Predigt - ZDF Fernsehgottesdienst

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Predigt - ZDF Fernsehgottesdienst
Gottesdienstübertragung im ZDF – jeden Sonntag um 9.30
Bischof Dr. Franz-Peter Tebartz-van-Elst
Predigt vom 25.12.2009 (Limburg, Dom)
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Unser Limburger Dom ist reich an Bildern. Viele kennen ihn von außen, seine
Lage auf dem Felsen, seine Architektur und Geschichte. Ein Blickfang aus der
Ferne, ein Hingucker von der Autobahn; - so wie man äußerlich einen Eindruck
hat vom Glauben der Christen, vom Leben der Kirche.
Betritt man das Innere unseres Domes, wird man hineingenommen in eine
Bildwelt, die der Botschaft unseres Glaubens Gesichter gibt. Was von außen
Stützen und Pfeiler zeigen, bekommt hier im Inneren eine Bedeutung. Was die
Architektur an Statik vermittelt, geben die Bilder an Halt.
So kann man die Wand im nördlichen Querschiff unseres Domes verstehen. Sie
zeigt die Wurzel Jesse, den Stammbaum Jesu. Das Gemälde ist so alt wie diese
Kirche, über 750 Jahre. Auch wenn es im Laufe der Zeit überarbeitet und
aufgefrischt wurde, seinen Ursprung hat es nicht verloren. Es ist ein Bild des
Anfangs. Es erzählt die Botschaft von Weihnachten. Es erinnert, wo wir
herkommen, und es zeigt, was Menschen blüht, die glauben. Man sieht Wurzeln
und Wachstum. Ganz unten, die Hl. Sippe, der Jesus entstammt, in der Mitte der
Baum der Generationen mit den Gesichtern der Vorfahren (Könige), die aus dem
Stamm David hervorgegangen sind und ganz oben die Blüte: Maria mit dem Kind.
In den seitlichen Flügeln stehen Mose und Aaron, die Propheten Jesaja und
Ezechiel ganz im Dienst an einer Geschichte, die unsere Gegenwart ist.
Weihnachten gibt uns Menschen Wurzeln. Wir feiern das Fest in der Familie,
besuchen unsere Verwandten und kommen nach Hause. Weihnachten lässt uns
fragen und sagen, woher der Mensch ist: aus Gott – und wo er zuhause ist: in
Gott.
Wo Gott aus dem Blick gerät, werden Menschen entwurzelt. Wo Gott nicht mehr
vorkommt, ist der Mensch heimatlos. Diese Einsamkeit ist die größte Wunde
© Katholische Fernseharbeit beim ZDF 2009
Gottesdienstübertragung im ZDF – jeden Sonntag um 9.30
unserer Zeit, die an Weihnachten besonders weh tut. Mancher leidet darunter,
dass Ursprünglichkeit im Leben verloren gegangen ist. Die größte Entwurzelung
unserer Tage ist die Trennung des Menschen von Gott. Wo die Gabe des Lebens
nicht mehr als Geschenk des Schöpfers gesehen wird, ist die Würde und der
Wert des Menschen vor seiner Geburt, in der Krankheit und im Alter in Gefahr.
Wo die Wirtschaft sich von Werten löst, geht die Schere zwischen arm und reich
immer weiter auseinander. Wo sich das Klima der Erde erwärmt, zeigt sich, dass
die Herzen der Menschen immer kälter werden, wenn es um eine gemeinsame
Verantwortung für die Schöpfung geht.
Wo sich die Einstellung zum Leben auf die Formel der Religionskritiker verkürzt,
wird der Mensch entwurzelt:
Sie sagen: „Soviel Wert der Mensch hat, so viel Wert und nicht mehr hat sein
Gott. (…)
Sie behaupten: Das Bewusstsein Gottes ist das Selbstbewusstsein des
Menschen.
Sie meinen: die Erkenntnis Gottes ist die Selbsterkenntnis des Menschen.“(vgl. L.
Feuerbach)
Weihnachten spricht eine andere Sprache: So viel Wert Gott in dieser Welt
bekommt, so viel Wert hat der Mensch. So weit wie Gott im Blick ist, so tief ist der
Mensch verwurzelt. Davon spricht das Evangelium: „Allen, die ihn aufnahmen,
gab er Macht Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben.“
(Joh 1,12) Wo Gott dazwischen kommt, gewinnt der Mensch Halt. Wer in Gott
verwurzelt ist, kann wachsen. Wo Gott nicht mehr vorkommen darf, wo das Kreuz
aus dem Blick kommen soll, schrumpft der Mensch.
In seiner Erzählung „Der Ulmenstamm“ schreibt der russische Dichter Alexander
Solschenizyn in Erinnerung an seine Zeit im Gefangenenlager: „Wir sägten Holz,
griffen dabei nach einem Ulmenbalken und schrien auf. Seit im vorigen Jahr der
Stamm gefällt wurde, war er vom Traktor geschleppt und in Teile zersägt worden,
man hatte ihn auf Lastwagen geworfen, zu Stapeln gerollt, auf die Erde geworfen
– aber der Ulmenstamm hatte sich nicht ergeben! Er hatte einen frischen grünen
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Trieb hervorgebracht – eine ganze künftige Ulme oder einen dichten rauschenden
Zweig. Wir hatten den Stamm bereits auf den Bock gelegt, wie auf einen
Richtblock; doch wagten wir nicht, mit der Säge in seinen Hals zu schneiden. Wie
hätte man ihn zersägen können? Wie er doch leben will – stärker als wir.“
Weihnachten bringt die Botschaft, dass der Baum unseres Glaubens auch im
Winter wächst. Die Geschichte Israels wird zur Gegenwart der Kirche: „Aus dem
Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln
bringt Frucht.“ (Jes 11,1)
Wachstum braucht Richtung. Das lehrt uns die Natur. Das gilt auch für den
Menschen.
