Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“

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Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“
Präimplantationsdiagnostik und die
„Herstellung“ immunkompatibler
Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am
Beispiel der Leukämie-Therapie
Schuljahr 2011/2012
Verfasserin: Katrin F.
Fach: Biologie
Fachlehrerin: Frau Dr. Birgit Audehm
Einstein-Gymnasium
Fürst-Bentheim-Straße 60
33378 Rheda-Wiedenbrück
Katrin F.
Fürst-Bentheim-Straße 60
33378 Rheda-Wiedenbrück
Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
Inhalt
1. Einleitung
03
2. Definition der PID und Abgrenzung zur PND
03
3. Das Verfahren
04
3.1 Extrakorporale Befruchtung als Voraussetzung für die PID
04
3.2 Möglichkeiten der Gewinnung genetischen Materials
04
3.2.1 Embryobiopsie
05
3.2.2 Polkörperbiopsie der Eizelle
06
3.3 Diagnostische Methoden
06
3.3.1 Polymerase-Kettenreaktion
06
3.3.2 Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung
07
4. Indikationen für eine PID
07
4.1 Verdacht auf monogenetische Krankheitsanlage
07
4.2 Verdacht auf chromosomale Veränderungen
08
4.3 Identifizierung erwünschter genetischer Merkmale
09
4.3.1 Geschlechtsselektion
09
4.3.2 Immunkompatibilität (HLA-Typisierung)
10
5. Anwendbarkeit der PID in Bezug auf HLA-Typisierung am Beispiel der
Leukämie-Therapie
11
5.1 Kurzbeschreibung der Krankheit
11
5.2 Fallbeispiel
12
5.3 Rechtliche Situation in Deutschland und im Ausland
12
5.4 Ethische Probleme
13
6. Schluss
14
7. Literaturverzeichnis
15
8. Eigenständigkeitserklärung
16
2
Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
1. Einleitung
„Präimplantationsdiagnostik
und
die
„Herstellung“
immunkompatibler
Geschwister:
Darstellung medizinischer Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der LeukämieTherapie“.
Dieses Thema erscheint zunächst wie der Titel einer Dissertation oder eines speziellen
Artikels aus einem Fachportal für Medizin und die wenigsten werden sich vermutlich
umgehend etwas darunter vorstellen können.
Und dennoch erlangte die Präimplantationsdiagnostik1 in der Vergangenheit bereits recht
großes mediales Aufsehen, spätestens durch den Film „Beim Leben meiner Schwester“ 2 aus
dem Jahre 2009, in dem ein junges Mädchen, das mittels PID als Organspender für seine
leukämiekranke Schwester erschaffen wurde, für die Selbstbestimmung über ihren Körper
kämpft.
Meine Arbeit dient nun dazu, das Verfahren der PID und mögliche Indikationen darzustellen,
wobei insbesondere auf die „Herstellung“ immunkompatibler Embryonen eingegangen
werden soll. Anschließend werden noch knapp die rechtlichen und ethischen Probleme dieser
Methode angeführt.
2. Definition der PID und Abgrenzung zur PND3
„Die PID ermöglicht eine Beurteilung der Entwicklungsfähigkeit und genetischen
Ausstattung von künstlich befruchteten Embryonen, noch bevor sie in den Körper der
Frau übertragen werden. Ein Sonderfall der PID ist die Polkörperdiagnostik [der Eizelle],
die vor Abschluss der Befruchtung erfolgt.“4
Diese allgemeine Definition des Deutschen Ethikrats wird übernommen, um auf die
folgenden Aspekte der Arbeit einzugehen. Ferner ist zu beachten, dass die PID im Vergleich
zur PND ein Selektionsverfahren darstellt, da lediglich diejenigen Embryonen zur
Implantation in den Uterus verwendet werden, welche die gewünschten genetischen
Merkmale aufweisen. Die anderen Embryonen werden verworfen, das heißt, sie werden für
1
2
3
4
Nachfolgend abgekürzt mit: PID, international auch bekannt unter „PGD“.
Originaltitel: „My Sister´s Keeper“.
Abkürzung für Pränataldiagnostik .
Deutscher Ethikrat (2011), S. 10.
3
Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
keinen weiteren Zyklus aufbewahrt, sondern schlichtweg vernichtet.
