Kaufen sich Nutzer dazu ein Paket für sexuelle Inhalte, ist es möglich,
dass z.B. zwei Füchse miteinander Sex haben oder menschliche Avatare mit tierhaften. Hier ist der Handlungsbedarf im Vergleich zur Kinderpornographie zwar
eher als gering einzuschätzen, aber Linden Lab könnte hier wiederum ins Kreuzfeuer geraten. Sodomie ist zwar generell nicht strafbar, aber doch als sehr kontrovers anzusehen. Wie weitreichend die Folgen oder Konflikte sind, die durch
virtuelle Sodomie entstehen, ist fraglich, aber Konsequenzen rechtlicher Art sind
sicherlich auch hier nicht ausgeschlossen. Wie so ein virtueller Akt mit Tiercharakteren in Second Life aussehen kann, zeigt die Abbildung 1.9. [Mro07]
Hier sind reichlich Berührungspunkte für Diskussionen und auch Rechtsstreitigkeiten entstanden. Im realen Leben werden Pädophile mit Freiheitsentzug
bestraft und gesellschaftlich verabscheut. Die Frage drängt sich auf, inwieweit
virtuelle Pädophilie im Vergleich zur Realität einzustufen ist, und warum der
Betreiber Linden Lab solche Praktiken überhaupt in Second Life zulässt. Sollten Nutzer, die sich solcher virtueller Praktiken bedienen, vor Gericht gestellt
und bestraft werden? Hinzu kommt das Problem der Altersprüfung, die in Se-
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
31
Abbildung 1.9: Zwei Tiercharaktere beim virtuellen Sex
cond Life nur sehr dilettantisch abläuft. Linden Lab räumt den Nutzern seiner
Plattform größtmögliche Freiheit bei der Gestaltung ihres virtuellen zweiten
”
Lebens“ ein. Ein hieraus resultierender positiver Effekt ist, dass sich die Second
Life Welt kreativer entwickeln kann. Das virtuelle Leben wird nur durch wenige technische Restriktionen eingeschränkt. Stellt man sich jedoch das fiktive
Szenario eines z.B. 45-jährigen Mannes vor, der einem adult wirkenden Second
Life Charakter von seinen sexuellen Vorlieben und Wünschen berichtet, und
in Wirklichkeit mit einem 14-jährigen Mädchen kommuniziert, welches sexuell
absolut unerfahren ist, kann solche Freiheit als großes Problemfeld angesehen
werden.
Linden Lab wollte immer weitgehend unbeteiligt an den Vorgehen auf der eigenen Plattform bleiben, aber die Konflikte häuften sich und letztendlich gingen
einige Fälle sogar vor Gericht. Darauf wird im folgenden Abschnitt eingegangen.
1.7.2
Rechtliche Konsequenzen und Auswirkungen
Besonders die Vertreibung von Kinderpornographie über Second Life führte zu
negativer Presse. Virtuelle Kinderpornographie, also der virtuelle Sex mit kindlich aussehenden Avataren, ist als Kinderpornographie anzusehen und verstößt
gegen das deutsche Gesetz. Die BPjM20 hatte darauf hingewiesen. Ermittlungen
wurden durch die Landeskriminalämter gegenüber Linden Lab vorgenommen.
Auch der Verkauf pornographischer Inhalte an minderjährige Nutzer über Second Life ist strafbar.
Rein rechtlich ist es so, dass wer pornographische Schriften Personen unter 18
Jahren in irgendeiner Form zugänglich macht, sich strafbar macht. Unter Schriften fallen sowohl Bücher, Videos, Tonträger als auch die hier interessanteren
Online-Inhalte in Form von grafischen Animationen. Das Strafmaß reicht hier
20 Bundesprüfstelle
für jugendgefährdende Medien
32Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
von Geldstrafen bis zu einem Jahr Freiheitsentzug.
In Bremen kam es zu einer Hausdurchsuchung, da im Rahmen der Ermittlungen
zur Kinderpornographie ein Mann auffällig geworden war. Seine Festplatte wurde sichergestellt. Der Beschuldigte hatte zwar versucht die komplette Festplatte
und somit auch alle enthaltenen pornographischen Inhalten zu löschen, aber die
Kriminalpolizei konnte sämtliche Daten wiederherstellen. [Dpa07]
Auch in den Niederlanden ermittelte die Staatsanwaltschaft in Den Haag gegen
die Urheber virtueller Kinderpornographie in Second Life. Zu klären war die
Frage, ob virtueller Sex mit kindlich aussehenden Avataren strafbar ist und wenn
ja, in welchem Ausmaß. Kritiker sehen in dem Verbot solcher virtueller Abläufe
ein Beschneidung der Freiheit der Kunst. Jedoch muss die Staatsanwaltschaft
unter anderem die Frage klären, ob virtuell simulierte Straftaten reale Pendants
stimulieren können. [Ott07a]
Rein rechtlich sieht es zumindest in Deutschland so aus, dass Kinderpornographie egal welcher Art strafbar ist. Ein Auszug aus dem Gesetzestext verdeutlicht
dies.
§184b Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften
(1) Wer pornographische Schriften (§11 Abs. 3), die den sexuellen Missbrauch
von Kindern (§§176 bis 176b) zum Gegenstand haben (kinderpornographische
Schriften),
• verbreitet,
• öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder
• herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene
Stücke im Sinne der Nummer 1 oder Nummer 2 zu verwenden oder einem
anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. [Str07]
Sexueller Missbrauch von Kindern liegt genau dann vor, wenn jegliche Art sexueller Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vorgenommen
werden oder vom Kind vorgenommen gelassen wird.
Age Play als Schnittstelle zur Kinderpornographie
Einen Sonderfall nimmt das sogenannte Age Play“ ein. Hier gibt ein Erwachse”
ner Nutzer vor, jünger zu sein als er in Wirklichkeit ist. Dies kann zum Beispiel
dadurch geschehen, dass er sich einen kindlichen Avatar erstellt. Würde es in
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
33
diesem Fall zu sexuellen Handlungen zwischen diesem Avatar und einem erwachsenen Avatar kommen, handelt es sich um keine Straftat. Solches Handeln
klingt zwar moralisch verwerflich, obliegt aber nur dem Gewissen der Beteiligten
erwachsenen Personen.
In genau solch einem Fall des Age Play“ schritt Linden Lab jedoch zur Tat
”
über. Nachdem der deutsche TV-Sender ARD“ Kontakt mit dem Second-Life
”
Betreiber aufgenommen hatte und diesem Bilder von zwei Avataren zukommen
ließ, der eine erwachsen und der andere kindlich, die eindeutig virtuellen Sex
ausübten, sah sich Linden Lab gezwungen die Accounts der beiden deutschen
Personen zu sperren. Es handelte sich hierbei um einen 54 Jahre alten Mann
und eine 27 Jahre alte Frau. Die Accounts der beiden Nutzer wurden gesperrt
und ihre Daten und Identitäten and die zuständigen ermittelnden Behörden herausgegeben. [Ott07] Als Grundlage hierfür dienten die Ermittlungen des ARDPolitik-Magazins Report Mainz“ . Linden Lab deutete kooperatives Handeln
”
an [Kri07], da Kinderpornographie in Second Life nicht geduldet werden könne.
Des weiteren entschuldigten sie sich, die Darstellungen nicht selber entdeckt zu
haben, verwiesen jedoch darauf dass es äußerst schwierig sei dies nachzuforschen.
[Dur07]
Eine sehr eindeutige Position nimmt der Rechtsanwalt Stephan Mathé ein, der
sowohl den oben beschriebenen Zugang minderjähriger zu pornographischen
Schriften in Second Life als verurteilungswürdig ansieht, als auch Sex zwischen
Tier- und Menschavataren als Straftat ansieht. Dazu warnt er Nutzer von Second
Life davor, sich Zugang zu solchen Inhalten in irgendeiner Art zu verschaffen,
da die bloße Anwesenheit solcher Grafikdaten auf dem Heimrechner als Besitz”
verschaffung“ gelte und somit ausreicht um sich schuldig zu machen. [Mro07]
Etwas relativiert werden muss die ganze Diskussion unter dem Aspekt der Realitätsnähe. So bleibt Second Life nach wie vor eine virtuell dargestellte Welt,
deren grafische Darstellung nur sehr entfernt realen Gegebenheiten entspricht.
Ganz besonders auf diesen Aspekt weist die Justiz noch einige klare Lücken
auf. So könnten in den allermeisten Fällen keine Gerichtsverfahren oder Verurteilungen stattfinden, da Voraussetzung für eine Anklage wäre, dass eine reale
Basis vorhanden ist. Könnte ein neutraler Beobachter nicht unterscheiden, dass
es sich in Second Life nicht um eine fiktive Welt, also auch um Fiktivpornographie handelt, wären sämtliche der obig beschriebenen Szenarien zweifellos
strafbar und verurteilungsfähig. Da jedoch der gefühlte Grad an Realismus sehr
subjektiv ist und rechtlich keine argumentationsfähige Grundlage vorhanden ist,
wird es in den meisten Fällen nur“ zu einem Ausschluss aus der Second-Life”
Community kommen. Die Fälle von virtueller Kinderpornographie sind jedoch
etwas kritischer zu sehen, da im selben Zug zu den virtuellen Inhalten auch nicht
selten reale kinderpornograhische Inhalte unter anderem auch über Second Life
in Umlauf gebracht werden.
Genauso erging es dem Reporter Nick Schrader, der Sendung Report Mainz“
”
. Während seiner (virtuellen) Ermittlungen in Second Life entdeckte er eine
Gruppe von Avataren, die für Sex mit kindlichen Avataren Geld in Form von
Linden Dollar bezahlten. Außerdem waren Age Play“ -Gruppen, die den Miss”
brauch von virtuellen Kindern, als Ziel hatten entdeckt worden. Letztendlich
34Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
wurde Herrn Schrader ein Angebot in Second Life unterbreitet, gegen Bezahlung einen virtuellen Raum zu betreten, in dem sowohl virtuelle als auch reale
kinderpornographische Inhalte gezeigt werden sollten.
Traumatherapeut Lutz-Ulrich Besser vom Traumatherapiezentrum Niedersachsen sieht in diesen Befunden massive Probleme. Second Life könnte somit als
Anleitung zu pädophilen Handlungsweisen und sexuellen Verbrechen an Kindern dienen. Der spielerische Umgang mit virtuellem Kindesmissbrauch könnte
dazu führen, dass die Hemmschwelle bei Pädokriminellen sinkt und der Schritt
solche Gräueltaten in die Realität umzusetzen leichter fällt. Wissenschaftlich
erwiesen ist, dass die Hemmschwelle für z.B. solche Taten durch wiederholtes
spielerisches durchführen sinkt. Vermutet wird, dass der sexuelle Missbrauch an
Kindern in besagten Kreisen hundertfach durchgespielt worden sein könnte.
Second Life als Anleitung für sexuelle Gewalt an Kindern kann sicher nicht das
erwünschte Ziel der Online-Community sein. Linden Lab sollte hier klar und
deutlich in die Verantwortung genommen werden. Laut Aussagen von Herrn
Friedemann Schindler, Leiter der Jugendbehörde für das Internet, wäre es ein
leichtes für den Betreiber, einfach die Welt von Second Life insofern einzuschränken, dass virtueller Sex mit Kindern gar nicht möglich wäre. Dies könnte
z.B. durch das Entfernen sämtlicher Animationen und Grafiken, die dafür nötig
sind, geschehen. Linden Lab gab sich zwar erschüttert, nachdem reale kinderpornographische Inhalte in Second-Life nachgewiesen werden konnten, ergriff bis
dato jedoch nur einige wenige Maßnahmen in Bezug auf Altersbeschränkungen,
die bereits obig erwähnt wurden. Ob dies letztendlich ausreichen wird, um das
Problem in den Griff zu bekommen, ist äußerst fraglich.
1.8
Straffälligkeit in Second Life
Wie bereits gesehen bietet die Plattform Second Life Raum genug für rechtliche Auseinandersetzungen. Diesen Auseinandersetzungen, seien es nun Markenfälschungen, Pornograhie oder Betrug, steht übergeordnet noch ein weiteres
Problem. Da Second Life eine weltweit zugängliche virtuelle Welt ist, berühren
sich hier zwangsläufig auch die Rechte verschiedener Nationen. Virtuelles Recht
überschneidet sich mit realem Recht. Dies ist besonders durch die virtuelle
Währung Linden Dollar begründet, die für echtes Geld erworben wird. Rechtskonflikte können auf verschiedensten Ebenen erfolgen, da die vorherrschenden
Gesetze doch von Staat zu Staat sehr differieren können.
Eingriff des realen Rechts
In Second Life herrschen vorrangig die von Linden Lab aufgestellten Regeln und
Nutzungsbedingungen, allerdings gilt prinzipiell auch das in der Realität festgelegte Recht, abhängig von der jeweiligen Verfassung der betroffenen Nation.
Das deutsche Recht kann lediglich angewendet werden, sobald ein Vorgang in
Second Life mit Deutschland in Verbindung steht oder bei einem Beteiligten
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
35
mit Sitz in Deutschland. [Hof07] Ein eindeutiger Anhaltspunkt für den Bezug
zu Deutschland ist dabei die Sprache, die bei einigen Orten in Second Life, wie
z.B. dem Apfelland oder dem T-Online-Strand, bereits durch Ausschilderungen
und Hinweise existiert.
Aufgrund der Tatsache, dass Linden Dollar in real existierendes Geld getauscht
werden kann, kommt es bei allen Käufen von Gegenständen und Grundstücken
in Second Life zu einem Rechtsgeschäft in der realen Welt. Juristisch gesehen
ist der Kauf eines virtuellen Autos oder Hauses jedoch kein Sachkauf, sondern
lediglich ein Rechtskauf, da der Käufer keinen realen, greifbaren Gegenstand
erhält. Beim Kauf eines in der virtuellen Welt befindlichen Gegenstandes erhält
der Käufer mit dem Kauf nur das Recht diesen Gegenstand in dieser Welt zu
nutzen, da dieser nicht auf die wirkliche Welt übertragbar ist.
Ein weiteres Beispiel bezogen auf deutsches Recht wäre also der Diebstahl virtueller Güter. Laut deutschem Recht kann es sich hierbei nicht um einen wirklichen
Diebstahl handeln, da es sich um eine greifbare Sache handeln muss, die eine
Person einer anderen entwendet. Selbstverständlich sind z.B. virtuelle Autos,
Grundstücke oder Textilien keine konkreten Sachen. Da aber in Second Life
mit Linden Dollar gehandelt wird, die ursprünglich für echtes Geld erworben
wurden, handelt es sich durchaus um Eigentum des jeweiligen Nutzers. Das bestehende Recht sollte hier noch um Zusätze für virtuelle Gegenstände erweitert
werden. Dies ist auch eine Empfehlung, die der auf virtuelle Angelegenheiten
spezialisierte Rechtsanwalt Andreas Lober trifft. Komplett neue Gesetze würden
laut ihm die Sache nur unnötig verkomplizieren und vor allem auch dafür sorgen,
dass der Überblick bei den Nutzern verloren geht. Eine sinnvolle Erweiterung
bestehender Gesetze jedoch könnte den Effekt erzielen, dass ein Bewusstsein
für Recht und Unrecht in virtuellen (Online-) Welten bei deren Nutzern eher
erreicht wird. [Ver07]
Rechte und Pflichten von Unternehmen
Für Unternehmen ist Second Life eine gute Gelegenheit, ihre Produkte und
Dienstleistungen und sich selbst als modern und dynamisch darzustellen und
somit günstig Werbung zu betreiben. Die Unternehmen müssen bei ihren Tätigkeiten in der virtuellen Welt die geltenden Regeln einhalten und sich der möglichen rechtlichen Konsequenzen bewusst sein, welches ihr Handeln nach sich
ziehen kann.
Am Beispiel des T-Online-Strandes erkennt man, dass Einhaltung des geltenden
Rechts nicht immer einfach ist. Denn hier wird Sicherheitspersonal beschäftigt,
das für Recht und Ordnung sorgen soll, was lediglich von normalen Nutzern
ausgeführt wird. Die Nutzer haben diesen Job innerhalb von Second Life angenommen und es werden also nur die Avatare von der Telekom angestellt. Hierbei
ist allerdings fraglich, ob dies genügt, um Haftungsrisiken auszuschließen.
Ein Untenehmen ist jedoch nicht davor gefeilt, wegen rechtswidriger Aktivitäten
auf ihren Grundstücken zur Verantwortung gezogen zu werden.
36Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
Bei Unterlassungsaktivitäten aufgrund von Urheberrechts- oder Markenverletzungen muss man jedoch unterscheiden ob sich das Unternehmen verpflichtet
hatte, seinen Verantwortungsbereich zu überwachen und bei Bedarf einzugreifen.
Wie bereits zuvor angesprochen sind Untenehmen in Second Life mit ihren Produkten oder ihrem Logo vertreten ohne davon zu wissen. Linden Lab ignoriert
entsprechende Hinweise auf mögliche Markenfälschungen bislang. Da Second
Life jedoch auch in Deutschland genutzt wird, haftet der Betreiber der virtuellen Welt, falls er konkrete Hinweise nicht beachtet und eine Entfernung der
Fälschung innerhalb eines gewissen Zeitraumes unterlässt. Allerdings würden
bei der Anklage des Betreibers in Deutschland einige Schwierigkeiten auftreten und so wäre es für Unternehmen empfehlenswert, sich einen international
gültigen Rechtsschutz zu beschaffen.
Unternehmen und auch Shops in Second Life sind gemäß des Telemediengesetzes
§5 Absatz 1 verpflichtet über ein Impressum zu verfügen. Bislang ist dieser
Pflicht aufgrund von Schwierigkeiten bei der Bereitstellung und der geforderten
unmittelbaren Erreichbarkeit des Impressums jedoch kaum ein Unternehmen
oder virtuelles Geschäft nachgekommen. [Nel07]
Bietet ein virtuelles Geschäft Produkte an, die auch in der realen Welt genutzt
werden können, wie zum Beispiel Musik, dann ist es nach dem Bürgerlichen
Gesetzbuch seine Pflicht, den Käufer über Widerrufs- und Rückgaberechte zu
informieren. Dies gilt vor allem, wenn ein deutscher Nutzer bei dem Geschäft
einkauft. Hier greift dann unmittelbar die deutsche Rechtsgebung.
Der Jugendschutz spielt in einer Welt wie Second Life, in der auch Inhalte
pornographischer Natur vorkommen, eine wichtige Rolle. Linden Lab hat eine
Altersgrenze von 18 Jahren der Teilnehmer festgelegt, wobei das Alter bei neuen oder bestehenden Nutzern aber nicht wirksam überprüft wird. Solange der
Betreiber seine Dienste auch in Deutschland anbietet, besteht für ihn jedoch
die Pflicht, Vorkehrungen zu treffen, dass Minderjährige nicht an Inhalte gelangen können, die für sie noch nicht geeignet sind. Es tauchen auch immer öfter
pornographische Darstellungen in Second Life auf in denen Geschlechtsverkehr
mit kindlichen Avataren stattfindet. Aufgrund solcher Vorkommnisse ermitteln
bereits die Landeskriminalämter, denn diese Art von Pornographie wird von der
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) wegen der Teilnahme
von Kinderavataren als Kinderpornographie bezeichnet. Die Kinderpornographie in Second Life ist ebenso strafbar wie das Vertreiben pornographischer
Inhalte in der virtuellen Welt an Minderjährige. Jugendschutz ist jedoch auch
eine Sache, die von Land zu Land verschieden gehandhabt wird, auch hier bieten
sich wieder Konfliktpotentiale, wobei kinderpornographische Darstellungen hier
klar ausgeklammert werden müssen, da sie generell nicht duldbar sind und sein
dürfen.
In Second Life gibt es einige rechtliche Grauzonen, die noch nicht von den
Behörden entdeckt oder untersucht wurden und nach z.B. deutschem Recht
gar nicht zulässig sein dürften. Linden Lab kann beispielsweise den Wechselkurs
der Second Life-Währung Linden Dollar in US-Dollar festsetzen wie und wann
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
37
sie es für richtig halten. Diese Möglichkeit könnte bei Missbrauch zu einer Inflation führen. Zudem könnte Linden Lab die virtuelle Welt jederzeit schließen
und es könnte dazukommen, dass Second Life kollabiert und so zahlungsunfähig
wird. Da es keine Absicherung für das bereits geflossene Geld gibt, würden die
Nutzer ihr vorhandenes Vermögen in Second Life verlieren. Es wäre also nötig,
die virtuelle Welt von der Finanzaufsicht untersuchen lassen.
In Second Life existiert bislang noch kein Versicherungssektor, der Versicherungen für Handelsgeschäfte innerhalb der virtuellen Welt anbietet und so eine
zusätzliche Sicherheit für die Nutzer bringen würde. Für die Versicherungen wäre
das Risiko allerdings enorm. Trotzdem handelt es sich um einen möglicherweise
interessanten Sektor für die Zukunft.
Notwendigkeit konkreter generalisierter Regelungen
Betrachtet man das Beispiel des Holocaust Denial Case
”
grqq [Str07a] aus Australien, dürfte schnell klar werden, wieso es sinnvoll ist, dieses Problem auch für Second Life zu thematisieren. Im gerade angesprochenen
Beispiel leugnete ein Australier den Holocaust auf den Inhalten seiner Homepage. Er wurde von einem deutschen Gericht dafür belangt, da auch deutsche
Nutzer Zugriff auf diese Inhalte hatten. So oder in ähnlicher Form wäre ein
Szenario auch in Linden Lab virtueller Welt denkbar. Second Life lässt dem
Nutzer ja wie bereits zuvor angesprochen völlige Gestaltungsfreiheit in Bezug
auf Avatar und Spielumgebung.
Second Life bietet neuen Usern Infohubs als Hilfestellung zur Orientierung in
der Spielumgebung. Solche Infohubs werden des öfteren zur Schaustätte kurioser
Geschehnisse. Abbildung 1.10 zeigt eine mögliche Variante eines Infohubs. Auch
hier sind der Kreativität der Nutzer keine Grenzen gesetzt.
Aus dem Nichts tauchten zum Beispiel zwei Avatare in dunklen Nazi-Uniformen
mit Mantel, Schärpe und Armbinde auf. Nachdem sie ihre Pistolen gezogen
hatten sangen sie Parolen in englisch wie Ich liebe Adolf Hitler“ und Juden
”
”
müssen sterben“ , also ganz klar verfassungsfeindliche Aussagen. Da jedoch
Linden Lab auch hier durch observatorische Abwesenheit glänzt bleiben Taten
wie diese unbestraft. [Tom07]
Idealerweise sollte Linden Lab also die angebotenen Inhalte an alle Verfassungen
der Staaten anpassen, in denen Second Life erhältlich ist. Der Aufwand wäre
logischerweise immens und wahrscheinlich kaum durchführbar, also könnte man
annehmen dass geschickte Kompromisslösungen der Schlüssel zum Erfolg sein
mögen. Trotzdem könnte die Unsicherheit welches Recht wann anzuwenden ist
durch gesetzliche Regelungen für virtuelle Welten deutlich reduziert werden.
Peter Fleissner, ein Wissenschaftler am International Center for Information
Ethics (ICIE), hat bereits ein Gesetzeswerk für mehr Rechtssicherheit in globalen virtuellen Welt mit Grundgesetzen entworfen. Bislang ist es zweifelhaft,
ob diese Idee auch verwirklicht wird, da diese Angelegenheit international be-
38Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
Abbildung 1.10: Ein Infohub in Second Life
arbeitet werden sollte, um die länderspezifischen Gesetze und Meinungen mit
einzubeziehen. [Nel07]
Es wäre empfehlenswert, dass Linden Lab ihre internationale Zusammenarbeit
bezogen auf Ausführung von Entscheidungen und den Datenfluss zur internationalen Kriminalitätsbekämpfung verbessert bevor Gesetze für Second Life entwickelt werden.
1.9
Fazit
Wie bereits im ersten Kapitel gezeigt wurde ist Second Life eine große, offene,
virtuelle Welt. Sowohl die Wahl des Charakters und die Handlungen, die der Anwender in dieser Welt durchführt obliegen im Wesentlichen nur dem Benutzer.
Sicherlich sind dem Anwender hier auch einige Grenzen grafischer Natur sowie
in Bezug auf direkte Interaktivität gesetzt, jedoch bestehen zahlreiche Möglichkeiten die Welt von Second Life um neue Inhalte zu erweitern und diese frei zu
gestalten. Eine künstlerisch freie, verspielte und sich selbst überlassene Welt ist
auch das was sich Linden Lab vom Projekt Second Life verspricht. Bewusst weit
gefaßt sind die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Betreiberfirma um den
Nutzern die größtmögliche Freiheit zu gewähren und um sich möglicherweise
auch der Verantwortung in Konfliktfällen entziehen zu können.
Linden Lab bietet laut eigenen Aussagen Second Life nur als Service an und
überträgt die Haftung für den Umgang mit jeglichen urheberrechtlich geschützten Inhalten auf die Nutzer. Weitere Punkte wie die Kontrolle des Wechselkurses
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
39
für Linden Dollar, die eher sporadische Handhabung des Jugendschutzes oder
der Entzug aus der Haftung für Serverausfälle oder -verzögerungen sind ebenfalls
als kritisch anzusehen. Eine Welt in der verschiedenste Individuen, Nationen,
Kulturen und Interessengruppen aufeinandertreffen bietet zum einen sicherlich
große Vielfalt, kann jedoch auch Konfliktpotenziale bergen. Durch die sehr distanzierte Haltung der Firma Linden Lab ist es nicht weiter verwunderlich, dass
es bereits zu einer Vielzahl rechtlicher Konflikte und in einigen Fällen auch zu
rechtlichen Konsequenzen gekommen ist.
Die Gier mancher Nutzer, sich an den Besitztümern anderer zu bereichern, führte bereits zu einer beachtlichen Zahl von Betrugsfällen. Falsche Zinsversprechen
im virtuellen Bankenbetrug und der Fall eines Grundstücksbetrügers, der sich
mithilfe eines Tools zum Verkauf angebotene virtuelle Grundstücke weit unter eigentlichem Verkaufswert aneignete, sind Beispiele hierfür. Dadurch, dass
die Second Life Währung Linden Dollar gegen reales Geld eingetauscht werden muss, entsteht so zumindest auch indirekt ein realer Verlust. So wurde
im Beispiel des Grundstücksbetruges der Fall zumindest einem realen Gericht
vorgetragen, jedoch ist unbekannt wie dieser Rechtsstreit endete. Fehler in der
Second Life Software sowie fehlende Regeln begünstigen solche Vorfälle. Auch
wenn Linden Lab weiter distanziert bleibt, ist zumindest eine Zulassungsbeschränkung für Banken in Second Life erlassen worden. Viele Nutzer stört die
Distanziertheit und die letztendlich doch alleinige Macht über Second Life, die
Linden Lab ausübt. In den meisten Fällen kommt es wohl aus Frustration der
Nutzer zu beschriebenen Fällen wie dem virtuellen Terror, oder Verseuchungsversuchen über Computerwürmer.
Weitere Probleme ergeben sich durch virtuelle Plagiate in Second Life. Viele
bekannte Marken besitzen offizielle Lizenzen für Second Life und betreiben z.B.
virtuelle Shops, jedoch noch größer ist die Zahl der Marken, die zwar in Second
Life vertreten sind, jedoch dies ohne Wissen der Markeninhaber abläuft. Neben
der einfachen Existenz von Marken in Second Life kam es auch zu Fällen von
kommerzieller Produktpiraterie. Der Anbieter Eros LLC ging vor Gericht, da
er sich um sein Eigentum betrogen sah und es kam letztendlich sogar zu einer
Verurteilung. Problematisch ist weiterhin, dass sowohl in Second Life wie auch
in den meisten Verfassungen der Umgang mit Urheberrechten für solche Inhalte
teilweise gar nicht geklärt ist oder nur sehr unscharf beschrieben ist. Betreiber
Linden Lab ergriff Maßnahmen in Form von Löschungen bestimmter plagiatverdächtiger Inhalte. Letztendlich wurden dabei jedoch auch Inhalte entfernt
bei denen es sich nicht um Plagiate handelte. Mittlerweile gibt es Bots die die
virtuelle Welt nach Plagiaten durchsuchen, um diese dann effektiver beobachten
und gegebenenfalls entfernen zu können, jedoch versuchen Nutzer, selbst Bots zu
entwerfen, die diese Plagiatscanner verwirren sollen. In Zukunft wäre durchaus
vorstellbar, dass weitere Klagen folgen. Linden Lab wird gezwungen sein, über
kurz oder lang klar strukturierte, präzise und streng formulierte Änderungen
in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bezüglich der Plagiate vorzunehmen.
Von einer zufriedenstellenden Lösung kann aktuell wohl nicht gesprochen werden.
Durch pornographische Inhalte in Second Life wurde wohl der größte öffentliche
Aufschrei verursacht. Zum einen häufen sich generell pornographische Inhalte
40Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
in Second Life, zum anderen wiegen einige Sicherheitslücken in Second Life und
ihre Konsequenzen aber noch weitaus schwerer. Die Aufdeckung eines Treffpunktes für Pädophile in der virtuellen Welt wurde auch von Betreiber Linden Lab
mit Erschrecken aufgenommen. Sowohl virtuelle Kinderpornographie in Form
von Animationen als auch echte kinderpornographische Inhalte wurden dort
angeboten. Die unbemerkte Existenz einer solchen Gruppierung in Second Life
sowie die prinzipielle Möglichkeit z.B. Animationen in Second Life einzubinden
in denen Erwachsene Avatare mit kindlichen Avataren Sex haben, lässt den Betreiber in keinem guten Licht stehen. Zwar zeigte sich Linden Lab in Folge der
Ermittlungen kooperativ, jedoch wartet man bisher weiterhin auf einen verbesserten Jugendschutz, wirksamere Überwachungsmechanismen oder Verbote von
z.B. Age Play. Der Handlungsbedarf kann hier nur als groß bezeichnet werden.
Zusätzlich besteht die über all diese Ausführungen übergeordnete Problematik
der Straffälligkeit in Second Life aufgrund der Überschneidung von Rechten der
virtuellen Welt und verschiedener Länder der realen Welt, in denen die Dienste
von Second Life angeboten werden. Vorrangig stellt Linden Lab die Regeln in
Second Life auf und ergänzend dazu gilt das Recht des jeweiligen Landes, das
mit dem Nutzer, der Sprache oder dem Ort in der virtuellen Welt verbunden
ist. Der Ruf nach einer einheitlichen, rechtlich allgemein akzeptierten Regelung
wurde hier laut. Vorschläge sind bereits erarbeitet worden, jedoch erweist sich
die Umsetzung als sehr schwierig. Wünschenswert wäre eine solche Entwicklung
jedoch durchaus.
Gezeichnet durch Fälle von Betrug, Manipulation, Kinderpornographie und Urheberrechtsverletzung hat die Welt von Second Life schon einiges von ihrem
ursprünglichen Glanz verloren. Viele Wünsche nach Verbesserungen oder eindeutigeren Regelungen stießen bisher beim Betreiber auf taube Ohren. Infolgedessen werden sich wohl auch zukünftig rechtliche Konflikte in Second Life
häufen und den virtuellen Alltag stören. Inwieweit die Popularität und der Ruf
von Second Life darunter in Mitleidenschaft gezogen werden, bleibt abzuwarten.
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Catteneo http://secondlife.reuters.com/stories/2007/10/25/
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Stand: 10.07.2008.
Rechtliche Konsequenzen für Nutzer und Anbieter
43
[Reu07b] Reuters, E.: Settlement reached in Kenzo copyright case
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[Reu08] Reuters, E.: Pirated contend deleted from Second Life
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Rosenfelder, A.: Der Terror ist in der Idealwelt angekommen:
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Dieb erbeutet 30 Euro http://www.spiegel.de/netzwelt/
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Rechtsstreit um virtuellen Sex http://www.spiegel.de/netzwelt/
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44Geldbetrug, Urheberrechtsverletzung, Manipulationsversuche und Pornographie in Second Life
[Ver07]
Verbeet, M.: ONLINE-RECHT: In der Praxis herrscht eher
”
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http://de.wikipedia.org/wiki/Second_Life, Stand: 10.07.2008.
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Stand: 10.07.2008.
[Wik08b] Avatar (Internet) - Wikipedia
http://de.wikipedia.org/wiki/Avatar_(Internet), Stand:
10.07.2008.
[Wik08c] Client - Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Client,
Stand: 17.08.2008.
[Wik08d] Skriptsprache - Wikipedia
http://de.wikipedia.org/wiki/Skriptsprache, Stand:
17.08.2008.
[Wik08e] Ego-Shooter - Wikipedia
http://de.wikipedia.org/wiki/Ego-Shooter, Stand: 17.08.2008.
[Wik08f] Textur (Computergrafik) - Wikipedia
http://de.wikipedia.org/wiki/Textur_(Computergrafik),
Stand: 17.08.2008.
[Wik08g] Blog - Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Blog, Stand:
17.08.2008.
[Wik08h] Computerwurm - Wikipedia
http://de.wikipedia.org/wiki/Computerwurm, Stand: 17.08.2008.
[Wis07] Banken, die keine Banken waren, sind Geschichte in Second Life
http://www.second-life-info.de/sl/
banken-die-keine-banken-waren-sind-geschichte-in-second-life-saxo-bank-setzt
Stand 17.08.2008.
[Zpr07]
ZPR GmbH: Second Life: Rechtsverletzungen nehmen zu
P4M-Studie belegt: 59 Prozent der Marken sind gefälscht
http://www.openpr.de/pdf/143384/
Second-Life-Rechtsverletzungen-nehmen-zu-P4M-Studie-belegt-59-Prozent-der-Ma
pdf, Stand: 10.07.2008.
Thema 2
Massively Multiplayer
Online Roleplaying Games
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand
von World of Warcraft
von Katharina Hilbenz, Matthias Lohmann und Björn Schulte
2.1
Aufgabenstellung
Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Motiven und Gefahren der Nutzung von
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games1 am Beispiel von World of
Warcraft. MMORPGs sind Computerspiele aus dem Bereich des Rollenspielgenres. Diese können über das Internet mit mehreren tausend Spielern gleichzeitig
gemeinsam gespielt werden. Durch die rasante technische Weiterentwicklung
und den fortwährenden Ausbau der Breitbandleitungen in den letzten Jahren
rücken diese Art der Computerspiele immer weiter in den Fokus sowohl der
Spieler als auch der Spielindustrie. Anhand von Abbildung 2.1, welche sich auf
Massively Multiplayer Online Games bezieht2 , wird diese Entwicklung deutlich.
Laut einer Studie investierten im Jahr 2007 allein die deutschen Konsumenten
rund 1,7 Milliarden Euro in Video- und Computerspiele und diese Zahlen sollen
1 Im Folgenden werden Massively Multiplayer Online Roleplaying Games mit MMORPGs
abgekürzt.
2 Zu den Massively Multiplayer Online Games, im Folgenden mit MMOGs bezeichnet,
zählen neben dem Genre der Rollenspiele auch Strategie- und Aufbauspiele und Virtual Battlefield.
45
46
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
weiter steigen. Sie sind vor allem auf die Online-Spiele zurückzuführen [GaF07].
Noch vor ein paar Jahren war es lediglich möglich, gegen einen Computer oder
gegen direkt miteinander vernetzte Mitspieler anzutreten. Jedoch hat sich dies
grundlegend durch das Internet verändert. Innerhalb der MMORPGs ist es nun
möglich, weltweit mit oder gegen andere Spieler anzutreten und mit ihnen zu
kommunizieren. Somit ist ein ganz neues und viel komplexeres Feld der Onlinespiele durch die Weiterentwicklung der bisherigen Rollenspiele entstanden.
Unter den zahlreichen MMOPRGs ist World of Warcraft eines der populärsten,
welches seit der Veröffentlichung im Jahre 2004 stetig steigende Nutzerzahlen
aufweist. Zu Testzwecken wurde ein eigener World of Warcraft-Account eingerichtet, der einen Einblick in die Virtuellen Realitäten ermöglicht. Es soll in
dieser Arbeit untersucht werden, wie die Spieler in MMORPGs eingebunden
sind und wie sich die Auswirkungen auf den einzelnen Spieler äußern. Die aktuell zunehmende Problematik der Suchgefahr von MMORPGs gibt Anlass zur
Auseinandersetzung mit diesem Thema. Es soll ein Überblick geschaffen werden, der auch Nichtspielern von MMORPGs ermöglicht, sich einen Einblick in
diese Thematik zu verschaffen.
Abbildung 2.1: Entwicklung der Nutzerzahlen von MMOGs von 1997 - 2008
[Ste08a].
Dazu wird sich das zweite Kapitel dieser Arbeit zunächst allgemein mit der Geschichte von Online-Rollenspielen und dessen verschiedenen Varianten befassen
und es wird besonders auf die Entstehung und Weiterentwicklung von MMORPGs eingegangen. Darauf aufbauend wird im dritten Kapitel das MMORPG
World of Warcraft genauer präsentiert, wobei unter anderem die Geschichte,
der Spielaufbau und -ablauf sowie die ersten Schritte des Spiels im Fokus der
Betrachtung stehen. Im darauf folgenden Abschnitt werden der einzelne Spieler
bezüglich seiner Anreize genauer analysiert. Motivation und Faszination und soziale Aspekte wie Kommunikation, Identifikation und Status werden besonders
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
47
herausgearbeitet. Das fünfte Kapitel befasst sich mit den Problemen und Gefahren der Nutzung von World of Warcraft, wobei vor allem auf die Suchtpotentiale
eingegangen wird. Anschließend werden die Gefahren hinsichtlich gesundheitlicher, sozialer und wirtschaftlicher Folgen analysiert, ehe im letzten Teil der
Arbeit Maßnahmen und Wege aus der Sucht vorgestellt werden.
2.2
Entstehung der Online-Rollenspiele
Im folgenden Kapitel wird der Begriff der Online-Rollenspiele genauer definiert.
Es wird besonders auf die Entwicklung von Pen-and-Paper-Rollenspielen über
Multi-User-Dungeons3 bis hin zu den modernen MMORPGs eingegangen. Anschließend wird ein kurzer Überblick über einige der populärsten Vertreter des
MMORPG-Genres gegeben.
2.2.1
Pen-and-Paper-Rollenspiele
Allgemein sind Online-Rollenspiele mit herkömmlichen Computer-Rollenspielen
vergleichbar, jedoch stellen sie eine enorm vielseitige Weiterentwicklung der bisherigen Nicht-Online-Rollenspiele dar. Basis der heutigen Rollenspiele stellen
zum Einen die sogenannten Pen-and-Paper-Rollenspiele dar. Diese werden nicht
am Computer gespielt, sondern die Spieler benötigen nur Stift und Papier, woraus sich der Name dieser Spielvariante ableitet. Sie sind dadurch charakterisiert,
dass mehrere Spieler mit einem Spielleiter gemeinsam ein fiktives Abenteuer erleben. Dabei ist der Spielleiter von besonderer Bedeutung, da das Abenteuer
seiner eigenen Phantasie entspringt. Somit legt er den Rahmen des Spiels fest
und übt damit auch entscheidenden Einfluss auf das weitere Geschehen aus.
Die Abenteurer übernehmen jeweils einen selbstgewählten Charakter innerhalb
dieser Geschichte. Ihr Einfluss auf das weitere Spielgeschehen beschränkt sich
auf die vom Spielleiter ständig zur Verfügung gestellten Handlungsalternativen. Dieser dokumentiert den Spielverlauf und die Entwicklung der einzelnen
Charaktere. Die bekanntesten Vertreter sind Dungeons and Dragons und Das
schwarze Auge.
