Sozialistische Filmkunst - Rosa-Luxemburg

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Sozialistische Filmkunst - Rosa-Luxemburg
Klaus-Detlef Haas, Dieter Wolf (Hrsg.)
Sozialistische
Filmkunst
Eine Dokumentation
90
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Manuskripte 90
Rosa-Luxemburg-Stiftung
KLAUS-DETLEF HAAS, DIETER WOLF (HRSG.)
Sozialistische Filmkunst
Eine Dokumentation
Karl Dietz Verlag Berlin
Rosa-Luxemburg-Stiftung, Reihe: Manuskripte, 90
ISBN 978-3-320-02257-0
Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2011
Satz: Elke Jakubowski
Druck und Verarbeitung: Mediaservice GmbH Druck und Kommunikation
Printed in Germany
Inhalt
Vorwort
2005 | Jahresprogramm
Günter Reisch:
Erinnern an Konrad Wolf an seinem 80. Geburtstag
Mama, ich lebe
Einführung | Programmzettel
Sterne
Einführung | Programmzettel
Busch singt
Teil 3. 1935 oder Das Faß der Pandora
Teil 5. Ein Toter auf Urlaub
Programmzettel
Solo Sunny
Programmzettel
Der nackte Mann auf dem Sportplatz
Programmzettel
Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis
Einführung | Programmzettel
Ich war neunzehn
Programmzettel
Professor Mamlock
Programmzettel
Der geteilte Himmel
Einführung | Programmzettel
Addio, piccola mio
Programmzettel
Leute mit Flügeln
Programmzettel
11
13
15
17
22
27
29
30
32
38
40
42
47
49
2006 | Jahresprogramm
Sonnensucher
Programmzettel
Lissy
Programmzettel
Genesung
Programmzettel
Einmal ist keinmal
Programmzettel
Die Zeit die bleibt
Programmzettel
Der Fall Gleiwitz
Einführung | Programmzettel
Rezension Rosemarie Rehahn
Einer trage des anderen Last
Einführung | Programmzettel
Die Kraniche ziehen
Einführung | Programmzettel
Leuchte, mein Stern, leuchte
Einführung | Programmzettel
2007 | Jahresprogramm
Egon Günther – Biographie und Filmographie
Abschied
Einführung | Programmzettel
Wenn Du groß bist, lieber Adam
Einführung | Programmzettel
Der Dritte
Einführung | Programmzettel
Lotte in Weimar
Einführung | Programmzettel
51
53
55
57
59
60
62
66
68
74
79
81
83
86
94
99
105
Die Schlüssel
Einführung | Programmzettel
111
Die Braut
Programmzettel
115
Junges Gemüse
Programmzettel
121
Günter Reisch – Biographie und Filmographie
Unterwegs zu Lenin
Einführung | Programmzettel
Anton der Zauberer
Programmzettel
Ein Lord am Alexanderplatz
Programmzettel
Ach, du fröhliche
Programmzettel
2008 | Jahresprogramm
Wolz. Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten
Einführung | Programmzettel
Der Schriftsteller und Regisseur Günther Rücker
Die besten Jahre
Programmzettel
KLK an PTX
Programmzettel
Der verlorene Engel
Einführung | Programmzettel
Der Regisseur Ralf Kirsten
Der Aufenthalt
Programmzettel
Berlin – Ecke Schönhauser
Einführung | Programmzettel
117
123
129
131
133
135
137
141
144
146
150
154
157
159
Beethoven – Tage aus einem Leben
Einführung | Programmzettel
Klarer Himmel
Einführung | Programmzettel
Blonder Tango
Einführung | Programmzettel
Das Kaninchen bin ich
Programmzettel
Beschreibung eines Sommers
Einführung | Programmzettel
Mutter Courage und ihre Kinder
Einführung | Programmzettel
2009 | Jahresprogramm
Rotation
Einführung | Programmzettel
Oskar Lafontaine über Wolfgang Staudte
Schlösser und Katen
1. Teil: Der krumme Anton
2. Teil: Annegrets Heimkehr
Programmzettel
Ware für Katalonien
Programmzettel
Der Regisseur Kurt Hoffmann
Wir Wunderkinder
Programmzettel
For eyes only
Programmzettel
For Eyes Only – Ein Film und seine Geschichte
Der Regisseur Gunther Scholz
165
172
176
181
183
188
191
193
198
200
202
203
205
207
208
209
Karbid und Sauerampfer
Programmzettel
210
Geschichten jener Nacht
Einführung | Programmzettel
213
Erwin Geschonneck: Meine unruhigen Jahre
Jakob der Lügner
Einführung | Programmzettel
Über die Historie hinaus. Gespräch mit Jurek Becker
211
222
227
Bis daß der Tod euch scheidet
Einführung | Programmzettel
229
Die Beunruhigung
Einführung | Programmzettel
238
Ein Sonderfall von Liebe oder der streitbarste DEFA-Film
… und morgen war Krieg
Programmzettel
Der Bruch
Einführung | Programmzettel
Zeit, so hell wie dunkel (Rezension Klaus Wischnewski)
2010 | Jahresprogramm
Affaire Blum
Einführung | Programmzettel
Die blauen Schwerter
Einführung | Programmzettel
Das Beil von Wandsbek
Einführung | Programmzettel
Der Untertan
Einführung | Programmzettel
Das Fräulein von Scuderi
Einführung | Programmzettel
237
245
247
253
255
257
263
269
275
280
Mir nach, Canaillen
Einführung | Programmzettel
Chronik eines Mordes
Einführung | Programmzettel
Der Regisseur Gerhard Klein
Leichensache Zernik
Programmzettel
Der Mann, der nach der Oma kam
Einführung | Programmzettel
Liebesfallen
Einführung | Programmzettel
Und nächstes Jahr am Balaton
Einführung | Programmzettel
Die Beteiligten
Einführung | Programmzettel
Über die Autoren
Alphabetisches Verzeichnis
285
289
296
298
301
303
309
313
318
319
Vorwort
Die vorliegende Schrift soll Filmfreunde, also Sie, sehr geehrte Leserin, geehrter
Leser, mit der Reihe »Kino der Wünsche – Weltkino in einer Filmreihe zu Gast
bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung« vertraut machen, die bereits auf sechs erfolgreiche Jahre zurückblicken kann.
Für die Aufnahme dieses Kulturprojekts in das Angebot der Rosa-LuxemburgStiftung gab es mehrere Gründe.
Nach wie vor sind viele großartige Werke der DEFA, aber auch der sowjetischen Filmkunst, der öffentlichen Wahrnehmung und Würdigung weitgehend
entzogen. Nicht kulturell-geistige, sondern marktwirtschaftliche Orientierung
bestimmt die Praxis der Verleiher und Lichtspieltheater, selbst die der wenigen
Repertoire-Kinos und ihre Präsentation stilprägender Arbeiten aus der Filmgeschichte.
Wer im Fernsehen, auch im öffentlich-rechtlichen, eine Wiederbegegnung mit
diesem Teil des kulturellen Erbes sucht, wird meist auf das Spätabend- oder
Nachtprogramm verwiesen. Für die meisten westdeutschen und die jüngeren ostdeutschen Zuschauer ist damit ein erster Rückblick auf einen wichtigen Teil der
Kunst- und Lebenswirklichkeit der jüngeren Vergangenheit versperrt.
Manche DEFA-Filme und ihre Urheber sind aus ideologischen Gründen sehr
zu Unrecht verunglimpft und dem Vergessen anheimgestellt oder noch immer
öffentlich den Vorurteilen durch Ignoranten ausgeliefert, selbst durch solche, die
es besser wissen könnten, wie Volker Schlöndorff.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung fügt mit dieser Kino-Reihe ihrem Bildungsauftrag eine wichtige Facette hinzu und beseitigt damit ein bedenkliches Defizit öffentlicher Wahrnehmung und erlaubt so einem interessierten Publikum das eigene
Urteil.
Die Broschüre gibt einen Überblick über die bisher gezeigten Filme und liefert
damit zugleich ein interessantes Nachschlagewerk über die beteiligten Filmschaffenden und Schauspieler, auch mit wichtigen Auskünften über die zeitgenössische
Wertung und Kritik.
Seit langem/längerer Zeit wird die Reihe von Dr. Dieter Wolf durch kenntnisreiche Einführungen begleitet, die nun in der Broschüre zusammengefaßt sind.
Als Dramaturg der DEFA, sechsundzwanzig Jahre auch Leiter der Gruppe Babelsberg, ist er ein inzwischen seltener Zeitzeuge. Er vermittelt wertvolle persönliche Einblicke in die Studiopraxis, in die Entstehungs- und Werkgeschichte vieler
Filme und die zeitgeschichtlichen Hintergründe mit all ihren administrativen Bedingungen und tagespolitischen Einflüssen.
Sie, liebe Lesende, finden in der vorliegenden Schrift Material über Konrad
Wolf, Günter Reisch, Egon Günther und andere Regisseure. Es ist als Information
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für die Besucher erarbeitet worden, da die Idee zur Kino-Reihe aus Anlaß des
80. Geburtstages von Konrad Wolf im Jahr 2005 entstand. Reisch und Günther
begingen 2007 ihren »80.«; so gab es Grund genug, auch diesen beiden Regisseuren besondere Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen.
Sie werden sich fragen, warum Sie in diesem Buch nicht für alle Filme eine
Einführung finden. Zum einen ist die Zusammenarbeit mit Dr. Dieter Wolf erst
allmählich zustande gekommen, und er hat zunächst nur zu diesem oder jenem
Film einleitende Worte vorgetragen. Zum anderen haben wir auf eine Einleitung
verzichtet, wenn – vor oder nach der Filmvorführung – Gäste zu einem Publikumsgespräch eingeladen waren. Für »Die Beteiligten« erarbeitete Dieter Römmler Material über den dem Film zugrundeliegenden Kriminalfall aus dem Jahr
1964 und trug es als Einleitung vor; auch das wollen wir Ihnen hier zur Kenntnis
bringen.
Der Herausgeber dankt auch im Namen der Zuschauer der Leitung der RosaLuxemburg-Stiftung, Dr. Angelika Haas für die akribische Vorbereitung und
Begleitung der Filmreihe, nicht zuletzt für die sorgsame Erarbeitung des umfangreichen Begleitmaterials, Angela Müller für die zuverlässige Organisation und Sicherung der Vorführungen sowie dem Progress-Filmverleih für die großzügige
und operative Unterstützung.
Diese Schrift bietet den langjährigen treuen Besuchern eine bleibende Erinnerung an gemeinschaftliche interessante Filmerlebnisse. Vielleicht regt ihr reiches
Material auch neue und jüngere Zuschauer zum Besuch unserer künftigen Veranstaltungen an.
Klaus-Detlef Haas
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2005
13
Überblick zu Terminen und Filmen
21. April*
Mama, ich lebe von 1976
19. Mai
Sterne von 1958/1959
9. Juni
Busch singt. Teil 3. 1935 oder
Das Faß der Pandora und
Teil 5. Ein Toter auf Urlaub von 1981/1982
18. August
Der gewöhnliche Faschismus
Regie: Michail Romm, Lehrer von Konrad Wolf
15. September*
Solo Sunny von 1978/1980
6. Oktober
Der nackte Mann auf dem Sportplatz
von 1973
13. Oktober
Goya/Goja von 1970/1971
20. Oktober*
Ich war neunzehn von 1967/1968
27. Oktober
Professor Mamlock von 1960/1961
17. November*
Der geteilte Himmel von 1963/1964
24. November
Addio, piccola mio von 1977/78
Regie: Lothar Warneke
15. Dezember
Leute mit Flügeln von 1959/1960
26. Januar 2006
Sonnensucher von 1957/1958
23. Februar 2006
Lissy von 1956/1957
16. März 2006
Genesung von 1955
13. April 2006
Einmal ist keinmal von 1954/1955 oder
Der kleine Prinz von 1966
18. Mai 2006*
Die Zeit die bleibt
Film über Konrad Wolf von 1985
Regie: Lew Hohmann
Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase
Zeit und Ort:
jeweils 18 Uhr, Franz-Mehring-Platz 1,
10243 Berlin, Saal, 1. Etage
*An diesen Tagen gibt es nach den Filmen Gesprächsrunden, zu denen Mitwirkende
an den Wolfschen Arbeiten, Weggefährten, Kolleginnen und die Familie Konrad Wolfs
eingeladen sind. (z.B. am 20. Oktober: Jaecki Schwarz, Wladimir Gall und Wolfgang
Kohlhaase)
14
Erinnern an Konrad Wolf an seinem 80. Geburtstag
Am Grab von Konrad Wolf auf dem Friedhof Friedrichsfelde
trafen sich Freunde
Ansprache mit Zuspruch statt eines Nachrufes
an Konrad Wolf – von seinem Freund und Kollegen Günter Reisch
an seinem Grab, am 20. Oktober 2005
Lieber Koni, hier stehen Deine Freunde – und die Familie der Wölfe – Deine
Genossen und die Kenner Deiner Filme. Wir hatten alle Gewinn von Deinem
Denken, Deiner Herzlichkeit, dem oft tiefen Inhalt Deines Schweigens und der
Prägnanz Deiner Reden, Deiner unauffälligen Hilfsbereitschaft und dem weiten
Blick Deiner hinter der Brille versteckten Augen, an Deiner Freundschaft und
Deiner sich mitteilenden Festigkeit im Wissen, daß an dieser Welt von allen Menschen noch viel zu ändern sei …
Wir alle sind Dir wieder näher gekommen, das heißt: Du entfernst Dich nicht!
Gestern abend müssen Dir die Ohren geklungen haben. Du warst unter uns –
entschuldige den biblischen Ausdruck – als Deine Worte aufklangen, von Freunden gelesen, die sensiblen Gedanken eines Achtzehnjährigen, der Rußland als
seine Heimat sah, selbst noch weit entfernt von diesem Deutschland. Deine ganze
Persönlichkeit sprach aus den ruppigen und zärtlichen Zeilen Deines Fronttagebuches. Es war ein Abend des Nachdenkens und Mitdenkens. Bis hin zu den Zeugnissen schwieriger Kontakte, die Du als Akademiepräsident geschaffen und
bewahrt hast, und auch zu Deinem Protest gegen Mißachtung und dogmatische
Verdammung von Kunstwerken.
Dir, Koni, und denen Deines Denkens konnte niemand den Antifaschismus als
zentrales Thema unserer Zeit »verordnen«. Für Dich war undenkbar, daß Antifaschismus und Antikommunismus brüderlich an einem Tische sitzen könnten. Und
Deine und unsere Geschichte neu bewerteten.
Mit Deinen Filmen erfahren wir jetzt, wie sie nach Jahrzehnten ein fruchtbares
neues Leben gewinnen. Drei Retrospektiven beweisen es gegenwärtig in unserem
Umkreis, und Deine Gestalten betreten am Abend viele Wohnungen. Vermitteln
wahrhaftige und kritische Abbilder unserer Geschichte, fördern aber auch Annäherung an Kunst.
Mit Kemmel, dem Bildhauer aus Deinem Film, sind wir aufgefordert, Geisteskultur auch als Forderung an uns anzunehmen, wie Goya, sein klassischer Bruder,
es verlangte, wie Rita, die ein Leben in Verantwortung sucht. An uns wenden sich
die Uransucher im Schacht wie die sich selbst suchende Sonny.
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Sie alle und alle ungenannten Figuren Deiner Autoren und Deiner Filme haben
etwas in unser aller Leben gebracht, was – wie Kemmel bescheiden erklärt – vielleicht erst beim dritten Hinsehen seinen Sinn erschließt, dann aber unvergessen
bleibt.
Dein menschliches Suchen bleibt in Deinen Filmen aufgehoben – und wir können Dir im Namen vieler bestätigen – Du wirst immer ansehbarer! und im Doppelsinne: angesehener. Damit schaffst Du vielen Hoffnung.
Du hast über die Kunst in wenigen Sätzen gesagt, was vor tausend Jahren gelten konnte und in den hundert nächsten: »Die Kunst ist eine der edelsten Gesten
des Vertrauens zwischen Menschen … kann sie doch Zuversicht in die humanistischen Möglichkeiten befestigen … Und sie kann eine strenge Warnerin sein …
Die Zukunft benötigt Kunst, die das Mit- und Füreinander der Menschen kultiviert.«
Das sagtest Du, Koni, auf dem Parteitag 1981 – auf welchem Parteitag macht
man sich darüber heute Gedanken??
Der Abend gestern endete, als Du in Gitta Nickels Film mit Deinen Mitarbeitern das Lied von Tschapajew anstimmst – mit dem einmal in einem Moskauer
Kino Dein »filmisches Leben« begann.
Hier ist eine Flasche »Stolitschnaja« – nimm »sto gramm« auf Deine Blumen
als Vorgeschmack dessen, was wir heute noch auf Deinen, den Wolfschen, Geist
trinken werden. Do konza! Koni!
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Mama, ich lebe
1974 hatte Konrad Wolfs Gegenwartsfilm Der nackte Mann auf dem Sportplatz
trotz des zugkräftigen Titels die Massen leider nicht ins Kino gelockt. Man muß
es so sagen. Es war ein richtiger Zuschauer-Flop, wie ihn Wolfgang Kohlhaase
und Wolf weder gekannt noch vorausgeahnt hatten.
Auch das war ein Grund dafür, daß beide gemeinsam zu Wolfs Lebensthema
zurückkehrten – der Beziehung deutscher und sowjetischer Menschen. Nach den
Erfahrungen mit Sonnensucher war die Suche nach einem konfliktreichen Gegenwartsstoff nicht gerade aussichtsreich. Beide hatten gerade eine Erzählung von
Daniil Granin für den Film bearbeitet. Doch im Drehbuchstadium hielten sie den
Versuch für gescheitert, ohne daß eine engstirnige Zensurinstanz, wie man heute
gern vermuten würde, den Rotstift angesetzt hätte.
Aber da gab es nun das im Doppelsinn ausgezeichnete und stark beachtete
Hörspiel von Wolfgang Kohlhaase Fragen an ein Foto: Die Geschichte von vier
jungen Deutschen, die in sowjetischer Gefangenschaft in extreme Entscheidungssituationen geraten, als sie sich entschlossen haben, an der Front wenigstens propagandistisch zur Beendigung des Krieges beizutragen. Sie ahnen nicht, daß sie
bald vor der Frage stehen werden, möglicherweise wieder schießen zu müssen –
diesmal auf Deutsche, die eben noch ihre Kameraden waren.
Von den eigenen Leuten als Verräter beschimpft und bedroht, ihrer eigenen
Entscheidung noch unsicher, sind sie in doppelter Hinsicht unterwegs. Doch auch
manchem Sowjetsoldaten fällt es schwer, in den Feinden von gestern zuverlässige
Gefährten zu sehen im Kampf auf Leben und Tod. Zu den emotionalsten Szenen
gehört die Konfrontation in einer Banja, der russischen Sauna, die ein empörter
Offizier nicht mit diesen nackten »Fritzen« teilen will.
Diese und manch andere Szene der Filmerzählung kamen mir bekannt vor. Sie
erinnerten mich an eindrucksvolle Schilderungen von Günter Klein, dem späteren
Filmminister. Der ehemalige Offizier der Nazi-Luftwaffe, der über Kriegsgefangenschaft und Antifa-Lager zum Nationalkomitee Freies Deutschland stieß, hatte
1957 vor den Mitgliedern der FDJ-Kulturdelegation gesprochen, um uns auf die
Teilnahme an den Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Moskau vorzubereiten. Sein ungeschönter Bericht wurde dankbar aufgenommen, denn alle hatten
die bekannten agitatorischen Gemeinplätze erwartet. Nun, 15 Jahre später, wurde
dieser temperamentvolle Zeitzeuge unser wichtigster Fachberater für die Drehbucharbeit.
Für ein historisch getreues Milieubild waren wir zunächst einmal auf das
Wohlwollen und die Mitwirkung der Sowjetarmee angewiesen. Die erste Amtshandlung des Dramaturgen noch vor Beginn der Drehbucharbeit war deshalb ein
Brief von Babelsberg nach Wünsdorf. Oberst Bassistow, Leiter der Politischen
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Verwaltung der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, wurde von
mir gebeten, unseren Filmplan auch politisch bei der 7. Verwaltung der Armeeführung in Moskau zu unterstützen.
Unverzichtbar war darüber hinaus die künstlerische Mitwirkung der sowjetischen Seite. Vor allem ging es dabei um eine hochrangige Besetzung aller sowjetischen Rollen. Konrad Wolf wollte aber auch die Außenaufnahmen unbedingt an
russischen Schauplätzen drehen, um so ein unverwechselbares landschaftliches,
soziales und ethnisches Ambiente in historischer Treue zu sichern.
Also sandten wir das bei uns abgesegnete Szenarium, ins Russische übersetzt,
an das Staatliche Filmkomitee des Großen Bruders. So ein Projekt mußte dort aus
inhaltlichen und politischen Gründen nicht nur bekanntgemacht, auch der guten
Ordnung halber zur Koproduktion angeboten werden.
Mit entsprechendem Zeitverzug ging es dann zu dritt nach Moskau. Günter
Klein, als stellvertretender Kulturminister und Filmchef gerade abgelöst, war als
Fachmann und politisch vertrauter Zeitzeuge dort noch immer gern gesehen. Im
Nachtzug lud Koni zum kleinen Umtrunk in sein Schlafwagenabteil. Wir sprachen über einige politisch heikle Szenen, deren Diskussion mit Sicherheit zu erwarten war. Insgeheim hofften wir auf die Zustimmung für eine Alleinproduktion
mit Dienstleistungen des Studios Mosfilm. Bei einer Koproduktion mit ihren doppelten Abnahmeprozeduren hätte man mit ständiger administrativer Einflußnahme rechnen müssen.
Die Fachsimpelei im Nachtzug hatte kaum begonnen, da fielen Konrad Wolf
und Günter Klein unvermittelt ins Russische und in den Gesang sowjetischer
Kriegslieder. Die waren nicht im Repertoire meines Oberschulchores enthalten.
Obwohl nur sieben Jahre jünger als meine Reisegefährten, fühlte ich mich ein wenig fremd in dieser überraschenden Generationsgemeinschaft zweier Genossen,
deren Jugend noch von tödlicher Feindschaft bestimmt war.
Im Filmkomitee trafen der gut russisch sprechende deutsche Funktionär Gjunter Klejn und der »halbe Russe« und Akademiepräsident Konrad Friedrichowitsch
auf alte Bekannte und hilfsbereite Partner. Die gemeinsame Mission jedenfalls
war erfolgreich. Es gab Grünes Licht für die Alleinproduktion der DEFA mit allen
nötigen sowjetischen Dienstleistungen.
Mich war durch den fertigen Film stark berührt, hatte ich doch als Halbwüchsiger den Systemwechsel und Wertewandel seiner vier Filmhelden 1945 selbst erlebt. Doch so vorbehaltlos und lobend dieser starke Film auch abgenommen und
öffentlich aufgenommen wurde, seine Resonanz im Kino schien 1977 nicht mehr
so sicher wie die von Ich war neunzehn.
Die Sorge war nicht unbegründet. Mama, ich lebe – wen erreichte die Botschaft?
Unter diesem Titel habe ich in der Wochenzeitung Sonntag meine Erfahrungen
aus unzähligen Begegnungen mit dem Publikum an der Seite oder als Ersatzmann
von Konrad Wolf beschrieben. Wir diskutierten in Studenten- und Filmklubs, an
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den Hochschulen der Parteien, der Gewerkschaft und FDJ, aber auch mit den Zuschauern nach ganz normalen Kinovorstellungen.
Da gab es natürlich eine große Zustimmung zum Thema, aber auch viele kritische Nachfragen. Die stille Erzählweise enttäuschte manche Erwartung nicht nur
jüngerer Zuschauer auf mehr äußere Spannung und Dramatik.
Manch einer war irritiert vom merkwürdigen psychologischen Schwebezustand
der Helden und ihrer weltanschaulichen Unsicherheit.
Das bekannte Schema einer geradlinigen Entwicklung vom Nazi oder Mitläufer zum bewußten Antifaschisten war hier nicht bedient. Aber wir wurden auch
konfrontiert mit einer gewissen Antifa- und Kriegsfilmüdigkeit des jungen Publikums.
Konrad Wolf müssen einige dieser Signale überrascht haben. Er sprach darüber
auf dem III. Verbandskongreß der Film- und Fernsehleute 1977. »Ich habe noch
nie Einheit, Wechselwirkung, dialektischen Widerspruch zwischen Gestaltung des
Vergangenen und Heutigen so glücklich und schmerzvoll zugleich empfunden
wie in diesen Wochen«, sagte er.
Und er zitierte aus Briefen, die ihn erreicht hatten. So von einem alten KPD/
SED-Genossen mit neunjähriger Zuchthaus- und Auschwitz-Erfahrung, geschrieben offenbar nach einer Voraufführung für erhoffte Film-Agitatoren.
»Dein Name bürgte mir bisher für Qualität und Deine Filme begeisterten mich.
Aber mit Deinem neuen Film komme ich nicht klar. (...) Soll er eine Ehrenrettung
für die Soldaten der faschistischen Wehrmacht sein, die in sowjetische Gefangenschaft gerieten? Leider werde ich vielleicht der einzige sein, der Dir so offen
schreibt, obwohl ich von den zweihundert Genossen und FDJ-Funktionären nicht
eine positive Meinung hörte. Die Jugendfunktionäre waren in ihren Meinungen
noch viel härter.« Trotz der erwarteten positiven Presse prophezeite der enttäuschte Genosse ein Kino-Desaster.
Der Brief eines Leipziger Studenten schien diese Voraussage zu bestätigen: Er
schrieb: »Filmtheater der Freundschaft für etwa 400 Besucher, 27 Anwesende am
Sonntag, 6. März, 20 Uhr, zu einer Zeit, zu der bei Dutzendfilmen das Kino fast
ausverkauft ist. Ich will sagen, was ich dazu denke; dreißig Jahre und länger gibt
es Filme über den Krieg. Unsere Bevölkerung hat sie satt, (...) einer gleicht dem
anderen (...) Wir haben uns dieses wichtige Sujet vergeben und die Mehrheit der
Menschen durch kollektive Freiwilligkeit (die Vorstellungen werktags werden mit
Schulklassen gefüllt) und durch Fernsehprogramme entmündigt.«
Mit einem Lob für die »blutvollen Charaktere und glaubwürdigen Dialoge«
verband der Student seine Hoffnung, es gehe »aufwärts im DEFA-Schaffen«.
Konrad Wolf zitierte auch aus einer Umfrage unter Schülern der 10. und 11. Klassen zu ihrem Wunschfilm. »Machen Sie doch mal einen Film über das Heute, genau so wirklichkeitstreu und ehrlich. Filme, die die Verhältnisse in unserem Staat
nicht beschönigen (...) über Widersprüche des sozialistischen Aufbaus, zum Beispiel: Schwarzhandel, Schmiergelder, Disharmonie in der Planung (...) wo echte
19
Probleme von Jugendlichen meines Alters dargestellt werden. Über Probleme der
Arbeiterklasse, wie sie wirklich sind, geht das?«
Das jedenfalls ging wohl so nicht. Aber Wolfgang Kohlhaase und Konrad Wolf
nahmen diese Meinungen sehr ernst. Drei Jahre später bewiesen sie mit Solo
Sunny, daß Wirklichkeitstreue und Ehrlichkeit auf der Leinwand möglich sind und
volle Kinos auch – allerdings in einem anderen Lebensbereich als dem der etwas
weniger filmogenen Sphäre der materiellen Produktion.
Mama, ich lebe, dieser leise Film aus einer lauten Zeit bleibt ein wichtiges
Werk in Wolfs Filmographie. Seine antifaschistische Botschaft, da bin ich sicher,
hat uns auch heute noch viel zu sagen.
Mama ich lebe
ID
Originaltitel/Archivtitel
Englischer Titel
Produktionsland
Filmart
HerstJ/Freigabe von
Premierendatum
Produzent
Verleih
Auszeichnungen
Quellen
Bemerkungen
20
11144
Mama, ich lebe
Mama, I’m Alive
Deutsche Demokratische Republik
Spielfilm (S)
Filmformat: 35 mm, Länge: 2820 m, Farbe: F
1976
24. Februar 1977, Anlaufdatum: 25. Februar 1977
DEFA-Studio für Spielfilme
PROGRESS Film-Verleih
Das Kollektiv – Konrad Wolf, Wolfgang Kohlhaase,
Werner Bergmann – erhielt 1977 den Kunstpreis
des FDGB.
Filmobibliografischer Jahresbericht 1976, S. 23
Filmtext: Mama, ich lebe. Ein Drehbuch von
Wolfgang Kohlhaase. In Film und Fernsehen 1977/5.
(Das zweite Leben ..., Berlin 1994)
Der Film entstand mit Unterstützung von Sovinfilm
und Lenfilm/UdSSR. Russische Dialogpassagen
mit deutschen Untertiteln. Voraufführung am
23. Februar 1977 in Bernau, »Filmpalast« sowie
»Kulturhaus der sowjetischen Armee«.
Regie / Drehbuch
Dramaturg
Kamera
Szenenbild
Kostüm
Maske
Schnitt
Darstellende
Beratung
Zum Inhalt
Musik
Konrad Wolf
Regieassistenz/Co-Regie: Doris Borkmann
Wolfgang Beck, Günter Klein, Klaus Wischnewski,
Dieter Wolf
Werner Bergman
DEFA-Fotograf: Michael Göthe
Alfred Hirschmeier
Werner Bergemann
Lothar Stäglich, Rosemarie Stäglich
Evelyn Carow
Banionis, Donatas (Mauris)
Bejschenalijew, Bolot (Kirgisischer Oberst)
Gieß, Detlef (Kuschke); Itscherenski, Blagoi (Setzer)
Jegoschin, Sergej (Popyschkin)
Kindinow, Jewgeni (Glunski)
Kirchberg, Eberhard (Koralewski)
Krjutschkowa, Swetlana (Teemädchen)
Lapikow, Iwan (General); Prager, Peter (Becker)
Schutow, Jewgeni (Sauna-Offizier)
Sholtikow, Sergej (Bandonionspieler)
Terechowa, Margarita (Swetlana)
Wasskow, Michail (Kolja); Zerbe, Uwe (Pankonin)
Sprecher: Klaus Piontek
Wolfgang Beck, Günter Klein, Klaus Wischnewski,
Dieter Wolf
Rainer Böhm
Ein Kriegsgefangenenlager in der Sowjetunion. Vier junge Deutsche tauschen ihre Uniform, um an der Seite des ehemaligen Feindes für eine schnellere Beendigung des Krieges
zu kämpfen. In sowjetischer Uniform fahren sie mit ihrem Betreuer im Zug an die Front.
Den Mitreisenden bleibt nicht lange verborgen, daß sie Deutsche sind. Für sie ist es nicht
einfach, mit der neuen Identität fertigzuwerden. Im Lager wurden sie von einigen Kameraden als Verräter bezeichnet. Das Verhalten der sowjetischen Soldaten ihnen gegenüber ist
unterschiedlich. Einige sind unsicher, andere betrachten sie als Gleiche. An der Front angekommen, müssen sie sich entscheiden, ob sie einen Auftrag hinter den deutschen Linien
übernehmen. Einer bleibt zurück. Die anderen gehen in den Wald, um sich auf den Partisanenkampf einzustellen, und begegnen plötzlich abgeschossenen deutschen Fliegern. Sie
sind nicht fähig, auf die Deutschen zu schießen; ihren Betreuer Kolja kostet dies das Leben. Sein Tod löst große Betroffenheit bei ihnen aus. In der Zwischenzeit haben sich der
zurückgebliebene Deutsche und die sowjetische Funkerin Swetlana ineinander verliebt. Sie
hält zu ihn, obwohl er von einigen Russen kritisiert wird. Schließlich entscheidet auch er
sich für den Einsatz.
21
Sterne
»Wer die Sonne sucht, wird Sterne sehen«, so hatte der meist sehr ernst wirkende
Konrad Wolf mit seltener Ironie gespöttelt, als er nach dem Verbot von Sonnensucher die Mischung seines fünften DEFA-Spielfilms mit einem Glas Sekt für beendet erklärte – nämlich die Produktion von Sterne. Es sollte sein bis dahin größter
künstlerischer und internationaler Erfolg werden. Zum Inhalt des Films muß
nichts gesagt werden. Wohl aber zu seiner Entstehung und seiner Wirkungsgeschichte.
In einem letzten Interview für das letzte Jahrbuch 2005 der DEFA-Stiftung hat
der bulgarische Autor Angel Wagenstein Wichtiges und bisher öffentlich Unbekanntes über sich und den Beginn seiner Zusammenarbeit mit der DEFA und
Konrad Wolf erzählt. Manches davon wird Sie ebenso überraschen wie es bei mir
der Fall war, obwohl ich Angel Wagenstein schon seit fünf Jahrzehnten kenne.
Eines wußten wir schon lange: Wagenstein, Jahrgang 1922, und Wolf, drei
Jahre jünger, begegneten sich zum ersten Mal am Moskauer Allunionsinstitut für
Kinematographie WGIK 1949/50. Doch das geschah eher am Rande, denn beide
studierten in verschiedenen Fachrichtungen, in verschiedenen Meisterklassen.
Wagenstein errang mit seinem ersten Spielfilm, Alarm, bereits 1951 einen Preis
auf dem Filmfestival in Karlovy Vary. In der Zeit absolvierte Konrad Wolf gerade
sein erstes Regie-Praktikum in einem Dokumentarfilm von Joris Ivens in der
DDR.
Sechs Jahre später, 1957, besuchte eine DEFA-Delegation Bulgarien. Der Dramaturg Dr. Walter Schmidt ermunterte Wagenstein, der DEFA einen Filmvorschlag für eine Koproduktion zu unterbreiten. Der ausführliche Entwurf wurde in
Babelsberg zustimmend aufgenommen und der Autor sogleich eingeladen. Doch
der vom Studio vorgeschlagene berühmte Regisseur Kurt Maetzig lehnte ab. Ihm
gefiel die Geschichte nicht, und er dachte, das Publikum sei für das jüdische
Thema im Kino nicht mehr zu erwärmen. Zu seiner Entschuldigung muß man sagen, daß er wohl auch glaubte, seinen frühen DEFA-Film Ehe im Schatten kaum
übertreffen zu können. Dramaturg Willi Brückner schlug daraufhin Konrad Wolf
vor, mit dem er bereits bei den Filmen Genesung und Sonnensucher zusammengearbeitet hatte. Und Wolf war von Wagensteins Entwurf sofort angetan.
Wagenstein erzählt: »Bei der Arbeit an diesem Film wurden wir Freunde. Unsere gemeinsame Arbeit war so gut, wie es in Bulgarien, wahrscheinlich überhaupt, selten ist. Konrad Wolf war der einzige Regisseur, mit dem ich zusammengearbeitet habe, der das Wort Wir kannte, der von unseren Gedanken sprach.
Das Szenarium entstand in nur sieben Tagen. Es gab nur einen Wunsch vom
damaligen Studiodirektor, und der betraf die Szene am Schluß. Die Deutschen
sollten auch ein bißchen als Retter dargestellt werden und daß es aktive Kämpfer
22
gegen den Faschismus gegeben hatte, als deren Heimat sich die DDR sah. Diese
Wahrheit ist aber nicht typisch dafür, was damals wirklich geschah und für das
Verhalten der Deutschen.
Walter (eine Filmfigur – D. W.) sagt dann in dieser Szene: ›Du hast mir gesagt,
ihr braucht Waffen.‹ Alles andere blieb so, wie ich es geschrieben hatte.«
Daß Wagenstein für eine Koproduktion das Thema der Judenverfolgung aufgriff, hatte neben der notwendigen Erinnerung an den Nazi-Völkermord an den
Juden Europas sehr persönliche Gründe. Er selbst ist Jude und hat sich immer
offen zu seinem Judentum bekannt, ebenso aber zu seinem Atheismus. Er entstammt einer Familie kleiner Handwerker aus der Vielvölker-Stadt Plowdiw, wo
Bulgaren, Juden, Türken, Armenier, Zigeuner, Albaner, Tataren eng beieinander
lebten. Trotzdem gab es auch dort Antisemitismus. Schon vor dem Faschismus,
aber bis dahin keine Verfolgung. Doch weil der Vater Kommunist war und mehrfach verhaftet wurde, mußte die Familie 1928 nach Frankreich emigrieren und
konnte erst sechs Jahre später nach Bulgarien zurückkehren.
Wagenstein erinnert sich: »Gewohnt haben wir auf einem Dachboden, zu essen
gab es wenig. Ein Stempel im Paß meines Vaters verbot jedem Franzosen, ihm Arbeit zu geben. Das Vaterland der Revolution und der Menschenrechte war damals
nicht so menschlich gegenüber linken Emigranten aus Osteuropa.« Einziger Gewinn aber für Angel: Er spricht bis heute fließend französisch.
Am 3. März 1941 wurde Bulgarien auch offiziell von deutschen Truppen besetzt und trat dem Dreierbündnis Japan-Deutschland-Italien bei. Die Kommunistische Partei hatte beschlossen, den bewaffneten Aufstand vorzubereiten. Im
Februar 1942, so Wagenstein, »gründeten wir eine Gruppe junger Widerstandskämpfer. Wir steckten ein großes deutsches Lager mit Winterbekleidung für die
Soldaten der Ostfront in Brand. Ich befand mich bereits in einem Arbeitslager für
Juden. Nach der Wannseekonferenz 1942 wurden alle männlichen Juden vom
18. bis zum 60. Lebensjahr in Lagern interniert. Während einer Aktion in Sofia,
bei der einer meiner Freund erschossen wurde, versteckte ich mich bei meiner Familie. Ein Mann, übrigens ein Jude, verriet mich, ich wurde von der Gestapo verhaftet. Mein Prozeß zog sich in dem Durcheinander lange hin. Die Amerikaner
hatten begonnen, Sofia zu bombardieren. Auch unser Gefängnis wurde getroffen
und mußte evakuiert werden. So kam ich nach Sliven, einer Stadt in Ostbulgarien,
wo meine Frau bereits zwei Jahre inhaftiert war. Sie war zu fünfzehn Jahren verurteilt worden. Als ich im Mai 1944 zum Tode verurteilt wurde, war die Lage in
Bulgarien schon völlig unklar. Überall standen deutsche Truppen. In den Bergen
gingen die harten Kämpfe weiter. Am 9. September 1944, als Bulgarien Deutschland den Krieg erklärte, konnten wir beide fliehen. Wir meldeten uns sofort zum
Fronteinsatz und waren an den Kämpfen um Sofia beteiligt.«
Als ein Fronttheater organisiert werden sollte, war der kunstinteressierte Angel
sofort dabei. Bereits damals entstand die Idee einer nationalen bulgarischen Kinematographie. Bald nach der Befreiung durch die Rote Armee wurden 50 junge
23
Leute zum Filmstudium nach Moskau, ~Lodz, Prag und Paris geschickt. So also
kam Wagenstein nach Moskau, und es verwundert nicht, daß er sich in seinen
ersten Filmen ausschließlich mit der politischen Geschichte seines Landes auseinandersetzte.
Die Geschichte, die im Film Sterne erzählt wird, geht auf ein persönliches Erlebnis von Wagenstein zurück. Hitler hatte dem zwangsverbündeten Bulgarien ein
Stück von Griechenland »geschenkt«, das Bulgarien nach dem ersten Weltkrieg
verloren hatte. Um solche griechischen Juden handelt es sich bei dem Transport,
der im Film in einer kleinen bulgarischen Stadt Station macht.
Genau solch einen Transport hatte Wagenstein selbst erlebt, als er, interniert im
Judenlager, als Bautechniker im Eisenbahnbau, Zwangsarbeit leisten mußte.
Sterne, so sagt er, »ist aus meinen Erlebnissen und Erinnerungen geschrieben. Der
Junge mit dem Ranzen, der Arznei aus dem deutschen Militärlager besorgt hat,
der bin ich. Nur, daß ich nicht verhaftet wurde, wie der Junge im Film.«
Daß der Autor trotzdem die Geschichte aus der Sicht der beiden Deutschen erzählt und nicht aus der Perspektive der bulgarischen Partisanen und Kommunisten, die den Juden helfen, wurde ihm zu Hause schwer angekreidet. Es war die
Zeit der kämpferischen Partisanenfilme. Mitten im Kalten Krieg bevölkerten nur
grausame Deutsche die Leinwand. Hier aber agierten keine Kommunisten und
keine tiefbraunen Nazis.
Als Koproduktion mußte der Film auch in Bulgarien abgenommen werden.
DEFA-Direktor Albert Wilkening, Dramaturg Willi Brückner, Autor und Regisseur wurden vom Künstlerischen Rat nach Sofia eingeladen. »Man eröffnete uns
im Anschluß an die Vorführung, daß der Rat beschlossen habe, den Film in Bulgarien nicht zu zeigen. Der Grund wäre der abstrakte Humanismus des Films, er besäße keinen kämpferischen Geist.«
Als die DDR 1959 Sterne für die Internationalen Filmfestspiele in Cannes vorschlug, intervenierte der Interministerielle Ausschuß in Bonn, der über die Zulassung jedes DEFA-Films für eine öffentliche Vorführung zu entscheiden hatte. Im
Vollzug der Hallstein-Doktrin und ihrer Anwendung nicht nur auf diplomatischem, auch auf kulturellem Gebiet wurde der absurde Alleinvertretungsanspruch
des anderen deutschen Staates exekutiert. Die DEFA und damit die DDR sollten
international nicht präsent sein.
Dagegen aber half nun der Status der Koproduktion. Und so lief der in Bulgarien verbotene Film Sterne an der Côte d’Azur als bulgarische Produktion und
eroberte nicht nur das Publikum, sondern auch einen Hauptpreis.
Die bulgarische Administration aber verhinderte die Auszeichnung des Autors
mit dem Nationalpreis 1959, den also nur Regisseur und Kameramann entgegennehmen durften.
»Schließlich lud der Minister für Kultur eine Gruppe von ZK-Mitgliedern ein,
die den Film noch einmal ansehen sollten. Er sagte, der Film sei nicht schädlich,
man könne ihn ruhig zeigen. Zu mir gewandt: Genosse Wagenstein, Sie haben die
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parteiliche Klassenposition total verlassen. Man versteht nicht, wer bei den Juden
Bourgeois ist, wer Proletarier, wer Kommunist, wer nicht.«
Da erinnerte ihn Wagenstein daran, daß die Krematorien in Auschwitz einen
solchen Unterschied nicht kannten. In diesem Gespräch empörte sich der Minister
auch über Das Tagebuch der Anne Frank. »Was soll das? Eine Jüdin, die sich
irgendwo versteckt, anstatt eine Waffe zu nehmen. Statt gegen den Faschismus zu
kämpfen, schreibt sie Tagebücher.« So erinnert sich Wagenstein.
»Lange danach, als Sterne bereits viele internationale Preise bekommen hatte
(u. a. in Edinburgh, Wien, Sidney und Melbourne), lud der bulgarische Kulturminister Sascha Kruscharska, die Ruth im Film, José Sanchez und mich zum Kaffee
ein. Ich bekam ein Bild, die Schauspielerin drei Meter Stoff für ein Kleid und der
Szenenbildner einen kleinen folkloristischen Wandteppich. Man darf so etwas
nicht vergessen.«
Auch etwas anderes sollte man nicht vergessen. Der Film fand schließlich doch
noch einen westdeutschen Verleiher. Der aber griff zur Schere und änderte den
Schluß: Walter, der geläuterte Deutsche, durfte nicht im Kontakt mit der Partisanenbewegung gezeigt werden. Kein Wunder, galt doch in der Adenauer-Ära der
kommunistische Widerstand als Vaterlandsverrat, waren Wehrmachtsüberläufer
oder die verfolgten Wehrdienstverweigerer noch immer politisch, juristisch und
moralisch diskreditiert.
Sterne, der Film zweier großer Filmleute mit jüdischem Hintergrund, erinnert
daran, daß der Antifaschismus der DDR aber auch nicht das Geringste mit Antisemitismus zu tun hat, wie das heute gern behauptet wird.
Sterne1
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Auszeichnungen
Bemerkungen
1
Deutsche Demokratische Republik
27. März 1959
DEFA-Studio für Spielfilme/
Studio für Spielfilme Sofia/Bulgarien
PROGRESS Film-Verleih
Der Film erhielt auf dem Filmfestival in Cannes 1959
einen Sonderpreis.
Der Film war die erste Koproduktion zwischen
der DDR und der VR Bulgarien.
Der bulgarische Originaltitel ist »Zwesdy«.
25
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Szenenbild
Bau-Ausführung:
Kostüm
Licht
Maske
Schnitt
Ton
Requisite
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
Konrad Wolf
Regie-Beratung: Rangel Wyltschanow
Regie-Assistenz: Issak Cheskia, Michael Englberger
Angel Wagenstein
Willi Brückner
Werner Bergmann
Kameraführung: Hans Heinrich
Kamera-Assistenz: Manfred Damm
DEFA-Fotograf: Lotte Michailowa
José Sancha
Maria Iwanowa, Alfred Drosdek
Albert Seidler, Albert Seidner
Werner Teichmann, Ilja Kyrilow
Otto Banse
Christa Wernicke
Erich Schmidt
Kyrill Lambrew
Außenrequisite: Siegfried Wittke, Kyrill Lambrew
Simeon Pirenkow; Mordechaj Gebirtik
(jüdisches Lied »Es brennt«)
Gesang: Gerry Wolff (jüdische Lieder)
Siegfried Nürnberger, Wyltscho Draganow
Hans-Joachim Funk, Bojan Marintschew,
Metodi Kowatschew
Ruth: Sasha Krusharska
Unteroffizier Walter: Jürgen Frohriep
Bai Petko: Stefan Pejtchev
Kurt: Erik S. Klein, Blashe: Georgi Naumow
Ruths Vater: Iwan Kondow
Partisanin: Milka Tujkowa, »Doktor«: Stiljan Kunew
Polizeichef: Naitscha Petrow
Alte Jüdin: Elena Chranowa
Albert Zahn, Hannjo Hasse, Hans Fiebrandt,
Waltraut Kramm, Trifon Djonew, Leo Konforti,
Gani Staikow, Avram Pinkas, Sonka Miteva,
Luna Davidowa, Peter Wassilew, Milka Mandril,
Marin Toschew, Bella Eschkenazy, Jari Jakowlew
Kyntscho Boschnakow, Georgi Bantschew
Dreharbeiten in Sofias Umgebung im Januar 1958
26
Zum Inhalt
1943 auf dem Transport nach Auschwitz gibt es für griechische Juden einen Aufenthalt in
einer von deutschen Truppen besetzten bulgarischen Stadt. Ruth, eine der Gefangenen,
bittet einen deutschen Unteroffizier, einen früheren Kunststudenten, um Hilfe für eine niederkommende Mitgefangene. Er hilft, so gut er kann, und verliebt sich in Ruth. In dieser
veränderten Situation beginnt er über seine Situation, über militärische Pflichterfüllung
und eigenverantwortliches Handeln nachzudenken und gerät in Konflikt mit seinem Vorgesetzten. Er kann sich auch nicht dazu durchringen, bulgarischen Widerstandskämpfern zu
helfen, will nur Ruth vor dem Transport nach Auschwitz retten, was ihm nicht gelingt. Erst
da ist er bereit, wirklich Widerstand zu leisten.
Busch singt – Sechs Filme über die erste Hälfte des
20. Jahrhunderts
hier Teil 3: »1935 oder Das Faß der Pandora« und Teil 5: »Ein Toter auf Urlaub«
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Länge
Regie
Kamera
Bauten
Deutsche Demokratische Republik
28. November,1. Dezember, 5. Dezember,
8. Dezember, 12. Dezember, 15. Dezember 1982
im Fernsehen der DDR
Teil 3: 1935 oder Das Faß der Pandora
am 25. November 1982 in Leipzig
DEFA, Gruppe »67« für das Fernsehen
und die Akademie der Künste der DDR
Deutsches Rundfunkarchiv
325 Minuten (alle sechs Teile)
Konrad Wolf
andere Teile: Reiner Bredemeyer, Erwin Burkert,
Ludwig Hoffmann, Peter Voigt
Regie-Assistenz: Peter Vatter (auch Recherchen),
Carmen Bärwald (auch Recherchen)
Assistenz-Regie: Doris Borkmann
Lothar Keil (für Teil 3)
andere Teile: Ernst Oeltze, Hans-Eberhard Leupold,
Eberhard Geick
Hans Moser (Trickgestaltung)
Thomas Rosié (Trickgestaltung)
Rainer Menschik (Typografie)
27
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung:
Produzent:
Aufnahmeleitung
Ernst Busch
Evelyn Carow, Monika Klein, Ulla Kalisch
Harry Hapke, Bernd Runge
Mischung: Werner Klein
Reiner Bredemeyer
Peter Schwartzkopff
Hans-Joachim Funk
Jürgen Draheim, Reinhard Schrade
Der deutsche Schauspieler, Sänger und Kabarettist, wurde am 22. Januar 1900 in Kiel geboren und starb am 8. Juni 1980 in Berlin (DDR).
Als Interpret der Lieder Kurt Tucholskys und in Kabaretts wird er bekannt. 1928 spielte er
in der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill sowohl in der Bühnen- als auch
einer Filmfassung von 1931 unter der Regie von Georg Pabst.
Als Kommunist muß der »Barrikadentauber« aus Deutschland fliehen, als es faschistisch
ist: Holland, Belgien, Zürich, Paris, Wien und schließlich die Sowjetunion sind Stationen
der Emigration. Er kämpft in Spanien mit den Internationalen Brigaden und singt die Lieder des spanischen Freiheitskampfes.
Im Mai 1940, als die deutsche Wehrmacht in die Niederlande und Belgien einmarschiert,
wird er interniert. Bei einem Fluchtversuch verhaftet, wird er der Gestapo ausgeliefert und
ins Berliner Gefängnis Moabit gebracht. Für die Anklage »Vorbereitung zum Hochverrat«,
droht ihm die Todesstrafe. Durch Intervention von Gründgens wurde es »nur« 1943 eine
vierjährige Zuchthausstrafe, von der ihn im April 1945 die Rote Armee aus dem Zuchthaus
Brandenburg befreit.
Busch lebte in der DDR, er arbeitet als Schauspieler und Regisseur am Deutschen Theater
Berlin und ab 1950 in Brechts Berliner Ensemble. In seinem eigenen Plattenverlag
»AURORA« editierte er eine Sammlung seiner Kampflieder und Songs.
28
Solo Sunny
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Auszeichnungen
Regie
Buch und Co-Regie
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüm
Maske
Deutsche Demokratische Republik1
17. Januar 1980 im Kino »International«
in Berlin (DDR)
DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg
(»Gruppe Babelsberg«)
PROGRESS Film-Verleih
»Berlinale« 1980: Kritikerpreis der FIPRESCI,
Preis für die beste weibliche Darstellung; 1. Preis für
Drehbuch beim Int. Filmfestival Chicago 1980;
Nationales Spielfilmfestival Karl-Marx-Stadt 1980:
Preis für Regie, Kamera, Musik, Szenenbild, Schnitt,
Schauspielpreis an Renate Krößner,
für weibliche Nebenrolle an Heide Kipp,
für männliche an Dieter Montag ...
Konrad Wolf
Regieassistenz: Doris Borkmann
Wolfgang Kohlhaase
Dieter Wolf
Eberhard Geick
Filmfotograf: Dieter Lück
Alfred Hirschmeier
Rita Bieler
Jürgen Holzapfel, Irmela Holzapfel, Christa Eifler
Schnitt
Evelyn Carow
Ton
Konrad Walle
Beratung
Musik / Ausführung
Darstellende
Jutta Voigt
Günther Fischer, Günther-Fischer-Quintett
Gesang: Regine Dobberschütz
Ingrid Sommer: Renate Krößner
Mann bei Sunny: Michael Christian
Benno Bohne: Harald Warmbrunn
Frau Pfeiffer: Ursula Braun
Hubert: Hansjürgen Hürrig, Harry: Dieter Montag
Huberts Frau: Karin Beewen
Grafikerin: Irmtraud Anschütz
Volkspolizist: Thomas Neumann
Ernesto: Rolf Pfannenstein, Detlef: Bernd Stegemann
29
Darstellende
Popel: Hans-Joachim Wiesner
Duo Gradini: Lawrence und Lu
Leistungssportler: Detlef Gieß
Leistungssportler: Peter Jahoda
Christine: Heide Kipp, die Neue: Johanna Schall
Arzt: Fred Düren, Meister: Uwe Zerbe
Monika: Regine Doreen, Udo: Olaf Mierau
Neffe: Eckhard Becker, Zapfer: Lothar Warneke
Bernd: Klaus Händel, Norbert: Klaus Brasch
Blickende: Christine Reinhardt
Grafiker: Ulrich Anschütz, Ralph: Alexander Lang
Molly Sisters: Simone und Silvia Lange
Mädchen in der Fabrik: Evelyn Fuchs
Mädchen bei Ralph: Jacqueline Pöggel
Mann mit Brille: Rolf Staude
Essender: Roland Kuchenbuch
Mädchen bei Norbert: Elke Behrends
Zum Inhalt
Die DDR, Ende der siebziger Jahre. Die Sängerin Solo Sunny tingelt mit ihrer Band durch
die Provinz. Trotz aller beruflichen und privaten Rückschläge sowie der Schwierigkeiten,
ihre Träume mit den Lebensrealitäten in der DDR in Einklang zu bringen, versucht Sunny,
die Hoffnung nicht aufzugeben.
Der nackte Mann auf dem Sportplatz
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie / Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
30
Deutsche Demokratische Republik
4. April 1974, Filmtheater International, Berlin
DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg
(»Gruppe Babelsberg«)
PROGRESS Film-Verleih
Konrad Wolf
Regieassistenz: Doris Borkmann
Gerhard Wolf
Werner Bergmann
Kamera-Assistenz: Alexander Kühn,
Wolfgang Bangemann
Bauten
Kostüm
Maske
Schnitt
Ton
Musik-Beratung
Musik-Ausführung
Darstellende
Alfred Hirschmeier
Bauausführung: Willi Schäfer
Außenrequisite: Jürgen Janitz
Rita Bieler
Jürgen Holzapfel, Irmela Holzapfel
Evelyn Thieme
Werner Klein
Karl-Ernst Sasse
Max Dolsdorf (Sologitarre),
Otto Rühlemann (Panflöte)
Kemmel: Kurt Böwe, Gisi: Ursula Karusseit
Hannes: Martin Trettau
LPG-Vorsitzende: Else Grube-Deister
Referentin: Marga Legal, Regine: Ute Lubosch
Fräulein Fritze: Vera Oelschlegel
Frau des Soldaten: Katharina Thalbach
Angela: Ursula Werner
Tante Marie: Erika Pelikowsky
Michael: Andreas Schmid
Pfarrer: Christian-Ulrich Baugatz
Igor Klippfisch: Reimar-Johannes Baur
Wilhelm: Gerhard Bienert
Besichtiger: Rudolph Christoph
SG-Vorsitzender: Dieter Franke
Taxifahrer: Klaus Gehrke, Soldat: Matti Geschonneck
Professor Hanke: Wolfgang Heinze
Fußballfanatiker: Hermann Hiesgen
Tautz: Rolf Hoppe, Kollege: Thomas Langhoff
SG-Kassierer: Walter Lendrich
Genossenschaftsbauer: Klaus Manchen
Kollege: Dieter Mann
Vertrauensmann: Dieter Montag
Verbandsangestellter: Willi Nocke
Leipziger: Günter Rüger, Maurer: Günter Schubert
Fiete: Jaeckie Schwarz
sowie: Werner Stötzer (Darsteller; und seine Hände
sind die von Kemmel), Helmut Straßburger,
Johannes Wieke, Evelyn Cron, Robert Hirschmann,
Ruth Glöß, Bodo Schmidt, Wilhelm Werner,
Siegfried koch, Herbert Röder, Regine Albrecht,
Ursula Langschweiger, Heinz Mrowka,
Angelika Dietsch, Sonja Werner, Christian Fischer,
Peter Krüger, Jürgen Klaus, Hans-Joachim Wolle,
Henn Haas, Sonja Voigt, Elfi Zitzmann,
Karola Jacobs, Beate Gutzeit
31
Zum Inhalt
Ein Film über den eigensinnigen Bildhauer Kemmel, seine Auffassung von Kunst und das
Kunstverständnis der Betrachter. Ein Relief für ein Dorf war in einer Scheune gelandet, da
niemand etwas damit anfangen konnte. Zwischen einem Arbeiter, der ihm nach viel Zureden für eine Porträtplastik Modell sitzt, und Kemmel entwickelt sich während der langen
Sitzungen nach und nach eine eher spröde Beziehung, doch mit der Zeit versteht jeder
etwas mehr von der anfangs sehr fremden Welt des anderen. Der Auftrag, eine Skulptur für
einen Sportplatz in seinem Heimatdorf zu gestalten, schafft erneut Probleme. Kemmel gestaltet einen nackten Läufer, während das Dorf sich einen – natürlich bekleideten – Fußballer vorgestellt hatte.
Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis
Friedrich Wolf, selbst auch Filmautor, hatte in den 50er Jahren den Chef des Aufbau Verlages Walter Janka auf die filmischen Qualitäten des Romans aufmerksam
gemacht. Sein Sohn und Regisseur Konrad bekannte später freimütig, »ich hatte
nicht die Absicht, Feuchtwanger zu verfilmen. Um die Wahrheit zu sagen, zunächst habe ich mich sogar dagegen gewehrt.« Janka, Ende1960 aus vierjähriger
politischer Haft im Zuchthaus Bautzen entlassen, wollte 1962 mit dieser Verfilmungsidee seinen dramaturgischen Einstand geben. Er gewann Konis Freund Angel Wagenstein für die Filmbearbeitung. Dank Jankas freundschaftlicher Beziehungen zu Feuchtwanger und seiner Frau Marta noch aus der Zeit als Verleger im
mexikanischen Exil und später des Aufbau-Verlags gelang ihm 1963 der für
undenkbar gehaltene Erwerb der Weltverfilmungsrechte zu sehr bescheidenen
DDR-Bedingungen. Die hatten Frau Feuchtwangers Anwalt sehr irritiert. In den
Vertragsverhandlungen berief er sich ausdrücklich auf ihre Instruktionen, »insbesondere auf die finanziellen Vorschläge (der DEFA) einzugehen, da ihr mehr an
der künstlerischen Herstellung eines ihres Mannes würdigen Filmes liegt als an
hohen Honoraren«. Die Filmrechte waren bereits mehrfach an US-Firmen verkauft worden, doch stets war die Produktion am Widerstand des Franco-Regimes
und den Nachfahren der Herzogin Alba gescheitert. Aus politischen Gründen waren also auch für uns Außenaufnahmen in Spanien ausgeschlossen.
In der Euphorie der frühen 60er Jahre suchte man im Studio nach Welt-, also
Westwirkung, wie sie vielleicht nur mit einem solchen epochalen Stoff zu erhoffen war. Für die Hauptrolle etwa war an Anthony Quinn, Marlon Brando oder
Jean-Louis Trintignant gedacht, für die Alba an Jeanne Moreau, für die Königin
war Anna Magnani im Gespräch. Der interessierte Koproduzent Artur Brauner be32
nannte umgehend einen Co-Autor, der das Szenarium von Angel Wagenstein sogleich zerpflückte. Der scheute sich nicht, seinen Eindruck offen auszusprechen,
wonach »ich als Schriftsteller wie ein Kaufmann spreche. Aber wir müssen leider
ans Geld denken, an den Verleih, an den Verkauf in andere Länder.« Als Gegenleistung für seinen Produktionsanteil und die Gagen einiger internationaler Stars
erwartete Brauner von der DEFA die Produktion eines kompletten historischen
Films, und zwar Die Nibelungen. Solch ein Geschäft wurde nicht erst mit dem
11. Plenum indiskutabel. Damit war das Projekt für lange Zeit gestorben.
Schon im ersten Briefwechsel hatte Marta Feuchtwanger die Idee einer Gemeinschaftsproduktion ins Spiel gebracht: »Ich habe herrliche russische Filme
gesehen, und ich würde es sehr begrüßen, wenn sich da die Möglichkeit einer
Zusammenarbeit böte ...« So begannen 1966 in der Gruppe Babelsberg unsere
Wiederbelebungsversuche mit dem Vorschlag für eine Koproduktion mit der
Sowjetunion. Meine ausführliche kulturpolitische Argumentation mit Eckdaten
der Realisierung und Finanzierung genügte in Berlin nicht. Ohne eine ideologisch-künstlerische Konzeption des Regisseurs fände keine Beratung beim Leiter der Hauptverwaltung Film statt. Diese Aufforderung war an den Gruppenleiter adressiert. Konrad Wolf ließ nun über seinen Namensvetter verlauten, er
identifiziere sich mit dem Papier der Gruppe. Er denke an eine Regiekonzeption
allein »als Erläuterungen und Ergänzungen zum Regiedrehbuch, das nur gemeinsam von Autor, Regisseur, Szenenbildner und Kameramann ausgearbeitet
werden kann«. Das war gleichsam die Forderung nach einem Produktionsbeschluß. Lange Pause.
