Kleider aus dem Garten

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Kleider aus dem Garten
Nr. 16
S. 26
DIE ZEIT
SCHWARZ
cyan
magenta
WIRTSCHAFT
26
yellow
15. April 2010 DIE ZEIT Nr. 16
Kleider aus
dem Garten
E
ine Prinzessin webt Nesseln zu Hemden,
damit aus ihren zu Schwänen verwunschenen
Brüdern wieder Prinzen werden: Dieses
Märchen ist Anne Gorkes ungewöhnliche
Geschichte. Gemeinsam mit ihrer Partnerin Antje
Wolter hat sie vor zwei Jahren in Weimar die Marke
Vilde Svaner gegründet – so heißt Hans Christian
Andersens Märchen im dänischen Original.
Die »Wilden Schwäne« zeigen, dass die Kleidungsproduktion aus Nesseln im kulturellen Gedächtnis verankert ist. Denn aus Nesseln, die auch
hierzulande wachsen, wurden jahrhundertelang tatsächlich Kleider gemacht. Ebenso wurden Hanf
und Leinen zu Hosen, Jacken und Hemden verarbeitet. Später verdrängten synthetische Fasern und
billige Baumwolle aus dem Ausland den Rohstoff.
Doch weil sich Kunden zunehmend für regionale
Produkte interessieren, könnten heimische Fasern
jetzt einen neuen Aufschwung erleben.
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Die Aufregung war groß, als Aktivisten vergangene Woche eine Klage gegen Lidl einreichten. Der
Discounter produziere seine Billigkleidung in Fernost keineswegs so sozial korrekt, wie er behaupte, so
der Vorwurf. Auch anderen deutschen Billigketten
wie KiK wird vorgeworfen, sie bezögen durch Kinderarbeit oder unter ausbeuterischen Bedingungen
hergestellte Ware. Offene Manager in Deutschland
gaben bereits zu, dass sie die Arbeitsbedingungen
ihrer oft asiatischen Zulieferer nicht immer in den
Griff bekommen.
Gorke und Wolter sind das kleine Gegenmodell
zur globalisierten Textilwirtschaft. In Weimar produzieren die beiden Designerinnen, 27 und 28
Jahre alt, Mode ganz regional. Warum? »Wenn es
in der Nähe geht, warum sollten wir dann Fasern
von weit weg beziehen?«, fragt Anne Gorke zurück.
Wolle bekommen Vilde Svaner von einem AlpakaHof bei Dresden, wo sie von Hand gewaschen und
eingefärbt wird.
Reißverschlüsse und andere Kurzwaren kommen aus Thüringen. Sogar Stoff aus Nesseln aus
dem Wendland verarbeitete die Firma eine Zeit
lang, bis es Ärger mit dem Zulieferer des Stoffs gab.
Zu ihrer Weimarer Näherin gehen sie zu Fuß. Zudem besteht Gorkes und Wolters Kollektion hauptsächlich aus Bio-Baumwolle. Allerdings ist local
cloth, also Kleidung aus der Umgebung, bisher
noch ein Nischenprodukt.
Die Textilbranche unterscheidet im Großen und
Ganzen drei verschiedene Anbau- und Produktionsvarianten: Fertige Kleidung kommt komplett
aus Entwicklungsländern, wo die Fasern angebaut
und bis zum fertigen Kleidungsstück verarbeitet
werden. Hier gibt der Markenname oder der günstigste Preis den Wert des Kleidungsstücks vor – wie
bei Lidl und KiK. Die zweite Variante ist, Fasern
aus dem Ausland zu beziehen, diese aber in
Deutschland zu verarbeiten. Damit wirbt beispielsweise Trigema. Man würde zwar schon gern auch
heimische Fasern verarbeiten, sagt Norbert Betz,
der Produktionsleiter von Trigema, »aber die Kunden wollen einfach nicht!« Die dritte Variante ist
die seltenste: Nur sehr wenige Unternehmen verwenden auch regionale Fasern.