2.2.2
Multi-User-Dungeons
Eine Weiterentwicklung dieser Pen-and-Paper-Rollenspiele stellen die MUDs
dar. Im Vergleich zu den Pen-and-Paper-Rollenspielen werden die Aufgaben
und Funktionen des Spielleiters von einem Computer übernommen. Bereits
in den Jahren 1978/1979 erschienen die ersten Versionen dieser Multi-UserRollenspiele. Hier sind vor allem die Spiele Scepter of Goth von Alan Kietz
[Bru92, S. 5] und MUD1 zu nennen. Dieses Spiel gab dem Genre der MultiUser-Dungeons seinen Namen. Wie in den Pen-and-Paper-Rollenspielen erlebt
3 Im
Folgenden werden die Multi-User-Dungeons mit MUDs abgekürzt.
48
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
der Spieler eine Abenteuerwelt, welche ihm nur in Schriftform beschrieben wird,
und die er sich selbst gedanklich weiter ausmalt. Er greift aktiv in den Verlauf
des Abenteuers ein, wobei seine Handlungsmöglichkeiten jedoch auf kurze Befehlsbausteine eingeschränkt sind.4 MUD1 bot zum ersten Mal in der Geschichte
der Rollenspiele die Möglichkeit, eine virtuelle Welt gemeinsam mit maximal 34
anderen Spielern zu erleben. [Lis00, S. 107] Zudem enthält das Spiel die Option,
mit anderen Spielern in Chats miteinander zu kommunizieren. Auch können Gegenstände innerhalb des Spiels zwischen den Charakteren ausgetauscht werden.
Im Laufe der Zeit entwickelten sich so vier Typen von MUDs:
• LP-MUDs5
• Diku- und Aber-MUDs6
• Tiny-MUDs
• MOOs7
Ziel innerhalb der LP-MUDs ist es, seinen Charakter, beispielsweise durch das
Besiegen von Gegnern oder Ansammeln von Besitztümern, kontinuierlich weiterzuentwickeln, und somit eine hohe Erfahrungsstufe zu erlangen. Bei den Dikuund Aber-MUDs steht das Erreichen einer hohen Erfahrungsstufe noch stärker
im Vordergrund, da dadurch ein gewisser Einfluss auf die Spielinhalte seitens
des Spielers erfolgen kann. In den Tiny-MUDs steht weniger das Konkurrenzverhalten unter den Spielern, sondern eher der soziale Aspekt im Vordergrund.
Gleiches gilt für die MOOs; hierbei wird jedoch eine objektorientierte Programmiersprache eingesetzt. [Cyp05, S. 12] Zu den populärsten deutschsprachigen
MUDs zählt Silberland. Beispielhaft wird eine Spielszene dieses MUDs in Abbildung 2.2 dargestellt.
Abbildung 2.2: Screenshot einer Spielszene aus dem MUD Silberland [Wik08a].
4 Beispiele
solcher Befehle sind TAKE SWORD“ oder OPEN WINDOW“.
”
”
nach den Initialen des Programmierers Lars Penji.
6 Entwickelt von der Datalogisk Institut ved Kobenhavns Universitet.
7 Der Name leitet sich ab aus Multi-User-Dungeon, Object Oriented.
5 Benannt
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
49
Aus den hier dargestellten MUDs entwickelten sich letztendlich nun die modernen Rollenspiele, die sogenannten MMORPGs, auf die im Folgenden weiter
eingegangen wird.
2.2.3
Massively Multiplayer Online Role-Playing Games
Ein Massively Multiplayer Online Role-Playing Game (MMORPG)
(wörtlich: Massen-Mehrspieler-Online- Rollenspiel) ist ein ausschließlich über das Internet spielbares Computer-Rollenspielgenre, bei dem
gleichzeitig mehrere tausend Spieler eine persistente, virtuelle Welt
bevölkern können.
[Wik08b]
Die MMORPGs verhalten sich ähnlich wie die zuvor erwähnten MUDs. Ein
Spieler tritt in Interaktion mit zahlreichen anderen Spielern und erfüllt mit seinem Computercharakter Aufgaben in einer virtuellen Welt. Grundlegend hat
sich allerdings im Vergleich zu den Vorgängern einiges geändert. Im Gegensatz
zu den MUDs, welche ja nur auf Textbausteinen basieren, wird die virtuelle
Welt nun aber für den Spieler sichtbar. Sie entsteht also nicht mehr aus den
gegebenen Informationen und der individuellen Phantasie der unterschiedlichen
Nutzer, sondern jeder erlebt an seinem Computerbildschirm dieselbe Welt. Heutige MMORPGs zeichnen sich durch drei Hauptbestandteile aus [Lo07, S. 16]:
• Soziale Interaktion
• Persistente Spielwelt
• Realistische 3D-Grafik
Die soziale Interaktion findet mittels der Avatare8 der einzelnen Nutzer statt.
Die Interaktion erfolgt dabei auf verschiedenen Wegen, wie Chats, Austausch
von virtuellen Gegenständen oder Kampfhandlungen, um nur einige Beispiele
zu nennen. Charakteristisch für die persistente Welt ist, dass sie ständig besteht
und sich weiterentwickelt, auch wenn der Nutzer offline ist. Durch die eingebaute
3D-Grafik wird die virtuelle Welt für den Nutzer immer realistischer und somit
immer ansprechender dargestellt.
Habitat
Als Ursprung der MMORPGs gilt das 1985 von Lucasfilm Games veröffentlichte
Habitat. Erstmals hatte der Spieler durch dieses Spiel die Möglichkeit, mit einem
selbst ausgewählten Avatar in Interaktion zu anderen Spielern zu treten. Zwar
boten sich auch nur wie bei den MUDs die gleichen Möglichkeiten des Chattens
und des Austausches von Gegenständen, jedoch wurden durch die Visualisierung
8 Ein Avatar (Übersetzung: Verkörperung) ist ein grafischer Stellvertreter einer echten Person im Internet, insbesondere in Online-Rollenspielen und anderen virtuellen Welten.
50
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
der virtuellen Welt und des Avatars weitere Informationen, über beispielsweise
das Geschlecht und die Kleidung, preisgegeben. Allerdings war Habitat noch
kein modernes Online-Rollenspiel, sondern wurde über das Quantum-Netzwerk9
gespielt. Die Nutzeranzahl betrug damals schon an die 15.000 Spieler. [MMP04]
Abbildung 2.3: Screenshot einer Spielszene aus Habitat [MoFa91].
Meridian 59
1996 erschien vom Hersteller 3DO das erste Multi-User-Online-Rollenspiel Meridian 59. Dieses war das erste Spiel, welches einen 3D-Grafik-Client10 verwendete und die Möglichkeit bot, sich von jedem Punkt der Erde mit Internetzugang
einzuloggen. Die Nutzer mussten nicht mehr Teil eines bestimmten Netzwerkes
sein, um an dem Spiel teilzunehmen, sondern hatten zum Start des Spiels die
Wahl zwischen zwölf verschiedenen Servern11 , deren maximale Userzahl allerdings auf 250 beschränkt war. Zum ersten Mal in der Geschichte der OnlineSpiele erfolgte keine minutenweise Abrechnung, sondern es wurde eine pauschale
monatliche Abonnementgebühr von 9,95 US-Dollar erhoben. Insgesamt stellte
sich der gewünschte Erfolg nicht ein, denn die Benutzerzahlen beliefen sich nur
auf 12.000 Spieler. [Ken03]
9 Von
der US-Amerikanischen Unternehmen QuantumLink betriebenes Netzwerk.
Client ist eine Software, die es ermöglicht sich vom heimischen Computer auf einen
Online-Server ein zu loggen.
11 In jeder Spielwelt kann sich nur eine begrenzte Anzahl von Spielern einloggen. Um mehr
Spielern den Zutritt zu ermöglichen, als auf einer Spielwelt Platz haben werden mehrere Server
mit Parallelwelten angeboten. Auf den Servern können außerdem verschieden Spielvarianten
angeboten werden.
10 Der
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
51
Ultima Online
Electronic Arts veröffentlichte im September 1997 das von Origin Systems entwickelte Online-Rollenspiel Ultima Online. Es entstand aus einer Verknüpfung des
ursprünglichen Ultima-Rollenspiels mit den Konzepten des MUD. Die Benutzerzahlen beliefen sich zeitweilig auf bis zu 200.000 Abonnenten, die neben den
anfallenden Anschaffungskosten des Spiels eine monatliche Abonnementgebühr
von 9,95 US-Dollar zu entrichten hatten [UO08]. Durch die Werbekampagne
des Herstellers Electronic Arts, der mit dem Slogan massively multiplayer on”
line role-playing games“ warb, wurde durch dieses Spiel somit der Begriff des
heutigen Genres der MMORPGs geprägt. [Ken03]
Lineage
Das Spiel Lineage vom koreanischen Entwickler NCSoft wurde 1998 veröffentlicht und erzielte Userzahlen von bis zu 4 Millionen, davon allein 2,5 Millionen
in Korea und der größte Teil des Restes in weiteren asiatischen Ländern. Die
monatlichen Kosten belaufen sich auf 15 US-Dollar [NCS08]. Die hohen Nutzerzahlen im asiatischen Raum lassen sich durch die frühe Verbreitung von Breitbandinternetanschlüssen, welche durch die dortigen Regierungen vorangetrieben
wurden, erklären. Lineage unterscheidet sich von typisch westlichen MMORPGs
wie World of Warcraft dadurch, dass weniger die Entwicklung des individuellen
Avatars, sondern die strategische Eroberung von Gebieten und deren Verwaltung in der Gruppe im Vordergrund steht. Aufgrund des großen Erfolges von
Lineage wurde 2004 mit Lineage II ein Nachfolger auf den Markt gebracht.
[Ken03]
EverQuest
Im März 1999 veröffentlichte Sony Online Entertainment mit EverQuest zeitweilig das erfolgreichste MMORPG der westlichen Welt [Wik08c]. Für einen
monatlichen Geldbetrag von 14,99 US-Dollar spielten bis zu 500.000 User das
Spiel [Ste08b]. EverQuest kann als Pionier für das Spieldesign der heutigen
MMORPGs angesehen werden. Aufgrund der realistischen Darstellung der virtuellen Welt benötigte man erstmals einen 3D-Beschleuniger, welches eines der
drei Hauptcharakteristika der heutigen MMORPGs darstellt. Neben der realistischen 3D-Grafik fanden sich auch die bisherigen Bausteine eines MMORPGs,
wie das Vorhandensein einer persistenten Spielwelt und die soziale Interaktion,
im Spiel wieder. Insgesamt wurden vom Hersteller 14 Erweiterungen des Spiels
herausgebracht, welche zu einer stetigen Vergrößerung der virtuellen Welt führten. Die Erweiterungen beinhalten beispielsweise eine Verbesserung der grafischen Darstellung, eine Entwicklung neuer Spielelemente und -gebiete oder
eine Erhöhung der zu erreichenden Erfahrungsstufe. Durch diese Erweiterungen wurden immer neue Anreize geschaffen, um die vorhandenen Abonnenten
zu halten und gegebenenfalls neue Spieler für das Spiel zu gewinnen. [Ken03]
Der Nachfolger EverQuest II erschien im November 2004 und beinhaltete eine
52
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
benutzerfreundlichere Bedienung und eine modernere Grafik [Wik08c].
Heutige populäre MMORPGs und Vergleich von Nutzerzahlen und
Marktanteilen
Neben zahlreichen weiteren MMORPGs, wie z.B. EVE Online, Final Fantasy XI und Herr der Ringe Online, erschien im November 2004 das zur Zeit
erfolgreichste und populärste MMORPG World of Warcraft. Seit der Veröffentlichung weist das Spiel stetig steigende Nutzerzahlen auf. Im Januar 2008 teilte
die Herstellerfirma Blizzard Entertainment in einer Pressemitteilung mit, dass
der Meilenstein von 10 Millionen Abonnenten12 überschritten wurde. Laut Pressemitteilung von Blizzard vom 22. Januar 2008 stammen etwa 2 Millionen von
diesen Abonnenten aus Europa, 2,5 Millionen aus Nord-Amerika und 5,5 Millionen aus Asien. [Bli08a] In Abbildung 2.4 wird die Entwicklung verschiedener
MMOGs von 1997 bis 2008 dargestellt.
Abbildung 2.4: Entwicklung der Nutzerzahlen bei MMOGs von 1997 bis 2008
[Ste08c].
12 Abonnenten von World of Warcraft sind alle Individuen, die eine Abonnementgebühr bezahlen oder über eine aktivierte Prepaid-Karte verfügen, um World of Warcraft zu spielen,
einschließlich all derjenigen, die eine Installationsversion erworben haben und von ihrem Freimonat Gebrauch machen. Spieler, die innerhalb der letzten dreißig Tage über Internet Game
Rooms auf den Spielservice zugegriffen haben, gelten ebenfalls als Abonnent. Die vorangegangene Definition schließt alle Spieler aus, die über kostenfreie Promotion-Abonnements spielen,
alle abgelaufenen oder gekündigten Abonnements und abgelaufene Prepaid-Karten. Abonnenten, die in Gebieten leben, welche von Lizenznehmern betreut werden, entsprechen ebenfalls
diesen Definitionsregeln. [Bli08a]
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
53
Durch diese immens hohe Nutzerzahl zeigt sich die Überlegenheit von World
of Warcraft auf dem Markt für das Spielgenre der MMOGs. Insgesamt erzielte
Blizzard Entertainment durch das Spiel einen Marktanteil von 62,2% im April
2008.
Abbildung 2.5: Marktanteile von MMOGs (Stand April 2008) [Ste08d].
Bei der folgenden Darstellung der Inhalte und der anschließenden Analyse der
Faszination und der Gefahren der Nutzung von MMORPGs konzentriert sich
diese Arbeit auf World of Warcraft, da es die größte Popularität und voraussichtlich weiter steigende Nutzerzahlen aufweist.
2.3
World of Warcraft
World of Warcraft (Übersetzt: Welt der Kriegskunst) ist ein MassenMultiplayer-Online-Rollenspiel, das Spieler gleichzeitig zusammen über
das Internet spielen.
[Wik08d]
2.3.1
Geschichte des Spiels
Die Entstehung von World of Warcraft ist zurückzuführen auf die zuvor entwickelte Warcraft-Spielereihe. Die erste Veröffentlichung dieser Spielreihe von
Blizzard Entertainment war Warcraft: Orcs and Humans, welches 1994 als rei-
54
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
nes Echtzeit-Strategiespiel13 erschien. Der Nachfolger Warcraft II: Tides of Darkness wurde 1995 auf den Markt gebracht und 1996 die Erweiterung Warcraft
II: Beyond the Dark Portal. 2002 erschien das vorerst letzte Spiel der WarcraftReihe Warcraft III: Reign of Chaos, zu dem 2003 noch die Erweiterung Warcraft III: The Frozen Throne entwickelt wurde. [Bli08b] Diese Spiele waren reine
Strategiespiele, die im Einzelspielermodus offline zu spielen waren und ein vordefiniertes Ende hatten, welches es zu erreichen galt. Der Spieler trat in den
einzelnen Leveln gegen Computergegner an und versuchte diese durch strategisches Geschick zu besiegen. Allerdings war es bereits ab dem Spiel Warcraft:
Orcs and Humans ebenfalls möglich im Mehrspielermodus im Netzwerk gegen
menschliche Spieler anzutreten. In diesen Netzwerken konnte der Nutzer mit seinen Mit- und Gegenspielern über ein Chatfenster kommunizieren. Diese Spielvariante wurde immer beliebter und setzte sich mit Warcraft II und Warcraft
III fort. Ab Warcraft II gab es im Mehrspielermodus zusätzlich die Möglichkeit über das von Blizzard Entertainment bereitgestellte Battle.net14 zu spielen.
[Wik08e]
Am 23. November 2004 wurde schließlich das Spiel World of Warcraft von Blizzard Entertainment zunächst in den Ländern USA, Kanada, Australien und
Neuseeland veröffentlicht. Im Laufe des Jahres 2005 erschien das Spiel dann
auch in Asien und Europa. Zum Verkaufsstart in Europa, am 11. Februar 2005,
wurden allein schon 290.000 Exemplare verkauft. [Wik08d] Die erste, und bislang einzige Erweiterung World of Warcraft: The Burning Crusade wurde am
16. und 17. Januar 2007 weltweit auf den Markt gebracht, und erzielte bereits
innerhalb der ersten 24 Stunden mit 2,4 Millionen verkauften Exemplaren einen
bisher nicht übertroffenen Verkaufsrekord für Computerspiele [Bli08c]. Erhältlich ist World of Warcraft derzeit in 7 Sprachen und wird von mittlerweile mehr
als 10 Millionen Usern gespielt. Um diesen Erfolg weiter auszubauen, werden
von Blizzard weitere Sprachversionen, wie beispielsweise die russische Version,
entwickelt, welche am 6. August 2008 veröffentlicht wurde [Bli08d]. Außerdem
ist mit World of Warcraft: Wrath of the Lich King eine zweite Erweiterung in
Planung.
2.3.2
Die Spielwelt
Die virtuelle Welt von World of Warcraft spielt in der aus der Warcraft-Spielreihe
bekannten Welt Azeroth, welche die Kontinente Kalimdor, östliche Königreiche
und seit der ersten Erweiterung die Scherbenwelt umfasst. Mit der zweiten Erweiterung kommt zusätzlich noch ein weiterer Kontinent Nordend hinzu. Die
Darstellung der World of Warcraft erfolgt mittels einer dreidimensionalen Grafik. Auf den Kontinenten finden sich verschiedene Landschaftsbilder, wie beispielsweise Wälder, Wüsten oder Vulkanlandschaften. Der User kann sich mit
13 Echtzeit-Strategiespiele zeichnen sich im Gegensatz zu rundenbasierten Strategiespielen
dadurch aus, dass Spieler und Computer gleichzeitig wirtschaftliche, strategische und taktische
Handlungen ausführen.
14 Battle.net ist die Online-Spieleplattform von Blizzard Entertainment. Spielberechtigt ist
dort jeder, der im Besitz eines gültigen CD-Keys ist. Dieser ist bei jedem entsprechenden
Spiel mitgeliefert. Über das Battle.net können kostenlos die Spiele Diablo, Diablo II, Starcraft,
Warcraft II und Warcraft III sowie die jeweiligen Erweiterungen gespielt werden.
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
55
seinem virtuellen Charakter frei durch diese Gebiete, sowie Städte und Dörfer
bewegen. Zu Beginn ist der Charakter zu Fuß unterwegs, im weiteren Spielverlauf allerdings bietet sich die Möglichkeit bestimmte Fortbewegungsmittel, wie
beispielsweise Reittiere, Flugtiere, Zeppeline, Schiffe und unterirdische Bahnen
zu verwenden, um sich schneller in der Welt fortbewegen zu können. Die Gebiete werden von den unterschiedlichsten Kreaturen (Tiere, Menschen, Monster,...)
bevölkert. [Wik08d]
Abbildung 2.6: Übersichtskarte der Spielwelt von World of Warcraft [Esn08].
2.3.3
Die ersten Schritte im Spiel
Im Folgenden werden die einzelnen Schritte detailiert aufgeführt, die ein NeuNutzer des Spiels durchführen muss um an dem Spiel teilnehmen zu können.
Die Erstellung eines Accounts
Nach dem Kauf und der Installation des Spiels auf dem Computer muss jeder
Spieler muss zunächst seinen eigenen Account15 einrichten, um in die virtuelle
Welt eintreten zu können. Dies erfolgt durch Eingabe bestimmter persönlicher
Daten und Auswahl einer der vorgegebenen Zahlungsmodalitäten. Der Nutzer
15 Ein Account (Übersetzung: Benutzerkonto) ist eine Zugangsberechtigung zu einem zugangsbeschränkten IT-System. Üblicherweise muss ein Anwender sich beim Login mit Benutzername und Kennwort authentisieren.
56
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
hat die Wahl zwischen der Abbuchung von einer gängigen Kreditkarte, per elektronischem Lastschriftverfahren oder über die Telefonrechnung, außerdem durch
den Kauf einer Prepaidkarte. Die Kosten belaufen sich dabei je nach Zahlungsweise und Länge des Abonnements auf 10,99 Euro bis 13,50 Euro [Wik08d].
Neben dem Abschluss eines Abonnements über eine bestimmte Laufzeit bietet sich Testnutzern die Möglichkeit, einen Probeaccount mit teilweise eingeschränkten Funktionen und begrenzter Laufzeit zu erstellen. Nach dem Ablauf
der Testphase wird der Probeaccount geschlossen, kann aber durch Abschluss
eines Abonnements in einen vollwertigen Account umgewandelt werden. [Bli08e]
Die Wahl des Servers
Dem Nutzer bietet sich eine Auswahl von Servern, von denen er einen wählt, auf
dem er seinen Charakter erstellt. Je nach sprachlicher Version des Spiels wird
der Spieler automatisch dem Realm16 der jeweiligen Region Asien, Amerika oder
Europa zugeordnet. Auf dem europäischen Server sind die fünf Sprachvarianten
Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch verfügbar. Die Server
untergliedern sich weiter in unterschiedliche Spielmodi von World of Warcraft.
Es existieren die Varianten PvE17 , PvP18 , RP-PvE19 und RP-PvP20 . Die nor”
male“ Spielvariante PvE zeichnet sich dadurch aus, dass Spieler für gewöhnlich
gegen Computergegner kämpfen. Es ist jedoch auch möglich sich mit menschlichen Spielern der gegnerischen Fraktion zu duellieren, allerdings müssen dazu
beide einem Duell zustimmen. Auf einem PvP-Server entfällt die Beschränkung
der Zustimmung zum Duell, so dass ein Angriff auf oder durch die gegnerische
Fraktion jederzeit möglich ist. Auf den RP-Servern wird sowohl die PvP- als
auch die PvE-Spielvarianten angeboten. Auf den RP-Servern herrschen striktere Regeln, wie zum Beispiel Fairplay. Die Hintergrundgeschichte von World
of Warcraft ist zu berücksichtigen, indem eine korrekte Namensgebung, angepasst an das jeweilige Volk, erfolgt oder ein völkerspezifisches Verhalten und
Sprachstil beachtet werden. Die Einhaltung dieser Verhaltensregeln wird von
sogenannten Gamemastern21 kontrolliert. [Wik08d]
Die Erstellung eines Charakters
Nachdem sich der Spieler einen Account eingerichtet hat, muss er sich anschließend einen eigenen Charakter erschaffen, mit dem er die virtuelle Welt von
16 Synonym
für Server.
von Player versus Environment.
18 Kurzform von Player versus Player.
19 Kurzform von Roleplay-Player versus Environment.
20 Kurzform von Roleplay-Player versus Player.
21 Gamemaster (Übersetzung: Spielleiter), ist die Bezeichnung für einen Beruf, der online in
einer virtuellen Spielewelt ausgeübt wird. Sie sorgen dafür, dass die zahlenden Spieler ohne
Probleme spielen können. Gamemaster sollen in aller Regel Spielern, die zum Beispiel durch ein
technisches Problem an einer Stelle festhängen, helfen, sofern die Engine die Möglichkeiten
dafür zur Verfügung stellt; außerdem sorgen sie dafür, dass Spieler, die andere beleidigen
oder die Regeln verletzen, ermahnt oder ggf. gesperrt werden. Bei manchen Spielen sollen
Gamemaster auch neuen Spielern beim Spiel-Einstieg helfen. Gamemaster beheben in aller
Regel keine Fehler in der Spielewelt, sondern leiten diese an den technischen Support weiter.
17 Kurzform
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
57
World of Warcraft betritt. Es öffnet sich als erstes ein Charaktererstellungsfenster, welches die verschiedene Einstellungsvarianten aufzeigt und in folgender
Abbildung 2.7 als Screenshot des Spiels dargestellt ist.
Abbildung 2.7: Screenshot des Charaktererstellungsfensters.
Der Spieler hat zunächst die Wahl, entweder der Fraktion der Allianz oder der
Fraktion der Horde beizutreten. Entscheidet sich der Spieler auf Seiten der Allianz zu kämpfen, welche die Guten“ darstellt, kann er einen Charakter aus
”
dem Volk der Menschen, Nachtelfen, Zwergen, Gnome oder Draenei auswählen.
Entscheidet er sich hingegen für die böse“ Horde, stehen ihm die Völker der
”
Orcs, Tauren, Untoten, Trolle oder Blutelfen zur Verfügung. Die Charaktere
des jeweiligen Volkes untergliedern sich in neun unterschiedliche Klassen. Diese
Klassen sind Druiden, Hexenmeister, Jäger, Krieger, Magier, Paladine, Priester, Schamane und Schurken. Die Klassenwahl ist allerdings durch die Wahl des
Volkes beschränkt, so dass nur bestimmte Kombinationen aus Volk und Klasse
möglich sind. Beispielsweise kann ein Taure nicht der Klasse der Hexenmeister
oder ein Mensch der Klasse der Schamanen beitreten. [Rol07a] Die Wahl des Volkes und der Klasse hat neben der Auswirkung auf das äußere Erscheinungsbild
auch entscheidenen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Charakters und den
Spielverlauf. Neben diesen Hauptauswahlmöglichkeiten kann der Spieler seinen
Charakter, nachdem er sich für ein Geschlecht entschieden hat, noch individuell
verändern, wie zum Beispiel die Hautfarbe, das Gesicht oder die Behaarung.
Durch diese individuellen Gestaltungsmöglichkeiten ist eine Einzigartigkeit des
eigenen Charakters nahezu gewährleistet. [Bli08e]
58
2.3.4
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
Der Spielablauf
Je nach der Charakterwahl startet der Spieler in einem völkerspezifischen Anfangsgebiet und beginnt mit einem Erfahrungslevel von Stufe 1. Durch das Sammeln von Erfahrungspunkten kann der Spieler den Erfahrungslevel seines Charakters erhöhen. Dies geschieht durch das Erfüllen von Quests22 , die der Charakter durch Gespräche mit Non-Player-Characters23 erhält. Mit dem Erfüllen eines
Quests erhält der Charakter Erfahrungspunkte und/oder andere Belohnungen
in Form von virtuellem Geld, Ausrüstungsgegenständen oder anderen Items24 .
Des Weiteren können Erfahrungspunkte dadurch gesammelt werden, dass computergesteuerte Gegner bezwungen oder neue Gebiete entdeckt werden. Durch
das erfolgreiche Lösen eines Quests sammelt der Spieler mehr Erfahrungspunkte
als durch das einfache Töten von Monstern. Somit stellen Quests einen wichtigen
Bestandteil von World of Warcraft dar. [Bli08e]
Abbildung 2.8: Beispiel eines Quests in World of Warcraft.
Einige der Quests sind sehr anspruchsvoll und können nicht allein bewältigt werden, wodurch sich Spieler zu Gruppen zusammen schließen, um gemeinsam eine
Aufgabe zu erfüllen. Diese Gruppendynamik geht so weit, dass sich viele Spieler einer Gilde anschließen, welche im späteren Verlauf näher erläutert werden.
Erreicht der Spieler eine bestimmte Anzahl von Erfahrungspunkten, so steigt
der Charakter einen Erfahrungslevel auf. Jede Erhöhung des Erfahrungslevels
22 Als
Quests bezeichnet man Aufgaben oder Missionen die ein Charakter erfüllen kann.
(Übersetzung: Nicht-Spieler-Charakter), im Folgenden als NPCs
abgekürzt, sind Charaktere in der virtuellen Welt, die nicht durch menschliche Spieler sondern
durch den Computer gesteuert werden.
24 Items sind Gegenstände in einem MMOG.
23 Non-Player-Characters
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
59
ermöglicht es dem Spieler, neue Fähigkeiten mit seinem Charakter zu erlernen.
Außerdem können immer bessere Ausrüstungsgegenstände vom Avatar benutzt
werden. Nach der Erweiterung World of Warcraft: The Burning Crusade beträgt der maximale Level zur Zeit 70. Durch die geplante Veröffentlichung der
zweiten Erweiterung World of Warcraft: Wrath of the Lich King wird die maximale Levelanzahl um 10 auf 80 erhöht. Neben den Erfahrungspunkten können
erfüllte Aufgaben und das Besiegen bestimmter Gegner Auswirkungen auf den
Ruf bei den jeweiligen Fraktionen haben. Der Ruf des Charakters ermöglicht
beispielsweise das Betreten bestimmter Gebiete oder den Kauf hochwertiger Gegenstände, Rezepte oder besonderer Reittiere. Andererseits kann ein schlechter“
”
Ruf zu einem sofortigen Angriff durch die verfeindete Fraktion auf den Charakter führen. [Wik08d] Ab dem Erreichen der zehnten Erfahrungsstufe erhält
der Charakter zusätzlich Talentpunkte, welche es dem Spieler ermöglichen, die
Fähigkeiten seines Charakters zu spezialisieren.
Berufe
Der Spieler kann mit seinem Charakter nicht nur seinen Erfahrungslevel steigern, sondern zusätzlich noch unterschiedliche Berufe, welche in Haupt- und
Nebenberufe untergliedert sind, erlernen. Bei den Berufen steht nicht das Kämpfen im Vordergrund, sondern das wirtschaftliche Handeln. Es können maximal
zwei Hauptberufe aber unbegrenzt viele Nebenberufe erlernt werden. Bei Hauptberufen wird zusätzlich zwischen Sammelberufen und verarbeitenden Berufen
unterschieden. Zu den Sammelberufen zählen die Kräuterkunde, der Bergbau
und die Kürschnerei, zu den verarbeitenden Berufen zählen die Alchemie, die
Schmiedekunst, die Lederverarbeitung, die Ingenieurskunst, die Schneiderei und
die Verzauberkunst sowie das Juwelenschleifen. Nebenberufe werden in Angeln,
Kochen und Erste Hilfe unterteilt. Um einen Beruf zu erlernen, muss zunächst
ein Ausbilder-NPC aufgesucht werden, welcher einem das Berufsbild erläutert.
Durch die Berufsausübung wird die Fähigkeit schrittweise gesteigert, was das
Erlernen neuer Rezepte ermöglicht. Die Rezepte können bei Ausbildern gekauft
oder in Dungeons und bei besiegten Gegnern gefunden werden und führen beispielsweise dazu, dass bessere Gegenstände produziert werden können. Zudem
kann in den unterschiedlichen Berufen eine weitere Spezialisierung erfolgen, wodurch noch wertvollere bzw. nützlichere Gegenstände hergestellt werden können.
Diese Gegenstände und gesammelten Rohstoffe können vom jeweiligen Charakter nicht nur getragen oder weiterverarbeitet, sondern auch in im Spiel integrierten Auktionsplattformen verkauft werden, um virtuelles Geld zu erwirtschaften.
[Bli08f]
Gilden
Dadurch, dass viele Quests vom Schwierigkeitsgrad her alleine nicht zu bewältigen sind, ist der Spieler darauf angewiesen, mit anderen Personen zusammen zu
spielen. Aus diesem Grund schließen sich mehrere Spieler zu Gilden zusammen.
Um eine Gilde zu gründen muss ein Charakter von einem Gildengründungs-NPC
60
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
eine leere Gildensatzung erwerben und der zu gründenden Gilde einen einzigartigen Namen auf dem jeweiligen Server geben. Zur Gründung einer Gilde werden
mindestens zehn Spieler benötigt, welche der selbsterstellten Satzung der neuen
Gilde zustimmen müssen. Anschließend nimmt der Charakter, der die Gildensatzung aufgestellt hat, den Rang des Gildenmeisters ein. In den Gilden gibt es verschiedene Ränge, welche durch den Gildenmeister festgelegt werden und durch
unterschiedliche Rechte und Pflichten eine Art Hierarchie darstellen. [Wik08d]
Mittels einer hohen Präsenz oder besondere Hilfsbereitschaft kann der Charakter
von einem ranghöheren Mitglied auf eine höhere Hierarchiestufe berufen werden.
Unter Umständen kann auch wieder eine Degration erfolgen. Die Gildensatzung
entspricht einem Kodex. Dieser Kodex beinhaltet beispielsweise die Aufgaben,
die von den unterschiedlichen Rängen zu erfüllen sind, oder welche Abgaben der
einzelne an die Gildenkasse zu entrichten hat. Zu den Hauptgrundsätzen zählt,
dass sich Gildenmitglieder gegenseitig unterstützen und helfen, falls ein Charakter Schwierigkeiten bei der Lösung einer Aufgabe hat. Ein Charakter kann
jeweils nur Mitglied einer Gilde sein. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Mitglieder untereinander Gegenstände jeglicher Art kostengünstig oder sogar kostenlos
tauschen können. Besitzt ein Spieler Gegenstände, die er nicht benötigt, so kann
er diese einem Gildenmitglied überlassen, das für diesen Gegenstand Verwendung hat. Die Gildenmitglieder lernen sich durch den intensiven Kontakt besser
untereinander kennen, so dass sie häufiger zusammen spielen und sich gegenseitig unterstützen. Um anspruchsvolle Dungeons bewältigen oder bestimmte
Endgegner besiegen zu können, ist ein gutes Zusammenspiel der Gruppenmitglieder notwendig. Unter Gildenmitgliedern lässt sich diese Voraussetzung eher
umsetzen, so dass es sich für viele Spieler als vorteilhaft erweist einer Gilde
beizutreten.
Instanzen
Neben den einfachen Dungeons existieren in World of Warcraft noch sogenannte
Instanzierte Dungeons“ oder kurz Instanzen25 . Diese werden von einer Gruppe
”
von Charakteren betreten, für die eine eigene temporäre Kopie des Dungeons
erzeugt wird. Die Gruppe kann somit ungestört in ihrer eigenen Instanz spielen,
während keine weiteren Gruppen in das epische Spielgeschehen dieser Instanz
eingreifen können. [Bli08g] Alle Inhalte, wie Gegenstände und Gegner, stehen jeweils allein dieser Gruppe zur Verfügung. Zwar besitzen Instanzen einen hohen
Schwierigkeitsgrad und sind mit großem Zeitaufwand verbunden, führen aber
zu sehr wertvollen Belohnungen für die Gruppenmitglieder. Durch die überdurchschnittliche Stärke der Gegner ist die Abstimmung der einzelnen Gruppenmitglieder untereinander von großer Bedeutung, so dass Instanzen meist
von Gruppenmitgliedern einer Gilde betreten werden. Es gibt Instanzen für die
Erfahrungsstufen 16 - 70. Die Instanzen sind von vier verschiedenen Gruppengrößen, wie 5, 10, 20 oder 40 spielbar.
25 Eine
Instanz ist definiert als ein nichtpersistentes Gebiet in einer persistenten Welt.
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
61
Kommunikation und Handel
Über im Spiel integrierte Chatkanäle können die Spieler miteinander in Kontakt
treten. Die Spieler kommunizieren dabei über Texteingabefelder. Es existieren
außerdem extra eingerichtete Kanäle, auf denen allgemeine Fragen gestellt oder
Handel betrieben werden können. Auch kann über bestimmte Kanäle eine Organisation der Verteidigung gegen Gegner erfolgen. Es existiert ein sogenanntes
Suche-nach-Gruppe-System, welches selbstständig Gruppenkonstellationen bildet. Möchte der Spieler ein Quest oder eine Instanz lösen, für welche er auf
die Mithilfe anderer Spieler angewiesen ist, sucht das System nach Mitspielern,
die dieselbe Aufgabe zu bewältigen haben. Die Spieler werden automatisch einer Gruppe zugeordnet, ohne selbst direkten Kontakt zu potentiellen Gruppen
oder Mitspielern aufnehmen zu müssen. Durch eine Auswahl vorgefertigter Emotes26 ist der Spieler in der Lage, gewisse Mimiken und Gestiken auszudrücken.
[Wik08d] Neben der Kommunikation über Texteingabefelder können sich bis zu
vierzig Spieler in einem Ingame-Sprachchat mittels eines Headsets27 verständigen. Viele Gruppen kommunizieren über einen eigenen Sprachserver mittels
Teamspeak28 . Durch diese direkte verbale Kommunikation wird die Gruppenkoordination erheblich erleichtert. Dieses ist besonders bei anspruchsvollen Aufgaben von Vorteil.
In das Spiel ist außerdem ein Postsystem integriert, worüber neben Nachrichten
auch Gold und Gegenstände ausgetauscht werden. Ein Austausch bzw. Handel
erfolgt in World of Warcraft ebenfalls über in das Spiel eingebundene Auktionshäuser. Gegen Entrichtung einer Auktionsgebühr bieten die Spieler virtuelle
Gegenstände an, die von anderen Spielern käuflich erworben werden können.
Vom Hersteller ist eigentlich vorgesehen, dass sich dieser Handel allein auf die
Spielwelt von World of Warcraft beschränkt. Eine weitere Variante des Handelns ergibt sich durch den sogenannten Handelskanal, in dem Waren angeboten
werden und über den eine Kontaktaufnahme mit den Verkäufern möglich ist. Jedoch hat sich inzwischen ein externer Handel herausgebildet. Auf der Plattform
Ebay werden in einer Art Schattenwirtschaft virtuelles Gold und Gegenstände
gegen echtes Geld getauscht. Blizzard Entertainment versucht dem entgegenzuwirken, indem entsprechende Klauseln in die Endbenutzerlizenzvereinbarungen
von World of Warcraft eingefügt wurden. Bei Verletzung dieser Klauseln droht
dem Spieler die Schließung seines Accounts.
26 Als Emote werden der Ausdruck von Emotionen bzw. bestimmte Animationen eines Charakters in Rollenspielen bezeichnet, die durch den Spieler ausgelöst werden und hauptsächlich
zur Unterhaltung dienen. Dies erfolgt durch Eingabe in Textfelder, wie beispielsweise /win”
ken“ oder /schlafen“.
”
27 Ein Headset
ist eine Kombination aus Kopfhörer und Mikrofon, die ein zweiseitiges Kommunizieren (Hören und Sprechen) ermöglicht.
28 TeamSpeak ist eine proprietäre Sprachkonferenzsoftware, welche den Benutzern
ermöglicht, über das Internet oder ein LAN miteinander zu reden. TeamSpeak ist für die
Nutzung in Online-Spielen optimiert, es hat geringe Prozessorauslastung und Datentransfer.
62
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
2.4
Anreize von World of Warcraft
Das vorherige Kapitel gibt einen Überblick darüber, wie komplex der Spielaufbau und -ablauf in World of Warcraft gestaltet ist. Die einzelnen beschriebenen Komponenten existieren in gleicher oder ähnlicher Form auch in anderen
MMORPGs. Es bleibt daher die Frage offen, wie sich der Erfolg von World of
Warcraft wie in Abbildung 2.4 und in Abbildung 2.5 gezeigt erklären lässt, und
was die Faszination des Spiels ausmacht. Deswegen werden im Folgenden nun
verschiedene Aspekte dargestellt und erläutert, die für den Nutzer den Reiz des
Spielens ausmachen. Dabei sind folgende Aspekte von besonderer Relevanz:
• Motivation und Faszination
• Identifikation
• Soziale Interaktion
• Erfolg und Status
Diese Aspekte gelten nicht allein für World of Warcraft, sondern lassen sich auch
teilweise auf andere Online-Rollenspiele übertragen. Eine genaue Abgrenzung
der einzelnen Begriffe ist oftmals nicht möglich, da häufig Überschneidungen
auftreten.