Bei der PND hingegen handelt es sich um die Untersuchung von Embryonen im Uterus in
Bezug auf Krankheiten und Fehlbildungen, welche bei positiven Befunden den Wunsch einer
Abtreibung nach sich ziehen kann.5
3. Das Verfahren
Das Verfahren der PID setzt sich aus drei Bereichen zusammen. Nachdem zunächst
extrakorporale Embryonen mit Hilfe von IVF6 oder ICSI7 gezeugt wurden, kann durch
verschiedene Verfahren genetisches Material gewonnen werden, welches im dritten Schritt,
der eigentlichen Diagnostik, untersucht wird.
3.1 Extrakorporale Befruchtung als Voraussetzung für die PID
Das Vorliegen extrakorporaler8 Embryonen bildet die grundsätzliche Voraussetzung für die
Durchführung einer PID. Daher wird häufig eine IVF angewendet, bei der durch eine
vorherige Hormonbehandlung entstandene Eizellen operativ entnommen und unter optimalen
Bedingungen9 mit Spermienzellen besamt werden. Nach etwa 20 Stunden kann kontrolliert
werden, ob eine Befruchtung stattgefunden hat. Auf eine ICSI wird zurückgegriffen, wenn ein
Mann nicht in der Lage ist, genügend Spermienzellen für eine IVF zu produzieren. Die
Eizelle wird dann unter dem Mikroskop gezielt mit einer einzelnen Spermienzelle
befruchtet.10
3.2 Möglichkeiten der Gewinnung genetischen Materials
Zur Gewinnung genetischen Materials kommen zwei Techniken in Frage: zum einen die
Embryobiopsie und zum anderen die Polkörperbiopsie der Eizelle, wobei diese genau
5
6
7
8
9
10
Vgl. Baron (Hrsg., 2004), S. 154.
In-vitro-Fertilisation: Befruchtung außerhalb des Körpers.
Intracytoplasmatische Spermieninjektion.
Außerhalb des menschlichen Körpers vorliegend.
Bei optimaler Reife; im Brutschrank.
Vgl. Baron (Hrsg., 2004), S. 161.
4
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Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
genommen nicht mehr zur Präimplantationsdiagnostik, sondern zur Präkonzeptionsdiagnostik
zählt.11
3.2.1 Embryobiopsie
Die Embryobiopsie gliedert sich noch einmal in die Blastomer- und die Blastozystenbiopsie.
Bei der Blastomerbiopsie handelt es sich um die weltweit am häufigsten angewandte
Methode. Sie findet statt, sobald der Embryo das 8-Zell-Stadium erreicht hat (nach etwa 3
Tagen) und besteht aus einer Entnahme von ein bis zwei Zellen. Hierfür wird der Embryo mit
einer Pipette angesaugt, um anschließend die Eihaut perforieren und Zellen durch die
entstandene Öffnung entnehmen zu können. Das Problem dieser Methode stellt die geringe
Diagnosesicherheit dar, denn es können höchstens zwei Zellen, also ein Viertel der gesamten
Zellmasse, entnommen werden, um spätere Entwicklungsstörungen auszuschließen. 12
Da zum Zeitpunkt dieser Biopsie noch die Möglichkeit einer Totipotenz 13 der Zellen besteht,
ist die Anwendung in Deutschland laut BGH und Embryonenschutzgesetz (ESchG)
verboten.14
Statt einer Blastomerbiopsie kann auch eine Zellentnahme bei einem etwa fünf Tage alten
Embryo erfolgen, welcher sich im Blastozystenstadium befindet. Dies bedeutet, dass sich die
Zellen bereits spezialisiert haben, sodass pluripotente 15 Zellen entnommen werden können, die
später die Plazenta bilden. Da Embryonen in diesem Stadium aus circa 60 Zellen bestehen,
können für eine Untersuchung bis zu zehn Zellen entnommen werden, was die
Diagnosesicherheit steigert.
Problematisch an der Methode ist allerdings, dass das Blastozystenstadium nur von den
wenigsten Embryonen erreicht wird und die Zellen zudem sehr klein und eng miteinander
verbunden sind, was eine Entnahme erschwert.16
11 Vgl. Ziegler (2004), S. 28.
12 Vgl. Neubauer (2009), S. 9f.
13 Totipotenz meint das Vermögen einer Zelle, sich unter optimalen Bedingungen zu einem vollständigen
Organismus zu entwickeln.