Weltweit wird etwa die Hälfte aller Kleider aus
Naturfasern, die andere Hälfte aus synthetischen
Stoffen hergestellt. Dabei ist Baumwolle mit circa
80 Prozent die am meisten eingesetzte Naturfaser.
Doch ihr Anbau schadet der Umwelt: Baumwolle
braucht Jahr für Jahr so lange zum Wachsen, dass
die Felder nach der Ernte sofort wieder neu bestellt
werden müssen.
Zwischen den Ernten können die Bauern ihre
Äcker nicht anders bepflanzen, um Unkraut zu vermeiden und die Bodenqualität zu verbessern. So
wird Baumwolle zur Monokultur, die ständig be-
In Hessen wird seit 2005 Leinen angebaut,
anfangs noch mit Unterstützung des Landwirtschaftsministeriums. Das Projekt ist derzeit das
einzig nennenswerte in Deutschland und funktioniert nur, weil die Naturmodefirma hessnatur
die Abnahme der Fasern garantiert. »Die Wiederbelebung dieser jahrhundertealten Kulturpflanze in Deutschland ist gar nicht so einfach«,
sagt Rolf Heimann, bei hessnatur verantwortlich
für Nachhaltigkeit.
Die Bauern lernen beispielsweise aus Erfahrung, wie dicht sie den Flachs säen müssen, denn
das hat Auswirkungen auf die Länge und Dicke
der Faser. Trotz aller Anfangsschwierigkeiten
möchte Heimann den lokalen Flachsanbau weiter
fördern. Hessen soll in Zukunft über die Hälfte
des verarbeiteten Leinens liefern. Das hat auch
wirtschaftliche Gründe. »Unsere Kunden schätzen den regionalen Bezug«, sagt Heimann, »und
wir sichern uns ein weiteres
Stück Unabhängigkeit in Sachen Ressourcenbeschaffung.«
Doch so ganz lokal geht es
auch hier nicht ab. In Lastwagen
wurde Kleidung in Europa zum großen Teil aus
wird der Flachs aus Hessen nach
Holland gefahren und dort weiHanf gefertigt. Seit Mitte der neunziger Jahre ist
terverarbeitet. Danach wird der
der Anbau der Pflanze wieder legal – aber strenge
Stoff in Ungarn und Norditalien
Auflagen behindern den wirtschaftlichen Erfolg
gesponnen und gewebt, schließlich in Tschechien genäht – nach
den Entwürfen des spanischen
wie möglich sein, um die Energiebilanz gering zu Stardesigners Miguel Adrover.
halten«, sagt Jürgen Erlenburg, »und damit es
Vor 100 Jahren wurden die meisten Kleider
sich rechnet.« Mit seiner Firma Lichtschatz setzt hierzulande noch aus einem ganz anderen Stoff
er sich dafür ein, dass im Allgäu wieder Leinen gefertigt: Hanf. Bis zum Zweiten Weltkrieg etwa
angesiedelt wird. Dort gibt es eine lange Traditi- waren sogar die Soldaten aller Länder in Hanf
on des Leinenanbaus und noch Reste der ver- gekleidet. Das amerikanische Militär propagierte
arbeitenden Industrie. Leinen war einmal das Hanf in einer Hemp for Victory-Kampagne; in
Hauptbekleidungsmittel in dieser Region. Aber Deutschland riefen die Nazis: »Ohne Hanf kein
das ist lange her. Seine Bedeutung, sagt Erlen- Kampf!« »Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde
burg, habe sich in der Umgangssprache erhalten. Hanf als Rauschmittel dämonisiert«, sagt Robert
Wer sich etwa eine »Fahrt ins Blaue« wünscht, Hertel. Als Vorstand des Hanftextilien-Großträumt heimlich von der blauen Flachsblüte. Vor händlers Hempage schimpft er im Eigeninteresetwa 100 Jahren jedoch wurde Leinen von der se, doch er hat die Historie auch erforscht und
Baumwolle aus der Textilproduktion weitgehend sieht seine Branche als das Opfer »einer Lobbyverdrängt. Daraufhin haben sich die Allgäuer arbeit der Nylonindustrie.«
Bauern angepasst und auf Milchwirtschaft speHanf ist äußerlich kaum von Baumwolle zu
zialisiert. »Den Böden würde der Flachsanbau unterscheiden, nur scheuert er nicht so schnell
gut tun«, sagt Erlenburg.