2.4.1
Motivation und Faszination
World of Warcraft zeichnet sich durch eine niedrige Hardwareanforderung29
aus. Die Grafik ist durchaus ansprechend, überfordert aber trotzdem nicht den
Computer. Dadurch wird ein reibungsloser Spielablauf gewährleistet. Für viele
Spieler besteht außerdem ein Anreiz allein schon darin, dass World of Warcraft auf der erfolgreichen Spielreihe Warcraft aufbaut. Aufgrund dessen, dass
zahlreiche Elemente aus den Vorgängern“ übernommen wurden, erleichterte
”
dieses vielen Spielern den Einstieg ins Spiel. Der Spieler wird nicht mit einer
völlig fremden Welt konfrontiert, in der er sich neu orientieren muss. Identische Elemente sind die Spielwelt Azeroth, die Fraktionen der Allianz und der
Horde oder die verschiedenen Rassen. World of Warcraft weist viele Parallelen zur realen Welt auf. Wie in der Realität können die jeweiligen Charaktere
Berufe und verschiedene Fertigkeiten erlernen und Geld verdienen. Außerdem
können die Charaktere beispielsweise heiraten oder Kinder adoptieren. Der Tagesablauf entspricht in etwa dem des realen Lebens, auch äußere Faktoren wie
Tag- und Nachtzyklus und verschiedene Wetterbedingungen werden simuliert.
Die virtuelle Welt ist von tausenden von Mitspielern bevölkert, welche ihrerseits
Aktionen ausführen, und somit für ein dynamisches, nicht vorhersehbares Geschehen sorgen. Dadurch verändert sich die Welt kontinuierlich, auch wenn der
29 Hardwareanforderung: Prozessor mit 800 MHz Taktfrequenz, 512 MB RAM, 3DGrafikkarte mit 32 MB Grafikspeicher, 10 GB Festplattenspeicher, mindestens 56k Internetverbindung.
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
63
Spieler gerade nicht online ist. Die Welt verändert sich aber nicht nur durch das
Agieren der einzelnen Charaktere, sondern von dem Hersteller werden immer
weitere zusätzliche Komponenten programmiert. Es werden zum Beispiel neue
Schauplätze oder Aufgaben geschaffen, so dass die Spieler immer neue Anreize
erhalten. Das Spiel ist so konzipiert, dass kein Spielende vorgegeben ist. Durch
einzelne Aufgaben werden dem Spieler zwar einzelne Etappenziele vorgegeben,
die er erreichen kann, das Spiel insgesamt jedoch geht endlos weiter. Der Spielablauf ist geprägt durch eine Einsteigerfreundlichkeit und einen langsam ansteigenden Schwierigkeitsgrad. Nach dem Betreten der Spielwelt von World of
Warcraft wird der Spieler durch die erzählerische Komponente schnell ins Spiel
eingebunden. Er wird zu einem Baustein der Geschichte und somit zu einem
Teil des Spiels. Ihm werden ständig Erläuterungen zu Gegenständen und deren
Verwendung, sowie Aktionsmöglichkeiten in einem Informationsfenster präsentiert. Es ist somit nicht notwendig, sich vor Beginn des Spiels umfassend über
genauere Abläufe zu informieren. Der Spieler wird Schritt für Schritt während
des Spielens mit der Welt vertraut gemacht. Durch die Konfrontation mit NPCs
erhält der Spieler zunächst einfache Quests, die leicht zu bewältigen sind. Die
Motivation zum Weiterspielen wird durch diese schnellen Erfolge zu Beginn des
Spiels noch zusätzlich gefördert.
2.4.2
Identifikation
Mit der Erstellung eines individuellen Charakters schlüpft der Nutzer in eine
andere Rolle. Somit wird ihm ermöglicht, Phantasien, die er im realen Leben
nicht ausleben kann, in der virtuellen Welt umzusetzen. Beispielsweise können
männliche Spieler die Rolle einer Frau übernehmen und umgekehrt. Oder ein
eher schmächtiger Mensch verkörpert einen starken Krieger. Es besteht dadurch
die Chance, ungeliebte Eigenschaften des realen Lebens abzulegen und sich einen
Charakter entsprechend seiner persönlichen Ideale oder Wünsche zu kreieren.
Ein besondere Reiz in der Rollengestaltung liegt darin, den Mitspielern ein
falsches Bild von sich zu geben und sie damit zu täuschen. Beispielsweise können
Menschen mit einem geringen Selbstbewusstsein in der virtuellen Welt sehr extrovertiert auftreten, da sie anders als in der realen Welt keine Konsequenzen zu
befürchten haben. Die individuelle Gestaltung und spätere Weiterentwicklung
des Charakters führt unter Umständen zu einer sehr starken Identifizierung mit
dem selbsterstellten Charakter. Der Spielcharakter verfügt über Fähigkeiten und
Kräfte, die dem Spieler in der Realität nicht gegeben sind, was den Identifikationseffekt zusätzlich verstärkt. Diese Aspekte werden im späteren Abschnitt 2.5
zu den Gefahren noch genauer erläutert.
2.4.3
Soziale Interaktion
In der World of Warcraft begegnet der Spieler mit seinem Avatar zahlreichen
anderen Charakteren, hinter denen sich wiederum andere menschliche Spieler
verbergen. Zwischen diesen Spielern entsteht eine rege soziale Interaktion auf
verschiedene Art und Weise. Wie bereits im Kapitel 2.3.4 im Abschnitt Kom”
64
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
munikation und Handel“ dargestellt, ist eine Kommunikation über textbasierte
Chats oder verbal über Headsets möglich. Die Spieler können diese Varianten
der Kommunikation einfach dazu nutzen, um sich zu unterhalten. Interessanter
für die meisten Spieler und für das Spielgeschehen wichtiger ist die soziale Interaktion, aus der sich Gruppen zusammenschließen, um gemeinsam Aufgaben zu
lösen. Die sich so gebildeten Gruppen nutzen die Kommunikationsmöglichkeiten
zur Absprache und strategischen Planung vor und während der zu erfüllenden
Aufgaben. Für viele Aufgaben ist die Unterstützung von Mitspielern zwingend
notwendig, wodurch sich sehr häufig Gruppen bilden. Für die Erfüllung bestimmter Aufgaben sind die individuellen Fähigkeiten der einzelnen Charakter
maßgeblich, so dass jedem Gruppenmitglied eine bestimmte Aufgabe zufällt.
Fehlt eines der Gruppenmitglieder oder führt ein Mitglied seine Aufgabe nicht
wie abgesprochen aus, kann dieses zum Scheitern bei der Erfüllung der Aufgabe führen. Die Mitglieder müssen sich also gegenseitig aufeinander verlassen
können und sollten das Spielgeschehen nicht vorzeitig verlassen. Die Gruppendynamik geht soweit, dass sich viele Spieler in Gilden zusammenschließen. Der
Anreiz besteht darin, sich in seiner Gilde oder Gruppe durch besondere Leistungen und Engagements hervorzutun, um sich damit als zukünftigen Spielpartner
anzubieten. In Gilden bestehen bestimmte Satzungen, die von den Mitgliedern
zu befolgen sind. Beispielsweise kann die Anwesenheitspflicht zu bestimmten
Tageszeiten als Regel definiert sein. Werden diese Regeln ohne triftigen Grund
missachtet, werden häufig Sanktionen verhängt. Diese Aspekte führen zu einer
Art Gruppenzwang, auf den im späteren Verlauf detailliert eingegangen wird.
2.4.4
Erfolg und Status
Durch das Erfüllen von Aufgaben sammelt der Spieler mit seinem Charakter Erfahrungspunkte, womit er die Erfahrungsstufe seines Charakters steigern kann.
Der Charakter wird somit immer stärker und erlangt weitere Fähigkeiten, die
ihm das Bewältigen schwierigerer Aufgaben ermöglichen. Außerdem kann er
seinen Charakter mit wertvolleren und mächtigeren Ausrüstungsgegenständen
ausstatten. Für viele Spieler liegt der größte Anreiz des Spiels darin, durch ihren spielerischen Erfolg einen gewissen Status innerhalb der Spielergemeinschaft
zu erlangen. Für das Erlangen eines hohen Erfahrungslevels muss der Spieler
einen hohen Teil seiner eigenen Lebenszeit aufbringen. Erfolg und Ruhm sind
in der virtuellen Welt schneller und leichter zu erlangen als im realen Leben.
Die Neugier des Spielers soll durch die stetige Weiterentwicklung des Charakters und immer neu zu erlernenden Fähigkeiten immer aufrecht erhalten oder
noch gesteigert werden. Im Spiel sind sogenannte Serienquests integriert, bei
denen einzelne Quests aufeinander folgen und in sich eine kurze Geschichte darstellen. Diese Serienquests sind für den Spieler besonders motivierend, da er
Schritt für Schritt die Aufgaben zu erfüllen hat. Durch das erfolgreiche Lösen
eines Serienquests kann der Spieler sowohl viele Erfahrungspunkte als auch besondere Gegenstände erhalten. Diese dienen wiederum als Statussymbol und
erhöhen sein Ansehen. Im Laufe des Spiels wird das Erlangen eines höheren Levels oder anderer Belohnungen immer schwieriger und nimmt verhältnismäßig
immer mehr Zeit in Anspruch.
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
2.5
65
Gefahren und Suchtpotential von World of
Warcraft
Aus den im vorherigen Kapitel aufgezeigten Faszinationen des MMORPGs World
of Warcraft können gleichzeitig aber auch Gefahren für den einzelnen Nutzer
entstehen. Diese Thematik ist bereits seit einiger Zeit ein Thema in den Medien. So wurde darüber bereits beispielsweise in der Tagesschau, im Spiegel, in
der FAZ oder mehreren Fachzeitschriften berichtet. In den Berichten geht es
dabei direkt um die Gefahren, die aus der Nutzung von MMORPGs entstehen
können. Es erfolgt also eine Abgrenzung zu den 3D-Ego-Shootern30 , die ebenfalls in den Medien sehr stark thematisiert werden. Hierbei ist vor allem der
Amoklauf eines 19-jährigen Schülers im Johann Gutenberg Gymnasium in Erfurt zu nennen [Wik08f]. Solche dramatischen Ereignisse finden sich aktuell aber
auch im Zusammenhang mit MMORPGs wieder. Beispielsweise starben in China im Oktober 2005 laut Medienberichten zwei jugendliche Spieler von World of
Warcraft an Erschöpfung durch exzessives Spielen. Das gleiche Schicksal erlitt
bereits einige Monate zuvor ein koreanischer Dauerspieler, der mehr als 50 Stunden am Stück spielte. [Kla05a] Im Folgenden beschäftigt sich dieser Abschnitt
daher direkt mit der Online-Computersucht in Bezug auf Online-Rollenspiele.
Die Online-Rollenspielsucht ist eine Unterform der Computersucht.
Unter einer Computersucht versteht man den zwanghaften Drang,
sich täglich (möglichst oft, meist stundenlang) mit dem Computer
zu beschäftigen. Die Computersucht ist einer Internetsucht oder einer Spielsucht (Computerspiele) ähnlich und nicht trivial von diesen
Sonderformen zu trennen.
[Rol07b]
Die Abgrenzung der Computersucht von der Internetsucht und Spielsucht ist
oftmals nicht einfach. Es gibt zahlreiche Überschneidungen zwischen den einzelnen Indikatoren, die diesen Suchtvarianten zu Grunde liegen. Indikatoren, die
eine Suchtgefahr anzeigen können, treffen teilweise auch auf die anderen beiden
Suchtformen zu.
• Der Computer wird nicht mehr abgeschaltet, um keine Zeit beim Starten
zu verlieren und jederzeit Zugriff zu haben.
• Tägliche Bedürfnisse (wie Essen und Trinken) werden oftmals während
der Computernutzung befriedigt.
• Andere Freizeitaktivitäten werden zugunsten der Computernutzung reduziert.
30 Als Ego-Shooter bezeichnet man eine Kategorie der Computerspiele, bei der die Darstellung einer frei begehbaren, dreidimensionalen Spielwelt durch die Augen eines menschlichen
Spielercharakters, also in Egoperspektive erfolgt und der Spielverlauf schwerpunktmäßig geprägt ist durch den Kampf mit verschiedenen Schusswaffen gegen eine Vielzahl von unterschiedlichen Gegnern bzw. Monstern.
66
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
• Rechtfertigungen von Absagen von gesellschaftlichen Terminen erfolgen
häufig unter falschen Begründungen.
• Soziale Kontakte gehen verloren und enden gegebenenfalls in Zurückgezogenheit und Vereinsamung.
• Physisches und mentales Abschalten des Spieles ist kaum noch möglich.
• Desorientierung führt unter anderem zum Verlust der Fähigkeit die verbrachte Zeit vor dem Computer abschätzen oder steuern zu können.
• Der Tag- und Nachtzyklus verschiebt sich.
• Viele Komponenten (z.B. Hardware oder Software) sind mehrfach vorhanden, um einen eventuellen Ausfall sofort kompensieren zu können.
• Oftmals wird Hard- oder Software angeschafft, die eigentlich unnötig ist.
Die genannten Indikatoren weisen auf potentielle Suchtgefahr hin, wobei die
Indikatoren für sich alleine gesehen keine Diagnose begründen, sondern in einen
Gesamtzusammenhang betrachtet werden müssen. [Rol07b]
Für das Spiel World of Warcraft werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels
verschiedene Suchtpotentiale herausgearbeitet.
Die Suchtpotentiale von World of Warcraft resultieren meist aus den Anreizen, die das Spiel beinhaltet, können aber auch auf persönliche Hintergründe
zurückzuführen sein. Die bereits erwähnten Anreizfaktoren Motivation und Faszination, Soziale Interaktion, Identifikation und Erfolg und Status stehen nicht
separat nebeneinander, sondern stehen in ständiger Wechselwirkung zueinander.
Außerdem kommt es häufig zu Überschneidungen, so dass eine strikte Abgrenzung nicht möglich ist. Aus ihnen gemeinsam resultiert, wie in Abbildung 2.9
dargestellt, das Suchtpotential.
Abbildung 2.9: Wechselwirkungen der unterschiedlichen Suchtfaktoren.
Besonders herausgearbeitet werden im Weiteren folgende Aspekte:
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
67
• Persönliche Hintergründe der Spieler
• Persönlicher Ehrgeiz
• Starke Identifikation mit dem virtuellen Charakter
• Gruppenzwang
2.5.1
Persönliche Hintergründe der Spieler
Es lässt sich keine eindeutige Aussage darüber treffen, ob eine Personengruppe
suchtgefährdeter ist als eine andere. Jedoch lassen sich gewisse Tendenzen erkennen, aus denen sich grobe Gruppeneinteilungen erkennen lassen. Olgierd Cypra
veröffentlichte 2005 eine Auswertung einer repräsentativen Umfrage von 11.445
MMORPG-Nutzern. Anzumerken ist hier, dass zum Zeitpunkt der Studie das
Spiel World of Warcraft längst nicht so populär war wie derzeit, da es erst in
diesem Jahr erschienen war. Sie ist dennoch als richtungsweisend für das Genre
der MMORPGs anzusehen und auf die einzelnen Spiele übertragbar. Aus dieser
Umfrage lassen sich folgende Ergebnisse bezüglich der Nutzer zusammenfassen.
Das durchschnittliche Alter eines MMORPG-Nutzers beträgt 22,5 Jahre, wobei der Frauenanteil bei 7,1 Prozent liegt. Das Durchschnittsalter der Frauen
liegt mit 25,6 Jahren höher als bei den Männern mit einem durchschnittlichen
Alter von 22,2 Jahren. Diese Daten sind allerdings bei den einzelnen MMORPGs unterschiedlich hoch. Für World of Warcraft belaufen sich diese Zahlen auf
ein Durchschnittsalter von 21,0 Jahren und eine Frauenquote von 2,3 Prozent.
Von den gesamten MMORPG-Nutzern sind 34,5 Prozent Schüler, 17,6 Prozent
Erwerbstätige, 17 Prozent Studenten, 10,7 Prozent Auszubildende und 5,5 Prozent Arbeitslose. Die ermittelte Durchschnittsspielzeit pro Woche beträgt 24,6
Stunden. Dieser Wert liegt etwas höher als die 21,9 Stunden, welche in einer
amerikanischen Studie von Nick Yee ermittelt wurde [Yee06]. Es erfolgt eine
Abgrenzung zwischen Normal-, Viel- und Hardcorespielern. Normalspieler spielen zwischen 0 und 29 Stunden pro Woche und machen einen Gesamtanteil von
65 Prozent der Spieler aus. Der Anteil der Vielspieler, mit einer Spielzeit von 30
bis 59 Stunden, beträgt 30 Prozent. Zu den Hardcorespielern zählen alle Spieler
mit einer Nutzungszeit von über 60 Stunden pro Woche und bilden einen Anteil
von 5 Prozent. Auffällig ist, dass mit zunehmender Spielzeit das Bildungsniveau
der Spieler abnimmt, wohingegen der Frauenanteil zunimmt. So steigt beispielsweise der Anteil der Arbeitslosen von 3 Prozent unter den Normalspielern, 8,1
Prozent unter den Vielspielern, bis hin zu 23,8 Prozent unter den Hardcorespielern. Eine gegensätzliche Struktur liegt bei der Gruppe der Erwerbstätigen vor.
[Cyp05]
2.5.2
Persönlicher Ehrgeiz
Der allgemeine Spielablauf von World of Warcraft enthält ebenfalls Suchtpotential für den Spieler. Durch die Hauptaufgabe“ mit seinem Charakter Erfah”
rungspunkte zu sammeln, um ein möglichst hohe Stufe zu erreichen, erhält der
68
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
Spieler Erfolgserlebnisse. Durch diese Erfolge, die vor allem zu Beginn des Spiels
schnell zu erzielen sind, wird die Motivation des Spielers nachhaltig erhöht. Es
kann sich ein persönlicher Ehrgeiz entwickeln, der dazu führt, dass der Spieler
sich immer höhere Ziele setzt. Zum einen befriedigt er seinen eigenen Ehrgeiz,
indem er seine selbst festgelegten Ziele erreicht. Zum andern führen eine hohe
Erfahrungsstufe und besondere Ausrüstungsgegenstände dazu, dass sein Ansehen gegenüber Mitspielern steigt und er sich zusätzlichen Respekt verdient. Dieses Feedback der Mitspieler kann einen positiven Effekt auf seine Zufriedenheit
haben. Das Spiel ist so konzipiert, dass immer neue Aufgaben, Gebiete und Gegenstände geschaffen werden, die erkundet werden können. Somit werden dem
Spieler immer wieder Gelegenheiten gegeben, sich neu zu beweisen. Selbst wenn
der Charakter die höchste Erfahrungsstufe des Spiels erreicht hat, so endet das
Spiel nicht. Es können nun zwar keine Erfahrungspunkte mehr erworben werden, jedoch gibt es noch genügend Aufgaben, in denen der Spieler beispielsweise
sein beruflichen Fähigkeiten erweitern oder weitere Gegenstände sammeln kann.
In der World of Warcraft existieren zum Beispiel spezielle Gegenstände, die so
selten und schwer zu erreichen sind, so dass gegebenenfalls monatelang danach
gesucht werden muss. Die persistente Spielwelt, welche sich ständig weiterentwickelt und verändert, bietet weiteres Suchtpotential. Der Spieler sieht die Gefahr
den Anschluss zu den Mitspielern zu verlieren. Diese Angst bestärkt ihn darin,
noch mehr Zeit in das Spiel zu investieren.
2.5.3
Starke Identifikation mit dem virtuellen Charakter
Ein hohe Identifikation ensteht allein dadurch, dass der Spieler zu Beginn des
Spiels seinen Charakter ganz individuell nach seinen eigenen Vorstellungen kreiert. Der Spieler schlüpft in der virtuellen Welt in die Rolle des selbsterstellten
Charakters und durchlebt durch ihn die Abenteuer in der World of Warcraft. Mit
fortwährender Spieldauer entwickelt der Spieler eine immer engere Bindung an
seinen Charakter. Eine starke Identifikation führt dazu, dass das Spielgeschehen
immer stärkere Auswirkungen auf sein reales Leben nimmt. So können beispielsweise Belohnungen, die er für seine Leistungen innerhalb des Spiels erhält, zu
einer persönlichen Befriedigung führen. Die Grenze zwischen ihm und seinem
Charakter wird undeutlicher, und er beginnt möglicherweise, Eigenschaften seines Avatars auf seine reale Persönlichkeit zu übertragen und sich wie dieser zu
fühlen.
2.5.4
Gruppenzwang
World of Warcraft ist kein auf Einzelkämpfer ausgerichtetes Spiel. Um Erfolge
in dem Spiel aufweisen zu können, ist der Spieler auf Mithilfe anderer Nutzer
angewiesen. Die Gruppendynamik stellt damit einen zentralen Aspekt in der
World of Warcraft dar. Zahlreiche Quests sind so ausgelegt, dass sie nur von
Gruppen von Spielern gelöst werden können. Die Spieler finden sich zu Teams
zusammen oder schließen sich einer Gilde an, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Diese Gruppendynamik kann allerdings zu Problemen führen. Durch die
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
69
temporäre Zugehörigkeit zu einer Gruppe übernimmt der Spieler eine bestimmte
Rolle. Für die Lösung bestimmter Aufgaben sind spezielle Charakterkonstellationen notwendig. Zum Beispiel ist es sinnvoll, eine Gruppe aus Charakteren
aus verschiedenen Klassen zusammenzusetzen. Die Anzahl der Charaktere aus
den jeweiligen Klassen ist dabei ebenfalls von Relevanz. Mit der Übernahme
einer Rolle übernimmt der Spieler gleichzeitig auch eine klassenspezifische Verpflichtung. So hat ein Druide die Aufgabe, die Krieger zu heilen, während diese
ihrerseits Gegner bekämpfen. Der Erfolg der Gruppe ist somit von der Erfüllung
der zugewiesenen Aufgaben der einzelnen Mitglieder abhängig. Fehlt ein Spieler
oder beendet er verfrüht das Spielgeschehen, so ist es für den Rest der Gruppe
umso schwieriger oder gar unmöglich, den Quest oder die Instanz erfolgreich zu
bestehen. Auf jedem Spieler lastet somit ein gewisser Druck seiner Rolle und
seiner zeitlichen Verpflichtung gerecht zu werden. Befindet sich eine Gruppe
schon längere Zeit in einem Dungeon mit dem Ziel, einen bestimmten Endgegner zu töten, so wird vorausgesetzt, dass alle Spieler so lange spielen, bis das
Ziel erreicht ist. In Gilden ordnet sich der Spieler mit seinem Charakter einer
gildenspezifischen Satzung unter, die er zu befolgen hat. Die Gildensatzung kann
beispielsweise vorschreiben, dass alle Spieler dieser Gilde zu einer gewissen Uhrzeit online sein müssen. Der Druck in einer Gilde ist durch diese definierten
Regeln und den engeren persönlichen Kontakt zu den anderen Gildenmitgliedern sehr hoch. Dadurch, dass eine Gilde auf lange Sicht organisiert ist, lastet
auf den Mitgliedern häufig ein höherer Druck als in einer kurzfristig angelegten
Gruppe. Viele Spieler empfinden diese Faktoren des Gruppendrucks als so stark,
dass sie ihr Privatleben dem Spiel unterordnen.
2.6
Folgen
In Deutschland leiden rund 1,5 Millionen Menschen an der Computerspielsucht
(Stand: 25. Juli 2007) [Wiw08]. Gemäß einer Pressemitteilung der Charité vom
10.11.2005 zeigen sich bei 10 Prozent der Computerspieler Abhängigkeitskriterien, die vergleichbar mit anderen Suchtformen, wie Alkoholismus, sind [Cha05].
Da es sich bei der Computerspielsucht um eine relativ neue Erscheinungsform
handelt, ist diese zur Zeit noch größtenteils unerforscht. Dennoch wird in dieser Arbeit versucht, die Folgen der Computerspielsucht zu kategorisieren. Somit
ergeben sich drei verschiedenen Ebenen in die sich die Auswirkungen einteilen
lassen:
• Gesundheitliche Folgen
• Soziale und gesellschaftliche Folgen
• Wirtschaftliche Folgen
70
2.6.1
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
Gesundheitliche Folgen
Die Computerspielsucht kann zahlreiche gesundheitliche Folgen für den Nutzer
haben. Das stundenlange Sitzen vor dem Computer — oftmals in einer nichtergonomischen Position — kann beispielsweise zu Haltungsschäden und Rückbildung der Muskulatur führen. So zeigen sich Krankheitsbilder wie Rückenschmerzen oder Muskelverspannungen, insbesondere das HWS-Syndrom oder
Bandscheibenprobleme. Ein übermäßiger Konsum hat häufig auch eine falsche
Ernährung zur Folge. Der Spieler unterbricht das Spiel nur für möglichst kurze
Zeit oder nimmt Mahlzeiten sogar währenddessen ein. Somit bleibt keine Zeit
für die Zubereitung einer gesunder Mahlzeit, so dass sich das Essen zumeist auf
Fastfood beschränkt. Durch einen akuten Bewegungsmangel und diese falsche
Ernährung leidet eine Vielzahl der Spieler unter Übergewicht. Andererseits gibt
es Nutzer, welche die Spielzeit kaum oder gar nicht für eine Mahlzeit unterbrechen, woraus häufig Untergewicht resultiert. Generell geht mit dem exzessiven
Spielkonsum und der falschen Ernährung oftmals Mangelerscheinungen, wie eine
unzureichende Versorgung mit Spurenelementen oder Vitaminen, einher. Die andauernde Fixierung des Blickes auf den Bildschirm kann eine Schädigung der Augen oder Kopfschmerzen zur Folge haben. Außerdem können Ohrenschäden, wie
beispielsweise Tinnitus, durch den ständigen lauten Geräuschpegel, der durch
das Headset direkt ans Ohr gelangt, entstehen. Bei vielen Spielern treten zudem Schlafstörungen auf, bedingt durch den unregelmäßigen Tagesablauf und
den damit verschobenen Tag- und Nachtzyklus. Verstärkt werden können diese Erscheinungen noch durch Halluzinationen, da der Spieler, auch wenn der
Computer abgeschaltet ist, immer noch in seinen Gedanken bei den Bildern
des Spiels ist. Weitere mögliche Folgen des übermäßigen Konsums sind Konzentrationsschwäche, Leistungsversagen, Nervosität, Dehydrierung oder sogar
epileptische Anfälle. [Kla05a]
2.6.2
Soziale und gesellschaftliche Folgen
Die Computerspielsucht hat häufig eine Rückzug aus der realen Welt zu Folge.
Der Spieler flüchtet in die virtuelle Welt, welche für ihn eine Art Ersatzwelt darstellt. Verbunden ist dieses häufig mit einem Realitätsverlust. Für den Spieler
treten die sozialen Kontakte in der realen Welt in den Hintergrund. Er verbringt
immer mehr Zeit vor dem Computer und konzentriert sich fast ausschließlich
auf seine Online-Freundschaften. Die Vernachlässigung von sozialen Kontakten
in der Realität führt bei einigen Spielern zu Vereinsamung. Oftmals folgt der
sozialen Vereinsamung auch eine körperliche Verwahrlosung. Der Süchtige gliedert sich zunehmend aus der Gesellschaft aus und kommt seinen Verpflichtungen
nicht mehr nach. Bei Süchtigen im Kindesalter zeigt sich dies in einem Fernbleiben vom Unterricht und einer Nichterfüllung von gestellten Aufgaben. Dadurch
ist der Schulabschluss und somit auch der weitere berufliche Werdegang gefährdet. Für Süchtige im Erwachsenenalter kann eine Folge der Computersucht der
Verlust des Arbeitsplatzes sein. Von vielen Süchtigen wird dieses sogar als Befreiung empfunden, da sie nun mehr Zeit für die virtuelle Welt zur Verfügung
haben. [Rol07b]
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
2.6.3
71
Wirtschaftliche Folgen
Aus den beiden zuvor genannten Aspekten ergeben sich weitere Folgen in Bezug
auf die Wirtschaft. Durch die gesundheitlichen Schäden, welche die Computerspielsucht bei dem Spieler hervorruft, wird das Gesundheitswesen, insbesondere
die Krankenkassen, belastet. Allerdings werden von den Krankenkassen nicht
sämtliche Kosten der Behandlung übernommen. Da es sich bei der Computerspielsucht zur Zeit um keine anerkannte Krankheit handelt, tragen die Krankenkassen lediglich die Folgekosten der Krankheit, jedoch nicht die langfristigen
Maßnahmen zur Bekämpfung der Sucht an sich. Um der Sucht zu entfliehen,
sind Computerspielsüchtige dazu gezwungen, die Kosten privat zu tragen. Allein
die Langfristigkeit und Kostspieligkeit der Behandlung sind vielleicht Gründe
dafür, dass viele Süchtige eine Therapie nicht erfolgreich abschließen oder erst
gar nicht antreten.
Aus der Folge, dass die süchtigen Spieler sich aus dem sozialen und gesellschaftlichen Leben ausgrenzen, entstehen weitere Auswirkungen auf die Wirtschaft. Durch schlechte oder nicht vorhandene Schulabschlüsse verringern sich
die Chancen der Computerspielsüchtigen, einen Ausbildungsplatz bzw. einen
Job zu bekommen. Zum Einen verringert sich somit die Qualität potenzieller
Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt, zum Anderen zusätzlich noch die Quantität. Denn viele Süchtige haben auch gar kein Interesse mehr, am Arbeitsleben
teilzunehmen, da für sie das Spiel die höchste Priorität besitzt. Sie stehen dem
Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung und beziehen überdies staatliche Gelder
etwa in Form von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe.
2.7
Lösungsansätze
Aufgrund der hohen möglichen Suchtgefahr, die durch das Spielen von World
of Warcraft und auch anderer MMORPGs auftreten kann, wurden verschiedene
allgemeine Lösungsansätze zur Bekämpfung und Vorbeugung der Computerspielsucht entwickelt. Der zunehmende Druck durch Beschwerden von besorgten Eltern über die teilweise exzessiven Spielzeiten der Kinder zwang den Hersteller Blizzard Entertainment, eigene Maßnahmen zu ergreifen. Es wurde eine
Elternkontrolle eingerichtet, mittels derer die Eltern die Spielzeit ihrer Kinder
beschränken können. Zur Verdeutlichung ist der Zeitplan, der von den Eltern
erstellt werden kann, in Abbildung 2.10 dargestellt.
Die Eltern können für den Account des Kindes festlegen, wann und wie lange
ihr Kind Zugang zum Spiel hat. Die zeitliche Einteilung kann dabei jeweils für
jeden Wochentag getrennt erfolgen. Die grünen Felder entsprechen den Zeiten,
zu denen der Account freigeschaltet ist. Rote Felder geben die Zeiten an, in
denen das Kind keinen Zugriff zu seinem Account hat.
Von der chinesischen Regierung wurden noch striktere Maßnahmen ergriffen,
um die Gefahr der Computerspielsucht einzudämmen. Zum einen wurde die
Regel eingeführt, dass Nutzer nicht länger als drei Stunden am Stück zu norma-
72
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
Abbildung 2.10: Elternkontrolle in World of Warcraft [Bli08h].
len Konditionen an Onlinespielen teilnehmen dürfen. [Sue07] Nach Ablauf dieser
Drei-Stunden-Frist wird der Spieler nicht automatisch ausgeloggt sondern es treten andere Modalitäten in Kraft. Erarbeitete Fähigkeiten der Spielfigur werden
um die Hälfte reduziert, das Auffinden von Gegenständen und Belohnungen erschwert und erfolgreich ausgeführte Handlungen führen zu weniger Erfahrungspunkten. Nach einer Spieldauer von mehr als fünf Stunden wird der Charakter
auf die niedrigste Levelstufe zurückgesetzt [Hei07]. Um wieder die ursprüngliche
Spielstufe des Charakters zu erreichen, muss der Spieler fünf Stunden lang ausgeloggt sein. Hintergrund dieser Maßnahmen ist, dass die GAPP31 eine Spielzeit
von bis zu drei Stunden als gesund“, von drei bis fünf Stunden als ermüdend“
”
”
und von mehr als fünf Stunden als ungesund“ eingestuft hat. [Kla05b]
”
Von privater Seite aus wurden ebenfalls Maßnahmen ergriffen, um der Gefahr
der Onlinespielsucht entgegenzuwirken. Aus Elterninitiativen heraus entstanden
zahlreiche Homepages und Internetforen, die dieses Problem thematisieren. Auf
diesen Seiten werden Hilfestellungen angeboten und Lösungswege aufgezeigt.
Zum Schutz ihrer Kinder wird Eltern beispielsweise empfohlen, Interesse für die
Spielwelt und die Interessen ihres Kindes zu zeigen. Gegebenenfalls ist es sinnvoll, regelmäßig gemeinsam mit dem Kind zu spielen, um selbst einen Eindruck
vom Spiel zu gewinnen. Außerdem fühlen sich die Kinder dadurch wichtig und
in ihren Interessen ernst genommen. Sie entwickeln somit ein größeres Vertrauen und berichten über ihre Spielerlebnisse, so dass die Eltern jederzeit über die
Aktivitäten ihrer Kinder informiert sind. Außerdem ist es sinnvoll, den Kindern
31 Abkürzung
für die Generaladministration für Presse und Publikation.
Entwicklung, Inhalt, Anreiz und Gefahr anhand von World of Warcraft
73
einen zeitlichen Rahmen für das Spielen am Computer zu setzen, der konsequent
eingehalten werden sollte. Die zuvor angesprochene Elternkontrolle kann dazu
eingesetzt werden. Den Kindern sollte deutlich gemacht werden, dass soziale
Kontakte in der realen Welt in den Vordergrund zu stellen sind. Eltern sollten
etwa durch Ausflüge und gemeinsame Unternehmungen eine Art Alternativangebot schaffen. Darüber hinaus sollte das Interesse der Kinder an Sport- oder
Musikvereinen geweckt werden. Das Fördern vom gemeinsamen Spielen in der
Realität mit Freunden wirkt sich ebenfalls positiv aus. [DaPo07]
Die populärsten Seiten wie http://www.rollenspielsucht.de und http://
www.onlinesucht.de präsentieren Diagnosemöglichkeiten und zusätzliche Online-Foren. Eine Möglichkeit bietet der auf http://www.rollenspielsucht.
de veröffentlichte Katalog von Suchtkriterien, anhand dessen jeder Nutzer von
Computerspielen für sich herausfinden kann, ob er süchtig ist:
1. Das Internet beschäftigt mich, ich denke daran, auch wenn ich offline bin.
2. Ich brauche immer mehr Zeit im Internet, um zufrieden zu sein.
3. Ich bin unfähig, meinen Internet-Gebrauch zu kontrollieren.
4. Ich werde unruhig und reizbar, wenn ich versuche, meinen Internetkonsum
einzuschränken oder darauf zu verzichten.
5. Das Internet ist für mich ein Weg, um vor Problemen zu fliehen oder
schlechtes Befinden (Hilflosigkeits- oder Schuldgefühl, Angst, Depression)
zu bessern.
6. Ich lüge meiner Familie oder Freunden gegenüber, um das Ausmaß meiner
Beschäftigung mit dem Internet zu verbergen.
7. Ich habe schon Arbeit, Ausbildungs- oder Karrieremöglichkeiten oder zwischenmenschliche Beziehungen wegen des Internets in Gefahr gebracht.
8. Ich gehe ins Netz, auch wenn ich exzessive Gebühren zahlen muss.
9. Ich bekomme im Offline-Zustand Entzugserscheinungen.
10. Ich bleibe immer wieder länger online, als ich mir vorgenommen habe.
Falls von diesen zehn Kriterien mindestens vier über einen Zeitraum von zwölf
Monaten zutreffen, so ist eine Sucht sehr wahrscheinlich. [Rol07c]
Aufgrund des zunehmenden Erfolges der MMORPGs und die damit verbundene Verbreitung der Computerspielsucht wurde am 3. März 2008 eine Ambulanz
zur Behandlung von Computerspiel- und Internetsucht an dem Universitätsklinikum Mainz eröffnet [JGU08]. Allerdings war dies nicht die erste Klinik, die
sich mit der Problematik der Computerspielsucht beschäftigt hat. Zuvor bestand
die Möglichkeit medien- und computersüchtige Kinder in der Klinik Wichernhaus im Ostseebad Boltenhagen therapieren zu lassen. Jedoch wurde diese Einrichtung Ende 2005 aus finanziellen Gründen geschlossen. [Cur06] Inzwischen
74
Massively Multiplayer Online Roleplaying Games
hat sich die Problematik verschärft, der Bedarf an Beratung und psychotherapeutischen Interventionen ist stark angestiegen. Gemäß der Forschungsgruppe
Computerspielsucht der Universitätsklinik Mainz erfüllen sechs bis neun Prozent der untersuchten Kinder und Jugendlichen, die aktiv Computer spielen,
die Abhängigkeitskriterien der Computerspielsucht auf. [JGU08]
Abschließend lässt sich feststellen, dass sich die Tendenz der Nutzung von und
Teilnahme an MMORPGs in naher Zukunft fortsetzen wird. Die Anzahl der Nutzer und somit potentiell suchtgefährdeten Spieler wird weiterhin zunehmen. Es
ist jedoch nicht genau prognostizierbar, inwiefern die zuvor genannten Lösungsansätze ausreichen, um diesem Problem ernsthaft zu begegnen. Zu kritisieren ist
außerdem die augenblickliche Haltung der Krankenkassen, die dem Phänomen
der Computerspielsucht nicht die nötige Beachtung schenken. Es stellt sich hier
die Frage, ob es nicht kostengünstiger ist, das Suchtproblem direkt zu bekämpfen, als jahrelang die gesundheitlichen Folgeerscheinungen der Sucht zu finanzieren.
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Thema 3
Virtuelle Systeme im
Internet
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
von Philipp Möhlmeier, Kai Bormann und Philipp Schmidt
3.1
Einleitung
In diesem Kapitel der Projektarbeit soll auf virtuelle Systeme im Internet eingegangen werden, da diese zunehmend an Popularität und Bedeutung gewinnen
und immer stärker Einzug in Arbeits- und Privatleben halten. Das Interesse
der Projektgruppe liegt dabei insbesondere auf den sozialen und gesellschaftlichen Aspekten in diesen Systemen und deren Rückwirkungen auf die reale Welt.
Hierzu sollen exemplarisch drei verschiedene virtuelle Umgebungen zunächst beschrieben und dann hinsichtlich der vorgenannten Aspekte analysiert werden.
Zuerst wird die Life Sim (Lebenssimulation) Second Life bezüglich nachstehender Fragestellungen betrachtet:
• Warum besitzt diese multimediale Welt eine so hohe Anziehungskraft?
Welche Merkmale und Eigenschaften sind für Second Life charakteristisch?
• Welches Suchtpotenzial ergibt sich, worin lässt es sich begründen und wie
macht es sich bemerkbar?
79
80
Virtuelle Systeme im Internet
• Welche Konsequenzen ergeben sich aus der aktiven Auslebung dieser neuen
Form multimedialer Unterhaltung? Welche Auswirkungen übt Second Life
auf unsere Gesellschaft und die Zukunft des Internets aus?
Im anschließenden Abschnitt werden virtuelle Communities“, wie z.B. studiVZ
”
oder Facebook, mit Schwerpunkt auf folgende Aspekte betrachtet:
• Warum werden Internet-Communities immer populärer und damit auch
zahlreicher? Was macht deren Attraktivität aus?
• Wie wichtig sind in solchen Netzwerken die Gestaltungsfreiheiten bei der
Erstellung des eigenen Charakters und die Anonymität der Teilnehmer?