Da kam ein Gipfeltreffen gerade recht. Konrad Wolf wurde im Dezember 1967
mit Ich war neunzehn ins Sekretariat des Zentralkomitees gebeten. Er nutzte die
günstige Gelegenheit und die gute Stimmung nach der Filmvorführung, um mit
einem von uns ausgearbeiteten Grundsatzpapier, Vorlage genannt, für sein neues
Projekt zu werben. Parallel dazu mußten wir Kulturminister Gysi und den Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Alexander Abusch, informieren, damit sie sich nicht von einer Basis-Initiative übergangen fühlten. All das war nötig,
um neben dem Parteiweg die staatliche Kulturschiene Berlin-Moskau wenigstens
als zweites Gleis zu nutzen.
Vier Monate später wurde ich gebeten, ein Dankschreiben zu entwerfen für die
Zusage der Koproduktion, immerhin erstmalig unter deutscher Allein-Regie.
Darin sollte Filmminister Wagner sein Vis-à-vis im Staatlichen Komitee für Kinematographie der UdSSR um die Nominierung eines Partnerstudios bitten und um
Verhandlung über einen verbindlichen Vorvertrag.
Im Juli 1968 endlich war es so weit. Mit Konrad Wolf und Produktionsleiter
Herbert Ehler, begleitet von einem hohen Funktionär der Hauptverwaltung Film,
konnten wir nach Moskau aufbrechen. Der Stellvertreter des Vorsitzenden des
Komitees, Arshanski, delegierte unser Angebot wunschgemäß an das nicht eben
autarke, doch etwas Moskau-fernere große Lenfilm-Studio in Leningrad.
33
Dort trafen wir ihn zu unserer Überraschung wenig später als Produktionschef
und konstruktiven Verhandlungspartner. Als Berater für die sowjetische Seite hatten wir den Literatur-Professor Alexander Dymschitz ins Gespräch gebracht. Der
hoch angesehene, ja legendäre Kulturoffizier im Berlin der Nachkriegszeit, galt
noch immer als unumstrittene kulturpolitische Autorität. Er wurde zum einflußreichen Fürsprecher des Projekts in der sowjetischen Filmhierarchie. Walter Janka
akzeptierte gern, daß wir ihm im Filmabspann für seine Mittlerrolle den Status eines Co-Dramaturgen zuschrieben. Die Erinnerung an mehrere anregende Begegnungen in Moskau, Berlin und Kleinmachnow sind unvergessen.
Wolf und Wagenstein beorderten erst einmal mich zur Diskussion der letzten
Szenarienfassung mit der Studioleitung nach Leningrad. Dort traf ich auf eine
kleine, vielseitig gebildete, recht energische Chefdramaturgin. Ihre Buchanalyse
war erwartungsgemäß von ganz ähnlichen ideologischen Bedenklichkeiten bestimmt, denen wir schon zu Hause begegnet waren. Sie warnte vor der »Gefahr
falscher Aktualisierung, gefährlicher Analogien in der Gestaltung des Verhältnisses von Künstler und Gesellschaft, von Geist und Macht, Politik und Kunst«.
Goyas Beziehung zur Herzogin Alba müsse als sozialer Konflikt gestaltet werden und dürfe »nicht als Idylle, als Brücke zwischen den Klassen« erscheinen.
Auch das Bild der spanischen Liberalen, denen Goya wichtige Denkanstöße verdankte, über die er aber hinausgegangen sei, solle verdeutlicht werden. Vor allem
aber sei die Rolle des spanischen Volkes für die Entwicklung des prominenten
Hofmalers stärker ins Blickfeld zu rücken.
Nicht nur Goyas Konflikt mit der absolutistischen Macht und katholischen Inquisition schien anspielungsverdächtig, auch seine hartnäckige Weigerung, seine
Kunst ganz direkt in den Dienst der bürgerlich-liberalen Parteipolitik zu stellen.
Gerade das aber fordert der von den Mächtigen verfolgte Politiker Jovellanos, der
Goya seine Rückkehr aus dem Exil verdankt. In einem mehrstündigen Gespräch
hatten wir Ernst Busch gewonnen, lange nach Ende seiner Theaterkarriere und
trotz seiner kriegsbedingten Gesichtslähmung erstmalig eine DEFA-Rolle zu
übernehmen.
Die nachdenklich vorgetragenen Einwände von Lenfilm waren offenbar mehr
als Warnschilder gedacht, weniger als verbindliche Änderungsauflagen. So wagte
man auch nicht, wie sonst üblich, einen sowjetischen Mitautor für die Drehbucharbeit ins Gespräch zu bringen. Man war zufrieden mit unserem Versprechen, dies
alles zu bedenken und nach Möglichkeit im Regiebuch zu berücksichtigen.
Wir wollten mit der wichtigsten Bezugsfigur, Goyas kritischem Malerfreund
und Gehilfen Esteve, die Stimme des Volkes stark zur Geltung bringen. Älter als
im Roman, gewann die Figur in der Gestaltung durch Fred Düren tatsächlich
mehr Einfluß auf die politische und künstlerische Position des arrivierten Hofmalers. So wird Goya zum Herausforderer der Inquisition, zum künstlerischen Repräsentanten der revolutionären Bewegung, gipfelnd in seinem aufrührerischen
Gemälde der Erschießung der Aufständischen.
34
Im früheren Filmchef Anton Ackermann gewannen wir einen kulturpolitischen
Anwalt für unser schon einmal totgesagtes Projekt. Ende 1968 fügten wir seine
Stellungnahme zum Drehbuch unserem Antrag auf Produktionsfreigabe bei. Mit
genauem Gespür für die ideologischen »Bedenkenträger« lobte er die Weiterführung des Films über Feuchtwangers Roman hinaus bis zur Volkserhebung in
der bürgerlich-demokratischen Revolution und ihrem Widerschein in Goyas Graphik-Zyklus Schrecken des Krieges. Er unterstrich die Bedeutung der wenigen
Szenen, in denen das Volk Gestalt gewinnt und lobte die Darstellung von Goyas
konfliktreichem Weg mit all seinen menschlichen Schwächen. In diesem Kunstwerk werde echte fromme Gottgläubigkeit respektvoll gegen die Inquisition und
reaktionäre volksfeindliche Politik des hohen Klerus verteidigt, ohne die Gefühle
ehrlicher Gläubiger zu verletzen. Ackermann betonte sein größtes Vertrauen in die
Fähigkeiten und die geschmackvolle künstlerische Gestaltung des Regisseurs.
Marta Feuchtwanger begutachtete alle Stadien der Bucharbeit. Ihren Ehrendoktor-Titel im Briefkopf hatte sie sich längst verdient. Nun lernten wir ihre
punktgenaue Lektüre und ihre klugen kritischen Rückfragen und Vorschläge auch
zum Regiebuch schätzen. Erst auf ihr Anraten hin wurde eine der stärksten Szenen zwischen Goya und der Alba aus dem Roman übernommen – die Szene, in
der Cayetana zum schlafenden Goya spricht. Doch nicht nur das. »Ihre DialogStriche waren so gut, daß wir sie widerspruchslos übernommen haben.«
1971 folgte sie Konrad Wolfs Einladung, sich den Film in Berlin anzusehen,
bevor er in die Öffentlichkeit kommen sollte. Ihr frühes Urteil war ihm wichtiger
als ihre repräsentative Teilnahme an der Berliner Premiere. So hatte man endlich
Gelegenheit, die rüstige alte Dame persönlich kennenzulernen. Man konnte sie
trotz ihres hohen Alters getrost eine exotische Schönheit nennen. Die Regierung
bedankte sich für ihr großes und uneigennütziges Engagement für den Film und
die Pflege des Feuchtwanger-Werks mit dem Orden Stern der Völkerfreundschaft
in Gold, der höchsten Auszeichnung, die ausländischen Bürgern vorbehalten war.
Goya, in zwei verschiedenen Filmformaten gedreht, wurde Konrad Wolfs
schwierigste und langwierigste Filmarbeit. Die Atelieraufnahmen fanden in Leningrad und Babelsberg statt, die Außenaufnahmen in Bulgarien und auf der
Krim. Der Kameramann und Bundesbürger Peter Hellmich konnte einige Dokumentaraufnahmen in Spanien drehen. Für die großen Prozessionen lieferte uns das
südliche Ambiente des kroatischen Dubrovnik einen glaubwürdigen historischen
Hintergrund. Um den immensen Aufwand an Dekorationen, historischen Kostümen und Requisiten zu minimieren, wurden in monatelanger Vorarbeit von Regisseur, Szenenbildner und den Kameramännern die Anforderungen an jede einzelne
Aufnahme verabredet. Szenenbildner Alfred Hirschmeier hielt das Ergebnis in
hunderten von Einstellungsskizzen in einem kompletten optischen Drehbuch fest.
Auf 1 300 handschriftlichen Seiten dokumentierte die Assistenzregisseurin alle
künstlerischen und technischen Details der künftigen Realisierung, die den Umfang eines normalen Regiedrehbuchs für Stab und Schauspieler gesprengt hätten.
35
Die Berliner Premiere der 70-mm-Version im Kinotheater Kosmos 1971 wurde zum
großen kulturpolitischen Ereignis, geadelt durch den Nationalpreis I. Klasse für Autor, Regisseur, Szenenbildner und beide Kameramänner. Einziger Wermutstropfen
im Freudenbecher: Nur der Initiator und unermüdliche Betreiber des Vorhabens,
Dramaturg Walter Janka, war aus unserer Vorschlagsliste gestrichen worden.
Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis
nach dem Roman von Lion Feuchtwanger
Produktionsländer
Premierendatum
Produzenten
Verleih
Auszeichnungen
Buch
Regie
Dramaturgie
Kamera
16. September 1971 (Voraufführung am 19. Juli
im Berliner Kino »Kosmos« in Anwesenheit von
Marta Feuchtwanger und Mitgliedern der Akademie
der Künste der DDR)
DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg,
Gruppe »Babelsberg«/Studio Lenfilm, Leningrad
PROGRESS Film-Verleih 70-mm-Film
VII. Internationale Filmfestspiele Moskau 1971,
Spezialpreis der Jury; Das Kollektiv – Konrad Wolf,
Angel Wagenstein, Konstantin Ryshow, Alfred
Hirschmeier, Werner Bergmann – erhielt 1971 den
Nationalpreis I. Klasse; das Kollektiv – Fred Düren,
Rolf Hoppe, Donatas Banionis – erhielt 1971
den Kunstpreis der DDR;
Prädikat »Besonders wertvoll«
Angel Wagenstein
Konrad Wolf
Assistenz-Regie: Doris Borkmann, Wladimir Stepanow
Regieassistenz: Ludmila Galba, Iris Gusner,
Jürgen Klauß, Wladimir Sinilo, Emilija Suchorukowa
Alexander Dymschitz, Walter Janka
Werner Bergmann und Konstantin Ryshow
Bauten
Alfred Hirschmeier und Waleri Jurkewitsch
Maske
Günter Hermstein, Ursula Funk, Jürgen Holzapfel,
Inge Merten und Galina Wassiljewa
plastische Maske: Eduard Fischer
Kostüm
36
Deutsche Demokratische Republik/Sowjetunion
Ludmila Schildknecht und Joachim Dittrich
Schnitt
Ton
Beratung
Musik
Produktionsleitung
Darstellende
Alexandra Borowskaja
Eduard Wanunz, Garri Bjelenki und Jefim Judin
Dr. Karl-Heinz Barck, Dr. Hansjoachim Felber,
Prof. Irina Lewina und Prof. Dawid Prizker
Faradsh und Kara Karajew,
Paco Ibanez (Lieder der Rosario),
Ausführung: Leningrader Staatliche Philharmonie,
Dirigent: Rauf Abdulajew
Gitarrensolo: Juri Smirnow
Herbert Ehler und Genrich Chochlow
deutsche Stimme
Goya: Donatas Banionis
Kurt Böwe
Esteve: Fred Düren
Herzogin Alba: Olivera Vuco
Annemone Haase
Karl IV.: Rolf Hoppe
Königin Maria Luisa: Tatjana Lolowa Ursula Braun
Jovellanos: Ernst Busch
Otero: Martin Flörchinger
Quintana: Arno Wyzniewski
Maria Rosario: Carmen Herold
Bermudez: Gustaw Holoubek
Guillemardet: Michail Kasakow
Klaus Piontek
Godoy: Wolfgang Kieling
Dona Lucia: Irén Sütö
Abate: Andrzej Szalawski
Großinquisitor: Mieczyslaw Voit
Pepa: Ljudmila Tschurssina, Gil: Peter Slabakov
Goyas Mutter: Veriko Andshaparidse
Josepha: Ariadna Schengelaja
Eufemia: Nunuta Hodos, Padilla: Georgij Pawlow
San Adrian: Igor Wasiljew, Ortiz: Günter Schubert
Velasco: Kurt Radeke
Bote der Inquisition: Walter Bechstein
in weiteren Rollen/als Stimmen: Gerry Wolff,
Wolfgang Lohse, Hans-Dieter Leinhos,
Natascha Nesowiz, Fredy Barten, Michael Gerber,
Slobodan Dimitrijeviç, Aurora Pan, Igor Dimitrijew,
Friedrich Richter, Erhard John, Petar Spaic, Djoko
Rosic, Harald Moszdorf, Peter Grünstein, René
Kasch, Maria Lenk, Herbert Pfister, Regine Kühn,
Hans-Jochim Felber, Ralf Haufe, Elke Boßmann,
Anton Nalis, Shana Jeremejewa, Frank Raschke,
Gerit Kling, Georgi Teich, Alexej Sokolowitsch,
Karl-Heinz Weiß, Predrag Milinkoviç
37
Zum Inhalt
Goya ist Erster Hofmaler Karls IV. geworden. Seine Bilder zieren die Schlösser des Königs
und der Granden. Aber er ist vor allem Spanier. In leidenschaftlicher Liebe fühlt er sich zu
Herzogin Alba hingezogen, gleichzeitig haßt er die hochnäsige Aristokratin in ihr, die ihn
nach Belieben wie einen Lakaien behandelt. Diese Widersprüche beeinflussen seine Kunst.
Durch Freund Esteve erfährt er von der revolutionären Bewegung seines Volkes, begegnet
der Sängerin Maria Rosario, die von der Inquisition verurteilt wird, und wird schließlich
selbst Opfer der Inquisition.
Ich war neunzehn
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Auszeichnungen
Regie
Buch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Requisite
Kostüm
Maske
1. Februar 1968 im Kino »International«
in Berlin (DDR)
DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg
(»Gruppe Babelsberg 67«)
PROGRESS Film-Verleih
Prädikat »Besonders wertvoll«
Konrad Wolf
Assistenz-Regie: Doris Borkmann, Rainer Simon
Wolfgang Kohlhaase, Konrad Wolf
Gerhard Wolf
Werner Bergmann
Filmfotografen: Wolfgang Ebert, Bernd Sperberg
Alfred Hirschmeier
Rudolf Borchardt
Werner Bergemann
Günter Hermstein, Inge Merten
Schnitt
Evelyn Carow
Produktionsleitung
Herbert Ehler
Ton
Aufnahmeleitung
38
Deutsche Demokratische Republik
Konrad Walle
Hans Berek, Horst Schmidt, Karlheinz Haarnagell
Beratung
Gesang
Darstellende
Anton Ackermann, Nikolai Surkow
Ernst Busch: im Lied »Am Rio Jarama,
Februar 1937«
Gregor Hecker: Jaecki Schwarz
Wadim: Wassili Liwanow
Dsingis: Kalmursa Rachmanow
Sascha: Alexej Ejboschenko
Starschina: Anatoli Solowjow
sowjetisches Mädchen: Galina Polskich
deutsches Mädchen: Jenny Gröllmann
General: Michail Glusskij, Sturmbannführer: Kurt Böwe
Etappenmajor: Rolf Hoppe, Adjutant: Jürgen Hentsch
blinder Soldat: Klaus Manchen
Landschaftsgestalter: Wolfgang Greese
Festungskommandant: Johannes Wieke
befreiter Häftling: Werner Wenzel
befreiter Häftling: Walter Bechstein
befreiter Häftling: Hermann Beyer
Obersergeant: Afanasij Kotschetkow
Unterleutnant: Boris Tokarev
Unteroffizier: Dieter Mann
Major im Jeep: Viktor Wolkow
Adjutant: Tscheslaw Moissejew
Oberleutnant am Kontrollpunkt: Wladimir Rjabow
Fallschirmjäger: Wolfgang Winkler
Frau des Bürgermeisters: Susanne Düllmann
Bürgermeister / Pfarrer: Otto Lang
Drucker: Hermann Wagemann
Gefangener in Oranienburg: Martin Trettau
Offizier in Spandau: Wilhelm Burmeier
Offizier in Spandau: Curt W. Franke
Offizier in Spandau: Martin Angermann
Offizier in Spandau: Lutz Günzel
Offizier in Spandau: Peter Ensikat
Offizier in Spandau: Dirk Jungnickel
Offizier in Spandau: Siegfried Göhler
betrunkener Offizier: Gerhard Vogt
Hitlerjunge: Wolfgang Altus
Fähnrich: Detlef Heintze, Feldwebel: Fritz Mohr
Marineoffizier: Achim Schmidtchen
Bäuerin: Else Bugatz, Bauer: Richard Degen
verwundeter Hitlerjunge: Waldemar Wieser
Mädchen von 14 Jahren: Ellen Wokittel
Junge von 10 Jahren: Dietmar Wenzel
Mädchen von 5 Jahren: Ingrid Böck
in weiteren Rollen: Anatoli Miloradow,
Werner Wenzel, Michail Podrjes
39
Der Film entstand mit Unterstützung der Sowjetarmee und der Nationalen Volksarmee der
DDR. Die Dreharbeiten fanden in der Mark Brandenburg (u. a. in Bernau und im Schloß
Sanssouci) statt.
Zum Inhalt
Gregor Hecker war als Achtjähriger mit seinen Eltern in die Sowjetunion emigriert. Als
19jähriger kehrt er mit einer Aufklärungseinheit der Roten Armee im April 1945 nach
Deutschland zurück. Es fällt ihm schwer, die Deutschen, die zum Teil noch erbittert gegen
die Russen kämpfen, als seine Landsleute zu betrachten und er schämt sich vor den sowjetischen Genossen für das Verhalten der Deutschen. Nur langsam reift die Erkenntnis, dass
nicht alle Deutschen schuldig waren und dass man nur mit ihnen gemeinsam ein friedliches Deutschland aufbauen kann. Mit diesem Film erzählt Konrad Wolf ein Stück Autobiographie.
Professor Mamlock
nach der literarischen Vorlage des gleichnamigen Dramas von Friedrich Wolf
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Auszeichnungen
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüm
40
Deutsche Demokratische Republik
17. Mai 1961
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
II. Internationales Filmfestival Moskau 1961:
Goldmedaille; II. Internationales Filmfestival
Neu Delhi 1961: Silberne Lotosblume
Konrad Wolf
Regie-Assistenz: Michael Englberger
Karl Georg Egel, Konrad Wolf
Willi Brückner
Werner Bergmann
Kameraführung: Günter Ost
Kamera-Assistenz: Manfred Damm
DEFA-Fotograf: Walter Ruge
Harald Horn
Bau-Ausführung: Walter Colani
Werner Bergemann
Licht
Maske
Schnitt
Ton
Beratung
(Außen)Requisite
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
Werner Teichmann
Otto Banse
Christa Wernicke
Gerhard Wiek
Dr. Walter Pollatschek, Dr Ursula Voigt-Figuth
Ferdinand Schwarzer
Hans-Dieter Hosalla
Verwendung von Motiven aus der IX. Sinfonie
von Ludwig van Beethoven
Hans-Joachim Funk
Irene Ikker
Professor Hans Mamlock: Wolfgang Heinz
Ellen Mamlock, seine Frau: Ursula Burg
Rolf Mamlock, beider Sohn: Hilmar Thate
Ruth Mamlock, beider Tochter: Doris Abeßer
Ernst: Ulrich Thein, Dr. Inge Ruoff: Lissy Tempelhof
Dr. Hellpach: Harald Halgardt, Dr. Hirsch: Peter Sturm
Oberarzt Dr. Carlsen: Herwart Grosse
Dr. Werner Seidel: Franz Kutschera
Bankier Schneider: Kurt Jung-Alsen
Kurt Walter: Günter Naumann
Schwester Hedwig: Agnes Kraus
Simon, Krankenwärter: Günter Grabbert
SA-Sturmbannführer: Manfred Krug
in weiteren Rollen: Hans Flössel, Hans Teuscher,
Johannes Maus, Bruno Carstens, Marianne Daudert,
Greti Emmer, Sonja Voigt-Haas, Horst Giesen,
Ellen Weber, Wilhelm Besendahl, Wolf Thiessen,
Wolfgang Schmittke, Dieter Kores, Jürgen Henschke,
Johannes Curth, Norbert Moedebeck,
Margrit Tippmann, Walter E. Fuss, Gisela Graupner,
Heide Kipp, Karl-Helge Hofstadt
Zum Inhalt
Professor Mamlock ist Chefarzt einer chirurgischen Klinik. Nach der Machtergreifung Hitlers verändert sich für den jüdischen Arzt und seine Familie das Leben spürbar, auch wenn
er es zunächst nicht wahrhaben will. Seinem Sohn, der den Vater warnt und im Widerstand
engagiert ist, weist er die Tür. Dass seine Tochter vom Gymnasium verwiesen wird, will er
nicht glauben. Zunächst kann er in seiner Klinik noch arbeiten, muss aber unter Druck
selbst die Entlassungspapiere anderer jüdischer Kollegen unterschreiben. Als der Nazi
Dr. Hellpach kommissarischer Leiter wird, man ihn quasi nur noch duldet, begreift
Mamlock, wie richtig die Einschätzung seines Sohnes war. Er sieht als Ausweg für sich nur
noch den Freitod.
41
Der geteilte Himmel
Zunächst einige wenige Worte zur Entstehungszeit und dem filmgeschichtlichen
Hintergrund des Films. Konrad und Christa Wolf hatten bereits einige Zeit vor
dem Geteilten Himmel zusammengefunden. Ihr literarisches Debüt 1961 Moskauer Novelle hatte sie gemeinsam mit Gerhard Wolf zum Drehbuch entwickelt.
Doch die Verfilmung scheiterte am kritischen Urteil des Sowjetischen Filmkomitees über die russische Hauptfigur, den sowjetischen Leutnant Pawel Kokoschkin.
Der entsprach nicht ganz dem Heldentypus eines sowjetischen Befreiers der Jahre
45/46, wie ihn sich die Moskauer Filmfunktionäre wünschten.
Der nächste gemeinsame Plan der Wölfe hieß Heimkehr, und der wiederum
mißfiel Hans Rodenberg, dem für Film zuständigen stellvertretenden Kulturminister. Es war die Geschichte eines sehr spät aus Moskau heimkehrenden Emigranten in ein ihm fremdes Land. Der Minister wollte die aufstrebende DDR nicht mit
dem kritischen Blick eines Mannes entdeckt sehen, der von draußen kommt.
In meinem Buch Gruppe Babelsberg. Unsere nichtgedrehten Filme habe ich
darüber geschrieben, daß selbst eine politische und künstlerische Autorität wie
Konrad Wolf nicht vor diesen und anderen Rückschlägen verschont blieb. Zum
Glück für uns alle hat er, beginnend mit Ich war neunzehn bis zu Solo Sunny, fünf
der bedeutendsten DEFA-Filme in der Gruppe Babelsberg realisieren können.
Trotz dieser wenig ermutigenden Erfahrungen mit Ideen von Christa Wolf begann
Anfang 1963 die Drehbucharbeit am Geteilten Himmel noch während des Vorabdrucks der Erzählung in der Studentenzeitung forum in einem ungewöhnlich großen
Kollektiv. Ich sehe noch den Assistenzregisseur Kurt Barthel bei einer Vorauswahl
mit der Papierschere, um Schlüsselszenen für die Drehbucharbeit auszuschneiden.
Eine neue, verjüngte Studioleitung erlaubte, allen Planungsgrundsätzen zuwider, die
gleichzeitige kostenintensive Produktionsvorbereitung: Schauspielerbesetzung, Probeaufnahmen und Motivsuche für die Außenaufnahmen. Und das war gut so. Denn
bald nach der Buchveröffentlichung gab es warnende, ja bedrohliche Einwände.
Der Beginn der 60er Jahre war die Zeit mutiger literarischer Entdeckungen von
Alltagsproblematik wie auch in Spur der Steine, Ole Bienkopp, Beschreibung eines Sommers. Christa und Gerhard Wolf hatten ihren Wohnsitz von Berlin nach
Halle verlegt, »in den geballten Rauch aus hundert Fabrikschornsteinen«, so steht
es im Buch. Sie folgten der Forderung, die Literatur möge sich mehr dem Leben
der Arbeiterklasse zuwenden. Im engen Kontakt mit einer Tischlerei-Brigade des
nahegelegenen VEB Waggonbau Ammendorf stießen sie auf Widersprüche, mit
denen sich Arbeiter, Ingenieure und Leiter tagtäglich herumzuschlagen hatten –
reiches Material für den sozialen Hintergrund der tragisch endenden Liebesgeschichte. Noch sahen sich Autoren und Filmleute ermutigt, reale Lebensprozesse
in scharfen Konflikten zu gestalten. Im Schutz der Mauer, so dachte man, sei ein
42
neuer Freiraum entstanden für die öffentliche und kritische Debatte der weiteren
Entwicklung des Sozialismus im zweiten deutschen Staat. In Arbeit waren auch
andere Gegenwartsgeschichten mit bisher tabuisierten Problemen, hier aber erstmalig die tragische Dimension des geteilten Landes im Scheitern einer Liebe.
Vor allem diese Sicht auf die nationale Problematik rief die politischen Tugendwächter auf den Plan. Inspiriert von Horst Sindermann, gerade erst als Kandidat des
Politbüros und 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung gewählt, fragte sein Hallenser
Parteiorgan Freiheit in einem ganzseitigen Grundsatzartikel »nach dem Standpunkt
der Autorin«, weil sie die Spaltung Deutschlands als ein Unglück betrachte. »Ist das
ein Unglück?« So die rhetorische Frage. Vielmehr gehe es darum, »daß sich ein jeder des Glückes bewußt wird: Es gibt die DDR. Sie hat die westdeutschen Militaristen eingemauert.« Auch in der angeblich falschen Heldenwahl entdeckten die Kritiker »die dekadente Lebensauffassung von Christa Wolf«. Die Auszeichnung mit
dem Nationalpreis 1964 beendete diese »sektiererischen« Attacken.
Im Studio war die inhaltliche Substanz der Erzählung unumstritten. Trotz einer
großen DEFA-Tradition erfolgreicher Romanverfilmungen stellte die Erzählung
die Filmleute aber vor neue Anforderungen. Keine epische Vorlage bisher war so
stark von einer subjektiven Figurenperspektive mit innerem Monolog bestimmt
wie hier, alles also aus der Sicht der Rita zu erzählen. Da lag der verbreitete Vorwurf des Subjektivismus geradezu in der Luft. Im Film wählte man dafür die Gedankenstimme der Hauptfigur, die man hört, ohne sie sprechen zu sehen. Das war
im DEFA-Film noch kaum geübt.
Noch vertrackter war die Erzählstruktur. Rita erinnert sich im Prozeß ihrer
Genesung – quasi in Rückblenden – an vorausgegangene Erlebnisse in verschiedenen
sozialen und lokalen Bereichen: Da sind die Liebe zu Manfred und die Erfahrung mit
seinem bürgerlichen Elternhaus, die Begegnungen mit der Brigade Meternagel im
Betriebspraktikum, und es gibt die Auseinandersetzungen im Lehrerbildungsinstitut.
Vergeblich versuchte das fünfköpfige Drehbuchteam die Erzählung in die übliche Chronologie der Folgehandlung zu übertragen, um dem Zuschauer die Orientierung zu erleichtern. Man wählte schließlich die Rückblendenstruktur. Konrad
Wolf erinnerte in einer späteren Akademiedebatte an Einwände, die es im Studio
noch vor der Produktion gab: »Der von uns beabsichtigte Stil, die zeitlichen und
Ortsebenen ineinander zu verschieben – das wären Merkmale des Surrealismus,
also der bürgerlich-dekadenten Kunst.«
Die Formsprache dieses DEFA- Films, vor allem die Rückblenden-Montage,
traf allerdings auch auf ein weitgehend unvorbereitetes Publikum. Selbst freundliche Besucher und Kritiker hatten da ihre Mühe. Rosemarie Rehahn schrieb in der
Wochenpost vom »geteilten Publikum«. Und so wurde Wolfs beiläufige Äußerung, er habe »einen intelligenten Film für intelligente Zuschauer« machen wollen, selbst im Studio als arrogant beschimpft.
Erstaunlicherweise blieb der Film Ende 1964 mehr als das Buch vom Vorwurf
des Modernismus verschont. Das war wohl auch einer positiven Rezension im
43
Neuen Deutschland zu danken. Horst Knietzsch hatte schon zwei Monate vor der
Premiere in einer ungewohnt frühen Pressevorführung eine »Glücksstunde der
Filmkunst« erlebt. Doch gemessen am Bestseller-Erfolg des Buches blieb der Filmbesuch hinter unseren hohen Erwartungen zurück. Schwer zu sagen, ob das auch der
nicht-naturalistischen Bildsprache geschuldet war, die sich vom gängigen DEFAStil, aber auch von dokumentarer Alltagsbeobachtung unterschied. Das war nicht
zuletzt ein Verdienst des Szenenbildners Alfred Hirschmeier. Er hatte in einem optischen Drehbuch viele Filmeinstellungen im Wortsinn vorgezeichnet oder in Fotos
der Originalschauplätze hineinskizziert und so nach filmischen, zuweilen metaphorischen Entsprechungen für den literarischen Ausdruck gesucht. Von da an hat Hirschmeier alle Filme von Konrad Wolf szenenbildnerisch mitgestaltet. Die Kamera
von Werner Bergmann und die Entscheidung für die stark graphischen Wirkungen
des Schwarz-weiß-Materials folgten dieser stilistischen Intention.
Die inhaltliche und formale Innovation des Films blieb – jedenfalls im Kino –
lange Zeit folgenlos. Erst mit und nach dem 11. Plenum 1965 hatten wir alle verstanden, was Walter Ulbricht im Sinne hatte, als er auf der 2. Bitterfelder Konferenz
1964 über die neuen Widersprüche zwischen der »Linie von oben« und der Praxis
unten an der Basis sprach: »Ein Künstler, der die Wahrheit und das Ganze im Auge
hat, kann nicht vom Blickpunkt eines empirischen Beobachters schaffen. Er braucht
unbedingt den Blickwinkel des Planers und Leiters.« Da meinte die Parteiführung
letztlich wohl ihre eigene Sicht.
Der Regisseur Frank Vogel wollte auf der Fahrt zur Konferenz über der Straße
die aktuelle Losung gelesen haben: »Erstürmt die lichten Höhen der Kultur!« daneben die kleinere Brückenmarkierung: »Lichte Höhe 4,48 m«.
Kein Wunder, daß es nach dem 11. Plenum im Film keine parteihörigen Dogmatiker wie Mangold, keine opportunistischen Mitläufer wie Herrfurth senior
und lange Zeit kaum solche, wie es nun hieß, gebrochenen Biographien wie Meternagel mit einer »rückläufigen Kaderentwicklung« mehr gab.
Der Frühling braucht Zeit – so der prophetische Titel eines Gegenwartsfilms, der
im November ‘65, nur ein Jahr nach dem Geteilten Himmel, noch zur Aufführung
kam. Es war der erste von elf weiteren Gegenwartsfilmen, die verboten oder deren
Produktion abgebrochen wurde. So auch der lange Zeit weithin unbekannte Film
Fräulein Schmetterling, von Christa und Gerhard Wolf geschrieben, Regie Kurt
Barthel, Mitautor des Drehbuchs und Assistenzregisseur des Geteilten Himmel.
Der Kreis schließt sich 1976. Da trat Otto Gotsche, langjähriger Sekretär und
Redenschreiber Walter Ulbrichts, noch einmal nach. »Die DDR ist aus unserem
Schweiß, dem Schweiß der Arbeiter und Bauern entstanden. Liedermacher, die
sich aushalten ließen, haben daran keinen Anteil. Leute, die unter einem geteilten
Himmel leben, auch nicht (...) in diesem Staat wird der reale Sozialismus errichtet, trotz der Heuchelei einiger Leute, die glauben, der Beifall des Klassenfeindes
sei notwendig, um Lieder zu machen und Bücher zu schreiben.«
44
Der geteilte Himmel
nach dem gleichnamigen Roman von Christa Wolf
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Auszeichnungen
Regie
Buch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Außenrequisite
Kostüm
Maske
Schnitt
Ton
Licht
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Musik
Darstellende
Deutsche Demokratische Republik
3. September 1964 im Kino »International«
in Berlin (DDR)
DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg
(»Gruppe Heinrich Greif«)
PROGRESS Film-Verleih
Prädikat »Besonders wertvoll«
Konrad Wolf
Regie-Assistenz: Kurt Barthel
Christa Wolf, Gerhard Wolf, Konrad Wolf,
Willi Brückner, Kurt Barthel
Willi Brückner
Werner Bergmann
Kameraassistenz: Peter Süring, Peter Schlaak
Alfred Hirschmeier
Bauausführung: Willi Schäfer
Fritz Stemmer
Dorit Gründel
Otto Banse
Helga Krause
Konrad Walle
Hans-Herbert Ikker
Hans-Joachim Funk
Irene Ikker, Erwin Rose, Lothar Erdmann
Hans-Dieter Hosalla
Rita Seidel: Renate Blume
Manfred Herrfurth: Eberhard Esche
Herr Herrfurth: Martin Flörchinger
Frau Herrfurth: Erika Pelikowsky
Liebentrau: Christoph Engel, Melcher: Paul Berndt
Schwarzenbach: Günther Grabbert
Kuhl: Hans-Joachim Hanisch
Rolf Meternagel: Hans Hardt-Hardtloff
Frau Meternagel: Agnes Kraus
45
Darstellende
Sprecher
Dreharbeiten
Zum Inhalt
Martin Jung: Horst Jonischkan
Sigrid: Petra Kelling, Hänschen: Jürgen Kern
Karßuweit: Frank Michelis
Ernst Wendland: Hilmar Thate
Ermisch: Horst Weinheimer
Mangold: Uwe-Detlev Jessen
Schwabe: Erik Veldre, Professor: Otto Lang
Frau Professor: Geseta von Etzel
Dr. Seiffert: Lothar Bellag, Dr. Müller: Siegfried Menzel
1. Assistent auf Professorenparty: Gerhard Hänsel
2. Assistent auf Professorenparty: Michael Deyak
3. Assistent auf Professorenparty: Gerd Müller
1. Partygast: Carla Thomalla
2. Partygast: Eva-Marie Fröhlich
Kellner auf der Party: Gerhard Büch
Ritas Mutter: Dorothea Volk, Ritas Tante: Maria Sänger
Frau Seiffert: Hildegard Röder
Frau Schwarzenbach: Waltraut Kramm
Dr. Müllers Verlobte: Angela Brunner
Manfreds Tante: Karin Seybert, Arzt: Heinz Hellmich
Wendlands Sohn: Uwe Germann
Mädchen mit Luftballon: Sylvia Nechanitzky
singendes Mädchen: Tinka Wolf
Reisebegleiter: Peter Herden
1. Kellner auf Waggonbauer-Ball: Willi Liebner
2. Kellner auf Waggonbauer-Ball: Herbert Krüger
3. Kellner auf Waggonbauer-Ball: Alfred Baier
Dozent: Detlef Witte, Burgführer: Willy Jänsch
Kneipenwirt: Fredy Barten
Frau am S-Bahnschalter: Rita Hempel
Blumenverkäufer: Arthur Gutschwager
Nachrichtenüberbringer: Hilmar Baumann
außerdem: Michael Dejak
»Stimme«: Lissy Tempelhof, RIAS-Nachrichtensprecher: Werner Schmidt-Wieland,
Gagarins Stimme: Werner Eberlein
Halle (Saale), VEB-Waggonbau Ammendorf:
1. Januar 1963
Nach einer tiefen seelischen Krise kehrt Rita Seidel in ihr kleines Dorf zurück und läßt die
zurückliegenden Jahre Revue passieren. Ihre Beziehung zu Manfred Herrfurth, einem zehn
Jahre älteren Chemiker, der ihr einst Selbstvertrauen gegeben und sie zum Lehrerstudium
ermutigt hatte, krankt zum einen an der Spießigkeit seiner Eltern. Aber auch Manfred war
verbittert geworden, da sein Betrieb das von ihm entwickelte chemische Verfahren ablehnt.
Die einzige Alternative scheint für ihn die Übersiedlung nach Westberlin zu sein. Rita besucht ihn dort, kann sich jedoch nicht entscheiden, seinen Schritt mitzuvollziehen.
46
Addio, piccola mia
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Auszeichnungen
Regie
Szenarium
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Requisite
Kostüm
Maske
Schnitt
Musik
Ton
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
Deutsche Demokratische Republik
18. Januar 1979
DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
Prädikat »Besonders wertvoll«
Lothar Warneke, Co-Regie : Eleonore Dressel
Regie-Assistenz: Wolf-Dieter Bölke
Helga Schütz
Christel Gräf
Claus Neumann,
Kameraassistenz: Frank Bredow
Standfotos: Klaus Goldmann
Alfred Hirschmeier
Bauausführung: Gisela Schulze, Helfried Winzer,
Lothar Bunge
Kurt Pentzien
Christiane Dorst
Frank Zucholowsky, Brigitte Welzel, Karin Kirbst
Erika Lehmphul
Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart,
Gerhard Rosenfeld
Musikalische Leitung: Gerhard Rosenfeld
Musik-Ausführung: Prof. Ekkehard Tietze (Orgel)
Rolf-Dieter Arens (Klavier)
Günther Witt, Mischung: Gerhard Ribbeck
Herbert Ehler
Werner Teichmann, Peter Gärtner
Georg Büchner: Hilmar Eichhorn
Redner: Wolfgang Arnst, Nivergelter: Klaus Brasch
Oma Zeuner: Trude Bechmann
Bauer: Hans Bergermann, Tante Jules: Lydia Billiet
Vater N.: Ralph Borgwardt, Glaser: Peter Brang
Türmersfrau: Carola Braunbock
Dame; Ilona Brömmer, Böckel: Justus Carrier
Simon: Carl-Heinz Choynski
Dr. Ernst Büchner: Horst Drinda
47
Darstellende
48
Gendarm W.: Christoph Engel
Musiklehrer: Jörg Foth, Gendarm M.: Joachim Giering
Student: Detlef Gieß, Wärter: Jörg Gillner
Bauer: Gerhard Gläser, Arbeitgeber: Gotthold Gloger
Onkel Reuss: Werner Godemann
Studiosus: Manfred Gorr, Auktionator: Klaus Grau
Dienstmädchen: Gabriele Grauer
Pfarrer Jaeglé: Gerd Müller, Schütz: Karl-Ernst Horbol
Frau Weidig: Karin Gregorek
Herr: Lothar Großmann, Herr: Thomas Gumpert
Großherzog: Gert Gütschow, Färberin: Christine Krüger
Ludwig Weidig: Michael Gwisdek
Frau B.: Annemone Haase, Du Thil: Harald Halgardt
Sänger: Ezard Haußmann, Gendarm: Jürgen Heßler
Elisabeth: Birgit Hubatschek
Familienvater: Heinz Hupfer, Minnigerode: Lars Jung
Prinz: Friedrich-Wilhelm Junge
Livrierter: Peter Kalisch, Seifensieder: Uwe Karpa
Köchin: Thea Keune, Verzweifelte: Heide Kipp
Richter Georgi: Dietrich Körner
Wärter: Roland Kuchenbuch
Babette: Marina Kuschel, Verwalter: Heinz Laggies
Zeuner: Maximilian Löser, Tante Reuss: Christa Löser
Louise Jaeglé: Ute Lubosch, Clemm: Jürgen Mai
Kuhl: Rainer Müller, Wärter: Kurt Meißner
Arbeiter: Willi Neuenhahn, Postillon: Otto Rosemeier
Gendarm M.: Joachim Pape
Reisender: Albert R. Pasch, Mann: Peter Pauli
Hausdiener: Wolfgang Penz
Becker: Hans-Otto Reintsch
Vater Minnigerode: Dieter Knaup
Pole: Rüdiger Schaar, Torschließer: Erich Schäfer
von Wittgenstein: Frank Schenk
Blonder: Udo Schenk, Berittener: Carlo Schmidt
Caroline Schulz: Christine Schorn
Reisende: Heike Schroetter, Färber: Peter Sodann
Pedell: Hannes Stelzer, Hygienedoktor: Gerd Staiger
Präuninger: Harald Warmbrunn
Dr. Schönlein: Dieter Weise, Guillaume: Lutz Wesolek
Reisender: Karl-Heinz Welzel
Zimmermädchen: Theresia Wider
Dienerin: Helga Ziaja, Älterer: Horst Ziethen
Baader: Walter Ruge, Wirt: Bodo Schmidt
Soldat: Rudolf Woschik, Schuldiener: Emil Fuhrmann
Bauer: Hans-Peter Körner, Marktfrau: Ute Krüger
Schiffsoffizier: Rudolf Schindler
Mutter Minnigerode:Antje Ruge
Kinder: Roland Lomas, Lutz Weiding,
Marko Gierisch, Mathias Arrlt, Mandy Geisendorf
Darstellende
Die Regisseure
Zum Inhalt
Sabine Pohl, Steffen Thomas
Hörer: Konrad Wolf, Hörer: Heiner Carow
Hörer: Kurt Maetzig, Hörer: Günter Reisch
Hörer: Konrad Petzold, Hörer: Gottfried Kolditz
Hörer: Ralf Kirsten, Hörer: János Veiczi
Hörer: Lothar Warneke, Hörer: Roland Oehme
Hörer: Siegfried Kühn, Hörer: Joachim Hasler
Hörer: Hermann Zschoche, Hörerin: Helga Schütz
Hörer: Erwin Stranka, Hörer: Horst E. Brandt
Hörer: Claus Dobberke
Die letzten Jahre des Vormärz-Dichters Georg Büchner. Als er 1833 seine Geliebte in
Straßburg zurückläßt, ahnt er nicht, was ihn in Hessen erwartet: spontane politische Aktionen einerseits und angstvolle Unwissenheit der Massen andererseits. Er schließt sich mit
Gleichgesinnten zusammen, schreibt den »Hessischen Landboten«, muß fliehen. 1837
stirbt er im Alter von 23 Jahren an Typhus.
Leute mit Flügeln
Produktionsland
Filmart
Premierendatum
Produzent
Produktionsleitung
Verleih
Auszeichnungen
Regie
Drehbuch
Dramaturg
Kameraführung
Deutsche Demokratische Republik
Spielfilm (S)
8. Mai1960, Filmtheater Babylon, Berlin
DEFA-Studio für Spielfilme
Siegfried Nürnberger
PROGRESS Film-Verleih
XII. Internationales Filmfestival Karlovy Vary 1960,
Preis für die beste männliche schauspielerische Lei
stung an Erwin Geschonneck.
Konrad Wolf
Regieassistenz: Michael Engelberger, Gitta Nickel,
Werner Beck
Karl Georg Egel, Paul Wiens
Willi Brückner
Hans Heinrich
Kameraassistenz: Manfred Damm
49
Photographie
Bauten
Szenenbild
Kostüm
Masken
Aufnahmeleitung
Außenrequisiteur
Oberbeleuchter
Ton
Schnitt
Musik
Darstellende
Zum Inhalt
Werner Bergmann
Standphotograph: Herbert Kroiss
Spezialaufnahmen: Ernst Kunstmann, Vera Futterlieb
Gerhard Helwig
Ausführung: Hermann Asmus, Gerhard Conradi
Gerhard Helwig
Werner Bergemann, Gerhard Kaddatz
Otto Banse, Liddi Beyer
Hans Joachim Funk, Paul Lasinski, Erwin Rose
Herbert Rother
Werner Teichmann
Günter Witt
Christa Wernicke
Hans-Dieter Hosalla
René: Gert Andreae, Kneipack: Norbert Christian
Mutter Friedrich: Mathilde Danegger
Dr. Klinger: Otto Dierichs, Ines: Rosita Fernandez
Bartuscheck: Erwin Geschonneck
Max: Georg Gudzent, Aljoscha: Albert Hetterle
Angetrunkener Soldat: Erik S. Klein
Dr. Lampert: Wilhelm Koch-Hooge
Betty Bartuscheck: Brigitte Krause
Dr. Dehringer: Franz Kutschera
Friedrich: Fred Mahr, Henne: Hilmar Thate
Braut des Soldaten: Sabine Thalbach
Juri: Jochen Diestelmann, SS-Offizier: Hannjo Hasse
Fritz: Dietrich Körner, Dave: Manfred Krug
Pedro: Willi Neuenhahn
Unteroffizier Meier: Gerhard Vogt
Die Geschichte des Funkers und Kommunisten Ludwig Bartuscheck aus dem Lied der
Matrosen nimmt hier ihre Fortsetzung. Am Ende der Weimarer Republik ist er Mechaniker in
den Sperber-Flugzeugwerken, geachtet von den Arbeitern wie von Generaldirektor Dehringer. Der bietet ihm eine Ausbildung zum Flugzeugkonstrukteur an und Schutz vor den neuen
faschistischen Machthabern, wenn er seiner politischen Überzeugung als Kommunist abschwört. Bartuscheck lehnt ab und geht in die Illegalität. Seine Frau wird verhaftet, Sohn
Henne vom Kollegen Otto Friedrich aufgenommen. Nach langem Widerstandskampf gegen
Naziregime und Krieg wird Ludwig 1944, als französischer Fremdarbeiter getarnt, von der
Roten Armee über Gördeberg, nahe der Sperber-Werke, mit dem Fallschirm abgesetzt. Er
soll die dortige Widerstandsbewegung organisieren, wird aber gefaßt und ins KZ gebracht.
Nach der Befreiung trifft er Henne wieder. Beide wollen das Werk wieder aufbauen, aber erst
gibt es wichtigere Aufgaben im zerstörten Land. Nach Jahren steht auf einem Rollfeld ein
neuer Flugzeugtyp, konstruiert und gebaut in der jungen DDR, zum Probestart bereit.
50
Sonnensucher
2006
Mit diesem Kulturprojekt erfüllt die Rosa-Luxemburg-Stiftung zugleich
einen Bildungsauftrag: Filmkunstwerke bedeutender Regietalente,
Filme mit humanistischem Anliegen, die durchaus Filmgeschichte
geschrieben haben, aus der gegenwärtig in der veröffentlichten
Rezeption aber ausgeblendet sind, sollen besonders für die jüngere
Generation einer Begegnung oder einer Wiederbegegnung mit ihrem
Publikum zugänglich gemacht werden.
Im Jahr 2006 gruppieren sich die gewünschten Filme um das Jubiläum des großen deutschen Filmregisseurs Konrad Wolf. Er studierte
an der Moskauer Filmhochschule, arbeitete danach als Regisseur bei
der DEFA und drehte vor allem anspruchsvolle und kritische Gegenwartsfilme. Seine Kriegserlebnisse beschrieb er später in dem beeindruckenden Film »Ich war neunzehn«. Das Verhältnis zwischen Deutschen und Russen beschäftigte ihn Zeit seines Lebens. Wolf war von
1965 bis 1982 Präsident der Akademie der Künste der DDR.
51
Überblick zu Terminen und Filmen
26. Januar
Sonnensucher
Regie: Konrad Wolf, DEFA, 1957/1958
23. Februar
Lissy
Regie: Konrad Wolf, DEFA, 1956/195
16. März
Genesung
Regie: Konrad Wolf, DEFA, 1955
13. April
Einmal ist keinmal
Regie: Konrad Wolf, DEFA, 1954/1955
18. Mai
Die Zeit die bleibt
Film über Konrad Wolf
Regie: Lew Hohmann,
Drehbuch: Wolfgang Kohlhase
DEFA, 1985
7. September
Der Fall Gleiwitz
Regie: Gerhard Klein, DEFA 1960/61
19. Oktober
Einer trage des anderen Last
Regie: Lothar Warneke, DEFA, 1988
9. November
Die Kraniche ziehen
Regie: Michail Kalatosischwili, Sowjetunion, 1957
14. Dezember
Klarer Himmel
Regie: Grigorij Schuchrai, Sowjetunion 1961
52
Sonnensucher
Produktionsland
Produktionszeit
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Voraufführung
Uraufführung
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Licht
Requisite
Kostüm
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Darstellende
Deutsche Demokratische Republik
1957/1958
Hans-Joachim Schoeppe
Hans-Joachim Funk
20. Juli 1971, SDAG Wismut
27. März 1972
DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
Konrad Wolf
Regieassistenz: Michael Englberger
Assistenzregie: Heinz Thiel
Karl-Georg Egel, Paul Wiens
Willi Brückner
Werner Bergmann
Kameraführung: Hans Heinrich
Kameraassistenz: Manfred Damm
Optische Spezielaeffekte: Ernst Kunstmann
Standfotos: Herbert Kroiss
Karl Schneider
Bauausführung: Alfred Drosdek
Viktor Höhn
Kurt Pentzien
Außenrequisite: Alfred Rehausen
Elli-Charlotte Löffler
Otto Banse
Christa Wernicke
Werner Klein
Joachim Werzlau,
Hans-Dieter Hosalla (»Lieder vom starken Mann«)
Musikausführung: Adolf Fritz Guhl,
Klaus Meissner (Trompetensolo)
Gesang: Lissy Tempelhof
Lotte Lutz: Ulrike Germer
Franz Beier: Günther Simon
Jupp König: Erwin Geschonneck
53
Darstellende
Zum Inhalt
Emmi Jahnke: Hans Bergermann
Tante Jules: Manja Behrens
Sergej Melnikow: Viktor Avdjuško
Günter Hollek: Willi Schrade
Weihrauch: Erich Franz
Josef Stein: Norbert Christian
Hagere Frau: Agnes Kraus
Berta Mattusche: Brigitte Krause
Wenzel: Horst Kube
Wera: Rimma Šorochova
Oberst Fedossjew: Vladimir Emel’janov
sowie: Peter-Paul Goes, Marga Legal, Werner Lierck,
Willi Neuenhahn, Hans Schäffer, Albert Zahn,
Kurt Rust, Bernd Köhler, Hildegard Küthe,
V. J. Minin, Werner Senftleben, Paul Funk,
Ludwig Sachs, Christine Lindemer, Willi Wietfeldt,
Erich von Dahlen, Georg Helge, Hans Schwenke,
Willi Linke, Oswald Foederer, Anneliese Reppel,
Wolfgang Kalweit, Fritz Schlegel, Gertrud Brendler,
Isolde Thümmler, Susanne Vikarski,
Rosemarie Schuldt, Ursula Weiß, Augustin Kovacz,
Gerda Müller, Peinette Voigt, Joachim Gläser,
Hans Sievers
Der Uranbergbau der Wismut AG führt 1950 die verschiedensten Menschen zueinander,
teils sind es zur Arbeit Zwangsverpflichtete, teils Abenteuersuchende. Das Mädchen Lotte
Lutz, das sich früh verwaist in der Nachkriegszeit prostituiert hatte, verliebt sich in den
gutherzigen, aber wenig sensiblen Günter. Die Beziehung endet bald mit einer Enttäuschung für sie. Stattdessen werben der Obersteiger Beier und der sowjetische Ingenieur
Sergej, dessen Frau im Krieg von Deutschen ermordet wurde, um sie. Die beiden Männer
sind Rivalen, müssen sich aber im Interesse der gemeinsamen Aufgabe miteinander arrangieren. Lotte entscheidet sich für Beier, der sie als Frau achtet und ihr Geborgenheit gibt.
Doch spürt sie, daß ihre wahre Liebe Sergej gehört.
54
Lissy
nach dem Roman von F. C. Weißkopf
Produktionsland
Premiere
Produzent
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüm
Maske
Ton
Schnitt
Musik
Darstellende
Deutsche Demokratische Republik
30. Mai 1957, Filmtheater Babylon, Berlin
DEFA-Studio für Spielfilme
Eduard Kubat
Gerhard Freudel, Horst Lockau, Erwin Rose
PROGRESS Film-Verleih
Konrad Wolf
Regieassistenz: Frank Winterstein, Michael Englberger
Alex Wedding, Konrad Wolf
Dr. Hans-Joachim Wallstein
Werner Bergmann
Kameraführung: Hans Heinrich
Kameraassistenz: Günther Sahr
Standphotograph: Rudolf Meisters
Spezialaufnahmen: Ernst Kunstmann
Gerhard Helwig
Ausführung: Hermann Asmus, Horst-Dieter Adam
Außenrequisiteur: Adolf Kilian
Elli-Charlotte Löffler
Otto Banse, Vera Schlawin
Werner Klein
Lena Neumann
Joachim Werzlau
Musikalische Vorlage: J. Petersburski
(Tango »Oh, Donna Clara«, 1930)
Musikausführung: Adolf Fritz Guhl
Liedtexte: Beda
Lissy: Sonja Sutter
Fromeyer: Horst Drinda
Paul Schröder: Hans-Peter Minetti
Kaczmierzik: Kurt Oligmüller
Vater Schröder: Gerhard Bienert
Mutter Schröder: Else Wolz
Max Franke: Raimund Schelcher
Toni Franke: Christa Gottschalk
Sprecherin: Mathilde Danegger
55
Darstellende
Zum Inhalt
Warnke: Horst Friedrich
Frau Kaluweil: Annemone Haase
Direktor Hoppe: Otto Eduard Stübler
Kassierer Gold: Willi Schwabe
Staudinger: Gerd-Michael Henneberg
Frau: Else Korén
Hausmeisterin: Hela Gruel
Hausmeisterin Engelmann: Christiane von Trimbach
Lissys Nachbarin: Käte Alving
Verkäuferin: Edith Klatt
Dr. Danzinger: Georg Feicht
Pauls Freund: Klaus Erforth
Mixer: Walter E. Fuß
Fromeyers Hauswirt: Axel Triebel
Geschäftsführer: Wilhelm Gröhl
Führer der SA-Staffel: Karl-Heinz Weiß
Scharführer: Augustin Kovacz
Polizeioffizier: Hans Waldemar Anders
Junger SA-Mann: Gerhard Rachold
Frankes Nachbar: Erich Nadler
RFB-Mann: Rolf Bergmann
Fromeyers Kollege: Rolf Ripperger
Kellner im »Bierpalast«: Siegfried Weil
Schupo vor Bahnhof: Willi Dehnert
Schupo: Hans Schwenke
Lissys Nachbarin: Marga Haschker
Ober im Gartenlokal: Willi Linke
Rausschmeißer: Erich Braun
1932. Lissy, die Tochter eines sozialdemokratischen Arbeiters und alten Gewerkschaftlers,
will heraus aus dem dumpfen Berliner Hinterhausmilieu. Alfred Fromeyer, gut aussehend,
verspricht ihr eine gesicherte Existenz als Angestellten-Gattin. Aber zu schnell ist das erste
Kind da und Fromeyer verliert seine Stellung. Er lässt sich von Naziparolen verführen und
wird SA-Sturmführer. Auch Lissys Bruder Paul, früher bei der Roten Jungfront, trägt die
SA-Uniform. Paul jedoch wird den Nazis mit seiner kommunistischen Vergangenheit verdächtig und eines Tages hinterrücks erschossen. Dieses Ereignis öffnet Lissy die Augen.
Sie kann nicht länger Fromeyers Frau bleiben.
56
Genesung
nach dem gleichnamigen Hörspiel von Karl-Georg Egel und Paul Wiens
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Auszeichnungen
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüm
Licht
Maske
Schnitt
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Ton
Darstellende
Deutsche Demokratische Republik
1. Februar 1956
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
Filmfestival zur III. Internationalen Messe
Damaskus1956: Bronzemedaille
Konrad Wolf
Regie-Assistenz: Hans-Joachim Kasprzik,
Frank Vogel
Karl Georg Egel und Paul Wiens
Willi Brückner
Werner Bergmann
Kamera-Assistenz: Hans Heinrich
2. Kamera: Peter Sbrzesny
Willy Schiller
Bau-Ausführung: Walter Colani
Elli-Charlotte Löffler
Werner Teichmann
Kurt Jerzynski, Werner Noack
Friedel Welsandt
Joachim Werzlau
Gesang: Adolf Fritz Guhl
Eduard Kubat
Rudolf Kobosil, Gerhard Freudel
Werner Klein
Irene Schorn: Karla Runkehl
Friedel Walter: Wolfgang Kieling
Max Kerster: Wilhelm Koch-Hooge
Ernst Mehling: Wolfgang Langhoff
Prof. Beheim: Eduard von Winterstein
Oberschwester: Erika Dunkelmann
Schwester Hilde: Angela Brunner
Staatsanwalt: Harry Hindemith
Der Bezechte: Erich Franz
Direktor Spulke: Rudolf Fleck
57
Darstellende
Zum Inhalt
Dozent Beseler: Gerry Wolff
Junge Eisenbahnerin: Barbara Adolph
Dr. Müller: Gerd Beinemann
Verwundeter: Manfred Borges
Angestellter i. Einwohnermeldeamt: Hans Fiebrandt
Richterin: Charlotte Küter, Ausrufer: Siegfried Weil
Streifenfeldwebel: Werner Segtrop
Deutscher Schreiber: Kurt Sperling
KV-Feldwebel: Hermann Wagemann
Bibliothekar: Willi Wietfeld
Feldgendarm: Erwin Wittmer
Britischer Sergeant: Rudolf Ulrich
Deutscher Major: Axel Triebel
Athletischer Matrose: Werner Tinius
Junger Fähnrich: Wilhelm Tielmann
in weiteren Rollen: Ellinor Saul, Annemarie Schlaebitz,
Siegfried Puhl, Gerda Müller, Irma Münch,
Erwin Luck, Kurt Jaenecke, Georg Helge,
Hans-Olaf Hanko, Charlotte Haase, Gislea Graupner,
Georg Dücker
Friedel Walter konnte sein Medizinstudium wegen Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht
beenden. In den Wirren der Nachkriegszeit arbeitet er lange unerkannt unter dem
Namen des im Krieg gefallenen Dr. Müller als Arzt. Die Sache fliegt auf, als er im Krankenhaus in der Ehefrau seines Patienten Kerster, eines invaliden Antifaschisten, seine
Freundin Irene aus Kriegszeiten, erkennt. Sie hatte ihn, den damaligen Sanitäter, um Hilfe
für den geflüchteten KZ-Häftling Ernst Mehlin gebeten. Walter Friedel stellt sich der Polizei. Für den Staatsanwalt ist es ein klarer Fall von Hochstapelei. Der Ratsvorsitzende ist
aber jener Mehlin, dem Walter einmal geholfen hatte. Er sieht in Walter ein Opfer der Zeitläufte. Es ergeht ein mildes Urteil. Walter kann nun endlich sein Medizinstudium beenden.