14 Vgl. Deutscher Ethikrat (2011), S. 14.
15 Pluripotenz bedeutet, dass eine Zelle nicht das Potenzial besitzt, sich zu einem vollständigen Organismus zu
entwickeln.
16 Vgl. Neubauer (2009), S. 10f.
5
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Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
3.2.2 Polkörperbiopsie der Eizelle
An Stelle einer Embryobiopsie können auch der erste und zweite Polkörper einer Eizelle zur
Untersuchung entnommen werden.
Der erste Polkörper kann gewissermaßen als „Negativkopie“ des im Eizellkern enthaltenen
Erbmaterials bezeichnet werden. Der zweite Polkörper hingegen bildet die genaue Kopie
dieses Erbguts.
Da die Untersuchung an der Eizelle stattfindet und kein Embryo erzeugt bzw. zerstört wird, ist
sie nach dem deutschen ESchG erlaubt. Es kann jedoch nur das mütterliche, nicht aber das
väterliche Erbgut untersucht werden. Zudem kann auch keine Geschlechtsbestimmung
erfolgen, welche für die Identifikation geschlechtsgebundener Erbkrankheiten von Bedeutung
ist.17
3.3 Diagnostische Methoden
Zur Ermittlung genetischer Auffälligkeiten können verschiedene Techniken angewandt
werden. Hauptsächlich werden die Polymerase-Kettenreaktion18 und die Fluoreszenz-in-situHybridisierung19 zur Diagnostik benutzt, da jedoch beide Verfahren einige Schwächen
aufweisen, wird an weiteren Methoden wie der Genomhybridisierung und so genannten
DNA-Chips geforscht. Im Folgenden soll allerdings lediglich auf die PCR und die FISH kurz
eingegangen werden.20
3.3.1 Polymerase-Kettenreaktion
Mit Hilfe der PCR wird durch die Amplifikation21 bestimmter DNA-Abschnitte genügend
Genmaterial für eine Untersuchung auf monogene Erbkrankheiten erzeugt. Die Voraussetzung
hierfür ist, dass die Nukleotid-Sequenzen, welche sich an den Enden des jeweiligen DNAStückes befinden, bekannt sind.
17
18
19
20
21
Vgl. Neubauer (2009), S. 11ff.
Nachfolgend abgekürzt mit: PCR.
Nachfolgend abgekürzt mit: FISH.
Vgl. Deutscher Ethikrat (2011), S. 20ff.
Vervielfältigung.
6
Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
Durch eine Gelelektrophorese kann anschließend festgestellt werden, ob spezifische
Veränderungen einzelner Gene vorhanden sind. 22
3.3.2 Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung
Bei der FISH werden einzelne Chromosomen oder Chromosomenfragmente durch
Fluoreszenzfarbstoffe markiert und sichtbar gemacht.
Mit dieser Methode ist sowohl die Überprüfung auf chromosomale Störungen als auch die
Geschlechtsbestimmung möglich. Es können also sowohl numerische und strukturelle
Veränderungen des Chromosomensatzes als auch geschlechtsgebundene Erkrankungen
erkannt werden.23
4. Indikationen für eine PID
Paaren mit hohem Risiko, ein Kind mit genetischer Krankheitsanlage zu bekommen, wird
durch die PID eine Möglichkeit gegeben, dieses Risiko auszuschließen. Zudem erhalten sie
durch die PID eine Alternative zur PND, welche sie bei positivem Befund vor die Wahl
zwischen Austragen und Abtreibung des Kindes stellt.
Mögliche Indikationen für eine PID sind der Verdacht auf eine monogenetische
Krankheitsanlage oder chromosomale Störung und die Identifikation erwünschter genetischer
Merkmale, welche auch als positive Embryonenselektion bezeichnet wird. 24
4.1 Verdacht auf monogenetische Krankheitsanlage
Als monogenetische Krankheitsanlage bezeichnet man die Mutation eines Allels 25, welche
beim Betroffenen zur Ausprägung einer Krankheit führen kann. Man unterscheidet hierbei
zwischen autosomalen26 und gonosomalen27 und jeweils zwischen dominanten und rezessiven
22
23
24
25
Vgl. Neubauer (2009), S. 14.