• Können durch eine übermäßige Selbstdefinition über erstellte Ebenbilder
negative Konsequenzen auf das soziale Verhalten in der Realität auftreten?
Wie sehen diese aus?
Im letzten Abschnitt geht es um Wissen aus dem Netz und virtuelle Lernum”
gebungen“ und insbesondere um folgende Fragestellungen:
• Auf welchem Wege können Informationen und Wissen aus dem Internet
gewonnen werden?
• Inwiefern beeinflussen virtuelle Informations- und Wissenssysteme unsere Gesellschaft bzw. haben gesellschaftliche Strukturen Einfluss auf die
Entwicklung dieser Systeme ?
• Wie kann Lernen mit Hilfe solcher Systeme aussehen und welche Hürden
gilt es zu überwinden?
Nach der Einzelbetrachtung dieser drei virtuellen Internetsysteme soll in einem
schließenden Fazit nochmals auf die herausgearbeiteten gesellschaftlichen und
sozialen Wirkungen eingegangen werden. Des Weiteren soll der Versuch unternommen werden, mögliche Parallelen in diesen drei Systemen darzustellen.
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
3.2
81
Life Sim - Second Life
Second Life gehört zu den sogenannten Life Sims, deren Spielidee und Inhalt
bereits zu Beginn dieser Ausarbeitung in Abschnitt 1.2 Was ist Second Life?“
”
ausführlich dargestellt wurden. Lebenssimulationen haben in den vergangenen
Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen und finden von Jahr zu Jahr neue
Anhänger. Warum dies der Fall ist und welche Auswirkungen diese neue Form
der Unterhaltung auf Individuen und die Gesellschaft als Ganzes hat, soll anhand der in der Aufgabenstellung genannten Fragen analysiert werden.
3.2.1
Anziehungskraft und Eigenschaften
Der vorliegende Abschnitt soll mit einem Zitat aus dem Text von Tobias Schmitz
aus dem Artikel Soziale Welten“ [Lob07, S. 51-62] eröffnet werden:
”
Der sein, der man schon immer sein wollte - für viele Menschen
”
seit Jahrhunderten ein Wunschtraum, der ein Leben lang nie in
Erfüllung geht.“
[Lob07, S. 51]
Der Avatar
Die Welt Second Life lässt, in Teilen jedenfalls, eine solche Wunschvorstellung in
Erfüllung gehen: Charakterattribute lassen sich durch die Erstellung der eigenen
virtuellen Spielfigur (Avatar) beliebig abbilden und Verhaltensweisen können
fernab von gesellschaftlichen, persönlichen oder finanziellen Beschränkungen
ausgelebt werden. Das Wort Avatar stammt ursprünglich aus dem Hinduismus
und bedeutet wörtlich der Herabsteigende“ oder die körperliche Manifestation
”
”
eines Gottes, etwa in Menschen- oder Tiergestalt“ [Sti07, S. 15]. In diesem Sinne
betrachtet kann also in Second Life jeder Nutzer eine Schöpfungsgeschichte generieren, indem er einen eigenen Avatar in der virtuellen Welt erstellt. Inwieweit
der Avatar dem realen Nutzer gleicht und welche körperlichen Attribute dieser
besitzt, bleibt vollkommen dem Nutzer überlassen. Der Vergleich mit Gott mag
auf den ersten Blick etwas hochtrabend sein, stellt jedoch aus abstrakter Sichtweise der Situation ein Charakteristikum dar, welches zumindest unterbewusst
bei jedem Menschen eine gewisse Faszination bewirken sollte.
(Absolute) Freiheit
Weiterhin legt Second Life seinen Nutzern fast keinerlei Grenzen in der virtuellen Welt auf und soll von Beginn an die totale Freiheit“ verkörpern. Die
”
direkte Teilnahme wird durch die Onlineimplementierung von Second Life allen Menschen mit Internetzugang ermöglicht und macht Freiheit in einem Maß
erlebbar, welches in der Realität nicht vorhanden ist. So ist es in der Welt Second Life möglich, Erfahrungen zu sammeln, die zum einen in der realen Welt
82
Virtuelle Systeme im Internet
gar nicht erst vorhanden und zum anderen nicht ohne Konsequenzen wären. Es
bietet sich bspw. die Möglichkeit, als Mann eine weiblichen Avatar zu spielen
(oder umgekehrt) und somit eine alternative Persönlichkeit mit einfachen Mitteln auszuprobieren. Ein weiterer zu erwähnender Punkt ist, dass Avatare auf
Knopfdruck fliegen können. Es dauert keine fünf Minuten bis man durch relativ simples persönliches Zutun (dem Drücken einer Tastenkombination) Fliegen
(einen Menschheitstraum) erlernt hat. Dies ist sicherlich generell ein Anreiz bei
Computerspielen, jedoch stellt dieses Beispiel ein für Second Life spezifisches
Erlebnis dar. Eine Möglichkeit, die man nicht direkt von dieser Welt erwartet,
die jedoch mit großen Emotionen verbunden und vorhanden ist. Dem Nutzer
steht es außerdem vollkommen frei, wohin er als nächstes geht, was er als nächstes tut und mit wem und über was er als nächstes spricht. Diese Freiheit mag
sicherlich in irgendeiner Form auch in unserem realen Leben vorhanden sein,
jedoch bringen solche Verhaltensweisen in der Regel langfristige Folgen für die
realen Lebensumstände mit sich.
Die (absolute) Freiheit wird jedoch durch einige, in den Nutzungsbedingungen
genannte Punkte, eingeschränkt. Sven Stillich [Sti07, S. 51] fasst die von Linden
Lab geforderten Verhaltensweisen folgendermaßen zusammen:
1. Verhalte dich niemals abfällig, weil andere Avatare oder Gruppen etwa
eine andere Religion, Rasse, Geschlecht, ethnische Herkunft oder andere
sexuelle Vorlieben haben.
2. Belästige niemanden.
3. Greife niemanden an.
4. Respektiere und verletze nicht die Privatsphäre anderer und verrate nie
deren wirkliche Identität.
5. Verhalte dich gesittet.
6. Und störe auf keinen Fall den öffentlichen Frieden.
Offensichtlich stellen diese Forderungen lediglich Gebote dar, deren Auslegung
interpretationsfähig ist. Was genau gesittetes Verhalten ist und wie lange man
nicht den öffentlichen Frieden stört, ist nicht eindeutig beantwortbar und eine
Frage der Sichtweise.
Ein weiterer Aspekt der Freiheit ist sicherlich die Möglichkeit, die eigene Kreativität zu vermarkten und damit auf Wunsch reales Geld zu verdienen. Wie dies
zu verstehen ist und welche besondere Rolle die Gestaltungsfreiheit in Second
Life spielt, soll im folgenden Abschnitt separat diskutiert werden.
Gestaltungsfreiheit
Ermöglicht wird die erwähnte Gestaltungsfreiheit unter anderem durch einen
sehr mächtigen Editor, welcher die beliebige Erstellung von Objekten und umfassender Bauten ermöglicht. Wer außerdem Programmierkenntnisse besitzt,
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
83
kann eigene Skripte verfassen und zusätzliche Funktionen implementieren. Sämtliche Gebilde in Second Life sind aus 13 Primitive Objects, den sogenannten
Prims entstanden. Diese Prims sind sozusagen die Knete oder der Ton, aus dem
die virtuelle Welt Second Life gemacht ist. Prims sind nach Belieben formbar
und ermöglichen dem Nutzer die Erstellung jeglicher denkbarer Objekte. Weiterhin kann man die Objekte mit Texturen aus eigenen Bild- oder Videodateien
belegen und der Kreativität sind somit im Prinzip keinerlei Grenzen gesetzt. Es
verwundert daher nicht, dass besonders ausgefallene Objekte teuer gehandelt
werden und ein eigenständiger Markt in Second Life existiert. Nutzer können
reales Geld (US-Dollar) gegen virtuelle Währung (Linden-Dollar) eintauschen
und damit in Second Life Käufe tätigen. Der Rücktausch der Linden-Dollar
in US-Dollar erfolgt ebenfalls nach einem festgesetzten Wechselkurs und kann
damit bei erfolgreicher Geschäftstätigkeit in Second Life ein reales Einkommen
generieren.
Die Entwickler von Second Life, Linden Lab, stellen also im Wesentlichen mit
dem Editor die technische Plattform bereit. Von diesem Punkt an entwickeln
die Nutzer der Welt alles Weitere von alleine und in (absoluter) Freiheit. Es
entsteht eine Art Parallelwelt, die durch das Mitwirken von Menschen unterschiedlichster Herkunft, Bildung und Einstellung entwickelt und besiedelt wird.
Inwiefern sich diese virtuelle Welt in die Realität übertragen ließe, sei dahin
gestellt. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass Second Life auf den
Wunschvorstellungen vieler einzelner Individuen basiert und durch die Nutzer
erstellt wurde.
Körperkult
Der Fokus auf die virtuelle Repräsentation des Menschen durch seinen Avatar
und die Gestaltungsfreiheit führen in Second Life dazu, dass ein regelrechter
Körperkult entstanden ist. Durch den hohen Grad an Individualisierung und
der Möglichkeit, den Avatar in Sekunden in jeder denkbaren Situation äußerlich anzupassen, entsteht eine hohe Erwartungshaltung an das Aussehen. Der
erste Eindruck von einer Person, bzw. seinem Avatar, wird vollständig über die
Äußerlichkeiten vermittelt. Weitere Dimensionen, die zusätzlich in der realen
Welt existieren, wie bspw. Geruch, Mimik, Stimme und Tonlage entfallen und
existieren in Second Life nicht. Es ist daher nicht sonderlich verwunderlich, dass
das Aussehen so einen hohen Stellenwert besitzt.
Weiterhin ist unsere Vorstellung von Schönheit in der Regel durch die Ausprägung gewisser Attribute determiniert und wird durch die Präsentation von
Schönheitsidealen durch die Medien beeinflusst. In der Realität haben nur wenige eine perfekte“ Figur, makellose Haut oder die Möglichkeit, mit jeglichem
”
Outfit top“ auszusehen. Second Life bietet jedoch jedem genau dies, nämlich
”
individuell gewünschte makellose Selbstdarstellung und vollkommene äußerliche
Flexibilität zur Erlangung direkter Anerkennung durch andere.
84
Virtuelle Systeme im Internet
Kommunikation
Der Kommunikationsaspekt spielt in Second Life eine wesentliche Rolle. Nutzer können neben der gewöhnlichen direkten Ansprache anderer Avatare auch
Interessengruppen eröffnen, in denen sie über spezifische Themen diskutieren
und Meinungen austauschen. Über die Suchmaschine lassen sich Gruppierungen, einzelne Avatare und Veranstaltungen problemlos finden. Das Zugehen auf
Personen gestaltet sich einfach und wird in der Regel sehr freundlich aufgenommen. Für Personen, die regelmäßig die virtuelle Welt Second Life besuchen,
steigt die Wichtigkeit von Gesprächen und Interaktion. Grund dafür ist, dass
sich langfristig für den Nutzer und seinen Avatar durch die Verbindung zu anderen Avataren ein soziales Netz innerhalb dieser virtuellen Welt bildet. Mit
diesem werden persönliche Erfahrungen und Erlebnisse assoziiert und es entstehen echte“ virtuelle Freundschaften.
”
An dieser Stelle sei jedoch die grundlegende Problematik von virtuellen Freundschaften hervorgehoben. Es kann unter Umständen sehr schmerzhaft sein zu
realisieren, dass eine Person nicht mehr online erscheint oder auf keinerlei Nachrichten reagiert. In dieser Situation ist jedoch die eigene Handlungsmacht sehr
beschränkt, da man sich in einem anonymen Umfeld bewegt hat. In der Realität kann ein guter Freund im Regelfall nicht so einfach komplett von der Bildfläche verschwinden. Es wird bei Freundschaften in der realen Welt häufiger
die Möglichkeit geben, den Kontakt wiederzubeleben, falls er aus irgendeinem
Grund verloren gegangen ist.
Anonymität
In Second Life gilt, dass jedem freigestellt ist, wie viel er über seine wahre Identität preisgibt. Manche Personen gehen in dieser virtuellen Welt vollkommen
neu auf und trennen ihr reales Leben vollständig von Second Life. Andere hingegen reden sicherlich gerne auch von privaten Sachverhalten, suchen Ratschläge
oder wollen einfach nur mit jemandem sprechen. Auf den ersten Blick stellt dies
noch keinen Unterschied zu der Anonymität in Chaträumen dar. Bei näherer
Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die 3D-Darstellung in Second Life ein nicht
zu unterschätzender visueller Zusatzaspekt ist und zwar keiner, der durch Bilder
aus der Realität geprägt, sondern durch die Wunschvorstellungen des Nutzers
generiert wird. In einem Chatraum möchte man nach einiger Zeit sicherlich
etwas mehr über seinen Gegenüber wissen und wird unter Umständen Bilder
austauschen. In Second Life hat man von vornherein zusätzlich eine visuelle
Basis, die seltsamerweise vielfach schon ausreicht, um auf so einer Ebene eine
Beziehung zu führen. Die Tendenz zu einem hohen Grad an Anonymität ist in
Second Life also relativ hoch.
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
85
Unterschiede zu gewöhnlichen Computerspielen
Um die Frage zu beantworten, welche besondere Anziehungskraft Second Life
auf die Nutzer ausübt, muss zuerst der Unterschied zu gewöhnlichen Computerspielen beschrieben werden. Klassische Computerspiele haben in der Regel
einen relativ linearen Spielablauf oder zumindest eine klare Zielvorgabe. In Rollenspielen, wie bspw. World of Warcraft, ist die Zielsetzung, einen Charakter mit
einem möglichst hohen Erfahrungslevel zu ”erspielen”. Ein hohes Level erreicht
man durch das Lösen von Quests und die erfolgreiche Bekämpfung stärkerer
Wesen. In der Regel besitzt jede Art von Computerspiel eine vorgegebene Zielrichtung, unabhängig vom Genre. Bei klassischen Adventures muss man vorgegebene Rätsel lösen, um den Charakter durch die Hauptstory zu führen, in
Actionspielen ein Level absolvieren, ohne in den Kämpfen zu sterben, usw. Die
Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Doch genau in diesem Punkt unterscheidet sich Second Life wesentlich von sämtlichen am Markt erhältlichen Computerspielen. Es gibt keine Zielvorgabe, keinen Highscore, den man knacken muss, keinen Lösungsweg, den es einzuschlagen
gilt. Im Vordergrund steht das Erleben, Bestandteil einer sich selbst entwickelnden Kultur zu sein, deren eigentliche Zielsetzung nicht von vornherein festgelegt
ist. Jeder Nutzer entscheidet für sich persönlich, welches Handeln ihn glücklich
macht und definiert unter Umständen eine eigene Zielvorstellung in der virtuellen Welt. Aus diesem Grunde ist die Bezeichnung Computerspiel für Second Life
im klassischen Sinne nicht zutreffend. Dem einen mag diese Welt ohne Zielvorgaben und zudem schlechter graphischer Darstellung sinnlos erscheinen, dem
anderen hingegen all seine Wünsche wahr werden lassen, die er schon immer
gehabt hat.
Zusammenfassung
Die Anziehungskraft der virtuellen Welt Second Life wird also durch viele verschiedene Aspekte ausgeübt. Detailliert dargestellt wurde der Avatar, die Rolle
der (absoluten) Freiheit und Gestaltungsfreiheit, der Körperkult, die Wichtigkeit
der Kommunikation und Anonymität sowie die Darstellung der Unterschiede zu
klassischen Computerpielen. Mit welchem Gewicht diese Aspekte im Einzelfall
Anziehungskraft ausüben, wird sich mit Sicherheit von Individuum zu Individuum unterscheiden. In diesem Anschnitt sollten Beweggründe dafür präsentiert
werden, warum Menschen einen Großteil ihrer Zeit aus der realen Welt opfern,
um in der virtuellen Welt Second Life teilnehmen zu können.
3.2.2
Suchtpotenzial
Nachdem die Anziehungskraft von Second Life durch die Darstellung einiger
Eigenschaften erläutert wurde, ergibt sich die natürliche Fragestellung, welches
Suchtpotenzial diese spezielle virtuelle Welt besitzt.
86
Virtuelle Systeme im Internet
Laut einer Studie der HHL aus dem Jahre 2007 [Hhl07] verbringt rund ein
Drittel der aktiven Bewohner mindestens 20 Stunden pro Woche in Second Life.
In dieser Studie wurden 90 Avatare interviewt, wobei diese aus 20 verschiedenen
Ländern stammten. Im Folgenden sollen die Ergebnisse zu den folgenden beiden
Fragestellungen präsentiert werden [oV07]:
1. Inwiefern unterscheidet sich die Persönlichkeit und das Aussehen des Avatars im Vergleich zu Ihrer realen Person?.
2. Welche Beweggründe gibt es für Sie in die virtuelle Welt Second Life einzutauchen?
ad 1.) Es ergab sich ein geteiltes Antwortspektrum: Lediglich 19 Prozent der
Befragten gaben an, sich in der virtuellen Welt so darzustellen, wie es ihren
Träumen und Wünschen entspricht. Ein weit größerer Anteil gab an, sich im
Second Life völlig anders darzustellen (bspw. Phantasiefiguren, skurrile und der
eigenen Person entgegengesetzte Figuren).
ad 2.) Die Beweggründe lassen sich in drei verschiedene Gruppen von Personen
einteilen: Die erste Gruppe spiegelt Individuen wider, die ihrem realen Leben
entfliehen möchten. Eine zweite Gruppe kommuniziert sehr gerne mit anderen
Personen und Second Life bietet diesbzgl. umfangreiche Möglichkeiten. Zu diesen beiden Klassen gehören die meisten Second Life Nutzer. Eine dritte Gruppe
besteht aus Personen, die in der virtuellen Welt vorrangig etwas Geld hinzuverdienen möchten und der Goldgräberstimmung der letzten Jahre gefolgt sind.
Die letzte Personengruppe ist jedoch anteilsmäßig relativ klein.
Die Studie stützt also die Attraktivität vieler in Abschnitt 3.2.1 präsentierten
Eigenschaften der virtuellen Welt Second Life. Die Frage ist nun, ab welchem
Zeitpunkt man von Sucht sprechen kann und welche Ausprägungen dieses Suchtverhalten besitzt. Nach einem Artikel von Dr. Bert Theodor te Wildt [Lob07, S.
68-77] ist dies der Fall, wenn alle Kriterien des Pathological Internet Use(PIU)
erfüllt sind [Lob07, S. 70]. Dieses diagnostische Verfahren lässt sich natürlich
ebenso auf die Abhängigkeit zu einer virtuellen Welt, wie bspw. Second Life
anwenden:
• Ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Internet: Gedanken an vorherige Online-Aktivitäten oder Antizipation zukünftiger Online-Aktivitäten.
• Zwangsläufige Ausdehnung der im Internet verbrachten Zeiträume, um
noch eine Befriedigung zu erlangen.
• Erfolglose Versuche, den Internetgebrauch zu kontrollieren, einzuschränken
oder zu stoppen.
• Längere Aufenthaltszeit im Internet als ursprünglich intendiert.
• Ruhelosigkeit, Launenhaftigkeit, Depressivität oder Reizbarkeit, wenn versucht wird, den Internetgebrauch zu reduzieren oder zu stoppen.
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
87
Detailliertere Diagnosen können getroffen werden, wenn noch mindestens eines
der folgenden Kriterien erfüllt ist [Lob07, S. 70]:
• Aufs-Spiel-Setzen oder Riskieren einer engen Beziehung, einer Arbeitsstelle oder eines beruflichen Angebots wegen des Internets.
• Belügen von Familienmitgliedern, Therapeuten oder anderen, um das Ausmaß und die Verstrickung mit dem Internet zu verbergen.
• Internetgebrauch als ein Weg, Problemen auszuweichen oder dysphorische
Stimmungen zu erleichtern (wie Gefühle von Hilflosigkeit, Schuld, Angst,
Depression).
Es ist anzumerken, dass diese Symptomatiken nicht vollständig neu sind, sondern lediglich auf virtuelle Welten und das Internet übertragen wurden und
Ähnlichkeiten zu bereits bekannten psychischen Erkrankungen aufweisen.
Die Gefahr bei virtuellen Welten, wie bspw. Second Life besteht darin, dass
psychisch nur noch unzureichend zwischen virtueller Identität und der realen
Kernidentität unterschieden wird. Falls dies der Fall ist, spricht man von einer
dissoziativen Identitätsstörung“ (multiple Persönlichkeitsstörung). In Second
”
Life ist diese Versuchung besonders groß, da die Welt in vielen Teilen der Realität nachempfunden ist und so der Übergang von virtueller zu realer Welt in
einer gewissen Form fließend ist. Wenn der Übergang von der virtuellen Welt in
die reale Welt zu psychischen und/oder psychologischen Störungen führt, spricht
man generell auch von Alternate World Syndrome“.
”
Allgemein sollte jedoch festhalten werden, dass sicherlich der Großteil der Second
Life Nutzer einem geregelten Leben nachgeht und keine psychologischen Anzeichen für ein krankhaftes Suchtverhalten vorliegen. Der Umfang, in welchem eine
Person gefährdet ist, ist abhängig vom jeweiligen Individuum und seinen gesellschaftliche Einbettung. Falls diese jedoch nicht stark ausgeprägt sind und der
Sog der Wunschwelt in dem Gefühl einer weiteren echten“ Welt endet, besteht
”
ein ernstzunehmendes Suchtpotenzial. Alles in allem lässt sich festhalten, dass
Second Life durch die genannten Charakteristika einen besonderen Reiz besitzt,
den virtuelle Welten in genau dieser Form bisher nicht besessen haben.
3.2.3
Auswirkungen auf die Gesellschaft
Nachdem die Anziehungskraft, die Eigenschaften von Second Life und das Suchtpotenzial virtueller Welten diskutiert wurde, soll nun betrachtet werden, welche
Implikationen sich auf die Gesellschaft durch die aktive Auslebung dieser neuen
Form multimedialer Unterhaltung ergeben.
Second Life ist für viele ein sozialer Raum, eine Parallelwelt zum realen Leben geworden. Unternehmen und Einzelpersonen haben diese Welt als Markt
entdeckt, auf welchem bereits ein beträchtlicher finanzieller Umsatz gemacht
88
Virtuelle Systeme im Internet
wird. Second Life fügt Interessengruppen zusammen, entwickelt sich stets weiter und bietet sehr viele Freiheiten. Das gesamte Prinzip basiert auf der Idee
des Avatars, welcher Repräsentant des Nutzers der digitalen Welt ist. Die Idee
des Avatars ist mit Sicherheit keine Neuentwicklung von Linden Lab, jedoch
in jedem Fall essentieller Bestandteil vieler virtueller Welten. Nach einer Studie des amerikanischen Marktforschungsinstitutes Gartner sollen im Jahre 2011
bereits 80 Prozent aller Internetnutzer einen Avatar in einer dreidimensionalen
Welt besitzen [Sti07, S. 194]. Diese Zahl scheint auf den ersten Blick sehr hochgegriffen und unglaubwürdig, jedoch sollte man die unzähligen Möglichkeiten
der Ausprägung von Avataren berücksichtigen. Im weiteren Sinne gehören dazu
auch sämtliche Accounts in weiteren Online-Computerspielen und manch anderen sozialen Netzwerken. Unter www.weblin.com kann man sich bspw. einen
zweidimensionalen Mini-Avatar erstellen, welcher während man selbst im Internet surft, im unteren Teil des Webbrowsers herumläuft. Dieser Avatar ist für all
die weiteren Nutzer eines solchen Avatars sichtbar, die gleichzeitig ebenso dieselbe Homepage besuchen. Zielsetzung ist es, Personen mit denselben Interessen
zu verbinden und Communities zu generieren, die sonst nicht entstehen würden.
Ein solches Beispiel zeigt, dass die Zeiten, in denen das WWW für den ein”
samen“ User bestimmt war, vorbei sind. Nutzer der digitalen Welt wollen eine
globalere Sicht, die die Menschen verbindet und virtuelle soziale Netze stärkt.
Laut Sven Stillich wird die Weiterentwicklung des zweidimensionalen WWW in
einzelnen Teilbereichen in den nächsten Jahren verstärkt durch dreidimensionale Darstellungen ersetzt werden [Sti07, S. 198-202]. Natürlich spricht einerseits
die Übersichtlichkeit und Erfassung komplexer Sachverhalte für die zweidimensionale Repräsentation, andererseits hat die Einführung einer dritten Dimension
in Einzelfällen große Vorteile. Man stelle sich dazu die Möglichkeiten vor, in Zukunft Immobilien virtuell begehen zu können, ohne zuvor anreisen zu müssen
oder schlichtweg in virtuellen Einkaufszentren mit dem eigenen Avatar shoppen
zu gehen. Die gekaufte Kleidung könnte im Anschluss sofort nach Hause geliefert
werden und würde entsprechend gut passen, wenn der Avatar ein realitätsnahes Abbild der Person wäre. Sicherlich wird dieser Trend nicht die Stadtzentren
menschenleer machen, jedoch sollten die Folgen einer solchen potenziellen Entwicklung nicht unterschätzt werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Menschheit
nicht vergisst, dass die reale Welt weitere Dimensionen des Erlebens besitzt.
Gerüche, Gefühle, Emotionen, persönliche Nähe zu Objekten und Menschen
bleiben hoffentlich Charakteristika, die die virtuelle Welt nicht oder zumindest
nur in geringerem Umfang als die Realität vermitteln kann.
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
3.3
89
Soziale Online-Netzwerke / Social Network
Sites
Im Mittelpunkt des letzten Abschnitts stand die virtuelle Welt Second Life.
Wie dargestellt worden ist, ist die Möglichkeit der Kommunikation zwischen
den einzelnen Usern einer der Hauptzwecke dieser Onlinewelt. Eine andere, teilweise ähnliche, Plattform der Internet-gestützten Kommunikation stellen Soziale
Online-Netzwerke resp. Social-Networking-Websites dar. In diesen Netzwerken
ist es den Mitgliedern möglich, ein eigenes Profil zu erstellen, die Profile anderer
Personen einzusehen und untereinander zu kommunizieren. Ein offensichtlicher
Unterschied zu Second Life ist, dass Online-Netzwerke nicht als Computerspiele
konstruiert sind. Vielmehr sind es die Profilsichten, ausgestattet mit Steckbriefen zu den Personen, Photos oder Videos, die im Mittelpunkt der Betrachtung
stehen. Ein zweiter und für die weiteren Ausführungen wichtigerer Unterschied
zu Second Life ist die fehlende Anonymität in solchen Netzwerken. In aller Regel sind es wahrheitsgetreue Informationen, die die Mitglieder in ihren Profilen
angeben.
Seit ihrer Einführung haben soziale Online-Netzwerke wie Facebook, MySpace
oder studiVZ Millionen von Mitgliedern gewonnen und werden monatlich milliardenfach aufgerufen. Ziel dieses Abschnitts ist es zu untersuchen, worauf der
Popularitätszuwachs der letzten Jahre zurückzuführen ist. Des Weiteren soll
analysiert werden, welche Auswirkungen diese Netzwerke auf die gesellschaftlichen resp. sozialen Strukturen haben können bzw. wie es aufgrund der OnlineNetzwerke zu einem nachhaltigen Wandel dieser Strukturen kommen kann. Im
nächsten Kapitel werden zunächst einige begriffliche und thematische Grundlagen geschaffen werden. Dabei ist zu Beginn näher auf den Begriff der sozialen
Online-Netzwerke einzugehen. Im Anschluss daran wird eine Auswahl populärer
Beispiele vorgestellt. Den Hauptteil dieses Teilbereichs bildet die kritische Darstellung der Netzwerke. Es soll analysiert werden, ob und in welchen Formen
Einfluss von Sozialen Online-Netzwerken auf die gesellschaftlichen Strukturen
ausgeht. Die wesentlichen Ergebnisse des Hauptteils werden abschließend noch
einmal zusammengefasst.
3.3.1
Thematische Grundlagen
Begriffsverständnis
Obwohl Plattformen wie Facebook oder studiVZ zunehmend häufiger in den
Medien behandelt und in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, lässt sich
bisher keine einheitliche Definition finden. Obwohl sich die Begriffe bezüglich
der Inhalte zum Teil ähneln, gibt es dennoch eine Reihe von unterschiedlichen
Termini, die oft synonym verwendet werden. Im deutschsprachigen Raum lassen sich meistens die Begriffe Soziale Online-Netzwerke, Soziale Netzwerke, Online Netzwerke oder Communities finden. studiVZ und Facebook bezeichnen
sich selbst auf ihren Internetseiten als Soziale Netzwerke. [www.studivz.net und
90
Virtuelle Systeme im Internet
de.facebook.com] Im angelsächsischen Raum werden vornehmlich die Begriffe
Social Network Sites oder Social Networking Sites resp. Social Network Services verwendet. Um eine erste inhaltliche Annäherung vorzunehmen, seien die
folgenden Definitionen angeführt.
A social network service uses software to build online social networks
for communities of people who share interests and activities or who
are interested in exploring the interests and activities of others.
www.wikipedia.org
A social network is a social structure made of nodes (which are generally individuals or organizations) that are tied by one or more
specific types of interdependency, such as values, visions, ideas or
friends.
www.wikipedia.org
Boyd und Ellison versuchen, sich der Thematik differenzierter zu nähern.[BoyEll07]
Sie verwenden den Begriff der Social Network Sites 1 . Diese SNSs werden definiert als Internet-basierte Dienste, die es den Mitgliedern ermöglichen,
• ein eigenes öffentliches bzw. halb-öffentliches Profil zu konstruieren,
• eine Liste anderer Nutzer zu erstellen, mit denen sie ein Verbindung teilen
und
• die eigenen sowie die Verbindungen anderer Nutzer einzusehen und auszutauschen.
Die beiden wesentlichen Aspekte, die es festzuhalten gilt, sind also zum einen
die Möglichkeit der eigenen Darstellung mit Hilfe eines individuellen Profils und
zum anderen die Interaktion mit anderen Mitgliedern dieser Netzwerke, sei es
in Form von Kommunikation oder das Einsehen der Profile. Um ein einheitliches Vorgehen sicherzustellen, wird in den Folgekapiteln der Begriff und das
Verständnis der Social Network Sites zu Grunde gelegt.
Allgemeine Struktur
Obwohl sich SNSs in ihren speziellen Features zum Teil nur marginal, zum Teil
auch deutlicher unterscheiden, ähneln sie sich durchgehend in ihrer grundlegenden Struktur. Diese Grundstruktur besteht aus dem Profil eines Mitgliedes und
aus einer Liste seiner Freunde“, die ebenfalls Mitglieder dieser Netzwerke sind.
”
Nachdem eine Person einer SNSs beigetreten ist, gilt es zunächst, dass eigene
Profil zu erstellen. Dabei sind verschiedenste Fragen und Aussagen über die eigene Person zu beantworten bzw. zu machen. Der Steckbrief, der damit ausgefüllt
1 Im
Folgenden werden die Social Network Sites mit SNSs abgekürzt
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
91
wird, beinhaltet z.B. Name, Geburtsdatum, Beruf, Hobbys, bevorzugte Musik,
Bücher oder Filme. Außerdem besteht meist die Möglichkeit, eigene Photos mit
aufzunehmen. Prinzipiell lässt sich in den Netzwerken ein äußerst differenziertes
Profil erstellen. Welche Informationen der Nutzer jedoch tatsächlich angibt, ist
ihm letztendlich selbst überlassen. Des Weiteren kann der Nutzer entscheiden,
wer sein Profil einsehen kann und darf. Zum einen kann er es uneingeschränkt
zugänglich machen, somit ist es jedem Mitglied des entsprechenden Netzwerkes
erlaubt und möglich, die Informationen vollständig anzusehen. Zum anderen
kann die Sichtbarkeit des Profils auch eingeschränkt werden, so dass z.B. nur
ausgewiesene Freunde“ Zugriff auf die komplette Profilseite haben.
”
Im vorangegangenen Abschnitt ist der Begriff der Freunde“ bereits vereinzelt
”
erwähnt worden. Diese visualisierte Verbindung zwischen einzelnen Netzwerkmitgliedern ist der zweite Teil der allgemein ähnlichen Grundstruktur der verschiedenen SNSs. Nachdem ein neues Mitglied seinen Profil-Steckbrief ausgefüllt
hat, ist es ihm nun möglich, eine Liste seiner Freunde“ zu erstellen, die eben”
falls auf dem eigenen Profil zu sehen ist. In den meisten Netzwerken ist eine
bidirektionale Verifizierung erforderlich, um eine so genannte Freundschaft zwischen Mitgliedern zu bilden. Für ein besseres Verständnis ist der Begriff der
Freunde“ näher zu betrachten. Dieser kann missverstanden werden, da mit
”
ihm nicht zwangsläufig eine Freundschaft zwischen Personen im alltäglichen Leben gemeint ist. Die Darstellung der Verbindungen zu anderen Nutzer ist nach
Boyd und Ellison eine der wichtigsten Eigenschaften der SNSs. Über die Liste
der Freunde lässt sich via Link die Profilseiten der anderen Netzwerkmitglieder erreichen, welche ihrerseits eine Übersicht der Verbindungen der jeweiligen
Person zu anderen Nutzern beinhalten. [BoyEll07]
Geschichte der SNSs
Soziale Online-Netzwerke bzw. SNSs sind ein Phänomen, das in den letzten
zehn Jahren entstanden ist. Obwohl sie erst in den letzten ca. 4 Jahren von der
deutschen Öffentlichkeit vermehrt wahrgenommen werden, gab es bereits vor
über zehn Jahren erste Netzwerke, vor allem im US-amerikanischen Raum, die
der oben angeführten Definition von SNSs genügen. Zum Beispiel wurden die
Onlinedienste Classmates.com und SixDegrees.com ab den Jahren 1995 resp.
1997 angeboten. Schon bei diesen Beispielen war es möglich, Nutzerprofile und
Freundelisten zu erstellen und mit diesen Freunden bzw. anderen Nutzern zu
kommunizieren. Der Erfolg dieser Netzwerke war zur damaligen Zeit jedoch
überschaubar, da das Internet im Vergleich zu heute noch nicht vergleichsweise
Einzug in das tägliche Leben erhalten hatte. So musste SixDegrees.com drei
Jahre nach Gründung im Jahr 2000 wieder geschlossen werden.
Obwohl es, wie erwähnt, schon in den Jahren zuvor Soziale Netzwerke gab, die
sich innerhalb bestimmter Nischen auch einer gewissen Popularität erfreuten,
kam der Durchbruch zur massentauglichen Plattformen erst im Jahre 2003. Seitdem sind zahlreiche unterschiedliche SNSs entstanden, die meist unterschiedliche
Zielgruppen ansprechen (z. B. Schüler, Studenten, Berufstätige, etc.) und mehrere Millionen registrierte Nutzer aufweisen können. Abbildung 3.1 zeigt einen
92
Virtuelle Systeme im Internet
Überblick über die Erscheinungsjahre verschiedener Sozialer Online-Netzwerke.[BoyEll07]
Abbildung 3.1: Geschichte der SNSs [BoyEll07]
Im folgenden Kapitel sollen drei populäre Beispiele von SNSs - Facebook, MySpace
und das studiVZ - näher vorgestellt werden.
3.3.2
Beispiele
Facebook
Die weltweit vielleicht populärste SNSs ist Facebook. Der damalige Student Mark
Zuckerberg entwickelte sie Anfang 2004 als Plattform für die Studenten der
Harvard Universität. Aufgrund des Erfolges wurde das Online-Netzwerk in den
folgenden Monaten auf weitere Universitäten in den Vereinigten Staaten, wie
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
93
z.B. Yale oder Stanford, ausgebreitet, später auch auf das gesamte Land. Ende 2004 waren bereits knapp eine Millionen aktive Nutzer registriert. Auch die
Möglichkeiten der Nutzer bzw. die Anwendungen wurden im Laufe der Zeit
differenzierter. So wurden der reinen Profilseite z.B. Photo- und Gruppenfunktionen, später auch eine virtuelle Geschenkfunktion beigefügt und sogar eine
spezielle Version für Mobiltelefone entwickelt.
Die Geschwindigkeit, mit der Facebook in wenigen Jahren wuchs, ist erstaunlich. Während Ende 2005 etwa 5,5 Millionen Mitglieder die Plattform regelmäßig
benutzten, wurde ein Jahr später die 12 Millionen Grenze überschritten. Im Oktober 2007 waren es bereits über 50 Millionen Nutzer. Die Popularität dieser
SNSs beschränkte sich auch nicht mehr ausschließlich auf die USA. Vor allem
Personen aus anderen englischsprachigen Ländern wie Kanada oder Großbritannien begannen, das Netzwerk zu nutzen. Um das weltweite Wachstumspotential weiter auszubauen, wurde Facebook auch in anderen Sprachen angeboten.
Anfang 2008 wurden verschiedene Versionen zunächst auf französisch und spanisch veröffentlich, kurze Zeit später auch eine deutschsprachige Version. In den
Monaten zwischen März und Juni 2008 wurde die Seite in insgesamt 15 unterschiedlichen Ländern eingeführt. Laut eigenen Angaben hat Facebook heute
über 80 Millionen Mitglieder und ist die weltweit sechst meistbesuchte Website.
[www.facebook.com]
StudiVz
Obwohl Facebook weltweit derart populär ist, ist der Marktführer im deutschsprachigen Raum eine andere SNSs. Das Unternehmen studiVZ Ltd. bietet
Plattformen an, die in der Bundesrepublik, der Schweiz und Österreich von
über 9 Millionen Mitgliedern regelmäßig genutzt werden. Kernstück des Unternehmens ist das studiVZ. Veröffentlicht wurde es im Oktober 2005 und diente
zunächst ausschließlich als Online-Netzwerk für Studenten. Spätere Ableger sind
das schuelerVZ und meinVZ.
Von der Konzeption ist das studiVZ eng an den US-amerikanischen Vorgänger
Facebook angelehnt. Zuweilen wird gegen das studiVZ die Kritik vorgebracht,
dass es lediglich eine Kopie des Konkurrenten sei. Das langfristige Ziel des deutschen Unternehmens ist es, das reichweitenstärksten und erfolgreichsten Netzwerk in Europa anzubieten. Ein Schritt in diese Richtung ist die Ausbreitung der
Plattform auf fremdsprachige Märkte. So wurden Ende 2006 spezielle Versionen
in den Sprachen Spanisch, Italienisch, Französisch und Polnisch veröffentlicht.
[www.studivz.net]
MySpace
Während sich die beiden zuvor vorgestellten SNSs relativ ähnlich sind, hebt
sich MySpace doch deutlich ab. Im Gegensatz zu Facebook und studiVZ, die
eher als arbeitsnetzwerkorientierte Plattformen bezeichnet werden können, ist
94
Virtuelle Systeme im Internet
MySpace vornehmlich ein Netzwerk für Freizeit und Privates. Entwickelt wurde die SNSs im Jahre 2003 von dem US-Amerikaner Thomas Anderson. Eine
wesentliche Besonderheit des Netzwerkes ist der Schwerpunkt auf den Bereich
Musik. Grundidee war es, Kontakt zwischen Künstlern und Fans herzustellen.