58
Einmal ist keinmal
nach der literarischen Vorlage des gleichnamigen Dramas von Friedrich Wolf
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüm
Licht
Maske
Schnitt
Ton
Beratung
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
Deutsche Demokratische Republik
25. März 1955
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
Konrad Wolf
Regie-Assistenz: Ursula Pohle, Werner Hartmann
Paul Wiens
Karl Georg Egel
Werner Bergmann
2. Kamera: Peter Sbrzesny
Kamera-Assistenz: Hans Heinrich, Roland Dressel
Optische Spezialeffekte: Ernst Kunstmann
Alfred Tolle
Bau-Ausführung: Hans-Jörg Mirr, Jochen Keller
Helga Scherff
Werner Teichmann
DEFA-Fotograf: Herbert Kroiss
Hans Wosnick, Charlotte Stritzke, Paul Albert Lange
Friedel Welsandt
Werner Klein
Dr. Walter Pollatschek, Dr Ursula Voigt-Figuth
Günter Kochan
Alexander Lösche
Fritz Brix
Peter Weselin: Horst Drinda
Anna Hunzele: Brigitte Krause
Edeltanne: Paul Schulz-Wernburg
Elvira: Annemone Haase, Hunzele: Friedrich Gnaß
Düdelit-Düdelat: Georg Niemann
Muhme: Lotte Loebinger
Buhlemann: Hilmar Thate, Fibrament: Fritz Decho
Gack: Horst Gentzen, Gwirz: Edgar Engelmann
Kranz: Erich Brauer, Frau Kranz: Johanna Bucher
Dr. Scherb: Johannes Siegert
Marie Alvert: Inge Huber, Arzt: Johannes Arpe
59
Darstellende
Haushälterin: Gertrud Paulun
Pinco: Norbert Christian
Wadenwärmer: Gustav Müller
Luise: Liska Merbach, Fahrer: Paul Pfingst
Rothaarige Dame: Jutta Beetz
Beerenfrau: Maika Joseph, Beerenfrau: Lotte Meyer
Briefträger: Rolf Bartholsen
Akkordeonsolistin: Jutta Zoff
Zum Inhalt
Eigentlich möchte der Düsseldorfer Musiker und Komponist Peter Weselin einfach nur einen beschaulichen Urlaub bei seinem Onkel im vogtländischen Klingenthal verbringen.
Doch in der Stadt des Instrumentenbaus stehen die jährlichen Musiktage vor der Tür.
Dafür erbittet das Akkordeonwerk von Peter eine große Komposition für das Sinfonieorchester, außerdem soll er auf Bitten der hübschen Anna einen Schlager für ihre Jugendtanzkapelle schreiben – die Ruhe ist also schnell dahin. Dann verliebt sich Peter auch noch
in die anfangs sehr launenhafte Anna. Und in Sachen Liebe gilt es auch Onkel Edeltanne
beizustehen, der ein Auge auf Annas Freundin Elvira geworfen hat.
Die Zeit die bleibt
Ein Film über Konrad Wolf
Produktionsland
Uraufführung
Produzent
Verleih
Auszeichnungen
60
Deutsche Demokratische Republik
im DDR-Fernsehen am 20.Oktober 1985
DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg
(»Gruppe Babelsberg«)
PROGRESS Film-Verleih
»Berlinale« 1980: Kritikerpreis der FIPRESCI,
Preis für die beste weibliche Darstellung;
1. Preis für Drehbuch beim Intern. Filmfestival
Chicago 1980; Nationales Spielfilmfestival
Karl-Marx-Stadt 1980: Preis für Regie, Kamera,
Musik, Szenenbild, Schnitt, Schauspielpreis an
Renate Krößner, für weibliche Nebenrolle an
Heide Kipp, für männliche an Dieter Montag ...
Regie
Drehbuch
Kamera
Schnittassistenz
Mischung
Ton
Produktionsleitung
Produzent
Aufnahmeleitung
Musik
Sprecher
Mitwirkende
Lew Hohmann
Co-Regie: Wolfgang Kohlhaase
Wolfgang Kohlhaase, Lew Hohmann
Mitautorinnen: Christiane Mückenberger,
Regine Sylvester
Redaktionelle Mitarbeit: Gabriele Wojtiniak
Christian Lehmann
Kamera-Assistenz: Herbert Hannapp,
Michael Loewenberg
Heide Hans
Peter Dienst
Eberhard Pfaff
Charlotte Galow
Hans-Joachim Funk, Klaus-Dieter Dörrer
Juri Arewjew, Jürgen Draheim
Günther Fischer
Alexander Lang, Klaus Piontek
Werner Bergmann, Kurt Böwe, Grete Dreibholz,
George Fischer, Victor Fischer, Wieland Förster,
Wladimir Gall, Susan Heuman, Selvia Selvinskaja
K. Tavrisian, Angel Wagenstein, Konrad Wolf
Markus Wolf
61
Der Fall Gleiwitz
Hitler erklärt am 22. August 1939 vor seinen Oberbefehlshabern zum bevorstehenden Kriegsbeginn mit dem Ziel der Vernichtung Polens: »Ich werde propagandistischen Anlaß zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig ob glaubhaft. Der
Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht.«
Diese Methode hat in der Geschichte weiter Schule gemacht bis in die Gegenwart.
Aber nach der Wahrheit muß und wird immer wieder gefragt werden – auch mit
den Mitteln der Kunst.
Autor Günther Rücker, in den 50er Jahren überwiegend mit Dokumentarfilmen
befaßt, hatte die Idee, den von SS und SD fingierten Überfall polnischer Freischärler auf den deutschen Grenzlandsender Gleiwitz am Vorabend des Angriffs zum Gegenstand eines Spielfilms zu machen. Er hatte dafür nicht nur die geheime Vorbereitung und den martialischen Verlauf der Aktion recherchiert, sondern auch die
Biographie ihres Kommandeurs. Er muß sich der Authentizität seiner Nachforschungen sicher gewesen sein, denn er nannte die Filmfigur bei ihrem wahren Namen, Alfred Naujocks, und dokumentierte Stationen seiner Karriere öffentlich noch
einmal 1992 in der Wochenpost.
Nach Bewährung in den Feme-Trupps der Freikorps findet Naujocks Ende der
20er Jahre folgerichtig zur SS. Zwar mißglückt ihm ein Mordkomplott am frühen
Hitler-Kumpan und späteren -Rivalen Gregor Strasser im Prager Exil, doch dessen
Funkingenieur Formis, der aus einem Hotel in Böhmen Strasser-Parolen ins Reich
sendet, entging ihm nicht. »Er tötete Formis, verätzte dessen Gesicht mit Säure,
setzte erst den Toten, dann das Zimmer in Brand, und weil es Winter war und sich die
Löschmannschaft verspätete, brannte das Hotel bis auf die Grundmauern nieder.«
Kein Wunder, daß SD-Chef Heydrich im SS-Sturmbannführer den besten Gewährsmann für den Erfolg der neuen, hoch geheimen »Kommandosache« sah. Und der hat
seine Auftraggeber nicht enttäuscht. Auf sein Konto geht der erste Tote des Zweiten
Weltkriegs, der über 50 Mill. Menschen das Leben kostete. Dank seiner Untat konnte
Hitler am Morgen des Überfalls auf Polen behaupten, nun werde zurückgeschossen.
Mehr muß zum Inhalt des Films nicht gesagt werden. Zur Entstehungsgeschichte und Stilfindung nur so viel: Mit dem authentischen Vorgang jedenfalls
traf Günther Rücker auf das Interesse von Autor Wolfgang Kohlhaase und Regisseur Gerhard Klein. Das war so selbstverständlich nicht. Die zwei hatten zusammen die drei sogenannten Berlin-Filme gemacht: Alarm im Zirkus, Berliner Romanze, Berlin Ecke Schönhauser, allesamt Gegenwartsgeschichten über junge
Leute, die ihren Platz in der geteilten Stadt erst noch finden müssen. Der aktuelle,
realistische Zugriff, den beide am konsequentesten im letzten Streifen praktiziert
hatten, war zwar beim jungen Publikum auf große Zustimmung gestoßen, hatte
aber die Wächter sozialistisch-realistischer Tugenden alarmiert.
62
Alexander Abusch, Erster Stellvertreter des Minister für Kultur, kritisierte auf
der Filmkonferenz 1958 »zu große Konzessionen an die Betrachtungs- und Gestaltungsweise des italienischen Neorealismus.« Das war nun wahrlich keine Ermunterung, der unmittelbaren Gegenwart und dem ungeschönten Leben auf der
Spur zu bleiben. Kohlhaase und Klein aber fürchteten selbst, sie könnten sich in
Thema und Machart wiederholen. Zu dieser Zeit stießen sie im tschechischen
Film Die weiße Taube auf einen extrem anderen stilistischen Impuls, »alles ganz
anders, als wir dachten, daß man es machen muß: auffällig statische Bilder, bemerkbare Schnitte, lang stehende Einstellungen, gebaute, beinahe graphische
Hintergründe. Seitdem denke ich, daß man sich der Wahrheit auf sehr verschiedene Weise nähern kann«, so Wolfgang Kohlhaase zur Erklärung, wie es zu dieser
einmaligen Zusammenarbeit mit Rücker kam.
Als wichtigster Mitgestalter wurde Jan Curik gewonnen, jener Kameramann aus
Prag, der Die weiße Taube fotografiert, für das Szenenbild Gerhard Hellwig, der sich
im Dekorationsbau profiliert hatte. Wer nun für das dokumentarische Sujet eine
schein-dokumentare Stilistik erwartet hatte, mußte überrascht sein. Die nüchterne Dokumentation, die minutiöse Vorgangsbeschreibung als »Anatomie eines Verbrechens«, so Kritiker Fred Gehler, war bis ins Detail vorbedacht und strukturiert. Die
Schwarz-weiß-Fotografie arbeitete mit scharfen Licht-Schatten-Effekten, mit graphischen, schattenrißartigen Wirkungen im Gegenlicht. Akzentuierende Großaufnahmen
kontrastierten mit sorgfältig ausgewählten oder markant gebauten Totalen. Noch bevor die szenische Dokumentation mit der Ermittlung von Peter Weiss und Rolf Hochhuths Stellvertreter die Bühne eroberte, wurde das Genre für die Leinwand erprobt.
Die neue, zunächst befremdliche Form traf nicht nur auf ein unvorbereitetes
Publikum, auch im Studio waren die Urteile kontrovers. Der sachliche Berichtstil,
der sparsame Umgang mit dem erläuternden, kommentierenden Wort schien
selbst unter Kollegen fragwürdig, war man doch gewöhnt, dem Zuschauer vieles
verbal zu verdeutlichen, was ihm Fabel und Szene längst entdeckten. Vor allem
aber der Verzicht auf einen aktiven »positiven Helden« schien manchem geradezu
verdächtig. Eine negative Gestalt als Hauptfigur – da mußte man mit dem Vorwurf des Objektivismus, mangelnder Parteilichkeit, rechnen.
Doch die Abnahme in der Hauptverwaltung Film im Frühsommer 1961 verlief
anerkennend und achtungsvoll. Die Nominierung für das bevorstehende Internationale Filmfestival in Moskau aber wurde Stunden später widerrufen. Die Filmleute sahen ihr Werk dort in der Informationsschau versteckt.
Die Berliner Premiere am 24. August ‘61 schien günstig terminiert. Schließlich
wurde der Mauerbau gerade mit der Gefahr friedensgefährdender Grenzprovokationen begründet. Da erschien eine vernichtende Kritik im Neuen Deutschland
mit dem Vorwurf des Formalismus und führte sogleich zu einem gebremsten
Kinoeinsatz. Doch es sollte noch schlimmer kommen.
Eine Aussprache in der Kulturkommission des Politbüros unter Leitung von
Alfred Kurella beschreibt Günther Rücker so: » Man sagte uns, die SS-Traditions63
verbände würden uns Dankestelegramme senden, der Nazi-Regisseur Veit Harlan
hätte diesen Film nicht besser drehen können. Man warf uns Affereien vor, die
drehende Kamera im Augenblick des Todes scheußlicher Naturalismus.«
Aus dieser Debatte stammt wohl das Kurella zugeschriebene Diktum, die Augenhöhe sei die einzig menschliche Perspektive der sozialistisch-realistischen Kamera. Wolfgang Kohlhaase reflektierte es so: »Kurella fehlte das Positive. Wo ist
der Widerstand? Das war der alte Hut. Völlig unvermutet traf uns der Verdacht,
wir könnten den Faschismus ästhetisiert haben. Der Riefenstahl-Vorwurf. Ich
meine aber, daß der Film eine Gegenposition aufbaut und daß er die kalte Mechanik nicht verklärt, sondern darstellt.«
Über diese Problematik des Films lohnt die Diskussion auch heute noch.Die
Wogen dieser aufgeregten Debatte verebbten glücklicherweise rascher als manche
politischen Entrüstungsstürme danach. Der Film fand im Ausland große Beachtung und erwies über das Fernsehen, selbst später noch einmal im Kino, seine
Qualität. Rücker spricht gar von einer Million Besucher im Laufe der Jahre. Ein
strenger Kritiker und Kulturpolitiker wie Hilmar Hoffmann würdigt den Fall
Gleiwitz in seinem Buch »100 Jahre Film« im Kapitel »DEFA-Regisseure retten
das Ansehen des deutschen Films 1958-1965«.
Zu den Einladungen ins Ausland zählte man 1963 auch eine solche nach Hamburg. Hier der Text der Einladungskarte: »Der Filmclub Hamburg e. V. zeigt in
seiner turnusmäßigen Septemberveranstaltung am Montag, dem 16., 20 Uhr in der
Handelsschule Schlankreye 1 in Hamburger Erstaufführung einen zeitgeschichtlich überaus wichtigen und ungewöhnlichen Film, der ein politisch und historisch
bedeutsames Ereignis schildert: ›Der Fall Gleiwitz‹. Der Leiter dieses Sonderkommandos, Herr Alfred Helmut Naujocks, lebt in Hamburg und hat sich freundlicherweise bereit erklärt, eine kurze Einführung zu geben und in der anschließenden Aussprache über den historischen Ablauf der Aktion zu berichten.«
Und so erinnert sich Günther Rücker: »Der Leiter des Filmclubs freute sich,
uns mitteilen zu können, daß die Veranstaltung ausverkauft sei. Er erklärte das damit, daß die Einladungskarte, die er uns mit einem gewissen Stolz vorlegte, ihre
Wirkung nicht verfehlt habe. Der Herr Naujocks wohne gleich hinter der Reeperbahn und verdiene sein Geld als Vertreter einer Großfirma für Fleischgerät, das
seit der Neueinrichtung der Kasernenküchen der Bundeswehr gut verkaufbar sei,
denn Herr Naujocks hätte ja gute Beziehungen. Der Saal war überfüllt, SS-Traditionsverbände und Fallschirmjäger, kaum Frauen, kaum Jugendliche. Vor dem
Film stieg ein Vertreter der Hamburger Staatsanwaltschaft auf die Bühne und gab
bekannt, daß er den Leiter des Gleiwitzer Sonderkommandos festnehmen werde,
falls er das Wort ergriffe. Als sich nach dem Film Herr Alfred Helmut Naujocks
nicht zu Wort meldete, verließen SS und Fallschirmjäger den Saal.«
So weit Günther Rücker. Andere Gelegenheiten zu Naujocks’ Festnahme muß
es offensichtlich weder vorher noch nachher gegeben haben ...
64
Der Fall Gleiwitz
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Szenenbild/Bauten
Requisite
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Licht
Produktionsleitung
Musik
Darstellende
Deutsche Demokratische Republik
24. August 1961
DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
Gerhard Klein
Regie-Assistenz: Erwin Stranka, Ilse Goydke
Günther Rücker, Wolfgang Kohlhaase
Klaus Wischnewski
Jan Ču řik
Kameraführung: Jan Nemecek
Kameraassistenz: Miloš Sauer, Roland Dressel
Standfotos: Kurt Schütt
Gerhard Helwig
Bauausführung: Hermann Asmus
Herbert Rother
Gerhard Kaddatz
Klaus Becker, Eva Nendel
Evelyn Carow
Peter Sonntag, Karl Tramburg
Hans-Herbert Ikker
Erich Albrecht
Kurt Schwaen
Helmut Naujocks: Hannjo Hasse
Gestapochef Müller: Herwart Grosse
KZ-Häftling: Hilmar Thate
Volksdeutscher Wyczorek: Georg Leopold
Volksdeutscher Kraweit: Wolfgang Kalweit
Volksdeutscher Bieratzki: Rolf Ripperger
Volksdeutscher Sitte: Christoph Beyertt
Volksdeutscher Tutzauer: Rudolf Woschik
Volksdeutscher Kühnel: Manfred Günther
SS-Arzt: Rolf Ludwig
Jüdischer Professor: Friedrich Richter
SS-Mann in Uniform: Günter Naumann
SD-Chef Gleiwitz: Paul-Dolf Neis
SD-Chef Oppeln: Heinz Schröder
65
Darstellende
in weiteren Rollen:
Schloßbesitzerin: Margarete Taudte
Schloßbesitzer: Georg Gudzent
Sendeingenieur: Heinz Isterheil
Leiter der Fechtschule: Heinz Kögel
Bunkerscharführer Z: Martin Angermann
1. SS-Mann in Zivil: Dieter Wallrabe
2. SS-Mann in Zivil: Siegfried Göhler
Achim Wolff, Jochen Diestelmann,
Fritz-Ernst Fechner, Werner Dissel, Hans Bussenius,
Axel Triebel; Kurt Mühlhardt, Horst Giesen
Wolfgang Borkenhagen, Marianne Christina Schilling,
Harry Küster, Horst Friedrich, Harry Neumann
Theresia Wider, Horst Gill, Herbert Manz,
Heinz Behrens, Hubert Hoelzke, Rudolf Seiß,
Johannes Martin, Helga Kühnert, Rotraut Conrad,
Ingrid Barkmann, Karl-Helge Hofstadt,
Walter E. Fuss, Heinz Dhein, Dieter Schindelbauer
Zum Inhalt
Im oberschlesischen Gleiwitz nahe der polnischen Grenze wird von den Nazis in der Nacht
vom 31. August zum 1. September 1939 der Überfall auf den deutschen Rundfunksender
inszeniert, um vor der Weltöffentlichkeit den Überfall auf Polen zu rechtfertigen. Beauftragt damit ist SS-Hauptsturmführer Naujocks. Polnisch sprechende Volksdeutsche aus der
SS-Fechtschule spielen die polnischen Angreifer. Ein deutscher KZ-Häftling, in polnische
Uniform gekleidet, wird erschossen am Sender zurückgelassen.
»Der Fall Gleiwitz« – ein faszinierender DEFA-Film
Rosemarie Rehahn, Wochenpost, Berlin/DDR, 16. 9. 1961
Anderthalb Stunden, 2 500 Filmmeter lang, hätte man eine Stecknadel zu Boden
fallen hören können. So still war es. Eine angespannte Stille, wie man sie selten
im Kino erlebt.
Das spricht für den Film, natürlich. Doch in diesem Falle im gleichen Maße
fürs Publikum. »Der Fall Gleiwitz« verlangt den denkenden, den mitdenkenden
Zuschauer. Daß er ihn findet, mag nicht zuletzt am Zeitpunkt liegen. Mancher hat
in den letzten Wochen angefangen nachzudenken über Wahrheit und Lüge, über
Schein und Sein – über Krieg und Frieden. Ein Film, der nachweist, wie der Weltkrieg Nr. 2 provoziert wurde, findet heute, wo wir an den Grenzen der DDR die
Provokation für Nr. 3 in Schach halten, ein in besonderer Weise aufgeschlossenes
Publikum.
66
Im Herbst 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Programmgemäß. Polnische
Freischärler hatten angeblich den damaligen »Reichssender« Gleiwitz überfallen.
(…)
Die Autoren des Films, Wolfgang Kohlhaase und Günther Rücker, der Regisseur Gerhard Klein entschieden sich dafür, das Ganze um einer höchstmöglichen
Wahrhaftigkeit willen dokumentarisch streng zu erzählen. Der Film legt den Mechanismus bloß, vom ersten Druck auf den Klingelknopf bis zu jenem Toten am
Eingang des Gleiwitzer Senders, der der erste Tote des Zweiten Weltkrieges ist –
der erste von 43 000 000. Eine Anatomie des Völkermordes gewissermaßen. (…)
Der Film ist von selten erlebter künstlerischer Dichte, von einer inneren
Gespanntheit vom ersten bis zum letzten Bild. Wobei man das Wort Bild oder,
genauer, den Namen des tschechoslowakischen Kameramannes – Jan Curik gesperrt drucken muß. Ein Höhepunkt filmischer Gestaltung ist der singende Militärzug, dessen frenetisches »Jowijowidihahaha« in ein unheilvolles Keuchen der
Räder übergeht und schließlich wie Todesröcheln verklingt. Und vor der Bahnschranke das andere Deutschland: Gefesselt, die Augen verbunden, der unbekannte Antifaschist, dessen Name schon auf der Lagerliste in Sachsenhausen ausgelöscht ist, noch, bevor sie sein Leben in Gleiwitz auslöschen werden. Ein
Wittern des Kopfes, die gefesselten Hände ballen sich. Hinter der schwarzen
Augenbinde sieht der Mann, was die Sorglosigkeit, die Bequemlichkeit, die Feigheit im Land ringsumher nicht sehen will: Krieg. Eine erschütternde, kraftvolle
Darstellung von Hilmar Thate, stumm durch den ganzen Film und dennoch ein
Alarmschrei, ähnlich der stummen Kathrin bei Brecht.
Eine schauspielerische Spitzenleistung Hannjo Hasses Naujocks: genau jene
beklemmende Mischung aus blonder Bestie und geltungsbedürftigem Kleinbürger, wie sie z. B. wieder vor den Berliner Sektorengrenzen randaliert. Daneben
Herwart Grosse, ein SS-Oberbonze vom Glitzern des Machtrausches im Auge bis
zur unvollkommen einstudierten Feldherrngeste – Präzisionsarbeit. Geniale Präzisionsarbeit, Energieleistung sondergleichen die Regie Gerhard Kleins, vom winzigen filmischen Detail bis zum Spannungsbogen des Ganzen.
Gemeinsam mit »Professor Mamlock« wurde »Der Fall Gleiwitz« beim Moskauer Festival zu einem glänzenden Sieg unserer Filmkunst. Beide Filmwerke
errangen jetzt bei den Festspielen in Edinburgh einen neuen überragenden Erfolg.
(…)
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Einer trage des anderen Last
Sie sehen heute den Film mit der wohl längsten Werkgeschichte in der 45jährigen
Existenz der DEFA. Zum 20. Jahrestag der DDR 1969 hatten wir mit großem Erfolg Zeit zu leben gestartet. So ermutigt und vom Nationalpreis angespornt, regte
der Weimarer Autor Wolfgang Held an, endlich einmal vom konfliktreichen Miteinander von Christen und Kommunisten in unserem Land zu erzählen. Dabei
hatte ihn ein wenig wohl auch der Welterfolg von Don Camillo und Peppone inspiriert. Nach einem Besuch im katholisch dominierten Eichsfeld schrieb er ein
erstes Exposé über die Beziehung zwischen einem jungen Dorfbürgermeister und
dem gleichaltrigen Pater, über eine Freundschaft, die im gemeinsamen Krankenzimmer eines Tbc-Sanatoriums ihren Anfang nimmt.
Als Dramaturg suchte man möglichst früh einen Regisseur, um dem Autor zeitraubende Umwege und Überarbeitungen zu ersparen. Für die Zusammenarbeit bot
sich Iris Gusner an. Sie war sogleich in beide Figuren verliebt. Nach dem Regiestudium in Moskau hatte sie Konrad Wolf beim Goya-Film assistiert und danach mit
mir ihr Regie-Debüt Die Taube auf dem Dach vorbereitet, der gerade in die Endfertigung ging.
Im ersten Arbeitsgespräch in Weimar schlug sie vor, die Exposition zur Haupthandlung auszubauen, denn Held hatte für die Klinikepisode genug dramatischen
Stoff mit starken tragischen und komischen Möglichkeiten skizziert und wußte sie
als blendender Erzähler im Gespräch glänzend auszuschmücken. Hier fiel die Entscheidung, den Pater durch einen evangelischen Vikar zu ersetzen, dem eher eine jugendgemäße Verlobte erlaubt war. Damit aber endete bereits diese Zusammenarbeit.
Iris Gusners Film-Erstling Die Taube auf dem Dach erblickte das Licht der
Leinwand nicht, wurde vom Studio nicht einmal zur Staatlichen Abnahme vorgeschlagen. Nach so problematischem Start wollte die Leitung die Regiekandidatin
nicht auf die schwierigere Strecke eines bis dahin tabuisierten Themas schicken.
Mit Regisseur Lothar Warneke, der ihr als Mentor hatte zur Seite stehen wollen,
mußten wir erleben, daß Helds Drehbuch in der Hauptverwaltung Film keine Produktionsfreigabe erhielt.
Aber das hatte keine künstlerischen Gründe. Die Kirchenpolitik von Partei und
Staat war ja immer schon ein eigen Ding, vor allem aber raschen Veränderungen
der Linie unterworfen. Deshalb hatten wir noch vor Beginn der Szenarienarbeit
um freundliche Beratung der Meinungsführer gebeten und im Staatssekretariat für
Kirchenfragen große Ermunterung erfahren. Selbst in der Fachabteilung des Zentralkomitees waren einstweilen keine Warnschilder aufgestellt worden. Nun aber
hatte das »Große Haus« am Werderschen Markt den Film-Genossen gleich um die
Ecke in der Otto-Nuschke-Straße, früher und heute wieder Jägerstraße, geraten,
das Projekt zu stoppen. Die lobten zwar den originellen Einfall, aber...
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Nicht das Buch, allein die erwartete oder befürchtete gegenwärtige Wirkung
sei zu heikel und unberechenbar. In der gerade wieder einmal »verschärften ideologischen Auseinandersetzung« gebe es »Prioritäten, atheistische Propaganda«
gehöre nicht dazu, ja, es bestehe die »Gefahr, religiöse Gefühle zu verletzen«. Die
weltanschauliche Situation unter der Jugend spreche dagegen, das real existierende Nebeneinander von Atheismus und Religion öffentlich zur Diskussion zu
stellen.
Das war doch mal eine plausible Begründung für ein Tabu! Ein anderer Gutachter wurde politisch deutlicher. »Der ideologische Gegensatz von Kirche, Religion und uns ist unüberwindbar. Eine Auseinandersetzung zwischen Materialismus und Idealismus findet im Buch nicht statt, statt dessen wird ein politischer
Modus vivendi gepredigt. Unsere gemeinsamen Interessen sind zeitweiliger Natur, die Gegensätze aber absolut und unaufhebbar.« Der Genosse hatte wohl noch
nichts von der Theologie der Befreiung gehört, geschweige denn die Bergpredigt
der Bibel über Frieden und Gerechtigkeit gelesen oder jedenfalls verstanden. Wir
aber wußten nun, was nicht die Kirchen-, wohl aber die Alarmglocken der Partei
geschlagen hatten.
Die mehrstündige Sitzung war so kontrovers und überflüssig wie viele andere.
Auf die erbetene schriftliche Stellungnahme warteten wir im Studio vergeblich.
Erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre konnte man schon mal ungestraft daran
erinnern, daß die sozialistische DDR kein »atheistischer Staat«, sondern der
»Staat aller Bürger« ist oder wenigstens sein sollte. Nach Honeckers Treffen mit
Kirchenführern sprachen wir wieder mehr von Bündnispolitik und die anderen
von der Kirche im Sozialismus.
Im Oktober 1984 schickte mir Wolfgang Held die Kulturseite der Berliner Zeitung. Der Titel: »Verstreute Tagebuchaufzeichnungen zu einer Probe aufs Exempel (aus dem Tbc-Sanatorium Tanneneck/Harz)«. Endlich wurde damit die frühe
Prüfung zweier anscheinend unversöhnlicher junger Patienten auf friedliche Bettnachbarschaft öffentlich gemacht. War das Exempel vielleicht doch noch kinoreif? Nach unseren Erfahrungen war Skepsis geboten und die Suche nach Verbündeten.
Am Ende einer Konsultation zum Thema christlicher Widerstand im Staatssekretriat für Kirchenfragen unter der neuen Leitung von Klaus Gysi erinnerte ich
an unser altes Wunschprojekt. Mein Gesprächspartner Dr. Horst Dohle, Fachmann
für Kirchengeschichte, war sofort brennend interessiert. »Gerade jetzt« sei das
Thema der »Bündnisfähigkeit von Christen und Sozialisten« aktueller denn je.
So ermuntert, schrieb Wolfgang Held einen neuen Entwurf, und der sonst so
wählerische Lothar Warneke war sogleich zur engsten Zusammenarbeit mit dem
Autor entschlossen. Das war ein Glücksfall. Hier paarte sich die Lebenserfahrung
des einstigen Volkspolizeioffiziers Held mit der geistigen Welt des diplomierten
Theologen Warneke, der die Gefühle und Gedanken des jungen Vikars auch in die
richtigen Worte zu fassen verstand.
69
Nun ging die Arbeit zügig voran. Unser Schutzpatron Dr. Dohle erhielt unsere
Konzeption, später das Szenarium zur Begutachtung. Weder gab es Einwände,
noch schienen besondere Ratschläge nötig. Endlich waren wir uns darin einig,
daß beide weltanschaulichen Positionen bei aller Gegensätzlichkeit im Film
gleichberechtigt nebeneinander stehen müssen, daß dieses Thema keinen positiven und keinen negativen Helden verträgt.
Nun stand der Regisseur vor der schwierigen Aufgabe, diese Figuren-Parität
mit sehr jungen Schauspielern künstlerisch überzeugend und emotional nachvollziehbar zu entwickeln und die im Buch vorgeschriebene Balance zwischen Ernst,
Komik und Tragik zu halten. Nach vielen Probeaufnahmen für den Polizisten
Josef Heiliger fiel die Wahl auf Jörg Pose. Der hatte eigentlich Lehrer werden
wollen und fand über das Laienspiel zur Theaterhochschule Leipzig auf die Bühnen von Stralsund und Frankfurt/Oder. Nach seinem erfolgreichen Filmdebüt entschwand er auf den Spuren einer großen Liebe nach Holland. Für den jungen Vikar
fiel die Entscheidung auf Manfred Möck, der im Film dem Christus über seinem
Krankenbett durchaus ähnelt. Der gelernte BMSR-Techniker brauchte kein Abitur, um sein Talent an der Rostocker Schauspielschule zu beweisen. Ihn spürten
wir am Theater in Greifswald auf. Wenigstens ihm konnte man auch nach der
Wende immer einmal in größeren und kleineren Fernsehrollen wieder begegnen,
leider nicht auf der Kinoleinwand. Selbst für die kleineren Rollen gewann der
Regisseur bekannte Berliner Theaterschauspieler: Heinz Dieter Knaup als Chefarzt, Karin Gregorek als Oberin, Doris Thalmer als Altschwester, Johanna Clas als
neugierige Mitpatientin, um nur einige zu nennen.
Der engere Filmstab wurde durch den jungen Kameramann Peter Ziesche komplettiert und den prominentesten Filmszenenbildner des Studios, Alfred Hirschmeier. Er fand das herrliche Außenmotiv für das abseits gelegene schloßähnliche
Sanatorium – unseren Zauberberg – in der Nähe von Neubrandenburg und schuf
einprägsame Innenräume für die Choreographie des Speisesaals oder die dreischiffige Patienten-Mansarde, die unaufdringlich an eine Klosterzelle erinnern
mag.
Diesmal wurde die Staatliche Abnahme in der Hauptverwaltung Film nicht wie
so oft zum Alp- vielmehr zum Wunschtraum der Filmleute. Überschwenglich bedankte sich der Stellvertreter des Kulturministers, Horst Pehnert, für die Arbeit
und versprach die seltene Zahl von 50 Kopien und die fremdsprachige Untertitelung für den Auslandseinsatz.
Die Premiere am 28. Januar 1988 wurde ein wirkliches, nicht nur behauptetes
gesellschaftliches Ereignis. In der ersten Reihe des Kinos International saß Politbüromitglied und Sekretär des ZK Kurt Hager neben Altbischof Albrecht Schönherr. Beim anschließenden kleinen Empfang sah man beide im angeregten Gespräch. Unser Schutzengel im Staatssekretariat für Kirchenfragen hatte seine
guten Beziehungen zu Vertretern der Kirchenleitung und namhaften Theologen
wie Prof. Dr. Heinrich Fink ganz in unserem Sinne genutzt.
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In seinen Erinnerungen schreibt Hager: »Wir waren uns einig, daß diese Verständigung von Kommunisten und Christen notwendig ist im Interesse des Friedens und einer gerechten sozialen Entwicklung.« Daß erst unser Film Anlaß zu
solcher Begegnung und Einsicht bot, spricht leider nicht für den Chefideologen,
dem es noch 1996 wortwörtlich »nicht leicht fällt, einzugestehen, daß die Möglichkeit zur Verständigung und gemeinsamen Lösung der gesellschaftlichen Probleme zu kommen, nicht wahrgenommen wurde.«
Offenkundig gab es in der Parteiführung selbst zu dieser späten Stunde sehr andere Auffassungen zur Bündnispolitik, auch wenn sich das glücklicherweise nicht
in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung zum Film niederschlug. Die
Spannungen zwischen Staat und kirchlich gedeckten Aktivitäten von Umweltaktivisten und Reformkräften waren eskaliert, als die Staatsanwaltschaft im November 1987 gegen die evangelische Zionskirch-Gemeinde vorging und im Januar
Mitglieder von Friedens- und Menschenrechtsgruppen festgenommen wurden,
die am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration »Freiheit für Andersdenkende« forderten. Das alles war kein gutes Omen für einen souveränen Umgang mit unserem Film in der Öffentlichkeit.
Unsere Sorgen waren nur allzu berechtigt. Gegen Ende der DDR sah sich ZKAbteilungsleiter Eberhard Fensch gemeinsam mit Fernsehchef Heinz Adameck
den Haßtiraden seines Vorgesetzten, Politbüromitglied und ZK-Sekretär für Agitation Joachim Hermann, ausgeliefert, der die für den 7. Oktober 1989 vorgesehene Ausstrahlung des DEFA-Films Einer trage des anderen Last als konterrevolutionär empfand. Daß der Film nicht schon nach einem Jahr, wie üblich, im
Fernsehen gelaufen war, hatte uns bereits stutzig gemacht.
Die Einladung unseres Films in den Wettbewerb der Westberliner Internationalen Filmfestspiele erfüllte uns mit großem Stolz und gewisser Sorge zugleich.
Und richtig, am Tag der Aufführung verteilte eine »Initiative Freiheit für Andersdenkende« vor dem Zoo-Palast ein Flugblatt mit dem moderaten Wunsch, »daß in
der DDR die Freiheit der Kunst, der Wissenschaft und des öffentlichen Lebens
zur Selbstverständlichkeit wird« und mit der Anklage, daß »die DDR-Organe kritische Künstler und für Frieden, Umweltschutz und Menschenrechte Engagierte
diskriminiert, verhaftet und zum Teil in den Westen abgeschoben hat.« Der Appell
richte sich nicht, so wurde beteuert, gegen unseren Film. Festivalchef Moritz de
Hadeln schien sich da nicht so sicher. Er bat die DDR-Delegation zum Gespräch,
bat um Verständnis für die hier übliche Form der Meinungsäußerung und versicherte, Vorsorge zu treffen, daß die Aufführung im ausverkauften großen Saal ungestört verlaufen werde. Und so war es auch.
Doch wie würde das Publikum auf ganz bestimmte Szenen reagieren, die nicht
ins Bild der hier verbreiteten Meinung paßten? Herzklopfen also beim DDR-Bürger gleich am Anfang des Films mit den dokumentar stilisierten Aufnahmen vom
Tod eines DDR-Grenzpolizisten, den eine Kugel aus dem Westen traf. Nicht einmal an dieser Stelle gab es Unmutsbekundungen im Saal. Großes Gelächter be71
gleitete auch hier den Sängerkrieg der Streithähne, wenn bei morgendlicher Rasur
der eine die Völker zum letzten Gefecht – erst summend, dann schmetternd – aufruft und der andere ihn zu übertönen sucht: »Ein feste Burg ist unser Gott, ein
gute Wehr und Waffen.« Auch andere Reaktionen unterschieden sich kaum von
denen in der Heimat – 1 000 m Luftlinie vom Zoo-Palast entfernt.
Der lebhafte Beifall am Ende war sicherlich nicht ungeteilt, für die beiden
Hauptdarsteller aber mehr als nur freundlich. Die Jury verlieh unseren Filmdebütanten ex aequo den Silbernen Bären für die beste Schauspielerleistung, und so
wurden sie bei der Preisverleihung noch einmal groß gefeiert.
Allein die Fach-Jury des 5. Internationalen Filmfestivals in Karl-Marx-Stadt
war da kritischer und würdigte die Arbeit nur mit einem Trostpreis: Für die beste
Nebenrolle wurde Karin Gregorek geehrt. Dafür zeichnete die Publikumsjury
Lothar Warneke mit dem Großen Steiger für den »wirkungsvollsten Film« aus.
Die Jury der Filmklubs verlieh ihm ihren Findling, einen schön geschliffenen Naturstein. Eine Leserumfrage des Filmspiegel und die ausländischen Gäste des
Festivals setzten unseren Film auf den ersten Platz. Wenn dem Film auch letzte
Nationalpreisehre versagt blieb, die Gewerkschaft bedankte sich beim Kollektiv
mit dem FDGB-Kunstpreis.
Seltener Glücksfall, daß eine Filmidee über fünfzehn Jahre ihre Frische bewahrte und damit noch einmal ihren Wert beweisen konnte. Doch da war es für
solche Ideen eigentlich schon wieder zu spät ... Lothar Warneke hat nach Wende
und Beitritt keinen Spielfilm mehr drehen können. Er starb nach schwerer Krankheit 2005 mit noch nicht einmal siebzig Jahren.
Einer trage des anderen Last
Produktionsland
Produktionsfirma
Erstverleih
Uraufführung
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Regie / Drehbuch
Szenarium
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DDR, 1987/1988
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
(Künstlerische Arbeitsgruppe »Babelsberg«)
Progreß-Filmverleih, Berlin
28. Januar 1988, Berlin Kino International
Horst Hartwig
Wolfgang Lange, Dietmar Steinkühler
Lothar Warneke
Regieassistenz: Doris Borkmann
Wolfgang Held
Dramaturgie
Kamera
Licht
Bauten
Requisite
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Darstellende
Zum Inhalt
Dieter Wolf
Peter Ziesche
Kamera-Assistenz: Frank Bredow
Standfotos: Norbert Kuhröber
Horst Bochow (Komplexbrigade)
Alfred Hirschmeier
Bauausführung: Gisela Schultze, Siegfried Stallner,
Dieter Tillak
Georg Wüstenberg
Christiane Dorst
Frank May, Franziska Berger
Erika Lehmphuhl
Klaus Tolstorf
Mischung: Gerhard Ribbeck
Günter Fischer
Josef Heiliger: Jörg Pose
Hubertus Koschenz: Manfred Möck
Oberschwester Walburga: Karin Gregorek
Dr. Stülpmann: Hans-Dieter Knaup
Sonja Kubanek: Susanne Lüning
Frau Grottenbast: Johanna Glas
Schwester Inka: Doris Thalmer, Sibius: Hermann
Stövesand, Truvelknecht: Peter Hölzel
Dr. Sabrocki: Gert Gütschow
Heiligers Mutter: Monika Lennartz
Jochen: Hans-Jochen Röhrig
Sittichs Freundin: Ute Lubosch
Sittich: Wilfried Pucher, Alte Dame: Ellis Heiden
Truvelknechts Tischdame: Sina Fiedler
Hubertus’ Braut: Annett Kruschke
Alte Dame: Ellis Heiden, Älterer Genosse: Detlef
Witte; Genosse: Klaus Tilsner, Genosse: Uwe Karpa
Musikant: Norbert Lange, Stephan Baumecker,
Alexander Höchst, Marc Hetterle, Matthias Wien
Ein privates Lungensanatorium um 1950 in der DDR. Ein junger Volkspolizist und ein junger Vikar teilen sich ein Krankenzimmer. Der eine trällert seine Kampflieder und liest im
Kommunistischen Manifest, der andere bereitet sich laut auf eine Predigt vor. Über den
Betten hängen Stalinbild bzw. Christus mit der Dornenkrone. Die vielen kontroversen Diskussionen fördern schließlich viel gemeinsames humanistisches Gedankengut zutage.
Josef, dem Polizisten, geht es immer schlechter, die Medikamente schlagen nicht an.
Hubert hingegen erholt sich zusehends. Er verzichtet für Josef auf die über die Kirche
besorgten wirksameren Medikamente aus dem Westen.
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Die Kraniche ziehen
Um heute die künstlerische Bedeutung des Films richtig zu würdigen, muß an den
historischen Hintergrund erinnert werden, vor dem er 1956/57 entstand. Zu allen
Zeiten berief sich die Partei auf Lenins Diktum von der »Filmkunst als der wichtigsten der Künste« – allein wegen der möglichen Massenwirksamkeit bewegter
Bilder. Nun hatte sich Stalin höchstpersönlich, man mag es kaum glauben, schon
seit langem das letzte Urteil über alle Drehbücher von politischem Belang vorbehalten. So auch im Fall der beiden Filme über Lenin von Michail Romm. Der
Regisseur wußte von handschriftlichen Anmerkungen des obersten Zensors im
Script zu berichten. Stalin hatte u.a. auch seinen Rollennamen im Drehbuch durch
das kleine Adjektiv »der große« ergänzt.
Solche Erfahrungen und die letzte parteiamtliche Warnung am Beginn der 50er
Jahre vor »Krittelei und Schwarzmalerei der sozialistischen Wirklichkeit« in der
Kunst und die ihr folgende Konfliktlosigkeit führten zum qualitativen und quantitativen Kollaps auch der Kinematographie. 1951 kamen gerade mal sechs Neuproduktionen in die sowjetischen Kinos.
1953 starb Stalin. Doch es dauerte noch drei Jahre, bis der neue Erste Sekretär
des ZK der KPdSU, Nikita Chruschtschow, auf dem XX. Parteitag 1956 mit seinem Referat in nicht-öffentlicher Sitzung »Über den Personenkult und seine Folgen« die Stalin-Ära auch politisch beendete. Zwar war die Produktion inzwischen
sprunghaft auf etwa 100 Spielfilme im Jahr gewachsen, doch der große künstlerische Durchbruch stand mit dem Jahr 1957 erst noch bevor. Die Kraniche ziehen
wirkte dafür wie ein Signal. Und das wurde in der westlichen Hemisphäre schneller verstanden, als es manchen Funktionären im Sowjetlande und nicht nur dort
lieb war.
Im Mai 1958 erhielt der Film in Cannes den Grand Prix, die Goldene Palme,
und gleich noch zwei Sonderdiplome – für die Kameraarbeit von Sergej Urussewski und für Tatjana Samoilowa in der weiblichen Hauptrolle.
Nach einer langen Periode der Leinwand-Heroisierung des Großen Vaterländischen Krieges wurde dieser Film einer der besten. Er kreierte zugleich international eine neue Art von Anti-Kriegsfilm und darf diesen Rang bis heute behaupten.
Es fehlten die bekannten großen Schlachten-Panoramen mit ihren namenlosen
Opfern, vor allem der anderen Seite. Der Krieg diente nicht mehr der Glorifizierung massenhafter Bewährung oder übermenschlich heldenhafter Einzelkämpfer,
sondern erschien in seinem zerstörerischen Einfluß auf das Leben und die Geschicke einfacher Menschen. Das tragische individuelle Schicksal rückte ins Zentrum der Bilderzählung.
Der Krieg beendet abrupt die glückliche Jugend des Mädchens Veronika, als
der geliebte Boris freiwillig an die Front geht. »Und ich? Was wird aus mir?«
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fragt sie und bleibt verlassen zurück. Als er, tödlich verwundet, im Birkenwald die
Herrschaft über seinen Körper verliert, erscheint ihm das schöne Trugbild seiner
erträumten Hochzeit mit Veronika, die er nicht mehr erleben wird. Sie aber, bald
schon elternlos, erliegt der Werbung des Bruders ihres verschollenen Freundes.
Sie heiratet Mark, wird aber mit ihm nicht glücklich. Sie glaubt die Nachricht
vom Tod des Freundes nicht – bis zum Tag des Sieges, den sie einsam inmitten
glückstrahlender Menschen erlebt.
Die Fabel, aufs Banale verkürzt, hätte auch das alte Schema mit positivem und
negativem Helden-Typus bedienen können. In der zweibändigen Kurzen Geschichte des sowjetischen Kinos wurde zu Beginn der 70er Jahre die Figur des
Mädchens noch oder schon wieder ganz im Stil der alten ästhetischen Dogmatik
als »schwach« und »egoistisch« gedeutet. Ihre ratlose Frage beim Abschied:
»Was wird aus mir?« wird als »Verrat an den Idealen« interpretiert, »für die Boris
lebt«. Tatjana Samoilowa aber hätte in dieser Rolle keine so weltweite starke
emotionale Wirkung entfalten können, hätte sie die Gestalt nicht anrührend hilflos, sondern distanziert und schuldbeladen als Verräterin am Geliebten charakterisiert. Mit dieser, ihrer zweiten Hauptrolle spielte sich die 23jährige in die erste
Reihe der sowjetischen Darstellerinnen.
Als der Film 1958 in die Kinos der DDR kam, bildeten sich zum ersten Mal
nach vielen Jahren wieder Schlangen vor den Kinokassen. Und das für einen Russenfilm, der beim breiten Publikum nach den ersten großen Filmentdeckungen im
Nachkriegsjahrfünft keinen guten Ruf mehr hatte.
Während der Arbeit am Film Sonnensucher 1957/58 berief sich Konrad Wolf in
der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen auch auf das sowjetische
Beispiel Die Kraniche ziehen. Doch die DDR-Kulturpolitik war gerade jetzt mit
dem Kampf gegen verschiedene »revisionistische Abweichungen« befaßt, wie sie
schon in Polen und vor allem in Ungarn beargwöhnte und nun also auch vom
»Großen Bruder«. Sonnensucher landete für zweieinhalb Jahrzehnte im Keller. Als
Wolfs nächster Film Leute mit Flügeln die Kontinuität und Konsequenz einer kommunistischen Antifa-Biographie ausgerechnet am Beispiel der bald darauf eingestellten DDR-Flugzeugindustrie exemplifizierte, geriet er im Diskussions-forum der
Freien Tribüne des Filmfestivals von Karlovy Vary 1960 in eine aussichtslose Position. Sein DEFA-Film wurde den neuen sowjetischen Werken Die Kraniche ziehen,
Ein Menschenschicksal, Ballade vom Soldaten gnadenlos gegenübergestellt, ja, gegen seine eigenen Arbeit, Sterne (1958/59), ausgespielt. Wolf blieb nur die Flucht
nach vorn: »Daß die Filme der Richtung Die Kraniche ziehen mit Recht die großen
Erfolgsfilme sind, verpflichtet uns geradezu, auch Filme des unmittelbaren revolutionär-historischen Themas und des Gegenwartsthemas mit derselben, wenn nicht
gar mit noch größerer künstlerischer Überzeugungskraft zu meistern.« (Chefdramaturg Klaus Wischnewski, DEFA-Blende vom 4. 10. 1960)
Ein Jahr später präsentierte Wolf seinen Film Professor Mamlock auf dem
Moskauer Festival und kam auf die neue Orientierung zurück, die die sozialisti75
sche Filmkunst, »beginnend mit Die Kraniche ziehen, erfahren hat. Der Mensch
rückt in den Mittelpunkt mit einer enormen Wucht der künstlerischen Gestaltung.« (Sonntag, 23. 7. 1961)
Wer aber war jener Michail Kalatosow, der diese Entwicklung so beispielgebend in Gang gesetzt hatte? Da trat kein Jungfilmer auf den Plan, wie man das aus
manch einer anderen Neuen Welle kannte, vielmehr ein gestandener Profi, Jahrgang 1903, dessen wenig aufsehenerregendes Debüt bereits zweieinhalb Jahrzehnte zurücklag.
In Grusinien hatte er 1930 Das Salz von Swanetien produziert. Bekannt aber
wurde er mit seinem Film über den legendären Helden der frühen sowjetischen
Luftfahrt, Waleri Tschkalow, der im 64-Stunden-Erst- und Non-Stop-Flug über
den Nordpol Berühmtheit gewann und bei seiner Rückkehr nach Moskau massenhafte Begeisterung auslöste. Im Jahr 1940 durfte freilich die obligate Stalin-Szene
nicht fehlen. Der große Führer war schließlich nicht nur der erste Gratulant des
Rekordhalters, sondern selbstverständlich auch der eigentliche Inspirator aller sowjetischen Erfolge und Großtaten ...
1943 brachte Kalatosow gemeinsam mit Sergej Gerassimow Die Unbesiegbaren auf die Leinwand. Der Spielfilm war eher ein bestaunenswerter Bericht über
das aufopferungsvolle Ringen der Arbeiter einer Leningrader Panzerfabrik um
termingerechte Waffenlieferung für die gefährdete Front. Die Handlung spielte
nicht nur während der Blockade, das Team drehte sie auch unter den tödlichen
Bedingungen der fast vollständigen Abtrennung der Millionenstadt vom Hinterland. Die Endfertigung mußte dann in den ausgelagerten Produktionsstätten von
Taschkent und Alma-Ata erfolgen.
Mit dem Titel Verschwörung der Verdammten zollte Kalatosow 1950 seinen
Tribut dem eskalierenden Kalten Krieg der Supermächte und wurde dafür mit
dem Stalin-Preis belohnt. Das Propagandastück handelte von US-imperialistischen Machenschaften in den volksdemokratischen Ländern ČSR, Rumänien, Polen und Ungarn. Als negative Helden figurieren neben US-Botschaftern Mitglieder des Klerus und reaktionärer politischer Parteien. Doch die Anschläge auf
Führer demokratischer Gruppierungen mißlingen. Das gute Filmende wurde von
einem sowjetischen Lebensmitteltransport in ein ausgedachtes Freundesland gekrönt.
1953/54 aber nahm Kalatosow Abschied vom politischen Thema und verließ
die lang gepflegte Typologie des sozialistischen Realismus. Ein Jahr nach Stalins
Tod präsentierte er im Genre einer leisen Komödie eine Reise mit Hindernissen
über drei alte Freunde, die einen gemeinsamen Urlaub unternehmen planen. Zwei
von ihnen, ein Chirurg und ein Tierzüchter, wollen noch einmal ihrer Jugendromantik frönen. Nur mit einem Trick locken sie den dritten auf ein primitives
Floß, denn der, Architekt und Akademiemitglied, ist an Komfort und Repräsentation gewöhnt. Das urwüchsige Erlebnis der Natur in der Gesellschaft seiner lebenslustigen, realitätsnahen Freunde und die ernüchternde Begegnung mit seinem
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alter ego, einem bürokratischen Bauleiter, werden zum Impuls der Selbstbesinnung. Zum ersten Mal bestimmten nicht politische Parolen ein Gegenwartssujet,
traten differenzierte Charakterstudien an die Stelle sozialer Klischees. Auf dem
Festival in Karlovy Vary 1954 bekam der Film den Großen Preis aus geschliffenem Karlsbader Kristallglas.
Drei Jahre später kam der Welterfolg Die Kraniche ziehen, auch dank einer erneuerten Filmsprache, die auf Rhetorik und sujetfremde Dialoge und Kommentare verzichtete. Regie- und Kameraarbeit waren nicht voneinander zu trennen.
Die auf die Psychologie der Charaktere konzentrierte Führung der Schauspieler
durch Kalatosow wurde vom Kameramann Sergej Urussewskis phantasievollen
und einprägsam unterstützt.
Urussewski hatte bereits mit Altmeistern wie Mark Donskoi, Wsewolod Pudowkin und Juli Raisman gearbeitet und Kalatosow 1955 auch beim weniger glücklichen Ausflug in die Thematik der von Chruschtschow inspirierten Neulandgewinnung begleitet: Der erste Zug. Doch seine größte künstlerische Ausdruckskraft
gewann er erst mit den Kranichen. Nun sprach man wieder von der entfesselten
Kamera, sah man Stilmittel, die der Formalismus-Kampagne des Parteiideologen
Andrej Shdanow geopfert worden waren.
Im Rückblick auf 100 Jahre Film schrieb Hilmar Hoffmann vom »visuell furiosen Requiem auf den sterbenden Boris«. Kurt Maetzig war tief beeindruckt von
der »Bildmontage mit jagenden Einstellungen, kurzen Schnitten und starken Bildkontrasten.« Von ihm wissen wir, daß die hier erreichte Perfektion nicht zuletzt
großzügigen ökonomischen und technischen Produktionsbedingungen und einem
ganzen Jahr Drehzeit zu danken war.
So mag Maetzig auch mit seiner frühen Empfehlung aus dem DEFA-Augenzeugen zur Wiederbegegnung mit diesem Film einladen: »Sie sehen selbst, sie
hören selbst, urteilen sie selbst!«
Die Kraniche ziehen
Produktionsland
Premierendaten
UdSSR
1957
Produzent
Mosfilm, UdSSR, Moskau
Verleih
PROGRESS Film-Verleih
Produktionsleitung
Regie
Igor Wakar
Michail Kalatosow
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Drehbuch
Kamera
Schnitt
Musik
Deutsche Bearbeitung
Dialog der deutschen Fassung
Regie
Schnitt
Ton
Darstellende
Zum Inhalt
Wiktor Rossow
Sergei Urussewski
Marija Timofejowa
Moissei Wainberg
VEB DEFA-Studio für Synchronisation
Wito Eichel
Helmut Brandis
Hildegard Gierke
Max Galinski, Fritz Klenke
Weronika: Tatjana Samoilowa (Eva-Maria Hagen)
Boris Borosdin: Alexei Batalow (Horst Schön)
Fjodor I. Borosdin: Wasili Merkurjew (Hans Wehrl)
Mark Borosdin: Alexander Schworin (Reinhard Brandt)
Irina Borosdina: Swetlana Charitonowa
(E. M.-Fürstenau)
Stepan: Walentin Subkow
(Helmut Müller-Lankow)
Wolodja: Konstantin Nikitin (Manfred Borges)
Großmutter Warwarowa: Antonina Bogdanowa
(Maria Hofen)
Tschernow: Boris Kokowkin
(Karl Eugen Lehnkering)
Anna Michailowa: Jewgenja Kuprjanowa
(Marga Legal)
Satschkow: Leonid Knjasew
Ingenieur: Georgi Kulikow
Weronikas Mutter: Galina Stepanowa
Weronikas Vater: Georgi Schamschurin
Antonina Monastyrskaja: Irina Preis
Boris und Weronika sind ein Liebespaar, sie läßt sich von ihm »Eichhörnchen« nennen und
die beiden beobachten den Zug der Kraniche über der Stadt 1941. Nach dem Ausbruch des
Krieges meldet sich Boris freiwillig zur Front und wird am Tag vor Weronikas Geburtstag
eingezogen. Ihr gelingt es nicht, sich von ihm zu verabschieden, und Boris kann ihr nur
sein Geburtstagsgeschenk, ein Spielzeug-Eichhörnchen, hinterlassen. Sein Bruder Mark,
der Pianist, war schon immer in Weronika verliebt und nutzt die Abwesenheit von Boris,
um Weronika während eines Bombenangriffs zu verführen. Sie willigt ein, ihn zu heiraten.
Währenddessen fällt Boris an der Front, nachdem er seinen verwundeten Kameraden
Wolodja gerettet hat. Weronika erfährt aber nichts von seinem Tod und hält ihn weiterhin
für vermißt. Erst als Weronika bei der Siegesparade nach dem Krieg Boris’ Freund und
Frontkameraden Stepan wiedertrifft, kann sie Boris’ Tod akzeptieren. Die für Boris mitgebrachten Blumen verteilt sie an zurückgekehrte Soldaten.
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Leuchte, mein Stern, leuchte
Originaltitel: Gori, gori, moja zvesda
Produktionsland
DDR-Erstaufführung
BRD-Erstaufführung
BRD-Kinostart
Produzent
Regie
Buch
Kamera
Schnitt
Musik
Darstellende
Deutsche Sprecher
Dialog der deutschen Fassung
Regie
Schnitt
Ton
Deutsche Produktion
UdSSR / Premiere 1969
4. Februar 1972
als Erstausstrahlung: 12. September 1975, ARD
18. Januar 2001
Mosfilm
Alexander Mitta
Juli Dunski, Valerij Frid, Alexander Mitta
Juij Sokol, A. Senjan
N. Vesselowskaja
Boris Tschaikowski
Iskremas: Oleg Tabakow
Fjodor (Fedja): Oleg Jefremow
Filmvorführer Pascha: Jewgenij Leonow
Bauernmädchen Kryssja: Jelena Proklowa
sowie: Leonid Djatschkow, Leonid Kurawljow,
Wladimir Naumow
Cornelia Schlottke, Erhard Köster, Rolf Römer,
Horst Manz, Brigitte Lindenberg
Wolfgang Woizik
Margot Seltmann
Brigitte Hein
H. U. Amtsmann, F. Klenke
DEFA Studio für Synchronisation
Zum Inhalt
1920, drei Jahre nach der Oktoberrevolution und mitten im Bürgerkrieg, zieht der Komödiant Wolodja von Dorf zu Dorf. Seine Liebe gilt dem Theater und der Revolution, weshalb
er sich den Künstlernamen Iskremas zugelegt hat – eine Abkürzung von iskustwo revoluzii
massam (die Kunst der Revolution den Massen). Seine Wanderbühne ist ein einfacher Pferdekarren, von dem herunter er Shakespeare unter das Volk bringen will, um es so für die
Revolution zu begeistern und zu gewinnen. In einem Städtchen haben – wechselnd – Rotgardisten, Weißgardisten oder anarchistische Banditen die Macht… Iskremas, der Maler
Fedja und der unter jedem Regime aufs Geschäft bedachte Filmvorführer sowie das Bauernmädchen Kryssja sind die Protagonisten dieser Tragikomödie.
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2007
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Überblick zu Terminen und Filmen
4. Januar
22. Februar
29. März
26. April
24. Mai
14. Juni
5. Juli
30. August
20. September
25. Oktober
29. November
13. Dezember
17. Januar 2008
Abschied
Regie: Egon Günther, DEFA, 1967/68
Wenn Du groß bist, lieber Adam
Regie: Egon Günther, DEFA 1965
Der Dritte
Regie: Egon Günther, DEFA, 1971
Lotte in Weimar
Regie: Egon Günther, DEFA 1974/75
anschließend Filmgespräch in Anwesenheit
von Egon Günther
Stein
Regie: Egon Günther, DEFA 1990/91
Die Braut
Regie: Egon Günther, 1998/99
Junges Gemüse
Regie: Günter Reisch, DEFA 1955/56
Unterwegs zu Lenin
Regie: Günter Reisch, DEFA 1969/70
Anton, der Zauberer
Drehbuch, Regie: Günter Reisch, DEFA 1977/78
Ein Lord am Alexanderplatz
Regie: Günter Reisch, DEFA 1966/67
Die Verlobte
Drehbuch, Szenarium, Regie:
Günter Reisch/Günther Rücker, DEFA 1979/80
Ach, du fröhliche
Regie: Günter Reisch, DEFA 1961/62
anschließend Filmgespräch in Anwesenheit
von Günter Reisch
Wolz. Leben und Verklärung
eines deutschen Anarchisten
Regie: Günter Reisch, DEFA 1973
Zeit und Ort:
jeweils 18 Uhr, Franz-Mehring-Platz 1,
10243 Berlin, Konferenzsaal 1. Etage
Teilnahmegebühr: 4/2 Euro
Zu den Filmen geben DEFA-Angehörige/an den Filmen Beteiligte
jeweils kurze Einführungen, zu einigen Filmen wird es im Anschluss
eine Filmdiskussion mit den Regisseuren und Mitwirkenden geben.