Vgl. Deutscher Ethikrat (2011), S. 20f.
Vgl. Ziegler (2004), S. 33.
Allele sind mögliche Ausprägungsformen eines Gens. Gene sind Chromosomenabschnitte, die ein Merkmal
bestimmen.
26 Autosom = Nicht-Geschlechts-Chromosom.
27 Gonosom = Geschlechtschromosom.
7
Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
Erbgängen.28
Beim autosomal-dominanten Erbgang führt bereits ein defektes Allel auf einem der beiden
betreffenden homologen Chromosomen zur Ausprägung des Merkmals. Jeder Betroffene ist
sowohl Träger des Merkmals als auch erkrankt und das Risiko seiner Nachkommen, ebenfalls
zu erkranken, liegt bei 50% (nach Mendelschen Regeln).
Beim autosomal-rezessiven Erbgang hingegen prägt sich eine Erkrankung nur dann aus, wenn
das defekte Allel auf beiden homologen Chromosomen vorhanden ist. Heterozygote 29
Genträger erkranken somit selbst nicht, übertragen die Krankheit allerdings als so genannte
Konduktoren. Ihre Nachkommen haben ein 25-prozentiges Risiko zu erkranken.
Bei gonosomal vererbten Krankheiten liegt das defekte Allel zumeist auf dem X-Chromosom,
da Y-Chromosomen nur sehr wenige Allele tragen.
Ein X-chromosomal-dominanter Erbgang zeichnet sich dadurch aus, dass ein betroffenes XChromosom zur Merkmalsausprägung führt. Im Gegensatz hierzu müssen bei einer Xchromosomal-rezessiven Vererbung beide X-Chromosomen betroffen sein, damit der
Genträger erkrankt (bzw. bei Männern ein X-Chromosom, da sie nur eins besitzen). 30
Beispiele für monogenetisch erbliche Krankheiten, die durch PID identifiziert werden können,
sind Chorea Huntington (autosomal-dominant), Mukoviszidose (autosomal-rezessiv) und
Hämophilie (X-chromosomal-rezessiv).31
4.2 Verdacht auf chromosomale Veränderungen
Bei chromosomalen Störungen wird zwischen numerischen und strukturellen Anomalien
unterschieden. Die numerischen (auch Aneuploidien genannt) zeichnen sich durch eine
veränderte Zahl der Chromosomen aus. So liegt bei einer Trisomie 32 ein Chromosom dreifach
vor, bei einer Monosomie nur einfach. Durch die meisten Aneuploidien werden Fehlgeburten
herbeigeführt, während Menschen mit einer Trisomie 21 („Down-Syndrom“), der wohl
bekanntesten Form numerischer Chromosomenstörungen, zwar lebensfähig, jedoch geistig
28 Vgl. Deutscher Ethikrat (2011), S. 16.
29 Heterozygote Menschen sind mischerbig, das heißt, sie besitzen zwei verschiedene Allele zu einem Gen, in
diesem Fall ein intaktes und ein defektes.
30 Vgl. Baron (Hrsg., 2004), S. 150f, 153.
31 Vgl. Ziegler (2004), S. 36f.
32 Bei der wohl bekanntesten Trisomie 21, dem Down-Syndrom, liegt das 21. Chromosom dreifach vor.
8
Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
und körperlich beeinträchtigt sind. 33
Zu den strukturellen Chromosomensanomalien zählen Translokationen, womit die
Verschmelzung zweier nicht homologer Chromosomen gemeint ist. Hierbei gibt es sowohl
balancierte als auch unbalancierte Translokationen. Als balanciert werden sie bezeichnet,
wenn das Erbgut zwar umgelagert, die Gesamtmenge aber unverändert ist. So kann
beispielsweise eine Inversion erfolgen, bei der ein Chromosomenabschnitt um 180° gedreht
ist. Träger dieser Anomalie weisen im Phänotyp keine Besonderheiten auf, bei der Vererbung
kommt es allerdings häufig zu Aneuploidien.