Diese Eigenschaft war seit Gründung einer der zentralen Erfolgsfaktoren. Dieser
Aspekt spiegelt sich auch in der Struktur der Nutzerprofile wieder. Während es
wie bei den beiden anderen Netzwerken eine steckbriefartige Profilseite gibt, ist
es hier außerdem möglich, Musikdateien zum Anhören und zum Download zu
integrieren. [www.wikipedia.de]
Während die Entwicklung von Facebook schon sehr erstaunlich war, kann MySpace dieses Wachstum noch übertreffen. Mit über 110 Millionen Mitgliedern in
18 Ländern zählt die SNSs heute zu den größten Internetseiten weltweit.[Sch07,
S.19] Täglich treten bis zu 230.000 neue Mitglieder dem Netzwerk bei.[Sel06]
3.3.3
Wirkungen der SNSs auf gesellschaftliche Strukturen
Der Fokus des Teilbereiches zu den sozialen Online-Netzwerken soll darauf liegen, zu untersuchen, wie sich SNSs im alltäglichen Leben etablieren bzw. bereits
etabliert haben und wie sich dieses Medium auf die Strukturen der geltenden
Normen und Werte auswirkt. Das Ziel ist es also, den daraus resultierenden gesellschaftlichen Wandel zu beschreiben. Um Begriffe wie z.B. Gesellschaft nicht
im luftleeren Raum zu lassen, seinen vorab einige weitere Begriffsverständnisse
zu klären.
Als Gesellschaft bezeichnet man allgemeiner eine durch unterschiedliche Merkmale zusammengefasste und abgegrenzte Anzahl von Personen, die als soziale Akteure miteinander verknüpft leben und direkt
oder indirekt interagieren
www.wikipedia.de
Als Sozialer Wandel (auch: Gesellschaftlicher Wandel) werden die
Veränderungen bezeichnet, die innerhalb einer Gesellschaft über einen
längeren Zeitraum vor sich gehen, und zwar in erster Linie die Veränderungen der Sozialstruktur einschließlich der Bevölkerungsstruktur.
www.wikipedia.de
Allgemein kann man unter Sozialstruktur die Gruppierung des sozialen Beziehungsgefüges einer Gesamtgesellschaft nach Ähnlichkeiten
und Verschiedenheiten in mehreren Dimensionen
www.wikipedia.de
In dem vorgegebenen Rahmen ist es nicht möglich, den Anspruch zu erheben,
die Wirkungen auf gesellschaftliche Strukturen ganzheitlich zu beleuchten. Viel-
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
95
mehr ist es notwendig, eine bestimmte Auswahl zu treffen. Zum Einstieg soll als
nächstes herausgearbeitet werden, was SNSs im Speziellen in den letzten Jahren derart populär gemacht hat. Bezüglich des gesellschaftlichen Gefüges sollen
im Anschluss zwei Aspekte hervorgehoben werden: zum einen die Wirkungen
auf das soziale Umfeld der Nutzer und zum anderen die Konsequenzen für den
Umgang mit der eigenen Privatsphäre.
Was macht SNSs attraktiv?
Fragt man nach dem Zweck von Online-Netzwerken so ist diese Frage nur vordergründig einfach zu beantworten. Prinzipiell geht es darum, Kontakte zwischen
verschiedenen Personen herzustellen und das Halten des Kontaktes zu vereinfachen.
Facebook ist ein soziales Netzwerk, das Leute mit ihren Freunden,
Kollegen, Kommilitonen und Mitmenschen verbindet.
de.facebook.com
Ziel dieses Projektes ist es die Netzwerkkultur an europäischen Hochschulen zu fördern, die Anonymität an den Hochschulen zu senken
und eine intuitiv bedienbare Plattform zu bieten, auf der sich Studierende sowie studentische Initiativen kostenlos zu überwiegend lokalen
Campusthemen organisieren und austauschen können.
www.studivz.net
Obwohl sich die Argumente des Knüpfens von Kontakten und des Haltens von
Verbindungen als ursprünglicher Zweck von SNSs interpretieren lassen, erfassen
sie den eigentlichen Grund für ihr erstaunliche Wachstum nicht zufriedenstellend. Ein Blick auf die Fachliteratur zu diesem Themenbereich unterstreicht,
dass es etwas anderes gibt, das die Popularität erklärt: es ist die Selbstdarstellung und die Selbstbestätigung, die der Nutzer in den Netzwerken sucht. Der
Medienpsychologe Jo Groebel leitet das Deutsche Digital-Institut Berlin und
erklärt die angeführte Argumentation wie folgt:
Das Zauberwort heißt Aufmerksamkeit. Für alles, was man über
sich erzählt, wird man in Online-Netzwerken mit Aufmerksamkeit
belohnt, und diese Belohnung schmeichelt dem Ego.
[Kut08]
Indem ein Nutzer Informationen über seine Vorlieben, Hobbys, Stärken aber
auch Schwächen dem Profil beifügt bzw. indem er bestimmten Gruppen beitritt, schafft er damit eine Basis, mit deren Hilfe sich andere Mitglieder ein Bild
über diese Person machen können. Aufgrund der Darstellung der eigenen Privatheit erhält der Nutzer somit Bekanntheit innerhalb des Netzwerkes. Während
96
Virtuelle Systeme im Internet
es in der Realität oft auch auf materielle Statussymbole wie z.B. Kleidung ankommt, um Aufmerksamkeit zu erlangen, ist der Terminus Statussymbol in
Online-Netzwerken differenzierter zu betrachten. In SNSs sind es Aspekte wie
die genannten Vorlieben, Gesinnungen oder auch persönliche Schwächen, die
Mitglieder von einander unterscheiden aber auch verbinden können.[Kut08]
Wie dargestellt worden ist, ist eine wesentliche Motivation zur Teilnahme in
SNSs das Streben nach Aufmerksamkeit. Diese Aufmerksamkeit beruht auf der
Darstellung der eigenen Person. Aufgrund dieses engen Zusammenhangs stellt
sich nun die Frage, wie die geschaffene Identität zu bewerten ist. Beschreiben die
gemachten Aussagen tatsächlich die eigene Person bzw. Persönlichkeit? Oder ist
es auch möglich, dass bewusst das eigene Portrait derart gestaltet wird, dass es
weniger den Nutzer selbst widerspiegelt sondern vielmehr darauf abgezielt ist,
positiv im Netzwerk wahr- und aufgenommen zu werden? Dieser Fragestellung
widmen sich auch Weiß und Groebel. Sie stellen dem traditionellen Verständnis
der Identität, das ihrer Argumentation nach auf Individualität, Kontinuität und
Konsistenz beruht, ein abgeänderte Begriffsauffassung gegenüber. Sie argumentieren, dass es im Zusammenhang mit der Netzkommunikation zu einer Entwicklung von multiplen und situationsspezifischen Teilidentitäten kommt (z.B.
Berufsidentität, Geschlechtsidentität oder Fan-Identität). Aus den unterschiedlichen Teilidentitäten bilden sich dann nach der Auffassung der Autoren ein
bestimmtes Identitäts-Patchwork. Wie die unterschiedlichen Teilidentitäten von
der betreffenden Person bewusst oder unbewusst ausgestaltet werden und letztlich in einem Patchwork zusammengefasst sind, hängen von zwei wesentlichen
Kriterien ab. Zum einen sind es egozentrische Motive, also wie sich die Person
selbst sieht. Zum anderen sind es aber auch sozialbezogene Motive, da es für
den Einzelnen wichtig ist, wie andere auf ihn reagieren.[WeiGro02, S.421 f.]
Die Selbstdarstellung richtet sich nach den Selbstansprüchen und den
sozialen Normen, wodurch das Darstellungsverhalten immer ein Balanceakt zwischen der Innen- und Außenperspektive darstellt.
[WeiGro02, S.421]
Wirkungen auf soziales Umfeld
Das Mitgliederwachstum in Online-Netzwerke ist erstaunlich. So gibt es bereits Schätzungen, dass bis 2012 ca. ein Drittel aller deutschen Social-Network
Dienste in Anspruch nehmen werden.[Self08] In Anbetracht dieser Entwicklung
scheint es nicht abwegig, zu argumentieren, dass SNSs spürbaren Einfluss auf
die sozialen Strukturen einer Gesellschaft nehmen können. Prinzipiell gibt diesbezüglich verschiedene Ansatzpunkte. Im Folgenden sollen zwei Aspekte hervorgehoben werden. Zunächst soll untersucht werden, ob sich der Umgang mit
sozialen Kontakten verändert bzw. verändern könnte. Im Anschluss daran gilt
es zu analysieren, wie sich das Verhältnis zur Privatheit resp. Privatsphäre der
Nutzer entwickelt.
Betrachtet man mögliche Aspekte, die ausgehend von Online-Netzwerken das
Miteinander zwischen einzelnen Menschen verändern könnten, so fällt vorder-
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
97
gründig folgender Punkt ins Auge. Je mehr bzw. je ausschließlicher ein Einzelner
seine sozialen Kontakte über SNSs definiert, desto größer scheint die Gefahr,
dass es bezogen auf das Leben außerhalb der Netzwerke zu sozialer Isolation
kommt. So argumentiert ein deutscher Datenschutzbeauftragter, dass Kontaktplattformen wie studiVZ ein derartiges Potential besitzen, um ...soziale Bezie”
hungen aufzulösen“.[Cla08] In den letzten Jahren wurden zahlreiche Arbeiten
veröffentlicht, die sich mit eben dieser Thematik befassten. Interessanterweise
widerlegen sie die These der sozialen Isolation. Online-Netzwerke dienen demnach hauptsächlich dem Zweck, bereits bestehende, außerhalb der Netzwerke
entstandene Kontakte, zu pflegen. So verweisen Weiß und Groebel darauf, dass
computergestützte Kommunikation im Allgemeinen kein Ersatz für bestehende
soziale Beziehungen sind. Vielmehr bezeichnen sie sie als supplementäres Medium, dass bestehende Beziehungen ergänzt oder sogar erweitert.[WeiGro02, S.
424]. Ellison, Steinfeld und Lampe beziehen ihre Aussagen explizit auf OnlineNetzwerke. Ziel ihrer Studie war es zu untersuchen, in welchem Zusammenhang
die Nutzung von Facebook zu der Bildung bzw. Erhaltung von sozialen Beziehungen (social capital) steht. Diesbezüglich wurden insgesamt 800 Studenten
der Michigan State University (MSU) befragt. Die zentralen Ergebnisse der empirischen Studie lassen sich mit folgendem Zitat zusammenfassen.
Online social network sites may play a role different from that described in early literature on virtual communities. Online interactions
do not necessarily remove people from their offline world but may indeed be used to support relationships and keep people in contact, even
when life changes move them away from each other.
[EllSteLam07]
Wirkungen auf die Privatsphäre
Während sich also wie dargestellt, dass Argument der sozialen Isolation zumindest zum Teil widerlegen lässt, bleibt es zu klären, wie sich das Verhältnis der
Nutzer zu ihrer eigenen Privatsphäre darstellt und verändert. Der Ausgangspunkt dabei ist die Tatsache, dass Netzwerk-Mitglieder bereitwillig Aussagen
über zum Teil sehr private Bereiche ihres Lebens machen. Egal ob es um Liebeskummer oder Partyerlebnisse geht, eine sehr breite Gruppe von Menschen
hat nun die Möglichkeit, diese Aspekte wahrzunehmen. Es entsteht eine gläserne
Gesellschaft, für die die Sicherstellung der eigenen Privatsphäre an Bedeutung
verloren hat.[Cla08] So argumentiert der Technikhistoriker Dienel:
Offensichtlich ist für diese jungen Menschen Privatheit durch Schutz
privater Information nicht mehr so entscheidend für ihre Definition
von Freiheit, so wie das für frühere Generationen der Fall war.
[Cla08]
Das Zur-Schau-Stellen der Privatsphäre ist ein Punkt, der in der Literatur und
aktuellen Presse kontrovers diskutiert wird. Sucht man nach den Gründen für
98
Virtuelle Systeme im Internet
diese Entwicklung, fällt unumgänglich wieder die Rolle der Selbstdarstellung
bzw. Selbstbestätigung ins Auge. Da dieser Punkt aber bereits zuvor behandelt worden ist, sei lediglich darauf hingewiesen. An dieser Stelle soll auf eine
andere Thematik eingegangen werden. Das Unverständnis über das Preisgeben privater Informationen lässt sich als Ausdruck eines Generationskonfliktes
auslegen. Differenziert man der Einfachheit halber zwischen einer älteren, keine Onlinekommunikation nutzenden, und einer jüngeren, Onlinekommunikation
nutzenden Generation, so lassen sich einige Überlegungen formulieren. Clauss
z.B. führt die unterschiedlichen Verständnisse der Privatsphäre auf die jeweilige
Zeit zurück, in der die Generationen aufgewachsen sind.
Während ein Teil der Gesellschaft das Grundgesetz und sein durch
Faschismuserfahrung geprägtes Abwehrinstrumentarium gegen staatliche Übergriffe fortschreibt, wird von anderen, unbelastet von historisch bedingtem Misstrauen, Privatheit lustvoll inszeniert.
[Cla08]
In den meisten Fällen wird das beschriebene Darstellen der Privatsphäre in
einem negativen Zusammenhang genannt. Es bleibt jedoch darauf hinzuweisen, dass es auch Ausdruck einer neuen Generation ist, die selber diese Form
der Selbstdarstellung nicht derart kritisch betrachten. Dass es unerwünschte
oder diskussionswürdige Elemente wie z.B. das Vermarkten der Nutzerdaten zu
Werbezwecken gibt, ist durchaus richtig. Die Online-Netzwerke allerdings kategorisch aufgrund der Offenheit der Selbstdarstellung als Problem der heutigen
Gesellschaft zu bezeichnen, ist vorschnell. [Don07]
3.3.4
Zusammenfassung
In Kapitel 3.3 wurden Soziale Online-Netzwerke resp. SNSs thematisiert. Ziel
dieses Teilbereiches war es, zu untersuchen, ob diese Plattformen über das Potential verfügen, Einfluss auf die sozialen Strukturen einer Gesellschaft zu nehmen.
Auch an dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es durchaus mehr
Ansatzpunkte gibt als die, die hier behandelt wurden. Darüber hinaus lassen sich
die gewählten Perspektiven immer weiter differenzieren und verfeinern, um konkrete Bereiche zu betrachten. Generell sind es jedoch zwei Aspekte, auf denen
jede weitere Untersuchung der Wirkungen von Online-Netzwerken basiert:
• zum einen der Bereich der Identität bzw. Selbstdarstellung,
• zum anderen der Umgang bzw. die Wirkungen auf die sozialen Beziehungen.
Es ist gezeigt worden, dass SNSs dazu beitragen, eine neue Form der Selbstdarstellung zu generieren. Diese Darstellung, geprägt von privater Offenheit und
dem Streben nach Selbstbestätigung, widerspricht in gewissem Maße den etablierten Gesellschaftsstrukturen und bietet scheinbar unbegrenzten Raum für
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
99
Diskussionen. Die zweite wesentliche Erkenntnis war, dass die Gefahr der sozialen Isolation außerhalb der Netzwerkwelt entkräftet werden konnte. Netzwerke
dienen mehr dem Zweck, bestehende, netzwerkunabhängige Kontakte zu pflegen.
3.4
3.4.1
Wissen aus dem Netz
Themenüberblick
Im letzten Abschnitt soll auf virtuelle Systeme zu Bildungszwecken eingegangen
werden. Mit der Veröffentlichung des Internets bzw. der Begründung des World
Wide Webs, wie wir es heute kennen, hat sich eine Plattform entwickelt, die
eine unzählbare Menge an Daten enthält. Diese Daten wiederum bilden eingebunden in einen Kontext Informationen, welche schließlich durch Vernetzung
mehrerer Informationen zu Wissen werden.[RehKrc96, S.7] Speziell die beiden
letzten Datenzustände“ sollen in diesem Kapitel Beachtung finden, da gerade
”
deren Aufbereitung, Publikation und Darstellung den Schlüssel für Bildung im
virtuellen Raum Internet darstellen. Dabei ist in besonderem Maße relevant,
auf welche Art und Weise die Masse an bereitgestellten Informationen schlussendlich zu brauchbarem und fundiertem Wissen gewandelt und publiziert wird.
Zusätzlich ist die Frage, welche gesellschaftlichen Einflussfaktoren es in diesem
Transformationsprozess gibt bzw. inwiefern diese umgekehrt Einfluss auf die
Gesellschaft ausüben. Zu diesem Zweck werden zunächst Systeme zur Informationsgewinnung und Wissensvermittlung anhand zweier bekannter Beispiele
dargestellt, bevor dann verschiedene Formen des eLearnings, des Lernens mit
Hilfe virtueller Systeme, vorgestellt werden.
3.4.2
Suchmaschinen, Informations- und Wissensplattformen
Schau doch mal bei Wikipedia nach? Oder google es einfach!“...Aussagen, die
”
heutzutage immer häufiger verwendet werden. Sie beziehen sich auf zwei der
bekanntesten Informationsplattformen im Internet, die tagtäglich von mehreren
Millionen Nutzern (Usern) weltweit aufgerufen werden.
Beide Systeme dienen der Informations- und nicht zuletzt der Wissensrecherche. Dabei repräsentieren sie auf ihre Art die Ursprungsidee von Tom BernersLee, dem Begründer unseres heutigen Internets. Er sprach von einer freien und
kostenlosen Nutzung des neuen Mediums weltweit zum Austausch von Informationen und zur Kommunikation. [Self07] Auf den ersten Blick kann man die
Begriffe frei“ und kostenlos“ beinahe intuitiv bejahen, ein zweiter Blick zeigt
”
”
allerdings einige sozial, gesellschaftlich und auch ökonomisch geprägte Hürden.
Soziale Hürden sind dabei relativ leicht greifbar, denn der Zugang zum Internet,
welcher in den meisten Fällen nach wie vor durch einen Computer erfolgt, ist
100
Virtuelle Systeme im Internet
längst nicht für jeden gewährleistet oder realisierbar. Dieser Mangel mag dabei
sowohl ökonomisch bedingt sein, kann aber auch ein Problem fehlender oder
unzureichender Kenntnisse und Fähigkeiten sein. Somit ist sowohl eine gewisse Grundausstattung an ökonomischem wie auch an Humankapital im Sinne
von Vorkenntnissen notwendig, um letztlich Informationen und Wissen aus dem
Internet nutzen zu können. [Ude08, S. 50f.]
Des Weiteren unterliegen Informationen und letztlich Wissen mehr und mehr
dem gesellschaftlichen Anspruch einer Warenförmigkeit und Standardisierung
[Att06]. War in der Vergangenheit der Staat einer der Hauptproduzenten“ von
”
Wissen und Bildung durch Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen, so wird diese Aufgabe heute mehr und mehr durch den privaten
Sektor, sprich die Wirtschaft geleistet. Entsprechend verstärkt ist der Wettbewerb um Kunden resp. User. Wie bei allen Massengütern unterliegt somit
auch Bildung dem Zwang der Standardisierung, welcher nicht zuletzt vom Konsumenten, dem User, ausgeübt wird. Diese Forderung entspringt dem Wunsch
nach Vergleichbarkeit, welche letztlich dazu dient, den Anbieter zu finden, der
bezüglich gewisser Merkmale den größten Nutzen verspricht.
Gerade diese gesellschaftliche Forderung nach Standardisierung führt aber dazu,
dass Suchmaschinenanbieter bzw. Informationsanbieter zunehmend mehr Macht
bekommen, da sie dem User eine bequeme Art der Informations- und Wissensgewinnung in dem schier unüberschaubaren Wust von Internetseiten bieten und
dieser sie gerne annimmt. Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften, genauer der
Institutionenökonomik, lässt sich dies als ein Principal-Agenten-Verhältnis darstellen. Hierbei beauftragt der Principal einen Agenten für ihn zu handeln bzw.
tätig zu werden und entlohnt ihn dafür. Man geht davon aus, dass sich beide
strategisch verhalten und ihren persönlichen Nutzen maximieren wollen. Da der
Agent über mehr Informationen verfügt als der Principal, könnte sich dieser opportunistisch verhalten. Dies kann verhindert werden durch einen Vertrag oder
durch ein Anreizsystem, welches so positiv für den Agenten ist, dass sein Nutzen
maximiert wird.
Übertragen auf die vorliegende Situation ist der User der Principal, das Internet
bzw. der Informationsanbieter ist der Agent. Somit stellt sich eine wechselseitige Beeinflussung der Anbieter und Konsumenten, sprich des Internets und der
Gesellschaft, dar. [Ude08] Wie genau diese Beeinflussung aussehen kann, soll anhand der oben genannten Beispiele, nämlich Google und Wikipedia, dargestellt
werden.
Google
Google ist eine Suchmaschine im eigentlichen Sinne des Begriffes.
Suchmaschine Eine Suchmaschine ist ein Programm zur Recherche von Dokumenten, die in einem Computer oder einem Computernetzwerk wie z.B. dem World Wide Web gespeichert sind. Die
wesentlichen Bestandteile bzw. Aufgabenbereiche einer Suchmaschi-
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
101
ne sind:
• Erstellung und Pflege eines Indexes (Datenstruktur mit Informationen über Dokumente),
• Verarbeitung von Suchanfragen (Finden und Ordnen von Ergebnissen) sowie
• Aufbereitung der Ergebnisse in einer möglichst sinnvollen Form.
www.wikipedia.org
Google Googol“ ist der mathematische Fachbegriff für eine 1 ge”
folgt von 100 Nullen. Der Begriff wurde von Milton Sirotta, einem
Neffen des US-amerikanischen Mathematikers Edward Kasner, geprägt und in dem Buch Mathematics and the Imagination“ von
”
Kasner und James Newman verbreitet. Google verwendet diesen Begriff, um das Ziel des Unternehmens zum Ausdruck zu bringen: die
Organisation der enormen Menge an Informationen, die im Web
verfügbar ist.
www.google.de
Google hat bereits ohne den Umfang eines Googol“ mit über 8 Milliarden in”
dexierten Websites eine unfassbare Menge an Informationen gelistet und ist
derzeit der weltweite Marktführer. Schafft die Suchmaschine es in den USA immerhin auf einen Marktanteil von 65% liegt dieser in Deutschland mittlerweile
bei ca. 80% 2 . Kein Wunder, dass die Suchmaschine bei Internetnutzern in aller
Munde ist, wie obige Floskel gezeigt hat. Selbst der Duden listet seit 2004 das
Wort googeln“ als Oberbegriff für die Internetsuche via Suchmaschine. Welches
”
Marktpotential hinter Google steckt, verdeutlicht der derzeitige geschätzte Markenwert von 86.100.000.000,- US$ (86,1 Milliarden), womit Google weltweit auf
Platz 1 liegt, noch vor Firmen wie Microsoft (70,9 Mrd.$) und General Electric
(71,4 Mrd.$) [Spi08]. Die Werte zeigen, dass Google derzeit das Maß der Dinge
ist für andere Anbieter und entsprechend den derzeitigen Standard setzt. Ob
dies positiv ist, soll aber noch näher beleuchtet werden.
Googles Unternehmensziel ist es, [...]die Informationen der Welt zu organisie”
ren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen.“[Goo08] Dies erreichen
sie durch einen ausgeklügelten Suchalgorithmus, der regelmäßig angepasst und
verändert wird, um die Chancengleichheit zu wahren und Missbrauch zu vermeiden. Google sucht gezielt nach Schlüsselwörtern (Keywords) auf einer Seite und
bewertet diese. Die Bewertung führt zu einem Pageranking-Score, dessen Höhe
letztlich über die Anzeigeposition der Website in der Trefferliste einer Suchanfrage entscheidet. Hierbei betont Google, dass eine Erhöhung dieses Scores nicht
beeinflusst oder gekauft werden kann. [Goo08]
Für käufliche Rankings hat Google den Service Google-AdWords eingerichtet,
der Interessenten die Möglichkeit gibt, gegen Bezahlung ihre Website bei Aufruf
der entsprechenden Keywords anzuzeigen. Ergänzt wird dieser Service durch
2 Quelle:
http://www.pressetext.com/pte.mc?pte=071213026, Stand: 13.12.2007
102
Virtuelle Systeme im Internet
Google-AdSense, welches den Interessenten hilft, ihre Website für den GoogleSuchalgorithmus zu optimieren. Aus den Einnahmen dieser Services generiert
das Unternehmen einen Großteil seines Umsatzes und übertrifft den Vorjahreswert dabei Jahr für Jahr. Google propagiert dabei seinen Usern, dass diese durch
optische Trennung eindeutig den Unterschied zwischen reinen Suchtreffern und
bezahlten Werbetreffern erkennen.
Die Frage, die sich allerdings stellt, ist, inwiefern trotz der Trennung der Suchtreffer nach kommerziellen und normal indexierten Suchtreffern (freie Treffer), Google dennoch Einfluss auf die Art der Informationen nimmt, die den User letztlich
erreichen. Wie oben schon angedeutet wurde, stellt sich bei einer Suchanfrage
eine Art Principal-Agent-Verhätlnis ein. Der Anreiz, den der Agent (Google)
hat, besteht darin, dass mit jeder Suchanfrage des Principals (Users) bereits
erste Erträge erzielt werden durch die Anzeige von kommerziellen Suchtreffern.
Klickt der User dann auch einen dieser Treffer statt eines freien an, so werden
weitere Erträge vom Werbeträger erzielt. Der Agent befindet sich also bereits in
einer Win-Situation, allein dadurch, dass Werbetreffer angezeigt werden. Auch
der User befindet sich an und für sich in einer Win-Situation, denn er erhält
anscheinend kostenfrei eine Vielzahl von Suchtreffern zu dem gesuchten Begriff.
Allerdings befindet sich der User im Nachteil gegenüber dem Agenten, denn er
weiß nicht, nach welchen Kriterien die hierarchische Auflistung der Suchtreffer
erfolgt. Google übt somit implizit Macht aus im Sinne eines Gatekeepers.
Gates were and are kept by individuals who hold strategic power [...]
and who influence their social and cultural environment.
[Ude08, S. 52]
Diese Machtausübung durch Google erfolgt beispielsweise dadurch, dass sie die
Zahl der Verweise auf eine Website als eines der Hauptkriterien für den PageRank, also den Wert“, jener Website definieren. Dies führt zwangsläufig dazu,
”
dass Plattformen wie Wikipedia oder Ebay regelmäßig bei Suchanfragen an einer der ersten Stellen stehen, also entsprechend positiv von Google eingestuft
werden für den gesuchten Begriff. Der westliche User beginnt laut mehrerer Untersuchungen gemeinhin oben links auf der ersten Seite zu lesen. Dies bedeutet,
dass er mit diesen Suchtreffern mangels ausreichender Kenntnis des zugrundeliegenden Suchalgorithmus anfangen wird. Auch findet man bei Aufruf von Google
(www.google.de) keinerlei Informationen oder Anleitungen, wie Suchbegriffe
einzugeben sind.
Beispielsweise erhält der User auf der Suche nach einer Anleitung zum Wechsel
einer Autobatterie bei intuitiver Eingabe des Begriffs Autobatterie“ mehrere
”
Treffer des Online-Auktionshauses Ebay, sowie an erster Stelle die Website der
Firma Varta“, eines Batterienherstellers. Auf Platz zwei erhält er technische
”
Details von Wikipedia. Erst durch Ergänzung des Suchbegriffs um ein entsprechendes Verb gelangt er schließlich zu den gesuchten Informationen. Für Google
ergibt sich hieraus der Vorteil mehrerer Suchanfragen und somit weiterer Erträge
durch die Einblendung neuer Werbetreffer pro Anfrage. Für den User allerdings
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
103
entstehen Kosten“ im Sinne von Transaktionskosten, sprich Aufwand, der für
”
jede erneute Suche und das Lesen von Dokumenten betrieben werden muss, ohne dass dabei ein Nutzen entsteht. Diese Kosten“ können sowohl monetärer
”
Art, bspw. für eine Internetverbindung, als auch immaterieller Art (Opportunitäts- / Transaktionskosten) durch den Verlust von Zeit, Freizeit oder anderer
Dinge sein, die dem User evtl. einen höheren Nutzen erbracht hätten. Google ist
also durch Informationsassysmetrie in der Lage, sich opportunistisch zu verhalten und somit auf Kosten des Users den eigenen Ertrag zu steigern. Der User
kann dem nur durch ein entsprechendes Vorwissen, sprich durch Minimierung
dieser Informationsassymetrie entgegen wirken oder andere Dienste nutzen, was
allerdings die gleiche Problematik mit sich bringt. [Ude08]
Andersherum nehmen aber auch Gesellschaft und Staat Einfluss auf die Art der
Informationen, die Google präsentieren kann und darf oder die im Internet überhaupt verfügbar sind. So war die Expansion Googles nach China nur möglich
unter strengen Zensur des chinesischen Staates. So sind bspw. Websites, die regimekritische oder -gefährdende Inhalte darstellen, in der chinesischen Version
www.baidu.com nicht gelistet. Sie können aber auch ohne Suchmaschine vielfach nicht aufgerufen werden, da sie von Regierungsservern blockiert werden.
Ähnliches gilt für Informationen zu Glücksspiel, Religion oder zum Teil auch
ausländischen Nachrichten. [Tag07]
Betrachtet man demokratisch gewählte Regierungen als Vertreter gesellschaftlicher Werte, so schränkt die Gesellschaft auch in Deutschland die Verfügbarkeit
von Informationen ein. So bekam Google die Auflage, eine Website zum Thema Piercing“ aus dem Index zu entfernen, da diese jugendgefährdend sei. Des
”
Weiteren bearbeiten Tag für Tag Millionen von Usern den Inhalt ihrer eigenen
Websites und versuchen zum Teil auch bewusst Einfluss auf Pagerankings zu
nehmen, um ihre Informationen möglichst gut an den User zu bringen.
Wikipedia
Während Google als Suchmaschine Informationen zu und aus existierenden Webinhalten in Form von Websites herausfiltert, arbeiten Wiki-Systeme anders.
Wiki Ein Wiki (Hawaiisch für schnell“), seltener auch WikiWiki
”
oder WikiWeb genannt, ist eine Software und Sammlung von Webseiten, die von den Benutzern nicht nur gelesen, sondern meist auch
direkt online geändert werden können. Wikis ermöglichen es verschiedenen Autoren, gemeinschaftlich an Texten zu arbeiten. Ziel
eines Wiki ist es im Allgemeinen, die Erfahrung und den Wissensschatz der Autoren kollaborativ in Texten auszudrücken.
www.wikipedia.org
Wikipedia ist das wahrscheinlich populärste Wiki-System weltweit. Der Begriff
Wikipedia setzt sich dabei aus den Teilen wiki (s.o.) und encyclopedia 3 zusam3 engl.
für Enzyklopädie
104
Virtuelle Systeme im Internet
men. Mit etwa 730.000 Artikeln 4 ist das deutsche Wikipedia-System nach dem
englischsprachigen das größte weltweit. Täglich werden etwa 500 neue Artikel
eingestellt, so dass es ein stetiges Wachstum gibt. Wikipedia räumt jedermann
unentgeltlich das Recht ein, Artikel zu erstellen oder zu bearbeiten, weshalb
sämtliche Artikel auch unter freier Lizenz stehen und entsprechend von jedermann kommerziell oder privat genutzt werden können.
Die freie Editierbarkeit von Online-Artikeln ist dabei das wichtigste Charakteristikum. Gleichzeitig ist es ein Garant dafür, dass theoretisch das Wissen aller
Besucher abgegriffen und aufgenommen werden kann, um eine stetige Verbesserung der Artikel zu erreichen. Um Qualität und Korrektheit der Artikel zu
gewährleisten, gibt es im Hintergrund jeweils Diskussionsforen zu den jeweiligen Beiträgen, in denen Ungereimtheiten, Unklarheiten oder auch Fehler von
allen Benutzern diskutiert und ggf. korrigiert werden können.
Weitere Charakteristika von Wikis sind:
Inhalt unterliegt ständigem Wandlungsprozess: was eine direkte Folge der
freien Editierbarkeit durch alle User ist.
Einfachheit: Die Teilnahme an einem Wiki, sprich das Editieren oder Erstellen von Artikeln lässt sich aus dem normalen Internetbrowser erledigen,
Programmiersprachenkenntnisse sind nicht notwendig.
Mitglieder benötigen keine technischen Hilfsmittel.
Interne Verlinkung aller Seiten: Enthalten Artikel Bezüge zu anderen Artikeln, so werden diese direkt verlinkt, um eine unmittelbare Vertiefung
des Themas für den User zuzulassen.
Versionsdokumentation (History): ist notwendig, um Änderungen nachvollziehen zu können und um im Zweifel verlorene Informationen bspw.
durch Vandalismus wieder herstellen zu können.
Des Weiteren haben Wikis noch folgende typische Funktionen:
Differenzanzeige: ergänzt die Versionsdokumentation dahingehend, dass sie
in den Artikeln explizit die geänderten Inhalte herausstellt.
Zitate/Rückverweise: gibt zu jedem Artikel Auskunft, wie oft dieser in anderen Artikeln oder in externen Websites verlinkt ist und wo genau.
Suchfunktion: dient der Artikelrecherche und funktioniert weitgehend wie eine Suchmaschine (s.o.).
Mittlerweile erwarten viele Wikis eine Anmeldung, um Artikel editieren zu
können, was unter anderem ein Schutz vor Vandalismus bspw. durch automatisierte Skripte, sog bots ist. Des Weiteren erhöht dies die Transparenz, da so leichter nachvollziehbar ist, wer Artikel geschrieben oder geändert hat. Insgesamt
4 Stand:
Februar 2008, Details unter www.wikipedia.org
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
105
haben Wikis ein hohes Maß an Transparenz und Offenheit, was unter anderem
durch die typischen Dokumentations- und Kommunikationsformen gewährleistet wird. [Osm06]
Nichts desto trotz ist es illusorisch, dass Plattformen wie Wikipedia virtuelle
Räume mit völlig heterogenen Usern sind, die alle nur ihr Wissen beisteuern
wollen. So brachte 2007 eine Analyse von Wikipedia-Gründer James Wales zum
Partizipationsverhalten der User zu Tage, dass etwa die Hälfte der Artikel von
gerade einmal 2,5% der registrierten User verfasst wurde. So scheint es in der
Tat eher eine homogene Gruppe von thoughtful users“(James Wales) zu sein,
”
die die Wissensplattform voranbringt. Trotzdem handelt es sich nach wie vor um
eine Gruppe von Verfassern (Wikipedianern), die im Februar 2008 immerhin bei
etwa 10.000 lag. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl nicht registrierter Benutzer.
In Wikis gibt es keine redaktionellen Sichtungen der Artikel durch Lektoren o.ä.
Andererseits erfolgen Sichtungen der Artikel im Rahmen der Diskussionsforen
und -boards, wo zweifelhafte Inhalte angesprochen werden und ggf. korrigiert
werden. Allerdings verfügt nur ein kleiner Teil der Gesellschaft tatsächlich über
Fachwissen zu einzelnen Gebieten. Somit läuft diese Minderheit häufig Gefahr
von der Masse der Gesellschaft korrigiert“ zu werden und Wikipedia das Risiko,
”
mit Halbwissen“ überflutet zu werden. [Wiki08]
”
Welche Motive die kleine, aber sehr aktive Gruppe von Autoren antreibt, ist
wahrscheinlich kaum ergründbar. Aber sicherlich spielen auch Aspekte wie Anerkennung und der Wunsch nach (Selbst-)Darstellung durch Präsentation des
eigenen Wissens eine nicht ganz unerhebliche Rolle. Zwar sind die User anonym
durch Avatare bzw. Nicknames, aber nichts desto trotz sind sie es, die nach
einer Neuveröffentlichung oder kritischen Kommentierungen von Artikeln im
Mittelpunkt des Interesses der Wikipedia-Community stehen.
Des Weiteren bieten Wikis aber teilweise auch Platz für ideologische Artikel
bspw. in Bereichen wie Politik oder Religion. Aber auch opportunistische Motive
können zum Tragen kommen bspw. in Bezug auf Biographien von Personen des
öffentlichen Lebens, die sich auf diese Weise positiv darstellen möchten.
Der Einfluss der somit von Seiten der Wikis oder Wikipedia-Derivaten ausgeht, ist, dass Nutzer Halbwissen zu verschiedenen Themen sammeln bzw. unreflektiert Ideologien und Wahrheitsverschiebungen sich aneignen und aufnehmen könnten.[Wiki08, Stichwort: Wikipedia“] Dies ist sicherlich keine sehr
”
wünschenswerte Entwicklung. Entsprechend sind gerade hier die klassischen Bildungsinstanzen gefordert, eine gewisse Sensibilität hinsichtlich solcher Wissensplattformen und ihrer negativen Seiten zu vermitteln.
3.4.3
eLearning
Im vorangegangenen Punkt zu Suchmaschinen und Wissensplattformen im Internet wurde zum Teil bereits die technische als auch die didaktische Basis für
das eLearning gelegt. In diesem Kapitel soll nun zunächst ein kurzer Überblick
106
Virtuelle Systeme im Internet
über die Formen des eLearnings sowie deren Grundlagen gegeben werden, um
dann jeweils ein Anwendungsbeispiel zu umschreiben.
Überblick und Grundlagen
Zunächst eine Definition des Begriffes eLearning:
eLearning ist die Verwendung neuer Multimediatechnologien und
des Internets zur Verbesserung der Lernqualität durch den Zugriff
auf Ressourcen und Dienstleistungen sowie für die Zusammenarbeit
und den Austausch über weite Entfernungen hinweg.
[Ele08]
Die angesprochene Standardisierung und Warenförmigkeitvon Wissen und Bildung, sowie deren Privatisierung werden implizit in dieser Definition der Europäischen Union mit aufgegriffen, indem von Ressourcen und speziell von Dienstleistungen gesprochen wird. Diese werden im Alltag gemeinhin eher durch die
Privatwirtschaft erbracht. Gerade der Aspekt der Standardisierung ist ein prägendes Merkmal des eLearnings, das auch von öffentlichen Institutionen bei der
Entwicklung und Implementierung von eLearning-Projekten aufgegriffen und
angewendet wird.
In Zusammenhang mit eLearning fällt auch häufig der Begriff des lebenslangen
Lernens, welches begünstigt wird durch den allgegenwärtigen Zugang zu Wissen
und Informationen über Multimediatechnologien. Die Art und Weise wie dabei
Wissen vermittelt bzw. aufgenommen wird, kann unterschiedlich sein und hängt
von verschiedenen Voraussetzungen ab. Hier eine grobe Übersicht der gängigsten
Varianten:
eLearning
Computer Based Training (CBT) vs. Web Based Training (WBT)
Autodidaktik vs. blended learning
strukturierte Quellen vs. unstrukturierte Quellen
(eigene Darstellung in Anlehnung an [Att06])
Hier sollen ausschließlich Beispiele zum Web Based Training (WBT) betrachtet werden. Autodidaktik meint die völlig eigenständige Aneignung von Wissen
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
107
(Selbststudium), während blended learning für die Kombination aus Selbststudium im Einzelverfahren und Präsenzveranstaltungen bspw. mit einem Lehrer
meint. Die Art der Quelle zuletzt steht dafür, wie die zu lernenden Informationen zur Verfügung stehen. Das heißt gibt es eine Art Curriculum oder andere
Vorlagen, die die Reihenfolge und den Umfang bestimmen z.B. in Form von
Lektionen oder muss der Lernende seine Informationen selbst zusammenstellen
und an seine Fähigkeiten anpassen?