82
Egon Günther – Biographie und Filmographie
Egon Günther wird am 30. März 1927 in Schneeberg (Erzgebirge) als Sohn eines
Arbeiters geboren. Er erlernt das Schlosserhandwerk und arbeitet anschließend
als technischer Zeichner in einem Konstruktionsbüro für Maschinenbau. 1944/45
ist er kurze Zeit Soldat, gerät in Holland in Kriegsgefangenschaft, aus der er entflieht. Nach einem Neulehrerkursus studiert er 1948 – 51 an der Karl-Marx-Universität Leipzig Pädagogik, Germanistik und Philosophie (u. a. bei Ernst Bloch).
Er arbeitet zunächst als Lehrer, dann als Verlagslektor in Halle/Saale. Er veröffentlicht Gedichte (Die Zukunft sitzt am Tisch; 1955), zwei Romane (Flandrisches
Finale, 1955; Der kretische Krieg, 1957) und eine Erzählung (Dem Erdboden
gleich, 1958), ehe er 1958 als Dramaturg und Drehbuchautor an das DEFA-Studio
für Spielfilme nach Potsdam-Babelsberg geht.
Der Literatur bleibt Günther auch weiterhin treu. 1971 erscheint sein Roman
»Rückkehr aus großer Entfernung« – ein Eichmann-Stoff: die Jagd eines ehemaligen KZ-Häftlings nach einem Kriegsverbrecher. (Der authentische Fall Eichmann
tauchte bereits als Motiv in seinem Roman »Die schwarze Limousine« auf, nach
dem er das Drehbuch zu dem Film »Jetzt und in der Stunde meines Todes« verfaßte.) Der Roman »Einmal Karthago und zurück« (1974) spielt, stark autobiografisch beeinflußt, im Filmmilieu der DDR und blendet auch zurück in die Vergangenheit der Hauptfigur, des Regisseurs Ernst Waldenburg. Der Roman »Reitschule«
(1981) reflektiert ebenfalls eigene, in diesem Fall familiäre, Erfahrungen: Es ist die
Geschichte eines behinderten Mädchens. »Meinen Büchern merkt man an, daß der
Autor Filme macht; und in meine Filme versuche ich Stilmittel zu übernehmen, die
der Roman hervorgebracht hat.« (Günther, 1976).
1964/65 beginnt er mit Lots Weib, seine Drehbücher, die oft nach Szenarien
seiner damaligen Frau Helga Schütz entstehen, selbst zu inszenieren. Sein zweiter
Film Wenn du groß bist, lieber Adam wird in Folge des 11. Plenums des ZK der
SED nicht aufgeführt. Er dreht neben Gegenwartsstoffen (Anlauf, Der Dritte, Die
Schlüssel) für das Kino oder Fernsehen eine Reihe von Literaturverfilmungen
(nach Johannes R. Becher und Arnold Zweig), die die Zeit um den Ersten Weltkrieg reflektieren. Mitte der 1970er Jahre beginnt eine Art Zyklus, der sich um die
Person J. W. Goethes dreht (Lotte in Weimar nach Thomas Mann; Die Leiden des
jungen Werthers; der Dokumentarfilm Weimar, du Wunderbare; das Fernsehspiel
Euch darf ich’s wohl gestehen).
Trotz des internationalen Erfolgs seines Films Der Dritte, erlebt Günther einen
Rückschlag mit Die Schlüssel: Der Film ist beim Publikum ein Mißerfolg und
darf, nach Protest polnischer Stellen, außerhalb der DDR nicht gezeigt werden.
Die darauf folgende Beschäftigung mit Literaturverfilmungen bedeutet für ihn
eine Art formalen Rückzugs, wie er aus Anlaß der Leiden des jungen Werthers be83
tont: »Zwar stand mein Sinn wirklich mehr nach einem Gegenwartsfilm, aber es
ist für mich im Moment etwas schwierig, meine Vorstellungen von einem Gegenwartsfilm zu realisieren. Deshalb konnte mich dieser interessante historische Stoff
ganz gefangennehmen«. (Sonntag, Nr. 34, 1976).
Im Sommer 1977 tritt Günther aus dem Verband der Film- und Fernsehschaffenden der DDR aus, dessen Präsidium er angehörte. Nach ersten Fernseharbeiten
im Westen (Ursula als TV-Co-Produktion Schweiz/DDR; Weimar, du Wunderbare
für den Saarländischen Rundfunk) dreht Günther seit Ende der 1970er Jahre ausschließlich im Westen, so 1979/80 die 7-teilige TV-Reihe Exil, nach dem Roman
von Lion Feuchtwanger, mit dem er historisch an seine Zweig-Filme anknüpft.
1983 entsteht nach einem Gegenwartsstoff von Klaus Poche Hanna von acht bis
acht. Mit Morenga, folgt eine 3-teilige TV-Produktion für den WDR über die
deutschen Kolonien nach dem Roman von Uwe Timm.
Große Publikumsresonanz hat 1987 der Dreiteiler »Heimatmuseum« nach dem
Bestseller von Siegfried Lenz. Dagegen scheitert Günther damit, mit Rosamunde einer Entführungsgeschichte aus dem Jahr 1931, auch im Kino wieder Erfolg zu haben. Mit Stein, der eindrucksvoll inszenierten Schlüsselgeschichte um einen in der
DDR isolierten Künstler (Rolf Ludwig) dreht Günther 1990/91 nach einem Szenarium von Helga Schütz einen der letzten DEFA-Filme, der allerdings in den Nachwende-Wirren kein Publikum findet. Danach wendet sich Günther wieder
literarischen Stoffen zu: Lenz. Ich aber werde dunkel sein ist ein essayistischer
Spielfilm über das Leben des Sturm-und-Drang-Dichters und sein Verhältnis zu
Goethe. Dessen Eheleben mit Christiane Vulpius steht im Zentrum von Die Braut,
Günthers Beitrag zum Goethejahr.
Egon Günther, der 1999 den Deutschen Filmpreis für sein Gesamtwerk erhält,
lebt in Groß-Glienicke bei Berlin.
Filmographie
1998/1999
1998/1999
1997
1994/1995
1992
1990/1991
1988
1986/1987
1986/1987
1984/1985
1984
1983
84
Die Braut (Drehbuch, Regie)
Else – Geschichte einer leidenschaftlichen Frau
(Drehbuch, Regie)
Das 7. Jahr – Ansichten zur Lage der Nation (Regie)
Der Kontrolleur (Dramaturgie)
Lenz (Drehbuch, Regie)
Stein (Drehbuch, Regie)
Rosamunde (Drehbuch, Regie)
Heimatmuseum (Drehbuch, Regie)
Heimatmuseum – Ein Roman wird Film (Mitwirkung)
Die letzte Rolle (Regie)
Mamas Geburtstag (Regie)
Hanna von acht bis acht (Regie)
1983 – 1985
1981
1979/1980
1978/1979
1978
1976
1974/1975
1973
1972/1973
1971
1967/1968
1965
1964
1964/1965
1963
1961
1960
1960
1960
1959/1960
Morenga (Darsteller, Regie, Drehbuch)
Euch darf ich’s wohl gestehen
(Darsteller, Regie, Drehbuch)
Exil (Drehbuch, Regie)
Blauvogel (Darsteller)
Weimar, du Wunderbare (Drehbuch, Regie, Mitwirkung)
Die Leiden des jungen Werthers
(Darsteller, Drehbuch, Regie)
Lotte in Weimar (Drehbuch, Regie, Szenarium)
Erziehung vor Verdun. Der große Krieg der
weißen Männer (Darsteller, Drehbuch, Regie, Szenarium)
Die Schlüssel (Drehbuch, Regie, Szenarium)
Der Dritte (Drehbuch, Regie)
Abschied (Drehbuch, Regie)
Wenn du groß bist, lieber Adam (Drehbuch, Regie)
Alaskafüchse (Drehbuch)
Lots Weib (Drehbuch, Regie)
Jetzt und in der Stunde meines Todes (Drehbuch)
Das Kleid (Drehbuch, Regie).
Begegnung im Zwielicht (Dramaturgie)
Der Fremde (Drehbuch)
Ärzte (Drehbuch)
Mutter Courage und ihre Kinder (Dramaturgie)
85
Abschied
Dieses ehrgeizigste Projekt der 1964 von mir gegründeten Gruppe Babelsberg
war neben Ich war neunzehn die Adaption von Johannes R. Bechers autobiographischem Roman über den Bruch eines jungen Bürgersohnes mit seinem Elternhaus und seiner Klasse zwischen der Jahrhundertwende und dem Beginn des
Ersten Weltkriegs. Im November 1968 stand der zehnte Todestag Bechers bevor
und ließ große öffentliche Aufmerksamkeit erwarten. Das konnte der Breitenwirkung eines anspruchsvollen DEFA-Films nur dienlich sein.
Im Januar 1966 gab die Studioleitung »grünes Licht« für meine erste Begegnung mit Lilly Becher. Die Witwe hütete das künstlerische Erbe und die Urheberrechte des ersten DDR-Kulturministers, den Walter Ulbricht postum zum »größten deutschen Dichter der neuesten Zeit« gekürt hatte. In einem langen Gespräch
überraschte sie mich durch ihre fast lückenlose Kenntnis der Babelsberger Produktion, mehr noch durch ihr kritisches Urteil über ihren Standard. Sie interessierte sich allein für die Kontrolle der künstlerischen Qualität der Bearbeitung erst
einmal bis zum Drehbuch. Zwei wissenschaftliche Mitarbeiter des BecherArchivs der Akademie der Künste, Ernst Stein und Ilse Siebert, sollten uns beraten und für sie den Fortgang der Arbeit beobachten.
Wochen nach dieser freundlichen Übereinkunft teilte uns der Deutsche Fernsehfunk mit, daß ihm der Aufbau-Verlag bereits vor Jahren das »ausschließliche
Recht zur Bearbeitung des Stoffes als Fernsehfilm« übertragen habe. Man wolle
ihn so produzieren, daß er »auch in den Lichtspielhäusern laufen kann«. Doch
unser Konkurrent hatte dafür noch nichts getan und Lilly Becher inzwischen so
viel Vertrauen zu uns, daß sie den Verlag zur Vertragsänderung veranlaßte. Der
versprach, den Kinostart mit einer preiswerten Taschenbuch-Ausgabe, Auflage
50 000, zu begleiten. Und so geschah es später auch.
Trotz harscher Kritik der Parteioberen an Günter Kunert, auf dem 11. Plenum
im Dezember 1965 gerade erst erneuert, empfahl sich der Lyriker auch dank seiner Erfahrung als Filmszenarist. Mit einer Filmerzählung wollten wir uns der
Kino-Adaption nähern.
Schwieriger war die Regiefrage. Der Vorschlag der Studioleitung, Kurt Maetzig mit der Regie zu betrauen, stieß bei Lilly Becher auf Zurückhaltung. Es gehe
um das Bild sehr junger Leute auch für ein sehr junges Publikum. Die Ausrede
war offenkundig, als sie statt Maetzig den fünf Jahre älteren Wolfgang Staudte ins
Gespräch brachte. Doch der hatte das Studio erst kürzlich wissen lassen, daß er
sich als Bundesbürger aus politischen Gründen keine neue DEFA-Verpflichtung
leisten könne, ohne seine Existenzgrundlage im Westen zu gefährden, abgesehen
von seiner Honorarerwartung von 150 000 DM. Lilly Becher hoffte nun auf Konrad Wolf, aber er gestand ihr unter vier Augen, daß ihm dieser Jugendstoff aus
einer sehr fernen deutschen Vergangenheit fremd sei.
86
Die erste Hürde auf dem Weg zum Filmbuch war mit Günter Kunerts Treatment nicht genommen. Weder die Gruppe Babelsberg samt Erstleser Herrmann
Zschoche, noch Lilly Bechers Gewährsleute fanden das Gesellschaftspanorama
und die wichtigsten Charaktere tief genug erfaßt. Die skizzierte Filmhandlung
folgte der Chronologie des Romans, ihre Ausschmückung tendiere eher zum
Fernseh-Mehrteiler.
Da kam uns der Zufall zu Hilfe. Für die dramaturgische Betreuung des Prestigeprojekts hatte ich Prof. Dr. Konrad Schwalbe gewonnen, Ex-Chefdramaturg
und nun Rektor der Filmhochschule. Er traf in der Kantine Egon Günther und
empfahl ihm die Lektüre des Romans und der Filmerzählung. Günthers leidenschaftliches Interesse war sogleich geweckt. Für ihn sprach sein schönes Regiedebüt Lots Weib. Doch seine zweite Inszenierung Wenn du groß bist, lieber Adam,
ein komödisch-ironisches Gegenwartssujet, war noch vor Abschluß der Dreharbeiten in die politischen Turbulenzen des 11. Plenums geraten und im Filmkeller
gelandet. Daß sich Günter Kunert und Lilly Becher, aber auch die neue Studioleitung sehr rasch mit dieser Regie-Perspektive befreundeten, lag nicht allein am Enthusiasmus des unerwarteten Bewerbers. Dank seiner Erfahrung als Dramaturg
und Szenarist versprach er auch einen Ausweg aus der Sackgasse, in die der erste
Bearbeitungsschritt geführt hatte. Und Kunert akzeptierte sogleich die von uns
vorgeschlagene Mitautorschaft des Regisseurs.
Egon Günthers Filmidee war so respektlos wie vielversprechend. Zum Glück
formulierte er sie so provokatorisch nur im Gespräch mit Lilly Becher. »Man muß
Bechers Romanstruktur zerbrechen, um sie für den Film neu zu konstruieren.« In
keiner Dramturgenkonzeption wäre solch eine Blasphemie geduldet worden und
hätte schon den Plan vereitelt. Die Autoren durchbrachen also die Chronologie
der Handlung und verknüpften die Episoden durch die Gedankenstimme des jungen Bürgersohnes Hans Gastl, der seine Entwicklung rückschauend mit seinem
inneren Monolog kommentiert.
Das neue Erzählprinzip erlaubte einen freien Umgang mit dem Stoff und zugleich eine heiter-überlegene, ironisch-distanzierende Sicht auf die konfliktreiche
Entwicklung des jungen Helden. Wir versprachen uns davon auch einen leichteren Zugang des jungen Publikums zum historischen Gegenstand.
Mit wenigen Detailwünschen empfahl die Gruppe Babelsberg im Mai 1967 die
Abnahme des Szenariums und die Produktionsplanung für die Premiere im Oktober 1968. Der neue Chefdramaturg Günter Schröder bemängelte lediglich die
schwache Repräsentanz »der Kräfte, die der Bourgeoisie entgegenstehen«. Doch
die waren schon im Roman nur durch das Dienstmädchen Christine, den Offiziersburschen Xaverl und den Klassenkameraden Hartinger vertreten, auch der
kein lupenreiner Proletarier, sondern Sohn eines sozialdemokratisch orientierten
Schneiders. Aber es gab auch den Gymnasiasten Löwenstein, Sohn eines Bankiers, das Jüdlein, mit seiner rein intellektuellen Schwärmerei für die Revolution
oder was er dafür hielt. Gekürzt werden sollte das kleinbürgerlich-anarchistische
87
Bohème des Café Stefanie, Bechers Anspielung auf das bekannte Münchener
Café Größenwahn, obschon die Entwicklung des jungen Mannes zum künftigen
Dichter hier entscheidende Impulse bekommt. Allein die Warnung vor zu vielen
Zeitsprüngen im Exposé lag auch im Publikumsinteresse. Ganz im Sinne der neuen
Leitungspraxis nannte der Chefdramaturg seine Empfehlungen abschließend
»Auflagen für die Weiterarbeit«.
Zwiespältige Gefühle löste seine Absicht aus, Alexander Abusch um Konsultation zu bitten. Der Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats der DDR war
die ranghöchste kulturelle Regierungsinstanz, doch nur bei gutem Ausgang eine
prächtige Rückversicherung. Die Filmleute aber kannten das ZK-Mitglied, den
Ex-Kulturminister, als intelligenten, doch ungewöhnlich strengen kunstpolitischen Interpreten der jeweiligen Linie der Parteiführung.
Er empfing die kleine DEFA-Abordnung, Chefdramaturg, Regisseur und Gruppenleiter, in seinem riesigen Arbeitszimmer im repräsentativen Sitz des Ministerpräsidenten, dem Alten Stadthaus Am Molkenmarkt. Der kleine Mann mit der
hohen Intelligenzlerstirn pries die Bedeutung des Romans und lobte die Verfilmungsabsicht, ohne sich auf Details des filmliterarischen Entwurfs einzulassen.
Interessant war seine lebendige Schilderung der psycho-sozialen und politischen
Situation rebellischer Bürgersöhne in Süddeutschland und ihrer drei geistig-kulturellen Repräsentanten, »der Becher in München, der Brecht in Augsburg und ich
in Stuttgart« ..., so in größter Bescheidenheit Abuschs Aufzählung.
Nach diesem Wink aus dem Olymp war die Produktionsfreigabe durch die HV
Film sicher. Sie war mit der Mahnung versehen, die sozialen Gegenkräfte stärker
ins Spiel zu bringen, einschließlich Liebknechts Verweigerung der Kriegskredite.
Dafür sollte dem erotischen Ausflug des jungen Gastl ins Milieu der Edelnutte
Fanny samt Todesvision mit der Geliebten weniger Raum gegeben werden.
Urteilen Sie selbst, ob Sie den erhobenen Zeigefinger irgendwo im Film entdecken.
Die Arbeit am Drehbuch und die Inszenierung blieben frei von jedweder Einmischung. Im Januar 1968 wurden die Dreharbeiten begonnen und im Mai beendet.
Zu einer Nachaufnahme allerdings ließ sich Egon Günther herbei. Lilly Becher
kritisierte nach einer Mustervorführung die Besetzung der Rolle der Großmutter
Gastl. Ilse Voigt, schwergewichtiger Oma-Typ von eher proletarischer Statur und
Ausstrahlung, wurde durch Mathilde Danegger ersetzt, die in Gestalt, sozialem
Gestus und süddeutscher Sprachfärbung der Romanfigur ideal entsprach. Lilly
Becher war vom fertigen Film begeistert. Ihre Sorge galt nur noch dem Kinoeinsatz. Der Film müsse ins Ausland gebracht werden und dürfe nicht etwa nur in die
Filmklubs kommen. Wie prophetisch!
Trotz der für die DEFA kühnen, ja gewagten formalen Mittel künstlerischer
Stilisierung gab es keine Abnahmehürden. Selbst Progreß Verleih und DEFAAußenhandel waren des Lobes voll. HV-Chef Siegfried Wagner sprach »sehr beeindruckt von der modernen künstlerischen Gestaltung, von einem großartigen
künstlerischen Dokument, von dem trotz hoher Ansprüche an das Publikum starke
88
internationale Wirkung zu erwarten ist«. Und er kündigte bereits die »glanzvolle
Premiere als würdigen Beitrag nach dem Festakt des Präsidialrats des Kulturbundes zum 10. Todestag Bechers« an.
Eine solche Filmabnahme hatten wir noch nicht erlebt, und so beantragten wir
vorab die Zuerkennung des Staatlichen Prädikats Besonders wertvoll. Die nächste
Überraschung folgte auf dem Fuße. Der Antrag wurde, nachdem Abusch den Film
gesehen hatte, positiv beschieden, mehr noch, erstmalig in der DEFA-Geschichte
durfte die Nachricht von dieser Auszeichnung die Plakatwerbung zieren. Allerdings auch letztmalig.
Während alle Beteiligten der Premiere entgegenfieberten, mündete der Prager
Frühling in den heißen August der militärischen Beendigung der tschechoslowakischen Sozialismusreform. Kein Wunder, daß die repräsentative Becher-Ehrung
am 10. Oktober 1968 im Kino International mit dem Gesang des Erich-WeinertEnsembles der NVA einem Feingeist wie Günter Kunert geradezu martialisch
erscheinen mußte. Nicht weniger die heftigen Attacken des Festredners Abusch
gegen die »freiwilligen und unfreiwilligen Helfer der psychologischen Kriegführung der Imperalisten«, die im Nachbarland »einen ›neuen Sozialismus mit einem menschlichen Gesicht‹ propagierten, aber gleichzeitig durch ihre provinzielle
Nachäffung der spätbürgerlich westlichen Dekadenz in Filmen und Theaterstücken das Gesicht des Menschen ihres sozialistischen Vaterlandes verunstalteten und deformierten«.
Um so erstaunlicher Abuschs kühnes Kompliment, »daß unsere DEFA mit der Uraufführung des Films Abschied den Dichter ehrt und zugleich damit die Lebenswirksamkeit seines Werkes für den heutigen Tag bezeugt.« Mutiger noch das Bekenntnis
des Festredners: »Ohne die Meinung der Zuschauer vorwegnehmen zu wollen,
meine ich als langjähriger Freund Bechers und seines Werkes, daß die Schöpfer dieses Films sich mit hohen Qualitäten bemüht haben, ihn in der politisch-poetischen
Durchdringung des Themas ebenbürtig an die Seite des Romans zu stellen.«1
Der angemessene Beifall für die lange Rede war kaum verklungen, da erhoben
sich in der ersten Reihe zwei, um den Saal am Seitenausgang zu verlassen, Walter
Ulbricht, Parteichef und Vorsitzender des Staatsrats der DDR, dicht gefolgt von
seiner kleinen Frau Lotte.
Nun befürchteten manche schon das Schlimmste. Der Beifall der geladenen
Gäste für den nun folgenden Film war freundlich. Eine Vorstellung der Künstler
auf der Bühne war vom Protokoll nicht vorgesehen. Dafür feierten am selben
Abend die zahlenden Besucher der öffentlichen Kino-Premiere im 1 000-PlätzeTheater Kosmos die Filmleute mit frenetischem Applaus.
Am nächsten Tag erschien Abuschs Rede ungekürzt im »Zentralorgan« und
schien alle Unkenrufe über ein mögliches Verbot zu widerlegen. Zwei Tage später
brachte Neues Deutschland Rainer Kerndls ausführliche Rezension mit genauer
1
Neues Deutschland v. 11.10.1968
89
Beschreibung der Konzeption und ihrer Realisierung. 2 So machte sich die
Filmcrew ohne Arg auf den Weg zu mehreren Bezirksfilmpremieren und Sonderveranstaltungen.3
In Erfurt lud SED-Bezirkskulturfürst Rudolf Herzog danach zum Abendimbiß
in kleiner Runde. Der, so hörte man, habe als erster die Alarmglocken geläutet,
weil er manche seiner dunklen Vermutungen während der Vorführung in allzu
freimütigen Äußerungen von Regisseur und jugendlichem Hauptdarsteller bestätigt fand: Da wollten wohl respektlose Filmrevoluzzer den Dichter der Nation
vom Sockel stoßen. Unmut unter der NVA-Generalität hatte es schon in Strausberg ausgelöst, als Bechers alter ego, Jan Spitzer, zur feierlichen Veranstaltung im
Haus der Offiziere in den verpönten Blue Jeans auf die Bühne sprang und die
üppig dekorierten Militärs und ihre festlich gekleideten Damen mit seinem subversiven West-Import provozierte.
Der Film hatte trotz mancher Sorge um die »Volkstümlichkeit« seiner Filmsprache einen phantastischen Kino-Anlauf mit ausverkauften Vorstellungen in
den großen Häusern. Die ersten Statistiken ließen Besucherrekorde erhoffen.
So glaubten wir uns schon über den Berg. Doch mit der 9. Tagung des ZK im
November 1968 drehte sich der Wind. Walter Ulbricht hatte im Referat über die
»weitere Gestaltung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus« einen Seitenhieb auf die Kunst parat. »Das humanistische Erbe ist für uns weder museales
Bildungsgut noch Tummelplatz sujektivistischer Auslegungen.«4 Deutlicher
wurde der Kandidat des ZK Hans-Dieter Mäde, Generalintendant der Staatstheater
Dresden. Er polemisierte in der Diskussion gegen alle möglichen ideologischen Abweichungen im Kunstbetrieb und befand, »daß der Abschied-Film die Höhe des Becherschen Geschichts- und Menschenbildes nicht erreicht.« Er war Walter Ulbricht
schon einmal in einer abstrusen Formen-Diskussion gegen schlanke, zylinderförmige Vasen beigesprungen und entdeckte nun »wieder (...) Konzessionen an
sogenannte moderne Mittel, die dazu führen, daß der Vorgang der Fabel und die Bechersche historische Vorgabe in impressionistische Einzelelemente aufgelöst wird.«
Ihm fehlte weitgehend Bechers Intention, »wie im Neinsagen zugleich die Keime
einer echten neuen Bewußtheit wachsen.« Das war eine deutliche Kritik an Alexander Absuch, der vom Helden gesagt hatte: »Noch weiß er erst ahnend und ungenau,
wohin er gehört; aber er weiß schon genau, wohin er nicht mehr gehört.« Und Mäde
monierte, »daß die Seite des Alten so satirisch zugespitzt, so komödiantisch, mit
neuen Mitteln dargestellt wird. Aber wenn ich den Gegner durch sogenannte komödiantische Mittel zu sehr verkleinere, verkleinere ich im selben Moment auch die
Leistung dessen, der den Gegner überwindet. Auch diese Dialektik scheint mir in
vielem gestört.«5
2
3
4
5
90
Neues Deutschland v. 14.10.1968
11.10. Gera, 12. Erfurt/Eisenach, 13. Sangerhausen, 14. Buna, 15. Leipzig, 16. Wünsdorf GSSD; 17. LeunaWerke Bitterfeld; 18. Cottbus; 19./20.10. Karl-Marx-Stadt
Neues Deutschland v. 25.10.1968
Neues Deutschland v. 26.10.1968
Mädes Polemik im höchsten Parteiforum lag wohl ganz im Sinne von Ulbrichts
Becher-Bild und dessen Filmverständnis, denn prompt danach initiierte Neues
Deutschland Leser-Zuschriften unter der rhetorischen Frage »Ist das noch Bechers
Weltsicht?« mit Zwischentiteln wie »Tief enttäuscht« oder »Reizt zum Lachen,
aber nicht zum Denken«. Horst Knietzsch verharmloste den organisierten Verriß
durch Volkes Stimme als »wesentliche Seite unserer kulturellen Entwicklung, des
produktiven Gesprächs zwischen dem Künstler und seinem Publikum.«
Am 21. 11. 1968, nach nur sieben Wochen Laufzeit, ordnete der vor kurzem noch
so begeisterte Film-Chef auf Hinweis von Kulturminister Klaus Gysi den Rückruf aller Kopien aus den Kinos binnen einer Woche an. Die Filmleute erfuhren es von enttäuschten und ratlosen Theaterleitern, denen keine Erklärung gegeben worden war.
Lilly Becher war vom Vorgang wohl weniger überrascht, doch ebenso schockiert.
Sie intervenierte vergeblich im Kulturministerium und suchte aus dem Hintergrund nach Verbündeten. Doch ausgerechnet Franz Fühmann unterzog den Film
in einer Präsidialratsdebatte des Kulturbundes einer vernichtenden Kritik. Vergeblich war ihre Intervention im Kulturministerium, schlimmer noch die Reaktion
auf ihren Brief an das Zentralkomitee. Der erboste Walter Ulbricht schrieb am
21. Januar 1969 an Erich Honecker: »Schon der Beschluß, anläßlich des Todestages den Film ›Der Abschied‹ zu zeigen, zeugt von dem Versuch, Johannes R. Becher in seinem jugendlichen Gährungsprozeß zu zeigen. Wir wollen ihn jedoch
ehren für seine geschichtliche Leistung, sein dichterisches Schaffen in der Periode
des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. (…) Leider hat Genosse
Abusch die Sache auch nicht verstanden, sonst hätte er nicht solch eine widerspruchsvolle Rede zum 10. Jahrestag gehalten. Bei Lilli Becher ist das Schwanken der Normalzustand. Sie muß eine richtige Abreibung bekommen, aber nicht
offiziell. Ich würde das den Leiter der Kulturabteilung im ZK machen lassen. (…)
Oder Abusch soll mit ihr sprechen und dabei seine eigenen Fehler in Ordnung
bringen.«
Von diesen Vorgängen auf Königsebene wußten wir damals nichts. Auf energische Rückfrage erfuhr man, der Film sei nicht verboten, er werde nur zur Zeit
nicht mehr gespielt, es habe im Kino falsche Reaktionen gegeben. Jugendliche
hätten im dunklen Saal in das Deutschland-Lied eingestimmt, das die chauvinistische Massenszene um die Mobilmachung 1914 begleitet. Ein Augen- oder Ohrenzeuge für diesen Vorwand ließ sich nicht finden.
Lange Zeit später kam die Kunde, der Film könne auf Anforderung von Filmklubs, an Filmkunsttagen und in kleinen Filmkunsttheatern durchaus gezeigt werden. Ein Echo dieser Großzügigkeit war im Studio nicht zu hören. Die Statistik
stagnierte bei 607 000 Besuchern nach nur sechswöchigem Einsatz, ein Traumergebnis für manchen der folgenden DEFA-Filme nach einem Jahr ...
Stolz meldete der DEFA-Außenhandel die Lizenzvergabe an Ungarn, Bulgarien, Polen, ČSSR und vor allem an die Sowjetunion und die Festivalteilnahme in
Locarno 1969.
91
Lilly Becher blieb ihren Verbündeten in der DEFA treu. Sie schrieb mir: »Ich
werde mich immer mit großer Freude an die leider nur kurze Zeit unserer Zusammenarbeit erinnern und kann nur hoffen, daß der Film, mit dem wir uns doch
beide neben den Künstlern aufs beste bemüht haben, einmal die verdiente Auferstehung findet.«
Abschied
nach dem Roman von Johannes R. Becher
Produktionsland
Produktionsfirma
Erstverleih
Uraufführung
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Darstellende
92
DDR, 1967/1968
DEFA-Studio für Spielfilme
(Potsdam-Babelsberg/DDR)
(Künstlerische Arbeitsgruppe »Babelsberg«)
Progreß-Filmverleih, Berlin
10. Oktober 1968, Berlin
Herbert Ehler
Horst Schmidt, Karlheinz Haarnagell
Egon Günther
Regieassistenz: Bodo Schmidt
Egon Günther, Günter Kunert
Konrad Schwalbe
Günter Marczinkowsky
Standfotos: Peter Dietrich, Wolfgang Ebert
Harald Horn (Szenenbild)
Bauausführung: Heike Bauersfeld
Außenrequisite: Sigrid Weißhaas
Werner Bergemann
Otto Banse, Christa Eifler
Rita Hiller
Max Sandler
Paul Dessau (aus einem Requiem)
Vater Gastl: Rolf Ludwig
Mutter Gastl: Katharina Lind
Hans Gastl: Jan Spitzer
Großmutter: Mathilde Danegger
Christine: Doris Thalmer, Fanny: Heidemarie Wenzel
Darstellende
Löwenstein: Hecke, Hartinger: Jürgen Heinrich
Feck: Bodo Krämer, Freyschlag: Wilfried Mattukat
Magda: Annekathrin Bürger
Kreibich: Carl-Heinz Choynski
Sack: Manfred Krug, Hoch: Rolf Römer
Hartinger als Kind: Ralf Herrmann
Feck als Kind: Jörg Jaenicke
Hans Gastl als Kind: Andreas Kaden
Freyschlag als Kind: Holger Paeck
Xaver: Fred Delmare, Bonnet: Martin Flörchinger
Förtsch: Arthur Jopp, Herr Neubert: Hans Klering
Waldvogel: Wolfgang Greese
Arnold: Wilhelm Gröhl, Lehrer Goll: Hans Knötzsch
Kunik: Helmut Schreiber, Wirtin: Karin Freiberg
Frau Neubert: Hanna Donner
Mutter Hartinger: Brigitte Lindenberg
Spion: Eckhard Bilz, Spießer: Herbert Dirmoser
Wachtmeister: Heinz Laggis, Richter: Friedrich Links
Vater Hartinger: Erich Mirek, Dame: Renate Heymer
Student: Ernst-Georg Schwill
Schuldirektor: Werner Wieland
Tuchmann: Kurt Höhne, Lehrer: Werner Kamenik
König von Bayern: Heinz Kögel
Fechtmeister: Hans-Eberhard Gäbel
Harmoniumspieler: Friedrich Neubert
Beleuchter: Walter Schüppel
Manipulator: Gerd Thiemann
Kellnerin: Hilmar Bodendiek
Polizist: Axel Triebel, Anrufer: Otto Krieg-Helbig
Dicker: Willi Neuenhahn, Lehrer: Fritz Moor
Dame: Rosa Lotze, 2. Dame: Renate Prütz-Thiede
Klavierspielender Knabe: Wolfgang Dietzel
Klärchen: Sylvia Hafemann, Lebemann: Bodo Schmidt
Bildhauer: Günter Kunert, Fritz Bogdon, Ilse Voigt
Curt W. Franke, Karl-Ernst Sasse, Gert Wien,
Jochen Diestelmann
Sprecher: Reimar J. Baur
Zum Inhalt
Hans Gastl, Sohn eines Staatsanwaltes, wächst im München vor dem Ersten Weltkrieg in
saturierten Verhältnissen auf. Die Strenge des Vaters und dessen Scheinmoral – Amüsement mit »leichten Mädchen« – verstricken ihn in Widersprüche mit sich selbst und seinem
Elternhaus. Er sucht Zuflucht bei einer Prostituierten, die zwar noch Kraft für echte Gefühle hat, aber nicht die Kraft, sich aus ihrem Milieu zu lösen. Gastl findet neue Freunde
unter Künstlern. Doch der Krieg macht aus einigen von ihnen – einst expressive Kriegsgegner – fanatische Kriegsbejaher. Der Künstler Sack, ein Dichter, bleibt sein einziger
Gefährte. Hans Gastl trennt sich schließlich von Kindheit, Jugend, Eltern und Freunden,
um seinen eigenen Weg zu suchen.
93
Wenn du groß bist, lieber Adam
Es erwartet Sie ein Unikat der Kinogeschichte: Ein Film-Torso aus Szenen in Originalton, unsynchronisiert, dazu Schrift-Einblendungen von Dialogen und fehlenden Handlungselementen. Im Wende-Winter 1989/90 wagte Egon Günther das
Experiment, seine zweite Regiearbeit wenigstens so vorführbar zu rekonstruieren.
Die Produktion wurde Ende 1966 noch während der Dreharbeiten auf höhere
Weisung abgebrochen.
Um das absurde Verbot der kleinen märchenhaften Gegenwartskomödie heute
nachzuvollziehen, erscheint ein kurzer Rückblick auf die historische und kulturpolitische Situation der frühen 60er Jahre angebracht.
Die Abriegelung Westberlins im August 1961 brachte dem Studio durch den
Verlust der S-Bahn-Anbindung Griebnitzsee manche Erschwernisse. Prominente
Westberliner Künstler, die der DEFA trotz westlicher Anfeindungen die Treue gehalten hatten, ihren Wohnsitz aber nicht aufgeben wollten, mußten die DEFA verlassen: Kameramänner, Szenen-, Kostüm- und Maskenbildner. Trotzdem traf die
zunehmend unpopuläre Abschottung zunächst auch auf Verständnis. Die vom
Währungsgefälle und der Westpropaganda angestachelte Übersiedlung Tausender
und die Wirtschaftswanderung der »Grenzgänger« waren wenig beliebt bei denen,
die bleiben wollten oder mußten. So war es gewiß kein tagespolitischer Opportunismus, daß namhafte und kritische Filmleute den Bau der Mauer im Sinne der
Partei thematisierten. Manfred Krug schrieb sich die Rolle eines Kampfgruppenmannes selbst auf den Leib für den Film Der Kinnhaken. Armin Müller-Stahl
spielte die Hauptrolle solch eines Uniformierten in einem weiteren Streifen, der
die Berliner Ereignisse dokumentarisch einbezog: ...und deine Liebe auch.
Der folgende kurzzeitige Wirtschaftsaufschwung schien mindestens die ökonomische Notwendigkeit der Mauer zu bestätigen. Ulbricht gedachte mit dem Neuen
ökonomischen System der Planung und Leitung den zentralistischen Dirigismus zugunsten ökonomischer Regularien zurückzudrängen. Materielle Interessiertheit der
Betriebe und Arbeitskollektive, Gewinnbeteiligung für Investitionen und Prämien
sollten anstelle höherer Planauflagen die Arbeitsproduktivität steigern.
Nach Chruschtschows neuerlicher scharfer Kritik an Stalin auf dem XII. Parteitag der KPdSU im Oktober 1961 verschwanden endlich auch in der DDR die
letzten Insignien des Stalin-Kults – acht Jahre nach seinem Tod. Damit waren
manche Hoffnungen verbunden. Stalin sollte nicht nur aus den Straßenverzeichnissen verschwinden.
Der täglich von außen in seiner Existenz befehdete und in Frage gestellte Staat
suchte zunächst eine stärkere Solidarisierung im Innern zu fördern. Das Politbüro
bildete eine Jugendkommission und verabschiedete 1963 ein Jugendkommuniqué
unter der Losung »Der Jugend Vertrauen und Verantwortung«. Im Schutze der
Mauer blühte so die Illusion auch unter den Filmleuten, nun könne man endlich
94
über die eigenen, systeminternen Probleme der sozialistischen Gesellschaft und
ihre weitere Entwicklung offen und öffentlich sprechen.
Heiße Eisen wurden angepackt, Tabus gebrochen. Die Justiz geriet gleich
mehrfach ins Blickfeld, heikle Entwicklungen unter der Jugend wurden thematisiert, zweifelhafte Leitungspraktiken in Frage gestellt.
Eine verjüngte Studio-Leitung – vom neuen Direktor Jochen Mückenberger über
die Hauptverwaltung Film (Dr. Günter Witt) bis zum Kulturminister (Hans Bentzien)
– solidarisierte sich mit den Forderungen der Basis nach mehr Eigenverantwortung
und Abbau zentralistischer Einflußnahme und Lenkung. Überraschend machte sich
Walter Ulbricht selbst eine öffentliche Kritik Frank Beyers zu eigen und forderte auf
der II. Bitterfelder Konferenz 1964, »die Zahl der Instanzen um die Hälfte (zu) verkleinern, den Apparat (zu) vereinfachen, Schluß zu machen mit dem Hin- und Herschieben der Verantwortung«. Die seit 1958 nach ungarischem und polnischem
Vorbild entstandenen Künstlerischen Arbeitsgruppen bildeten kleine Dramaturgenkollektive und entschieden zunehmend eigenverantwortlich über alle Phasen der
Stoffentwicklung bis zum produktionsreifen Drehbuch. Die Produktionsentscheidung lag nun im Studio, nicht mehr bei der Hauptverwaltung Film, deren Leiter behielt sich lediglich ein Vetorecht vor und die Staatliche Abnahme des fertigen Films.
In diesem Klima entstand die erste Komödie über die unmittelbare Nachkriegszeit und die kleinen Händel mit der bislang öffentlich nur heroisierten sowjetischen Besatzungsmacht: Frank Beyers Karbid und Sauerampfer. Beschreibung eines Sommers von Ralf Kirsten und Karl-Heinz Jakobs erzählte von einer in der
Parteiorganisation heftig umstrittenen Baustellenliebe und wurde zum Kino-Hit.
Zum Kassenknüller brachte es sogar ein Polit-Krimi: For eyes only offenbarte
erstmals den Einsatz eines Top-Agenten in einer amerikanischen Geheimdienstzentrale in der Bundesrepublik.
Konrad Wolf begann die Adaption des bald befehdeten Romans Der geteilte
Himmel noch während des Vorabdrucks in der Studentenzeitung forum. Er ignorierte den Vorwurf, da werde die deutsche Teilung auf ihren tragischen Aspekte
hin reflektiert. Und Der Fall Gleiwitz bereicherte die Tradition des antifaschistischen Films durch eine andere Sicht und neue stilistische Gestalt.
Am 25. Novemver 1965 hatte ein geradezu prophetischer Titel Premiere: Der
Frühling braucht Zeit von Günter Stahnke. Nur drei Wochen später nämlich sollte
eine neuerliche ideologische Eiszeit die Kulturlandschaft überziehen. Im Film ermittelt nach einer winterlichen Betriebshavarie der Staatsanwalt gegen einen leitenden Ingenieur wegen Fahrlässigkeit oder gar Sabotage. In Wahrheit aber geht
es um die Folgen falsch verstandener Termintreue und Plandisziplin, die ein ehrgeiziger Werkdirektor gegen technische Bedenken des Fachmannes durchsetzt,
angespornt von der übergeordneten Leitung, toleriert von einem unterwürfigen
Gewerkschaftsfunktionär. Die Brisanz des Stoffes war offensichtlich, doch noch
sahen wir uns in voller Übereinstimmung mit der Bitterfelder Konferenz und Walter Ulbricht: »Große Konflikte in der Literatur und Kunst können nicht nur priva95
ter Natur sein, ihnen liegen echte gesellschaftliche Widersprüche zugrunde (...)
Von den bedeutenden Schwierigkeiten, die im Prozeß der Arbeit auftreten, werden
die Werktätigen jedoch nicht ›erdrückt‹, vielmehr wachsen sie in ihrer Bewältigung zu vielseitig gebildeten Persönlichkeiten, wächst die Gemeinschaft, das sozialistische Kollektiv.« Und schließlich hatte unsere Story einen optimistischen,
positiven Schluß: Der zunächst recht forsche Ankläger sorgt zum guten Ende für
Entlastung und Entlassung des Unschuldigen aus der U-Haft.
Nach einem Roman von Manfred Bieler, der keine Druckerlaubnis erhalten
hatte, drehte Kurt Maetzig den Film Das Kaninchen bin ich. Hier erscheint der
Richter in weniger freundlichem Licht. Das war die erste und letzte kritische Auseinandersetzung mit der Bevormundung der Justiz durch wechselnde parteipolitische Doktrinen am Beispiel eines negativen Helden – eines willfährigen opportunistischen Richters.
Der Film Denk bloß nicht, ich heule der jungen Autoren Manfred Freitag und
Jochen Nestler, Regie Frank Vogel, folgte der Aufforderung des Jugendkommuniqués, die realen Probleme und Widersprüche ernst zu nehmen, die es in der Entwicklung und Erziehung der Nachkriegsgeneration zu jungen Sozialisten zunehmend gab. Auch hier stand im Mittelpunkt ein sogenannter gebrochener Held, ein
wegen politischer Aufmüpfigkeit relegierter Oberschüler, der im Grunde nur gegen Doppelzüngigkeit und opportunistische Heuchelei in der Schule aufbegehrt.
Die beiden Filme waren noch nicht veröffentlicht, noch nicht einmal staatlich
zugelassen, da trat am 16. Dezember 1965 das ZK der SED zu seiner 11. Tagung
zusammen. In Moskau hatte Leonid Breshnew inzwischen Chruschtschow abgelöst. Moskauer Kritik am DDR-Wirtschaftskurs und ein langfristiges Handelsabkommen drohten die ökonomischen Probleme der DDR weiter zu verschärfen,
von der westlichen Embargo-Politik kräftig befördert. Einen Tag vor der Unterzeichnung der Verträge beging der Wirtschaftsexperte im Politbüro, der Planungsund stellvertretende Regierungschef Erich Apel Selbstmord.
So wurde das angekündigte Wirtschaftsplenum zum Kunst- und Kulturtribunal
umfunktioniert. Mit dem Bericht Erich Honeckers begann ein Rundumschlag gegen
Kunst, Publizistik und Jugendkultur. Darin wurden »Modernismus«, »Skeptizismus«, »Nihilismus«, »moralzersetzende Philosophien«, »Pornographie« und andere
Formen der »amerikanischen Lebensweise« entdeckt. Der Leipziger SED-Bezirkschef Paul Fröhlich geißelte »widerwärtige dekadente Lebensformen«, etwa »in
Gestalt der Beatles«. Er forderte vom Finanzminister Sanktionen gegen die DEFA.
Kurt Hager suchte die tiefere Ursache unserer ideologischen Verirrungen vor allem
in der »Entfremdungstheorie«, der »Nachahmung Kafkas« in solchen Filmen wie
Der Frühling braucht Zeit und Das Kaninchen bin ich. »Wenn in den Beziehungen
zwischen dem einzelnen und dem sozialistischen Staat und seinen Organen eine
ausgesprochene Kälte vorherrscht, wenn ein feindseliger Kontrast des Individuums
zu Leitern, Funktionären, Eltern, Lehrern konstruiert wird, so haben die betreffenden Autoren ein ›gebrochenes Verhältnis‹ zu unserem Staat.«
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Zur Demonstration unserer moralischen und ideologischen Verfehlungen wurden dem Plenum die genannten Filme von Vogel und Maetzig vorgeführt. Weitere
Buch- und Filmtitel wurden samt ihren Schöpfern und Leitern einer geradezu inquisitorischen Stimmung im Saal ausgeliefert.
Eine einzige, verlorene Stimme wagte Widerspruch, mahnte Mäßigung im
Umgang mit Kunst und Künstlern an – die von Christa Wolf, Kandidatin der ZK.
Das war sie danach nicht mehr lang. Und sie ahnte wohl bereits, daß auch ihr
neuer Film Fräulein Schmetterling (Drehbuch mit Gerhard Wolf, Regie Kurt Barthel) in den Strudel weiterer Verdikte hineingerissen würde bis zum Verbot von
Frank Beyers Spur der Steine nach kurzer Laufzeit Anfang Juli 1966.
Eine externe Kommission nahm inzwischen alle in Arbeit befindlichen Filme
und Bücher ins Visier und schickte eine halbe Jahresproduktion in den Keller.
Selbst zeitgeschichtliche Titel blieben nicht verschont: Die Russen kommen von
Claus Küchenmeister und Heiner Carow, ein Barlach-Film von Ralf Kirsten – Der
verlorene Engel. In der Mehrzahl aber traf es Gegenwartsgeschichten: Jahrgang
45 von Jürgen Böttcher, Karla von Ulrich Plenzdorf und Herrmann Zschoche,
Berlin um die Ecke von Wolfgang Kohlhaase und Gerhard Klein, selbst eine
harmlose Kriminalkomödie, Hände hoch oder ich schieße!, von Rudi Strahl und
Hans-Joachim Kasprzick mußte dran glauben.
Sie alle hatten wohl Walter Ulbrichts ernste Mahnung auf der Bitterfelder Konferenz nicht richtig verstanden oder überhören wollen: »Ein Künstler, der die Wahrheit und das Ganze im Auge hat, kann nicht vom Blickpunkt eines empirischen Beobachters schaffen. Er braucht unbedingt den Blickwinkel des Planers und Leiters«.
Wessen Blickwinkel war da wohl gemeint? Letztlich wohl der der Parteiführung.
Vielleicht entdecken Sie heute, warum dem kleinen Adam mit seiner Zauberlampe damals der »Blickpunkt des Planers und Leiters« abgesprochen wurde. Die
Dramaturgin des Films, Traudl Kühn, und ihr Mann, Dr. Werner Kühn, damals
Parteisekretär im DEFA-Spielfilmstudio, können in der Diskussion danach helfen,
das Geheimnis zu lüften.
Wenn Du groß bist, lieber Adam
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Deutsche Demokratische Republik
6. Februar 1990/18. Oktober 1990
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
Egon Günther
Regie-Assistenz: Lothar Warneke
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Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Standfotos
Gertraude Kühn
Helmut Grewald
Kamera-Assistenz: Klaus Groch
2. Kamera: Hans-Jürgen Reinicke
Kurt Schütt
Bauten
Alfred Hirschmeier
Maske
Lothar Stäglich, Christa Grewald
Kostüm
Schnitt
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Ton
Darstellende
Zum Inhalt
Helga Schütz und Egon Günther
Rita Bieler
Monika Schindler
Wilhelm Neef
Martin Sonnabend
Oskar Ludmann, Heinz Schwoch
Bernd Gerwien
Adam: Stephan Jahnke, Tember: Gerry Wolff
Konstantin: Manfred Krug, Caroline: Daisy Granados
Erasmus: Rolf Römer
Eisenreich: Hanns Anselm Perten
Direktor: Wolfgang Greese, Minister: Günther Simon
Frau Sonnenberg: Mathilde Danegger
Regisseur: Fred Delmare
Regie-Assistent: Günter Junghans
Frau Tember: Christel Bodenstein
Dr. Müller: Gerd Beinemann
Gärtner Leopold: Walter E. Fuß
Journalist vom »Frauenorgan«: Arthur Jopp
Konstantins Freundin: Marita Böhme,
Jutta Hoffmann
Der kleine Adam lebt mit seinem Vater allein, da seine Mutter auswärts studiert. Adam ist
schlau und gewitzt, dank der vielen Bücher, die ihm Onkel Konstantin, ein Pfarrer, zu lesen
gibt. Eines Tages bezahlt er in der Straßenbahn für einen schwarzfahrenden weißen
Schwan das Fahrgeld. Der schenkt ihm dafür eine Taschenlampe, die die Eigenschaft besitzt, jeden, der lügt, in ihrem Schein schweben zu lassen. Adam möchte zusammen mit seinem Vater viele solche Lampen herstellen, aber keiner interessiert sich dafür.
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Der Dritte
Zur gleichen Stunde wie unsere Veranstaltung beginnt im Filmmuseum Potsdam
eine Filmnacht, die Egon Günther in sein 81. Lebensjahr hinein begleitet. So sei
es erlaubt, seinem sechsten Kinofilm ein paar filmbiographische Informationen
voranzuschicken. Günthers anheimelnder Tonfall verrät noch nach sechs Jahrzehnten seine erzgebirgische Herkunft und Kindheit in Schneeberg. Der Arbeitersohn lernte Schlosser und Konstruktionszeichner. Dann wurde auch er noch Soldat. Die Erfahrung in einer Fallschirmtruppe auf Kreta reflektierte er in seinem
zweiten Roman. Der Kretische Krieg erzählt von der verlustreichen faschistischen
Eroberung der Insel im Kampf gegen das griechisch-englische Expeditionskorps
und vom einheimischen Widerstand gegen die Besetzung bis zur Befreiung im
Mai 1945.
Das Kriegserlebnis und die Sozialisation im Osten prägten Günthers weitere
Biographie und seine spätere künstlerische Arbeit. Hier konnte er nach kurzer
Kriegsgefangenschaft Neulehrer werden und 1948 – 51 an der Karl-Marx-Universität in Leipzig Germanistik, Pädagogik und Philosophie studieren. Es folgte die
Arbeit als Lehrer und Verlagslektor, schließlich ein kurzes Volontariat am Berliner
Ensemble.
Der junge Mann hatte frühe literarische Neigungen bereits mit Laienspielen
und Dramen erprobt. Ein Gedichtband gemeinsam mit Reiner Kunze trug noch
den optimistischen Titel Die Zukunft sitzt am Tische. Mit solchen literarischen Talentbeweisen empfahl sich Egon Günther 1958 der DEFA in Babelsberg als Dramaturg und Autor. In vier Jahren entstanden fünf Filme nach seinen Szenarien:
1960 Der Fremde und Ärzte, 1963 Jetzt und in der Stunde meines Todes, 1964
Alaskafüchse. Unter dem Titel Das Kleid hatte Konrad Petzold im Herbst 1961
Egon Günthers Version von Andersens Märchen Des Kaisers neue Kleider gerade
abgedreht, geschnitten und vorgemischt, als die Grenze zu Westberlin dichtgemacht war. Der eben neu ernannte Studiodirektor Jochen Mückenberger beantragte gar nicht erst die Staatliche Abnahme. »Vierzig Prozent«, so erinnerte er
sich später, »spielten sich vor, auf oder hinter einer Stadtmauer ab… Jeder Satz
dort hatte eine Beziehung zur Gegenwart und der Situation, die gerade eingetreten
war.« So wurde Egon Günther lange vor dem 11. Plenum mit seinem ersten Filmverbot konfrontiert. Es darf sehr bezweifelt werden, ob die Parabel vom nackten
Kaiser, den das Volk verlacht, das ihn eben noch bejubelte, die Abnahmehürde
selbst ohne diese unvorhersehbaren Mauer-Analogien genommen hätte.
Zunehmend unzufrieden mit der Inszenierung seiner Szenarien, war der so
erfahrene Filmautor Egon Günther längst für die eigene Regie prädestiniert.
Zusammen mit seiner Frau Helga Schütz schrieb sich Egon Günther 1964 sein
Regie-Debüt: Lots Weib. Das war eine kleine Gegenwartsgeschichte, von eher
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unüblicher DEFA-Art: Eine emanzipierte Frau, Sportlehrerin und Mutter zweier
Kinder, möchte ihre in Routine erstarrte Ehe beenden, doch ihrem Mann, Offizier
der Volksmarine, genügt die funktionierende Wochenendbeziehung. Er verweigert
die Scheidung, die sein Ansehen als vorbildlicher Genosse zu beschädigen droht.
Nur mit der List eines kleinen Kaufhausdiebstahls samt den erwarteten und manchen überraschenden Reaktionen der Umwelt bis zum Gericht erzwingt die junge
Frau die gewünschte Trennung. Dem provokanten Fabel-Plot entsprach ein heiterer, zuweilen ironischer Grundton der Inszenierung, der menschliche Schwächen
und fragwürdige gesellschaftliche Verhaltensmuster kritisch beleuchtete, ohne sie
schwergewichtig zu problematisieren. Da war ein neuer, frischer Ton im DEFAGegenwartsfilm angeschlagen, der ganz und gar Günthers Arbeitsdevise entsprach: »Ich will versuchen, Filme zu machen, die auffallen. Die sollen ruhig Fehler haben, aber nicht unaufrichtig, lau oder mittelmäßig sein.«
Um Ernstes auf komödiantische Weise zu vermitteln, hatte er noch während
der Arbeit am Adam an einem erhofften Anschlußprojekt mitgeschrieben, einer
Filmfassung von Helmut Baierls Schauspiel Frau Flinz. In dialektischer Umkehr
der Mutter-Courage-Konzeption, wiederum für Helene Weigel erfunden, stand
das nationalpreisgekrönte Stück noch immer auf dem Spielplan.
Die Titelheldin, Landarbeiterfrau aus dem Böhmischen, hat ihre Heimat und
ihren Mann an den Krieg verloren, nun verliert sie ihre listig geretteten fünf
Söhne an den neuen Staat, den sie beargwöhnt wie den alten. Ihr Gegenspieler,
der Parteifunktionär Fritz Weiler, bekam in der Filmfassung mehr Gewicht und
gab ihrer Wandlung bis zur Vorsitzenden einer frühen LPG stärker als im Stück
die wichtigsten Impulse. Doch gerade diese Beziehung zwischen Partei und Volk
führte zum Streit und Produktionsverbot für die inzwischen dritte Drehbuchfassung, ausgerechnet am 6. Oktober 1966: »Nach nochmaliger Überprüfung
möchten wir die am 1. 7. 1966 erfolgte Freigabe durch die HV Film zurückziehen.
Obwohl im Drehbuch die für die Weiterentwicklung des Szenariums gegebenen
Hinweise im wesentlichen berücksichtigt wurden, erscheint aufgrund zurückliegender Erfahrungen die Verfilmung nicht geeignet. Mit freundlichem Gruß i.V.
Schauer.«
Dem spärlichen Schriftsatz war eine heftige Debatte mit den Vertretern der HV
Film im Studio vorangegangen. Die sahen im Gegensatz zur Handlungszeit der
50er Jahre inzwischen »die Landwirtschaft in großem Aufschwung begriffen«
und »die Dialektik der Beziehung von Partei, Klasse, Führung und Masse nicht
erfaßt«. »In der gegenwärtigen Etappe übernimmt die Kunst eine prinzipiell neue
Aufgabe als Planer und Leiter gesellschaftlicher Prozesse. Es geht um die Unterordnung unter die Führung der Partei als einzig möglichem Weg der weiteren Entwicklung. Gefährliche Experimente um die Frage Spontaneität und Bewußtheit
dürfen nicht gemacht werden.« Da tönte noch einmal das 11. Plenum, und es
drohte der nächste, der VII. Parteitag »zu einer Zeit, in der die führende Rolle der
Partei immer mehr verstärkt wird«, so die Prophezeiung.
100
Zum Glück konnten wir gerade in dieser Zeit die Bucharbeit für die BecherAdaption Abschied beginnen, so daß für den Mitautor Günther keine lähmende
Arbeitspause entstand.
Nach dem Verbot des kleinen Adam und der Katastrophe der Kino-Sperre für
die zunächst hoch gelobte Becher-Verfilmung lockte Adlershof den Regisseur mit
einem interessanten Fernseh-Angebot. Da eigene Intentionen für Gegenwartsgeschichten im Studio wiederum auf Ablehnung und Skepsis stießen, man kann es
in meinen Erinnerungen nachlesen, kehrte Günther gern in die Geschichte und
zum Kriegsthema zurück.
Für den Bildschirm inszenierte er die zweiteilige Roman-Adaption Junge Frau
von 1914 nach Arnold Zweig. Merkwürdiger Zufall: Der Fernsehfilm beginnt, wo
Abschied endet – mit dem Kriegsanfang 1914, den die wiederum jungen Protagonisten in München erleben. Auch diesmal ist das Thema die Absage der Jungen an
die bürgerliche Gesellschaft. Drei Jahre später folgte in Günthers Regie die dreiteilige Fernsehversion Erziehung vor Verdun, wieder nach Zweig. Auch dies ein
packender Antikriegsfilm und ein bestechend vielschichtiges Gesellschaftspanorama. Zugleich nutzte Günther das historische Sujet für ein ästhetisches Experiment. Für unterschiedliche thematische Sequenzen wählte er verschiedene Farbtönungen der Kopie, für das bürgerliche Ambiente der Titelfigur gelb-bräunlich,
das kältere Grünlich-gelb für die Kriegsbilder sowie das Dokumentarfilmmaterial
aus DDR- und französischen Archiven. Dem Regisseur galt die Nachinszenierung
von Kampfszenen à la Hollywood oder Babelsberg als realitätsfeindlich. Den Gegenwartsbezug verstärkte er durch eine quasi-dokumentare Ebene: Man sieht den
Hauptdarsteller Klaus Piontek am Anfang und am Ende im zeitgenössischen
Frankreich, so auch im Beinhaus von Douaumont, einem Beispiel fragwürdiger
Geschichtsvermarktung. Per Zufall geriet ihm dort auch noch eine martialische
Abschiedsparade für einen General vor die Kamera, neben anderen Stilmitteln der
Verfremdung ein Versuch, das Sujet zu enthistorisieren.
Zu unser aller Überraschung inszenierte Egon Günther zwischen den historischen Panoramen ein Gegenwartsstück für Adlershof, freilich nach eigenem
Drehbuch. Der öffentlich hoch gelobte Szenarist Benito Wogatzki, das Produktionsthema und der symbolträchtige Titel Anlauf ließen eine weitere zeitgenössische Bildschirmpropagierung der wissenschaftlich-technischen Revolution in
einem Betrieb des Apparatebaus befürchten. Doch Günther ging es nur vordergründig um den schwierigen Anlauf der Serienfertigung elektronischer Aggregate. Ins Zentrum rückte er die Liebesgeschichte zwischen einer jungen, emanzipierten Arbeiterin und einem Forschungsingenieur.
Durch eine für Adlershof überraschend unkonventionelle, ja untypisch zu nennende Besetzung der Hauptrollen mit Jutta Hoffmann und Eberhard Esche wurde
diese Arbeit zum Bildschirmereignis in der Gegenwartsdramatik. Egon Günther
erprobte einen wiederum gänzlich unorthodoxen Inszenierungsstil. Er nutzte beargwöhnte Mittel des Cinema verité, aber auch Verfremdungstechniken. Die Dar101
steller treten zuweilen aus ihrer Rolle heraus, sprechen den Zuschauer durch das
Spiel in die Kamera direkt an oder leisten sich mit Regie-Duldung szenische Improvisationen. Das alles war im gängigen Realismus-Verständnis bis dahin tabu,
jedenfalls außerhalb der komischen Genres oder der reinen Unterhaltungsformate.
Mit dem Film Der Dritte kehrte Egon Günther endlich zum DEFA-Spielfilm
zurück. Er hatte Babelsberg im Grunde nie verlassen. Alle seine Fernseharbeiten
entstanden im Rahmen der staatlich geplanten DEFA-Dienstleistungen für Adlershof mit den vom Regisseur gewünschten künstlerischen Partnern für Kamera,
Szenen- und Kostümbild oder Schnitt, mitsamt künstlerisch-technischem Arbeitsstab und den vertrauten großen Ateliers aus Ufa-Zeiten.