Als unbalancierte Translokationen bezeichnet man im Vergleich dazu Veränderungen an der
Gesamtmenge des Erbguts, was bei Duplikationen (Verdopplung von Segmenten) und
Deletionen (Verlust von Segmenten) der Fall ist. 34
4.3 Identifizierung erwünschter genetischer Merkmale
Bei den beiden bereits angegebenen Indikationen ging es stets darum, mit Hilfe einer PID
bestimmte genetische Merkmale eines Embryos auszuschließen. Nun aber soll exakt das
Gegenteil erreicht werden: Durch die PID wird bei dieser Indikation gezielt nach genetischen
Merkmalen gesucht, die von den Eltern erwünscht sind. Unter solche Merkmale fällt zum
einen die Geschlechtsbestimmung des Embryos und zum anderen sein immunologischer
Typus.
4.3.1 Geschlechtsselektion
Durch den Nachweis der Geschlechtschromosomen kann das Geschlecht eines Embryos
bestimmt werden, um geschlechtsgebundenen Krankheiten vorzubeugen. Anschließend wird
lediglich der Embryo in den Uterus der Mutter transferiert, welcher das gewünschte
Geschlecht besitzt.
Ein weiteres Motiv für eine Geschlechtsselektion stellt jedoch auch das social sexing bzw.
familiy balancing dar. Hierbei steht keine medizinische Indikation hinter der Untersuchung,
sondern lediglich die Geschlechtspräferenz der Eltern, welche vom Wunsch nach
33 Vgl. Baron (Hrsg., 2004), S. 144.
34 Vgl. Baron (Hrsg., 2004), S. 148.
9
Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
ausgeglichenen Familienverhältnissen oder der Höherwertigkeit des einen Geschlechts35
herrühren kann.36
4.3.2 Immunkompatibilität (HLA-Typisierung)
Die zweite Art der positiven Embryonenselektion durch PID ist die Ermittlung eines so
genannten Retterbabys für ein krankes Geschwisterkind, welches zur Genesung eine
Gewebespende in Form von Knochenmark oder Stammzellen aus dem Nabelschnurblut
benötigt, die aber wegen immunologischer Inkompatibilität von keinem anderen
Familienmitglied geleistet werden kann. 37
Erfolgen kann dies bei angeborenen Krankheiten, die sich auf die Erythrozyten 38 auswirken,
(z.B. bei Fanconi- oder Black-Diamond-Anämie) oder bei sporadischen Erkrankungen, zu
denen Leukämie zählt.39
Bei
der
Erzeugung
eines
passenden
Spenders
muss
die
immunologische
Gewebeverträglichkeit geprüft werden, was als HLA-Typisierung bezeichnet wird. Hierbei
werden die Humanen Leukozyten Antigene untersucht, welche in der Membran aller Zellen
vorhanden sind und dem Immunsystem ermöglichen, zwischen körpereigenen und
körperfremden Zellen zu unterscheiden.40 Bei Transplantationen muss dieses System
umgangen werden, um eine Abstoßung des Transplantats zu vermeiden. Doch je mehr HLAMoleküle übereinstimmen, desto geringer ist die Abstoßungsgefahr. Da unter Geschwistern
von Natur aus die größte Wahrscheinlichkeit einer Übereinstimmung besteht (25%), wird
durch die PID gezielt nach dem Embryo gesucht, dessen HL-Antigene vollständig (oder
zumindest in großen Teilen) mit denen des kranken Geschwisters übereinstimmen.
Wegen der Menge kombinatorischer Möglichkeiten ist eine große Anzahl an Embryonen (2030) notwendig, um davon ausgehen zu können, dass einer von ihnen die erwünschten
Antigene trägt.41
35 In Indien sind vorwiegend männliche Nachkommen erwünscht, weshalb PID zur Geschlechtsbestimmung
vorgenommen wird und viele Frauen zur Abtreibung gezwungen werden.