Zu unserem Bistum Limburg gehört der Rheingau, eine Landschaft, in der man
vieles lernen kann. In den vergangenen Wochen war ich zu Pastoralbesuchen in
den Gemeinden dieser Region, die mit Weinstöcken gesegnet ist. Vor dem
großen Frost (der letzten Tage) waren die Winzer damit beschäftigt, die Reben
auf das Maß eines Baumstumpfs zurück zu schneiden. Nur ein Trieb bleibt, in
den alles Wachstum gehen soll. Weinerziehung nennen sie diese Maßnahme der
Botanik. Alle Kraft soll in einen Zweig gehen. Das gesamte Wachstum richtet sich
auf einen Trieb. Ein Einschnitt, der notwendig ist, damit Neues werden kann. Eine
Einsicht, die uns Weihnachten vermittelt: „Es ist ein Ros entsprungen, aus einer
Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art, und hat ein
Blümlein bracht mitten im kalten Winter wohl zu der halben Nacht.“ (vgl. Gl 132,1)
Neues wächst, wo Einschnitte nötig sind. Wir bemerken es oft erst im Rückblick.
Wo uns in winterlicher Zeit Verzicht abverlangt wird, kommt es zur Konzentration
auf das Wesentliche. In Kirche und Gesellschaft, im Beruf und in den
Beziehungen sagt uns die Botschaft von Weihnachten: Wo wir Gewohntes und
Vertrautes lassen müssen, will Gott, das wir uns nicht länger in einem Vielerlei
verlieren, das uns zerstreut.
Der Blick auf das Kind in der Krippe zeigt uns den frischen Trieb aus dem
Baumstumpf einer wechselhaften Lebens-, Welt- und Kirchengeschichte. Alle
© Katholische Fernseharbeit beim ZDF 2009
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Bilder von Weihnachten zeigen die Wachsamkeit für das Wesentliche. Das Kind
in der Krippe bewirkt die Konzentration auf das Kommende. Papst Benedikt XVI.
hat sie im Blick, wenn er sagt:
„In der Nacht von Bethlehem wird der Erlöser einer von uns, um auf den
verfänglichen Wegen der Geschichte unser Begleiter zu sein. Ergreifen wir die
Hand, die er uns entgegenstreckt: Es ist eine Hand, die uns nichts nehmen,
sondern nur schenken will.“
Wo es so scheinen mag, als würde in winterlicher Zeit manches zurück
geschnitten und gestutzt, zeigt der junge Trieb, was Weihnachten bewirkt. Die
Frucht aus dem Baumstumpf Isais kann nur wachsen, wenn es den Blick und die
Besinnung auf die Blüte gibt, die unser Stammbaum des Glaubens zeigt. Hier
sehen wir, was wir heute singen: „Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß,
mit seinem hellen Scheine vertreibt’s die Finsternis, wahr Mensch und wahrer
Gott … .“
Maria mit dem Kind zeigt uns, welche vertraute Nähe entsteht, wo der Mensch
des Glaubens Gottes Wort an sich heran lässt.
Menschen blühen auf, wenn sie in einer Gemeinschaft leben, die trägt. Das wird
uns an Weihnachten bewusst. Wir freuen uns über die echten Zeichen von
Verbundenheit und wir leiden, wo Nähe verloren gegangen ist. Die Verbindung
von Mutter und Kind im Bild der Blüte setzt sich fort im Vesperbild (s. Marienbild
im Chorumgang des Domes). Menschen des Glaubens sind in der Solidarität des
Lebens geborgen, die von der Krippe bis zum Kreuz geht.
Weihnachten sagt uns: Wer glaubt, ist nie allein! Wer hofft, wächst über sich
hinaus! Wer liebt, bleibt fest verwurzelt!
Im Bild des Stammbaums Jesu haben wir vor Augen, was die Botschaft von
Weihnachen uns (mit einem Wort des Apostels Paulus) ins Herz pflanzt: „Nicht du
trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich!“ (Röm 11,18b)
© Katholische Fernseharbeit beim ZDF 2009
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Meditation
Die „Alten“ singen es, die Propheten:
„Aus der Wurzel Isais wächst ein Reis hervor“
da blüht uns was.
Ein Reis wächst hervor, ein Spross,
„Virga“, so heißt es lateinisch.
Ein Ros entspringt, so singt das Lied.
Virga, das Reis, ist Jesus, der Sohn Davids. Die Virgo Maria bringt ihn zur Welt,
eine neue Blüte.
Nach den Königen Judas – ein Kind.
„Es wird kommen der Ersehnte der Völker“.
Nun ist er da.
Klein ist die Blume,
doch sie wird „heilig und Sohn Gottes genannt werden“.
Gottes menschgewordene Liebe,
in Christus blüht sie auf.
Er vertreibt das Dunkel,
Ganz Gott, ganz Mensch,
hineingeboren in eine Familie.
Wir danken Dir, allmächtiger Gott,
dass Du Mensch geworden bist in Christus,
der uns im Heiligen Geist
versammelt wie seine Familie
zum Mahl der Liebe,
der uns rettet, uns neu erblühen lässt.
Dir sei Lob und Ehre,
heute und alle Tage, bis in Ewigkeit.
Amen.
© Katholische Fernseharbeit beim ZDF 2009