Ein wichtiger Aspekt, der bei sämtlichen eLearning-Anwendungen zu klären
ist, ist der des Manageralism. Dieser meint, dass die Rolle des Bildungssystems sich stark verschoben hat, weg von der Vermittlung von Inhalten, hin zur
Vermittlung von (Schlüssel-)Kompetenzen, die letztlich dem Management des
(eigenen) Bildungsprozesses dienen. Dahinter steckt die Problematik, dass Wissen nur ergründet werden kann, wenn der Lernende weiß, wie er dies anstellen
soll. Dazu gehört einerseits das eigene, persönliche Management, also das Wie
”
lernen ich etwas?“ und andererseits Wie müssen eLearning-Angebote im Sin”
ne von Dienstleistungen organisiert und gestaltet sein, um den Lernerfolg zu
garantieren?“ Denn letztlich zählt genau dieser, weshalb eine Standardisierung
notwendig erscheint, um den Lernerfolg vergleichbar und messbar zu machen.
[Att06]
Im Folgenden sollen nun kurz ein paar Beispiele erläutert werden.
Beispiele von eLearning-Systemen
Autodidaktik mit unstrukturierten Quellen In diesem Fall bemüht sich
der Lernende vollkommen eigenständig um neues Wissen. Hierzu wird laut einer
Studie von [Att06] überwiegend Google verwendet, wo mit Hilfe gezielter Suchbegriffe nach geeigneten Dokumenten, Netzwerken, Foren o.ä. gesucht wird. Ein
entscheidender Faktor des Lernerfolgs hierbei ist, wie der Lernende seine Suchbegriffe strukturiert, ob er weiß, wonach er genau suchen muss und letztlich wie
hoch sein Wissensniveau in dem Bereich ist, den er verbessern oder erweitern
möchte. Gerade die Niveaufrage ist im Zusammenhang mit unstrukturierten
Lernquellen sehr wichtig, da sie Grundlage für die Erschließung weiteren Wissens ist. [Att06] verweist diesbezüglich auf zwei Ansätze, um diese Problematik
zu beleuchten.
Der Ansatz der legitimen peripheren Legitimation geht davon aus, dass Lernende
in einem hier beschriebenen Kontext versuchen, sich Gruppen bzw. Praxisge”
meinschaften“ anzuschließen. Mit Praxisgemeinschaften sind Gruppen mit einer
gewissen Nähe zum Lernbereich des Lernenden gemeint. Der Lernende partizipiert bspw. in einem Forum zunächst nur als Beobachter und Zuhörer und ergründet auf diese Art das Niveau bzw. erhöht sein Grundverständnis, bevor er
letztlich aktiv teilnimmt am Wissensaustausch. Dies ist im Hinblick bspw. auf
Wikis ein durchaus realisierbarer Ansatz, nämlich zunächst einmal in Diskussionsforen herauszufinden, ob das eigene Wissensniveau zur aktiven Teilnahme
genügt.
108
Virtuelle Systeme im Internet
Vielfach Anwendung findet autodidaktisches Lernen dann, wenn es um themenbezogenes Wissen geht, sei es zur Problemlösung in Beruf oder im Alltag oder
einfach aus Interesse heraus, um weiteres Wissen zu einem bestimmten Sachgebiet zu erlangen. Der Erfolg des Lernens hängt hierbei stark von der Art der
Motivation ab. Liegt ein hohes Maß an intrinsischer Motivation vor, sprich der
Lernende zieht aus der Wissensaneignung eine gewisse Art von Befriedigung oder
persönlichem Nutzen, so ist der Lerneffekt recht stark. Fehlt diese allerdings, so
bedarf es einer starken extrinsischen Motivation, die im beruflichen bspw. in
einem hohen Gehalt liegen kann. Etwas subtiler kann sie aber auch darin liegen,
mit dem angeeigneten Wissen Anerkennung in Gruppen zu erhalten.
Autodidaktik mit strukturierten Quellen In dieser Kombination wird
dem Lernenden das Wissen bereits strukturiert dargeboten. Dies ist bspw. der
Fall in virtuellen Lernumgebungen“, wie sie an Hochschulen eingesetzt werden.
”
[BecWünDeb94] stellt in seiner Studie Systeme und ihren Erfolg dar. Populäre
Beispiele sind z.B. das Stud.IP oder auch m-Quadrat in den Medienwissenschaften. Diese Umgebungen stellen je nach Umfang verschiedene Leistungen
zur Verfügung. Während das Stud.IP tendenziell eher zur Organisation von
Gruppen und zur Bereitstellung von Daten genutzt wird, dienen andere System
wie das m-Quadrat auch zur Selbstkontrolle, Wissensüberprüfung durch Dritte und als Diskussions-Plattform. Hier werden bspw. Lehreinheiten aus Texten
mit Videosequenzen und anderen medialen Inhalten, sowie mit Kontrollfragen
und Anwendungsfällen kombiniert. Gerade im Bereich von Fernstudien gewinnen diese virtuellen Lernumgebungen“ zunehmend an Bedeutung, aber auch
”
im normalen hochschulinstitutionellen Rahmen steigt diese in Zeiten zunehmend
knapper räumlicher und zeitlicher Kapazitäten.
Eine Alternative zu solchen institutionell gestalteten Informations- und Lernsystemen sind freie Internetprojekte und Tutorials, die in unterschiedlichster Form
daherkommen. Im Bereich der Informatik und der Programmierung bspw. gibt
es zahlreiche Online-Tutorials, die Schritt für Schritt bspw. die Programmierung einer Website erläutern. Beispiele sind Webseiten wie SELFHTML5 oder
SELFPHP6 , bei denen bereits die Nomenklatur den autodidaktischen Charakter
darstellt.
Ein weiteres System ist eine Erweiterung von Wikipedia und heißt WIKIversity - Lehren und Lernen 7 und stellt aufbauend auf den Grundlagen von WikiSystemen den Lernenden eine Lernumgebung mit Tutorials, Diskussionsforen
und offenen Fragestellungen zur Verfügung. Die Grundidee beschreibt die WIKIversity wie folgt: Wikiversity ist eine Plattform zum gemeinschaftlichen Ler”
nen, Lehren, Nachdenken und Forschen. In Kursen wird Wissen didaktisch aufbereitet und abgerufen. Kolloquien dienen dem fachlichen Gedankenaustausch.
In Projekten kann neuen Fragestellungen nachgegangen werden. Durch die Entwicklung und Bereitstellung freier Kurs- und Lernmaterialien soll der ungehinderte Zugang zum Wissen verbessert werden.“(http://de.wikiversity.
org/wiki/Hauptseite) Diese Beschreibung verdeutlicht, dass es sich hier schon
5 http://www.selfhtml.de
6 http://www.selfphp.de
7 urlhttp://de.wikiversity.org/wiki/Hauptseite
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
109
annähernd um eine Art virtueller Universität“ handelt, die ähnliche Organisa”
tionseinheiten bzw. Veranstaltungen aufweist wie reale Universitäten.
Blended Learning Blended Learning heißt übersetzt gemischtes Lernen“
”
und meint damit den kombinierten Einsatz von verschiedenen Medien und Methoden zur Vermittlung und Aneignung von Wissen. In Kombination mit eLearning steht dies häufig für eine Kombination aus virtuellen Lernumgebungen“
”
und Präsenzveranstaltungen, Online-Tutorien auf Chatbasis oder sogar Videoübertragungen, in denen der Tutor/Dozent vor einer Kamera Fragen beantwortet, die vorab gestellt wurden oder in Echtzeit z.B. in einem Chat erscheinen.
Diese Art der Anwendung fällt ganz klar in den Bereich strukturierter Quellen.
Der Vorteil hierbei ist, dass sich nach wie vor Motivationsquellen wie soziale
Kontakte oder auch der soziale Druck, zu einer Veranstaltung zu erscheinen,
eine Ursache spielen und somit teilweise einen höheren Erfolg aufweisen als rein
virtuelle Veranstaltungen, die nur auf der Selbstkontrolle des Lernenden basieren. Hierzu vergleiche auch die Studie von [Bre00].
Eine Art Blended Learning fand auch im Rahmen dieses Projektes statt, wobei
die Quellen teilweise unstrukturiert waren. Die Teilnehmer waren gehalten, ihre Themen- und Interessengebiete selbständig zu benennen und zu erschließen.
Entsprechend mussten sie sich auch selbständig das entsprechende Wissen zu
diesen Gebieten aneignen. Die wöchentlichen Treffen dienten zum Austausch
der bisherigen Erkenntnisse sowie zu einer Unterstützung der technischen Kompetenzen. Gleichzeitig übte die Gruppe implizit einen gewissen Druck aus, die
eigenen Bemühungen weiter voran zu treiben, da man im Vergleich zu anderen
Projektgruppen nicht schlechter dastehen wollte. Dies ist somit ein kleiner empirischer Beweis für die positiven Auswirkungen sozialer Strukturen, die beim
Blended Learning zum Tragen kommen.
3.4.4
Gesellschaftliche und soziale Aspekte in der virtuellen Bildung
Informations- und Suchplattformen im Internet unterliegen starken gesellschaftlichen Einflüssen. Wie in den Abschnitten zu Google und Wikipedia dargestellt
wurde, sind gesellschaftliche Einflüsse diesbezüglich bidirektionale Phänomene.
Einerseits wirkt die Gesellschaft bspw. einschränkend auf die zu präsentierenden
Suchergebnisse bei Google oder nimmt Einfluss auf die Qualität von Informationen, dadurch, dass sich einzelne User durch Artikeländerungen oder -neuanlagen
gewissermaßen profilieren möchten ohne über ausreichendes Fachwissen zum
jeweiligen Thema zu verfügen. Andererseits steuern Suchmaschineanbieter die
User nach eigenem Ermessen zu Informationen zu einem Suchbegriff und steuern
darüber, was der User letztlich an Informationen zu einem Thema erhält. Gleichzeitig nutzt ersterer dabei implizit das Vertrauen der User auf themenadäquate
Informationen, um den eigenen Profit zu steigern, indem er unter Umständen
zunächst einmal qualitativ geringwertigere Ergebnisse präsentiert. Dies führt
aus ökonomischer Sicht letztlich zu Transaktionskosten des gutgläubigen Users
und beschert dem Anbieter weitere Erträge.
110
Virtuelle Systeme im Internet
Wie im Abschnitt zum eLearning schon angedeutet wurde, sind soziale Aspekte
eine nicht zu vernachlässigende Größe hinsichtlich des Erfolgs von eLearning.
Gerade in Bereichen, wo Lernen als Alltagsaufgabe bestritten wird (z.B. Universität) sind extrinsische Motivatoren wie Zugehörigkeit, Gruppendruck und
Anerkennung wichtige Argumente, die über Erfolg oder Versagen entscheiden
können. Auch die Rolle von Experten“ wird in der Sozialtheorie hervorgehoben,
”
denn sie sind erst in der Lage, Lernende an ein entsprechendes Wissensniveau
heranzuführen, auf welchem diese dann aufbauen können und sich weitere Inhalte autodidaktisch erschließen können. Experten können auch Kollegen und
Mitarbeiter sein, die über mehr Erfahrung verfügen. [Att06]
Dass eLearning oder virtuelle Informations- und Wissenplattformen wie Google oder Wikipedia gesellschaftlich-soziale Gefüge wie Universitäten, Schulen
oder andere Bildungseinrichtungen gänzlich ablösen werden, ist nicht erkennbar.
Auch die angesprochenen Studien sehen an und für sich keine Gefährdung hinsichtlich zunehmender Isolation oder Anonymisierung durch solcherlei Projekte
oder Bestrebungen. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass der erwartete Run
und die schnelle Entwicklung, die Anfang der 90er prophezeit wurden, letztlich
doch ausblieben bzw. in einem deutlich geringeren Maße stattfanden.
Dass sich Lehre und Lerninhalte in der Schule und anderen klassischen Bildungseinrichtungen ändern und ändern müssen, ist unstreitig, denn Lebenslanges
”
Lernen“ und ständige Weiterentwicklung sind die Forderungen unserer globalisierten und vernetzten Welt und letztlich Erfolgsfaktoren, die den persönlichen
Werdegang stark beeinflussen. Nur wer die richtige Anwendung virtueller Bildungsangebote und ein entsprechendes Selbstmanagement gelernt hat, wird mit
dem Rhythmus in Zukunft mithalten können. Dies führt aber andersherum ggf.
auch dazu, dass klassische Ausbildung und Schulwissen nicht mehr ausreichen
werden und so für die älteren Generationen das Schritthalten ohne entsprechende Weiterbildung“ zusehens schwieriger wird, so dass man durchaus von einer
”
Art Generationenkonflikt im Bildungswesen sprechen kann.
3.5
Fazit
Ziel dieser Arbeit war es, die Wirkungen von unterschiedlichen, internetgestützten virtuellen Systemen auf die sozialen Strukturen und die Gesellschaft zu
untersuchen. Diesbezüglich wurden drei Teilbereiche betrachtet: die Life-Sim
Second Life, soziale Online-Netzwerke, wie Facebook und StudiVZ, sowie internetbasierte Wissens- und Lernplattformen anhand von Google und Wikipedia.
Dabei wurde deutlich, dass in allen drei Systemen die Selbstdarstellung der
User in den virtuellen Gemeinschaften einen hohen Stellenwert einnimmt. Die
Möglichkeiten und der Grad der Selbstdarstellung sind allerdings sehr unterschiedlich und sprechen dadurch recht unterschiedliche Präferenzen der User
an. In Life-Sims ist der User faktisch anonym hinter einer selbstmodellierten
Persönlichkeit versteckt und kann auf diese Weise ein starkes Freiheits- und
Grenzenlosigkeitserlebnis bestreiten, welches ihm eingebunden in einer realen
–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
111
Gesellschaft durch Wert-, Moral- und Rechtsvorstellungen so sicherlich nicht
immer möglich wäre. Dahingegen leben SNSs in großem Maße davon, dass sich
User mit ihrer realen Identität präsentieren. Hier stehen stärker soziale Aspekte
im Vordergrund, wie Anerkennung, Zugehörigkeitsgefühl und soziale Interaktion. All dies erfolgt hier allerdings mit der wahren Identität der User, auch
wenn man davon ausgehen muss, dass manche Formen der Selbstinszenierung
die Realität ein wenig beugen. All diese Punkte sind zwar durchaus auch in
Second Life relevant, durch die Anonymität jedoch auf deutlich geringerem Niveau. Wissensplattformen, wie Wikis, bieten letztlich den Usern eine Plattform
zur intellektuellen Selbstinszenierung. Hier stehen die Darstellung und das Ausleben des eigenen Wissens im Vordergrund, allerdings ebenfalls auf anonyme
Art. Gerade die Anonymität mag aber auch hier dazu verleiten, nicht immer
ganz reale Fakten oder gänzlich fundierte Informationen zu publizieren, denn
auch solche führen zu Aufmerksamkeit.
Selbstdarstellung ist dabei letztlich in allen drei Systemen nur Mittel zum Zweck,
nämlich dem Zweck der sozialen Integration in die Gruppe / die Community.
Wie schon angedeutet dient sie neben anderen Aspekten dazu, Bestätigung, Anerkennung oder Respekt zu erhalten, alles wichtige Punkte für die Ausbildung
einer eigenen Identität, einer sozialen Rolle und von Motivation. Dabei ist es ein
verbreitetes Vorurteil, dass sich User generell in ihrem Streben nach sozialer Integration und Anerkennung zunehmend aus der realen Welt isolieren und immer
stärker in die virtuelle Welt eintauchen, bis man schließlich von einer Art Realitätsverschiebung oder Suchtverhalten sprechen könnte. In den einzelnen Kapiteln zu den vorgestellten Systemen wurden diese Vorurteile anhand von Studien
und verschiedenen wissenschaftlichen Beiträgen zumindest für die Mehrheit der
User widerlegt. Dass aber isolierende oder suchtfördernde Potentiale latent vorhanden sind, ist unbestritten. Im Gegenteil kann man anmerken, dass SNSs
beispielsweise integrative Wirkungen auf real-gesellschaftlicher Ebene zeigen,
indem sie ein Medium bieten, mit dem soziale Kontakte schneller, einfacher und
breitgefächerter als bisher gehalten oder neugeknüpft werden können. Virtuelle
Bildungssysteme und die Erfahrungen mit eLearning haben gezeigt, dass reale,
soziale und gesellschaftliche Strukturen eine unersetzbare Unterstützung beim
Lernprozess bieten. Und nicht zuletzt können Life-Sims wie Second Life der individuellen Verwirklichung dienen, die im realen Leben so nicht möglich wäre
und somit zu Zufriedenheit auch auf realer Ebene führen. Darüber hinaus bieten
sie auch die Möglichkeit, reales Geld zu generieren, welches dann letztlich auch
zur möglichen Optimierung der realen Lebensumstände dienen kann.
Ein letzter Punkt ist das wachsende Vertrauen in das Internet. Speziell jüngere
Generationen gehen viel offener mit persönlichen Informationen und Daten um
als frühere dies taten. Informations- und Wissensplattformen sind in der Lage, falsche Informationen und Tatsachen in kürzester Zeit einer breiten Masse
an Usern zu vermitteln. Gerade im Hinblick auf moralisch oder rechtlich unzulässige Fakten kann dies Gefahren mit sich bringen. Beide Punkte laden zu
Missbrauch ein, seien es die persönlichen Informationen, die im harmlosen Fall
beim Vorstellungsgespräch plötzlich zum Thema werden, in schlimmeren Fällen
womöglich zum Betrug Dritter genutzt werden. Es können aber auch politischoder religiös-fanatische Propagandaschriften seien, die publiziert werden und
die bei Usern durch vertrauensvolle, unreflektierte Aufnahme zu Mitläuferten-
112
Virtuelle Systeme im Internet
denzen führen können. In beiden Fällen kann dies unangenehme Folgen für den
Einzelnen, mehrere Personen oder ganze Teile einer Gesellschaft haben. Hier
kann nur mehr Aufklärung und Anleitung helfen, das Vertrauen entsprechend
positiv zu kanalisieren.
Abschließend lässt sich festhalten, dass heutzutage Gesellschaft und Internet in
einem engen, einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Einerseits ist das Internet und seine Inhalte in ihrer Erschaffung gesellschaftlich-sozialen Aspekten
unterworfen, andererseits wurde gezeigt, dass es auch Rückwirkungen der zunehmenden Internetnutzung auf diese gesellschaftlich-sozialen Strukturen gibt.
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–Eine Betrachtung in drei Teilbereichen–
115
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116
Virtuelle Systeme im Internet
Thema 4
Wirtschaftliche Aspekte in
virtuellen Realitäten
Marketing in Second Life
Jana Baumgarte, Mario Ostović, Han Sun
4.1
Thema und Zielsetzung
In unserer Projektarbeit möchten wir uns mit wirtschaftlichen Aspekten in der
virtuellen Realität Second Life beschäftigen, wobei insbesondere die Repräsentanz von Unternehmen aus Sicht des Marketings im Vordergrund stehen soll.
Dabei soll zuerst der Frage nachgegangen werden, welche Anreize Unternehmen
haben könnten in Second Life aufzutreten und welche Chancen und Risiken
sie vor ihrer Entscheidung für oder gegen eine Präsenz gegeneinander aufwiegen sollten. In diesem Zusammenhang möchten wir herausarbeiten, welche Ziele
die Markenunternehmen mit einem Auftritt verfolgen und welche verschiedenen möglichen Strategien und Nutzungsszenarien für diese Zwecke denkbar sind
(z.B. als Testmarkt, Informationsplattform oder Verbindung/Ergänzung zum
Webshop). Dabei wird sich schnell herausstellen, dass eine nahezu unüberlegte Präsenz allein keinen Erfolg verspricht, sondern dass eine Aspekte bei der
Ausgestaltung einer Firmeninsel zu berücksichtigen sind, damit diese auf die
Bewohner der virtuellen Welt ansprechend wirkt. Dazu gibt es viele verschiedene Konzepte für die Präsenz eines Unternehmens in Second Life, die wir an den
Bespielen Adidas, Mercedes, BMW und Vodafone vorstellen und voneinander
117
118
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
abgrenzen wollen.
Zum Schluss soll gezeigt werden, warum einige Unternehmen sich bereits aus
Second Life zurückgezogen haben, warum Marketing in Second Life bislang nicht
immer funktionierte und welche Chancen dennnoch für die Zukunft bestehen,
die virtuelle Welt als Kommunikationskanal zu nutzen.
Marketing in Second Life
4.2
119
Marketing in Second Life
Seit ungefähr Mitte des Jahres 2006 erlangte das Internet-Phänomen Second
Life aufgrund zahlreicher Berichte in traditionellen Medien einen großen großen
Bekanntheitsgrad. Inzwischen haben unzählige reale Unternehmen die virtuelle
Welt entdeckt und für sich entschieden, dass sich ein Engagement in Second Life
lohnt, da sie darin eine Chance sehen, ihre Kunden auf vollkommen neue Art
anzusprechen. Dazu gehören z. B. das IT-Unternehmen IBM, die Sportartikelhersteller Adidas und Reebok, der Unterhaltungsriese Sony BMG, die Automobilhersteller Pontiac, Mazda, Mercedes und BMW sowie auch die Deutsche Post
AG oder die Sportliga NBA, um nur einige der langen Liste zu nennen. Die Invasion der realen Unternehmen in die virtuelle Welt ist somit ein Zeichen dafür,
dass sie die Möglichkeit für sich erkannt haben, die Online 3D-Welt sowohl als
Kommunikationsplattform als auch für Werbezwecke zu nutzen.
4.2.1
Gründe und Motivationen für die Präsenz in Second
Life
Bevor wir in den folgenden Kapiteln näher darauf eingehen werden, wie die Firmen Second Life als Marketinginstrument nutzen, möchten wir zunächst mögliche Gründe für die Präsenz von Unternehmen in der virtuellen Welt aufzeigen
und der Frage nachgehen, was Second Life für sie so interessant macht.
Die Gründe für den großen Erfolg von Second Life können vor allem darin gesehen werden, dass sie eine höhere Effektivität in der Kommunikation bietet und
die Beschränkungen in klassischen Kommunikationsmedien überwindet. Dies
ist für viele reale Firmen ein großer Anreiz, sich in Second Life zu präsentieren,
um besser mit potenziellen Kunden in Kontakt treten zu können sowie auf ihre Marke und ihr Produktangebot aufmerksam zu machen. So berichtet auch
der Berliner Internetdienstleister Pixelpark [BrKü07], der in Second Life unter
anderem für den Energiekonzern EnBW in Karlsruhe eine Sportkampagne betreute, von einem großen Interesse. Das könnte den Online-Handel gravierend
”
verändern. Da herrscht eine unheimliche Dynamik“, sagt Michael Schumann
von der Berliner Kommunikationsagentur Zühlke Scholz & Partner, die mit einem eigenen Büro in Second Life Unternehmen zum Thema Online-Marketing
in virtuellen Welten berät [oV08].
Direkte wirtschaftliche Effekte versprechen sich die meisten zwar noch nicht davon. Handels- und Werbeexperten sehen darin aber schon heute einen wichtigen
neuen Vertriebskanal, über den vor allem eine junge kauflustige Kundschaft direkt angesprochen werden kann.
Genauso vielfältig wie die Liste der Unternehmen und vertretenen Branchen
in Second Life ist die Motivation der Unternehmen. Als Return on Investment
erwarten die Unternehmen zum Beispiel Umsätze in Linden Dollars oder harten US Dollar, einen positiven Beitrag für Ihre Marke oder Erkenntnisse für
das Produktdesign oder die Preisgestaltung. Der eigentliche Return on Investment ist die Berichterstattung in den Medien“ draußen und die PR-Wirkung
”
daraus. Eine weitere Motivation könnte das schnelle Sammeln von Erfahrungen
120
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
sein. Durch Second Life versuchen die Unternehmen, von den Aktivitäten der
Konkurrenten zu lernen und es besser zu machen [oV09]. In Verbindung mit
den Marketingkampagnen in der realen Welt können die Aktivitäten in Second
Life einen deutlichen, positiven Beitrag für Unternehmens- und Produktmarken
liefern.
Das Interesse an Second Life wachse stetig, heißt es beim Bitkom-Verband für
neue Medien, Telekommunikation und Internet. Hunderte Unternehmen seien
dort schon aktiv, vor allem Computer-, Auto- und Schuhhersteller, aber auch
viele Dienstleistungsunternehmen wie Singlebörsen und Reisebüros. Die Unter”
nehmen dringen dort mit ihrer Werbebotschaft leichter durch, als in der realen
Welt“, sagt Bitkom-Internetexperte Florian Koch. Zudem biete die Online-Welt
eine gute Möglichkeit, Marktforschung zu betreiben. Unternehmen könnten dort
für nur wenig Geld sehr leicht Produkte starten, Dienstleistungen anbieten und
aus dem Feedback der Nutzer letztendlich Schlüsse für die reale Welt ziehen
[oV10].
4.2.2
Chancen und Geschäftsrisiken
Im vorherigen Abschnitt wurde angesprochen, welche Motivationen die zahlreichen Unternehmen, die bereits eine Insel in Second Life gründeten, für die
Entscheidung der Präsenz haben mochten. Zum Ende des Jahres 2006 und zu
Beginn des Jahres 2007 herrschte noch ein wahrlicher Hype um die virtuelle
Welt, so dass nur wenige Unternehmen mit bekannten Markennamen sich nicht
für einen firmeneigenen Auftritt entschieden. Doch die Welt des 3D-Marketings
zeigte seit Mitte des Jahres 2007 auch ihre Grenzen, was dazu führte, dass einige Firmen ihre Inseln wieder verließen. Deswegen möchten wir an dieser Stelle
darauf hinweisen, wie wichtig es für Unternehmen ist, die in der Zukunft noch
eine Präsenz in dem zweiten Leben planen, die Chancen und Risiken genau voneinander abzuwägen.
Einerseits sahen viele im Web 3D die Chance der kompletten Visualisierung der
Welt inklusive der Neuerschaffung als viel schönere neue Welt. Doppelgänger
lebten als Avatar das Leben, das wir immer vermisst haben – und schlugen
wohl gerade deshalb sehr viel öfter über die Stränge als im realen Leben. Womit
das Andererseits“ sich den renommierten Marken ziemlich bald aufdrängte:
”
Fliegende Genitalien sind nicht nur nichts für Kinder, sie schädigen auch das
Image. So wurde ein Auftritt im Second Life nach einer kurzen, kaum ein Jahr
dauernden Zeit des Hypes für Markenunternehmen zu den unkalkulierbaren Risiken. In diesem Abschnitt werden wir die Chancen und Geschäftsrisiken für
Unternehmen in Second Life analysieren und uns dabei vorwiegend auf einen
Artikel von Patrick Breitenbach vom 23.11.2006 beziehen [Bre06a].
Zu dem Zeitpunkt, als der Artikel von Breitenbach erstellt wurde, existierte
gerade ein echter Hype um Second Life. Deshalb sah er es als Chance für Unternehmen an, die virtuelle Welt für Marketingmaßnahmen zu nutzen, da Second
Life sich wachsender Beliebtheit erfreute. Im November 2006 gab es über 1,5
Mio. Nutzer weltweit — Tendenz stark steigend. Zu der Zeit kamen auf Grund
der wachsenden Anzahl von Breitbandinternetanschlüssen täglich 10.000 User
dazu. Inzwischen ist die Zahl der registrierten Mitglieder laut Angaben von Wi-
Marketing in Second Life
121
kipedia auf etwa 11.000.000 gestiegen und rund um die Uhr sind bis zu 60.000
User eingeloggt [oV18]. Somit kann eine Firma mit ihrer Marketingkampagne
weltweit eine relativ große Zielgruppe freiwilliger Bewohner erreichen.
Als eine weitere Chance für Marken sieht Breitenbach die Communities in Second Life. Hier finden Unternehmen sehr schnell heraus, wo die Interessensgebiete der User liegen. Das sollte man nicht ausnutzen, sondern nutzen. Denn
Communities haben durchaus auch Lust mit Unternehmen in Kontakt zu treten.
Die virtuelle Welt bietet Unternehmen zudem die Möglichkeit, dass sie sich virtuell spiegeln können. So kann eine Firma ihr reales Firmengebäude nachbilden,
um bei den Usern einen Wiedererkennungseffekt zu erzielen. Ebenso können
aber auch Büroräume, virtuelle Showrooms und ganze virtuelle Messestände
aus dem ersten Leben kopiert werden, um so den Bewohnern den Eindruck zu
vermitteln, dass sie einen Einblick in das virtuelle Unternehmen, das nur ein
Abbild des realen ist, erhalten können.
Besonders für Unternehmen, die Produkte von stattlicher Größe herstellen, wie
etwa Autos, Häuser, Flugzeuge oder ähnliches, haben nun die Gelegenheit, ihre
Produkte anschaulich zu präsentieren und sie vor allem auch in gewisser Weise ausprobierbar“ zu machen. Dies gilt ebenso für Kleidung oder Schuhe, die
”
in virtuellen Läden von den Avataren anprobiert werden können. Second Life umfasst also ein eigenes Wirtschaftssystem, zu dem auch die Währung der
Linden-Dollars gehört, und bietet somit die Möglichkeit, ganze Shoppingcenter
aufzubauen. In diesem Punkt hat die 3D-Welt einen enormen Vorteil gegenüber
dem Web 2D — es ist einfach platischer, wodurch den Avataren ein virtuelles
Einkaufserlebnis ermöglicht wird und die Firmen den Kontakt zu ihrer Marke stärken können. Vergleicht man dies mit den Angeboten in Online-Shops im
Web 2D, wo der Kunde mehr oder weniger nur in einem Katalog blättert, scheint
ein Einkaufsbummel wesentlich ansprechender und auch kommunikativer. Dabei bietet sich den Firmen nicht nur die Gelegenheit, Zubehör für die virtuellen
Charaktere zu verkaufen, sondern gleichzeitig auch noch eine Anbindung an den
eigenen, realen Internetshop zu schaffen.
Zudem ist das Eintauchen und Umherschweifen in dieser virtuellen Welt extrem
intensiv, da das menschliche Gehirn neue Erfahrungen macht und man wie ein
Kind die Umgebung betrachten und bewundern kann. Dies ist ein Grund dafür,
warum (Werbe-)Botschaften wesentlich intensiver wirken. Zusätzlich haben Unternehmen hier nicht nur die Möglichkeit, durch ihre Gebäude oder Inseln die
Aufmerksamkeit der User zu erlangen, sondern können in der gesamten virtuellen Welt Werbeflächen buchen und besetzen, um dadurch die Bewohner auf
ihre Insel zu leiten, damit sie weitere Informationen über die Marke und ihre
Produkte erhalten. Außerdem kann ein Unternehmen durch Angebote, bei denen die Bewohner interagieren können, leichter den Nutzer im Unterbewusstsein
erreichen.
Ebenfalls als eine Chance für Unternehmen sieht Breitenbach den Aspekt, dass
die Medienvielfalt enorm ist. Denn alle Medien sind theoretisch abbildbar. So
gibt es in Second Life des öfteren Live-Konzerte, z. B. von der Band U2, Kinos oder Zeitungen und Zeitschriften, wie z. B. die virtuelle Boulevard-Wochenzeitung Avastar des Axel Springer Verlags.
Wie aus einigen der bislang genannten Punkte schon erkennbar wird, ist die
Kreativität in Second Life grenzenlos. Durch die Möglichkeit der freien Programmierung und der grafischen Gestaltung ist fast nichts unmöglich. Es können
122
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
nicht nur reale Produkte kopiert oder völlig neue, rein virtuelle Produkte gestaltet werden, sondern auch Szenarien nachgestellt und ganze Firmenimperien
oder sogar Städte nachgebaut werden. Letzeres bietet den Nutzern die Möglichkeit, sonst eher schwer zugängliche Orte virtuell zu besichtigen und z. B. Reiseoder Ausflugsziele vorab zu begehen.
Auch für Bildungseinrichtungen bietet Second Life enorme Chancen. Bereits
jetzt gibt es Universitätspräsenzen, Vorlesungen, Seminare und Vorträge. Die
Welt trifft sich zentral in dieser Welt und tauscht sich eben auch durchaus wertvoll aus.
Abschließend ist noch zu erwähnen, dass der Kontakt zur 2D-Onlinewelt und
zur realen Offlinewelt durchaus vorhanden ist. Second Life wird auch in eigenen
Blogs, Foren und Wikis weiter thematisiert. Deshalb dürfte es nur eine Frage
der Zeit sein, bis auch TV, Radio und Print über das Leben in Second Life
berichten.
Diesen gerade genannten Chancen stehen aber auch einige Risiken gegenüber,
die vor der Planung eines Auftritts genau gegeneinander abgewogen werden sollten.
So sollte sich eine Firma dabrüber bewusst sein, dass eine vernünftige Präsenz
in Second Life nicht gerade billig ist. Allein der Kauf einer ca. 65.000 qm großen
Insel kostet einmalig rund 1.675 US-Dollar. Eine größere Präsenz ist ab ca.
20.000 US-Dollar zu haben. Hinzu kommen die Kosten für die Erstellung von
Gebäuden und den Erwerb von sonstigem Zubehör und eventuell von Statussymbolen. Desweiteren folgen laufende Kosten, wie z. B. die monatliche Gebühr von
295 US-Dollar bei fortlaufendem Bestehen der Insel (Stand: Mai 2007) [oV19].
Außerdem sollte eine Firma bedenken, dass es nicht genügt, einfach eine 1:1Übertragung ihres realen Firmengebäudes durchzuführen. Denn dieses gleicht
dem Fehler, den viele Unternehmen zur Geburtsstunde des World Wide Webs
gemacht haben. Damals wurde oft die letzte gedruckte Imagebroschüre in eine
Firmenhomepage verwandelt und die Möglichkeiten einer Onlineversion wurden häufig aus Kostengründen außer Acht gelassen [Sch07]. So darf man nun in
Second Life auch nicht den Fehler begehen, einen Internetauftritt in die virtuelle Welt zu übertragen. Optimalerweise greift man deshalb bei der Gestaltung
seines Auftrittes auf intensive Beratung durch Profis zurück, was natürlich wiederum die Kosten in die Höhe treibt, so dass eine Präsenz mit umfangreicher
Architektur und aufwendiger Konzeption unter Umständen ein kleines sechsstelliges Budget erfordern kann.
Als ein weiteres Risiko sieht Breitenbach die Tatsache, dass es mit einer bloßen Präsenz nicht getan ist, sondern dass diese auch innerhalb und außerhalb
von Second Life bekannt gemacht werden muss und eine regelmäßige Betreuung
absolut notwendig ist. Desweiteren sollte man eine Verwaisung einer Präsenz
vermeiden, sondern vielmehr versuchen, up-to-date zu bleiben. Zudem gilt inzwischen, dass Marken versuchen müssen, besser, attraktiver und außergewöhnlicher aufzutreten als ihre Wettbewerber, wohingegen es zu Beginn einfacher
war, als ein Unternehmen noch punkten und Aufmerksamkeit erregen konnte,
indem es als erstes aus der Branche vertreten war. Dieser Punkt umfasst auch
das Risiko, das durch den Wunsch der Communities nach Abwechslung entsteht.
Damit die User sich nicht zu schnell langweilen, sollte man regelmäßige Events
oder Inhalte anbieten, um nicht die virtuellen Tumbleweeds vor seiner virtuellen Präsenz an sich vorbeiwehen zu sehen. Dabei sollte sich eine Firma aber
Marketing in Second Life
123
darüber im Klaren sein, dass die Kosten für den Aufbau einer Insel sowie auch
für deren Pflege real sind, der Nutzen aber meist nur ein virtueller ist. So tut
sich jeder Unternehmer mit Second Life-Plänen gut daran, keinen kurzfristigen
Return on Investment zu erwarten, da Second Life schließlich keine Wunderwelt
ist [Sch07].
So warnen viele Experten davor, keine überhöhten Erwartungen an das Feedback aus der virtuellen Welt zu stellen, insbesondere auch in Bezug auf die
Erreichung einer großen und vor allem stetig wachsenden Zielgruppe in Form
der Userschaft. Zum Zeitpunkt der Entstehung des Artikels gab es zwar schon
viele User, aber Breitenbach stellte sich bereits die Frage, ob das dauerhaft so
sein wird. Es schwebte damals immer der Hype“ im Raum, und seine persönli”
che Einschätzung war, dass Second Life auch weiterhin eine feste Größe in der
virtuellen Realität sein würde. Heute jedoch muss man beachten, dass der Hype
abgeklungen ist, aber trotzdem noch oft mit der hohen Anzahl der registrierten Mitglieder geprahlt wird. Dabei lassen viele Berichterstattungen doch die
Tatsache unerwähnt, dass nur noch wenige User wirklich regelmäßig eingeloggt
sind.
Außerdem gibt es laut Angaben von Bernd Schmitz in seinem Blog vom 30. April
2007 [Sch07] noch eine Reihe ungelöster Probleme, die überwiegend technischer
Natur sind. So schreibt Schmitz: Zunächst beschränken die relativ hohen Hard”
wareanforderungen und die Voraussetzung eines Breitband-Internetanschlusses
derzeit die Zielgruppe und damit die quantitative Anzahl potentieller Kunden.
Somit nehmen derzeit viele Unternehmen noch von der Plattform Abstand.
Dazu kommen die Instabilität des Systems und der hohe Lernaufwand, den
SL-Unternehmer in spe auf sich nehmen müssen.“ Außerdem weist er darauf
hin, dass die Anzahl der Avatare, die sich gleichzeitig an einem Ort befinden
können, auf 50 begrenzt ist. Im Zusammenhang mit den technischen Aspekten
führt Breitenbach außerdem an, dass es auch einige Sicherheitsgefahren gibt.
Kopierwürmer und andere böse Hackerattacken machen das Leben der Second
Life Bewohner nicht gerade einfach. Aber diese Problematik sei ja schon aus
dem E-Commerce mehr als bekannt, so Breitenbach.
Weiterhin sieht er es als problematisch an, dass es bisher noch keine Gesetze
innerhalb von Second Life gibt. Stattdessen gibt es lediglich sechs Benimmregeln, wie etwa Belästigen Sie niemanden“, Stören Sie nicht den öffentlichen
”
”
Frieden“ oder Verraten Sie vor allem nie etwas Persönliches Ihrer Mitspieler“.
”
Deshalb ist die Frage, inwieweit das jeweilige Rechtssystem in den verschiedensten Ländern da angedockt werden kann.
Als ein weiters Risiko für Unternehmen ist die Tatsache zu nennen, dass es
einige Bordelle oder Casinos gibt, mit denen man sicherlich nicht eine Insel
teilen möchte. Denn wie in dem Wikipedia-Artikel zu Second Life [oV18] zu
lesen ist, hat sich bereits ein 13-jähriges Mädchen in Gestalt ihres Avatars in
einem Bordell prostituiert und dafür Linden-Dollars kassiert. An dieser Stelle
wird ebenfalls kritisiert, dass es keinerlei Altersverifikation gibt und somit auch
Minderjährige Zugang zu solch pornografischen Inhalten haben. Außerdem wurden bereits kinderpornographische Inhalte in Second Life aufgedeckt, mit denen
kein Unternehmen gern in Verbindung gebracht werden möchte, nur weil sich
vielleicht ihre Firmenpräsenz in derselben Region befindet.
Zuletzt sei noch anzumerken, dass das Zahlungssystem für User bislang noch
sehr amerikanisch ist. Der Betreiber von Linden Lab bietet nämlich die Möglichkeit, reale US-Dollar in Linden-Dollar zu tauschen, damit sich die User weiteres
124
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
Zubehör für ihre Avatare kaufen können, oder aber auch, Linden-Dollars in reale US-Dollars aus virtueller Arbeit oder virtuellen Verkäufen zu wechseln. Der
Tauschkurs beträgt dabei ungefähr 270 Linden-Dollars zu einem US-Dollar. Der
Nachteil für einen Nutzer aus Europa besteht dann darin, dass ein Umtausch in
Euro nur über Kreditkarte oder Paypal erfolgen kann. Dies könnte möglicherweise die User davon abhalten, sich in dem Wirtschaftssystem der virtuellen
Welt zu integrieren und die Waren der Unternehmen zu kaufen.