36 Vgl. Neubauer (2009), S. 31.
37 Vgl. Deutscher Ethikrat (2011), S. 20.
38 Erythrozyten sind die roten, Leukozyten die weißen Blutkörperchen.
39 Vgl. Schmider (2010), S. 73.
40 Vgl. Campbell (2003), S. 1089f.
41 Vgl. Neubauer (2009), S. 31.
10
Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
Die Suche nach einem passenden Spender ist bei dieser Methode die alleinige Indikation,
wodurch die Frage nach einer Instrumentalisierung des Embryos aufgeworfen wird (siehe
hierzu Kapitel 5.4).42
5. Anwendbarkeit der PID in Bezug auf HLA-Typisierung am Beispiel der
Leukämie-Therapie
Die im vorangegangenen Kapitel angegebene Indikation für eine PID soll nun im Folgenden
in ihrer Anwendbarkeit beispielhaft anhand der Therapie von Leukämie-Patienten dargestellt
werden. Hierzu erfolgt zunächst eine kurze Beschreibung der Krankheit und ihrer
Behandlungsmöglichkeiten und danach ein Fallbeispiel, welches veranschaulichend für dieses
spezielle Anwendungsgebiet der PID dient. Abschließend wird die momentane rechtliche
Situation und eine ethische Bewertung der PID in diesem Zusammenhang angeführt.
5.1 Kurzbeschreibung der Krankheit
Bei der Leukämie handelt es sich um eine Krebsart, die im Knochenmark entsteht und die
Stammzellen der Leukozyten befällt. Da das Knochenmark für die Blutbildung zuständig ist,
können sich die betroffenen Zellen rasant vermehren. Durch diese wuchernden Zellen werden
zudem die Erythrozyten und Thrombozyten beeinträchtigt, welche ebenfalls im Knochenmark
entstehen. Diese sind für Sauerstofftransport und Blutgerinnung verantwortlich.
Aufgrund der befallenen Leukozyten, die normalerweise für die Infektabwehr zuständig sind,
zeigt sich bei Leukämiepatienten eine hohe Infektanfälligkeit, aber auch Abgeschlagenheit
und ein gehäuftes Auftreten von Blutergüssen.
Unbehandelt führt eine Leukämieerkrankung unumgänglich zum Tode, es stehen jedoch
Behandlungmöglichkeiten wie Chemo- oder Strahlentherapie zur Verfügung, die allerdings
nicht immer eine Heilung nach sich ziehen. In solchen Fällen kann lediglich eine geeignete
Stammzellspende das Leben des Patienten retten.43 Nicht immer kann ein passender Spender
gefunden werden, daher wurde in Erwägung gezogen, eine PID anzuwenden, um einen
42 Vgl. Schmider (2010), S. 75.
43 Vgl. Deutsche Knochenmarkspenderdatei.
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Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
Embryo zu zeugen, welcher sich als optimaler Spender für ein erkranktes Geschwisterkind
eignet. Das nachfolgende Fallbeispiel zeigt, wie diese Überlegung im Jahre 2001 in die Praxis
umgesetzt wurde.
5.2 Fallbeispiel
In England entschied sich im Jahre 2001 eine Familie dafür, ein Kind mittels IVF und PID zu
zeugen. Doch dies geschah nicht etwa, da in der Familie ein erhöhtes Risiko für
Erbkrankheiten bestand und das zukünftige Kind von diesen nicht betroffen sein sollte,
sondern aus einer völlig anderen Intention: Die Familie besaß bereits einen vierjährigen Sohn,
welcher an Leukämie erkrankt war. Obwohl er auf die bisherige Behandlung gut ansprach,
bestand stets das Risiko eines Rückfalls. Innerhalb der Familie wurde daher nach einem
geeigneten Spender gesucht, der notfalls als Retter des Sohnes fungieren sollte. Da sich
jedoch niemand fand, dessen HL-Antigene mit denen des Jungen übereinstimmten, entschied
sich die Familie dafür, mit Hilfe der PID einen geeigneten Spender zu zeugen. 44
2001 war eine PID mit einer solchen Indikation nicht zugelassen, daher entschied man sich,
den Eingriff in den USA vornehmen zu lassen. Dort wurden durch eine IVF elf Embryonen
gezeugt, von denen einer als Spender geeignet war und in den Uterus der Mutter eingepflanzt
wurde.45 In Folge einer ausbleibenden Schwangerschaft wurde das Prozedere wiederholt und
dieses Mal erfolgreich beendet. Im Februar 2002 wurde der Spender für den älteren Bruder
geboren. Direkt im Anschluss an die Geburt wurden Stammzellen aus dem Nabelschnurblut
entnommen, die bei Bedarf zur Züchtung von Zellen und Gewebe dienen sollten. 46
5.3 Rechtliche Situation in Deutschland und im Ausland
Im obigen Fallbeispiel wurde bereits erwähnt, dass eine PID mit dem Ziel der Erzeugung
immunkompatibler Geschwister zur damaligen Zeit in England nicht zulässig war,
mittlerweile ist dem jedoch nicht mehr so.