Ganz kurz nur zum Film Der Dritte. Er markiert in der reichen Tradition des
DEFA-Frauenfilms einen wichtigen Einschnitt. Mit dem Ende der Ulbricht-Ära und
dem Amtsantritt Honeckers verbanden sich manche Hoffnungen auf eine wirklichkeitsbewußtere Politik der maßvoll verjüngten Führung und einen freieren, öffentlichen Umgang mit den Problemen und Widersprüchen im gesellschaftlichen und privaten Lebensraum. Eberhard Panitz hatte die Protagonistin der Titelfigur Margit
Fließer bei Recherchen im Erdöl-Kombinat Schwedt gefunden und in einer Erzählung gestaltet. Aus Material und Motiven der ursprünglichen Reportage entwickelte
Günther Rücker bereits 1967/68 ein Szenarium, das erst in der Umbruchzeit des
neuen Jahrzehnts in Günthers Hände geriet. Jutta Hoffmann hat nach der Wende
ihren Eindruck vom Manuskript als »dröge« beschrieben und vom Regisseur, der
ihr wiederum die Hauptrolle antrug, »einen ganz anderen Drive« gefordert.
Wie sie sehen werden, hat der Regisseur dieser Erwartung mit seinem Drehbuch und in der Arbeit mit großartigen Darstellern und vielfältigen stilistischen,
auch komödiantischen Mitteln erfüllt. Kein Wunder, daß die sehr unkonventionelle Sicht auf Emanzipation und DDR-Sozialisierung dem Publikum unten mehr
gefiel als manchem Genossen mit Führungsblick. Jutta Hoffmann erinnert sich an
den Unmut Kurt Hagers, ihres Platznachbarn im Präsidium des II. Film-Verbandskongresses. Der monierte den respektlosen filmischen Umgang mit geheiligten
Traditionen. Auch Inge Lange soll im Namen des DFD die Beziehung der beiden
jungen Frauen im Film scharf gerügt haben. Und Egon Günther hörte von Werner
Lamberz, man habe oben »lange über den Dritten beraten«.
Erst der Große Preis in Karlovy Vary habe die Kulturfunktionäre versöhnlicher
gestimmt. Dort wurde Egon Günther Zeuge eines Gesprächs zwischen Kulturminister Hoffmann und seiner Frau. Zitat Günther: »Weißt du noch, Joachim, als es
so weit war, daß wir wußten, ob wir ihn herausbringen oder nicht. Und jetzt sind
wir doch froh, daß wir ihn herausbringen.« Egon Günthers Vermutung aber, die
Journalisten hätten Weisung gehabt, den Preis zu würdigen, »den Günther aber
links liegen(zu)lassen!« mag eher dem Blick zurück im Zorn geschuldet sein. Ein
halbes Jahr nach der Premiere erhielt der Regisseur, hochverdient, den Nationalpreis …
102
Der Dritte
Regie
Drehbuch
Szenarium
Dramaturgie
Egon Günther
Regie-Assistenz: Elke Niebelschütz
Egon Günther
Günther Rücker
Werner Beck
Kamera
Erich Gusko
Kamera-Assistenz: Ingo Raatzke; Heinz Wenzel
Bauten
Harald Horn
Bau-Ausführung: Franz F. Fürst; Erich Kulicke
Außenrequisite: Siegfried Wittke
Licht
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Darstellende
Produktionsfirma
Werner Baatz
Christiane Dorst
Horst Schulze; Margot Friedrichs
Rita Hiller
Werner Blass
Margit: Jutta Hoffmann
Lucie: Barbara Dittus
Hrdlitschka: Rolf Ludwig
Blinder: Armin Mueller-Stahl
Bachmann: Peter Köhncke
Oberin: Erika Pelikowsky
Junge Frau: Christine Schorn
Junger Mann: Jaecki Schwarz
Lucies Freund: Klaus Manchen
Vorsitzender: Walter Lendrich
Hrdlitschkas Mutter: Ruth Kommerell
Mann mit Sessel: Fred Delmare
Geistlicher: Christoph Beyertt
weiter: Ute Garnitz, Tamara Doege,
Hans-Edgar Stecher, Klaus Fiedler, Armin Mechsner,
Klaus-Jürgen Tews, Kurt Heinicke, Rita Hempel,
Ute Lubosch, Gerda Biok, Sabine Oehl,
Hannelore Freudenberger, Willi Schrade,
Hildegard Friese, Joachim Raschka, Detlef Witte,
Dorothea Meissner, Sylvia Neef, Gudrun Jochmann,
Wolfgang Pampel, Victor Keune, Hans Flössel,
Matthias Molter, Hans Feldner, Cornelius Köhntges,
Anita Noack
DEFA-Studio für Spielfilme, KAG »Berlin«
(Potsdam-Babelsberg)
103
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Länge
Format
Bild/Ton
Aufführung
Zum Inhalt
Heinz Mentel
Paul Lasinski; Karl-Heinz Rüsike; Kurt Brandenburg
3036 m, 111 min
35mm
Farbe
Uraufführung (dd): 16. März 1972, Berlin,
International
Margit ist 36 Jahre, war zweimal verheiratet, hat aus jeder Ehe ein Kind. Sie hat studiert
und arbeitet als Mathematikerin. So kann sie gut für sich und ihre beiden Kinder sorgen.
Was ihr fehlt, ist – trotz zweier gescheiterter Beziehungen – ein Partner. In Rückblenden
wird ihre Lebensgeschichte noch einmal erzählt: Diakonissenschule, Arbeiter- und Bauern-Fakultät, Liebesverhältnis zu ihrem Dozenten, erste Schwangerschaft, gescheiterte Beziehung. Ihr zweiter Mann, ist ein blinder Musiker, der mit sich selbst nicht zurecht kommt,
auch nicht mit nun zwei Kindern. Margit entdeckt schließlich einen Dritten, Hrdlitschka,
der sie aber nicht bemerkt. Da beschließt Margit, offensiv zu werden und, gegen alle Konvention, Hrdlitschka anzusprechen und nicht mehr loszulassen.
104
Lotte in Weimar
Dramaturg Walter Janka hatte Lotte in Weimar schon sehr früh ins Gespräch gebracht, als Film-Hommage zum 100. Geburtstag Thomas Manns im Juni 1975.
Nach unseren vergeblichen Bemühungen um drei Gegenwartsstoffe Egon Günthers,
ich habe sie in meinem Buch1 beschrieben, wollten wir dem Regisseur damit endlich eine anspruchsvolle Produktionsperspektive sichern.
Doch da stand die delikate Frage der Verfilmungsrechte im Raum. Ein DDRkonformes finanzielles Arrangement war nur noch zu Lebzeiten von Katia Mann
zu erhoffen. Mit ihr und Tochter Erika stand Walter Janka in engem Kontakt. Als
Leiter des Aufbau-Verlags hatte er die erste zwölfbändige Gesamtausgabe des
Zauberers herausgebracht, und die Familie Mann hatte es ihm nach seiner Inhaftierung 1957 durch Bittschriften bis zu seiner vorzeitigen Entlassung aus Bautzen
Weihnachten 1960 entgolten.
Fünf Jahre vor dem Jubiläum übermittelte ich dem Leiter der HV Film, Günter
Klein, unseren Vorschlag mit amtsfreundlicher kulturpolitischer Argumentation.
Wir baten um Information des Kulturministers und die Vollmacht, Katia Mann
eine kleine Erlösbeteiligung aus eventuellem Verkauf ins westliche Ausland anzubieten – wie schon Marta Feuchtwanger beim Goya-Film. So hofften wir, ungeachtet anderer Preise im Westen, die DDR-Fix-Summe von 25 000 DM auch für
den weltweit bekannten Roman des Literatur-Nobel-Preisträgers durchzubringen.
Für den Filmminister wurde zunächst einmal eine Stellungnahme des AufbauVerlags angefordert und die Beratung durch Cheflektor Peter Goldammer. Walter
Janka verweigerte ein Gespräch mit ihm, Goldammer, in der Französischen Straße.
Er fühlte sich vom Verlag verraten und noch immer diskriminiert. Die unsinnige
Verlagsvormundschaft konnte abgewendet werden. Sie hätte das Projekt unweigerlich blockiert. Im August 1970 durfte Janka das DEFA-Interesse endlich auch
offiziell bestätigen und vertragliche Lösungen wie mit Marta Feuchtwanger zusichern. Um die heikle Offenlegung der Verkaufserlöse zu vermeiden, wurde im
Mai 1971 eine etwas höhere Devisenzahlung in drei Jahresraten vereinbart.
Für die Dreharbeiten warben wir um das Wohlwollen der Gedenkstätten der
deutschen Klassik in Weimar. Der Stab brauchte Zugang zum Goethe-Haus und
die Erlaubnis, dem Interhotel Elephant seine historisch verbürgte äußere Gestalt
trickreich zurückzugeben. Mit einem Beratervertrag stimmten wir den Generaldirektor der Gedenkstätten Helmut Holzhauer freundlich. Als Vorsitzenden der einst
gefürchteten Staatlichen Kunstkommission nannten ihn die von ihm oft gescholtenen Künstler gern »Professor Holzhammer«.
1
Gruppe Babelsberg Unsere nicht gedrehten Filme, Das Neue Berlin 2000
105
Jankas Besuch mit Egon Günther bei »Frau Thomas Mann« in Kilchberg am
Zürichsee war dank seiner langjährigen guten Beziehungen zur Familie erfolgreich. Er kam mit dem unterschriebenen Vertrag zurück. Die DEFA sorgte immerhin dafür, daß der Dramaturg mit seiner Frau 1973 der Einladung Katia Manns zu
ihrem 90. Geburtstag folgen konnte.
Das Szenarium lag Ende 1973 vor und ging postwendend zur Begutachtung
durch Katia und Golo Mann nach Zürich, Erika war da schon tot.
Berlin nahm das Projekt nicht weniger wichtig. Günter Klein, assistiert von
zwei Gelehrten, dem kurzzeitigen ersten und letzten Chefdramaturgen der HV
Film, Prof. Bernd Bittighöfer und dem Literaturwissenschaftler Heinz Plavius,
bestand auf persönlichem Vortrag der Regiekonzeption. Amtlich erwünscht war
die »kulturgeschichtliche Vertiefung der Dialektik von Auf- und Abbau des Klassikbildes in Gestalt des Goethe-Sohnes August«. Das konnte Egon Günther mit
dem Hinweis abwehren, daß das Szenarium bereits um ein Drittel, also ganze
1 000 Meter zu lang sei. Allein bei der Besetzung kam es in der Hauptverwaltung
zum Dissens, doch ausnahmsweise nicht mit ihr.
Der Regisseur, in seinen Intentionen allseits ermutigt, hatte zunächst kühne
Vorstellungen von einer prominenten internationalen Besetzung der heimlichen
Hauptrolle des Romans, des alten Goethe, nämlich mit dem Weltstar Max von Sydow, dem vielmaligen Hauptdarsteller Ingmar Bergmans. Ungeachtet aller Zweifel, ob sich denn diese so gar nicht porträtähnliche Wahl allein schon aus finanziellen Gründen realisieren ließe, wußte ich den ausgefallenen Dienstreiseantrag
mit den schönsten Hoffnungen zu begründen.
Unsere Verfilmung werde an internationaler, vor allem Festival-Reputation mit
einem solchen Namen sehr gewinnen und die Verkaufschancen über den deutschsprachigen Raum hinaus erheblich verbessern. Der DEFA-Außenhandel, nicht nur
dem Kultur-, sondern auch dem Außenhandelsministerium unterstellt, sah solche
Besetzungswünsche ungern. Man fürchtete, später für etwaige Valutaforderungen
in Anspruch genommen zu werden. Immerhin, Egon Günther konnte die Offerte
in Stockholm persönlich überbringen.
Die Antwort des vielbeschäftigten Schauspielers wäre auf dem Postweg billiger zu haben gewesen. Von Sydow zeigte sich vom DEFA-Regisseur und dem
Rollenangebot geehrt, doch andere Filmaufgaben und feste Theaterverpflichtungen standen seinem Interesse entgegen.
Nun dachte der Regisseur an Wolf Kaiser. Der einstige Star des Berliner Ensemble, inzwischen fast eine Art Serien-Held des Fernsehens in öffentlich hoch
gelobten, unter Kollegen recht umstrittenen Gegenwartsfilmen, neigte kräftig zum
Chargieren. Ihn wollte Walter Janka als Goethe um keinen Preis akzeptieren.
Günter Klein beendete die Debatte mit der sehr überraschenden Auskunft, die HV
mische sich in künstlerische Fragen nicht ein. Das war allerdings neu.
Prof. Albert Wilkening, nach dem 11. Plenum nur noch Produktionschef,
schlug vor, Martin Hellberg für die Goethe-Rolle zu gewinnen. Er sah sich dabei
106
auch in der moralischen Pflicht, dem langjährigen, nicht immer glücklichen
DEFA-Regisseur und großartigen Darsteller eine ihm gemäße Aufgabe zu übertragen. Hellberg, zuletzt Generalintendant des Staatstheaters Schwerin, war vom
Rat des Bezirks auf skandalöse Weise fristlos gekündigt und in den vorzeitigen
Ruhestand versetzt worden. Der Weltfriedens- und mehrfache Nationalpreisträger
lebte mit seiner neuen jungen Familie inzwischen in der Thüringer Provinz. Er
hatte zwar schon einen Platz in Günthers Besetzungsliste, aber nur in einer eher
bescheidenen Charge, neben anderen an Goethes Tafel zum »kleinen« Empfang
zu Ehren der von weit her gereisten alternden Jugendliebe Lotte, alias Charlotte
Kestner, geb. Buff, die einst dem Dichter Modell stand für den Werther-Roman.
Hellberg bekannte, er habe aus Ehrfurcht vor der Goethe-Gestalt zunächst einmal gezögert. Doch er mußte nicht lange überredet werden und sah in dieser Aufgabe bald schon die ihm gebührende Rolle seines weiteren Lebens. Als er seinen
jungen Regiekollegen allerdings mit einer eigenen Drehbuch-Version für seinen
Part konfrontierte, war es um Egon Günthers Fassung und sprichwörtliche Liebenswürdigkeit geschehen. Doch nach einem recht prinzipiellen Gespräch, moderiert vom erfahrenen Produktionsleiter Erich Albrecht, war fortan die wünschenswerte Harmonie im Atelier gesichert, die Rollenverteilung am »Set« definitiv
geklärt.
Die Verwandlung des vitalen Mimen in den altehrwürdigen Dichter, Denker
und Staatsmann gelang überzeugend. Hellberg hatte das imposante Kostüm von
Christiane Dorst und das glaubwürdige Maskenbild Günther Hermsteins durch
braune Haftschalen komplettiert und war so naturnah in die Haut des Idols geschlüpft. Später erwarb er das Kostüm, um noch lange danach Goethe-Lesungen
im Originalgewand zu zelebrieren. Eine frühe Autogramm-Postkarte im ordengeschmückten schwarzen Rock des Staatsministers trägt das Datum vom 11. Juli
1975 und die altväterliche Widmung »Meinem immer zu lebendigem Ringen anregenden Dieter Wolf sein alter ›Goethe‹ alias Prof. Martin Hellberg – Dein Martin «. Na, wenn das nichts ist ...
Die Probeaufnahmen hatten noch gar nicht recht begonnen, die Besetzung der
Lotte-Darstellerin jedenfalls war noch nicht spruchreif, auch wenn schon mal die
»Oma vom Dienst«, Mathilde Danegger, genannt wurde. Da kam es zu dem einmaligen Vorgang in der Produktionsgeschichte der DEFA. Lilli Palmer bekundete
dem Studio über ihre Agentur und Egon Günther per Telefon persönlich ihr dringendes Interesse. Dieses Angebot, so erzählt der Regisseur, sei auf heftigen Widerstand gestoßen. Nicht nur der DDR-Aktricen, die die Hauptrolle für sich erhofften. Das habe ihn auf die Idee gebracht, den Ex-England-Emigranten Kurt
Hager höchstselbst um die Genehmigung zu bitten, »die englische Staatsangehörige und große Schauspielerin« zu besetzen. Der Erfolg ist bekannt.
Die Zusammenarbeit mit dem Weltstar erwies sich ungeachtet mancher Skepsis als konfliktfrei. Sie wunderte sich allein über das im Westen unvorstellbare
Privileg ihrer mitfilmenden Kollegen der Berliner Theater, die zuweilen erst ver107
spätet von ihren morgendlichen Proben kamen oder wegen der Abendvorstellung
den Drehort verfrüht verließen. In der Zeit ihres DDR-Aufenthalts jedenfalls waren von ihr keinerlei Beanstandungen zu hören. Im Gegenteil. Sie lobte in Kenntnis anderer Praktiken die moderaten Tagespensen und die ruhige, kreative Atmosphäre im Atelier. Als sie einmal von Zensur und davon klagen hörte, daß es
»hinter den Kulissen« zuweilen heiß hergehe, wußte sie Trost. Das Politbüro sei
doch weit und selten zu vernehmen, im Westbetrieb stehe der Produzent täglich
hinter der Kamera ...
Mit so verständnisinnigen Urteilen war es bald nach der Welturaufführung im
Mai 1975 in Cannes vorbei. Hier präsentierte sie noch ihren Film in schönster
Harmonie gemeinsam mit Egon Günther, Jutta Hoffmann und Martin Hellberg.
Zur Berliner Premiere am 6. Juni aber wollte sie nicht erscheinen, weil ihr Wunsch
nach einer »gesamtdeutschen Premiere in Lübeck«, nicht erfüllt wurde. Selbst
wenn solch ein Ereignis dort am Geburtstag Thomas Manns organisierbar gewesen wäre, die DDR war zu Beginn neuer West-Ost-Beziehungen an einer Demonstration für die drüben gepredigte »einheitliche deutsche Kulturnation« nicht
interessiert. Das von Berlin geforderte Kulturabkommen zwischen beiden deutschen Staaten war noch in weiter Ferne, und das lag keineswegs an der DDR.
Selbstverständlich wollte man eine repräsentative Delegation gern in die Bundesrepublik entsenden, sobald sich ein Verleiher gefunden hätte ...
Das Berliner Premierenpublikum jedenfalls feierte die Beteiligten mit langem
Applaus, der sicherlich auch der abwesenden Frau Palmer galt. Sie aber glaubte
wohl, einer hämisch-giftigen Öffentlichkeit im Westen eine Art Rechtfertigung
für ihre Mitarbeit an einem DEFA-Film zu schulden, als sie neugierigen Journalisten nur noch Abfälliges über ihren Ausflug in den Osten zu berichten wußte.
Drei Jahre nach dem Ausscheiden aus der Festanstellung endete mit Lotte in
Weimar Walter Jankas so erfolgreiche Arbeit als Dramaturg, die er nach seinem
kämpferischen Lebensweg und seiner so verdienstvollen Verlegertätigkeit in seinen Memoiren nur noch als sinnvollen Broterwerb betrachten wollte. Ein gutes
Jahrzehnt verspätet erhielt er den Heinrich-Greif-Preis, den wir für ihn schon nach
der Premiere des Goya-Films beantragt hatten ...
108
Lotte in Weimar
Produktionsland
DDR, 1974/1975
Produktionsfirma
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
(Künstlerische Arbeitsgruppe »Babelsberg«)
Aufnahmeleitung
Dieter Krüger, Karl-Heinz Rüsike, Theo Scheibler
Produktionsleitung
Erstverleih
Uraufführung
Regie
Drehbuch / Szenarium
Dramaturgie
Kamera
Licht
Bauten
Requisite
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Darstellende
Erich Albrecht
Progreß-Filmverleih, Berlin
15. Mai 1975, Berlin Kino International
Egon Günther
Regieassistenz: Elke Niebelschütz
Egon Günther
Walter Janka
Erich Gusko
Kamera-Aissistenz: Ingo Raatzke
Standfotos: Wolfgang Ebert
Horst Döring
Harald Horn
Bauausführung: Erich Kulicke, Franz F. Fürst,
Wolfgang Kiehl
Kunstmaler: Alfred Born
Wolfgang Wintz (Bühnenmeister)
Außenrequisite: Werner Gießler
Christiane Dorst
Günter Hermstein, Ursula Funk, Inge Merten,
Monika Mörke, Eberhard Neufink
Rita Hiller
Wolfgang Höfer
Mischung: Gerhard Ribbeck
Gustav Mahler (6. Sinfonie a-Moll)
Musik-Ausführung: Václav Neumann
Lotte: Lilli Palmer
Goethe: Martin Hellberg
Kellner Mager: Rolf Ludwig
Goethes Sohn August: Hilmar Baumann
Adele Schopenhauer: Jutta Hoffmann
Ottilie von Pogwisch: Johanna Glas
Lottes Tochter: Monika Lennartz
Prof. Meyer: Norbert Christian
109
Darstellende
Zum Inhalt
Dr. Riemer: Hans-Joachim Hegewald
Landkammerrat Ridel: Walter Lendrich
Diener Carl: Dieter Mann
Zofe Klärchen: Angelika Ritter
Amalie Ridel: Annemone Hase
Frau Riemer: Gisela Stoll
Frau Meyer: Christa Lehmann
Frau Kirms: Linde Sommer
Frau Coudray: Sonja Hörbing
Stephan Schütze: Viktor Deiß
Hofkammerrat Kirms: Hans-Dieter Schlegel
Oberbaurat Coudray: Peter Köhnke
Bergrat Werner: Wilhelm Gröhl
Bauer: Fred Delmare
Rühring: Wolfgang Greese
Ferdinand Heinke: Thomas Neumann
Frau Elmenreich: Barbara Brecht-Schall
Miss Cuzzle: Ute Hübner
Hausdiener: Axel Triebel
Junge Lotte: Martina Wilke
Junger Goethe: Hilmar Eichhorn
Junger Kestner: Thomas Thieme
in weitereren Rollen: Hans-Gerd Schäfer,
Detlef Heintze, Berko Acker, Rainer Etzenberg,
Kurt Götz, Paul Arenkens, Gertrud Adam,
Thomas Schäfer, Klaus Powollik-Ronay,
Hannes Stelzer, Horst Giesen, Horst Graeve,
Irene Freymann, Frank Wuttig, John Peet,
Hans-Peter Körner, Melchior Vulpius, Heinz Laggies,
Matthias Molter, Joachim Uhlitzsch,
Katharina Zschoche, Friedrich Teitge, Werner Kanitz,
Gerd Zimmermann, Jörg Gillner,
Jochen Diestelmann, Beatrice Brandenburg
Goethes Jugendliebe Charlotte Kestner (Werthers Lotte) kommt nach 40 Jahren auf die
Idee, den Jugendfreund und Staatsminister in Weimar zu besuchen. Goethe will sie auf keinen Fall allein empfangen. Der Besuch gerät zu einer Enttäuschung. Es gibt nicht mehr als
einen Anstandsbesuch im Rahmen eines Mittagessens mit der Weimarer Hofgesellschaft
und ein Billet für Goethes Theaterloge. Es bleibt offen, ob ein letztes Gespräch nach dem
Theater in Goethes Kutsche zwischen Lotte und dem Dichterfürsten wirklich stattgefunden
hat.
110
Die Schlüssel
Egon Günthers vierter Kinospielfilm entstand 1972. Er schrieb den literarischen
Entwurf gemeinsam mit seiner Frau Helga Schütz. Wie er selbst sagt, existierte
ein Drehbuch »nur in groben Zügen. Was mir eigentlich als Plan vorschwebte,
war natürlich das Ausbrechen aus einer landläufigen und immer wieder neu produzierten Art und Weise, Kino zu machen und mit einem Minimum an Verabredung auszukommen.« Das richtete sich expressis verbis gegen die HollywoodKlischees, unausgesprochen aber auch gegen alle Muster und Konventionen der
DEFA-Produktion und DDR-Leitungspraxis.
Die Einordnung des Films in die kulturpolitisch geforderte thematische Planung erwies sich genauso schwierig wie eine klare Genre-Ankündigung. In Babelsberg artikulierte sich gerade eine neue Regie-Generation in einer stärker dokumentaren contra fiktionalen Stilrichtung, wie sie Horst Seemann mit Zeit zu leben
repräsentierte. Man wollte näher an das wirkliche Leben heran. Gewöhnliche
Leute, so ein Filmtitel, und der ganz normale Alltag rückten ins Zentrum der Gestaltung, weg vom Heldentypus der Vorbildfiguren, Absage auch an die Illustration von Bewährungs- und Entwicklungsgeschichten. Laien und noch unbekannte
Darsteller agierten vor der Kamera, so als kämen sie direkt von der Straße. Der Originalschauplatz wurde der Atelierdekoration vorgezogen. Vorreiter dieser Orientierung kündigten das Genre des Porträtfilms bereits im Titel an: Lothar Warneke
mit Dr. med. Sommer II, Leben mit Uwe, Die unverbesserliche Barbara, und Roland Gräf mit Mein lieber Robinson oder Bankett für Achilles.
Trotz mancher dokumentarer, ja reportagehafter Sequenzen entziehen sich Die
Schlüsssel solcher Zuordnung. Egon Günther berief sich gern auf ein Apercu von
Slatan Dudow: »Wenn ich das Atelier eines Kollegen betrete, weiß ich, daß er es
falsch macht«. Das war nicht ignorant gemeint, vielmehr als Selbstermunterung
zum eigenen, unverwechselbaren Anliegen und Stil. Der Film, den wir heute sehen, ist – mindestens im Gegenwartssujet – das konsequenteste und zugleich umstrittenste Beispiel für Günthers Experimentierfreude.
Zwei locker liierte junge Leute, Klaus und Ric, der Maschinenbaustudent, sie
eine sogenannte einfache Arbeiterin, brechen zu einer Reise nach Polen auf.
Schon die Exposition weist gleichnishaft über das Alltägliche des weiteren Vorgangs hinaus. Die Zufallsbekanntschaft mit einem nach Paris reisenden polnischen Ehepaar schenkt den beiden die Schlüssel ihrer Krakauer Wohnung und damit ein unerwartetes Urlaubsdomizil. Dieser außergewöhnliche Vertrauensbeweis
gewinnt vor dem Hintergrund deutsch-polnischer Geschichte besonderes Gewicht.
Vielfältige, überraschende Eindrücke und Begegnungen begleiten und kontrastieren die fragile Beziehung des jungen Paares und ihre Selbstbefragung.
Diese Prüfung und die latente Frage nach der Perspektive ihres künftigen Zusammenlebens wird abrupt beendet durch den schicksalhaft zufälligen Unfalltod des
111
Mädchens. Die tragische Wendung der Geschichte geschieht ohne kunstvolle Vorbereitung. Der Schock des jungen Mannes, seine seelische Betroffenheit wird gegen
alle dramaturgischen Regeln szenisch weniger ausgebreitet als die trivialen Schwierigkeiten und Umstände, die tote Freundin auf den Weg nach Hause zu bringen.
Die Autoren verzichten bewußt auf eine Fabelführung im klassischen Sinne in
Form einer logisch aufgebauten kausalen Folgehandlung. Obwohl viele Bilder
und Szenen lange im Gedächtnis bleiben, fiele es schwer, den Film nachzuerzählen. Doch auch die DEFA-übliche thematische Eindeutigkeit in der Entfaltung
des Sujets ist hier vermieden. Die unterschiedliche Mentalität der Partner, die
auch sozial determinierte untergründige Spannung zwischen ihnen entlädt sich
nicht in dramatischen Kollisionen.
Günther nutzt ein einsames langes Selbstgespräch des Mädchens in einer
Straßenbahn, vielleicht an einer Endhaltestelle, um die geistige Dimension der Figur zu entfalten. Das geschieht nicht wie üblich in Form der Gedankenstimme.
Wir sehen Jutta Hoffmann als Ric sprechen, so als rede sie – wie nie zuvor und
nicht mehr danach – mit ihrem Klaus endlich einmal schonungslos offen über ihre
Gefühle und Befindlichkeiten. Doch schnell stellt sich heraus, daß Jaecki Schwarz
als Klaus in der Szene gar nicht präsent ist. Nur so ist vielleicht die unverblümte
Selbstdarstellung der Figur erklärlich und nachvollziehbar.
»Dieser lange Monolog«, so der Regisseur, »stand nicht im Buch oder wurde
erst in einer sehr späten Phase konzipiert, aus der Erfahrung des Drehens heraus.«
Vor allem diese Szene, aber nicht nur sie, charakterisiert Egon Günthers eigenwilliges Verständnis von der Rolle des Schauspielers nicht nur in diesem seiner Filme.
Es ging ihm gerade nicht darum, »daß sie vergessen machen, daß sie eigentlich
Schauspieler sind, im Gegenteil.« Er lobt Jutta Hoffmann eben für »dieses Wechselspiel – einzutauchen in die Rolle und wieder herauszukommen ... Sie hat das
Spiel immer wieder gern gebrochen, indem sie mal in die Kamera lachte oder
weiterspielte nach dem ›Aus‹. Sie wollte damit sagen: Ich bin aber ich, Jutta Hoffmann.« Die damit verbundenen Momente der Spontaneität, ja der Improvisation,
gehörten zum Regie-Konzept, »Schauspieler vollkommen in die Freiheit zu entlassen, das zu tun, was ihnen im Moment richtig erscheint.«
Rückblickend hat Jaecki Schwarz diese schöpferische Freiheit des Darstellers
geradezu emphatisch gelobt: »Da wurde ich das erste und einzige Mal als Künstler gefordert. Aus Film wurde Filmkunst. Es wurde nicht nachgeplappert, was
sich ein anderer ausgedacht hatte, oder was nachgespielt, was sich ein Regisseur
vorstellte.« Egon Günther dürfte freilich seine Rolle im Zusammenspiel aller Mitwirkenden damit kaum getroffen sehen.
Sein Film war und blieb eine absolute Ausnahmeerscheinung in der DEFA-Geschichte. Frage also: Wie konnte er unter den Bedingungen staatlich finanzierter
Spielfilmproduktion und zentralistischer Leitung überhaupt entstehen?
Mit dem Staffettenwechsel von Ulbricht zu Honecker, dem VIII. Parteitag und
dem 6., dem sogenannten Kulturplenum des ZK der SED 1972, waren an der
112
Basis manche Hoffnungen auf eine weniger dogmatische Medienpolitik verbunden.
Von »Weite und Vielfalt« in der Kunst, vom »Reichtum der Handschriften und
Ausdrucksweisen« war die Rede und dem Ende der Tabus. Konrad Wolfs eingebunkerter Film Sonnensucher aus dem Jahr 1958 erlebte seine Fernsehpremiere
und kam danach ins Kino, allerdings um Aktualität, Brisanz und entsprechende
Wirkung betrogen.
Nicht nur Künstler, auch die Leiter aller Ebenen suchten auf ihre Weise, diese
vorsichtigen Signale zu deuten und für die Praxis zu nutzen. Die freimütige, kritische Atmosphäre auf dem II. Kongreß des Verbands der Film- und Fernsehschaffenden galt manchem als klare Ermutigung.
So entstanden 1972 gleich drei tatsächlich herausragende Gegenwartsfilme.
Neben Egon Günther inszenierte Heiner Carow Plenzdorfs Publikumshit Die Legende von Paul und Paula, Siegfried Kühn drehte nach Helmut Baierls Buch eine
der wenigen echten Gegenwartskomödien Das zweite Leben des Georg Friedrich
Wilhelm Platow.
Als Die Schlüssel abgedreht waren, hatte sich der Wind bereits wieder gedreht,
um mit Frank Beyer zu sprechen. Nun erinnerte man sich an Kurt Hagers frühzeitige Warnung vor jedem »bürgerlichen Modernismus«. Zunächst aber ging es um
Einwände von polnischer Seite, so verlautete im Studio. Wessen Demarche und
auf welchem Wege aus kritisch beobachtetem Freundesland nach Babelsberg
kam, war unklar. Anstoß erregte etwa die Schilderung der körperlich schweren,
schlecht bezahlten Arbeit einer älteren kleinen Frau am Hochofen von Nova Huta.
Entfernt wurde eine Szene, in der drei Polen den Deutschen vor eine Gedenktafel
für die Nazi-Opfer ziehen und Partisanenlieder singen. Einer per Zufall dokumentierten katholischen Prozession mußte die kirchliche Spitze genommen werden –
nämlich der ihr voranschreitende Kardinal Wischinsky. Warum dem DDR-Zuschauer das Bild des politisch recht eindeutig beleumundeten Kirchenführers
erspart werden sollte, ist schwer erklärlich. Nachdem Studiochef Albert Wilkening
Ende 1973 die Schnitte ins Filmfleisch nach Berlin gemeldet hatte, verfügte der
HV-Leiter Günter Klein die Staatliche Zulassung, aber auch ein Export-Verbot.
Mit der Premiere im Februar 1974 aber waren die Auseinandersetzungen um
den Film keineswegs beendet. Der in jeder Hinsicht unkonventionelle Streifen
irritierte nicht nur die Kritiker, auch das Publikum, das mit der ungewöhnlichen
Formensprache wenig anzufangen wußte. Das veranlaßte die Spielplangestalter
der Bezirksfilmdirektionen, den Film recht schnell aus dem Programm zu nehmen
und in Filmclubveranstaltungen zu verstecken.
113
Die Schlüssel
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Standfotos
Licht
Deutsche Demokratische Republik
21. Februar 1974
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
Egon Günther
Regie-Assistenz: Elke Niebelschütz
Egon Günther und Helga Schütz
Werner Beck
Erich Gusko
Kamera-Assistenz: Norbert Kuhröber
Klaus Goldmann
Werner Baatz
Bauten
Harald Horn
Bauausführung: Franz F. Fürst
Maske
Horst Schulze; Margot Friedrichs
Kostüm
Christiane Dorst
Schnitt
Rita Hiller
Musik
Czesl~aw Niemen
Außenrequisite
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Ton
Darstellende
Kurt Dombrowski
Hans Mahlich
Heinz Fröhlich, Wolfgang Lange
Edgar Nitzsche
Mischung: Gerhard Ribbeck
Ric: Jutta Hoffmann
Klaus: Jaecki Schwarz
Helena: Magda Zawadzka
Frantisek: Jerzy Jogalla
Großmutter: Jadwiga Chojnacka
Pawlik: Leon Niemczyk
Hanka: Anna Dziadyk
DDR-Botschaftsvertreter: Wolfgang Greese
Die Aufnahmen in Kraków entstanden mit Unterstützung der Filmgruppe »Illuzjon«, Warschau.
Zum Inhalt
Ric und Klaus, sie ist Arbeiterin, er Student, reisen im Urlaub nach Kraków. Auf dem Flugplatz gibt ihnen ein freundlicher Pole den Schlüssel zu seiner Wohnung. Beide sind erwar-
114
tungsvoll, erleben unbeschwerte Tage. Ric gibt sich in ihrer unkomplizierten Weise den
Entdeckungen hin, dem Leben im Nachbarland, den Begegnungen. Geschichte wird für sie
fühlbar. In dieser fremden Umgebung sieht sie plötzlich ihre Beziehung zu Klaus in einem
neuen Licht, sie spürt, wie anders er auf alles reagiert, fühlt sich verletzt und durch seine
Maßregelungen, seine überlegene Art. Die Kompliziertheit ihrer Beziehung wird ihr deutlich. Intellektuell wird sie ihm nie gewachsen sein. Er wird seinen Weg machen, während
sie immer Arbeiterin bleiben wird, wozu sie sich bekennt. Dieses Bekenntnis aber läßt sie
um den Bestand ihrer Liebe fürchten. Sie gerät in Panik, als sie Klaus nicht findet, stürzt
blindlings auf die Straße, um ihn zu suchen, und dabei in eine Straßenbahn. Ihr Tod ist für
Klaus ein Schock. Die Größe des Verlusts empfindet er langsam – während der Begegnung
mit Anteil nehmenden Menschen und bei der Abwicklung der Überführungsformalitäten.
(aus: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg – DEFA-Spielfilme 1946 – 1992
Hrsg.: Filmmuseum Potsdam - Berlin: Henschel, 1994, S. 457 f.)
Die Braut
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Idee
Kamera
Licht
Ausstattung
Kostüm
Maske
Schnitt
Requisite
Musik
Deutschland
21. Februar 1974, Erstaufführung (TV)
26. November 1999; Deutschland, Frankreich (Arte)
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
Egon Günther
Regie-Assistenz: Christian Riss
Egon Günther
Albrecht Börner
Peter Brand
Kamera-Assistenz: Ingo Raatzke
Standfotos: Klaus Goldmann
Herbert Buchberger
Martin Schreiber
Production Design: Harald Horn
Christiane Dorst; Riccarda Merten-Eicher (Assistenz)
Iris Kettner; Gerlinde Kunz; Klaus Petzold;
Uta Spikermann (ungenannt)
Monika Schindler
Lothar Karbe; Oliver Kuhlmann
Joseph Haydn
115
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Ton
Darstellende
Hans Mahlich
Heinz Fröhlich, Wolfgang Lange
Edgar Nitzsche
Mischung: Gerhard Ribbeck
Johann Wolfgang von Goethe: Herbert Knaup
Christiane Vulpius: Veronica Ferres
Charlotte von Stein: Sibylle Canonica
Charlotte Lengefeld-Schiller: Franziska Herold
Herzog Carl August: Christoph Waltz
Christoph Martin Wieland: Friedrich Wilhelm Junge
Hans-Heinrich Meyer: Rüdiger Vogler
Tante Juliane: Maria Happel
Ernestine: Fritzi Haberlandt
Goethes Diener: Jörg Schüttauf
Friedrich Wilhelm Riemer: Ulrich Anschütz
Fritz von Stein: August Diehl
Bettina von Arnim: Julia Filimonow
August Goethe: Baki Davrak
Marschall Michel Ney: Anatole Taubman
Christian August Vulpius: Christian Hockenbrink
Herzogin Luise: Nicole Max
Achim von Arnim: Michael Goldberg
Karoline Herder: Gundula Köster
Lakai des Herzogs: Jürgen Hartmann
Dorothea Wieland: Anette Felber
Dienerin im Salon Stein: Katka Kurze
Friedrich Justin Bertuch: Klaus Manchen
Singendes Mädchen: Franziska Giess
Schreiende Frau: Mandy Büchner
Elsässer: Serge Wolf, Köchin: Karin Oehme
1. Kind: Armin Förster, 2. Kind: Steven Milcke
3. Kind: Gilles Gavois, 4. Kind: Paula Fürstenberg
5. Kind: Nicki Milcke, Arzt: Christian Doermer
in weiteren Rollen: Dominique Horwitz, Udo Samel
Die Aufnahmen in Kraków entstanden mit Unterstützung der Filmgruppe »Illuzjon«, Warschau.
Zum Inhalt
Der Schriftsteller und Regisseur Egon Günther setzt sich nach »Lotte in Weimar« und »Die
Leiden des jungen Werther« ein drittes Mal mit dem berühmtesten deutschen Dichter auseinander. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht Goethe und seine Arbeit, sondern seine Geliebte, die 23jährige Christiane Vulpius. Ihre »plebejische« Herkunft im Gegensatz zum
»Patrizier« Goethe und ihre schiere körperliche Präsenz geraten zur Provokation für die
Weimarer Gesellschaft.
116
Günter Reisch – Biographie und Filmographie
Als Günter Julius Hermann Reisch wird er am 24. November 1927 in Berlin geboren, Sohn des Bäckermeisters Julius Reisch und seiner Frau, der kaufmännischen Angestellten Erna Reisch, geb. Queißer. Nach dem Tod des Vaters zieht die
Familie 1934 nach Potsdam, wo Reisch die Oberrealschule bis zur 10. Klasse besucht. Als 16jähriger kurz vor Kriegsende eingezogen, gerät er mit der »Armee
Wenck« bei Tangermünde in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Im Herbst
1945 übernimmt er Aufbau und Leitung des Theaterensembles im Antifa-Jugendausschuß und in der FDJ in Potsdam.
Nach dem Abitur Schauspielunterricht bei Werner Kepich. 1947 Aufnahme in
den ersten Jahrgang am Nachwuchsstudio der DEFA; sein erster Lehrer ist Ilja
Trauberg. Ab 1948 Regie-Assistent bei Gerhard Lamprecht, Georg Wildhagen
(Vorbereitung für Figaros Hochzeit, 1949), Martin Hellberg und acht Jahre lang
bei Kurt Maetzig (u. a. Thälmann). Seit 1955 ist er Regisseur beim DEFA-Studio
für Spielfilme. 1958 inszeniert er am Volkstheater Rostock die Bühnenfassung
von Lew Tolstojs Krieg und Frieden.
Reisch dreht – beginnend mit Junges Gemüse, das Motive von Gogols Revisor
in die DDR-Gegenwart transponiert – eine Reihe von Lustspielen und Komödien,
in denen er Opportunismus, Duckmäusertum, selbstgerechte Überheblichkeit und
andere kleinbürgerliche Schwächen im DDR-Alltag mit Spott, Ironie, Humor und
Phantasie behandelt. Maibowle (1959) und Silvesterpunsch (1960) verfolgen das
Schicksal einer Familie Lehmann. In die Kriminalsatire Der Dieb von San Marengo
(1962/63) und in die »freie Nacherzählung« (Buch: Jurek Becker) von Kleists
Der zerbrochene Krug, Jungfer, sie gefällt mir (1968), versucht Reisch zudem
Stilelemente des Musicals einzuflechten.
Ach, du fröhliche ... (1961/62) – Drehbuch Hermann Kant nach der Bühnenkomödie Und das am Heiligabend von Vratislav Blazek – zeigt ironisch-heiter,
welche Probleme dem Genossen Lorke, Direktor für Kader (Erwin Geschonneck)
einen Weihnachtsabend zu verderben drohen, weil Ansichten und Lebensweise
der heranwachsenden Kinder und der Nachbarn nicht unbedingt seinen Vorstellungen von sozialistischer Moral entsprechen. Fünfundzwanzig Jahre später – aus
Anlaß von Geschonnecks 80. Geburtstag – nimmt Reisch Thema und Personen
(überwiegend von denselben Schauspielern verkörpert) in Wie die Alten sungen …
wieder auf und versucht – auch durch Konfrontation mit Szenen aus dem alten
Film, die Entwicklung in der DDR humorig zu beleuchten.
Ein Lord am Alexanderplatz (1966/67) zeigt, wie ein auf den Traum von kleinbürgerlicher Familienidylle orientiertes Gaunerpaar – der Heiratsschwindler Ewald Honig (Geschonneck) und seine auf ältere Herren spezialisierte Tochter Ina (Angelica Domröse) – auch im Sozialismus Erfolg haben kann. Ebenfalls satirisch akzentuiert ist Nelken in Aspik (1975/76) über die freiwillig-unfrei117
willige Karriere eines Werbezeichners (Armin Mueller-Stahl) zum Generaldirektor.
Zu den wenigen gelungenen Filmkomödien der DEFA zählt Anton der Zauberer (1977), nach einem Szenarium von Karl Georg Egel, in deren differenzierter
Schilderung des genialen Organisators Anton (Ulrich Thein) sich die frühen Jahre
der DDR spiegeln. »Anton Grubske erhält 1945 den Auftrag, seinen Staat in die
eigenen Hände zu nehmen – als Arbeiter. Er wirtschaftet aber in die eigene Tasche
und schafft sich dafür Gründe, die komischerweise wieder gesellschaftlicher Natur sind. Er will die Ausbeuter – beispielsweise die Großbauern – ausbeuten. Aber
die komischen Widersprüche, die hier sein Verhältnis zur Arbeit bestimmen, legen
auch eine gewisse tragische Entwicklungsmöglichkeit des Charakters frei.«
(Reisch zu Haucke, 1979).
Reischs langjähriges und unermüdliches Bemühen um Unterhaltung im DEFAFilm charakterisiert sein Freund und Kollege Günther Rücker: »Er versucht sich
immer und immer wieder an Komödien und Lustspielen und Schwänken, er trieb
das Spiel hoch bis zur Farce, und er hat seine schönsten Leistungen, sein Bleibendes (denke ich), in tiefernsten, tragischen Sujets abgeliefert. Wie oft versuchten
seine Freunde, ihn vor Illusionen zu bewahren. Er lächelte: Trotz alledem!«
(Rücker, 1987).
Der 1958 gemeinsam mit Kurt Maetzig realisierte Film Das Lied der Matrosen
bestimmt thematisch den bedeutendsten Teil von Reischs Werken: die Darstellung
wichtiger Abschnitte aus der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung.
Bei der Schilderung des Matrosenaufstands 1918 in Kiel »ist ein liedhafter, balladenhafter Ton gewählt und die damit verbundene poetische Überhöhung des
Ganzen, weil man den politischen Gesamtzusammenhang in aller Differenziertheit in einem einzigen Film anders wohl nicht in den Griff bekam.« (K. Maetzig,
Filmarbeit, 1987). Mit zwei Figuren der ideologisch gefächerten revolutionären
Matrosengruppe schlagen die Autoren Karl-Georg Egel und Paul Wiens einen
Traditionsbogen bis in die DDR: der anarchistisch eingestellte Matrose Jupp König (Stefan Lisewski) – Reischs Lieblingsgestalt – taucht in Konrad Wolfs Sonnensucher (1957/58) wieder auf, Bartuschek (Hilmar Thate) in Wolfs Leute mit
Flügeln (1960), beide von Erwin Geschonneck dargestellt.
Reisch gibt in seinen nächsten historischen Filmen das Konzept des »kollektiven Helden« wieder auf und behandelt in Zusammenarbeit mit dem Autor Michael
Tschesno-Hell eine Zentralfigur der Arbeiterbewegung: Solange Leben in mir ist
(1964/65) schildert Karl Liebknechts (Horst Schulze) pazifistischen Kampf als
Reichstagsabgeordneter im Ersten Weltkrieg; Trotz alledem! (1971) umfaßt die
Zeit der Novemberrevolution 1918 bis zu Liebknechts Ermordung am 15.1.1919.
»Die historisch-biografischen Filme Reischs (...) verraten eine gewisse Unsicherheit bei der Behandlung des Zusammenwirkens gesellschaftlich-politischer und
privater Momente im Leben der Helden. Das uralte, viel diskutierte Problem der
Ästhetik, das Bild des historischen Helden, blieb meist ungelöst: Die Scheu vor
118
seiner Verniedlichung durch ‚allgemeinmenschliche’ Zugaben auf der einen Seite
und die Furcht vor einer zu starken Heroisierung auf der anderen prägten es.«
(Hanisch, 1972).
1970 entsteht in Co-Produktion mit dem Mosfilm-Studio Unterwegs zu Lenin
nach den Erinnerungen Alfred Kurellas, »ein Film des großen Abschieds von der
schwärmerischen Begeisterung und Verklärung der proletarischen Revolution zugunsten nüchterner Alltagsarbeit.« (Haucke, 1981).
Mit Günther Rücker als Autor dreht Reisch 1974 Wolz – Leben und Verklärung
eines deutschen Anarchisten, angelehnt an die Kämpfe des Anarchisten Holz in
der Weimarer Republik. Der Film verwendet neben realistischen Mitteln auch die
der Poetisierung, der Metapher und der symbolischen Verfremdung zu einer gelungenen, differenzierten künstlerischen Darstellung, bei der – wie wiederholt in
seinen Filmen – Reischs anarchisches Träumen deutlich wird, das sich allerdings
dann immer wieder der Partei-Disziplin unterwirft. »Wie da einer die Revolution
als Abenteuer nimmt, welchen Spaß er daran hat, verkehrte Verhältnisse sofort
und aus dem Handgelenk zu berichtigen, das teilt sich dem Betrachter als eine
große romantische Sehnsucht mit. Gerade weil aber schmerzlich deutlich wird,
daß diese Sehnsucht keine Erfüllung finden kann, bleibt das Leuchten über Wolz,
gewinnt er Größe.« (Funke, 1984).
Zu Reischs größten Erfolgen zählen zwei Werke, in denen er sich mit dem Faschismus auseinandersetzt. 1961 inszeniert er mit Hans-Joachim Kasprzik den
fünfteiligen Fernsehroman Gewissen in Aufruhr. Basierend auf dem autobiografischen Bericht von Rudolf Petershagen, schildert die Serie das Schicksal eines
Obersten der Nazi-Wehrmacht, den »Retter von Greifswald«, der sich gegen die
Befehle und für die Menschen entscheidet, sowie seinen Kampf gegen die Wiederaufrüstung in der BRD.
1979 entsteht – nach einem autobiografischen Roman von Eva Lippold – gemeinsam mit Günther Rücker Die Verlobte über das Schicksal einer klassenbewußten Kommunistin (Jutta Wachowiak) in den Gefängnissen der Nazis. »Der besondere Stellenwert dieses Films liegt darin, daß er seine Heldin in menschliche
Grund- und Grenzsituationen führt, in denen die physische und psychische Kraft
eines Menschen dem eigentlich nicht mehr Ertragbaren, Sagbaren, Darstellbaren
ausgesetzt werden. (...) Selten wurde so genau erfaßt, wie die ›normale‹, bürgerliche Lebensform von einer faschistischen Diktatur umfunktioniert und vereinnahmt, wie normale Lebensansprüche barbarisiert werden können. Und da führt
der Film aus dem historisch und national Konkreten wiederum hinaus, assoziiert
die faschistoiden Tendenzen unserer Zeit.« (K. Wischnewski, Film und Fernsehen, Nr. 10,1980). Während der Dreharbeiten an Die Verlobte erkrankt Reisch
schwer und muß sich mehreren Operationen unterziehen; Günther Rücker führt
den Film zu Ende.
Günter Reisch ist 1967 – 88 Vizepräsident des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden der DDR. 1983 wird er als ordentliches Mitglied in die Akademie
119
der Künste der DDR gewählt Er ist Mitglied des Künstlerischen Rats der DEFA
und Mentor an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg.
Nach der Wende nimmt er zusätzlich noch Lehraufträge an der Münchener
Filmhochschule sowie der Deutschen Film- und Fernseh-Akademie und der Akademie der Künste in Berlin an. Von 1997 bis 2002 unterrichtet er als Lehrbeauftragter an der Fakultät Film der Bauhaus-Universität Weimar, Anfang 2003 wird
er dort zum Honorarprofessor für »Filmgestaltung in den neuen Medien« ernannt.
Günter Reisch lebt in Berlin.
(nach: CineGraph Lexikon zum deutschsprachigen Film, © 1984 ff. edition text+kritik im
RICHARD BOORBERG VERLAG, München)
Filmographie
2004/2005
1994 – 1996
1991 – 1993
1991/1992
1985/1986
1979/1980
1977/1978
1977/1978
1975/1976
1973
1971
1969/1970
1968
1966/1967
1964/1965
1962/1963
1961/1962
1961
1960
1959/1960
1959
1958
1957
1955/1956
1954/1955
120
Mozartbrot – ein zu kurzes Märchen (Dramaturgie)
Land am Rand (Beratung)
Der olympische Sommer (Beratung)
Stilles Land (Künstlerische Oberleitung)
Wie die Alten sungen ... (Regie, Szenarium)
Die Verlobte (Drehbuch, Regie, Szenarium)
Addio, piccola mia (Darsteller)
Anton der Zauberer (Darsteller, Drehbuch, Regie)
Nelken in Aspik (Darsteller, Szenarium, Drehbuch, Regie)
Wolz. Leben und Verklärung eines
deutschen Anarchisten (Regie)
Trotz alledem! (Regie)
Unterwegs zu Lenin (Drehbuch-Mitarbeit, Regie)
Jungfer, Sie gefällt mir (Drehbuch, Regie)
Ein Lord am Alexanderplatz (Drehbuch, Regie)
Solange Leben in mir ist (Drehbuch, Regie)
Der Dieb von San Marengo (Drehbuch, Regie)
Ach, du fröhliche ... (Regie)
Gewissen in Aufruhr (Drehbuch, Regie)
Silvesterpunsch (Regie)
Der schweigende Stern (Drehbuch)
Maibowle (Drehbuch, Regie)
Das Lied der Matrosen (Regie)
Spur in die Nacht (Drehbuch, Regie)
Junges Gemüse (Regie)
Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse (Regie-Assistenz)
1953/1954
1951/1952
1951/1952
1950/1951
1950
1950
1949/1950
1948/1949
Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse (Regie-Assistenz)
Freundschaft siegt (Regie)
Roman einer jungen Ehe (Regie-Assistenz)
Blaue Fahnen nach Berlin (Regie)
Familie Benthin (Regie-Assistenz)
Immer bereit (Regie-Assistenz)
Der Rat der Götter (Regie-Assistenz)
Quartett zu fünft (Regie-Assistenz)
Junges Gemüse
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Licht
Bauten
DDR
29. März 1956
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
Günter Reisch
Regie-Assistenz: Bernd Braun
Günther Rücker, Kurt Bortfeldt
Gerhard Neumann
Horst E. Brandt
Kamera-Assistenz: Richard Günther
Standfotos: Siegmar Holstein
Herbert Buchberger
Alfred Hirschmeier
Kostüm
Luise Schmidt
Schnitt
Lena Neumann
Maske
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Ton
Darstellende
Franz Richter, Herbert Kiepurning
Peter Fischer
Richard Brandt
Erich Kühne, Heinz Fröhlich
Erich Schmidt
Amann: Herbert Richter, Gritt Liebig: Angela Brunner
Hans Brauer: Christoph Engel
121
Darstellende
Zum Inhalt
Hoppedietz: Paul Heidemann
Nickel: Rudi Schiemann, Traktorist: Georg Thies
Frau Amann: Marianne Rudolph
Frau Kunze: Anna-Maria Besendahl
Willi: Arthur Reppert, Jupp: Jupp Willi Neuenhahn
Kalle : Dieter Perlwitz, Renate: Margret Homeyer
Dramaturg: Norbert Christian, Manni: Horst Jung
Traktorist: Walter E. Fuß, Traktorist: Albert Zahn
Brandmeister Dirksen: Maximilian Larsen
Volkspolizist: Paul Pfingst, Köchin: Trude Lehmann
Tankwart: Jean Brahn, Sekretärin: Judith Harms
ältere Arbeiterin: Trude Brentina
in weiteren Rollen Margret Stange, Horst Mendelsohn, Walter Schramm, Gerti Zillmer, Fritz Decho,
Peter A. Stiege, Julius Benne,
Elfie Stahl, Frank Michaelis, Hans Fiege,
Brigitte Hermann, Andrea Link
Junges Gemüse ist der Debütfilm von Günter Reisch als Regisseur, nachdem er 1955 beim
DEFA-Studio für Spielfilme angestellt worden war. Der Film entstand nach Motiven von
Nikolai Gogols Komödie »Der Revisor«, die in die DDR-Gegenwart transponiert werden.
Der Aufforderung der Hauptverwaltung Film, einige satirisch zugespitzte Dialoge zu entschärfen, verweigerte sich Reisch. Der Film, der zugleich eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Szenaristen Günther Rücker begründete, steht am Anfang einer Reihe von
Komödien, in denen Opportunismus, Duckmäusertum, selbstgerechte Überheblichkeit und
andere »kleinbürgerliche« Schwächen im DDR-Alltag mit Spott, Ironie, Humor und Fantasie behandelt werden.
122
Unterwegs zu Lenin
1968 schlug der Dramatiker Helmut Baierl dem Studio vor, das gerade erschienene autobiographische Erinnerungsbuch von Alfred Kurella zu verfilmen. Das
kam überraschend. Knapp zwei Jahre zuvor hatte Baierl das Studio zornrot und
türschlagend verlassen. Nach dem 11. Plenum war seine mehrjährige Arbeit zusammen mit Egon Günther an einer Filmfassung seines Bühnenerfolgs Frau Flinz
gestoppt worden. Die Hauptverwaltung Film hatte die bereits erteilte Produktionsfreigabe annulliert.
Nun wollte es der Autor noch einmal mit der DEFA versuchen. Der neue Vorschlag war aussichtsreicher. Für 1970 stand ein großes Lenin-Jubiläum im Politund Kulturkalender. Sein 100. Geburtstag am 22. April war der Führung Anlaß genug, ein ganzes »Lenin-Jahr« auszurufen. Da kam der DEFA die Stoffanregung
höchst gelegen. Sie konnte mit einem Spielfilm im zentralen Kulturarbeitsplan glänzen und höchste staatliche Förderung erwarten. Und es war eine willkommene Gelegenheit für eine weitere Koproduktion mit der Sowjetunion in eigener Regie.
Die konspirative, abenteuerliche Reise des jungen intellektuellen Kommunisten bürgerlicher Herkunft, ins Land der ersten proletarischen Revolution 1919
mit chiffrierter Post für Lenin im Gepäck schien auch für ein junges Publikum interessant. In Moskau erlebt er den nüchternen Alltag der ersehnten sozialen und
politischen Umwälzung. Mit Aktivisten der Kommunistischen Jugendorganisation Komsomol erarbeitet er die Gründungsdokumente für eine Kommunistische
Jugendinternationale. Als es zur zweiten Begegnung mit Lenin kommt, sind die
Ungarische und die Bayerische Räterepublik bereits zerschlagen. Lenin warnt den
jungen Deutschen vor romantischen Träumen von einer bevorstehenden Weltrevolution und sagt einen langen, opferreichen Weg zum Sozialismus voraus.
Dem Ich-Erzähler des Berichts ging es weniger um die äußeren Begebenheiten,
vielmehr um die Entdeckungsreise in die geistige Welt Lenins, der sich durch den
unvorhersehbaren Gang der politischen Ereignisse immer neuen theoretischen
und praktischen Herausforderungen gegenüber sieht.
Wie aber war dieses gedankliche Sujet in eine packende Filmhandlung zu verwandeln? Wie sollten aus den Dialogpartnern politischer Gespräche lebendige
Charaktere entstehen? Für Alfred Kurella waren diese dramaturgischen Fragen
kein Thema. Aber über die ideelle politische Substanz des entstehenden Films
wollte er sich als ehemaliger Sekretär der Kommunistischen Jugendinternationale
die eigene Kontrolle bis in die Endfertigung hinein unbedingt sichern. So gewährte er uns nur eine »Option auf die Verfilmungsrechte«. Mit jedem Veto
drohte so der Arbeitsstillstand, wenn nicht gar das Scheitern des Projekts. Dem
langjährigen Leiter der Ideologischen bzw. Kulturkommission beim Politbüro der
SED konnte das Studio eine solche rechtliche Position kaum verweigern. Doch
das sollte noch Folgen haben.
123
Wir aber vertrauten der Autorität und Erfahrung des Regisseurs Günter Reisch.
Er hatte bereits Übung im konfliktreichen Umgang mit einer gleich schwierigen
Autoren-Autorität wie Michael Tschesno-Hell beim Film über Karl Liebknecht So
lange Leben in mir ist.
Nicht nur die Titelgestalt Lenins, auch die Vielzahl russischer Schauplätze und
Gestalten erforderten zwingend die Koproduktion mit der SU. Sie mußte auf Ministerebene beschlossen werden und war für uns mit doppelten Abnahmeprozeduren
für Buch und Realisierung verbunden. Von der Zusammenarbeit mit den sowjetischen
Kollegen aber versprachen wir uns neue künstlerische Impulse. Der sowjetische
Film der 60er Jahre hatte gerade im historischen Sujet für weltweite Anerkennung
gesorgt. Klarer Himmel, Iwans Kindheit und Ballade vom Soldaten signalisierten einen unpathetischen Blick auf die Vergangenheit in einer unorthodoxen Filmsprache.
Mit dem Szenarium für Lenin in Polen hatte Jewgeni Gabrilowitsch neue Maßstäbe
auch für die historisch-biographische Charakterstudie gesetzt.
So reisten wir im April 1969 unter Leitung von Filmminister Günter Klein mit
dem ersten literarischen Entwurf Helmut Baierls und großen, doch auch bangen
Erwartungen nach Moskau. Das Staatliche Komitee für Kinematographie der
UdSSR hatte das Studio Mosfilm in Moskau als Koproduktionspartner bestimmt.
Dort erwartete uns Regisseur Lew Arnschtam, seit seiner Koproduktion Fünf
Tage, fünf Nächte 1961 ein guter DEFA-Freund und -kenner, nun als Leiter der
Künstlerischen Arbeitsgruppe Lutsch – der Strahl.