Marketing in Second Life
4.3
125
Nutzungsmöglichkeiten von Second Life für
Unternehmen
Bei der Konzeption und der Realisierung von Marketingmaßnahmen für die Repräsentanz in Second Life ist die Definition einer konkreten Zielsetzung, wie
auch bei allen anderen Unternehmensstrategien, notwendig. Dazu muss sich das
Unternehmen zunächst darüber klar werden, welche vorwiegende Motivation zu
der Entscheidung für einen Auftritt geführt hat, und was sie mit der Präsenz
erreichen möchte. In diesem Zusammenhang ist auch eine deutliche Projekteinordnung von Vorteil, anhand derer definiert wird, um was für ein Projekt es sich
handelt [Was07] und wie Second Life konkret genutzt werden soll. Welche Strategien und Nutzungssenarien sich den Firmen in Second Life bieten, möchten
wir im Folgenden näher erläutern und schließlich auch einige Tipps anführen,
wie eine Präsenz in der virtuellen Welt attraktiver gestaltet werden kann.
4.3.1
Strategien
Seitdem zahlreiche Second Life Berichte in den Medien für eine sehr schnell
wachsende Bekanntheit sorgten, fragen sich immer mehr Unternehmen, wie sie
die virtuelle Welt professionell für ihr Business nutzen können. Besonders gefragt sind Ideen und Möglichkeiten, wie sich Produkte besser bewerben und
verkaufen lassen. In diesem Kapitel werden wir unterschiedliche Strategien von
Unternehmen in Second Life analysieren.
Untersucht man die bisherigen Auftritte verschiedener Marken, so fallen laut
der Website von Second Life [oV16] zunächst drei übergeordnete Muster auf.
So gab es zu Beginn des Hypes der virtuellen Welt Unternehmen, die großen
Wert darauf gelegt haben, als erste ihrer Branche oder ihres Marktbereiches
vertreten zu sein. Diese Strategie wird auch als First Mover“ bezeichnet. Das
”
Ziel, das diese Unternehmen mit ihrem frühzeitigen Auftritt verfolgen, ist weniger ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu kreieren, d.h. eine attraktive Insel
zu gestalten, die einen Großteil der Bewohner anzieht und somit der Produktwerbung und idealerweise auch der Kundenbindung dient, sondern vielmehr die
Berichterstattung in den traditionellen Medien und die PR-Wirkung daraus.
Laut Second Life Website könnte eine weitere Motivation das schnelle Sammeln
von Erfahrungen für den nächsten Schritt sein.
Demgegenüber steht die Strategie des Early Adopter“. Dabei spiele laut Anga”
ben der Second Life Website [oV16] der Testgedanke eine untergeordnete Rolle.
Vielmehr gehört diese Strategie denjenigen Unternehmen, die lieber abwarten
und zunächst die Pioniere beobachten, um dann aus deren Aktivitäten zu lernen
und den eigenen Auftritt besser und ansprechender zu gestalten. Mit dieser Strategie dürfen sich die Firmen zwar keine großen Presseberichte erhoffen, dafür
aber eher ein Stück Sicherheit.
Das dritte Muster ist die Nutzung von Second Life als Kommunikations-Booster.
Diese Strategie ist sicherlich am meisten unter den in der virtuellen Welt präsenten Firmen verbreitet, da richtig konzipierte und mit anderen Kommunikationsmaßnahmen in der realen Welt vernetzte Aktivitäten laut dem Artikel Second
”
126
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
Life Marketing“ [oV16] einen deutlichen positiven Beitrag für Unternehmensund Produktmarken leisten können. Ein Auftritt in Second Life kann dann alle
anderen Marketingmaßnahmen verstärken sowie auch abrunden.
Besonders im Zusammenhang mit dem zuletzt genannten Muster des Kommunikations-Boosters gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie ein Unternehmen die
virtuelle Welt als Marketinginstrument bzw. als Kommunikationsmittel nutzen
kann. Hauptziele sind dabei in den meisten Fällen das Erregen von Aufmerksamkeit potenzieller Kunden, die Stärkung der Bindung und das Nutzen des
virtuellen Raums als Informationszentrum. Im Folgenden möchten wir auf einige Nutzungssenarien etwas näher eingehen.
Testmarkt: Viele Unternehmen nutzen die virtuelle Welt bereits als Testmarkt. So können die Besucher der Firmeninseln dann neue Produkte
einer Marke kennenlernen, diese anwenden bzw. damit interagieren und
gegebenenfalls sogar am Entstehungsprozess mitwirken, lange bevor reale
Prototypen möglich sind [oV17]. Das Ziel eines Projekts ist dann nicht,
eine maximale Anzahl von potentiellen Kunden zu erreichen, sondern ein
möglichst qualifiziertes Feedback zu erhalten [BrKü07].
Ein typisches Beispiel dafür ist das aloft-Projekt der Firma StarwoodHotels einer Tochter von W-Hotels. Hier wird ein neues Hotelkonzept prototypisch in der virtuellen Welt umgesetzt, wobei für eine neue Hotelmarke des Unternehmens die Gestaltung und Ausstattung der Hotels getestet
werden soll. Das Feedback von potentiellen Kunden und Geschäftspartnern ist wertvoll und relativ preisgünstig zu erhalten. Ein ähnliches Projekt wird derzeit von IBM für den Kaufhaus-Konzern Sears realisiert. Hier
werden Kunden unter anderem die Gelegenheit erhalten, sich eine Küche
im virtuellen Raum zu konfigurieren und sie dann bei Sears zu ordern. Das
ist mit den aktuell zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten von
Second Life noch kein wirklich effizienter Prozeß und die erreichbaren Kundengruppen sind relativ klein. Hier können aber wertvolle Erfahrungen im
Umgang von Kunden mit solchen Anwendungen gewonnen werden.
V-Commerce: Der Begriff V-Commerce wurde von dem IT-Unternehmen IBM
geprägt und steht für das Einkaufen in virtuellen Läden und Einkaufszonen. Denn in virtuellen Welten ist echtes Shopping möglich; nicht nur
möglich, sondern schon heute ein wichtiger Faktor im E-Commerce“.
”
Was dem Einkaufserlebnis im Web 2D hingegen fehlt, sind Malls und Einkaufspassagen. In der physischen Welt sind solche Ballungen unterschiedlicher Geschäfte enorm wichtig. Die Absicht, Produkt A zu erwerben, führt
den Kunden an Geschäften für Produktkategorie B vorbei - und das empfindet er nicht als ablenkend, sondern als anregend - zumindest, wenn er
shoppen“ will.
”
Das Netz kennt aber keine Distanz oder Nähe. Und man geht nicht an
einem Laden vorbei, wenn man einen anderen aufsuchen möchte. Deshalb
gibt es keine Laufkundschaft“. Einkaufspassagen funktionieren nicht. In
”
virtuellen Welten ist auch das anders. Deshalb werden Malls und Einkaufspassagen auch im Web 3D bald wieder eine große Bedeutung erhalten. Schließlich bieten virtuelle Geschäfte neue Möglichkeiten für die
”
Produktpräsentation und das Erwecken eines echten Shopping-Gefühls im
Marketing in Second Life
127
Internet.“ [oV17] Der Autor eines Artikels in der Fachzeitschrift direktmarketing ist sogar der Meinung, dass es in Zukunft selbstverständlich
sein wird, sich in der virtuellen Einkaufsmeile umzuschauen und bei Gefallen zum Webshop der Anbieter zu gelangen, um dort die Bestellung zu
tätigen [oV17]. Wie auch im realen Leben, runden Promotionaktionen in
den Einkaufsstraßen, das Sammeln von Bonuspunkten in den Läden oder
virale Kampagnen idealerweise die Strategie ab.
Tatsächlich gibt es bereits Projekte, deren Erfolg das Mall-Prinzip bestätigt.
Virtuelles Produktangebot: Aufgrund der eigenen konvertiblen Währung
und der integrierten Zahlungsfunktionalität ist es möglich Second Life
auch als Absatzkanal für virtuelle“ Produkte zu nutzen und damit echtes
”
Geld zu verdienen. Ein Problem könnte jedoch darin bestehen, dass es ohne Medienbruch nur für wenige Produkte geeignet, aber für Unternehmen
in physischer Welt in der Regel völlig ungeeignet ist. Als Beispiele sind
unzählige, aber meist kleine Online-Shops zu nennen, die unter anderem
virtuelle Kleidung oder Andenken anbieten.
Virtuelle Meetings und Events: Das Event-Marketing ist eine Form des Marketings mit der Zielsetzung der Kundenkommunikation. Dabei wollen Unternehmen mehr über ihre Kunden in Erfahrung bringen, damit sie gezielter Marketingstrategien ansetzen können. Dazu können in Second Life
unter anderem virtuelle Konferenzräume oder Messehallen nachgebildet
werden, um Treffen jeglicher Art zu initiieren. Somit können nicht nur
virtuelle Messen, Kampagnen, Sponsoring-Konzepte oder Produktpräsentationen in Kundenveranstaltungen im zweiten Leben realisiert werden,
sondern auch Diskussionsrunden zum Zwecke der Marktforschung abgehalten werden [oV17]. Jüngstes Beispiel dafür ist der Energie-Konzern EnBW,
der zum einen Second Life in seine Kampagne Neue Trikots braucht das
”
Land“ integriert, und zum anderen seine Präsenz auf der realen Hannover
Messe in der virtuellen Welt in Form eines Messestandes nachbaute und
um 3D-Features ergänzte. Damit konnte EnBW eine größere Nutzerschaft
ansprechen und gleichzeitig das reale Event virtuell fortführen [Was07].
3D-Communities: Man hat mit Second Life in den Zielgruppen und dem
Boom des Marketings einen Hebel zu Verstärkung und Abrundung der
Werbemaßahme. Ein sehr erfolgversprechendes Modell für Projekte in virtuellen Welten ist der Aufbau von 3D-Communities schon existierender
Fan-Gemeinden und Interessengruppen. Ein sehr schönes Bespiel ist das
Projekt Motorati des Automobil-Konzerns Pontiac für Fans der Motor”
kultur“, bei dem sich diese nicht nur miteinander unterhalten, sondern
auch eigene Ideen und Teilprojekte einbringen können.
Bei Virtual Laguna Beach (MTV) und The L-Word (Showtime) werden
virtuelle Welten errichtet, die existierende TV-Formate abbilden. Fans der
Serien haben die Möglichkeit, die bekannten Lokalitäten der Serie aufzusuchen, an themenbezogenen Events teilzunehmen, Merchandising-Produkte
zu erwerben und auch die jeweiligen Schauspieler in der Gestalt von Avataren zu treffen. Typisch für all diese und ähnliche Projekte ist ein intensives
Event-Programm, mit dem die Fans gebunden werden sollen. Tatsächlich
ist dieses Modell aktuell so erfolgreich, dass MTV USA eine eigene Abteilung gegründet hat, um Potentiale für die Vermarktung weiterer Formate
128
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
als virtuelle Welt zu erkunden. Und der TV-Konzern CBS hat sich kürzlich an einem Unternehmen beteiligt, das sich auf die Umsetzung solcher
Community-Projekte in virtuellen Welten spezialisiert hat.
Grundsätzlich ist der Aufbau von 3D-Communities aber in nahezu jedem
Themenumfeld denkbar, das auch heute in der physischen Realität schon
hoch motivierte Zielgruppen bindet und über den Aufbau starker Marken
stattfindet. Dazu gehören Pop-Gruppen, Film- und Buchserien, aber auch
Kult-Marken“ aus dem Konsum- und Luxusgüterbereich.
”
Markenbindung: Durch die freie Weitergabe virtueller Konsumgüter als sogenannte Freebies können Unternehmen Erfahrungen im V-Business sammeln und erreichen gleichzeitig einen Markenbindungseffekt. Eine Herausforderung besteht darin, dass hochwertige Produkte auch in der SLVersion hochwertig bleiben müssen. Die Marken Adidas, Toyota, Nissan
und American Apparel sind nur einige Beispiele für Unternehmen, die
diese Strategie verfolgten.
Kundenbindung: Zielsetzung der Kundenbindung ist es den gebundenen“
”
Kunden dazu zu bewegen Wieder- und Zusatzkäufe zu tätigen, sowie Aufmerksamkeit anderer Personen oder Gruppen auf das jeweilige Unternehmen und dessen Produkte zu erregen.
Wissenschaft und Forschung: Der digitale Campus ist ein Ort von Interesse
für Studenten und Dozenten sowie Unternehmen. Dort können Publikationen veröffentlicht, Vorlesungen in virtuellen Seminarräumen oder Hörsälen
abgehalten, sowie Diskussionen mit Professoren geführt werden.
4.3.2
Geschäftsmodelle
Die Unternehmer, die innerhalb von SL oder darüber hinaus Geschäftsmodelle
realisieren, werden in diesem Unterkapitel näher vorgestellt. Die Tabelle 1.1
zeigt einen Überblick der unterschiedlichsten Geschäftsmodelle.
Es gibt drei grundsätzliche Möglichkeiten, in Second Life Geld zu verdienen: als
Hersteller Produkte zu offerieren, Handel zu betreiben oder eine Dienstleistung
anzubieten. Zur ersten Gruppe zählen Modedesigner (wie Modell 1, 2 und 3),
zur zweiten gehören Immobilienhändler (wie Modell 4 und 5), und die dritte
Gruppe umfasst Berufe wie Architekten, Diskjockeys, Lehrer und Softwareentwickler (wie Modell 6-10).
An dieser Stelle möchten wir nun genauer auf die Geschätsmodelle 3, 5 und 8
eingehen.
Jeder Nutzer von SL ist in der Lage mit den zur Verfügung stehenden Werkzeugen alles nur Erdenkliche zu erschaffen. Dies ist mit Zeit und Aufwand verbunden, daher nutzen viele Bewohner die Möglichkeit, wie auch im realen Leben,
ihre Bedürfnisse anderweitig, durch Kauf zu befriedigen. Resultierend daraus ist
das Angebot breitbandig [Spi07]. Nutzer konsumieren für und mit ihrem Avatar.
Nicht nur Kleidung und Accessoires können konsumiert werden, sondern sogar
auch die Gestaltung des Äußeren. Der Avatar erhält somit seine eigene Individualität, wobei ein Beispiel für den Verkauf von Individualisierungsoptionen
Marketing in Second Life
Modell
1
2
Beschreibung
Verkauf von realen Waren
Verkauf von virtuellen Waren
3
5
Verkauf von Individualisierungsoptionen
Gestaltung von virtuellem
Land
Immobilienhandel
6
7
8
Cybersex
Gambling
Advertising
9
Entertainment
10
Education/ Virtual Classroom
4
129
Beispiel
CD, DVD. . .
Fahrzeuge, Gegenstände aller
Art
Aussehen, Kleidung und Scripte
zur Animation der Avatare
Häuser und Landschaftsbau
Weiterverkauf von virtuellem
Land nach vorheriger Bearbeitung
Virtueller Sex in 3D
Virtuelle Casinos
Schaffung von Inworld Werbeflächen
Konzerte, Theater, Lesungen,
Filmvorführungen als Gemeinschaftserlebnis
Sprachschule
Tabelle 4.1: Geschäftsmodelle in SL [Spi07]
der Avatar-Laufschuh a3 Microride von Adidas ist. Dieses Produkt brachte dem
Sportartikelhersteller nicht nur einen virtuellen Umsatz, sondern auch reales
Geld.
Die Virtualisierung von Konsumgütern sowie deren Verkauf oder freie Abgabe
in Second Life kann ein Crossselling und eine Kundenbindung in der Realität
bewirken. Das Virtual Shopping bietet dem Kunden ein 3D-Shoppingerlebnis in
Gemeinschaft und ist somit nicht mit dem herkömmlichem 2D-Web Shopping
zu vergleichen. Experten wie Markus Breuer, Business Consultant der Firma
Elephant Seven AG, gehen davon aus, dass virtuelle Malls wieder eine größere
Bedeutung bekommen.
Durch den Handel solcher virtueller Waren aber auch Dienstleistungen wechseln
nicht nur Linden-Dollar den Besitzer, sondern .
Als Besipiel für das Geschäftsmodell 5 ist die chinesisch-stämmige Lehrerin Ailin
Graef aus Hessen zu nennen, die es in der virtuellen Welt zu einem beachtlichen
wirtschaftlichen Erfolg gebracht hat. Aus einem Startkapital von 10 US-Dollar,
soll sie innerhalb von 30 Monaten eine Million US-Dollar erwirtschaftet haben. Dies gelang ihr durch den Aufbau eines virtuellen Immobilienimperiums.
Heute ist sie in der Lage mit diesem Geschäft ihren realen Lebensunterhalt zu
verdienen. Sie gründete 2006 die Firma Anshe Chung Studios, Ltd. in Hubai,
China. Dort beschäftigt sie neben Virtual Reality Freelancern rund 60 Vollzeitarbeitskräfte mit der Erstellung und Gestaltung von virtuellen Landschaften,
Gebäuden und sonstigen virtuellen Gütern.
Ein Marketingziel von Unternehmen ist die Steigerung der Wahrnehmung von
potenziellen Kunden. Über unterschiedliche Maßnahmen läßt sich dies realisieren. Advertising ist eines dieser Mittel, die auch zum Geschäftsmodell 8 in
Second Life anregten. Das Berliner L4-Institut für digitale Kommunikation ent-
130
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
schied sich zur Erstellung des virtuellen Fernsehmagazins Life for you“. Dieses
”
Magazin produziert und sendet ausschließlich für Second Life Bewohner inworld.
Wie im realen TV, besteht auch dort die Möglichkeit zum Verkauf von Werbeplätzen und resultierenden Werbeeinnahmen für L4. Unternehmen können diese
Plattform nutzen, um sich oder ihr Produkt zu präsentieren. Da die Anzahl an
Residents stetig steigt, wächst auch das Potenzial der Werbewirksamkeit und
wird somit für Unternehmen interessant.
4.3.3
Gestaltungsempfehlungen für Markenunternehmen
Nachdem wir in den vorherigen Abschnitten einige allgemeine Strategien und
Geschäftsmodelle vorgestellt haben, möchten wir an dieser Stelle noch einige Empfehlungen zur Gestaltung einer Second Life-Präsenz von Markenunternehmen anführen. Denn, wie bereits erwähnt, sind einfache Fire-and-ForgetKampagnen für die Bewohner einer virtuellen Welt weitestgehend uninteressant.
Deshalb sollten Unternehmen, die einen Auftritt in Second Life planen, darauf achten, dass sie eine konkrete Zielsetzung verfolgen und von Beginn an
medienadäquate Konzepte erarbeiten. Im Folgenden werden wir uns dazu auf
Ausführungen des bereits erwähnten Markus Breuer beziehen, der in seinem
Blog (10 Tipps für Markenunternehmen auf dem Weg ins Web 3.d, 18.02.2007,
[Bre07a]) näher auf diese Thematik eingeht.
Nachdem die ersten kommerziellen Projekte unterschiedlicher, bedeutender Marken einige Zeit Bestand hatten, wurde klar, dass es nicht ausreicht und vor allem nicht effektiv ist, einfach eine Insel zu gründen und darauf ein Gebäude
zu errichten. Um die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich zu lenken, bedarf
es deutlich mehr Aktions- und Kommunikationsmöglichkeiten sowie Kreativität
und Lebendigkeit. Man sollte sich also vor der Eröffnung einer Präsenz in Second Life darüber klar werden, was man für die eigene Marke erreichen und
welchen Nutzen man den Besuchern damit offerieren möchte. Auch wenn eine
Insel nur ein paar Tausend Euro kostet, sollte man dies nicht zum Anlass für
einen Auftritt nehmen und einfach nur dabei sein, weil andere Wettbewerber der
Branche auch in Second Life vertreten sind. Stattdessen sollte man versuchen,
dem User etwas Neues zu bieten, das ihn dazu verleitet, das virtuelle Firmengelände oder -gebäude aufzusuchen. In diesem Zusammenhang hält Breuer es
für notwendig, dieses in Second Life bekannt zu machen, da die Zeiten, in denen
jedes kommerzielle Projekt in der Presse erwähnt wurde, längst Vergangenheit
seien.
Die Projekte bedeutender Marken sollten außerdem über kurz oder lang so attraktiv gestaltet sein, dass sie ganz direkt User anziehen, d.h. dass sie den Ein”
stieg für neue Interessenten einfach, smooth - und markenspezifisch - machen“.
So sollten dem Besucher auf der Website einer Marke idealerweise Informationen über Second Life an sich, aber vor allem über die virtuelle Marke und über
Aktionsmöglichkeiten auf der markenspezifischen Insel geboten werden. Um den
Neuinteressenten den Einstieg so einfach wie möglich zu machen, ist es nützlich, ihnen an dieser Stelle auf der Website eine Registrierung für Second Life
anzubieten. Daraufhin sollte eine Einweisung und eine Art Navigationshilfe fol-
Marketing in Second Life
131
gen, wenn sie erstmals die virtuelle Welt betreten. Dies sollte nicht durch die
Betreiberfirma Linden Lab erfolgen, sondern durch die Firma, die den Neuling
in Second Life gebracht hat, damit er so einen Bezug zu der Marke aufbauen
kann. Nach der Meinung von Breuer ist hier ein Trainingsparcour das Minimum,
besser seien aber ein echter Life-Support, kleine Aufgaben mit Incentives, gebrandete Kleidung und eventuell markenspezifische Avatare. Der beste Support
für Neueinsteiger sei menschlicher Support, oder noch besser telefonischer, auch
wenn dieser einiges kostet, was aber unter Umständen jeden Linden-Dollar wert
sein könnte. Er ist der Meinung, dass es für einen Neuling nichts Schlimmeres
gäbe als in einer von Avataren überfluteten Region einzusteigen und merkt deshalb die Skalierbarkeit der Ankunftsregion an, wie sie auch in The L Word“
”
gegeben ist.
Neben dieser Starthilfe sollte ein Unternehmen noch mehr Hilfe zur Orientierung bieten, es sollte nämlich ein klares, explizites Navigationssystem aufbauen
”
und entwickeln“, wenn man einem Tipp von Breuer folgt. Dieses Navigationssystem sollte dem Besucher der Insel einer Marke helfen, sich innerhalb kurzer
Zeit einen Überblick über die Vielzahl unterschiedlicher Aktions- und Interaktionsmöglichkeiten und Informationen, die der Auftritt einer Marke in Second
Life typischerweise bietet, verschaffen zu können. Dazu gehört auch, dass dem
Avatar dann gleichzeitig der Weg zu der von ihm gewünschten Attraktion gewiesen wird. Dies kann wie auch im ersten Leben durch Schilder und Hinweistafeln
geschehen, die den Besucher Schritt für Schritt an allen wichtigen Punkten vorbeiführt.
Nimmt ein Unternehmen seinen Auftritt in Second Life wirklich ernst und versucht nicht einfach nur eine Insel mit einem gigantischen Gebäude zu errichten,
sollte sie darauf achten, dass ihre Angebote nicht willkürlich gestaltet erscheinen, sondern im Zusammenhang mit ihrer Marke stehen und gleichzeitig an die
virtuelle Welt angepasst sind. Bei Breuer findet man diese Aspekte unter den
Tipps 4 ( Einen echten Mehrwert schaffen, der auch zur Marke passt!“) und
”
5 ( Einen Mehrwert bieten, der zur Welt passt!“) Er rät, der Einwohnerschaft
”
von Second Life etwas zu bieten, das sie an keinem anderen virtuellen Ort bekommen und was somit eindeutig markenspezifisch und unverwechselbar ist.
Diese Intention haben sicherlich auch Marken wie z. B. der Sportartikelhersteller Adidas verfolgt, als er eigens für die virtuelle Welt einen Turnschuh kreierte,
oder der Automobilhersteller Daimler, der auf seiner Insel unter anderem eine
Teststrecke für das virtuelle Modell der neuen C-Klasse errichtete. Allerdings
haben es einige Branchen, wie eben gerade die Automobilbranche, die Sportartikelbranche oder aber auch die Textilbranche, einfacher, da sie ein Produkt
präsentieren können, dass man ausprobieren bzw. anprobieren kann und der
Bezug zur Marke gleichzeitig verstärkt wird. Breuer ist aber auch der Meinung:
Marken, deren Produkte selbst in Second Life nicht auf Anhieb Sinn machen,
”
können solche Attraktionen entwickeln. Hier macht es Sinn, sich die aktuellen
Kampagnen einer Marke anzuschauen (oder die langfristige Kommunikationsstrategie) und nach Ergänzungen und Verstärkungsmöglichkeiten zu suchen.“
Als Beispiel fügt er hierzu den Nahrungsmittelhersteller Dr. Oetker an. Würde
sich das Unternehmen zu einer Präsenz in Second Life entscheiden, wäre der
Anreiz zu einem Besuch wohl eher gering, wenn sie nur virtuelle Pizzen anbieten würden. Stattdessen würde die Eröffnung eines italienischen Restaurants,
132
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
in dem die Besucher interagieren können, so dass auf den Wunsch vieler User
nach Kommunikation eingegangen wird, einen echten Mehrwert für sie schaffen.
Würden in dem Restaurant z. B. romantische Candle-Light-Dinner für Pärchen
angeboten, so könnte man gleichzeitig eine Assoziation zu dem aus der realen
TV-Werbung bekannten Ristorante-Spot schaffen.
Aber nicht nur die Attraktionsangebote einer Marke sollten auf die virtuelle
Welt zugeschnitten sein, sondern ebenso die Gebäude, in denen sich das Unternehmen präsentiert. Die Architektur einladend machen - für Gespräche und
”
Interaktionen!“ so nennt Breuer seinen 6. Tipp. In der Vergangenheit bauten
viele Firmen ihre real existierenden Gebäude nach, um einen Wiedererkennungswert im zweiten Leben zu schaffen, und haben dabei selten bedacht, dass diese
die Bewohner einer Welt, die vordergründig als Plattform zum Kommunizieren, Chatten, Leute kennenlernen und Spielen genutzt wird, nicht immer anzieht bzw. zum Verweilen einlädt. Es sollte deshalb bei der Errichtung einer
Insel oder eines Gebäudes der Dialog mit den Besuchern sowie zwischen den
Besuchern fokussiert werden. Nach Breuer’s Meinung treffen sich Avatare lieber in weiträumigen, offenen Hallen oder auf einladenden Plätzen unter freiem
”
Himmel“ mit Sitzgelegenheiten, die klar machen, dass die Orte als Treffpunkt
angedacht sind. Außerdem erachtet er es für die Förderung der Kommunkation
als wichtig, dass die Firma eigene Avatare auf ihrer Insel beschäftigt. Insbesondere meint dies, dass Personal anwesend ist, dass das Gespräch in Fluß bringt,
”
Hilfestellung geben kann, unangebrachtes Verhalten ausbremsen und auf Fragen
(offizielle) Antworten geben kann.“
Die bereits angesprochenen Punkte hängen alle damit zusammen, dass es auf
dem Weg zu einer erfolgreichen Präsenz im Web 3D unausgesprochen wichtig
ist, dass sich das Unternehmen klar macht, wie diese virtuelle Welt eigentlich
funktioniert. Die Mitarbeiter einer Marke, die für das Projekt Second Life“
”
verantwortlich sind, sollten sich deshalb so eingehend mit der virtuellen Welt
auseinandersetzen, dass sie sie verstehen. Und zwar nicht nur, indem sie versuchen, wichtige Informationen aus Zeitungsartikeln oder anderen Medien herauszufiltern, sondern indem sie sich einen Avatar schaffen und durch diesen Second
Life wirklich erleben. Nur wer selbst mitmacht, kann über den Erfolg oder Misserfolg eines Projektes urteilen, weil er dann spürt, was ansprechend wirkt und
was nicht. Dies erfordert natürlich auch eine Menge Zeit. Zeit, um sich mit Se”
cond Life vertraut zu machen und Zeit, um später zu beobachten, wie Besucher
mit den Angeboten umgehen, die in der virtuellen Welt geschaffen werden,“ so
heißt es in Breuer’s 8. Tipp ( Selbst mitmachen und eintauchen!“).
”
Durch eine derartige intensive Auseinandersetzung mit dem zweiten Leben sollte für den Mitarbeiter eines Unternehmens klar werden, dass es in den meisten
Fällen nicht genügt, einmalig interessante Angebote und Interaktionsmöglichkeiten bereit zu stellen. Bei Projekten, bei denen die Kundenbindung im Vordergrund steht, sollten regelmäßig neue Inhalte dargestellt und verschiedene Events
veranstaltet werden. Andernfalls werden die Avatare sich die Insel vielleicht einmalig anschauen, aber keine Motivation haben, sie weitere Male zu besuchen, so
dass die Insel irgendwann mehr oder weniger aussterben wird. Dies ist der Effekt, dass Fire-and-forget-Projekte meist verpuffen,“ schreibt Breuer in seinem
”
Blog. Für erfolgreiche Markenarbeit in Second Life ist kontinuierliche Über”
Marketing in Second Life
133
wachung, Betreuung und Weiterentwicklung vonnöten. Das muss Budget-mäßig
sicher gestellt werden! Es macht oft erheblich mehr Sinn, einen Teil des Budgets
hierfür zu verwenden, als die virtuellen Bauwerke spektakulärer zu machen.“
Ein Unternehmen sollte sich deshalb vor seinem Eintritt in Second Life darüber
bewusst werden, dass eine erfolgreiche Präsenz relativ kostspielig werden kann,
nicht weil der Kauf einer Insel viel Geld kostet, sondern weil es Mitarbeiter
beschäftigen sollte, die täglich den Avataren zu Kommunikationszwecken zur
Verfügung stehen und daran arbeiten, ihre Insel ständig lebendig zu halten und
interessanter zu machen. Man darf also nicht darauf warten, dass sich der Erfolg
von ganz alleine ergibt, sondern muss zu investieren bereit sein, genau wie in
der realen Wirtschaftswelt.
Eine weitere Parallele zur realen Welt besteht darin, dass ein Projekt oder ein
Angebot von ausreichender Werbung begleitet sein muss, um von den Bewohnern von Second Life wahrgenommen zu werden. Dies erfordert eine direkte und
zielgruppenorientierte Vermarktung der Insel durch Links oder Banner sowohl
auf der firmeneigenen Website als auch auf beispielsweise Google sowie Werbeauftritte in klassischen Medien. Darüber hinaus sollten innerhalb der Second
Life-Welt vielerorts Werbemaßnahmen bezüglich der Attraktionen und Events
der Insel durchgeführt werden.
Ziel eines Firmenauftritts in Second Life sollte die Darstellung der angebotenen
Leistungen eines Unternehmens sein, so dass der User alle für ihn relevanten Informationen auf der entsprechenden Insel vorfindet. Bei Verknüpfungen zurück
zur Firmen-Website oder ähnlichen externen Verweisen sollte darauf geachtet
werden, dass der Besucher niemals vom Fokus virtuelle Welt“ entfernt wird
”
und immer das Gefühl behält, in Form seines Avatares aufzutreten. Das Problem, das eine Firma zu lösen hat, besteht also darin, den Avatar eines Users
durch ihren Auftritt so von ihrer Marke zu überzeugen, dass der User dies im
Unterbewusstsein auch auf die reale Marke transferiert.
134
4.4
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
Reale Unternehmen in der virtuellen Welt
Wie bereits in Kapitel 4.2 erwähnt haben zu der Zeit des Hypes von Second Life
Ende 2006 und Anfang 2007 zahlreiche Unternehmen die virtuelle Welt für sich
entdeckt und mit den unterschiedlichsten Konzepten versucht, Besucher auf ihre Insel zu locken, um dann potenzielle Kunden auf ihre Angebote aufmerksam
zu machen, die Bindung zu stärken oder den virtuellen Raum als Informationszentrum zu nutzen — ähnlich wie in der realen Welt. Dazu wurden virtuelle
Geschäfte eröffnet oder ein Post Tower der Deutschen Post, wo die Besucher eigene Postkarten erstellen konnten, die in die reale Welt versandt wurden. In der
virtuellen Niederlassung der EnBW hingegen soll den Besuchern ein spannender
und innovativer Zugang zum Thema Energie geboten worden. Bei dem Wissenstest EnBW EnergyQuiz können die User dann bei zehn Multiple-Choice-Fragen
für jede richtige Antwort 5 Linden-Dollar gewinnen. Die Vielfalt der Ideen für
die Repräsentanzen ist also riesig. An dieser Stelle möchten wir aber nur die
Auftritte der vier von uns ausgewählten Marken Adidas, Mercedes, BMW und
Vodafone näher beschreiben und Ideen sammeln, warum die Inseln der Firmen
Adidas und Mercedes bereits wieder geschlossen wurden.
Der Sportartikelhersteller Adidas eröffnete im September 2006 mithilfe der beauftragten Agentur rivers run red einen virtuellen Schuhshop und war damit
das erste Unternehmen der Branche, das mit einem Angebot in Second Life
vertreten war. Dieser Aspekt gewährte ihm eine Vielzahl von Presseartikeln in
einer Breite von Fachzeitschriften sowie auch Tageszeitungen und Magazinen.
Adidas hatte sich ein Ladenlokal auf einer eigenen, relativ isolierten Insel geschaffen, in dem der User den virtuellen Schuh a3 Microride für seinen Avatar
erwerben konnte. Laut Breuer und Küpers [BrKü07] stand dabei nicht der Abverkauf des virtuellen Schuhs im Vordergrund, sondern das Ziel sollte es wohl
eher sein, die Bekanntheit der Marke und des beworbenen Produkts durch eine
virale Kampagne zu stärken.
Wie Breuer [Bre06b] noch am 20. September 2006 in seinem Blog berichtet, war
dieser Schuh nicht nur ein einfacher Sneaker, der in das 3D-Modell umgewandelt wurde, sondern die Firma hatte versucht, ein Produkt zu entwickeln, das im
Kontext der virtuellen Welt einen added Value lieferte. Der Schuh, der wie auch
alle reelen Schuhe der Marke the ultimate blend of bounce and flexibility with
”
minimum weight“ bietet [Wal06], hatte nicht nur ein cooles und spaciges Äußeres, sondern hat auch das Gehverhalten des Avatars insofern verändert, dass
dieser damit weite, gleitende Sprünge machen konnte, ähnlich wie ein Astronaut auf dem Mond. Die Idee, die dahinter steckte, war, dass andere Avatare
durch den ungewöhnlichen Gang des Trägers auf den a3 Microride aufmerksam werden und Interesse an dem Schuh und der Marke entwickeln sollten, und
diesen einzigartigen Schuh zu einem kleinen Kult zu machen.
Wie man einem Artikel auf der Internetseite der Zeitschrift Stern [Mar07] entnehmen kann wurden bis Ende Februar 2006 schon rund 23.000 Paar virtuelle
Schuhe zu einem Preis von je 50 Linden-Dollar in dem Shop verkauft, so dass
schon innerhalb des ersten halben Jahres ein Umsatz in Höhe von 1,15 Millionen Linden-Dollar erwirtschaftet werden konnte. Mit diesem Ergebnis schien
die Firma Adidas durchaus zufrieden gewesen zu sein und sah in ihrer Präsenz
Marketing in Second Life
135
Abbildung 4.1: adidas a3 Microride
in der virtuellen Welt zu dem Zeitpunkt noch eine ganz neue Möglichkeit, an
die Kunden heranzutreten, da sie auch den virtuellen Shop nutzte, um die User
durch einen Link auf ihre Website zu lotsen, die echte Adidas-Schuhe verkauft.
So konnte Oliver Brüggen, Sprecher von Adidas, damals noch zu pressetext sagen, dass keine Pläne bestünden, sich aus Second Life zurückzuziehen [oV01].
Doch schon im Juni 2007 konnte man der Süddeutschen Zeitung [Bel07] entnehmen, dass Adidas inzwischen einen erheblichen Umsatzeinbruch erleiden musste
und seit Februar nur noch 2000 Paar ihres a3 Microride verkaufte. Dies waren
90 Prozent weniger als in den Vormonaten. Das Unternehmen beteuerte selbst
zu dem Zeitpunkt noch, ihr Engagement basiere nicht nur auf Umsatz allein,
sondern das Hauptanliegen sei die perfekte Möglichkeit, mit ihrer jungen Zielgruppe in Kontakt zu treten. Der virtuelle Store jedoch lag zuletzt weitgehend
brach und wurde nur noch mit automatisierten Feedback-Schleifen betrieben bis
Adidas ihre Insel im August 2007 wieder schloss.
Aussagen über die Gründe für den Rückzug aus der virtuellen Welt nach noch
nichteinmal einem Jahr wurden nicht bekannt. Es lässt sich nur von uns vermuten, dass durch die sinkenden Besucherzahlen, die zuletzt nicht mal mehr
zwei Avatare pro Stunde betrugen, der Second Life-Marktplatz an Attraktivität
verloren hat. Mögliche Gründe hierfür könnten z. B. ein Mangel an Promotion
sein, da auch in der virtuellen Welt eine Präsenz allein nicht ausreicht, um die
Gunst der Avatare zu erwerben. Wie auch von Breuer [Bre06b] in seinem Blog
erwähnt, ist der durchaus übliche Ansatz, eine Präsenz oder genauer einen Shop
auf eine isolierte Insel fernab belebter Bereiche zu platzieren, äußerst zweifelhaft.
136
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
Schließlich hätte Adidas in der ersten Welt einen neuen Shop auch nicht fernab
von der menschlichen Zivilisation eröffnet, sondern wohl eher in der Einkaufsstrasse einer Stadt oder aber in einer Mall, eben gerade da, wo man sich zum
Shoppen trifft und Kauferlebnis, Unterhaltung, Inspiration sowie auch Kommunikation erlebt. Auch wenn der Ansatz, einen eigens für die virtuelle Welt
kreierten Schuh, den a3 Microride, mit besonderen Fähigkeiten anzubieten, eine
grundsätzlich gute Idee war, fehlte der Mehrheit der User sicherlich der Anreiz,
die Insel nach dem ersten Besuch auch noch ein zweites Mal aufzusuchen und
den Schuh nochmals zu kaufen. Um ein langlebigeres Interesse bei den Usern
zu erzeugen reicht es also nicht aus, nur einmalig einen interesanten Inhalt zu
bieten. Stattdessen wäre eine ständige Veränderung des Produkts und vielleicht
auch regelmäßige Aktivitäten erforderlich gewesen, die z. B. dem User einen Rabatt im Online-Shop gewähren, wenn sein Avatar einen virtuellen Schuh kauft.
Ein einmalig interessant gestaltetes Produkt, präsentiert in einem passend erbauten Shop, reichte deshalb im Falle des Sportartikelherstellers Adidas nicht
aus, um dauerhaft erfolgreiches Marketing in Second Life zu betreiben.
Auch der Automobilhersteller Daimler errichtete wie viele seiner Konkurrenten
eine virtuelle Niederlassung. Zur Eröffnung der Mercedes-Benz-Insel im edlen
District“ South West fand am 20. Februar 2007 ab 22.00 Uhr ein Live-Konzert
”
mit Tape-Künstlern, insbesondere der Band Wagner Love“, statt.