Anders verhält es sich in Deutschland: Beide Arten der positiven Embryonenselektion (siehe
44 Vgl. Carmine (2003), S. 63.
45 Die übrigen zehn Embryonen wurden verworfen.
46 Vgl. Görlitzer (2002).
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Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
Kapitel 4.3) gelten nicht als Indikationen für eine PID. Lediglich bei Paaren, „für deren
Nachkommen ein hohes Risiko einer familiär bekannten und schwerwiegenden, genetisch
bedingten Erkrankung besteht“47, darf sie eingesetzt werden.
Weiterhin gibt es in den Staaten Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Island,
Niederlande, Schweden, Norwegen, Spanien und Tschechien gesetzliche Regelungen zum
Einsatz der PID, während dieser in Österreich, Italien und der Schweiz grundsätzlich verboten
ist.48
5.4 Ethische Probleme
Nach Klärung der Rechtslage soll abschließend noch überprüft werden, inwieweit die PID zur
„Herstellung“ immunkompatibler Geschwister moralisch vertretbar ist. Hierfür werden einige
ethische Probleme genannt, die mit dieser Anwendung einhergehen.
Besonders kritisch zu betrachten ist vermutlich die Instrumentalisierung des gezeugten
Embryos, welche durch die HLA-Typisierung hervorgerufen wird. Selbst wenn in der Familie
ein Wunsch nach weiteren Kindern herrschen sollte (was niemals zweifelsfrei bewiesen
werden kann), so ist der vormalige Grund für die Zeugung des Embryos doch immer die
Rettung eines anderen Menschen. Für ihn selbst hingegen trägt die PID keinerlei Nutzen,
denn er wurde vor keinem Leid bewahrt, sein Genotyp war schließlich von Anfang an gesund.
Darüber hinaus wird ihm sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Zukunft Leid zuteil
werden, wenn er sich risikoreichen, operativen Eingriffen unterziehen muss, um das Leben
seines Geschwisters zu retten.
Ein weiterer problematischer Aspekt ist die hohe Anzahl verworfener Embryonen, die bei
einer PID dieser Art erfolgt. Dies stellt wohl auch für die Eltern ein großes moralisches
Dilemma dar, indem sie zur Rettung ihres Kindes die Vernichtung vieler Embryonen in Kauf
nehmen müssen. Durch die Erlaubnis einer HLA-Typisierung könnten sich Eltern zudem
unter Druck gesetzt fühlen, dieses Mittel zu ergreifen, um ihr Kind zu retten, obwohl sie sich
finanziell oder psychisch vielleicht nicht dazu in der Lage sehen. 49
Es wird somit deutlich, dass sich mit dem speziellen Anwendungsgebiet der PID, der
47 Bundesärztekammer (2011), S. 428.
48 Deutscher Ethikrat (2011), S. 70, 73.
49 Schmider (2010), S. 73ff.
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Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
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„Herstellung“ immunkompatibler Embryonen, einige ethische Probleme ergeben, die klar
gegen eine gesetzliche Erlaubnis sprechen. Doch wird es auch weiterhin immer Befürworter
dieser Methode geben, nicht zuletzt verzweifelte Eltern, die jede Möglichkeit ausschöpfen
würden, um ihr krankes Kind vor dem Tode zu bewahren, und notfalls das Gesetz umgehen
werden, indem sie das Verfahren im Ausland anwenden lassen.
Sicher wird dieses Thema auch in Zukunft für einen großen Diskussionsbedarf in Deutschland
(und in anderen Ländern) sorgen, ob es allerdings auch mit dem Gesetz vereinbar sein wird,
wird sich mit der Zeit zeigen.
6 Schluss
In dieser Facharbeit wurden die medizinischen Grundlagen der Präimplantationsdiagnostik
und das Anwendungsgebiet der Herstellung immunkompatibler Embryonen dargestellt. Auf
rechtliche und ethische Aspekte konnte nur kurz eingegangen werden, obwohl es sich hierbei
sicherlich auch um sehr bedeutende Thematiken handelt.