durch und hält im Sommer kühler. Und seine
spritzt werden muss. »Ein Viertel aller weltweit
verwendeten Insektizide landet auf Baumwollfeldern«, sagt Ulrich van Gemmeren von Madeby, einer Organisation, die sich für mehr Transparenz in der Modebranche einsetzt. Die Pestizide
gelangen ins Grundwasser und seien verantwortlich für drei Millionen Vergiftungen und den
Tod von 20 000 Menschen im Jahr, schätzt
die Weltgesundheitsorganisation. »Hinzu kommt
der hohe Wasserverbrauch der Baumwolle«, sagt
van Gemmeren. »Um ein Kilo Baumwolle zu
ernten, braucht man zwischen 7 000 und 20 000
Liter Wasser.« Das gilt auch, wenn sie ökologisch angebaut wird. Dann werden zwar keine
Pestizide eingesetzt, aber Wasser schluckt die
Pflanze trotzdem.
Noch fehlt in Deutschland eine Industrie, die
Naturfasern zu Stoffen und dann zu Kleidungsstücken verarbeitet. »Die Wege sollten so kurz
Vor hundert Jahren
Ökobilanz ist überlegen: Einmal gesät, schießt er
innerhalb von drei Monaten bis zu vier Meter
hoch. Damit wachsen die Hanfstängel schneller
als jedes Unkraut und nehmen diesem das Sonnenlicht. Im Hanfanbau müssen keinerlei Pestizide und Herbizide eingesetzt werden, weil der
starke Geruch der Pflanzen auch tierische Schädlinge abschreckt. Hanf wurzelt tief in der Erde
und kann auf fast jedem Boden angebaut werden
– er wird sogar eingesetzt, um vertrocknete Böden wieder aufzulockern. Gegossen werden muss
Hanf nicht, die Wurzeln reichen bis an das
Grundwasser.
Das Problem bleibt die Sache mit dem
Rauschmittel. Seit 1996 ist der Hanfanbau in
Deutschland wieder erlaubt, allerdings nur mit
strengen Auflagen. So darf er nur Samen enthalten, aus denen sich ein gering angesetzter Höchstwert des berauschenden Bestandteils THC gewinnen lässt. Hanfsamen, die seit Jahrhunderten
in der Textilindustrie eingesetzt werden, weil sie
eine besonders feine Faser ergeben, überschritten
diesen Wert oft marginal, gibt Robert Hertel zu
– »aber selbst bei diesen Pflanzen könnte man
auch ein ganzes Hanffeld rauchen, ohne eine
Wirkung zu bemerken«.
Eine weitere Eigenschaft ist Segen und Fluch
zugleich: Im Rohzustand sind die Stängel so
groß, dass sie sich nur auf sehr teure Weise
transportieren lassen. Also ist es am wirtschaftlichsten, Hanf lokal zu verarbeiten. Dem Klima
hilft das, weil weniger Transporte anfallen.
Doch es erschwert auch den Wiederaufbau der
Industrie, wie Hertel erklärt. Die Modefirmen
warten darauf, dass mehr Hanf angebaut wird,
und die Bauern hoffen, dass es mehr verarbeitende Anlagen gibt.
Damit hiesige Fasern eine Chance haben,
müssen auch mehr renommierte Modedesigner
wie Miguel Adrover Kleider aus alternativen
Naturfasern entwerfen, die Normalverbraucher
tatsächlich tragen wollen. Mehr Marken könnten dann zeigen: Kleidung aus Hanf, Nesseln
und Leinen kann auch gut aussehen. In Andersens Märchen werden die Schwäne übrigens zu
Prinzen, sobald sie Nesselhemden überziehen.
So wirkt eben Mode.
Siehe auch Seite 33
Sauber, aber teuer
Des Herzens Woge schäumte nicht so
schön empor und würde Geist,
wenn nicht der alte stumme Fels,
das Schicksal, ihr entgegenstünde.