Schon die erste Begegnung mit Gabrilowitsch, unserem Wunschkandidaten für
die Buchmitarbeit, machte auf uns einen starken Eindruck. Der sehr kleine Mann,
mit dem durchgeistigten Gesicht eines altersweisen Juden, war einer der ganz
Großen der alten Garde sowjetischer Filmszenaristen. Er hatte für die berühmtesten
russischen Regisseure Michail Romm, Friedrich Ermler und Juli Raisman geschrieben. Doch auch ein Exponent der jungen Generation, Gleb Panfilow, verdankte ihm
das Buch für einen der schönsten und modernsten Gegenwartsfilme – Der Anfang.
Einigermaßen befangen saßen wir also vor dem unscheinbaren Siebzigjährigen
mit dem unvergleichlichen Lebenswerk. Seine bedächtigen Fragen und kritischen
Anmerkungen waren frei von Selbstgewißheit. Er hatte mehrere Angebote des
Komitees und sowjetischer Studios zur Teilnahme an Prestigeprojekten abgelehnt.
Hier aber vertraute er dem Filmentwurf und einer echten Gemeinschaftsarbeit im
kleinen Team. Er forderte starke emotionale Wirkungen statt langer Reden. Einig
war man sich über einen lakonischen, auch komödiantisch-anekdotischen Stil
mancher Episoden.
Die konzeptionelle Übereinstimmung war erstaunlich rasch herbeigeführt. Für
die vielwöchige praktische Zusammenarbeit, teils in Moskau, teils in Berlin, mußten nun die Reiseformalitäten bewältigt, Aufenthalts- und Arbeitsmöglichkeiten
organisiert, bindende Verabredungen getroffen, Verträge geschlossen werden. Der
sowjetische Autor wünschte sich aus gutem Grund die DEFA als alleinigen Vertragspartner.
124
Die Arbeit am Rohdrehbuch verlief erstaunlich konfliktfrei. Besuch unterbrach
eine der lebhaften Debatten in der Hochhauswohnung von Gabrilowitsch. Ein junger Mann mit schwerem Koffer wurde freudig begrüßt, sofort in die Küche geführt,
um auszupacken. Anteilnehmend wollten wir wissen, ob wir stören, weil vielleicht
der Sohn aus weiter Ferne zurückgekehrt sei. Doch Jewgeni Josifowitsch beruhigte
uns. Nein, nein, nicht der Sohn, nur der Spekulant sei turnusmäßig vorbeigekommen, der private Beschaffer rarer Lebensmitel und Leckereien zu Extrapreisen ...
Mitten in diese schöne Harmonie platzte im Juli 1969 ein Telegramm aus Oberhof, Haus Waldesrand 290. Es war glücklicherweise nicht an mich gerichtet, sondern drohend sogleich an »chefdramaturg g. schroeder. Neueste fassung moskauer
teil leninfilm völlig unmöglich. Nicht besprochene änderungen verfälschen inhalt
politisch. Für handlung überflüssige historisch unzutreffende milieudetails hinzugefügt. Einziger auftritt lenins ganz am schluss mit völlig unmöglichem text. Ursache vermutlich nachgeben gegenüber gabrilowitsch, der politisches gewicht
und bedeutung für uns nicht versteht. Verlange einhaltung getroffener vereinbarungen, andernfalls ziehe option zurück.«
Antwort erwartete der empörte Leser im Kurort »morgens bis 9.00, mittags 1214, abends nach 18 Uhr« und schloß ohne freundlichen oder auch nur sozialistischen Gruß: »Kurella«
Da läuteten alle Alarmglocken. Gabrilowitsch, gerade in Berlin, drohte schon
mit Abreise. Allein Günter Klein gelang dank optimistischer Moderation, das persönliche Gespräch zwischen den Parteien wieder in Gang zu bringen. Es kam
schließlich zu künstlerischen Lösungen, mit denen beide Seiten leben konnten.
Mit der neuen, nunmehr von Kurella abgesegneten Fassung traf man sich erneut
in Arnschtams Gruppe. Sein irritierender Zwischenbescheid über zu erwartende
schwere Einwände erledigte sich glücklicherweise bei der Begrüßung in Moskau.
Verantwortlich war die platte russische Übersetzung der Dialoge in Berlin. Sie war
inzwischen redaktionell korrigiert worden. Im Abnahmegespräch kritisierte der Jugendfunktionär des Komsomol die mangelnde Entwicklung des jungen Mannes
zum Berufsrevolutionär. Auch Baierls schöne Erfindung, die Figur des kleinen Soldaten im Zug der heimkehrenden Kriegsgefangenen, entsprach nicht seinen
Wunschvorstellungen vom proletarischen deutschen Landser, der, in Rußland bekehrt, die Ideen der Revolution nach Deutschland zu tragen habe. Der Ernst der Debatte veranlaßte Günter Reisch zur Erinnerung, daß ein heiterer Blick auf die Geschichte aus der »Sicht« – wie konnte es anders sein – »der Sieger« beabsichtigt sei.
Danach kam es rasch zur Produktionsfreigabe und zum Koproduktionsvertrag.
In meiner Erinnerung bleiben die freundschaftlichen Begegnungen mit Jewgeni Gabrilowitsch, besonders herzliche mit Lew Oskarewitsch Arnschtam, Jahrgang 1905. Als Absolvent des Leningrader Konservatoriums hatte er zunächst als
Musiker am berühmten Meyerhold-Theatre gearbeitet, bevor seine Filmkarriere
begann. Als Autor und Komponist des Films Soja erhielt er auf dem 1. Internationalen Filmfestival in Cannes den Preis für das beste Szenarium. Er beeindruckte
125
seine junge Kleinmachnower Gastgeberin mit geradezu französischer Noblesse
und Galanterie. Der stattliche alte Herr ließ es sich nicht nehmen, mit ihr eine
flotte Sohle aufs Hochglanzparkett zu legen...
In einem langen Brief wandte er sich nach dem Rohschnitt noch einmal persönlich an »dorogoi diter«, um seine sehr präzisen Beobachtungen mitzuteilen
und kleine Korrekturen für Montage und Synchronisation vorzuschlagen. Er
schloß mit »Grüßen an alle Freunde in herzlicher und wahrer Freundschaft Ihr
L. Arnschtam.«
Ein Zeitzeugnis darf nicht fehlen. Der junge Münchener Laiendarsteller des
Martin schrieb in unser Gästebuch: »Ein gelungener Abschluß der langen Monate,
die ich im etablierten Sozialismus verbringen durfte, war das Sit-in bei Wolfs.
Aber beim Tischtennis habt ihr mich maßlos geschlagen. In der Hoffnung, daß
eure Genossen bei den olymp. Spielen in München genau so abschneiden ein dreifach-kräftiges Rotfront – Helmut Habel«.
Die hiesige Abnahme war wie selten problemlos. Die Staatliche Zulassung
vollzog Günter Klein protokollwidrig gleich im Studio.
In Moskau aber gab es noch einmal ein kleines dramatisches Intermezzo. Als
im Staatlichen Filmkomitee ein Redakteur dieser höchsten Behörde anhub, auch
noch die Szenen mit Lenin auf ihren Realitätsgehalt hin zu befragen, wurde er, bevor noch seine Rede ins Deutsche übersetzt war, vom zunehmend erregten Alfred
Kurella mit der kurzen rhetorischen Frage gestoppt: »Ha-ha-habe ich mit mit Lelenin gesprochen o-oder Sie?«
Nach der Nationalpreisehrung baten Günter Reisch und seine Frau Beate die
engere deutsche Crew samt Anhang zur familiären Nachfeier ins kleine Reihenhaus in Berlin-Baumschulenweg. Eine schöne Geste, die man von anderen Preisträgern nicht kannte. Da war Spaß und Tanz in allen Räumen angesagt. Und der
Regisseur schenkte seinem sehr verdienstvollen producer Manfred Renger ein
Tonbandgerät. Der großformatige schwergewichtige Kasten trug den anmutigen
Namen Smaragd.
126
Unterwegs zu Lenin / Na puti k Leninu
Produktionsland
DDR/UdSSR
Auszeichnungen
Prädikat »besonders wertvoll«; XVII. Internationale
Filmfestspiele Karlovy Vary 1970, Spezialpreis der
Jury; das Kollektiv – Helmut Baierl, Günter Reisch,
Herbert Fischer, Jewgeni Gabrilowitsch, Jürgen
Brauer – erhielt 1970 den Nationalpreis III. Klasse
DEFA-Studio für Spielfilme,
Gruppe »Babelsberg«/Mosfilm (Gruppe Luh)
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Vorlage
Dramaturgie
Kamera
Licht
Bauten
Requisite
16. April 1970, Berlin: Kosmos und International
PROGRESS Film-Verleih
Günter Reisch/Lucia Ochrimenko
Regie-Assistenz: Erika Schulze, Renata Nagornaja,
Assistenz-Regie: Eleonore Dressel
Helmut Baierl, Jewgeni Gabrilowitsch;
Mitarbeit: Günter Reisch, Herbert Fischer
Alfred Kurella (Motive des Erinnerungsbuches)
Herbert Fischer; Boris Kremnjow.
Jürgen Brauer, Waleri Wladimirow
Kamera-Assistenz: Peter Bernhardt
Standfotos: Rudolf Meister
Max Sperling, Michail Kudelin
Alfred Thomalla und Jewgeni Serganow
Bauausführung: Senta Ochs, Jewgeni Korabljow,
Walter Vargel
Werner Kirschstein, Alexandra Kudelina, Dieter Lebek
Bühne
Richard Lüscher (Bühnenmeister)
Maske
Frank Zucholowsky, Wladimir Jakowlew,
Karin Kirbst
Musik
Karl-Ernst Sasse
Kostüm
Schnitt
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Ton
Edith Probst-Mai; Irina Belakowa
Monika Schindler
Manfred Renger, Alexander Aschkinasi
Karl-Heinz Marzahn, Juri Nossikow, Lutz Pinnow
Konrad Walle, Lija Benewolskaja
127
Darstellende
Zum Inhalt
Viktor Kleist: Gottfried Richter
Wladimir Iljitsch Lenin: Michail Uljanow
Martin: Helmut Habel, George: Lew Krugli
Lore: Heidemarie Wenzel
Frau von Roettger: Inge Keller
Frau Kleist: Helga Göring
Georges Mutter: Erika Pelikowsky
Untersuchungsrichter: Norbert Christian
Harry Motsch: Jörg Gillner
Rolf Rosenow: Winfried Glatzeder
Telefonistin: Anna Prucnal
Leutnant Vogel: Hans-Joachim Hanisch
Erich, junger Arbeiter: Dieter Mann
Genosse Wolf: Horst Hiemer
Alter Mann auf der Treppe: Hans Klering
Kleiner Soldat: Hans-Peter Reinicke
Der Kommissar: Gleb Strychenow
Der Oberleutnant: Wolfgang Borkenhagen
Major: Kurt Müller-Reitzner
Alte Frau: Jekaterina Werezowa
Bauer: Feliksas Einas, Wirt: Anatoli Aso
Seine Frau: Danguoli Baukaité
Sekretär des Kreiskomitees: Anatoli Kusnezow
Pilot: Gennadi Juchtin
Hoteldiensthabende: Walentina Wladimirowa
Lasar Schatzkin: Jewgeni Gontscharow
Rimma: Lusjena Owtschinnikowa
Oskar Riwkin: Wladimir Kusnezow
Schwarkin: Michail Metjolkin, Fedja: Pjotr Makowski
in weiteren Rollen: Margret Stange, Horst
Mendelsohn, Walter Schramm, Gerti Zillmer,
Fritz Decho, Peter A. Stiege, Julius Benne,
Elfie Stahl, Frank Michaelis, Hans Fiege,
Brigitte Hermann, Andrea Link
Der junge deutsche Kommunist Viktor Kleist ist im Frühjahr 1919 unterwegs nach
Moskau. Er soll Lenin treffen und ihm über die Münchner Räterepublik berichten.
Doch während der langen und abenteuerlichen Reise wird der revolutionäre Versuch
in Süddeutschland zerschlagen. Kleist erlebt die Wirren im frühen Sowjetrußland
und nimmt in Moskau an einem internationalen Kongreß der Jungkommunisten teil.
Er trifft tatsächlich mit Lenin zusammen, der ihm erklärt, wie notwendig Geduld für einen
Kommunisten und Revolutionär ist.
128
Anton, der Zauberer
Produktionsland
Premierendatum
Auszeichnungen
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturg
Kamera
Licht
Bauten
Requisite
DDR (1977)
Premiere anläßlich der VI. Tage des sozialistischen
Films vom 19. – 25. September 1978 im Bezirk
Rostock – Kinostart: 22. September 1978
Das Kollektiv – Karl Georg Egel, Günter Reisch,
Ulrich Thein – erhielt 1979 den Heinrich-Greif-Preis
I. Klasse; Kritikerumfrage der Sektion Theorie und
Kritik des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden der DDR 1979 – bester DEFA-Film des Jahres
1978; bester DEFA-Film im komischen Genre 1978.
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
PROGRESS Film-Verleih
Günter Reisch
Regie-Assistenz/Co-Regie:Maxim Dessau,
Ulrich Kanakowski
Karl-Georg Egel, Günter Reisch
Drehbuch- u. Szenarium-Mitarbeit:
Fritz Joachim Burmeister
Willi Brückner
Günter Haubold
Kamera-Assistenz: Eckhart Hartkopf
Standfotos: Dieter Lück
Günther Müller, Norbert Lude
Hans-Jörg Mirr
Bauausführung: Elke Busz, Udo Scharnowski
Rudolf Borchardt
Bühne
Dieter Tillak (Bühnenmeister)
Maske
Lothar Stäglich, Margrit Neufink, Rosemarie Stäglich
Kostüm
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Sprecher
Christiane Dorst
Bärbel Weigel
Horst Mathuschek
Mischung: Gerhard Ribbeck
Wolfram Heicking
Manfred Renger
Karl-Heinz Marzahn, Walter Hunger
Klaus Piontek
129
Darstellende
Zum Inhalt
Anton: Ulrich Thein, Liesel: Anna Dymna
Vater Grubske: Erwin Geschonneck
Sabine: Barbara Dittus, Ille: Marina Krogull
Schröder: Erik S. Klein, Bürgermeisterin: Jessy Rameik
Rechtsanwältin: Marianne Wünscher
Leiter der Haftanstalt: Ralph Borgwardt
Oberwachtmeister: Gerry Wolff
Franz Rostig: Werner Godemann, Istvan: Deszö Garas
Sergeant: Grigori Grigoriu, Pfarrer: Karl Georg Egel
Max Kettler: Leon Niemczyk
Bankmensch: Alfred Struwe
Frau Schmiedert: Gertrud Brendler
Neue Wirtin: Angela Brunner, Häftling: Harry Merkel
Paul: Günther Drescher, Miers: Gerd Ehlers
Untersetzter Großbauer: Pedro Hebenstreit
1. Bauer: Peter Kalisch, Schmiedert: Hans Klering
Ungarische Ärztin: Irene Mahlich
der junge Merten: Manfred Merten
Direktor des volkseigenen Gutes: Willi Neuenhahn
Der Unscheinbare: Günter Reisch
VP-Offizier: Gottfried Richter
Polizist/Grenze: Carlo Schmidt
in weiteren Rollen: Helmut Schreiber, Sa Aun
Khemmara, Wolfgang Sasse, Hans-Joachim Hanisch,
István Bucsi, Mezei Lajos, Besztercey P’al,
Karl-Heinz Weiß, Roland Kuchenbuch, Denys Seiler
Anne Wollner, Wilhelm Gröhl, Helmut Schulze
Albert John, Hans-Günter Schmidt, Gunther Karstedt,
Uwe Schmidt, Friedewald Berg, Karli Schwarz,
Ilse Schmidt-Peterling, Klaus Ebeling, Werner Geis,
Werner Pfeifer, Peter Pauli, Roman-Eckhard Gallonska,
Klaus Tilsner, Alfred Lux, Sonja Hörbing,
Renate Usko, Eva Schäfer, Ilona Ringer, Klaus Grau,
Günther Müller, Hans-Gotthilf Brown, Horst Giese,
Rolf Staude, Siegfried Fiebig, Zuzsa Puchard,
Szigefi András, Lencz György, Elli Straube,
Joachim Pape, Rainer Kottwitz, Frank Lehmann,
Holger Eckert, Karl Maschwitz, Karl-Heinz Kruse,
Joachim Dietzel, Brigitte Riemann, Hannes Stelzer
Eckhard Becker, Sabine Pohl
Der Automechaniker Anton Grubske ist ein pfiffiger Bursche. 1945 entgeht er der Kriegsgefangenschaft, entzieht sich den Fängen der Gastwirtswitwe Sabine und kehrt in sein Heimatdorf zurück. Dort heiratet er die Tochter seines Chefs, macht die Werkstatt zu einem
florierenden Unternehmen, indem er mit aufgemöbelten Autowracks den ganzen Kreis
motorisiert. Er schröpft die Großbauern weidlich und deponiert das Geld bei seiner alten
Freundin Sabine, die ihn auch noch in Schiebereien verwickelt, so daß Anton bald Mil-
130
lionär ist. Seine Umtriebe bringen ihm vier Jahre Gefängnis ein, wo er sich ebenfalls als
Organisationstalent bewährt hat und als Aktivist entlassen wird. Seine Million ist allerdings dahin, Sabine hat sich mit dem Geld in die Schweiz abgesetzt. Aber Anton macht weiter Karriere, als Ersatzteilbeschaffer eines Traktorenwerkes. Sein Ruf hat inzwischen
RGW-Dimensionen erlangt, als er von Sabine, die verunglückt ist, die hohe Lebensversicherung und einen Straßenkreuzer erbt. Das Geld schenkt er der Stadt, den Straßenkreuzer
schickt er in die Schrottpresse, und ob dieser großartigen Tat betrinkt er sich so fürchterlich, daß sein Herz versagt.
Ein Lord am Alexanderplatz
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Szenarium
Dramaturg
Kamera
Szenenbild
Oberbeleuchter
Bauausführung
Außenrequisiteurin
Kostüm
^
Maske
Schnitt
DDR (1967)
3. März 1967
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
Ein Film der Gruppe »Johannisthal«
PROGRESS Film-Verleih
Günter Reisch
Assistenz-Regie: Heinz Mentel
Regieassistenz: Christoph Prochnow
Kurt Belicke, Günter Reisch
Kurt Belicke
Maurycy Janowski
Jürgen Brauer
Filmfotograf: Erhard Schweda
Standfotograf: Hein Wenzel
Alfred Thomalla
Felix Kusche
Marlene Willmann, Manfred Böhme
Sigrid Weidhaas
Dorit Gründel
Ursula Funk, Irmgard Lippmann, Alois Strasser
Monika Schindler
131
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Sprecher
Darstellende
Gottfried Sobczyk
Gerd Natschinski
Fried Eichel
Kurt Lichterfeld, Werner Pfeifer
Rolf Ripperger
Ewald Honig: Erwin Geschonneck
Ina: Angelica Domröse
Johanna Farkas: Monika Gabriel
Sabine: Barbara Dittus, Schröder: Erik S. Klein
Dr. Achim Engelhardt: Armin Mueller-Stahl
Frau Müller: Marianne Wünscher
Frau Schlosser: Erika Dunkelmann
Frau Holzmeyer: Carola Braunbock
Hauptmann Pahl: Friedo Solter
Koffer-Ede: Willi Narloch
Dr. Schießer: Hannes Fischer
Leutnant Liebrecht: Joachim Bober
Günti Schwalbe: Ivan Malré
Pisurschke: Edwin Marian, Wolfgang: Jürgen Reuter
Dr. Härtel: Willi Schwabe, Kollege Lenz: Herbert Köfer
Tankwart: Hans Hardt-Hardtloff
Kfz-Mechaniker: Heinz Scholz, Ernst-Georg Schwill
Fotograf: Gerd E. Schäfer, Richter: Ralph Borgwardt
Anna Vogel: Bertrud Brendler
Frau Schwalbe: Thea Elster
Frau Härtel: Dorothea Volk
Sprechstundenhilfe: Barbara Dittus
Verwandter: Joachim Tomaschewsky
Frau: Miriam Sello-Christian
Volkspolizisten: Hans-Edgar Stecher, Otmar Richter
und Rudi Kirchhoff
Der Musiktitel »Pußta-Beat« wurde auf AMIGA-Schallplatte produziert.
Zum Inhalt
Ex-Heiratsschwindler Ewald Honig kommt aus Westdeutschland zu seiner Tochter Ina
nach Ostberlin, um hier einen geruhsamen Lebensabend zu verbringen. Er ist bereits über
die Fünfzig. Ina, ganz die Tochter ihres Vaters, versucht, sich mit Hilfe graumelierter Herren finanziell zu sanieren. Während er seine Tochter davon abzubringen sucht, indem er
die Ehe ihrer »Opfer« kittet, machen es einige Damen fortgeschrittenen Alters Ewald
schwer, der eigenen Versuchung zu widerstehen. Indes ist die ungarische Kriminalistin
Johanna Farkas auf der Suche nach Ewald und der Kriminalpsychologe Dr. Achim Engelhardt auf der Suche nach Ina. In eigener Sache sozusagen. Da sich beide nicht kennen, hält
Achim Johanna für die Gesuchte. So kommt es zu einem Liebes-Verwechslungsspiel mit
Happy-End.
132
Ach, du fröhliche
nach der literarischen Vorlage »Und das am Heiligabend …«
von Vratislav Blažek
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Licht
Bauten
Kostüme
Maske
Schnitt
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Ton
Darstellende
DDR
7. Oktober 1962 Potsdam-Babelsberg, Thalia
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg,
Künstlerische Arbeitsgruppe »Roter Kreis«
PROGRESS Film-Verleih
Günter Reisch
Regie-Assistenz: Rolf Losansky
Hermann Kant, Vratislav BlaÏek
Gerhard Hartwig
Horst E. Brandt
Kamera-Assistenz: Peter Süring
Standfotos: Josef Borst
Herbert Buchberger
Alfred Hirschmeier
Bauausführung: Willi Schäfer, Georg Kranz
Walter Schulze-Mittendorff
Kurt Tauchmann, Ruth Kwiatkowski
Lena Neumann
Helmut Nier
Hans Mahlich
Oskar Ludmann, Gerrit List
Bernd Gerwien
Walter Lörke: Erwin Geschonneck
Großmutter: Mathilde Danegger
Anne Lörke: Karin Schröder
Thomas Ostermann: Arno Wyzniewski
Karl Lörke: Günter Junghans
Peggy: Rosemarie Schelenz
Herr Ostermann: Herwart Grosse
Frau Klinkenhöfer: Marianne Wünscher
Herr Klinkenhöfer: Walter Jupé
Frau Siebkorn: Karla Runkehl
133
Darstellende
Zum Inhalt
Betrunkener Fleischer: Gerd Ehlers
Studentenvertreter: Erik Veldre
Seine Frau: Jutta Wachowiak
Prof. Flimmrich: Walter E. Fuß
Taxifahrer: Fred Delmare
Abschnittsbevollmächtigter: Siegfried Kilian
Gefreiter Nasprzik: Horst Jonischkan
Mann aus dem Büro: Günter Rüger
Junger Arbeiter: Klaus Gehrke
Filmvorführer: Hans Bussenius
Frau mit Hunden: Yvonne Merin
1. Druckereiarbeiter: Johannes Frenzel
2. Druckereiarbeiter: Erich Weber
Giese: Horst Giese, Dicker Mann: Rudolf Mühle
Direktor: Gerhard Scholz, Serviererin: Ingrid Schnell
Betrunkener: Hans Hardt-Hardtloff
Kellnerin: Ingeborg Krabbe
Mann am Haustelefon: Wolfgang Roeder
Direktor: Dieter Pröhl
1. Gast bei Siebkorn: Paul Berndt
2. Gast bei Siebkorn: Ursula Blank
3. Gast bei Siebkorn: Arthur W. Neubert
4. Gast bei Siebkorn: Hermann Kant
Weihnachten 1961. Der Arbeitsdirektor des VEB »13. August«, Walter Lörke, wünscht seinen Kollegen ein geruhsames Fest, wie er es selbst auch im Kreis seiner Lieben zu verbringen gedenkt. Doch Tochter Anne hat eine Überraschung parat – in Gestalt des zukünftigen
Familienmitglieds Thomas Ostermann. Daß sie Thomas zu heiraten gedenkt, irritiert Vater
Lörke, daß sie ihm ihre Schwangerschaft verheimlicht hat, empört ihn, und daß sich Thomas auch noch als entschiedener Kritiker des Arbeiter- und Bauernstaates zu erkennen
gibt, bringt ihn vollends in Rage.
Die friedliche Weihnacht ist dahin, doch Vater Lörke, der in der ersten Wut das Haus verläßt, besinnt sich. Plötzlich erscheint ihm der junge Mann ganz akzeptabel, und er versucht
herauszufinden, was Thomas zu dieser negativen Haltung dem Staat gegenüber gebracht
haben könnte. Lörke stimmt der Hochzeit zu.
134
2008
135
Überblick zu Terminen und Filmen
17. Januar
7. Februar
13. März
17. April
15. Mai
12. Juni
3. Juli
28. August
11. Sept.
9. Oktober
6. November
11. Dezember
Wolz. Leben und Verklärung
eines deutschen Anarchisten
Regie: Günter Reisch, DEFA 1973
Filmgespräch mit Günter Reisch
Die besten Jahre
Regie: Günther Rücker, DEFA 1965
Filmgespräch mit Ernst Machacek
KLK an PTX – Die Rote Kapelle
Regie: Horst E. Brandt, DEFA 1970
Filmgespräch mit Horst E. Brandt
Der verlorene Engel
Regie: Ralf Kirsten, DEFA 1970
Der Aufenthalt
Regie: Frank Beyer, DEFA 1982, Filmgespräch
mit Hermann Kant und Wolfgang Kohlhaase
Berlin, Ecke Schönhauser
Regie: Gerhard Klein, DEFA 1957
Beethoven. Tage aus einem Leben
Regie: Horst Seemann, DEFA 1975/76
Filmgespräch mit Renate Richter
Klarer Himmel
Regie: Grigorij Schuchrai, Sowjetunion 1961
Blonder Tango
Regie: Lothar Warnecke, DEFA 1985
Das Kaninchen bin ich
Regie: Kurt Maetzig, DEFA 1965
Beschreibung eines Sommers
Regie: Ralf Kirsten, DEFA 1962
Mutter Courage und ihre Kinder
Regie: Palitzsch/Wekwerth, DEFA 1960
Filmgespräch mit Manfred Wekwerth
Zeit und Ort:
jeweils 18 Uhr, Franz-Mehring-Platz 1,
10243 Berlin, Saal 1. Etage
Teilnahmegebühr: 4/2 Euro
Kontakt:
Angela Müller, Tel. 030 44310-126
Die Reihe wird auch in diesem Jahr begleitet von Dr. Dieter Wolf,
Hauptdramaturg und Leiter der Gruppe »Babelsberg« der DEFA. Und
mit weiteren »Überraschungsgästen« darf auch gerechnet werden ...
136
Wolz. Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten
Mit einigen wenigen Vorbemerkungen zur Entstehungsgeschichte möchte ich vor
allem den Autor Günther Rücker zu Wort kommen lassen, der nicht bei uns sein
kann.
Der Wolz-Film eröffnete am 31. Januar das DEFA-Kinojahr 1974 im größten
Berliner Filmtheater Kosmos. Verleih und Lichtspielwesen gewährten diesen
Startplatz stets nur in Erwartung eines massenhaften Andrangs. Diese Hoffnung
wurde nicht enttäuscht.
Das Studio wurde nach sowjetischem Beispiel schon in frühen DEFA-Zeiten
auf das Genre des historisch-biographischen Films orientiert. Da dachte man vor
allem an die Führer der Arbeiterklasse. 1953 setzte es Parteischelte sogar für den
schönen Film Die Unbesiegbaren. In der anrührenden Geschichte einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie in der Zeit des Bismarckschen Sozialistengesetzes traten nämlich die Altvorderen August Bebel und Wilhelm Liebknecht nur in
Episodenrollen auf, in porträtgetreuer Maske dargestellt von Karl Paryla und
Erwin Geschonneck. Nach zwei Filmen über Ernst Thälmann und dem zweiten
über Karl Liebknecht gab es Überlegungen, Stefan Heyms Lassalle-Roman zu
adaptieren. Doch das stieß sogleich auf die maliziöse Frage: Und das vor einem
Karl-Marx-Film? Oder der etwa in einer Nebenrolle?
Günther Rücker trug sich schon länger mit der Absicht, einen Film über Max
Hoelz zu schreiben. Doch die schillernde historische Figur, sein dramatisches
Schicksal in der Zeit des mitteldeutschen Arbeiteraufstands, seine Verfolgung und
jahrelange Zuchthaushaft sicherten ihm noch keinen Platz im thematischen Produktionsplan des Studios. Schon gar nicht sein fragwürdiges, jedenfalls tragisches
Ende 1930 im Alter von nur 44 Jahren in Stalins Sowjetunion.
So fehlte dem Autor zunächst der gesellschaftliche Impuls, ausgerechnet diese
in der Parteigeschichte umstrittene, im Mansfeldischen aber geradezu sagenumwobene Gestalt zum zentralen Helden zu wählen. Und da stand noch ein anderes
Warnschild im Wege: Die heikle, öffentlich eher schamhaft verkürzte Geschichte
der von Fraktions- und Führungskämpfen gezeichneten Kommunistischen Partei.
Doch der Stoff ließ Rücker nicht los.
Die weniger frostigen frühen 70er Jahre schienen dem Projekt gewogen. Ganz
parteiamtlich hieß es jetzt: »Wir können weder auf die Entdeckungen der Wissenschaften noch auf die Entdeckungen der Künste verzichten«. Kurt Hager ermunterte die Künstler als »Entdecker neuer Wirklichkeiten« ausdrücklich, zu »neuen
Stoffen vorzudringen«.
Auch das Dogma vom »positiven Helden« war inzwischen aus der Kunstproduktion verschwunden, weitgehend sogar aus der Programmatik, wenigstens expressis verbis.
137
Trotzdem entschied sich Günther Rücker früh und endgültig für einen freien literarischen Umgang mit der Historie, für die bloße Anlehnung an den authentischen Lebensbericht. Das befreite ihn vom Zwang exakter zeitgeschichtlicher Rekonstruktion zugunsten einer eher parabelhaften literarischen Gestaltung. Er
wollte eine Legende erzählen. Also: Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten. So schützte er den Film auch vor den Erwartungen und dem Urteil allzu
akribischer Parteihistoriker. Geschichte interessierte Günther Rücker aber stets
nur in bezug auf die Gegenwart und ihre geistigen Herausforderungen. Nach solchem Anlaß befragt, sagte er: »Mitte der 60er Jahre belebten sich linker Radikalismus, Maoismus und Anarchismus. Ich hielt es für an der Zeit, einen Film zu
schreiben, der besonders der Jugend sagt, ›Liebe Leute, was ihr da hört, ist so neu
nun wiederum nicht, es hat seine Unfähigkeit in der Geschichte bewiesen‹.« Ein
so fast didaktisch anmutendes Anliegen war Rückers künstlerisches Credo eigentlich nicht.
Ohne es auszusprechen, mag der Autor dabei auch an die heimlichen Sympathien gedacht haben, die es im Lande durchaus für Che Guevaras Guerillakampf
in Bolivien gab, obwohl sich die Partei längst von jedem »Export der Revolution«
losgesagt hatte. Stärkere und offiziell beargwöhnte jugendliche Anteilnahme aber
galt der westdeutschen Studentenrevolte, ja, selbst den fragwürdigen Aktionen der
RAF und ihrem individuellen Terror gegen Repräsentanten des verhaßten restaurativen gesellschaftlichen Systems. Im Juni 1972 wurde Ulrike Meinhof verhaftet.
»Nicht umsonst«, so Rücker im Interview, »ist der Max Hoelz bis heute (....)
eine ganz große, fast legendäre Figur, obwohl es (...) eine wohlformulierte Kritik
an seiner Haltung gibt. Wir denken an ihn mit Zorn, mit Ärger und zugleich auch
mit Trauer.«
Ein Helden-Typus mit solch ambivalenter ideeller, ästhetischer und emotionaler Wertung und Wirkung war im DEFA-Historienfilm neu und blieb singulär bis
zum Film über den Dichter Hans Fallada von Roland Gräf 1988.
Nach seinem Regiedebüt in Babelsberg und dem Achtungserfolg für Die besten Jahre hätte Günther Rücker jederzeit auch die Regie des Wolz übernehmen
können. An Erfahrung mangelte es ihm wahrlich nicht nach der Inszenierung seiner zahlreichen Hörspiele. Er kannte nicht nur alle Darsteller der Berliner Bühnen. Mit vielen hatte er intensiv zusammengearbeitet, mit nicht wenigen war er
befreundet.
Zwei Gründe nannte er selbst für seine Abneigung, in den Regiestuhl zurückzukehren.
»Ich war nach so langer Zeit – das erste Szenarium wurde vor acht Jahren geschrieben – etwas müde geworden. Ich hätte die große Kraft für die Vorbereitung
des Films, die sehr kompliziert war, nicht mehr aufgebracht. Mir schien es notwendig, daß ein Neuer hinzukam mit vollem Einsatz und voller Kritikfähigkeit.
Und da kam Günter Reisch.« Mit ihm hatte er 1955/56 seine Spielfilmarbeit begonnen – Junges Gemüse.
138
Doch er hatte noch einen allgemeineren Beweggrund, es bei der Bucharbeit zu
belassen. »Filmregie ist ein Beruf, und ich habe ihn nicht gelernt, ein harter, im
Detail nicht sehr leicht erlernbarer Beruf, den man ununterbrochen ausüben muß,
wenn man es zur souveränen Beherrschung der Mittel bringen will.«
Und an anderer Stelle sprach er über die recht profanen Umstände des Alltags
dieser Profession, die so freundlich verharmlosend auch als »Spielleitung« bezeichnet wird.
»Ein Dreivierteljahr Arbeit! Kampf gegen Plan, Materie, Zufälle. Die Momente,
in denen du mit dem Schauspieler die Figur baust, sind die wenigsten, Sekunden
unter Tagen und Wochen von Wust.«
»Muß ich denn meine Tage damit zubringen, auf Sonne zu warten oder auf den
Schauspieler?« Letzteres allerdings war eine sehr DDR-typische und DEFAeigene Malaise, die das Studio an die Gunst der Intendanten und jeweiligen Bühnen-Regisseure auslieferte. Drehplan und Tagesdispositionen mußten nicht nur
den Abendspielplan der Theater berücksichtigen. Oft wartete man am Drehort,
weil sich kurzfristig angesetzte morgendliche Stückproben verzögerten. Dazu kamen die Unwägbarkeiten einer mindestens einstündigen Anfahrt aus der Hauptstadt der DDR südlich um Westberlin herum zum Studio in Babelsberg oder noch
länger zu einem Außenschauplatz.
Von diesen und anderen Bedingungen und Beschwernissen der Realisierung
dieses anspruchsvollen zeitgeschichtlichen Films kann Günter Reisch ihnen nun
die kompetenteste Auskunft geben, vor allem zur internationalen Besetzung
gleich zweier Hauptrollen und der beeindruckenden Wahl der Motive und Schauplätze.
139
Wolz. Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten
Produktionsland
Produktionsfirma
Produktionsleitung
Erstverleih
Uraufführung
Regie
Drehbuch
Scenarium
Kamera
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
(Künstlerische Arbeitsgruppe »Berlin«)
Manfred Renger
Progreß-Filmverleih, Berlin
31. Januar 1974, Filmtheater Kosmos, Berlin
Günter Reisch
Werner Beck
Günther Rücker
Jürgen Brauer
Bauten
Dieter Adam
Schnitt
Bärbel Weigel
Kostüme
Musik
Darstellende
Zum Inhalt
DDR, 1964/1965
Ewald Forchner
Karl-Ernst Sasse
Ignaz Wolz: Regimantas Adomaitis
Agnes: Heidemarie Wenzel
Ludwig: Stanislav Lubšin
Morgner, Wolz’ Begleiter: Jörg Panknin
Kassierer: Peter Hölzel
Rudi: Rainer Kleinstück
Arthur: Günter Wolf
Gustav: Herwart Grosse
Geiger: Václav Kotva
in weiteren Rollen: Helga Göring, Helmut Schreiber
Stanislav Lyubshin, Astrid Bless
Der Soldat Ignaz Wolz entwickelt nach dem Ersten Weltkrieg unbändigen Haß auf die kapitalistischen Kriegsgewinnler und startet 1919 seine eigene Revolution: Mit einigen Anhängern enteignet er Grund- und Fabrikbesitzer und verteilt die Reichtümer in der armen Bevölkerung. Aus dem organisierten Klassenkampf hält er sich aber heraus und kann sich mit
einem ehemaligen Kameraden, dem Kommunisten Ludwig, nicht auf eine Zusammenarbeit
einigen. Nach weiteren Einzelaktionen landet er im Zuchthaus. Sieben Jahre später wird er
aufgrund von Massenprotesten freigelassen, kann sich aber nun erst recht in keine Strukturen mehr einfügen. Er trennt sich von ehemaligen Weggenossen und verläßt schließlich
Deutschland, da niemand mehr seinen anarchistischen Ideen folgen will.
140
Der Schriftsteller und Regisseur Günther Rücker
Fünf Tage nach Günther Rückers 84. Geburtstag möchte ich, bevor wir seinen
Film sehen, vom Autor sprechen und vor allem ihn zu Wort kommen lassen.
Sein Weg zur DEFA war nicht eben der kürzeste, und die Arbeit für das
Medium nicht die leichteste.
Theaterabende vor dem Heidelberger Schloß hatten den Schüler 1939, kurz vor
Kriegsbeginn, lebensbestimmend fasziniert. Der Krieg aber bescherte ihm und
seinem Jahrgang erst einmal die Rache der frühen Geburt. Da war an eine künstlerische Zukunft nicht zu denken. Doch 1948 hatte Rücker, inzwischen Assistent
am Leipziger Schauspielhaus, eine sozusagen wegweisende Wiederbegegnung
mit dem damaligen technischen Leiter der Schloßfestspiele von Heidelberg.
»Der«, so Rücker, »riet mir: Geh zur DEFA, die suchen junge Regisseure. Er
machte für mich einen Termin, und ich fuhr im Sonntagsanzug, mit Hut und Aktentasche, als besserer Herr verkleidet, nach Berlin.
Aber der erste Künstlerische Leiter der DEFA, Falk Harnack, suchte ›fertige
Regisseure‹, Assistenten haben wir genug. Die Bürgerlichen werden eines Tages
hier weggehen, und dann seid ihr gefordert. Lerne also, und wenn du dich stark
genug fühlst, komm wieder.
Ich suchte die DEFA-Dramaturgie auf. Ein Filmvorschlag war nicht beantwortet worden. Es ging um die Fremdenlegion. Man empfahl mir Themen aus dem
Verkehrswesen der DDR. Oder Kohle. Wenn möglich Steinkohle. Der Chefdramaturg (damals gab es noch keine Künstlerischen Arbeitsgruppen – D. W.) ließ
sich meine Geschichte vor den versammelten Dramaturgen noch mal erzählen.
Ich sah die verkniffen und verbissen grinsenden Gesichter. Der Abschied war für
lange. (...)
Das einzige, was zu erzählen ich in der Lage gewesen wäre, waren die Jahre
vor der Okkupation der Sudentengebiete. (...) ,es war nicht die Zeit dafür. 40 Jahre
später habe ich eine der Geschichten von damals als Film konzipiert – Hilde, das
Dienstmädchen – und bin nicht sehr glücklich damit geworden. Die zweite Generation sitzt als Publikum im Kino und weiß mit dem, was damals unser Leben zerstörte oder stark gemacht hat, nichts mehr anzufangen. Aus gutem Grund bin ich
diesem Thema 30 Jahre lang ausgewichen. Es bleibt eine Randgeschichte, ein
Minderheitenproblem. (...) Als Deutsche waren wir damals (Rücker stammt aus
Liberec/Reichenberg – D. W.) eine Minderheit im Vielvölkerstaat der ersten
Tschechoslowakischen Republik. Unter den Deutschen waren die Linken in einer
verschwindenden Minderheit.« Eine Idee: Damals zu früh – und nun zu spät.
Also widmete sich Rücker erst einmal ganz dem auditiven Medium. Und so
seine Erinnerung: »Jeden Morgen um acht betrat ich das Haus, stieg zum 3. Stock
hinauf, legte Mantel und Aktentasche ab – es waren die Jahre, in denen ein Mann
141
von Bedeutung nicht ohne Aktentasche ging – und klopfte an eine Tür, auf der in
lateinischer Schrift ein russischer Name nebst Dienstgrad zu lesen war. Ich war
Redakteur des Schulfunks bei Radio Leipzig. Der Offizier hinter dem Schreibtisch war vielleicht fünf oder sechs Jahre älter als ich. Er sprach ein vollkommenes Deutsch (...). Er holte das Sendemanuskript, das ich einige Tage vorher abgegeben hatte, hervor und teilte mir mit, ob es genehmigt sei oder ob er einige
Fragen beantwortet haben möchte. Ich war immer in Eile, denn Schauspieler und
Sprecher warteten schon vor den Mikrofonen. Ich war Mitte 20, arbeitete die in
der Schule erworbenen Abiturientenweisheiten und die im Krieg gewonnenen Erfahrungen meiner Generation in die Sendungen ein und versuchte die vorgeschriebenen Termine zu halten.
Unterm Dach, in einem verschlossenen Raum, saß ein Mann, die geänderten
Manuskripte vor sich, und las Wort für Wort mit. Wenn sich der Text, der über den
Sender ging, vom Text unterschied, der vor ihm lag, drückte der Mann auf einen
Knopf, und der Sender fiel so lange aus, bis er in seinem Exemplar den gelesenen
Text wiederfand. Da nahm er seinen Finger vom Drücker. Danach gab es langwierige, nie bis zu Ende klärbare Feststellungen und Berichte. Meist aber ging es
ohne Ausfall.« So weit der Autor. Heute muß man vorsorglich dazu anmerken,
daß es sich hierbei nicht um frühe Abhörpraktiken der Stasi handelte.
So begannen Günther Rückers Vorübungen für ein grandioses Hörspiel-Œvre
mit mehr als 20 Titeln. »Als ihr Regisseur habe ich den Prix Italia bekommen.
Das brachte Ehre, einige Schweizer Franken und eine Gastinszenierung in Paris.
Ich denke mit unguten Gefühlen an die Zeit, in der ich zu meinem ersten Spielfilm ansetzte (...) als man mich in der Annahme bestätigte, neue Themen, neue
Zeiten brauchten neue Filmgesetze. Niemand scherte sich um die Erfahrungen,
die das Genre abverlangte. Wir waren alle Debütanten, alle.
Wissen konnte uns nicht beschweren. (...) Ich sehe noch heute das müde, verärgerte Gesicht Anton Ackermanns, Vorsitzender des Staatlichen Filmkomitees,
als der Lustspielfilm (Junges Gemüse – D. W.) fertig war. Wie mußte er uns sehen? Junge Leute, ›junges Gemüse‹, das an allem, was seine Generation unter
Blut und Schweiß errungen hatte, etwas zu mäkeln fand. Genossen wie er hatten
unter Einsatz ihres Lebens und unter blutigen Verlusten, Positionen erkämpft, die
sie Leuten weitergeben wollten. Und nun diese Spaßmacher! Und welche Späße!
Ich bin Anton Ackermann später mit dem höchsten Respekt und mit Verehrung
begegnet. Wir lächelten über diese ersten Filmjahre, aber es war viel Schmerz im
Lächeln. Was für Mißverständnisse auf beiden Seiten!
Danach schrieb ich mit Günter Reisch einen zweiten Spielfilm, wieder ein
Lustspiel. Es handelte von Studenten, die, um in China studieren zu dürfen, verheiratet sein mußten. Als wir fertig waren, 1957, verschwand das Manuskript. Der
Film wurde nie gedreht. Niemand hat auch nur ein Wort über die Gründe mit uns
gesprochen. Es war die Zeit des »Großen Sprungs«. Politisch hätten wir alle Entscheidungen sehr gut verstanden, aber man zog das Administrieren vor. Die Idee
142
schenkten wir Hermann Kant für seinen Roman Die Aula. So fand manches einen
späten, milden Abschluß. Die Lustspielzeit war damit für mich zu Ende.
Um diese Zeit (Mitte der 50er Jahre – D. W.) fragte mich Andrew Thorndike, ob
ich den Text zum Film Du und mancher Kamerad mitschreiben möchte. Zum ersten
Mal erlebte ich die Gewalt des Dokuments. Ich bin davon nie losgekommen.«
Hier muß ich Günther ins Wort fallen: Die dokumentarischen Bilder dieses
ersten großen, sehr erfolgreichen DEFA-Archiv-Films zeichneten ein Bild tragischer deutscher Geschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik.
Die im Buch von Karl Eduard v. Schnitzler, die in der Materialauswahl und
Montage der Thorndikes angelegte polemische Didaktik wurde erst dank Rückers
unverwechselbarer persönlicher Diktion vom puren Lehrstück zum emotionalen
Erlebnis.
Mit den Thornikes entstanden auch die Dokumentarfilme Urlaub auf Sylt über
den SS-Mörder von Warschau und Insel-Bürgermeister Heinz Reinefahrth und
Unternehmen Teutonenschwert über den Nazi- und Nato-General Hans Speidel
sowie Das russischeWunder. Rücker hat aber auch mit anderen Dokumentaristen
zusammengearbeitet, stellvertretend seien nur Karl Gass und Winfried Junge genannt.
Diese erste dokumentar-authentische Begegnung mit Zeitgeschichte fällt in die
Jahre des zweiten Spielfilmanlaufs: »Als der 20. Jahrestag des Kriegsausbruchs
herankam, begann ich mit Wolfgang Kohlhaase einen Film zu konzipieren, der
die letzte Nacht des Friedens, soweit es noch einer war, erzählen sollte, die Technik einer Provokation, die Manipulation nationaler Gefühle zum finstersten
Zweck. Je länger wir darüber nachdachten, desto unerbittlicher kam die Frage auf
uns zu: Erzählen wir die Deutschen als Opfer oder als Täter? Wie ist das zu trennen? Wo stehen die Erzähler? Wo steht die Kamera? Wie heiß, wie kühl sehen wir
zu? Wie nah, in welcher Distanz? Am Ende kam eine uns alle verblüffende
Strenge und Disziplin in den Film.
Das Publikum schwieg, als die letzte Einstellung vorbei war, stand auf und war
emotional unbefriedigt. Trotzdem besuchten den Film bis Mitte der 80er Jahre
ohne Werbung, ohne kinopolitische Unterstützung mehr als eine Million Zuschauer. Es kam in der Presse (und nicht nur dort) zu scharfen Auseinandersetzungen, man lobte und man warnte. Sollen das die Filme der Zukunft sein? Man
sprach von ›Blutvergiftung des DEFA-Films›. Wir lernten: Unbehagen des Publikums kann die verschiedensten Ursachen haben.
Als wir in den Dreharbeiten standen, traf ich einen Jugendfreund wieder, den
ich anderthalb Jahrzehnte nicht mehr gesehen hatte. Der Krieg hatte uns auseinander gebracht. Und nun erzählte er mir sein Leben als Lehrer und sprach über
die Fragen, die vor ihm standen. Ich schrieb danach Die besten Jahre. Als der
Film lief, acht Wochen vor dem 11. Plenum des ZK, war das Publikumsecho
freundlich, aber einige Leiter sagten mir sehr deutlich, daß die Entwicklung des
DEFA-Films nicht mit diesem, sondern mit anderen Filmen weitergehen würde.
143
Kein Kritiker und kein Leiter kann mit meinem Film so streng umgehen wie
ich als Autor oder Regisseur. Ich vertrat immer die Meinung, die erste Hälfte des
Films sei gut, weil richtiger Film, die zweite sei nicht gut, weil ich, von Problemen der Pädagogik überrannt, nichts tat, als diese Probleme zu benennen, ohne
eine wirkliche Handlung gefunden zu haben. Als der Film in einer Retrospektive
vor Lehrern und Schülern 1985 gezeigt wurde, sagte ich dies vorweg als Entschuldigung.
Nachher sagten die mir, für sie sei es andersherum interessant gewesen. Der
Anfang sei wie üblich, aber die zweite Hälfte benenne Probleme, die auch heute
noch nicht gelöst sind. Einerseits freute mich diese Meinung, andererseits führe
ich sie auf ein Mißverständnis zurück, das nach wie vor nicht ausgeräumt ist. Es
kann nicht darum gehen, in einer Spielhandlung Themen zu benennen und abzuhandeln, die eigentlich in öffentlichen Rundtischgesprächen vor Fernsehkameras
behandelt werden müßten. Das wäre effektiver und billiger.«
Mal sehen, wie es Ihnen heute mit dem Film ergeht, der nun Geschichte ist und
nicht nur Filmgeschichte. Über seine Entstehung und die pädagogischen Probleme
damals und aus heutiger Sicht wird Ihnen der kompetenteste Zeitzeuge und Mitarbeiter, Günther Rückers Freund Auskunft geben: Prof. Dr. Ernst Machacek.
Die besten Jahre
Produktionsland
Produktionsfirma
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
(Künstlerische Arbeitsgruppe »Berlin«)
Aufnahmeleitung
Manfred Renger, Waldemar Döring
Produktionsleitung
Erstverleih
Uraufführung
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
144
DDR, 1964/1965
Fried Eichel
Progreß-Filmverleih, Berlin
1. Oktober 1965
Günther Rücker
Regieassistenz: Hanna Georgi
Günther Rücker, Peter Krause
Klaus Wischnewski
Peter Krause
Kameraführung: Hans-Jürgen Reinicke
Kamera-Assistenz: Klaus Zähler
Standfotos: Franz-Eberhard Daßdorf
Licht
Bauten
Requisite
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Darstellende
Werner Teichmann
Gerhard Helwig
Bauausführung: Norbert Günther, Arthur Stenzel
Willi Krause (Bühnenmeister)
Außenrequisite: Herbert Rother
Luise Schmidt
Gerhard Petri, Gisela Thrum, Paul Michaelis
Hildegard Conrad
Günther Witt
Reiner Bredemeyer
Ernst Machner: Horst Drinda
Hilde Tamm: Lissy Tempelhof
Meister: Harry Hindemith
Schmeller: Herwart Grosse
Bettina: Helga Labudda
Mitschüler: Klaus Piontek
Lehrer Klein: Rolf Hoppe
Parteisekretär: Bruno Carstens
Karin: Karin Ensslen
Heizer: Hans Hardt-Hardtloff
Volksschullehrer: Hans-Joachim Büttner
Dozentin: Elfriede Florin
Stellvertreter: Günter Wolf
Mathematiker: Peter Herden
Biologielehrer: Lothar Förster
Englischlehrerin: Brigitte Lindenberg
Lehrer: Peter Kalisch
Ansager: Horst Papke
Harmoniumspieler: Karl Köther
Frau Schneller: Ellinor Vogel
Sekretärin: Genia Lapuhs
Dicker. Horst Lommatzsch
Werkleiter: Günther Polensen
Mädchen auf dem Fahrrad: Annemone Hase
Lehrer: Christoph Beyertt
Lehrer: Otto Krieg-Helbig
Lehrer: Alwin Brosch
Schüler: Frank Schenk
Schüler: Stefan Schütze
Schüler: Burghard Rademacher
Schüler: Axel Dietrich
Schülerin: Sabine Lorenz
Schülerin: Georgia Kalla
Junger Mann: Franz-Eberhard Daßdorf
Lehrer: Hans-Gotthilf Brown
145
Darstellende
Lehrer: Mario Talaga
Lehrerin: Ilona Ringer
Lehrerin: Herta Belkow
Lehrerin: Rosemarie Herzog
Lehrerin: Ingeborg Stier-Gerhard
Kleiner Mann: Erwin Riedel
Dicke: Rita Hempel
Junge Frau: Rita Lotze
Aspirantin: Hannelore Fischer
Mitglied der Prüfungskommission: Günther Drescher
Schuldiener: Waldemar Döring
Zum Inhalt
Der aus dem Krieg heimgekehrte Ernst Machner findet bei der Neulehrerin und früheren
Textilarbeiterin Hilde Tamm eine erste Bleibe. Sie ermutigt ihn, sich ebenfalls zum Lehrer
ausbilden zu lassen. Noch vor Abschluß des Kurses wird er zum Leiter einer Dorfschule
verpflichtet, obwohl er sich einer solchen Aufgabe nicht gewachsen fühlt. Als er gerade das
Gefühl hat, die Probleme in den Griff zu bekommen, beruft man ihn zum Direktor der traditionsreichen Lehrstätte Schulpforta. Der den alten Traditionen verhaftete Lehrkörper auf
der einen Seite und Machners Wissenslücken andererseits werden für ihn zu einer Kraftprobe, so daß für Freundin Hilde keine Zeit mehr bleibt. Als er sie nach Jahren wiedertrifft,
ist sie die Frau eines anderen geworden.
KLK an PTX – Die Rote Kapelle
Produktionsland
Premierendatum
Auszeichnungen
146
DDR (1970/71)
25. März 1971, Berlin, im Kino Kosmos
Das Kollektiv – Wera und Claus Küchenmeister,
Horst E. Brandt, Günter Haubold, Anne Pfeuffer,
Horst Drinda, Irma Münch, Klaus Piontek, Jutta
Wachowiak, Horst Schulze, Barbara Adolph, Manfred
Karge, Ursula Karusseit, Eberhard Esche, Harry
Pietzsch, Günther Simon – erhielt den Kunstpreis des
Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB)
1971; das Kollektiv – Wera Küchenmeister, Claus
Küchenmeister, Horst E. Brandt, Günter Haubold –
erhielt 1971 den Nationalpreis I. Klasse – der Film
das Prädikat »Besonders wertvoll«.
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Licht
Bauten
Kunstmaler
Requisite
Bühne
Garderobe
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg,
(KAG »Berlin«)
PROGRESS Film-Verleih
Horst E. Brandt
Regie-Assistenz/Co-Regie: Bodo Schmidt,
Rosalinde Schwarzer, Jochen Diestelmann
Wera Küchenmeister, Claus Küchenmeister,
Horst E. Brandt
Szenarium: Wera und Claus Küchenmeister
Werner Beck (Hauptdramaturg), Anne Pfeuffer
Günter Haubold, Werner Heydn (Spezial-Kamera)
Kamera-Assistenz: Dieter Maurer, Jürgen Kagermann
Standfotos: Jörg Erkens
Günther Müller, Norbert Lude
Dieter Adam (Szenenbild)
Bauausführung: Udo Scharnowski,
Marlene Willmann, Paul Haak
Alfred Born, Herbert Patzelt, Wolfram Baumgardt
Gerhard Rotzoll, Jürgen Rietschel,
Elisabeth Stenzel (Außenrequisite)
Manfred Grimm (Bühnenmeister)
Walter Klose, Fides Joppien, Lieselotte Seiffert,
Uwe Bornemann
Horst Schulze, Irmela Holzapfel, Wolfgang Möwis,
Margot Friedrichs
Erika Lehmphul
Schnittassistenz: Karin Kusche
Wolfgang Höfer
Mischung: Georg Gutschmidt
Synchronton: Christfried Sobczyk
Helmut Nier
Musik-Ausführung: Manfred Rosenberg,
Helmut Nier, Rolf Markert (Klavier)
Heinz Herrmann, Wolfgang Rennebarth
Treuholz Vieth-Peter, Karl-Heinz Rüsike,
Werner Pfeifer
Dr. jur. Dr. phil. Arvid Harnack: Horst Drinda
Dr. phil. Mildred Harnack.: Irma Münch
Dr. phil. Adam Kuckhoff: Horst Schulze
Greta Kuckhoff: Barbara Adolph
147
Darstellende
148
Harro Schulze-Boysen: Klaus Piontek
Libertas Schulze-Boysen: Jutta Wachowiak
Walter Küchenmeister: Harry Pietzsch
Dr. med. Elfriede Paul: Karin Lesch
Elisabeth Schumacher: Marylou Poolman
Kurt Schumacher: Eberhard Esche
Oda Schottmüller: Katharina Lind
John Sieg: Günter Simon, Sophie Sieg: Jessy Rameik
Hilde Coppi: Ursula Karusseit
Hans Coppi: Manfred Karge, Hanna: Manuela Marx
Papa Schulze: Johannes Wieke
Franz Gauss: Rudolf Ulrich
von Pannitz: Wolfgang Greese
Ina Schreier: Heidemarie Wenzel
Hans Werner: Peter Sindermann
Karl Winkler: Hans-Peter Reinicke
Willi: Alexander Wikarski, Schnabel: Herbert Köfer
Mr. Sulivan: Gerhard Rachold
General Münch: Wilhelm Koch-Hooge
Vincente Douglas: Leon Niemczyk
Canaris: Siegfried Weiß, Frau Fingerhut: Use Rainer
Wolfgang Langhoff: Alfred Müller
Fähnrich Thierbach: Eckhard Bilz
Major Krüger: Karl Sturm, Erdberg: Siegfried Mahler
Oberleutnant Schlief: Heinz Behrens
Sekretärin von Wildberg: Liane Düsterhöft
Hauptmann Udet: Joe Schorn
Hauptmann Hartwig: Rolf Ripperger
Butler/Nachrichtensprecher: Christoph Beyertt
1. Deutscher: Hannjo Hasse
2. Deutscher: Kurt Kachlicki
Verleger: Hans-Joachim Büttner
von Sommer: Ivan Malré, Bellini: Alfred Struwe
Herr: Friedrich Richter, Herr: Günther Feuerhahn
Herr: Kurt Schmengler, Herr: Detlef Witte
Herr: Manfred Bendik, Herr: Rolf Staude
Ansagerin: Traute Sense, Alex Bibo: Erik Veldre
Feuerwehrmann: Frank Michaelis
Oberst von Haase: Harald Halgardt
Sekretärin von Canaris: Erika Stiska
Frau beim Plakatekleben: Ursula Braun
Dieter: Siegfried Fiedler, Gisela: Ute Boeden
Zigarettenladenbesitzer: Erich Brauer
Jean-Pierre: Roger Zerath, Ober: Günther Polensen
Nix B.: Walter Lendrich, Jacob: Harald Moszdorf
Kollo: Volkmar Kleinert, Liebe: Heinz Kögel
Kommissar Heinzge: Wolfgang Thal
Kommissar Karl: Gert Wien, Liedke: Fred Ludwig
Knabe: Marianne Behrens, Ledwig: Günther Drescher
Darstellende
Zum Inhalt
Stöcker: Veit von Krottnaurer, Prenzlau: Heinz Laggies
Kolbe/Hitler: Matthias Molter, Berner: Horst Quednow
Mark: Hans Sievers, Prange: Peter Marx
Frau mit Flugblättern: Gisela Graupner
Schuster: Werner Senftleben
Herr Schröder: Horst Giese, Directrice: Karin Beewen
Oberregierungsrat: Hans Knötzsch
General Wildberg: Peter Herden
Frau Wildberg: Sylva Schüler
Übungsleiterin: Sonja Hörbing
Fürstin: Erika Müller-Fürstenau
Mann mit Bart: Gerd Staiger
Mutter Schreier: Brigitte Lindenberg
Herr Lewinson: Hans-Joachim Hegewald
Herr Krapotschkin: Peter Sturm
Zeitungsvorleser: Reinhard Michalke
Setzer: Werner Kamenik, Junger Mann: Berko Acker
Mitarbeiter: Helmut Wenzlau
Erster Zwischenrufer: Willi Schrade
Edeltraud: Dagmar-Konstanze Bauer
Französischer Diplomat: Ralph Boettner
Passantin: Trude Brentina
Dr. Frenzel: Hans Bussenius
Verleger: Hansjoachim Büttner
Sicherungsposten: Otto Dierichs
Nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion hält der Jurist und Wirtschaftsexperte Arvid
Harnack Ende 1932 in Berlin einen Vortrag über seine Erfahrungen und wie diese für eine
Erneuerung Deutschlands genutzt werden könnten. Als wenige Monate später Hitler die
Macht in Deutschland übernimmt, bildet Harnack gemeinsam mit Gleichgesinnten die
Widerstandsgruppe »Rote Kapelle«, die einer der bedeutendsten Gegner des Nazi-Regimes
wird. Neben Harnack gehören der Gruppe unter anderen auch der Luftfahrt-Offizier
Schulze-Boysen, der Dichter Adam Kuckhoff, der kommunistische Redakteur John Sieg,
der Arbeiter Schulze und die Dreher Hans Coppi und Walter Küchenmeister an. Es gelingt
der Bewegung, die nach den Beschlüssen der KPD agiert, wichtige Informationen über
Nazi-Deutschland per Funk ins Ausland zu übermitteln. Schließlich aber kommt die Gestapo den Männern auf die Spur – viele von ihnen werden verhaftet und bezahlen ihren Mut
zum Widerstand mit dem Leben.