”
Wie Dietmar Müller in einem Artikel auf der Homepage zdnet.de [Mül07] berichtet, sagte der Vizepräsident der Markenkommunikation Dr. Olaf Göttgens noch
vor der Eröffnung: Die digitale Kommunikation hat sich als fester Bestandteil
”
der Marketingaktivitäten von Mercedes-Benz etabliert. Mit Second Life nutzen
wir eine neue Kommunikationsplattform, um weiterhin konsequent auf unsere
bestehenden und potentiellen Kunden zuzugehen. Mercedes setzt in Second Life
sowohl optisch als auch inhaltlich neue Maßstäbe und macht die Faszination der
Marke und ihrer Produkte auch in dieser virtuellen Welt erlebbar.“
Die Niederlassung lehnte sich an die moderne Mercedes-Benz-Architektur der
realen Welt an. Wie in einem Artikel auf der Website birkenkrahe.com [oV02]
berichtet wird, führte das Unternehmen hier in einem großen Ereignis am 16.
März 2007 erstmal die neue C-Klasse vor, noch vor dem offizielen Einführungstermin in der realen Welt. Seit diesem Tag betrieb Mercedes hier außerdem
eine eigene Teststrecke, auf der das virtuelle Modell der C-Klasse unter verschiedenen Wetterbedingungen und mit Wechsel von Hoch- und Tiefland im
Computer ausprobiert werden konnten. So umfasste die Insel unter anderem
nicht nur eine Fläche für die Fahrzeugpräsentation in einer Art Austellungsraum, sondern auch eine Bühne für Events, wie etwa die Eröffnungsfeier, und
große Leinwände, auf denen Filme über die Produkte sowie TV-Spots gezeigt
wurden. Ein weiteres Detail, das den Besuch der Insel für Avatare reizvoller
machen sollte, war das Werbegeschenk, das jeder Besucher erhielt: ein virtueller Formel-1-Anzug inklusive Helm, die ausschließlich in Second Life benutzt werden konnten. Außerdem konnten die Besucher, laut mercedes-forum.de
[oV03], Folgen der Musiksammlung Mercedes-Benz Mixed Tape“ in der Zweit”
welt herunterladen, die Songs von internationalen Musikern enthalten und alle 10 Wochen erneuert wurden. Wie auf zdnet.de zu lesen ist, hatte Mercedes sogar an eine Start- und Navigationshilfe gedacht. Die begleitende Website http://www.mercedes-benz-secondlife-infos.com sollte den Einstieg in
Second Life erleichtern und den Weg zur Insel weisen. Diese Seite war ohne
Marketing in Second Life
137
Registrierung zugänglich und bot Hintergrundinformationen zum Auftritt von
Mercedes-Benz in der Online-Welt sowie Video- und Bildmaterial zum Download. Darüber hinaus hatte Mercedes einen eigenen Avatar kreiert, den sogenannten Mercedes Milestone“ der während der Hauptnutzungszeiten täglich
”
den Besuchern für Fragen zu Mercedes-Benz-Produkten und Events in Second
Life zur Verfügung stand. Für die Zeiten, in denen sich der Berater-Avatar nicht
auf der Insel befand, konnte man sich nach Angaben von birkenkrahe.com auch
über Instant Messages in Second Life oder über seine E-Mail im Real Life von
ihm beraten lassen. Dies intensivierte die Kommunikation zwischen den Usern
und dem Unternehmen.
Mercedes-Benz Island ist die virtuelle Präsenz von Mercedes-Benz in der
”
Abbildung 4.2: Die moderne Architektur der Mercedes-Benz Niederlassung
Online-Welt Second Life. Besuchern bietet die Marke mit dem Stern ein abwechslungsreiches Unterhaltungs- und Informations-Angebot. Im Showroom erhalten Sie Informationen zu den Fahrzeugen von Mercedes-Benz. Außerdem gibt
es eine Event-Bühne für Veranstaltungen und eine Teststrecke, die über die Insel
führt. Auch das vielfältige Entertainment-Angebot von Mercedes-Benz, wie etwa
Produktfilme oder Musik-Downloads finden Sie auf Mercedes-Benz Island. Ein
geführter Rundgang zeigt den Besuchern alle interessanten Angebote der virtuellen Präsenz,“ so das Unternehmen, laut einem Bericht von Christoph Pichler
[Pic07]. Zu dem Entertainment-Angebot gehörte seit Mitte August 2007 auch
ein Golfset, das den Inselbesuchern kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. So
eröffnete Mercedes auf seiner Insel gleichzeitig einen Golfplatz mit 6 Löchern,
um weitere Anreize für einen Besuch zu schaffen [oV02].
Alles in allem schien dies ein erfolgsversprechendes Konzept, das in den ersten
138
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
Monaten viele Besucher anlockte. So konnte Sven Dörrenbacher, Leiter Digitale
Kommunikation Mercedes-Benz PKW, laut einem Bericht über die Euroform
Konferenz im Juli 2007 auf der Internetseite innovations-report.de [Hum07], eine positive Bilanz des Second Life-Engagements seines Unternehmens ziehen.
100.000 Avatare hätten über einen Zeitraum von drei Monaten die Ausstellung
der neuen C-Klasse besucht. Noch intensiver beschäftigten sich 24.000 Testfahrer mit dem Auto, sie nahmen im Second Life an einer 15-minütigen Testfahrt
teil. Das Interesse an der neuen C-Klasse sei zeitweilig so groß gewesen, dass
Shopping-Mall- und Community-Betreiber bei Mercedes-Benz um die Ausstellung des Fahrzeugs auf ihrem Land im Second Life gebeten hätten. Ein Mercedes
sei eben sowohl im ersten als auch im zweiten Leben ein Publikumsmagnet, so
Dörrenbacher [Hum07].
Doch schon am 18. Februar 2008 beendete Mercedes seine Präsenz in der virtuellen Welt und die Mercedes-Benz-Insel konnte von Avataren nicht mehr besucht
werden. Wie man dem Multimediablog von Bernd Schmitz [Sch08] entnehmen
kann, schrieb Mercedes rückblickend: In Summe konnten wir wesentliche Er”
kenntnisse gewinnen. Einer der wichtigsten Aspekte: 3D-Welten stellen einen
Kommunikationskanal dar, der in Zukunft mehr an Bedeutung gewinnen wird.
Wir werden dieses Thema daher weiterhin mit größtem Interesse verfolgen.“
Und wie am 25.03.2007 in der Computerwoche [oV04] zu lesen war, meinte eine Unternehmenssprecherin, man habe jetzt genug Erfahrungen gesammelt mit
der Social-Networking-Plattform. Der Abschied von Second Life sei kein Eingeständnis, dass die Investitionen als Misserfolg zu werten seien. Man könne
sich sogar vorstellen, zu einem späteren Zeitpunkt das Engagement wieder aufleben zu lassen. Über weitere mögliche Gründe für einen Ausstieg der Firma
Mercedes findet man keine Informationen.
Unserer Meinung sollte die Präsenz von Mercedes für die User genug Attraktivität geboten haben, so dass das Unternehmen nicht in erster Linie aufgrund
mangelnder Besucherzahlen auf ihrer Insel ihr Engagement beendet hat. Vielmehr ist es für uns vortstellbar, dass eine Fortführung des Auftritts für das Unternehmen weniger reizvoll war, da sie nach eigenen Angaben bereits genügend
wertvolle Erkenntnisse gewonnen haben und eine Fortführung in dieser Hinsicht wenig Mehrwert geboten hätte. Außerdem sind die aktiven Nutzer meist
Jugendliche, Arbeitslose und Online-Gamer, wie man einem Bericht über die
24. WWW-Benutzer-Analyse W3B auf der Website marketing-boerse.de [oV05]
entnehmen kann, und diese gehören sicherlich nicht zur Hauptzielgruppe der
Daimler AG im ersten Leben. Somit wird die Resonanz, die Mercedes in Second
Life erhalten hat, wenig brauchbar für Marktforschungszwecke sein, in dem Sinne, dass ein Jugendlicher aus Gründen, wie z. B. hoher Automobilaffinität, im
zweiten Leben durch eine Testfahrt Interesse zeigt, aber im ersten Leben wahrscheinlich allein aus finanziellen Gründen einen Kauf nicht in Betracht zieht.
Bereits im frühen Dezember 2006 trat BMW mit der von der Münchner Multimedia-Agentur Phase 4 [oV06] realisierten Präsenz BMW New World“ in Se”
cond Life auf. Allerdings war diese Präsenz ganz dem Thema BMW CleanEner”
gy“ gewidmet , im Gegensatz zu von den von vielen erwarteten Nachbildungen
ihrer äußerst breiten Produktpalette.
Auf der architektonisch mit dem Motiv Wasser spielenden Insel konnten lediglich 3D-Prototypen des wasserstoffgetriebenen Rekordfahrzeugs H2R aus der
Nähe bestaunt“ werden. Leinwände zeigten zudem exklusive Videos der Re”
Marketing in Second Life
139
kordfahrt des Wasserstoff-Boliden“ sowie erste Eindrücke der erstmals in Serie
”
gefertigten benzin- und wasserstoffgetriebenen Limousine BMW Hydrogen 7“.
”
Daneben stand ein Bar-Bereich zum Erfahrungsaustausch sowie ein MeetingRaum als Plattform für regelmäßige Treffen und internationale Konferenzen
zur Verfügung . Jedoch musste die BMW New World“ 2007 der BMW New
”
”
Abbildung 4.3: BMW New World
World2“ weichen, welche wiederum von Phase4 [oV07] realisiert wurde. Allerdings sollte sich nun nach dem Erfolg der ersten Präsenz“ alles um das Thema
”
BMW EfficientDynamics“ drehen.
”
Die Innovation im Vergleich zum ersten Auftritt besteht in der Interaktivität
der Avatare. Anhand von 3D-Exponaten könne interessierte Second-Life Nutzer sich ein Bild über neue Technologien wie die Auto Start Stop Funktion“
”
oder die Bremsenergierückgewinnung“ machen und diese sogar live erleben“.
”
”
Dafür bieten Videos einen Exklusiven Einblick. Nun haben Besucher auch die
Abbildung 4.4: BMW New World2
Möglichkeit ein persönliches Gespräch mit einem BMW Mitarbeiter vor Ort zu
suchen und die Präsenz zu bewerten.
Neben der Kommunikation und Visualisierung der Technologie nutzt BMW die
neue Second Life-Präsenz intensiv zum Erstellen und Testen von Prototypen.
Gab es möglicherweise gute Gründe für die Umgestaltung der Präsenz von
BMW? Um darüber genaueres sagen zu können, ist an dieser Stelle ein Vergleich
[Mit07] der BMW Präsenz mit der von Mercedes möglicherweise hilfreich.
BMW und Mercedes erkannten beide den Nutzen, der durch den Auftritt ihrer
Marken in Second Life erreicht werden kann. Stellt man jedoch den traffic“
”
(die Anzahl der Besucher auf einer Insel), den diese beiden Marken kürzlich auf
140
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
ihren Inseln hatten, gegenüber, wird in extremer Weise klar, welches Unternehmen mehr Erfolg hatte. Mit 4.348 Besuchern hatte Mercedes die Besucherzahl
von BMW (319 ) um mehr als das Zwölffache übertroffen!
BMW setzte seinen Fokus darauf, ihren Besuchern in erster Linie Informationen über saubere Energie zu bieten. Mercedes hingegen entschloss sich darüber
hinaus zu einer Einbindung in einen Produktlaunch. Besucht man die BMW
Insel, so findet man einzig zwei Autos, die das Konzept der sauberen Energie verkörpern sollen. Diese befinden sich allerdings auf Bühnen recht weit von
der Ankunftsregion entfernt. Besucht man jedoch die Mercedes Insel, sieht man
direkt eine virtuelle Niederlassung mit zwei ausgestellten C-Klassen und einer
weiteren auf einer Bühne. Das gesamte Design der BMW Insel ist zwar sehr
aufwendig und modern gestaltet und durch sein weiß-blaues Farbenspiel auf
das Motto BMW CleanEnergy“ und auf die Präsentation des wasserstoffge”
triebenen Autos BMW Hydrogen 7“ abgestimmt, aber dennoch größtenteils
”
Verschwendung, die keiner rechten Bestimmung dient. Mercedes hingegen hat
eine Teststrecke rund um die Insel gebaut, mit der Niederlassung und einem
Veranstaltungsgelände in der Mitte, und bietet den Usern damit eine ansprechende Attraktion.
Auf der BMW Insel ist für Second Life Nutzer auch kein Zusatznutzen in Form
von Werbegeschenken verfügbar. Es ist ein statisches Dasein. Besucht man die
Mercedes Insel, so kann man die neue C-Klasse einer Testfahrt um die Insel unterziehen. Das ist einer der Hauptgründe weshalb Mercedes das Zwölffache des
traffic“ von BMW hat. Aber das ist noch nicht alles. Man kann sich auch kos”
tenlose Mixtapes speziell kreierter Soundtracks herunterladen. Dies verändert
zwar nicht die Welt, aber es demonstriert die Motivation, die Marke Mercedes
in einer virtuellen Plattform voranzutreiben.
Sobald man sich auf die BMW Insel teleportiert, bekommt man eine automatisierte Meldung, die besagt, dass BMW den Ankömmling momentan nicht
persönlich begrüßen könne. Falls man irgendwelche Fragen habe, dann sollte
man sich über eine Sofortnachricht an ihren Vertreter (Munich Express) wenden. Zusätzlich hat BMW eine Anzeige, die die spezifischen Zeiten (9:00 – 10:30
PST) bekannt gibt, zu denen ein BMW Vertreter verfügbar sein wird. Es ist
aber durchaus auch vorgekommen, dass niemand zu dieser Zeit anwesend war.
Vergleicht man dies mit der Nachricht, die man bekommt, wenn man das erste
Mal die Mercedes Insel betritt, fällt dem Besucher direkt eine Kleinigkeit auf.
Willkommen auf der Mercedes-Benz Insel, Mercedes-Benz virtuelle
Präsenz in Second Life. Scheuen sie sich nicht, eine Fahrt mit der
neuen C-Klasse auf unserer anspruchsvollen Teststrecke zu machen.
Mercedes Benz
Es scheint so, dass BMW nur zu gewissen Zeiten Besucher auf ihrer Insel begrüßt, Mercedes allerdings Besucher so empfängt, dass sie sich vom ersten Moment an willkommen fühlen. Außerdem kann ein Mercedes Vertreter (Mercedes
Milestone) des Öfteren auf der Mercedes Insel angetroffen werden.
Darüber hinaus gab es keine Events, die das Interesse der Besucher fördern,
die BMW New World wiederholt aufzusuchen. Mercedes hat es lediglich etwas
besser gemacht und am Tag des Starts der C-Klasse eine Party gegeben. Beide
hätten allerdings hinsichtlich Events vieles besser machen können.
Marketing in Second Life
141
BMW hat zwar Links zu Webseiten, die ihre CleanEnergy“-Initiative vermit”
teln, jedoch hat Mercedes vor seinem eigentlichen Start in Second Life viel strategischer einen Blog geschaffen. Dies hat nicht nur erfolgreich zur Erregung von
Begeisterung rund um ihr Projekt für Second Life beigetragen, sondern auch
Personen, die keinen Zugang zu Second Life haben, ermöglicht, eine Einsicht in
ihre Planung zu erhalten.
Entscheidend dafür, dass Mercedes einen traffic“ erzielte, der mehr als zwölf
”
Mal so groß war wie der seines Konkurrenten BMW, war die Berücksichtigung
der Zielgruppe sowie der Population/Bevölkerung von Second Life, und das obwohl BMW mit 3 Monaten schon deutlich vor Mercedes in Second Life vertreten
war.
Ein sehr innovatives Konzept mit der genialen Einbindung engagierter Nutzer
in Second Life verfolgt derzeit vodafone [Sti07]. Eine Analyse des Bedarfs nach
einem Mobilfunkdienst bzw. dessen Resonanz soll durch eine von vodafone gestartete Aktion namens InsideOut herausgefunden werden. Um zu erfahren, was
potentiellen Kunden in Second Life, sowie anderen virtuellen Welten, wichtig
ist, sind Telefongespräche über den Dienst InsideOut aus Second Life heraus
bis November 2007 kostenlos. Die Einfachheit der Bedienung macht es zudem
möglich, auch an nicht technisch versierte heranzutreten. Um aus Second Life
heraus ein Telefonat über InsideOut zu führen, ist es lediglich notwendig, die
vodafone InsideOut“ Insel zu besuchen. Dort wird einem das nötige Mobilte”
lefon für die Online-Welt umsonst zur Verfügung gestellt. Im Anschluss daran
muss sich der Nutzer nur noch auf einer Webseite registrieren lassen und dort
seine reale Mobilfunknummer angeben. Danach kann der Nutzer alle anderen,
die sich wie er, bei InsideOut angemeldet haben, anrufen. Dabei wird zuerst der
Anrufer auf seinem realen Mobilfunktelefon und anschließend sein Gesprächspartner auf seinem realen Mobilfunktelefon angerufen. Das Telefonat verlagert
sich also aus Second Life heraus. Die Nutzer bleiben darüber hinaus anonym.
Selbst Kurznachrichten lassen sich aus Second Life heraus und in Second Life
hinein verschicken. Ist der Nutzer nicht online, so wird ihm die Kurznachricht
auf das reale Mobilfunktelefon geschickt, lediglich mit dem Namen des Avatars des Senders. Der daraus resultierende Erkenntnisgewinn kann bislang durch
kein geeignetes Preismodell umgesetzt werden. Allem Anschein nach hat dieser
(noch kostenlose) Dienst großen Zuspruch. Das längste Telefongespräch aus
”
Second Life heraus, das wir bislang hatten; war über eine Stunde lang“, so Ingo
Ehlen, Mitarbeiter der Markenstrategie-Abteilung von vodafone. Aber das muss
ja nicht alleine am Dienst liegen.
142
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
Abbildung 4.5: Benutzeroberfläche des Dienstes InsideOut in Second Life
4.5
Kritik am Marketing in Second Life
In den vorangegangenen Abschnitten haben wir einige Möglichkeiten für die
Nutzung von Second Life als Marketinginstrument für Unternehmen aufgezeigt
und die Auftritte der Unternehmen Adidas, Mercedes, BMW und Vodafone
näher betrachtet. Dabei wurde insbesondere in Abschnitt 4.4 deutlich, dass eine
Präsenz in der virtuellen Welt nicht immer den gewünschten Erfolg gebracht hat.
Denn neben Adidas und Mercedes-Benz haben auch Unternehmen wie z.B. die
Deutsche Post AG, der Computerhersteller Dell oder die Hotelkette Starwood
längst ihr Engagement in Second Life beendet und ihre Insel verlassen. Deshalb
möchten wir im Folgenden nicht nur der Frage nachgehen, warum Marketing
in Second Life bislang nur selten funktionierte, sondern auch darauf eingehen,
welche Chancen sich möglicherweise aus den gesammelten Erfahrungen für die
Zukunft der virtuellen Welt als Kommunkationskanal ergeben könnten.
Laut Aussage von Christopher Ringwald, Sprecher des Internetdienstleisters Pixelpark, müssten sich Unternehmen, die ihre Präsenz geschlossen haben, fragen,
ob ihr Atem lang genug gewesen sei und was sie bei ihrem Auftritt falsch gemacht haben könnten [oV11].
Der Grund für die sinkenden Besucherzahlen auf den Inseln der Unternehmen
Marketing in Second Life
143
liegt aber sicherlich nicht allein in der fehlenden Attraktivität der Markenangebote. Der Hype der virtuellen Welt Second Life ist schlichtweg vorbei und
immer weniger Bewohner besuchen diese noch regelmäßig. Nach den anfangs
immens steigenden Bevölkerungszahlen war diese Entwicklung schon Mitte des
Jahres 2007 wieder auf einem absteigenden Ast. Laut einem Artikel auf der
Website WeltOnline seien die aktiven Nutzerzahlen in Second Life schon im Juni 2007 um 2.5 Prozent zurückgegangen, und obwohl es zu der Zeit noch etwa
acht Millionen Registrierte gab, hielten sich bestenfalls nur 30.000 bis 40.000
Nutzer in der virtuellen Welt auf. Second Life hat innerhalb eines Jahres eine
”
rasante Entwicklung durchgemacht. Vom nahezu völlig Unbekannten erlebte
”
Second Life vor wenigen Monaten noch einen Hype mit positiver Berichterstattung und folglich auch positiver Wahrnehmung. In jüngster Zeit überwiegt eine
negative Wahrnehmung verbunden durch entsprechende Berichterstattung. Diese Phasen werden normalerweise in größeren Zyklen durchlaufen“, unterstreicht
Ringwald. Wenn ein Unternehmen Interesse hat, an dieser Entwicklung teilzunehmen, müsste es mit Second Life durch diese Phasen gehen.“ [Bel07]
Möglicherweise hat der übermäßige Medienhype der Vergangenheit der Online3D-Welt nicht gut getan. Wie in einem Artikel der WeltOnline vom 9.Juni 2008
zu lesen ist, sagt Linden Lab Manager Mark Kingdon: Auch wenn es nicht ihre
”
Intention war - in meinen Augen haben die Medien uns damit sehr geschadet.“
Deshalb riet er den Unternehmen, derzeit keine neuen Niederlassungen in der
virtuellen Welt zu gründen, sondern vorerst abzuwarten und erst in der Zukunft
zurückzukehren [oV12]. Die Entwicklung von Second Life stehe nach Aussagen
von Kingdon noch ganz am Anfang. Die virtuelle Welt sei zwar längst mehr
als nur ein Computerspiel, aber es müsse sich erst noch zeigen, wie Unternehmen daraus wirtschaftliche Modelle entwickeln könnten, so Pixelpark-Sprecher
Ringwald [Mar07].
So hat auch eine Studie zur Kundenzufriedenheit der Hamburger Agentur Komjuniti unter 200 Nutzern gezeigt, dass das Marketing-Engagement realer Unternehmen in der virtuellen 3D-Welt derzeit auf nur wenig Akzeptanz bei den Bewohnern trifft. Nur 7 Prozent der Befragten glaubten daran, dass Second Life
das Markenimage positiv beeinflussen und Kaufanreize bieten könne. Mehr als
ein Drittel kannten die dort repräsentierten Markenangebote überhaupt nicht
und 42 Prozent glaubten nicht an ein langfristiges Engagement von Unternehmen, die derzeit in Second Life Promotion machen [oV13].
Eine weitere Studie über die Bedeutung von Second Life für Marketingzwecke,
die W3B-Studie der Hamburger Internet-Beratung Fittkau & Maaß Consulting
GmbH, ergab außerdem, dass nur 12 Prozent der aktiven Nutzer in der virtuellen Welt neue Produkte wahrgenommen haben, und somit der Nutzungszweck
Produktinformation“ bislang kaum eine Rolle spielt [oV05]. Die Enttäuschung
”
”
kam nicht sonderlich überraschend“, sagt der Werbefachmann Dr. Nils Andres.
Der mediale Hype um Second Life in den traditionellen Medien führt seiner Meinung nach zu überhöhten Erwartungen, die von den Unternehmen nicht erfüllt
werden können. In den vergangenen Monaten war der bereits seit Jahren bestehende 3D-Chat, in dem Nutzer ihre eigenen Avatare gestalten können, zum
Gegenstand vieler teils euphorischer Berichte geworden.
Immer mehr Markenfirmen hatten ihr Engagement in der virtuellen Welt bekannt gegeben und dort interaktive Repräsentanzen eröffnet. Diese würden von
den Nutzern jedoch nicht gut angenommen und wirkten oftmals wie ausgestor-
144
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
ben.
Wir konnten erkennen, dass Unternehmen die Herausforderungen aus der rea”
len Welt eins zu eins und ohne nachhaltige Lösungen in die virtuelle Welt
überführen,“ sagte Andres [oV15]. Werbekampagnen seien jedoch nicht ausreichend für wirtschaftlichen Erfolg in der Online-Simulation, vielmehr bedürfe
es einer langfristigen Betreuung. Auch mit den Möglichkeiten in Second Life seien viele dort Akkreditierte unzufrieden und hätten gravierende Mängel“
”
angezeigt. Der Hamburger Studie zufolge wünschen sich viele Mitglieder mehr
Interaktivität.
Deshalb lassen auch die Profile der Nutzer sowie deren Nutzungsmotive an
”
einer Bedeutung von Second Life für Wirtschaft und Marketing zweifeln –
sind es doch vor allem jugendliche, Computer-affine Nutzer mit einem ausgeprägten Faible für Online Spiele. Anders als von vielen E-Commerce- und
Marketing-Verantwortlichen erhofft, sehen die Nutzer Second Life ganz einfach
als Plattform zum Chatten, Spielen und Zeitvertreib“, so heißt es in einem Artikel über die W3B-Studie über die Bedeutung von Second Life für Marketingzwecke [oV05]. So kam die Internet-Beratung auch zu dem Ergebnis, dass die
Bedeutung von Second Life als Marketingplattform überbewertet werde. Auch
Aquarius-Geschäftsführer Rainer Wiedmann stellte fest: Die Frequentierung
”
der Markeninseln liegt in der Regel unterhalb der Schwelle von Fokusgruppen
und ist daher selbst für Marktforschung ungeeignet. Second Life taugt oft nicht
mal als Experimentierfeld.“ [Bel07]
So oder so ähnlich klingen die Meinungen vieler Werbefachleute und Unternehmenssprecher über die Sinnhaftigkeit einer Präsenz in Second Life als Marketingmaßnahme. Dementsprechend negativ ist auch das Bild der Medienberichterstattung geprägt, insbesondere seitdem immer mehr Firmen ihre Zelte abbrechen
und sich zumindest vorerst aus der virtuellen Welt zurückziehen. So findet man
in Zeitschriften oder auf Webseiten viele negative Schlagzeilen der Art Macht
”
Second Life für Firmen noch Sinn?“, Probleme bei Second Life – Der geplatzte
”
Traum vom zweiten Leben“, Ladenschluss in Second Life“ oder sogar End”
”
lich sind sie weg!“. Viele Berichterstattungen lassen jedoch außer Acht, dass
es möglicherweise kein Abschied für immer sein wird, sondern dass diese sehr
junge Präsentations-, Begegnungs- und Kommunikationsplattform derzeit ganz
natürliche Phasen durchlebt, in der Konzepte ausprobiert und wieder verworfen werden, um rechtzeitig erste Erfahrungen zu sammeln, wie der Umgang mit
diesen Welten erfolgreich gestaltet werden kann, um für die Zukunft gerüstet zu
sein, wie es in einem Artikel der Fachzeitschrift direktmarketing [oV14] zu lesen
ist.
Vielleicht besteht sogar erst jetzt, nachdem der Hype vorbei ist, eine echte
Chance, sich mit den Schwächen und den Stärken der 3D-Online-Welt ernsthaft auseinanderzusetzen, da nicht mehr nur die rein unter PR-Gesichtspunkten
initiierten Auftritte der Firmen im Vordergrund stehen. Denn in dem Artikel
der Zeitschrift direktmarketing Dialog in virtuellen Welten: Dem Hype folgt
”
die Realität“ [oV14] wird kritisiert, dass bei allen Diskussionen um die optische Gestaltung der 3D-Welten, um Schlagzeilen-heischende Inseleröffnungen,
bei allen Spekulationen um die Gefahren und Schattenseiten, die Betrachtung
der Chancen für das Marketing, der Aufbau von Kundenbeziehungen und vor
allem die Schaffung von echten Nutzwerten für die Besucher der virtuellen Welt
bislang nur zweitrangig gewesen sei. Deshalb sollten die Unternehmen, die in
Marketing in Second Life
145
der Zukunft eine Präsenz in einer virtuellen Welt planen, berücksichtigen, dass
sie dort herrschende Prämissen wie Wertschätzung, Identifikation, Kommunikation und Integration in ihren Konzepten nicht vernachlässigen. Gelingt es,
”
diese Prämissen zu vereinen, dann stehen für werbungtreibende Unternehmen
alle Türen offen, um hier in Zukunft einen Kommunikationskanal zu aktivieren,
der das heutige Problem des Bombardements von Werbebotschaften überwinden
kann und zu einer effektiven Verbreitung und Vermittlung von Informationen
beträgt,“ so der Autor des Artikels [oV14]. Dafür wird es notwendig sein, die
wesentlich kleinere Zielgruppe im Vergleich zur realen Welt sehr gezielt mit
interessanten und intelligenten Anwendungen anzusprechen, anstatt nur mit
einfacher Werbesprache. Unter Beachtung dieser Aspekte in Vereinigung mit
innovativen, außergewöhlichen und Aufmerksamkeit weckenden Angeboten von
Unternehmen könnte auch weiterhin eine Chancen für Firmen bestehen, dass Second Life ihnen bei dem Aufbau von Kundenbeziehungen dient. Schließlich hat
die 3D-Welt den Vorteil, dass sich alle aktiven Nutzer freiwillig in der virtuellen
Welt befinden und sich somit durch entsprechende Aufmerksamkeit auszeichnen.
Dies ist auch nach Meinung von direktmarketing Eine ideale Voraussetzung ...
”
für das Marketing, um nachhaltige Dialoge aufzubauen.“ [oV14]
Dafür erscheint es uns jedoch unbedingt notwendig, dass die Unternehmen in
Zukunft ihre Präsenz in einer virtuellen Welt sorgfältiger vorbereiten und nach
der Eröffnung intensiver den Kontakt zu den Usern pflegen und sich stetig darum
bemühen, Anreize zu wiederholten Besuchen zu schaffen. Dabei sollten durchaus
Aspekte beachtet werden, wie wir sie in dem Abschnitt Gestaltungsempfehlun”
gen für Markenunternehmen“ beschrieben haben. Eine bessere Alternative noch
wäre, sich an eine Agentur zu wenden, die sich auf die Präsenzen in Second Life
spezialisiert hat. Auch wenn diese Unterstützung sicherlich nicht gerade kostengünstig sein wird, könnte die professionelle Betreuung bei dem Aufbau von
Kundenbeziehungen in einer virtuellen Welt am Ende jeden Euro wert sein.
Schließlich ist festzuhalten, dass eine Marketingmaßnahme in Second Life nur
erfolgreich sein kann, wenn man die Kommunikation mit den Bewohnern, sowie
deren Interaktionsmöglichkeiten und Integration in den Vordergrund stellt, um
sie so auf die Insel eines Unternehmens und letztendlich auch auf die Produkte
einer Marke aufmerksam zu machen. Dies haben in der Vergangenheit sicherlich auch die in Abschnitt 4.4 näher betrachteten Firmen Adidas und Mercedes
versucht und dennoch haben sie ihren Auftritt frühzeitig aufgrund mangelnder
Besucherzahlen beendet. Auch wenn ihre Angebote noch genügend Bezug zu
der realen Marke beinhalteten und gleichzeitig aber auch in gewisser Weise auf
die virtuelle Welt abgestimmt waren, hätten den Besuchern unserer Meinung
nach mehr Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten geboten werden können. So
hätte man auf der Insel des Sportherstellers Adidas halbjährlich einen Wettbewerb anbieten können, bei dem die Besucher selbst einen Sportschuh designen
dürften und dessen bestes Resultat von einer Jury aus Designern der realen
Marke prämiert würde. Ein besonders großer Anreiz wäre es dann auch sicherlich gewesen, wenn der siegende Schuh in die folgende Kollektion des Herstellers
im ersten Leben aufgenommen worden wäre. Außerdem sind wir der Meinung,
dass Mercedes ihren Besuchern mehr Interaktivität hätten bieten können, indem
diese nicht nur eine virtuelle Fahrt in dem neuen Modell der C-Klasse auf einer vorgegebenen Teststrecke hätten absolvieren können, sondern vielmehr ihre
eigene Teststrecke hätten auswählen können, ähnlich wie in einem Auto-Race-
146
Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
Game. So hätten die User auch nach der ersten Testfahrt einen Anreiz gehabt,
eine solche erneut zu starten, möglicherweise auf einem anderen Bodenbelag.
Eine weitere Möglichkeit hätte sein können, dass man sich bei der Teststrecke,
passend zu dem Werbegeschenk, an der Formel-1 orientiert und parallel zu den
Rennen in der realen Welt diese Strecken für die User in Second Life nachbildet.
Die Gestaltung einer solchen Attraktivität ist zwar sehr arbeitsintensiv, aber
eventuell erforderlich, um dauerhaft Besucher anlocken zu können.
Letztendlich muss aber jedes Unternehmen für sich selbst entscheiden, wie viel
Geld und Arbeitszeit es zu investieren bereit ist, um den neuen Kommunikationskanal für sich zu nutzen. Dazu gehört auch, dass kleine Enttäuschungen nicht
sofort zu einem Rückzug, sondern eher zur Entwicklung innovativer Anwendungen für die User führen. Wie wir oben bereits erwähnt haben, sollten jedoch
zu keiner Zeit übertriebene Erwartungen erhoben werden, da die angesprochene Zielgruppe noch sehr klein ist. Doch gerade jetzt, nachdem der große Hype
vorbei ist, können die Unternehmen davon ausgehen, dass nur wenige Bewohner
sich aus reiner Neugierde in dem zweiten Leben bewegen, sondern vielmehr aus
reinem Interesse und Überzeugung, so dass in Zukunft ein wesentlich gezielteres
Marketing in Second Life betrieben werden kann.
Marketing in Second Life
4.6
147
Fazit
Zum Abschluss unserer Projektarbeit möchten wir an dieser Stelle noch einmal
die wichtigsten Ergebnisse zu dem Thema Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen
”
Realitäten“ zusammenfassen und einen Ausblick auf eine mögliche Entwicklung
für die Nutzung von virtuellen Welten als Marketinginstrument geben.
Das Ziel unserer Arbeit war es, zu untersuchen, warum Second Life für Markenunternehmen eine so große Attraktivität besitzt und wie sie das zweite Leben
für ihre Marketingzwecke nutzen können.
Dabei wurde deutlich, dass die Aussicht auf eine besonders intensive Kommunikation mit potentiellen Kunden für viele Firmen als Motivition galt, sich in der
virtuellen Welt auf einer firmeneigenen Insel zu präsentieren. Der Nutzen, den
die Unternehmen daraus gewinnen wollen, liegt in der Regel weniger in der Erzielung eines realen Umsatzes, sondern vielmehr darin, die Interessen der Nutzer
genauer kennenzulernen, Erfahrungen mit dem neuen Medium zu sammeln, die
Bewohner des zweiten Lebens über ihre Marke und ihre Produkte zu informieren
oder Erkenntnisse für das Produktdesign und die Preisgestaltung zu erhalten.
So kann ein Auftritt in Second Life alle anderen, realen Marketingmaßnahmen
sowohl verstärken als auch abrunden.
Um diese Ziele zu erreichen, verfolgen die Unternehmen unteschiedliche Strategien. So haben die First Mover“ besonderen Wert darauf gelegt, die erste Firma
”
ihrer Branche oder ihres Marktbereiches zu sein, um sich damit vorwiegend eine Vielzahl an Presseberichten zu sichern. Die Early Adopter“ hingegen haben
”
zunächst abgewartet, um aus den Auftritten der anderen zu lernen und ihren
eigenen attraktiver zu gestalten. Darüber hinaus bieten sich den Unternehmen
verschiedene Nutzungsszenarien, die die Gestaltung der Firmenpräsenzen bestimmen. Viele Marken nutzen Second Life für Marktforschungszwecke, indem
sie einen Testmarkt errichten. So bieten sie den Besuchern die Gelegenheit neue
Produkte kennenzulernen und erhalten gleichzeitig ein günstiges und wertvolles
Feedback. Andere Firmen stellen das V-Commerce in den Vordergrund, wodurch sie den Usern ein echtes Shopping-Gefühl vermitteln und für viele einen
echten Mehrwert im Gegensatz zu den Onlineshops im Web 2D schaffen. Neben
virtuellen Produktangeboten und Events sind auch die Strategien der Markenund Kundenbindung weit verbreitet.
Nachdem die ersten Unternehmen eine Präsenz gestaltet hatten, die nach nur
kurzer Zeit kein Interesse mehr bei den Usern weckte, wurde deutlich, dass es
wenig erfolgreich ist eine Fire-and-Forget-Kampagne zu starten. Deshalb beauftragten viele Unternehmen eine auf die Repräsentanz in Second Life spezialisierte Agentur, um mit deren Hilfe ihren Auftritt attraktiver zu designen. Eine
Präsenz in Second Life sollte gut durchdacht sein und nicht einfach das reale Firmenimperium widerspiegeln. Sie sollte den Bewohnern vor allem Aktivitäts- und
Kommunikationsmöglichkeiten, aber auch Kreativität und Lebendigkeit bieten.
Der User muss auf der Firmeninsel etwas Neues erfahren oder erleben können,
das ihn zu einem Besuch verleitet. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch,
dass die angebotenen Attraktionen und Produkte einerseits zur Marke passen,
aber andererseits auch in Second Life, und dass ausreichend Promotion für eine
Marke innerhalb wie auch außerhalb der virtuellen Welt gemacht wird. Außer-
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Wirtschaftliche Aspekte in virtuellen Realitäten
dem sollte eine Präsenz genügend Raum für Kommunikation enthalten, sowohl
in der Form, dass eine Firma einen Avatar mit Beratungscharakter beschäftitgt,
als auch derart, dass die Bewohner zum Verweilen und Chatten eingeladen werden. Diese Aspekte reichen aber in den meisten Fällen nicht aus, um einen
Nutzer auch zu einem zweiten Besuch auf der Insel zu bewegen. Dazu benötigt
man eine regelmäßige Veränderung oder aber wechselnde Events, die dazu anreizen wiederzukommen. Nur so kann ein Unternehmen den Zielen Marken- und
Kundenbindung ein Stück näher kommen. Viele Nutzer wünschen sich aber vor
allem Interaktionsmöglichkeiten, sie wollen selbst auf das Geschehen einwirken.
Da bei vielen Firmenauftritten bislang einige dieser Punkte nicht berücksichtigt
wurden, ist es nicht verwunderlich, dass der Nutzungszwecks Produktinformati”
on“ bislang kaum eine Rolle spielte. Deshalb verließ eine Reihe von Unternehmen
inzwischen ihre Insel mit den Worten wir haben viele wertvolle Erfahrungen
”
gesammelt“, und nimmt vorerst von diesem Kapitel der Unternehmenskommunikation Abstand.
Es bleibt aber festzuhalten, dass dies kein Abschied für immer sein wird. Der
Hype um Second Life ist zwar derzeit vorüber, aber dies ist eine ganz natürliche
Entwicklung, die auch andere Medien in der Vergangenheit durchleben mussten. Vor allem hat Second Life zu der Marktbereitung im Umfeld von virtuellen
Welten beigetragen, so dass schon heute eine Vielzahl anderer, kleinerer Plattformen existiert. Deshalb macht es für Unternehmen auch weiterhin Sinn, sich
mit dem neuen Medium auseinanderzusetzen. Sie können nun mithilfe ihrer
gesammelten Erfahrungen, die Schwächen und Stärken von virtuellen Welten
besser einschätzen und gezielter auf die Wünsche der Nutzer eingehen, um für
diese einen echten Nutzenwert zu schaffen. Dabei sollte aber in der Zukunft
genau differenziert werden, welche Ansprüche die Anhänger verschiedener Nutzergruppen haben. Dies beinhaltet auch, dass die Firmen sich hinreichend damit
auseinandersetzen, in welcher virtuellen Welt sie zukünftig mit welcher Strategie
punkten wollen. Dann gibt es vielleicht doch noch eine Chance für das Marketing von Firmen, die virtuellen Welten als Kommunikationskanal zu nutzen und
schließlich einen Aufbau von Kundenbeziehungen zu erreichen.
Literaturverzeichnis
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