Hölderlin
Prof. Dr. Werner Loch
* 11. Mai 1928
† 2. April 2010
Während seiner langen und schweren Krankheit
teilte er seine Gedanken mit uns bis ans Ende.
Wir nehmen Abschied
Waltraud Loch geb. Malkus
Lutz und Simon Loch mit
Ulrike und Katharina Wächter
Prof. Dr. Tillmann und Dr. Annemie Loch
Familie Ursel und Helmut Loch
Im Namen aller Angehörigen und Freunde
Die Trauerfeier fand am Mittwoch, dem 14. April 2010, in der Kirche der Evangelischen
Kirchengemeinde am Lietzensee statt.
Im Anschluss erfolgte die Beisetzung auf dem Städtischen Friedhof Heerstraße, Trakehner
Allee 1, 14053 Berlin.
Nr. 16 DIE ZEIT
Wer als Kunde nach regionaler Kleidung
sucht, die nicht aus Synthetik, Wolle oder
Baumwolle gefertigt wurde, muss einiges
beachten. Zum Beispiel die Herkunft:
Selbst wenn die Fasern mancher Pflanzen
– wie etwa Hanf – auch hierzulande wachsen, bedeutet das nicht, dass sie tatsächlich
aus der Region stammen müssen. Und
beim Preis gilt: Noch immer sind die alternativen Fasern um einiges teurer als die
klassischen Angebote. Ein Überblick über
Produkte und Preise.
Die Naturmodefirma hessnatur beispielsweise fertigt aus hessischem Leinen
hauptsächlich Taschen und Hosen. Eine
Leinentasche kostet 119 Euro, eine weiße
Leinenhose um die hundert Euro und
eine von Miguel Adrover entworfene
schwarze Marlenehose noch mal zwanzig
Prozent mehr.
Vor zehn Jahren begann hessnatur darüberhinaus, die Wolle des nahezu ausgestor-
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benen Rhönschafs zu verarbeiten – einer der ältesten
Nutztierrassen Deutschlands. Mittlerweile liefern
jährlich 500 thüringische Rhönschafe ihre Wolle,
die komplett in Deutschland verarbeitet wird: In
einer Behindertenwerkstatt in Sassen wird die Wolle sortiert, in der Lausitz versponnen und in Hessisch
Lichtenau konfektioniert. Ein Norwegerpullover
aus Rhönschafwolle kostet 99 Euro, eine Strickjacke
ein Drittel mehr.
RHÖNSCHAF
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yellow
Hanf-Textilien hingegen kommen bislang
nur in Ausnahmefällen aus der Bundesrepublik.
Der Großhändler Hempage bezieht seinen
Hanf aus der Volksrepublik China. Auch dort
ist Hanfstoff in der Herstellung noch etwa fünfmal teurer als vergleichbares Material aus Baumwolle. In kleinbäuerlichen Betrieben wird der
Hanf angebaut und in unmittelbarer Nähe zu
Garn versponnen und dann zu gewebten Stoffen weiterverarbeitet.
Nach den relativ strengen Kriterien der Fair
Wear Foundation werden diese Fabriken regelmäßig auf ihre soziale Arbeitsweise hin kontrolliert. Bei Hempage kosten Damen-T-Shirts etwas
mehr als zwanzig Euro, Herren-T-Shirts knapp
dreißig Euro. Eine 100-prozentige Hanfjeans
kostet ebenfalls um die hundert Euro.
Auch die weltweit erste Jeans von Levi
Strauss war dereinst zu hundert Prozent aus
Hanf und wurde wegen der Beständigkeit des
Materials schnell zum Hauptbekleidungsstück
der Goldgräber.
AKU
Fotos: SUPERBILD; Michael Kottmeier/agenda; TopicMedia; M. Delpho/Arco Digital Images (u.); Composing: DZ
Nesseln statt Baumwolle: Um die Umwelt zu schützen,
experimentieren Modefirmen mit Fasern aus Pflanzen,
die auch hierzulande wachsen VON ANNE KUNZE