Darüber hinaus wäre eine Betrachtung neuer bzw. zukünftiger Anwendungsgebiete der PID
interessant, denn führt man sich vor Augen, welch große Möglichkeiten durch die PID schon
jetzt geschaffen werden, stellt sich die Frage, inwieweit dies noch erweiterbar ist.
Häufig stößt man auf beängstigende Meldungen, dass schon bald nur noch Kinder nach Maß
geschaffen werden, so genannte Designer-Babys, bei denen nicht nur Geschlecht oder
Anlagen für Erbkrankheiten, sondern noch vieles mehr festgestellt werden können. Ob diese
schockierenden Zukunftsvisionen allerdings jemals der Wahrheit entsprechen werden, kann an
dieser Stelle nicht geklärt werden. Sicher ist nur, dass die Medizin schon immer für große
Fortschritte und Möglichkeiten im Leben der Menschen sorgte, ob diese allerdings auch
ethisch oder rechtlich immer vertretbar sind, liegt ganz in der Art der Anwendung.
Trotz vielfach geäußerter Kritik ist deshalb auch die PID ein großer medizinischer Fortschritt,
der je nach Anwendung sowohl auf Zustimmung als auch auf Kritik stößt, wobei die
Herstellung immunkompatibler Embryonen wohl auch in Zukunft ein stark umstrittenes
Thema bleiben wird.
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Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
7 Literaturverzeichnis
●
Baron, Prof. Dr. Diethard (Hrsg.) (2004): Materialien S II. Biologie. Genetik.
Braunschweig: Bildhaus Schulbuchverlage Westermann Schroedel.
●
Bundesärztekammer (September 2011): Memorandum zur Präimplantationsdiagnostik
(PID).
URL: http://www.aerzteblatt.de/archiv/105719 [Stand: 08.02.2012]
●
Campbell, Neil A. und Reece, Jane B. (2003): Biologie. Übersetzt und herausgegeben von
Jürgen Markl. Heidelberg/Berlin: Spektrum Akademischer Verlag
●
Carmine, Franz (2003): Genomtechnologie und Stammzellforschung – Ein
verantwortbares Risiko? Fakten und Meinungen. Eschborn: Govi-Verlag
●
Deutsche Knochenmarkspenderdatei: Stichwort Leukämie.
URL: http://www.dkms.de/home/fileadmin/user_upload/public/Presse/StichwortLeukaemie.PDF?PHPSESSID=50488b86a4843137ca9fc64417ad27f9 [Stand:
08.02.2012]
●
Deutscher Ethikrat (2011): Präimplantationsdiagnostik. Stellungnahme. Berlin: Deutscher
Ethikrat.
●
Görlitzer, Klaus-Peter (Juni 2002): Geboren, um Zellen zu „spenden“. BefürworterInnen
der Präimplantationsdiagnostik freuen sich über das erste europäische „Designer-Baby“.
URL: http://www.goerlitzer.homepage.t-online.de/zelle18.html [Stand: 08.02.2012]
●
Neubauer, Martina (2009): Medizinisch-naturwissenschaftliche, juristische und ethische
Aspekte der Präimplantationsdiagnostik. IGEL Verlag.
●
Schmider, Anneke (2010): Die Präimplantationsdiagnostik als Herausforderung für
Medizin und Gesellschaft – Eine ethische Analyse.
URL:
http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/7697/pdf/Praeimplantationsdiagnostik.pdf
[Stand: 08.02.2012]
●
Ziegler, Uta (2004): Präimplantationsdiagnostik in England und Deutschland. Ethische,
rechtliche und praktische Probleme. Frankfurt am Main: Campus Verlag
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Präimplantationsdiagnostik und die „Herstellung“ immunkompatibler Geschwister: Darstellung medizinischer
Grundlagen und ihre Anwendbarkeit am Beispiel der Leukämie-Therapie
8 Eigenständigkeitserklärung
Ich erkläre, dass ich die vorliegende Facharbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe
angefertigt und keine anderen als die im Literatur- und Quellenverzeichnis angegebenen
Hilfsmittel verwendet habe. Darüber hinaus versichere ich, dass ich alle wörtlichen und
sinngemäßen Übernahmen aus anderen Werken oder dem Internet kenntlich gemacht habe.
Ort, Datum
Unterschrift
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