149
Der verlorene Engel
Mit unserer Veranstaltung erinnern wir an den Regisseur Ralf Kirsten, der im Januar
vor zehn Jahren 67jährig verstarb. Und wir ehren schon heute Fred Düren, der noch
in diesem Jahr 80 wird. Als 37jähriger spielte er den 67jährigen Barlach, und ich
wage die Prophezeiung: Sie werden diese Gestalt und dieses Gesicht nicht wieder
vergessen, auch dank der großartigen maskenbildnerischen Leistung des jungen
Günter Hermstein, der schon lange nicht mehr lebt. Und sie erleben die Welt Barlachs, geführt vom Kameraauge des jungen Claus Neumann, im meisterlichen Szenenbild von Hans Poppe. Die von ihm für den Film nachgeschaffene Titel-Figur
zeugt von der geistigen Verwandtschaft zweier großer bildender Künstler des vorigen Jahrhunderts: Nicht von ungefähr gab Ernst Barlach seinem schwebenden Engel Züge aus dem Antlitz der von ihm hoch verehrten Käthe Kollwitz.
Hier eine kurze Rückblende in die Werk- und Filmgeschichte:
Die kulturpolitische Keule des 11. Plenums vom Dezember 1965 traf zunächst
elf Gegenwartsfilme, kaum daß Günter Stahnkes prophetischer Titel kurz zuvor
noch in die Kinos gekommen war: Der Frühling braucht Zeit. Wie wahr. Doch
mit dem historischen Sujet und der antifaschistischen Thematik des BarlachFilms glaubten wir uns im Studio zunächst noch auf der sicheren Seite. Ein fataler
Irrtum.
Ralf Kirsten hatte sein Projekt nach Franz Fühmanns Erzählung Das schlimme
Jahr oder Barlach in Güstrow1964/65 noch mit Chefdramaturg Klaus Wischnewski in dessen Gruppe Heinrich Greif entwickelt und realisiert. Der Film war von
der Gruppe und der neu installierten Studioleitung abgenommen. Die Staatliche
Zulassung wurde am 18. Juli 1966 beantragt, also vier Wochen nach dem KinoSkandal und Verbot von Spur der Steine. Inzwischen aber war Klaus Wischnewski fristlos entlassen, die Gruppe aufgelöst, die Konrad Wolf 1959 gegründet
hatte. Im Kulturministerium und seiner Hauptverwaltung Film waren nicht nur
die Chefstühle neu besetzt. Mit Minister Hans Bentzien war auch sein Stellvertreter für das Filmwesen Dr. Günter Witt abgelöst worden. »Politische Wachsamkeit« wurde zum alleinigen Kriterium für Kunsturteile und – Entscheidungen.
Ralf Kirsten kam mit seinem neuen Film Frau Venus und ihr Teufel in unsere
Gruppe Babelsberg. Mitten in den Dreharbeiten zu dieser Komödie mit Manfred
Krug und Inge Keller erreichte uns Ende September 1966 die schriftliche »Stellungnahme« der neu formierten Abteilung Filmproduktion der Hauptverwaltung,
wonach der Film Der verlorene Engel »staatlich nicht abgenommen« sei.
Darin hieß es nun: »Die von der ehemaligen Künstlerischen Arbeitsgruppe
Heinrich Greif gegebene Einschätzung (...) beurteilt sowohl die ideologische Aussage als auch die politische Wirksamkeit des Films falsch.« Dann folgten die
schlimmsten Totschlagargumente: »keine klare Parteinahme«, »mystische Züge«,
150
»Züge der philosophischen Deutung etwa im Sinne des Existenzialismus«, »auf
das Prinzip der Volkstümlichkeit (wurde) völlig verzichtet«.
Das erinnerte fatal an die überwunden geglaubte Formalismus-Diskussion der
50er Jahre und die vernichtende Kritik einer Barlach-Ausstellung der Akademie
der Künste, Barlach sei mit seinen Skulpturen im »Sumpf des Mystizismus versunken.«
Im Kern aber ging es jetzt um die befürchtete aktuelle Wirkung des Films gerade nach dem Scherbengericht, das die Partei eben veranstaltet hatte. So hieß es
weiter: »Der Film klagt ganz allgemein den Gegensatz zwischen Kunst und Diktatur (Totalitarismus) an. Er kann demzufolge auch als Anklage gegen die staatliche Macht allgemein (also auch die sozialistische Staatsmacht) aufgefaßt werden.
(...) Die erzieherische Wirkung des Films ist negativ und zutiefst unsozialistisch.«
Eine Diskussion darüber mit den Schöpfern hatte es bis dahin weder in Berlin
noch in Babelsberg gegeben, und sie war offensichtlich auch nicht vorgesehen,
nicht einmal in der Parteiorganisation. Der neue Studiodirektor, zuletzt Sekretär
für Agitation der SED-Bezirksleitung Halle, wußte sich zu helfen. Da gab es
schließlich einen für Kirsten nun zuständigen Gruppenleiter – Dieter Wolf.
Und so erhielt ich den Auftrag, das nachzuholen. Der nächste drehfreie Tag
wurde genutzt, um Regisseur, Kameramann, Szenenbildner, Produktionsleiter und
zwei Vertreter der Dreh-Brigade über die Entscheidung zu informieren und um
Verständnis für eine »staatliche Maßnahme« zu werben.
Eine Aktennotiz für den Künstlerischen Direktor Wito Eichel und den Studiodirektor Franz Bruk hielt das kümmerliche Ergebnis fest, »daß außer dem Regisseur keiner der Anwesenden die letzte Fassung des Films gesehen hatte (...) Die
Beteiligten nahmen zu den aufgeworfenen inhaltlichen und politischen Fragen
nicht oder nur beiläufig Stellung, da besonders der Vorwurf nicht verstanden wird,
daß der Film den Widerspruch zwischen Kunst und Staat frei assoziierbar auch
für unsere Verhältnisse behandelt.
Ralf Kirsten hatte mich vor der Zusammenkunft davon informiert, daß er in der
Diskussion nicht Stellung nehmen werde, da er einerseits die gegen den Film vorgebrachten Argumente nicht anerkennt und andererseits besonders vor parteilosen
Kollegen nicht gegen die vorgenommene Einschätzung polemisieren wolle.«
Als Mitglied der Parteileitung – wie Ralf Kirsten auch – konnte ich mir solche
Zurückhaltung schwerlich leisten. Ich suchte die Schwäche des Films darin, daß
er sich zu wenig kritisch mit der Haltung Barlachs auseinandersetzt (seinem
Rückzug in die »innere Emigration«) und auf einige soziale und politische Akzente aus der literarischen Vorlage verzichtete, die der Orientierung des Publikums gedient hätten, etwa im Verhältnis zwischen Barlach und einem Kutscher,
der den kranken Mann ein Stück mitnimmt. Fühmann beschreibt eine Straßensezne vor 1933, die mir im Film zu fehlen schien. Da steht ein Rot-Front-Mann
Barlach gegen pöbelnde und aggressive SA-Leute bei und rettet ihn aus unmittelbarer physischer Bedrängnis.
151
Kirstens Intention aber war eine ganze andere. Er hatte sich vorgenommen,
Fühmanns Gedankenprosa in einen Film der Bilder und Stimmungen zu übersetzen, auf jede neuerliche Illustration bekannter sozialer und politischer Zustände zu
verzichten. Der vereinsamte Barlach, schon immer von den Rechten geschmäht,
von den Nazis als »jüdisch-russischer Bolschewik und Kulturschänder« denunziert
und in der NS- Propaganda-Schau »Entartete Kunst« an den Pranger gestellt, nun
auch noch von Armut bedroht, erfährt vom Raub seines Engels aus dem Güstrower
Dom in einer Nacht-und Nebel-Aktion am 24. August 1937. Auf einem langen
Gang durch seine Umgebung, seine Heimat, Deutschland, mit einem langen Blick
in den geschändeten Dom gibt er sich Rechenschaft über sein Leben und sein
Werk, will Abschied nehmen und verwirft schließlich den Gedanken an Suizid. Er
will den Nazis solchen Triumph nicht lassen, ihr Geschäft auch noch selbst zu
besorgen und kehrt in sein Atelier zurück. Er überlebt noch ein Jahr.
Ralf Kirsten hat das Barlach-Verbot von 1966 unter den für einen treuen Genossen geradezu verleumderischen Vorwürfen tief verletzt. Die Stimmung im Studio war nach der vorangegangenen Versammlungskampagne mit Kurt Hager,
Klaus Gysi und Siegfried Wagner um die bereits vorher verbotenen Filme explosiv aufgeladen. In den Arbeiterbereichen, etwa Bühne und Beleuchtung, und der
Verwaltung grassierte die Angst um den Verlust der Jahresendprämie. Einbußen
gab es bereits durch verlorene Überstunden und Spesen bei mehreren abgebrochenen Produktionen. Im Studio suchte Volkes Stimme die Verantwortung für dieses
Debakel erst einmal bei den gescholtenen, hoch bezahlten Filmemachern.
Die von uns geforderte Vorführung und Diskussion des Barlach-Films »in
einem größeren Kreis« kam nicht zustande, doch hinter den Kulissen war man um
Schadensbegrenzung bemüht.
Konrad Wolf, vor dem Plenum und der folgenden Parteistrafe zum Präsidenten
der Akademie der Künste gewählt, weilte zur Vorbereitung einer Barlach-Ausstellung in Moskau und machte dort auf den DEFA-Film aufmerksam. Die offizielle
Anfrage des berühmten Bildkünstlers Nikolai Tomski, korrespondierendes Mitglied der DDR-Akademie, traf in der HV Film auf die neu berufene Leiterin der
Hauptabteilung Künstlerische Produktion Wera Küchenmeister. Sie gab eine Bearbeitung des Films durch die Szenaristen Manfred Freitag und Jochen Nestler
und die Schnittmeisterin Evelyn Carow frei, die vom Regisseur mehr toleriert als
beraten wurde.
Die stark eingekürzte, ein wenig nachsynchronisierte Fassung kam im April
1971 im Filmtheater Colosseum in der Schönhauser Allee zur Aufführung, vom
Neuen Deutschland geflissentlich übersehen. Danach stand der kaum popularisierte Film auf Anforderung von Filmklubs und für den Einsatz in Filmkunsttheatern zur Verfügung – breite Wirkung vorsorglich ausgeschlossen, sie wäre aber
auch im großen Kino sehr unwahrscheinlich gewesen.
Ein Vergleich der heute verfügbaren Fassung mit der ursprünglichen Intention
und Realsierung war und ist schon aus technischen Gründen nicht mehr möglich.
152
Die Aufführung des Films war auch als Signal gedacht, daß sich die neue Leitung
nicht der alten Methoden und Schlagworte bedienen und ein konstruktiveres Verhältnis zu den Künstlern wieder herstellen wollte. Doch es ging auch um eine
Planposition, die erheblichen Produktionskosten nämlich vor der endgültigen
Ausbuchung als Verlust zu retten.
Ich wünsche Ihnen eine interessante Neu- oder Wiederbegegnung mit einem
sehr unorthodoxen Künstlerfilm der DEFA, wie ihn nur Ralf Kirsten drehen
konnte. Ihn hat die Liebe zur Bildenden Kunst zwei Jahrzehnte später zu seinem
letzten DEFA-Film geführt: Käthe Kollwitz – Bilder eines Lebens.
Der verlorene Engel
nach der Novelle von Franz Fühmann »Das schlimme Jahr«
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
DDR (1971)
22. April 1971
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
Ralf Kirsten
Regie-Assistenz: Ree von Dahlen, Rainer Simon
Ralf Kirsten
Drehbuchmitarbeit: Jochen Nestler, Manfred Freitag
Klaus Wischnewski
Claus Neumann
Kamera-Assistenz: Richard Günther, Peter Dierichs
Standfotos: Herbert Kroiss
Hans Poppe
Bauausführung: Jochen Keller
Elli-Charlotte Löffler
Günter Hermstein, Ursula Funk
Hildegard Conrad (?) oder Evelyn Carow,
Ursula Zweig (?)
Günther Witt
Mischung: Georg Gutschmidt
André Asriel
153
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
Zum Inhalt
Werner Liebscher
Heinz Bullerjahn
Ernst Barlach: Fred Düren
Frau Barlach: Erika Pelikowsky
Dr. phil. Adam Kuckhoff: Horst Schulze
Kutscher: Erik S. Klein
Taxifahrer: Walter Lendrich
Alte Frau: Agnes Kraus, Braut: Heidemarie Wenzel
Bräutigam: Frank Schenk, Mädchen: Carola Schirmer
Freund des Mädchens: Berko Acker
Pfarrer: Gerd Alverdes, Kantor: Theodor Klubsch
Organistin: Christa Michaelsen, Hirte: Karl Paustian
Junge von Barlach: Uwe Leonhardt
Trommlerjunge: Gerd Unger
1. SA-Mann: Gerhard Hubert
2. SA-Mann: Gerd Jurgons
Im Film wird ein Tag im Leben Ernst Barlachs, der 24. August 1937 beschrieben, ein Tag
der Selbstverständigung, kritischer Selbstanalyse. In der Nacht vorher raubten Unbekannte aus dem Dom zu Güstrow eine der ausdrucksstärksten Kunstschöpfungen Barlachs,
den »Schwebenden Engel«, der seit jener Nacht verschwunden bleibt.
»Wissen meine Figuren mehr als ich?« fragt Barlach in einer Szene des Films. Man hatte
ihn zum freiwilligen Austritt aus der Akademie der Künste gedrängt und selbst seine Ehrenmale für die Opfer des Weltkrieges beschlagnahmt oder vernichtet. Vereinsamt und isoliert
steht dieser große Künstler vor dem Ende seiner Tage, ahnend, daß seine künstlerische
Heimat links war.
Der Regisseur Ralf Kirsten
Ralf Kirsten, geboren am 30. Mai 1930 in Leipzig, war der Sohn eines Volksschullehrers. Nach dem Abitur absolvierte er 1948 bis 1950 eine Lehre als ElektroInstallateur bei der Energieversorgung-Ost in Leipzig-Markkleeberg, wo er die
FDJ-Grundorganisation gründet.
Anschließend beginnt er ein Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin, wechselt 1951 an das Theaterinstitut in Weimar und wird 1952 nach Prag an die Filmhochschule FAMU delegiert,
wo er ein Regie-Studium absolviert. 1956 wird seine DEFA-Produktion Bärenburger Schnurre als Diplomfilm angenommen. Nach seinem Kinderfilm Skimeister von morgen erhält er von der DEFA nicht sofort einen neuen Vertrag und
geht ein Jahr auf Honorarbasis zum Fernsehen, »das gerade aufgebaut wurde, um
154
da unterschiedliche Gattungen und Genres kennenzulernen, um mich auch auf
dem Gebiet des Dokumentarischen zu üben« (Kirsten, 1986). Er arbeitet dort im
Jugendfernsehen und im Bereich »Dramatische Kunst«.
1958 holt ihn Slatan Dudow als 1. Regie-Assistenten für Verwirrung der Liebe
zur DEFA zurück. Kirsten assistiert außerdem Carl Balhaus und ist 1960 Co-Regisseur von Wanda Jakubowska bei der polnischen Co-Produktion Begegnung im
Zwielicht. Seit 1960 ist er als Regisseur am DEFA-Studio für Spielfilme angestellt.
In Steinzeitballade, den er als seinen »ersten ernsthaften Filmversuch« bezeichnet, versucht er, an Brecht orientierte Stilelemente wie kommentierende
Songs auf der Leinwand anzuwenden. Er erzählt, nach dem Roman Anna Lubitzke
von Ludwig Turek, die Geschichte einer Gruppe von Trümmerfrauen, die sich solidarisch gegen ihren Chef durchsetzen. Der Film wird als ungewöhnliches Experiment anerkannt, stößt wegen seiner kühlen Stilisierung aber auf Ablehnung.
Ein großer Publikumserfolg wird 1961 Auf der Sonnenseite, den Kirsten ebenfalls mit Heinz Kahlau als Autor erarbeitet. Der Film – mit komischen und musikalischen Episoden aufgelockert – schildert den Aufstieg eines Stahlarbeiters zum
Schauspieler. Er orientiert sich frei an der Biographie des Hauptdarstellers Manfred Krug, den Kirsten in den nächsten Jahren in fast allen seinen Filmen einsetzt.
Bei dem historischen Abenteuerfilm Mir nach Canaillen! (in Totalvision und
Farbe) sowie 1966/67 in Frau Venus und ihr Teufel, einer Liebes-/Minne-Geschichte in Gegenwart und Mittelalter, dient er seinem Star als Regisseur für maßgeschneiderte Kino-Unterhaltung.
Beschreibung eines Sommers ist 1962 Kirstens erster Film, der sich mit Problemen des Alltags in der DDR auseinandersetzt. Nach dem Roman von Karl-Heinz Jakobs geht es, erstmals nach den eher prüden 50er Jahren, offen um Liebesbeziehungen zwischen einer jungen Ehefrau und Genossin (Christel Bodenstein) und einem
im Beruf anerkannten Ingenieur (Krug), dessen Privatleben jedoch mit der herrschenden »sozialistischen Moral« kollidiert. Die Alltags-Thematik greift Kirsten
1969 mit Netzwerk wieder auf, zu dem er mit Eberhard Panitz das Buch schreibt. Eng
an die damals aktuelle gesellschaftspolitische Diskussion um die »wissenschaftlichtechnische Revolution« und die Einführung der Kybernetik gebunden, geht es um die
Probleme eines erfahrenen älteren Meisters (Fred Düren) bei der Einführung neuer
Produktionsmethoden in seinem Chemiewerk. Wiederum nach einer Erzählung von
Karl-Heinz Jakobs entsteht 1974/75 Eine Pyramide für mich. Anhand der Figur des
arrivierten Wissenschaftlers Paul Satie (Justus Fritzsche), der sich an seine Zeit als
Aktivist in der Gründerzeit der DDR erinnert, werden Probleme der Aufbau-Generation reflektiert. »Saties Auseinandersetzung mit sich und unsere mit ihm ist gerade
deshalb produktiv, weil seine Handlungen untersucht und befragt, nicht aber in Frage
gestellt werden. Der Prozeß wird an uns delegiert, von uns weitergeführt.« (Klaus
Wischnewski, Film und Fernsehen, Nr. 1, 1976).
Dazwischen liegt – fünf Jahre Entstehungszeit umspannend – Kirstens vielleicht bedeutendster Film. 1965/66 beginnt er mit den Dreharbeiten zum Barlach155
Film Der verlorene Engel, nach der Novelle Das schlimme Jahr von Franz Fühmann. Der Film kommt in Folge der Diskussionen nach dem 11. Plenum der SED
nicht heraus und kann erst nach einer zweiten Drehphase 1970 fertiggestellt werden. Das Abhängen seines Bronzeengels im Dom von Güstrow 1937 durch die
Nazis veranlaßt Ernst Barlach (Fred Düren), über seine Arbeit und seine politische Haltung zu reflektieren.
Nach dem zweiteiligen TV-Film Zwei Briefe an Pospischiel, nach dem Roman
von Max von der Grün, adaptiert er gemeinsam mit Brigitte Kirsten mit wenig Erfolg E. T. A. Hoffmanns Die Elixiere des Teufels und Theodor Fontanes Unterm
Birnbaum.
In Ich zwing dich zu leben, nach der Erzählung Gambit von Karl Sewart, greift
Kirsten auf die Erfahrungen seiner Generation mit der Nazi-Zeit zurück. »Die Geschichte des Films ist gegen Ende des Zweiten Weltkrieges angesiedelt. Irgendwo
in einem Erzgebirgsdorf versucht ein schließlich von den Nazis entsetzter Lehrer
seinen 15jährigen Sohn daran zu hindern, in letzter Sekunde zum ›Heldentod‹
verurteilt zu werden. Dabei muß er feststellen, daß der eigene Sohn nach wie vor
die jahrelang vom Vater mitvermittelte Nazi-Ideologie voll akzeptiert und nun seinen ganzen Haß auf diesen ›Vaterlandsverräter‹ von Vater lenkt. Der Sohn hat das
Mensch-Sein nie gelernt.« (Kirsten zu Sobe, 1978).
Lachtauben weinen nicht, nach dem Bühnenstück Lachtaube von Helmut Baierl, ist der Versuch, ein Thema aus dem bei der DEFA zu dem Zeitpunkt wenig behandelten Produktionsmilieu aufzugreifen, wobei das Problem der Mitsprache der
Arbeiter bei der Umgestaltung und Modernisierung ihres Arbeitsplatzes im Mittelpunkt steht. Kirstens Plan, Max Walter Schulz’ Erzählung Die Fliegerin oder
Die Aufhebung einer stummen Legende zu verfilmen, scheitert 1982. Dafür dreht
er mit großem Aufwand die historische Lektion Wo andere schweigen über zehn
Tage im Leben der Kommunistin Clara Zetkin, die mit 75 Jahren, schwer krank,
aus einem Moskauer Sanatorium nach Berlin fährt, um 1932 mit einer Rede als
Alterpräsidentin des Reichstags zum Widerstand gegen den drohenden Faschismus aufzurufen.
Mit Käthe Kollwitz – Bilder eines Lebens versucht Kirsten an seinen BarlachFilm anzuknüpfen. Episoden aus dreißig Jahren werden strukturiert durch Szenen,
in denen die Hauptdarstellerin Jutta Wachowiak über ihre Annäherung an Rolle
und Person der Malerin reflektiert.
Ralf Kirsten, der auch als Regie-Dozent an der Hochschule für Film und Fernsehen lehrte, starb am 23. Januar 1998 in Berlin.
nach: CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, 1984, München.
156
Der Aufenthalt
Produktionsland
DDR (1982)
Auszeichnungen
Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, Regisseur
Frank Beyer und Hauptdarsteller Sylvester Groth
erhielten als Kollektiv 1984 den Heinrich-Greif-Preis.
Außerdem gewann der Film 1983 den Kritikerpreis
der Sektion Theorie und Kritik des Verbandes der
Film- und Fernsehschaffenden als bester DEFAFilm. Sylvester Groth erhielt den Preis außerdem als
bester Darsteller. Beim 3. Nationalen Spielfilmfestival
der DDR 1984 in Karl-Marx-Stadt gewann
»Der Aufenthalt« Preise für Regie (Frank Beyer),
Drehbuch (Wolfgang Kohlhaase), Schnitt (Rita Müller), Kamera (Eberhard Geick) und den Preis für
den besten Nachwuchsdarsteller (Sylvester Groth)
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Licht
Bauten
Requisite
Bühne
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
20. Januar 1983
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
Frank Beyer
Regie-Assistenz: Irene Weigel
Wolfgang Kohlhaase
Dieter Wolf
Eberhard Geick
Kamera-Assistenz: Eckhart Hartkopf, Dieter Lück
Standfotos: Dieter Lück
Günther Müller, Norbert Lude
Alfred Hirschmeier
Bauausführung: Gisela Schultze; Hans Quappe
Peter Röh
Manfred Grimm (Bühnenmeister)
Joachim Dittrich
Lothar Stäglich, Rosemarie Stäglich, Monika Mörke
Rita Hiller
Konrad Walle
Mischung: Konrad Walle
Günther Fischer
Herbert Ehler
157
Aufnahmeleitung
Darstellende
Zum Inhalt
Ralph Retzlaff, Harald Jahn
Mark Niebuhr: Sylvester Groth
General Eisensteck: Fred Düren
Hauptsturmführer: Matthias Günther
Major Lundenbroich: Klaus Piontek
Obergefreiter Fenske: Hans-Uwe Bauer
Jan Beveren: Alexander van Heteren
Gasmann: Horst Hiemer, Chef: Krzysztof Chamiec
Gestapokommissar Rodloff: Günter Junghans
Szybko: Gustav Lutkiewicz
Ohnehals: Roman Wilhelmi
Amtsarzt: Andrzej Krasicki
Eugeniusz: Zygmunt Maciejewski
Leutnant: Andrzej Pieczynski
Aufnahmebeamter: Leonard Andrzejewski
Hauptmann Schulski: Michael Gerber
Oberleutnant Müller: Eberhard Kirchberg
1. Mädchen: Danuta Kowalska
2. Mädchen: Nadja Wendland
in weiteren Rollen: Erhard Marggraf,
Mathis Schrader, Tomasz Stockinger, Henrik Talar,
Frantiszek Trzeciak, Marcin Trónski, Reiner Heise,
Fred Ludwig, Günter Falkenau, Michal Juszczakiewicz, Henryk Bista, Tadeusz Jastrzebowski,
Rudolf Woschik, Wolfgang Nestler, Rudolf Goßing,
Wolfgang Kühne, Jochen Diestelmann, Karl Sturm,
Roland Kuchenbuch, Hannes Stelzer, Horst Giese,
Eberhardt Wintzen
Der junge deutsche Kriegsgefangene Mark Niebuhr, ehemaliger Grenadier eines Infanteriebataillons, kommt mit einem Transport im Oktober 1945 auf dem Warschauer Güterbahnhof an. Eine Polin glaubt, in ihm einen SS-Mann wiederzuerkennen, der ihre Tochter
ermordet hat. Er wird von der Gruppe isoliert, nicht wissend, warum, kommt in Einzelhaft,
ist allein mit seiner Angst. Die Untersuchung führt ein ebenso junger polnischer Leutnant.
Nach vier Monaten kommt Mark in eine Zelle mit polnischen Gefangenen, die ihm haßerfüllt gegenübertreten. Beim Arbeitseinsatz in der Warschauer Trümmerlandschaft muß er
die höchsten gefährlichen Mauern abtragen. Er rettet ein Kind, bricht sich dabei den Arm,
kommt ins Krankenhaus und erfährt dort, daß die Untersuchung gegen ihn wegen Mordes
läuft. Nach dem Krankenhausaufenthalt gerät er in eine Zelle mit deutschen Gefangenen.
Hier herrschen die alte Hierarchie und der alte faschistische Geist, mit General Eisensteck
und Major Lundenbroich an der Spitze. Der sich unschuldig fühlende Niebuhr wird von
den wirklichen Verbrechern als einer der ihren aufgenommen. Er durchschaut sie langsam,
isoliert sich, wehrt sich, begreift aber auch etwas von der Schuld, in die er mitverstrickt ist.
Nach 8 Monaten ist seine Unschuld an dem Mord erwiesen. Er wird entlassen.
158
Berlin – Ecke Schönhauser
Das erste Produktionspraktikum im DEFA-Spielfilm führte mich 1956 in einen
Produktionsstab, der wie die anderen nach seinem Leiter benannt war, zur Albrecht-Produktion. Mit Erich Albrecht als producer hatte Gerhard Klein schon im
Dokumentarfilmstudio zusammengearbeitet. Nach den gemeinsam gedrehten Filmen Alarm im Zirkus und Eine Berliner Romanze waren sie eben dabei, den dritten »Berlin«-Film vorzubereiten: Berlin – Ecke Schönhauser. Das Projekt lief
noch unter dem Arbeitstitel des Szenariums von Wolfgang Kohlhaase Wo wir
nicht sind ... Die drei Pünktchen standen für die Ergänzung einer landläufigen Losung »sind die anderen«, und das wir meinte uns, die Kommunisten.
Als ich die kleine Baracke inmitten des Studiogeländes betrat, war mir beklommen zumute. Der neue Chef war unbekannt, und ich wußte nicht, was mich erwartete. Der sorgsam gekleidete Mann empfing mich hinter seinem penibel aufgeräumten Schreibtisch, die Ablagen auf Kante, ein ansehnliches Stiftsortiment nach
Größe geordnet. Der quicklebendige, auch schnell aufbrausende Gerhard Klein
wird ihn bald einmal im kleinen Meinungsstreit um irgend eine Organisationsfrage geradezu tätlich beleidigen, wenn er statt weiterer Widerworte diese peinliche Ordnung mutwillig zerstört, die wenigen greifbaren Schriftstücke und Buntstifte durcheinanderbringt.
Der schon berühmte Regisseur, Nationalpreisträger, bald auch Abgeordneter
der Fraktion des Kulturbundes in der Volkskammer, war mir sofort sympathisch,
das Gegenteil der Meister, die man von der Hochschule oder als Beobachter am
Drehort kannte. Ihm waren die Chef-Allüren eines Artur Pohl, der Genie-Gestus
des großen Mimen Martin Hellberg fremd. Ihn umgab nicht Kurt Maetzigs eher
distanzierende Aura intellektueller Überlegenheit oder Dudows Aura des proletarischen Altmeisters noch aus der Zeit der frühen 30er Jahre.
Klein, Jahrgang 1920, war ein richtiger Kumpel, Arbeiterkind. Daß er Mitglied
des Jung-Spartakus-Bundes war und zweimal verhaftet, erfuhr man erst nach seinem Tod. Er behandelte jeden seiner Mitarbeiter nicht als Untergebenen, sondern
als Mitverschworenen einer einmaligen Unternehmung, als Kollegen, nicht schulterklopfend, doch mit selbstverständlicher Autorität. Mit vielen war er per du,
doch die Vertraulichkeit wurde nur nach Leistung gewährt. Gerhard Klein wollte
seine proletarische, mehr noch seine Berliner Herkunft nicht verleugnen. Klein
und drahtig, die Schultern ein wenig nach vorn genommen wie ein Boxer in Abwehrhaltung, uneitel in der Garderobe wie im Gebaren, dachte er gar nicht daran,
seine geringe Körpergröße zu kaschieren.
Ich sollte ihn zur Motivsuche in Berlin begleiten, um seine Entscheidungen mit
ihren Konsequenzen für die Produktionsvorbereitung und die Sicherung der Dreharbeiten festzuhalten. Klein hatte das Szenarium im Kopf und suchte nun die
159
Außenschauplätze bis zu stilprägenden Kamerastandpunkten. Er suchte sich von
den Handlungsorten erst einmal ohne den Szenenbildner Oskar Pietsch und
seinen Westberliner Kameramann Wolf Göthe ein Bild zu machen. Ohne den lebendigen Eindruck vom jeweiligen Spielort wollte Klein kein Regiedrehbuch
schreiben. Er hätte die heute übliche location-Praxis niemals akzeptiert, wo ein
Beauftragter des Produzenten die preiswertesten Schauplätze ausmacht. Lediglich
das zentrale Motiv galt zwischen Autor und Regisseur als verabredet: Dimitroff/
Ecke Schönhauser Allee, das erst später die Titel-Idee inspirierte, Treffpunkt der
Jugendclique des Films unter der Hochbahn.
Für die mobile Ortsrecherche verzichtete Klein auf den reservierten Produktionswagen, einen stattlichen schwarzen BMW, und entschied sich für mein Motorrad. Statt des klassischen Sozius’ bot die modische neue Sitzbank der kleinen
tschechischen 150er Jawa gerade zwei schlanken Leuten Platz. Das war doch
schon mal ein Vertrauensbeweis, denn mit langer Fahrpraxis im Großstadtverkehr
konnte ich nicht gerade aufwarten.
So kurvten wir durch den Prenzlauer Berg, und als Student aus Thüringen entdeckte ich mit den Augen und Kommentaren eines Ur-Berliners, wie verschieden
ein Hinterhof oder ein Hausflur hier aussehen konnte und warum sich Klein für
den sechsten oder siebenten Treppenaufgang entschied, nachdem er ihn vorsichtshalber noch einmal mit dem ersten verglichen hatte. Den kleinen Motivsucher mit
verschiedenen Optiken stets griffbereit am Halsband, erprobte der Regisseur
schon mal die Wirkung unterschiedlicher Brennweiten.
So sehr sich Gerhard Klein, in einer Laubenkolonie geboren und in Kreuzberg
aufgewachsen, im Berliner Osten heimisch fühlte, so selbstverständlich lebte er
inzwischen in seiner Villa in Kleinmachnow am Rande von Westberlin. Er hatte
sie erst kurz zuvor bezogen. »Das Henselmann-Haus, Anfang der 30er Jahre gebaut«, erschien selbst Kohlhaase »wahnsinnig nobel. Es ging ihm nicht um Privilegien, aber er hätte es als kränkend empfunden, wenn man ihm etwas verweigert
hätte, was andere auch hatten.«
Klein bevorzugte für die ruhige, kreative Vorbereitungszeit die häusliche Atmosphäre und bat seine Partner und Helfer zu Arbeitsgeprächen oft nach Hause.
Sicher war da auch Stolz im Spiel, ohne jede prahlerische Attitüde. Er wollte zeigen, was er hatte: Ein Domizil im Bauhaus-Stil, den Blick durch die Glasfront im
Mitteltrakt ins Grüne, vom großen Dachgarten in die schönen Kiefernwipfel
ringsum.
Bei solcher Gelegenheit wurde ich Zeuge einer beeindruckenden Szene. Klein
hatte gerade die erste Drittelrate seiner Regie-Prämie bekommen. Die ließ er sich
nicht etwa überweisen, sondern in druckfrischen großen Scheinen an der Gagenkasse des Studios vorzählen. Zu Hause öffnete ihm seine schon hoch betagte Mutter. Noch in der Tür zog er zu ihrem und meinem nicht geringen Erstaunen ein
dickes Geldbündel aus seiner abgetragenen Lederjacke und hielt es ihr in der
Hand entgegen: »Kiek ma, det erste Jeld für den neuen Film, nimm dir, wat de
160
brauchst.« Obwohl sie offenbar wußte, daß das ernst gemeint war, zögerte sie,
sich so einfach zu bedienen. Doch ihr Sohn ließ nicht locker, bis sie sich wenigstens einen der 50-Mark-Scheine genommen hatte. »Wenn de nich mehr willst, nu
isset zu spät«, beendete Klein sein Anerbieten. Ehrlich unzufrieden über ihre Bescheidenheit, knickte er das Bündel und schob es wieder lose in die Tasche
zurück.
Mein Praktikum endete im Atelier mit den ersten Probeaufnahmen. Kohlhaase
und Klein hatten den Film sehr auf Detailtreue und einen größtmöglichen Wirklichkeitsnähe hin konzipiert. Das eben kreidete ihnen später Alexander Abusch
prompt als unzulässige Anleihe beim italienischen Neorealismus an. Doch Klein
frönte keinem platten Dokumentarismus oder dem Naturalismus der Augenblickserfindung. So dachte er für die Besetzung der jugendlichen Helden aus dem Kiez
keinswegs zuerst an Laien, wenn es um die Gestaltung von Charakteren ging.
Einer seiner Wunschkandidaten für die Rolle des Kohle stand mit Ernst-Georg
Schwill frühzeitig fest, doch der war ja schon fast ein Profi: Klein hatte den Vierzehnjährigen 1953 als boxsportbesessenen Max für Alarm im Zirkus entdeckt und
in der Berliner Romanze wieder besetzt. In die neue Aufgabe eines Halbstarken
mit gestörtem Elternhaus war der frühverwaiste Schwill nun geradezu hineingewachsen.
Die Suche nach dem Hauptdarsteller führte Gerhard Klein zur Überraschung,
ja Skepsis seiner Mitarbeiter zuerst ins Brecht-Theater, zu Ekkehard Schall. Der
junge Star des Berliner Ensemble hatte dort gerade unter der Regie von Bertolt
Brecht, Benno Besson, Manfred Wekwerth und Peter Palitzsch seinen eigenen
theatralischen Stil gefunden und eine unverwechselbare artifizielle Sprechweise
kultiviert. Kein Wunder, daß er sich, wie er selbst bekannte, nicht für einen
Halbstarken-Darsteller hielt und auch keiner sein wollte. Schall erinnerte sich
später: »Klein stellte mich vor die Entscheidung, das alles zu vergessen, um das
Bühnengemäße dem Filmischen anzunähern, also anders zu spielen, als ich es gewohnt war. Wir konnten uns beide nicht überzeugen, und jetzt setzte ein merkwürdiger Krieg ein: Ich kämpfte mit den Machtmitteln des Schauspielers und
spielte meine Konzeption der Szene, und er als Regisseur ließ sie vielleicht
dreißig Mal wiederholen und sagte: ›Du wirst schon müde werden und es dann so
falsch machen, daß es für mich richtig ist.‹ Das gelang ihm auch irgendwann, aber
es kam zu einem großen Ärger zwischen uns, fast zum Abbruch der Dreharbeiten.« Dem Produktionsleiter Albrecht dankte der Darsteller danach für die fachliche und menschliche Fähigkeit, zwischen beiden zu vermitteln: »Unsere danach
entstandene Freundschaft resultierte, wenn man so will, aus einem Streit, aus
einem Schlagabtausch«, so Schall.
Dieser Konflikt kündigte sich schon während der Probeaufnahmen an, doch
Klein hütete sich, ihn schon jetzt auf die Spitze zu treiben. Er vertraute darauf,
daß er Schall im Verlauf der Dreharbeiten in einen »natürlichen Ton« und einen
filmischen Gestus zwingen würde.
161
Die Probeaufnahmen mit komplettem Drehstab fanden in eigens dafür improvisierten Dekorationen statt. Sie dienten neben der Besetzung auch der Verabredung über den angestrebten Bildstil. Für eine Probe mit Ekkehard Schall als
Cliquen-Chef Dieter mit einem FDJler war ein Kandidat nicht erschienen. So kam
Klein auf die Idee, den Part nicht wie üblich vom Assistenten hinter der Kamera
in die Szene hineinsprechen zu lassen, sondern mich auf den Stuhl des Agitators
zu setzen. »Dietrich, du machst jetzt mal den Sekretär!«
Der Double-Debütant bekam die Bildzeugnisse seiner Mitwirkung nie zu Gesicht. Heiner Carow, neben Dudow der dritte Mann in der sich eben formierenden
Gruppe Berlin, erinnerte sich noch viele Jahre später an den großen Lacherfolg
über die unfreiwillige Satire auf einen FDJ-nik und dessen sattsam bekannten
pädagogischen und im Berliner Raum vielfach höhnisch imitierten sächsischen
Tonfall. Gerhard Klein fragte mich ernstlich, ob ich mir den winzigen Part zutraue, den ich doch im wirklichen Leben hinreichend hatte studieren und praktizieren dürfen. Doch mir fehlte neben dem Talent auch jegliche Neigung, »etwas
darzustellen«. Klein drang nicht weiter in mich und entschied sich glücklicherweise für die weniger komische, sondern ernsthafte künstlerische Interpretation
der Rolle durch Hartmut Reck.
Als Dramaturg traf ich zehn Jahre später noch einmal mit Gerhard Klein zusammen. Das war bei einer kurzen, doch sehr intensiven Drehbucharbeit für Der
große und der kleine Willi im Episodenfilm Geschichten jener Nacht. Da war der
Regisseur bereits schwer erkrankt und operiert, doch voller Tatkraft. Sein letzter
Spielfilm blieb unvollendet. Gerhard Klein starb 1970, gerade erst 50 Jahre alt.
Berlin – Ecke Schönhauser
Wo wir nicht sind ... (Arbeitstitel)
Produktionsland
DDR (1957)
Auszeichnungen
ausgewählt von Filmhistorikern und -journalisten im
Verbund Deutscher Kinematheken als einer der
100 wichtigsten deutschen Filme aller Zeiten
ausgewählt vom Museum of Modern Art New York
2005: DEFA-Retrospektive »Rebels with a cause«
Premierendatum
Produzent
Verleih
162
30.08.1957, Berlin, Kino Babylon
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg
PROGRESS Film-Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Regie-Assistenz
Kamera
Gerhard Klein
Wolfgang Kohlhaase
Gerhard Hartwig
Otto Roland
Wolf Göthe
Kamera-Assistenz: Manfred Damm
Optische Spezialeffekte: Ernst Kunstmann
Licht
Bauten
Außenrequisite
Standfotos: Hannes Schneider, Siegmar Holstein
Hans Helmstädt
Oskar Pietsch
Fritz Stemmer
Bühne
Manfred Grimm (Bühnenmeister)
Maske
Bernhard Kalisch, Inge Roloff
Kostüme
Lydia Fiege
Schnitt
Evelyn Carow
Musik
Günter Klück
Ton
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
Erich Schmidt
Erich Albrecht
Horst Dau, Heinz Walter
Dieter: Ekkehard Schall, Angela: Ilse Pagé
Karl-Heinz: Harry Engel, Kohle: Ernst-Georg Schwill
Kohles Mutter: Erika Dunkelmann
Kohles Schwester: Brigitte Stroh
Angelas Mutter: Helga Göring, FDJler: Hartmut Reck
Kohles Stiefvater: Maximilian Larsen
Karl-Heinz’ Mutter: Ingeborg Beeske
Karl-Heinz’ Vater: Siegfried Weiß
Dieters Bruder: Manfred Borges
Kommissar der Volkspolizei: Raimund Schelcher
1. Geldwechsler: Jürgen Holtz
2. Geldwechsler: Gerhard Soor
Schläger: Gerhard Rachold, Sekretärin: Hella Jansen
FDJ-Sekretärin: Adi Tischmeier
1. Lagerleiter: Heinz Schröder
2. Lagerleiter: Peter Kiwitt
Amerikaner: Gerd-Michael Henneberg
Korpulenter Mann: Horst Friedrich
Chef des Funkwagens: Horst Ripperger
Dieters Zimmerwirtin: Dorothea Thiesing
163
Darstellende
Zum Inhalt
Arbeiter: Albert Zahn, Sekretärin: Ursula Mundt
Junge Schwester der Bahnhofsmission:
Barbara Brecht-Schall (Barbara Berg)
Arzt im Flüchtlingslager: Dr. Bahlke
Kriminalkommissar: Rudolf Christoph
Älterer Mann: Kurt Getke, Ober: Willi Korrik
Freund von Angelas Mutter: Anselm Glücksmann
Mädchen von Karl-Heinz: Brigitte Rauchfleisch
Älteres Fräulein: Hilde Sonntag, Passant: Carlo Kluge
Alte Frau: Liesel Eckhardt
Zeitungsverkäufer: Hans Beck
Lkw-Beifahrer: Rudolf Meurer
Baggerfahrer: Walter Lendrich
Älterer Arbeitskollege: Paul Streckfuss
Jüngerer Arbeitskollege: Rolf Beuckert
in weiteren Rollen: Gert Heinrich, Ursula Keßler,
Paul Knopf, Grete Carlsohn, Arthur W. Neubert
Gertrud von Bastineller
Dieser Jugendfilmklassiker ist die anschauliche Darstellung einer Stadt, deren wirtschaftliche und politische Teilung alle Bereiche des Lebens beeinflußt. Berlin, Prenzlauer Berg.
Unter dem U-Bahnbogen an der Ecke Schönhauser Allee trifft sich täglich das junge
Deutschland. Die Erwachsenen stören sich an der Gruppe Jugendlicher, den Halbstarken,
ohne zu fragen, warum sie auf der Straße ihre Freiheit suchen. Da ist »Kohle«, dessen
Stiefvater versucht, ihm mit Schlägen Anstand beizubringen. Angela macht stundenweise
Platz für den Liebhaber der Mutter, einer Kriegswitwe, die die Einsamkeit nicht mehr aushält. Dieter liebt Angela und ist ein anständiger Kerl, der sich aber von niemandem etwas
sagen läßt und deshalb überall aneckt. Einzig und allein Karl-Heinz, ein Junge aus behütetem Elternhaus, ist auf die schiefe Bahn geraten. Am Bahnhof Zoo versucht er, das schnelle
Geld zu machen. Als er seine Freunde Dieter und »Kohle« mit in die Sache hineinzieht,
müssen die beiden vor der Polizei in den Westsektor der Stadt fliehen. Im Auffanglager
kommt »Kohle« tragisch ums Leben und Dieter muß erneut um seine innere Freiheit kämpfen. Am Ende kehrt er zu Angela zurück – denn nun weiß er, was er tut.
Der dritte gemeinsame Berlin-Film von Gerhard Klein und Wolfgang Kohlhaase
ist im Stil des italienischen Neorealismus gedreht.
164
Beethoven – Tage aus einem Leben
Ein biographischer Film über den Komponisten gehörte zu den frühesten Plänen
der Gruppe Babelsberg schon in den 60er Jahren, angeregt noch von der Musikdramaturgin Lotti Schawohl. Wir lenkten unsere ersten Schritte zum renommierten
Beethoven-Forscher Professor Harry Goldschmidt. Er versprach eine Filmerzählung um Josephine von Brunsvik, die er als Beethovens »unsterbliche Geliebte«
identifiziert zu haben glaubte. Renate Richter, die wir in dieser Rolle sogleich erleben werden, hätte es sicherlich gern gesehen, wenn ihr Part mehr als eine Rückblende eingenommen hätte. Doch Goldschmidts Aufzeichnung weitete sich unter
der Hand zum vielseitigen Roman aus. Eine Filmstruktur war nicht zu erkennen
und selbst lesewillige Regisseure waren nicht für eine erste Lektüre zu gewinnen.
Der junge Pychologe und psychoanalytische Beethoven-Forscher Stefan Wolf
orientierte uns später auf einen anderen, sehr dramatischen biographischen Vorgang: nämlich Beethovens gescheiterte Bemühung, seine Beziehungskrisen in einer Vaterrolle für seinen halbwaisen Neffen zu kompensieren. Das gipfelte im
Suizidversuch des Adoptivsohnes. Beide Ansätze schienen uns bei aller gewünschten Dramatisierung das Beethoven-Bild allzu sehr zu verengen.
Walter Janka brachte als Szenaristen Günter Kunert ins Gespräch, der in seinen
Erinnerungen 1997 freimütig preisgab, »unmusikalisch (zu) sein« und vor Beginn
seiner intensiven Studien »von Beethoven nur den Song of Joy zu kennen, sonst
nichts«.1 Kunert hatte mit Egon Günther in unserer Gruppe Johannes R. Bechers
autobiographischen Roman Abschied filmisch genial adaptiert. Und wir schätzten
ihn als Hörspiel-Autor biographischer Novellen um Albrecht Dürer, Heinrich
Heine und Heinrich von Kleist.
Aus mehrfacher Zusammenarbeit mit Horst Seemann wußten wir von seinem
Regieinteresse an einem großen biographischen Film. Den leidenschaftlichen
Klavierspieler, auch von Beethoven-Stücken, bewegte der komplexe Lebensstoff
des »compositeur«. So auch sein erster Titelvorschlag. Nach dem Film Zeit zu
leben, 1969 mit einem Nationalpreis gekrönt, und drei weiteren im Kino recht erfolgreichen, doch künstlerisch sehr umstrittenen Gegenwartsfilmen, schien seine
anspruchsvolle Themenwahl der Leitung und manchem Kollegen problematisch.
Doch wir vertrauten seinem Talent, das mit seiner bisherigen Filmographie nicht
erschöpft schien.
Horst Seemanns buntes Œuvre und politisches Renommee schien den kritischen
Zeitgenossen und unorthodoxen Autor Kunert nicht im mindesten zu irritieren.
Mehr noch mag verwundern, daß er widerspruchslos auch den Dramaturgen
akzeptierte, den Horst Seemann in der Hauptverwaltung Film gefunden hatte. Das
1
Günter Kunert, Erinnerungen, 1999, S. 367 f.
165
war eine taktisch kluge Idee. Eben dieser Dr. Franz Jahrow war einer der eifrigsten Argument-Erfinder für die Filmverbote nach dem 11. Plenum. Seine böswilligen Mißdeutungen des Barlach-Films begründeten 1966 die Verweigerung der
Filmzulassung. Nun also war er eingebunden in ein frühzeitig erkennbares nonkonformistisches Konzept sowohl in thematischer wie künstlerisch-stilistischer
Hinsicht.
Von Günter Kunert war kein bürgerlicher Genie-Kult, kein sozialistisch etikettiertes tragisches Heldenepos zu gewärtigen. Aber auch kein braver historisierender Lebensbericht nach Schulbuchmuster.
Dramaturg und Gruppenchef empfahlen der Leitung sein Szenarium als »... im
positiven Sinne eigenwillig«. »Aus zunächst scheinbar zusammenhanglosen Episoden (Kapiteln) entsteht ein in sich geschlossenes Persönlichkeitsbild, das auf einer materialistisch-dialektischen Charakteranalyse aufbaut, innere psychische
Wesensmerkmale und Konflikte und äußere gesellschaftliche Umstände und Einflüsse in sich einschließt und in ihrer Wechselwirkung deutlich werden läßt.«2 So
also unsere Argumentationshilfe für die Entscheidungsträger. Wir bekannten uns
demonstrativ zur episodischen Dramaturgie, trennten uns vom historisierenden
»compositeur« und ergänzten Kunerts schlichten Namens-Titel. Nun hieß der
Film nach seiner Struktur: Beethoven – Tage aus einem Leben.
Kunert konzentrierte die Charakterstudie auf die Zeit zwischen 1813 und 1819,
beginnend im Doppelsinn mit dem Paukenschlag der spektakulären Aufführung
der Schlachtensinfonie bis zur Zeit der fortschreitenden Ertaubung und den ersten
Intentionen zur 9. Sinfonie. Dabei verfolgte er keine strenge Chronologie.
Die schwierigen Lebensumstände, der Kampf ums liebe Geld, die ständigen
Wohnungswechsel, der Ärger mit dem Personal, die vormundschaftliche Sorge
um den Neffen, das heikle Verhältnis zu beiden Brüdern wie zur Schwägerin wurden von Kunert nuancenreich beschrieben. Es herrschte schon im Buch eine
schöne Balance zwischen Tragik und Komik, berührender Nähe und freundlicher
Distanz.
Thematisch kreisen die Episoden zuweilen mit stark gegenwärtigem Bezug um
existenzielle Probleme: die Abhängigkeit des Künstlers vom Auftraggeber und
den Konsumenten, die »Freiheit der Kunst« unter absolutistischen Verhältnissen
oder erste Begleiterscheinungen der Kommerzialisierung der Musikproduktion
und Musikverbreitung.
Diese offensichtlich ewigen Fragen sind provozierend aktuell ins anachronistische Schlußbild gebracht: Beethovens letzter Umzug führt ihn 1976 per Pferdefuhrwerk über die Karl-Marx-Allee. 30 Jahre später will der Autor so die damals
prophetisch anmutende Frage provoziert haben: »Geht er von uns fort, oder kommt
er zu uns!?«
2
Peter Ahrens, Weltbühne Nr. 44/1976.
166
Der ehemalige Chefdramaturg Klaus Wischnewski deutete als WeltbühnenKritiker Peter Ahrens diesen Schluß anders: »Nicht Gag, nicht Apotheose, sondern leise drängende Frage ›Was wäre, wenn‹. Das soziale Klima, die Problemsolidarität der Leute in der DDR machte diesen Schluß möglich, sinnfällig und
tragfähig. Der Beethoven-Film ist einer der bedeutenden Filme der DEFA, der beste des Regisseurs Horst Seemann, ein bleibendes künstlerisches Dokument der
geistigen und moralischen Befindlichkeit in der Zeit.« 2 Und Günter Kunerts
Anteil daran wollen wir nicht geringschätzen.
Konrad Wolfs Goya-Interpret, Donatas Banionis, kehrte als Beethoven zur
DEFA zurück. Um ihn herum versammelte Seemann ein exzellentes DarstellerEnsemble, voran als Beethovens Bruder Karl Hans Teuscher, der dem Titelhelden
auch seine prägende Synchronstimme lieh. Alle ausnahmslos episodischen Rollen
sind mit großartigen Individualisten und Komödianten besetzt, Stefan Lisewski
als Bruder Johann, Wolfgang Greese als Dr. Malfatti, Fred Delmare als Musikautomatenbauer Mälzel, Eberhard Esche, Gerry Wolff und Rolf Hoppe als nähere
Freunde oder Erika Pelikowsky, Katja Paryla und Anne-Else Paetzold als kurzzeitige Haushälterinnen. Auch die emotional genau berechnete Musikauswahl
traf Horst Seemann selbst.
Die Studioabnahme und die Staatliche Zulassung gingen mit viel Lob gänzlich
problemlos über die Bühne. So unterstützte der Studiodirektor unseren Antrag auf
das Staatliche Prädikat »Besonders wertvoll« noch vor dem Kinoeinsatz.
Nur Autor Kunert wußte sich 1990 im Interview für die Zeitschrift Film und
Fernsehen an »gewisse Schwierigkeiten« des Films in der »Zeit der Schurken«3
zu erinnern. Merkwürdig. Dieselbe Zeitschrift hatte den Literaturwissenschaftler
und Filmkritiker Dieter Schiller im Oktoberheft 1976 mit einer großen Würdigung zu Wort kommen lassen, immerhin unter der Überschrift »Etwas über Freiheit und Kunst«.
Politbüromitglied Werner Lamberz, zuständig für Agitation und Propaganda,
war überraschend zur Premiere am 14. Oktober 1976 erschienen und nahm am
kleinen Sektumtrunk im Foyer des Kino International teil. Horst Seemann hatte
ihn von der Bühne herab ganz unprotokollarisch namentlich und wie mit einem
Hilferuf begrüßt und eingeladen: »Wir haben diese Aufmerksamkeit sehr nötig«,
rief er in den Saal. Im Gespräch mit Kunert lobte Lamberz den Film als »Meisterwerk und wunderbar«.
Kunerts gewendetes Gedächtnis sah den Film nach der Premiere in »kleinere
Kinos verbannt«, nach einer Woche sogar »aus dem Programm« genommen. In
seinen Erinnerungen 1997 verlegte er die Premiere aus der nun anrüchigen DDRGeburtstags-Nähe im Oktober in den »trüben November« der Biermann-Kontroverse, doch nicht nur das, sondern auch gleich noch aus der Karl-Marx-Allee und
2
3
Peter Ahrens, Weltbühne Nr. 44/1976.
Sonntag Nr. 36/1990.
167
dem Kino International in die »Schönhauser Allee, kaum die beste Premierenadresse«.4
Die Kritiker kürten Beethoven zum »besten Film des Jahres« 1976. Eine Nominierung für ein internationales A-Festival scheint dem Film aber nicht vergönnt
gewesen. Da allerdings wollen wir einen Zusammenhang mit Kunerts Rolle im
bald ausbrechenden Streit um Biermanns Ausbürgerung nicht völlig ausschließen.
Immerhin erhielt der Film die Auszeichnung als »beste musikalische Aufführung« auf der 3. Internationalen Musikfilmwoche im nordspanischen Santander. Horst Seemann aber mußte noch bis 1982 auf den erhofften zweiten Nationalpreis warten, den er schließlich unter Hervorhebung eines Fernsehfilms für sein
Gesamtwerk erhielt. Er hat danach noch großartige Kino- und Fernsehfilme gedreht, denken Sie nur an Lewins Mühle oder Hotel Polan und seine Gäste.
Das Ende der DEFA markiert zugleich das Ende von Seemanns Filmographie.
Sein Drehbuch über Dietrich Bonhoeffer ging trotz des Engagements von Katharina Trebitsch vom Studio Hamburg für eine letzte Koproduktion mit der DEFA
nicht mehr in Produktion. Das ZDF verweigerte die Mitfinanzierung. Es war einer
der bedauerlichsten Fälle unter den »nicht gedrehten Filmen« der Gruppe Babelsberg. Vielleicht hätte Horst Seemann mit dieser Arbeit den Einstieg in die marktwirtschaftliche Filmpraxis geschafft.
Eberhard Esche erinnerte sich in einer Veranstaltung der Akademie der Künste
an ein schmerzliches Erlebnis. Nach einer Lesung in München fragte ihn eine
Dame aus dem Publikum, ob er etwa einen »gewissen Herrn Seemann« kenne,
der arbeite bei ihr als Gärtner und behaupte, Filmregisseur gewesen zu sein. Horst
Seemann starb bereits im Jahr 2000, mit erst 63 Jahren. Wir freuen uns über die
Wiederbegegnung mit einem seiner besten Filme.
4
Günter Kunert, Erinnerungen, a. a. O. S. 373.
168
Beethoven –Tage aus einem Leben
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Beratung
Kamera
Licht
Bauten
Kunstmaler
DDR (1975/76)
14. Oktober 1976, Berlin, im Kino International
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg,
(KAG »Babelsberg«)
PROGRESS Film-Verleih
Horst Seemann
Regie-Assistenz: Ulrich Kanakowski,
Peter Bohnenstengel
Horst Seemann
Drehbuchmitarbeit: Günter Kunert
Franz Jahrow
Karl-Heinz Köhler
Otto Hanisch
Kamera-Assistenz: Detlef Hertelt
Standfotos: Waltraud Pathenheimer
Klaus Nietsch
Hans Poppe
Bauausführung: Günter Kriewitz, Regina Fritsche
Alfred Born, Herbert Patzelt, Wolfram Baumgardt
Requisite
Herbert Rother, Kurt Schenke
Kostüme
Ingeborg Kistner
Bühne
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
Hans Pohl
Frank Zucholowsky, Brigitte Welzel, Horst Schulze
Bärbel Weigel
Klaus Wolter
Mischung: Gerhard Ribbeck
Ludwig van Beethoven (Zitate),
Musik-Auswahl: Horst Seemann
Manfred Renger
Karl-Heinz Marzahn, Walter Hunger
Ludwig van Beethoven: Donatas Banionis
Johann van Beethoven: Stefan Lisewski
Karl van Beethoven: Hans Teuscher
Josephine Brunswiek: Renate Richter
169
Darstellende
170
Beethovens Sekretär: Eberhard Esche
Mälzel: Fred Delmare, Geheimer: Günter Wolf
Beethovens Haushälterin Johanna: Katja Paryla
Rasumowski: Leon Niemczyk
Haushälterin: Erika Pelikowsky
Notenstecher: Günter Rüger, Breuning: Gerry Wolff
Kralovetz: Herwart Grosse, Schirmdinger: Gerd Ehlers
Konzertsängerin S.: Marita Böhme
Schuppanzig: Rolf Hoppe, Lichnowski: Hannjo Hasse
Dr. Malfatti: Wolfgang Greese
Mutter des Neffen: Christa Gottschalk
Moscheles: Hanns-Jörn Weber
Johanns Frau: Eva Jirousková
Grisslinger: Werner Dissel, Metternich: Wolf Sabo
Henriette von Asberg: Angela Brunner
Journalist Josef: Jürgen Frohriep
Hausbewohnerin Anna: Anna Vanková
Zmeskall: Willi Schrade, Haushälterin: Helga Rücker
Polizeioffizier: Peter Köhncke, Fred Mahr: Fred Mahr
Hausbewohner mit Brille: Axel Triebel
Hausbewohner mit Nachtmütze/Kerze: Peter Pauli
Neffe Karl: Dirk Nawrocki, Leidinger: Horst Papke
verwundeter Engländer: Ulrich Anschütz
verwundeter Franzose: Roland Kuchenbuch
Dame mit Praline: Sina Fiedler
Haushälterin: Anne-Else Paetzold
wilder Bursche: Vitézslav Jandák
Dame mit Hut: Lenka Fiśerová
einsamer Gast: Jan Skopécek, Bettler: Ladislav Czela
Dollinger: Willi Neuenhahn, Kutscher: Václav Kotva
Dirigent Waigel:Gustav Heverle
Hausbewohnerin: Jarmila Kalovská
Wellington: Joachim Pape, Herr: Miroslav Homola
Hausbewohnerin Eisl: Ludmilla Roubikova
Mann mit Album: Ulrich Kanakowski
Lavendelfrau: Jirina Bila-Strechová
Junge Dame am Wasserfall: Sona Stenová
Hübsche Dame: Ellen Rappus
Dienstmädchen: Evelyn Otto
Totes Dienstmädchen: Marina Krogull
Harfenspieler: Berol Kaiser-Reka
Bulliger Bursche: Ralf Böhmke
Arzt: Hans-Gotthilf Brown, Wirt: Josef Hlinomaz
Lakai: Gerhard Moebius, Magd: Ilona Ringer
Junge Damen: Jutta Werner, Beate Pammler,
Renate Lülsdorf
Junge Männner: Hans D. Damm, Jürgen Müller
Mannequins: Elke Kunsch Susanne Schering,
Dagmar Henkel, Dressman: Oskar Daum
Darstellende
Zum Inhalt
Huren: Liane Kanitz, Hannelore Appe,
Carmen Steinert, Ilona Ulrich, Brigitte Riemann,
Clarissa Freistedt, Erika Bethke, Rita Wenzel
Kind: Silke Schwarze, außerdem: Raoul Schránil
Die Episoden aus dem Leben und Schaffen des auf der Höhe seines Ruhmes stehenden
Komponisten umfassen die Jahre 1813 bis 1819 in Wien. Beethovens sinfonisches Werk
»Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria« wird vom Publikum begeistert aufgenommen. Seine Lebensverhältnisse aber sind eher bescheiden und bedrückend. Ständiger
Geldmangel, Streit mit der Haushälterin, Bevormundung durch die beiden Brüder Johann
und Karl, Bespitzelung wegen seiner demokratischen Gesinnung, zunehmende Taubheit.
Seine Vereinsamung wird immer größer, er erinnert sich seiner »unsterblichen Geliebten«.
Dennoch ist seine Schaffenskraft nicht gebrochen. Er trägt sich mit dem Gedanken
zu seiner »Neunten Sinfonie«, unter deren Klängen er im Schlußbild in die Gegenwart
schreitet.
171
Klarer Himmel
Als im vorigen Jahr des »Kinos der Wünsche« wochenlange Bemühungen vergeblich waren, eine deutschsprachige Version des Films aufzuspüren, konnte man
schon an eine späte Rache Walter Ulbrichts glauben. »Wozu«, so fragte er 1961
seinen Chefdolmetscher Werner Eberlein, »müssen wir hier das Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener in der Sowjetunion zeigen?« Der war als Sekretär einer
eigens bestellten Parteikommission zum Ankauf neuer sowjetischer Filme nach
Moskau geschickt worden und hatte unter anderen Titeln Klarer Himmel und Der
Vorsitzende ausgewählt. Mit kritischen Aspekten des realen Sozialismus, sei es
beim »Großen Bruder« oder zu Hause, hatte unsere Parteiführung zu allen Zeiten
ihre Schwierigkeiten. Doch dazu später mehr.
Mitte der 50er Jahre trat eine neue Generation sowjetischer Filmschaffender
auf den Plan, allesamt Absolventen des Moskauer Allunionsinstituts für Kinematographie (WGIK). Aus der Meisterklasse von Sergej Jutkewitsch und Michail Romm
kamen auch Grigori Tschuchrai und Konrad Wolf.
Regisseur Grigori Tschuchrai gehörte schon bald zu den erfolgreichsten. Schon
mit seinem Debüt erregte er internationale Aufmerksamkeit. Der letzte Schuß/
Der Einundvierzigste erhielt auf den Filmfestspielen in Cannes 1956 einen Sonderpreis für das Szenarium. Mitten im Kalten Krieg war das eine erstaunliche
Würdigung für die künstlerische Gestaltung eines heiklen Themas. Es geht um
eine Liebe mitten im unerbittlichen Bürgerkrieg zwischen Roten und Weißen, die
auf tragische Weise tödlich endet.
Auf ganz neue Art erzählte Tschuchrai 1959 im Film Ballade vom Soldaten von
einem Menschenschicksal im Großen Vaterländischen Krieg. Es ist die Geschichte des blutjungen Soldaten Aljoscha, der an der Front in panischer Angst
davonläuft und im letzten Augenblick zwei feindliche Panzer abschießt, ein Akt
eher der Notwehr und Verzweiflung denn aus sattsam bekanntem Heldenmut. Mit
dem Verzicht auf das übliche Pathos und den vielfach strapazierten Heroismus
wurde das Werk zum Beispiel einer sehr anderen Art von Kriegsfilm überhaupt.
Nur so erklären sich seine starke internationale Wirkung und seine unglaubliche
Resonanz in der Sowjetunion. Der Film erhielt die höchste staatliche Auszeichnung, den Lenin-Preis.
1961 also folgte Klarer Himmel. Nun endlich ein Gegenwartsfilm. Und das mit
dem bis dahin streng tabuisierten Problem des unmenschlichen Umgangs mit Opfern des Krieges, jenen Sowjetsoldaten, die massenhaft in die gefürchtete deutsche Gefangenschaft gerieten. Wer die glücklich überlebte, fand sich meist im
»Gulag« oder in der Verbannung wieder.
Erzählt wird das am Schicksal eines Fliegers, Alexej Astachow, gespielt von
Jewgeni Urbanski. Der mutige und ausgezeichnete Pilot wird schwer verwundet,
172
gerät so in Gefangenschaft und nach seiner Rückkehr allein deshalb in Mißkredit.
Verachtung und Mißtrauen seiner Umgebung stürzen ihn nun erst richtig ins Unglück. Er wird arbeitslos, verfällt dem Trunk, steht vor dem Freitod. Allein seine
Frau Sascha hält zu ihm, weil sie unbeirrt an Gerechtigkeit glaubt, die wenigstens
im Film siegt: Astachow wird »Held der Sowjetunion« und darf wieder fliegen:
am Klaren Himmel. Das vorweggenommene Happy-End erlaubte dem Zuschauer,
die Tragödie des Mannes in der Gewißheit einer wenigstens wünschenswerten,
wenn schon nicht üblichen Konfliktlösung zu erleben.
Das war die bis dahin schärfste Abrechnung mit Stalins Politik. Er hatte von
seinen Soldaten eher den Selbsttod als die Gefangennahme gefordert und war persönlich verantwortlich für die Massenrepressalien nach dem Krieg. Der Diktator
wohnt im kleinen Funktionärszimmer als überlebensgroße Gipsfigur den Verhören bei.
Die Schneeschmelze symbolisiert nach Stalins Tod in Anlehnung an Ilja Ehrenburgs Roman Tauwetter das Ende der stalinistischen Eiszeit. Das war zugleich
eine Reverenz an die frühe sowjetische Filmkunst und ihre an Metaphern reiche
Bildsprache, wie sie Pudowkin in seiner Gorki-Verfilmung Die Mutter mit dem
Wetterleuchten der Solidarität praktiziert hatte. Analogien zur Natur wurden nicht
nur als Montageprinzip genutzt, sondern auch, um die Selbstfindung des Helden
ins Bild zu bringen. Die zeitgenössische Kritik entdeckte allerdings in dieser
außergewöhnlichen Filmgestalt auch vordergründige Symbolismen und überflüssige Rückblenden.
Die befreiende gesellschaftliche Wirkung des Films in der Sowjetunion hat ein
Zeitzeuge dokumentiert. Hilmar Hoffmann, bekannter progressiver Kulturpolitiker und Filmkritiker von Rang, erlebte die Moskauer Uraufführung.
»Als im Flüsterton der Satz ›Stalin ist tot‹ von der Leinwand kommt, antworten in der sicheren Anonymität der Dunkelheit sechstausend Zuschauer mit frenetischem Beifall. Ich habe nie wieder ein derart emotionalisiertes Kinopublikum
erlebt wie damals im Rossija.«
Der Hauptpreis des Moskauer Filmfestivals ging danach zu gleichen Teilen an
Klarer Himmel und den japanischen Beitrag Die nackte Insel von Kaneto Shindo.
Offenbar befürchteten die politischen Tugendwächter in Berlin auch hierzulande eine ähnlich ansteckende Euphorie des Anti-Stalinismus. Ulbrichts Verdikt
muß sich schnell herumgesprochen haben oder wurde »durchgestellt«, wie es damals hieß. Jedenfalls war an der Basis bald klar, daß kein Klarer Himmel auf unseren sauberen Leinwänden leuchten sollte.
Mein DEFA-Kollege Walter Ruge, Polit-Emigrant in Moskau, zehn Jahre im
Gulag mit anschließender Verbannung bis 1953, erlebte den Film als regelmäßiger Gast im sowjetischen Haus der Offiziere in Potsdam.
Er mahnte in einem Brief an das Zentralkomitee eine rasche DDR-Veröffentlichung an und wurde daraufhin zu einer eineinhalbstündigen, freilich erfolglosen
Belehrung in die Kulturabteilung des »Großen Hauses« bestellt.
173
Vielleicht hatte Konrad Wolfs Wort mehr Gewicht. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Kunst berichtete im September 1961 in der gewerkschaftseigenen Zeitung Tribüne über das Moskauer Festival, von dem er mit einer Goldmedaille für
seinen Film Professor Mamlock zurückgekehrt war. Diplomatisch umschrieb er
das wichtige Thema und hob die künstlerische Bedeutung des Tchuchrai-Films
hervor. Die Erwähnung der »starken Resonanz beim sowjetischen und internationalen Publikum« verband er mit der mutigen Mahnung, »der Film wird bei uns –
so hoffe ich – bald zu sehen sein.« Und so war es dann auch.
Im gleichen Interview sprach Wolf vom Zeitverzug, in den unsere eigene Filmproduktion künstlerisch geraten war, gemessen an der internationalen und auch
sowjetischen Entwicklung. »Die Moskauer Filmfestspiele haben gezeigt, daß die
Gestaltungsmöglichkeiten, die Formelemente des Films gewaltig sind, daß ihnen
praktisch keine Grenzen gesetzt sind.« Das war nach den Formalismus-Warnungen der Filmkonferenz von 1958 eine mutige These.
Wolfs nächster Film, Der geteilte Himmel, widerspiegelte – nicht nur im provozierend gewählten Titel – deutlich den künstlerischen Einfluß dieser internationalen Entwicklungstendenzen in der Erneuerung der Filmsprache: die Verflechtung verschiedener Zeitebenen in der Montage, eine nicht-naturalistische
Bildgestaltung durch die Szenographie und Kameraführung auch zur Darstellung
der inneren Welt der Helden. Auch Frank Beyers formbewußter Film aus dieser
Zeit, Königskinder, reflektiert diese formale Innovation.
Konrad Wolf hielt auch später engen Kontakt zu seinen sowjetischen Studienund Regie-Kollegen. Mit Grigori Tschuchrai beriet er sich über die Besetzung des
Goya-Films. Sein Mitstudent Waldimir Bassow drehte während seiner eigenen
Arbeit am Film Schlacht unterwegs die Probeaufnahmen mit den empfohlenen
russischen Kandidaten. Zu Tschuchrais Schauspielentdeckungen und -empfehlungen gehörten auch Galina Polskich (als junge Soldatin Regulirowtschiza) in der
Bernau-Episode von Ich war neunzehn oder Shanna Bolotowa, die Günter Reisch
im Film Unterwegs zu Lenin besetzte.
Grigori Tschuchrai wurde ähnlich wie die sowjetischen Altmeister der Frühzeit
zu einem wichtigen Impulsgeber für die nächst jüngere Regie-Generation, sei es
durch seine Arbeiten oder als Leiter einer »Künstlerischen Experimentalgruppe«
im Studio Mosfilm.
174
Klarer Himmel
Produktionsland
Premierendaten
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Kamera
Schnitt
Musik
Darstellende
(deutsche Synchronstimme)
UdSSR, 1961
Juli 1961
Mosfilm, UdSSR, Moskau
PROGRESS Film-Verleih
Grigori Tschuchrai
Daniil Chrabrowizki
Sergei Polujanow
Marija Timofejowa
Michail Siw
Sascha Lwowa: Nina Drobyschewa
(Doris Abesser)
Alexej Astachow: Jewgeni Urbanski
(Eberhard Mellies)
Ljussja: N. Kusmina
(Barbara Adolph)
Petja: W. Konjajew
(Klaus Urban)
Mitja: G. Kulikow
(Wolfgang Thal)
Nikolai Awdejewitsch: G. Georgiu
(Wolf Kaiser)
Sergei: Oleg Tabakow
(Klaus Reusse)
Zum Inhalt
Held des Films ist der sowjetische Fliegeroffizier Alexej Astachow, der während des Krieges im Luftkampf abgeschossen wird. Die Rote Armee erhebt den vermeintlich Gefallenen
zum »Helden der Sowjetunion«. In Wirklichkeit ist Astachow schwer verwundet in faschistische Gefangenschaft geraten. Als er 1945, ausgezehrt und mit vernarbtem Gesicht, in
die Sowjetunion zurückkehrt, werden seine Hoffnungen grausam enttäuscht. Er gerät in
den schweren Verdacht, dem nach dem Sieg viele der aus der Gefangenschaft Befreiten
ausgesetzt waren. Nach Verzweiflung, Alkoholismus und nachdem er den Kampf gegen Verdächtigungen und um Anerkennung seiner Leistungen über- und bestanden hatte, konnte er
wieder fliegen – als Testpilot. All die Jahre stand seine Frau Sascha zu ihm.
175
Blonder Tango
Lothar Warneke verdankt seine bemerkenswerte schöpferische Kontinuität in den ersten 80er Jahren unserer Dramaturgin Erika Richter. Sie sorgte für drei szenaristische
Debüts. Sie gewann die schreibende Psychologin Helga Schubert gleich nach ihrem
ersten Erzählungsband für die Filmarbeit. So entstand 1981 Die Beunruhigung.
Angeregt von der Erzählung eines unbekannten sowjetischen Autors entwickelte
sie mit dem Dramaturgieabsolventen der Babelsberger Filmhochschule Wolfram
Witt das Script für Eine sonderbare Liebe, produziert 1983/84. Noch in der Zeit dieser Endfertigung gewann sie den Regisseur für die Lektüre ihrer jüngsten literarischen Entdeckung: Es war der Roman des Exil-Chilenen Omar Saavedra Santis
Blonder Tango.
Der DEFA-Studiobetrieb führte mit Hilfe seiner künstlerischen Arbeitsgruppen
die verschiedenen Professionen von Idee über Projektentwicklung und Produktion
bis zum fertigen Film zusammen und förderte so die Entstehung von Filmographien
wie die von Konrad Wolf, Frank Beyer oder eben auch von Lothar Warneke.
Der war nicht unbedingt ein Mann der schnellsten Entschlüsse, aber vom Stoff,
der ihm da offeriert wurde, sofort fasziniert, obwohl die Struktur des Werkes dem
visuellen Medium nicht von vornherein entgegenkam.
Die Handlung wird in einer einzigen großen Rückblende vom Ich-Erzähler berichtet und das nicht eben dialogarm. Zwei Fabelstränge bestimmen die Geschichte
einer fünfjährigen großen Einsamkeit des Polit-Emigranten in durchaus freundlicher, ja anteilnehmender DDR-Umgebung. Das ist die unglückliche Liebe des nicht
gerade hünenhaften schwarzhaarigen Chilenen und angelernten Bühnen-Beleuchters Rogelio zur großen blonden Soubrette Cornelia, während er die tiefe Zuneigung
der ein wenig unscheinbaren, kurzsichtigen Regieassistentin Luise nicht zu erwidern vermag. Eine zweite Fabellinie besteht in einem Briefwechsel. Rogelio möchte
seine im Lande des Generals Pinochet verbliebene Mutter trösten mit Berichten von
vollendetem Glück in der Fremde, und so verstrickt er sich immer mehr in ein Lügengespinst. Sie wiederum versucht ihrem Sohn mit herzzerreißenden mütterlichen
Ratschlägen Mut zu machen und verharmlost, um ihn zu schonen, ihre eigene bedrohliche Situation. Am Ende gar fingieren besorgte Verwandte ihre Botschaften,
um den fernen Sohn nicht mit dem Tod der Mutter zu belasten.
Mehr als die sparsame äußere Handlung aber bewegte Lothar Warneke der soziale und mentale Kontext dieser tragik-komischen Konstellation.
Doch warum kann dieser politisch Vertriebene in seiner Wahlheimat nicht recht
heimisch werden? Er verzweifelt, als er von der unwiderruflichen Verweigerung
der Rückkehrmöglichkeit durch die Militärjunta erfährt.
Eine anscheinend belanglose Roman-Szene zwischen dem Beleuchtungsmeister
und Rogelio verhalf dem Regisseur zum Aha-Erlebnis: Der todtraurige Exilant flieht
176
den merkwürdigen norddeutschen Theaterfaschingstrubel und legt eine Schallplatte
auf: Ein Lied geht um die Welt, gesungen vom legendären Tenor und Nazi-Opfer Josef Schmidt, das so sehr seiner Stimmungslage entspricht. Der DDR-Kollege will ihn
auf seine durchaus deutsche Art trösten: »Heute Fasching. Heute nicht sprechen von
Arbeit, heute Freude.« »Von diesem Augenblick an«, so Warneke, »war der Film für
mich lebendig. Ich glaube, daß in ihm etwas vorhanden ist, was ich immer gemocht,
aber noch nicht fertig gebracht habe: nämlich größere Spannweiten von Plus zu Minus, von heiß zu kalt, von hell zu dunkel, von Tragik zu Komik.«
Nach gefaßtem Entschluß schrieb er selbst, beraten vom Autor, in enger Anlehnung an die Romanstruktur das Szenarium für seinen vielleicht außergewöhnlichsten Film. Der Romancier vertraute dem Filmprofi, und so verlief die literarische
Vorarbeit konfliktfrei und zügig wie selten. Im Januar 1985 lag das gemeinsam
verantwortete Szenarium vor, wenig später das Drehbuch. Planmäßig am 2. Mai
fiel die erste Klappe, begleitet allein von Ratschlägen, drohender Überlänge entgegenzuwirken. Die versprochenen Kürzungen waren dann am Ende wieder drin.
Doch der Regisseur wußte die zweistündige Vorführzeit als das wahrscheinlich
gerade noch zumutbare Maß vehement zu verteidigen.
Die Fabel hätte auch zur kräftigen Komödie mit tragischen Nuancen getaugt,
Lothar Warneke aber realisierte sie in der ihm eigenen schönen Balance zwischen
zwingendem Ernst, hintergründiger Ironie und leisem Humor. Das entsprach ganz
seiner ethisch begründeten Neigung zur Harmonie. Er wollte stets Konflikte nicht
dramatisch zuspitzen, sondern im Sinne ihrer gesellschaftlichen und individuellen
Lösbarkeit erzählen, Lebenshilfe geben. In seiner Verfilmung von Brigitte Reimanns Roman Franziska Linkerhand z. B. wurde ihm das weniger von der zeitgenössischen Kritik als von seinen Kollegen als blanke Schönfärberei angekreidet.
Blonder Tango war im DEFA-Gegenwarts-Fokus endlich einmal ein zutiefst internationalistischer Film. Die Filmleute machten sich den fremden, fragenden Blick
auf unser Land und seine Leute zueigen, der das Sujet und alle Szenen durchdringt.
Sensibel, doch unübersehbar ist Warnekes leise Mahnung, den Fremden im
Lande des zentral organisierten monatlichen »Soli«-Beitrags mit mehr Aufmerksamkeit und Verständnis zu begegnen. Sie als Bereicherung der immer wieder
geforderten eigenen Weltanschauung zu verstehen wird selbst im Dialog thematisiert. Da ist von der DDR als Provinz die Rede, in der »womöglich einige glauben, daß hier schon die Welt ist, und wir ihr Nabel«.
Die »größte DDR der Welt« lebte bereits in einer Anekdote so: Kommt ein
Mann in die Buchhandlung und sucht nach DDR-Anschauungsmaterial. Verschiedene Landkartenformate sind ihm zu klein, selbst die angebotene Schulwandkarte
verfehlt seine Erwartungen. Der Verkäufer ist ratlos. »Wie haben Sie sich die
DDR denn vorgestellt?«– »Na, mehr global!«
Öffentlich wurde die Situation der Ausländer hierzulande bis dahin kaum
reflektiert, schon gar nicht aus ihrer eigenen Erlebniswelt und Sicht. Einzige Ausnahme im Spielfilm war 1979 der Film von Gunther Scholz Ein April hat dreißig
177
Tage über die zur Kurzzeit verurteilte Liebe zwischen einer DDR-Frau und einem
Politemigranten aus Bolivien. Ein Filmprojekt unseres ungarischen Regisseurs
Janos Veiczi dagegen wurde nicht realisiert. Der Paprikaturm erzählte vom
schwierigen Miteinander einer Gruppe junger ungarischer Facharbeiterlehrlinge
mit ihren DDR-Arbeitskollegen und Freizeitrivalen um die Gunst der wenigen
internatsnahen deutschen Mädchen. Die Schärfe der Konflikte war nicht nur dem
DDR-Außenministerium zu heikel für die öffentliche Erörterung auf der Kinoleinwand. Wieder einmal siegte das Harmoniebedürfnis über Realitätssinn und
Mut zur freien Debatte.
Die deutlichste polemische Spitze gegen nationale Arroganz und Selbstzufriedenheit richtet sich in unserem Film, wie konnte es damals anders sein, an die
westdeutsche Adresse. Rogelio sucht in Westberlin das Konsulat der Honorablen
Militärjunta von Chile auf. Dort muß er »feierlich schwören, an keiner politischen
Aktivität teilzunehmen, Anordnungen über den Ausnahmezustand nicht zu verletzen«, falls denn sein Heimkehrantrag etwa genehmigt werden sollte.
Am Bahnhof Zoo begegnet er drei mit Kriegs- und Nazisymbolen geschmückten Jungs und kann es sich nicht verkneifen, sie an Auschwitz zu erinnern. Die
halten ihn für einen Türken und schlagen ihn, umstanden von Neugierigen, kurzerhand zusammen, bis die Polizei eingreift. Der Vernehmende auf der Wache
sieht in ihm den Provokateur und erweist sich rasch als biederer Beamter, der eher
Verständnis für die deutschen Schläger hat als für den Politemigranten aus der
»Zone«, der sich anmaßt, über Deutsche und deutsche Geschichte zu urteilen.
Nach einem freundlichen Gespräch bei Kaffee und Zigarette entläßt er ihn
durchaus wohlwollend, nicht ohne auch ihm ein kleines Ordnungsgeld abzuverlangen, »wie bei Straßenkrawallen üblich«.
Unsere eigenen Versäumnisse in der viel beschworenen internationalistischen
Erziehung wurden uns zu spät und allzu schmerzlich bewußt, als nach der Wende,
ausgerechnet in der Provinz unseres Rostocker Spielortes die ausländerfeindlichen Exzesse weder von der Bevölkerung noch von der verunsicherten Polizei
verhindert wurden. So sehen wir den Blonden Tango heute vielleicht noch einmal
mit anderen Augen, doch gewiß nicht mit weniger Sympathie.
Lothar Warneke hatte 1988 mit seinem letzten DEFA-Film Einer trage des anderen Last einen sensationellen Erfolg beim Publikum, in der Presse und auf der
Berlinale. 1990, wie alle künstlerischen Mitarbeiter aus der Festanstellung entlassen, war er am wenigsten auf die neuen Bedingungen der Vereinzelung und des
Kampfes ums Geld in der nun gesamtdeutsch privatisierten Filmwirtschaft vorbereitet. Kein Volker Schlöndorff, jetzt Geschäftsführer des nunmehr französischen
Atelierbetriebs in Babelsberg, kein anderer Produzent oder Fernsehredakteur
dachte an diesen stillen Arbeiter, der nicht gelernt hatte, Klinken zu putzen. Der
studierte Theologe und Vikar, angelernter Baumwollspinner, Regieabsolvent der
Babelsberger Filmhochschule und zuletzt ihr Gastprofessor, starb 68jährig nach
schwerer Krankheit 2005.
178
Blonder Tango
nach dem Roman »Blonder Tango« von Omar Saavedra Santis
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Szenarium
Kamera
Licht
Bauten
Requisite
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
DDR (1985)
10. April 1986, Berlin, Kino International
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
PROGRESS Film-Verleih
Lothar Warneke
Regie-Assistenz: Doris Borkmann
Lothar Warneke
Omar Saavedra Santis
Thomas Plenert
Kamera-Assistenz: Frank Bredow, Dietrich Fabienke
Standfotos: Waltraud Pathenheimer, Dieter Lück
Peter Meister
Georg Wratsch
Bauausführung: Norbert Günther, Klaus Schackner
Rainer Matschke
Bühnenmeister: Klaus Schackner
Lilo Sbrzesny
Frank May, Brigitte Welzel
Erika Lehmphul
Edgar Nitzsche
Mischung: Gerhard Ribbeck
Gerhard Rosenfeld, Roberto Rivera
Volkmar Leweck
Paul Lasinski, Rolf Hanke
Rogelio: Alejandro Quintana Contreras
Hiller: Gerhard Meyer, Cornelia: Karin Düwel
Luise: Johanna Schall, Rogelios Mutter: Steffie Spira
Frau Hube: Trude Brentina, Ojopi: Patricio Soto
Onkel Alfonso: Hernán Garate
Eugenio: Victor Abujatum, Sandor: Francisc Nagy
Constanze: Christine Schorn, Hornist: Christian Steyer
Polizeibeamter: Christoph Engel
Reisling: Helmut Straßburger, Konsul: Julio Fuentes
Anwalt: Sergio Villegas, Josefina: Ines Palacios
Hafenarbeiter: Victor Flores Morales
179
Darstellende
Zum Inhalt
Mercedes: Maria Antonia Gonzáles
Fresia: Ilia Pinto Reyes
Feuerwehrmann: Hans-Jochen Röhrig
Kantinenwirt: Wilfried Pucher
Wirt Mäkelbörger: Fritz Barthold
1. Jugendlicher: Uwe Lach, Osmin: Volker Hintze
2. Jugendlicher: Henrik Lauerwald
3. Jugendlicher: Dirk Schülke
Opernschauspieler: Helmut G. Fritzsch
ai-Sekretärin: Walfriede Schmitt
Blonde Nachbarin: Christine Harbort
Hildegard: Sina Fiedler, de Ploen: Peter Hartmann
Intendant: Ernst Steiner, Joachim Schönitz
Kürassier: Klaus Stahnke, Kerstin: Katrin Steinke
Babette: Sabine Glüher, Pfarrer: Lothar Warneke
für Hernán Garate: Kurt Böwe als Synchronsprecher
in weiteren Rollen: Leonardo Calderon, Meta Hyka
Mario Fuéntes, Ulrike Stanelle, Peter Sodann,
Ernst Crantzler, Heinz Leiter, Harry Buchholz
Wilfried Loll, Jürgen Hölzel, Torsten Bauer,
Peter Berg, Todor Todorow, Roberto Rivera
Der chilenische Emigrant Rogelio lebt seit fünf Jahren in der DDR und hat nach
dem Putsch gegen Allende keine Aussicht, in seine Heimat zurückzukehren. Er findet zwar
Arbeit als Beleuchter an einem Theater, fühlt sich aber einsam und unglücklich, nicht
zuletzt, da er vergeblich die Sängerin Cornelia liebt. In den Briefen an seine Mutter dagegen zeichnet er, um sie nicht zu beunruhigen, ein ganz anderes Bild. Seine Wünsche werden darin Wirklichkeit; sogar von einer Hochzeit und einem Kind mit Cornelia berichtet
er. Als ihn die Nachricht von einer schweren Krankheit der Mutter erreicht, erträgt
er seine Lebenslüge nicht mehr und vertraut sich einem Freund an. Zurück in Chile findet
er heraus, dass auch er getäuscht worden ist: Seine Mutter ist schon längst gestorben –
ihre Briefe haben Angehörige fingiert, um Rogelio in seinem Exil den Schmerz zu ersparen.
180
Das Kaninchen bin ich
nach dem Roman »Maria Morzeck oder Das Kaninchen bin ich«
von Manfred Bieler
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Licht
Szenenbild
Requisite
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
DDR (1965)
13. Dezember 1989, Berlin, Akademie der Künste
der DDR
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
PROGRESS Film-Verleih
Kurt Maetzig
Regie-Assistenz: Hanna Georgi, Siegbert Fischer
Manfred Bieler und Kurt Maetzig
Christa Gräf
Erich Gustko
Kamera-Assistenz: Wolfgang Ebert
Standfotos: Jörg Erkens, Wenzel
Ernst Deckow
Alfred Thomalla
Alfred Schütz
Rita Bieler
Rosemarie Stäglich, Lothar Stäglich
Helga Krause
Konrad Walle
Reiner Bredemeyer, Gerhard Rosenfeld
Martin Sonnabend
Dieter Anders, Oskar Ludmann
Maria Morzeck: Angelika Waller
Paul Deister: Alfred Müller
Dieter Morzeck: Wolfgang Winkler
Tante Hete: Ilse Voigt, Gabriele Deister: Irma Münch
Grambow: Rudolf Ulrich, Edith: Annemarie Esper
Bürgermeister: Helmut Schellhardt
Sportlehrer Ulli: Willi Schrade
Kriminalist: Bernd Bartoczewski
Kellner Oskar: Willi Narloch, Richter: Peter Borgelt
Polizeibeamter: Christoph Engel
Wirtin: Anna-Maria Besendahl
Major Hellmich: Christoph Engel
181
Darstellende
Zum Inhalt
Fischereigenossenschaftsvorsitz.: Hans Hardt-Hartloff
Sekretärin: Rosemarie Herzog
Schuldirektor: Walter Jupé, Beetz: Erhard Köster
Älterer Strafgefangener: Hans Klering
Dr. Merker: Werner Wieland, Barfrau: Renate Pohl
Mann um die 40: Harald Moszdorf
Straßenbahner: Walter E. Fuß
Frau des 1. Strafgefangenen: Ruth Komerell
Serviererin: Ingrid Evers, Hella: Ursula Schön
Junger Mann: Lothar Warneke
1. Tänzer: Armin Mechsner
2. Tänzer: Roland Kuchenbuch
3. Tänzer: Rolf Mey-Dahl, Polizist: Günther Drescher
Protokollantin: Anneliese Grummt
Beisitzer: Gustav Stähnisch, Sekretärin: Dorothea Volk
Verteidiger: Günther Polensen
Küchenfrau: Rita Hempel, Josef: Frank Michaelis
Kleiner Wachmeister im Gericht: Walter Lendrich
Staatsanwalt Hoppe: Dieter Wien
Araber: Harkishan Singh, Helmut: Fred Ludwig
Frau des 2. Strafgefangenen: Else Wolz
Schülerin: Carmen Maja Antoni
2. Wachtmeister : Albert Zahn
Straßenpassanten: Otto Busse, Friedrich Teitge
in weiteren Rollen: Willi Neuenhahn, Max Klingberg
Gerd Scheibel, Rosa Becker
Die Kellnerin Maria Morzeck darf nicht studieren, weil ihr Bruder wegen »staatsgefährdender Hetze« zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Sie verliebt sich in den wesentlich älteren Paul Deister. Als sie erfährt, daß er der Richter ist, der ihren Bruder verurteilt
hat, gerät sie in seelische Konflikte, möchte aber die Situation ihres Bruders und ihre Liebe
zu Paul auseinander halten. Das kann nicht gelingen. Allmählich wird ihr klar, daß Paul
ein eiskalter Karrierist ist, der auch sie nur zu seinem Vergnügen benutzt. Ihr Bruder – vorzeitig entlassen – erfährt von ihrer Liaison mit seinem Richter und schlägt sie zusammen.
Maria kämpft weiter um ihre Zulassung zum Studium.
182
Beschreibung eines Sommers
Die Zahl der bekannten antifaschistischen DEFA-Filme ist Legion. Schwerer fällt
es schon, sich der wichtigsten Gegenwartsfilme zu erinnern, die in Babelsberg
entstanden. Zu den interessantesten und erfolgreichsten aus der Frühzeit gehört
Beschreibung eines Sommers.
Da trafen zu Beginn der 60er Jahre gleich mehrere glückliche Umstände zusammen. Das Studio hatte es in den 50er Jahren mit einer extrem zentralistischen
Berliner Administration zu tun. Da gab es zunächst eine von der Parteispitze eingesetzte DEFA-Kommission hochrangiger Funktionäre. Dem folgte das Staatliche Komitee für Filmwesen unter Anton Ackermann, dann die Doppelherrschaft
einer Hauptverwaltung Film. Über ihr thronte nämlich Hans Rodenberg als stellvertretender Kulturminister für den Filmbereich. Nun aber kam es zu einer freilich nur kurzen Phase größerer Entscheidungsfreiräume an der Basis.
Das Studio bekam eine verjüngte Leitungsspitze, drei Männer, fast gleichaltrig,
die sich bereits aus gemeinsamer kulturpolitischer Zusammenarbeit kannten und
verstanden: als Chefdramaturg Klaus Wischnewski, als Parteisekretär, eben promoviert, Werner Kühn und als Generaldirektor Jochen Mückenberger. Alle drei
wurden schon fünf Jahre später, nach dem Desaster des 11. Plenums, mehr oder
weniger sanft aus dem Studio entfernt. Erst einmal aber hatte der Studiochef die
volle Verantwortung für die Produktion, Hauptverwaltung und Kulturministerium
wollten sich mit Anleitung und Kontrolle begnügen.
Mückenberger erinnert sich so: »Bei Beschreibung eines Sommers bekam ich,
als ich das Buch abgenommen hatte, einen Brief von Hans Rodenberg, meinem
vorgesetzten Minister. In dem stand, daß er das Drehbuch und das ganze Vorhaben als parteifeindlich einschätze. Eine stärkere Kritik konnte man gar nicht
äußern. Er begründete das auch. Aber der letzte Satz war: ›Da im Politbürobeschluß du als Verantwortlicher eingesetzt worden bist, hast du zu entscheiden, nun
entscheide.‹(...) Wir drehten den Film (...) Wir sagten, das ist unser Beitrag zum
nächsten Parteitag. Er ist dann in der Rede von Walter Ulbricht (es war der Tag
der Premiere) gelobt worden – obwohl er ihn bis dahin gar nicht gesehen hatte.«
So weit Mückenberger. Vorsorglich hatten die Berliner Filmverantwortlichen
die Premiere erst einmal in das Kulturhaus des Kombinats in Schwedt ausgelagert
und den Berlin-Einsatz nicht etwa im Kino Kosmos, sondern im etwas abseits gelegenen Colosseum gestartet. Der Mut der Babelsberger Filmleute und Leitung
aber atmete einen weit verbreiteten Zeitgeist. So kam es zu einem Kinoerfolg, der
sich nicht wiederholen sollte: An die drei Millionen Zuschauer nach einem Jahr
Laufzeit.
Entscheidend aber war ein anderes Zusammentreffen: Das von Autor und Regisseur. Beide um die dreißig, schrieben, von der Dramaturgie ermuntert, das
183
Drehbuch sogleich gemeinsam bald nach Erscheinen von Karl-Heinz Jakobs’
Romanerstling. Das ersparte ihnen die üblichen literarischen Vorstufen mit all
ihren Debatten und Abnahmeprozeduren.
Die Entschlußfreude der Leitung trug dazu bei, daß Kirsten unmittelbar nach
seinem viel gelobten Gegenwartsfilm Auf der Sonnenseite unbeschwert in die
Produktionsvorbereitung und Dreharbeit einsteigen konnte.
Dieser für die DEFA-Praxis ungewöhnlich kurze Weg von der literarischen
Vorlage zur Filmadaption und ins Kino bewahrte dem Lebensmaterial die Frische
und beflügelte die Diskussion auch um den Roman, der inzwischen in vierter Auflage auf dem Markt war.
Jakobs führte den Erfolg auf die Verbindung der Liebesgeschichte mit der ganz
besonderen, durchaus abenteuerlichen Aufbau-Situation der Großbaustelle des
Erdölverarbeitungswerks Schwedt Ende der 50er Jahre zurück. Seine gesellschaftliche Brisanz aber bekam – zumal der Film – durch die für die DEFA neue,
gänzlich unverklemmt erzählte Liebe der verheirateten Genossin und FDJ-Funktionärin Grit zum zupackenden Bauingenieur Tom, der sich politischer Verantwortung oder gar Unterordnung zu entziehen sucht. Gerade weil die erotische Beziehung nicht als Dreiecksgeschichte erzählt wird, der Ehepartner Grits tritt im Film
nicht in Erscheinung, provozierte das viele Fragen der Zuschauer, aber auch der
Kritiker. Horst Knietzsch stellte im Neuen Deutschland schon im Titel seiner Kritik die polemische Frage: »Liebe für einen Sommer?« Der offene Schluß ließ
solch eine Vermutung immerhin zu, auch wenn die letzte Szene zwischen den Liebenden eher Grits Trennung vom Ehepartner nahelegt.
Das heftigste öffentliche Für und Wider aber war mit der Frage verbunden, ob
die intime Beziehung zweier Menschen, ob Liebe und Partnerschaft die ganz und
gar private Angelegenheit der Betroffenen sei oder ob nicht vielmehr das Kollektiv, letztlich »die Partei« – gerade auf einer »Großbaustelle des Sozialismus« –
das Recht, ja, die Pflicht habe, für ein moralisch untadeliges Miteinander eines jeden Paares zu sorgen. Obwohl der Film eben diese recht zeitbedingte Botschaft
aussandte, wenn auch nicht doktrinär und agitatorisch, trug das seiner Wirkung
keinen Abbruch. Im Gegenteil, es reizte auch zum Widerspruch, mindestens zur
Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Haltungen der Filmfiguren. Daß
die »Rolle der Partei« im Film weniger als im Buch in Erscheinung tritt, hatte ja
Hans Rodenberg gerade zu seinem negativen Urteil veranlaßt. Gerade dieser Verzicht wurde zu einer Voraussetzung breiter Kinoresonanz.
Aber auch etwas anderes ist bemerkenswert. Die heute geradezu naiv anmutende Zukunftsgewißheit seiner Protagonisten, durchaus auch die von Autor und
Regisseur, traf offenbar auf eine massenhafte Stimmung im Lande. Und das
knapp zwei Jahre nach dem heute so verteufelten Mauerbau.
Im Filmt träumen die jungen Sozialisten davon, den ganzen afrikanischen Kontinent zu bewässern, ja selbst vom weltweiten Sieg des Kommunismus. Im Roman machte Jakobs eine Figur noch zum Propheten für die baldige Vollendung
184
des Kommunismus in der DDR. Darauf wurde im Film wohlweislich verzichtet.
Schon wenige Jahre später machte auch bei uns die Anfrage an Radio Jerewan die
Runde: »Wann wird Kommunismus sein?« – Salomonisch die Antwort: »Der
Kommunismus ist schon am Horizont sichtbar.« Zusatzfrage: »Was ist Horizont?« »Horizont ist eine gedachte Linie, die sich bei Annäherung nach hinten
verschiebt.«
Das erste Jahrfünft der 60er Jahre jedenfalls war noch sehr von Aufbruchelan
und Optimismus bestimmt. Das hatte sich schon im Titel von Ralf Kirstens eben
vorangegangenem Gegenwartsfilm in neuer Leichtigkeit und Lockerheit ausgeprägt: Auf der Sonnenseite.
Und da sind wir schon bei der letzten und sicherlich wichtigsten Voraussetzung
für den unglaublichen Publikumserfolg des Films, der nicht allein mit der Popularität des Buches erklärt werden kann. Das sind die Besetzung der Hauptrollen mit
Christel Bodenstein und Manfred Krug und die Art, wie sich die beiden in Kirstens Regie entfalten durften.
Manfred Krug war seit 1957 nach vielen kleinen Rollen und einer größeren
1960 erst mit dem Kirsten-Film Auf der Sonnenseite zum Publikumsliebling geworden. Hier konnte er zum ersten Mal seine ganz eigene Darstellungsweise entwickeln. Diese Mischung aus unverstellter Authentizität, ja, dokumentarer Direktheit und ironisch-heiterer Distanz im Spiel mit der Kamera fand ihre ideale
Entsprechung in der Story-Anleihe bei seiner eigenen, ganz und gar unheldischen
Lebensgeschichte.
Jakobs Figur des in jeder Hinsicht zupackenden Bauingenieurs nun schien geradezu wie für Krug geschrieben. Das Pathos dieser Zeit und ihrer kämpferischen
Losungen ist diesem Tom Breitsprecher fremd. Mit der Autorität des Fachmannes
behauptet er seine anarchisch anmutende politische Ungebundenheit, seine Verweigerung jeglicher Anpassung oder »Unterordnung unter das Kollektiv«. Mit
diesem freundlich-frechen Individualisten, der zugleich ein unnachgiebiger Leiter
und unverzichtbarer Garant für Qualitätsarbeit ist, mit diesem harten Hund mit
dem weichen Herzen konnten sich viele im Publikum identifizieren. Heute erscheint uns die Figur fast wie eine Vorläufergestalt des Brigadiers Balla in Spur
der Steine.
Nun aber kommen wir endlich zur nicht weniger wichtigen Erfolgsgarantie
unseres Films. Das war – Sie werden es ahnen – die Besetzung der weiblichen
Hauptrolle mit Christel Bodenstein. Sie war noch vor Manfred Krug ein Publikumsschwarm, gewiß der einzige weibliche DEFA-Filmstar dieser Zeit. Von Kurt
Maetzig eher zufällig entdeckt und doch nicht besetzt, spielte sie 1956 in Slatan
Dudows Gesellschaftssatire Der Hauptmann von Köln eine kleine, aber wichtige
Rolle. Danach verzauberte sie das junge Publikum gleich zweimal als Prinzessin
im Tapferen Schneiderlein und mit größerem Spielraum und märchenhaftem Charakterwandel im Singenden klingenden Bäumchen. Die diplomierte Tänzerin
spielte noch während des Schauspielstudiums an der Babelsberger Filmhoch185
schule und sogleich danach eine Hauptrolle nach der anderen. So auch bei Günter
Reisch in Maibowle und Silvesterpunsch, dort als singende Primaballerina auf
dem Eis. Und Martin Hellberg gab ihr die Rolle der Franziska in seiner LessingVerfilmung Minna von Barnhelm.
Mit solch einem Rollen-Spektrum und einer beispiellosen Leinwand-Präsenz
ausgestattet, mußte die neue Aufgabe, zumal an der Seite von Manfred Krug, eben
zur Traumrolle werden. Und Christel Bodenstein nutzte diese Chance. Die Liebesgeschichte zwischen dieser so geradlinigen, pflicht- und zielbewußten Jugendfunktionärin und dem rauhbeinigen, sarkastischen Skeptiker wurde von ihr und
ihrem Partner mit DEFA-unüblicher Offenherzigkeit gespielt und von Kirsten und
seinem Kameramann Hans Heinrich als anrührende und dramatische Wild-OstStory mit Aufbau-Verve ins Bild gesetzt.
Der Bundesbürger Karl-Heinz Jakobs des Jahres 1986 wurde während einer
USA-Reise von seinen professoralen Gastgebern mit einer Aufführung dieses
Films überrascht. Er fürchtete schon das Schlimmste an Reaktionen auf sein
sozialistisches Frühwerk während der Aufführung oder danach in der Diskussion.
Doch nichts von dem geschah. Im Gegenteil, die Amerikaner waren vom Film
durchaus angetan. Mit den Mustern mancher Wild-West-Filme vertraut, war ihnen
hier trotz geographischer, sozialer und politischer Ferne des Spielorts viel Vergleichbares entgegengekommen.
Mal sehen, wie es uns beim Wiedersehen heute damit ergeht. Auf jeden Fall
freuen wir uns, noch einmal der jungen Christel Bodenstein zu begegnen und das
in ihrer vielleicht beeindruckendsten filmischen Gestalt. Die Wiederaufführung in
diesem Kreis ist nicht zuletzt unsere kleine nachträgliche Gratulation zu ihrem runden Geburtstag, den man ihr dank ihrer noch immer jugendlichen Statur und ihrem
vitalen Temperament kaum glauben mag. Herzlichen Glückwunsch, Christel.
Beschreibung eines Sommers
nach der Vorlage des Romans von Karl-Heinz Jakobs
Produktionsland
Produktionsfirma
Erstverleih
Uraufführung
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
186
DDR, 1962/1963
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
(Künstlerische Arbeitsgruppe »60«)
Progreß-Filmverleih, Berlin
17. Januar 1963, Berlin, Kino Colosseum
Werner Liebscher
Otto Ziesenitz
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Licht
Ralf Kirsten
Regieassistenz: Hanna Georgi
Karl-Heinz Jakobs, Ralf Kirsten
Klaus Wischnewski
Hans Heinrich
Kamera-Assistenz: Hans-Joachim Zillmer
Standfotos:Max Teschner
Hans Helmstädt
Bauten
Hans Poppe, Jochen Keller
Außenrequisite: Günter Zaleike
Maske
Günter Hermstein, Ursula Funk
Kostüme
Schnitt
Ton
Musik
Darstellende
Helga Scherff
Christel Röhl
Günther Witt
Wolfgang Lesser
Tom: Manfred Krug
Grit: Christel Bodenstein
Schibulla: Günther Grabbert
Lilo: Johanna Clas
Regine: Marita Böhme
Dschik: Peter Reusse
Grell: Horst Jonischkan
Kamernus: Erik Veldre
Tenser: Hans-Peter Reinecke
Wirtin: Liska Merbach
Mädchen in der Bar: Helga von Wangenheim
1. Jugendlicher: Ernst Forstreuter
2. Jugendlicher: Achim Wenk
3. Jugendlicher: Heinz Herbert Lyschik
Zum Inhalt
Auf der Großbaustelle Schwedt an der Oder, wo ein neuer Industriekomplex entsteht, treffen der Ingenieur Tom Breitsprecher und die FDJ-Sekretärin Grit aufeinander. Tom ist ein
guter Fachmann, den Politik nicht interessiert. Nachlässigkeit und Unvermögen der bunt
zusammengewürfelten Jugendbrigade regen ihn auf. Grit hat sich vor ihrer in die Krise
geratenen Ehe auf die Großbaustelle geflüchtet. Sie lässt sich auf einen zunächst unverbindlichen Flirt mit Tom ein, dem der Ruf vorauseilt, ein Frauenheld zu sein. Bald entsteht
zwischen beiden echte Zuneigung. Grit gerät in Konflikte, da die Moralvorstellungen der
50er Jahre noch recht eng sind und das Kollektiv von ihr vorbildliches Verhalten auch in
privater Hinsicht erwartet. Doch Grit steht zu ihrer Liebe und schafft klare Verhältnisse.
187
Mutter Courage und ihre Kinder
nach der Vorlage des Bühnenstücks von Bertolt Brecht
Produktionsland
Premierendatum
Produktionsfirma
Verleih
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Requisite
Kostüm
Maske
Schnitt
Musik
Ton
Darstellende
188
DDR
10. Februar 1961, Berlin
DEFA-Studio für Spielfilme
PROGRESS Film-Verleih
Alexander Lösche
Heinz Ullrich, Bruno Schlicht
Peter Palitzsch, Manfred Wekwerth
Regie-Assistenz: Isot Kilian, Hans-Georg Simmgen,
Guy de Chambure
Peter Palitzsch, Manfred Wekwerth
Egon Günther
Harry Bremer
Kamera-Assistenz: Manfred Damm, Peter Süring,
Detlef Hertelt
Standfotos: Hannes Schneider
Heinrich Kilger, Erich Kulicke, Theo Otto (Modell)
Felix Essmann
Heinrich Kilger
Ruth Stein, Hans Wosnik
Ella Ensink
Paul Dessau
Erich Schmidt
Mutter Courage: Helene Weigel
Eilif: Ekkehard Schall
Schweizerkas: Heinz Schubert
Kattrin: Angelika Hurwicz
Werber: Willi Schwabe
Feldwebel: Gerhard Bienert
Koch: Ernst Busch
Feldhauptmann: Norbert Christian
Feldprediger: Wolf Kaiser
Zeugmeister: Harry Gillmann
Yvette Pottier: Regine Lutz
Einäugiger: Peter Kalisch
Feldwebel: Erik S. Klein
Obrist:Wolf Beneckendorff
Darstellende
Zum Inhalt
Schreiber: Ralf Bregazzi
Älterer Soldat: Wladimir Marfiak
Junger Soldat: Gerd E. Schäfer
1. Soldat: Axel Triebel
2. Soldat: Edgar Schrade
Bäuerin: Eva Brumby
Bauer: Siegmund Linden
Alte Frau: Bella Waldritter
Junger Bauer: Hans-Georg Simmgen
Diener der Yvette: Johannes Conrad
3. Soldat: Wolfgang Lohse
Fähnrich: Stefan Lisewski
4. Soldat: Hans W. Hamacher
5. Soldat: Horst Kube
Bäuerin: Carola Braunbock
Bauer: Josef Kamper
Junger Bauer: Fritz Hollenbeck
Chronist: Hilmar Thate
in weiteren Rollen: Nico Turoff, Hans Schmidt,
Conrad Pfennig, Werner Riemann, Erich Braun,
Carlo Formigoni, Günter Voigt, Gerhard Moebius,
Bruno Schlicht
Die Marketenderin Anna Fierling zieht während des 30jährigen Krieges mit ihrem Karren
und ihren drei Kindern durchs Land. Die Gefahren und das Unrecht des Krieges macht sie
sich nicht bewußt. Sie gerät unvermeidlich zwischen die Fronten und muß erleben, wie
nacheinander ihre Kinder zu Opfern des Krieges werden. Schweizerkas, selbst ein Landsknecht, ist nicht bereit, die Regimentskasse an den Feind zu übergeben und wird erschossen. Eilif hat während des mörderischen Krieges jegliches Empfinden für Recht und Ordnung verloren und wird für seine Taten zum Tode verurteilt. Als die stumme Katrin mit
einer Trommel die Hallenser Bürger vor den anrückenden Truppen warnt, muß auch sie
sterben. Unverdrossen spannt sich Mutter Courage allein vor ihren Karren und zieht weiter mit dem Krieg.
189
2009
191
192
Rotation
Der für heute ins Auge gefaßte DEFA-Film von Wolfgang Staudte spricht so sehr
für sich, daß man über ihn nicht viele Worte machen muß. Interessanter sind vielleicht ein paar Auskünfte von ihm selbst und über diesen Mann, der – fast auf den
Tag (am 19. Januar) vor 15 Jahren starb, mit 77 an Herzversagen, aber sozusagen
im Regiestuhl – nämlich während der Außenaufnahmen in Slowenien, zu einem
fünfteiligen Fernsehfilm Der eiserne Weg. Ein Filmoholic.
Doch dieses Metier war ihm eigentlich gar nicht in die Wiege gelegt. Wolfgang
Staudte, Jahrgang 1906, besucht die Oberrealschule in Berlin-Steglitz, und obwohl Vater Fritz wie auch seine Mutter Schauspieler waren, sieht er seine Zukunft
zunächst auf technischem Terrain. Er versucht sich als Motorradrennfahrer und
beginnt ein Ingenieurstudium mit Praktikum bei Mercedes.
Den Zwanzigjährigen findet man überraschenderweise dann doch als Schauspieler, nur kurz am Theater in Schneidemühl, dann aber in Berlin. Und gleich an
der Volksbühne unter Max Reinhardt und Erwin Piscator und auch – wen wundert’s – in der linken Theatergruppe seines Vaters.
Seine Filmkarriere beginnt 1931 mit kleinen Rollen, neben Ernst Busch sieht
und hört man ihn als Bänkelsänger im Film Gassenhauer. So geht das mit Nebenrollen bis 1933. Da wird ihm – keinen wundert’s – die Bühnenauftrittserlaubnis
entzogen. In den nächsten Jahren schlägt er sich als Rundfunk- und Synchronsprecher durch, spielt kleine Rollen im Film und dreht 100 Sujets für die inzwischen prosperierende Kinowerbung. In dieser Zeit kehrt er noch einmal zu seiner
frühen Leidenschaft zurück. Er dreht zwei abendfüllende Dokumentarfilme über
den jetzt sehr populären Autorennsport: Zwischen Sahara und Nürburgring und
1937 Deutsche Siege in drei Erdteilen. Da waren es noch friedlich erkämpfte...
Den Krieg überlebt Staudte erstaunlicherweise als Filmdarsteller in kleinen
Rollen, der Preis – die Mitwirkung auch in üblen Propagandafilmen: Legion Condor, Jüd Süß oder ... reitet für Deutschland. 1942 endlich überträgt ihm die Filmgesellschaft Tobis die Regie für seinen ersten abendfüllenden Spielfilm nach eigenem Drehbuch Akrobat schö-ö-ön mit Clown Charlie Rivel.
1944 wird seine Bürokratie-Groteske Der Mann, dem man den Namen stahl
verboten, und Staudte verliert die »halbe Lebensversicherung« – nämlich die amtliche Bestätigung seiner zivilen Unabkömmlichkeit (»UK-Stellung«).
Der einflußreiche Heinrich George, Staatsschauspieler und Generalintendant,
bewahrt Staudte vor dem Kriegseinsatz in letzter Stunde. Er beginnt mit der
Bucharbeit für seinen ersten Nachkriegsfilm noch während in Berlin die letzten
Häuserkämpfe toben.
»Inmitten des Grauens der letzten Kriegstage«, so Staudte später, »war es ein
Akt der Selbstverständigung, der eigenen geistigen Abrechnung mit dem Faschis193
mus und seiner Ideologie. Es erschien mir damals unmöglich, mit den Mördern
unter uns zu leben. Ich bin naheliegenderweise, da ich im britischen Sektor
wohnte, mit meinem Exposé zu den Engländern, den Amerikanern, zu den Franzosen gegangen. Peter van Eyck war bei den Amerikanern verantwortlicher Filmoffizier und hat mir also in gebrochenem Deutsch, dafür aber in einer ungeheuer
gut sitzenden Uniform erzählt, daß in den nächsten zwanzig Jahren für uns Deutsche an Film gar nicht zu denken sei.«
So meldet sich Staudte mit seinem Projekt Anfang Oktober 1945 bei Herbert
Volkmann, dem Abteilungsleiter Kunst und Literatur der gerade erst installierten
Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung. Am 22. November 1945 gehört er
zu den wenigen prominenten Filmleuten, die sich im unzerstörten Seitenflügel des
Hotels Adlon treffen, um über einen »Neubeginn der Filmkunst in Deutschland«
zu beraten. Schon im Dezember 1945 erteilt die Sowjetische Militäradministration einem kleinen Filmaktiv die Erlaubnis, mit der Vorbereitung einer eigenen
Filmproduktion zu beginnen.
Zunächst dreht Staudte Dokumentaraufnahmen in U-Bahn-Tunneln in der Friedrichstraße, die in den letzten Kriegstagen ohne Rücksicht auf die dort schutzsuchenden Zivilisten geflutet worden waren. Sie sind für ein Filmprojekt von
Friedrich Wolf gedacht, das nicht realisiert wurde. Die SMAD, Sowjetische Militäradministration in Deutschland, vergibt an die Deutschen erste Filmaufträge.
Da kommen ihm seine frühen Synchronerfahrungen zugute. Am 10. August 1945
erlebt der erste deutschsprachige »Russenfilm«, wie es allgemein heißt, seine Berliner Premiere, und gleich ein berühmter: Sergej Eisensteins Iwan der Schreckliche, Synchronregie: Wolfgang Staudte.
Vor der Produktionsfreigabe seines ersten Spielfilms aber tritt die »kommunistische Zensur« in Gestalt eines kleinen Majors auf den Plan, Alexander Dymschitz. Staudte erlebt das so: »Ich erinnere mich noch genau, eines Nachts wurde
ich zum Kulturoffizier in die Jägerstraße bestellt, es gab keinen Strom, und wir
verhandelten bei Kerzenlicht. Er gratulierte mir und kannte jede Stelle des Drehbuchs auswendig. Der sowjetische Offizier war vom Stoff begeistert. Nur einen
Einwand hatte er: ich sollte den Schluß ändern. Er lehnte diese Art von Selbstjustiz ab und malte mir die Folgen aus, die aus der Wirkung des Films entstehen
könnten, wenn jeder hinging und jeden erschoß, so selbstverständlich der Wunsch
auch sein mochte. Diese Menschen mußten ordentlichen Gerichten übergeben
werden. Ich hatte lange Schwierigkeiten, diesen Einwand einzusehen, bis dann
der ganze Umfang der Naziverbrechen klar wurde und mir zeigte, was für ein relativ ›kleiner‹ Mörder dieser Ferdinand Brückner war.« So weit Staudte.
Damit war auch die frühere Titel-Idee obsolet: Der Mann, den ich töten werde.
Und so kam es also zum neuen, paradigmatischen Titel: Die Mörder sind unter
uns, der eine große antifaschistische Traditionslinie begründen sollte.
Als mit der Lizenzübergabe der SMAD am 17. Mai 1946 die DEFA, die Deutsche Film A. G., im Babelsberger Althoff-Studio gegründet wird, lädt man die
194
Gäste anschließend ins Nachbaratelier. Dort dreht Staudte bereits in der zweiten
Woche die Innenaufnahmen. Nach geradezu sensationell kurzer Produktionszeit
hat der erste deutsche Nachkriegsfilm am 15. Oktober 1946 seine Premiere im
Admiralspalast. Es wird ein überwältigender und auch international lang nachwirkender Erfolg.
»Nach diesem Film«, so Staudte, »drängte sich mir die Frage förmlich auf –
wie wurden die Deutschen schuldig? Ich wollte am Beispiel eines einfachen deutschen Arbeiters den politischen und weltanschaulichen Kampf seiner Zeit zeigen
(...) an die Erlebnisse von Millionen indifferenter Deutscher anknüpfen (...) und
schließlich den Wandlungsprozeß von einer passiven zur aktiven kämpferischen
Lebenshaltung gestalten. Die Filme, Rotation und Die Mörder sind unter uns
gehören zusammen, sie waren beide notwendig zur inneren Auseinandersetzung
mit der Hitlerzeit.«
Nun aber, im Jahr 1949, gerät Staudte mit seiner Warnung vor rotierender Wiederholung von Unbelehrbarkeit und Fehlverhalten in ganz andere, aktuelle Auseinandersetzungen. Und er hat es mit sehr anderen Partnern zu tun. Der neue,
filmfremde DEFA-Direktor Sepp Schwab ist Journalist und Parteifunktionär,
während des Krieges zuständig für die deutschen Sendungen des Moskauer Rundfunks, zuletzt Chefredakteur des Neuen Deutschland. Zu seinen ersten Amtshandlungen gehört die Ansicht von Rotation. Er verlangt nicht nur das Nachdrehen der
Schlußszene mit dem jungen Paar, sondern verfügt danach noch einen rigorosen
Schnitt. Daraufhin reist Staudte ab und kündigt seine Zusammenarbeit mit der
DEFA auf.
1969, im Abstand von 20 Jahren, urteilt er über die Kontroverse weniger aufgeregt: »Aus meiner damaligen Einstellung heraus war ich ein leidenschaftlicher Pazifist. (...) Ich habe heute diese Meinung korrigiert, aber damals stand ich naturgemäß unter dem Eindruck des Hitlerkrieges. In der ersten Fassung des Films
verbrennt Behnke zum Schluß die Uniform seines Sohnes symbolisch mit den
Worten: ›Das war die letzte Uniform, die du je getragen hast.‹ Ich habe einige Zeit
gebraucht, die Richtigkeit der Einwände einzusehen, daß es nur darauf ankommt,
welche Uniform man trägt. (...) Ich hoffe, damals meinen bescheidenen Beitrag
geleistet zu haben, (...) das Gewissen aufzurütteln, daß jeder Einzelne dafür sorgen muß, daß ähnliche Verhältnisse nicht mehr geschehen können, daß jeder Einzelne mitverantwortlich für die Erhaltung des Friedens ist.«
Rascher als gedacht, war seinerzeit Staudtes Zorn auf die Berliner Administration verflogen. Er kehrte bald nach Babelsberg zurück und drehte dort als nächsten seiner drei DEFA Filme seinen bedeutendsten – Der Untertan.
Nun hat er Grund, seiner Wohnheimat zu zürnen. Der Film wird in der Bundesrepublik verboten, und der Spiegel liefert dem Interministeriellen Ausschuß
die Zensurgründe gegen das »Paradebeispiel ostzonaler Filmpolitik: Man läßt einen politischen Kindskopf wie den verwirrten Pazifisten Staudte einen scheinbar
unpolitischen Film drehen, der aber geeignet ist, in der westlichen Welt Stim195
mung gegen Deutschland und damit gegen die Aufrüstung der Bundesrepublik
zu machen. Der Film läßt vollständig außer acht, daß es in der ganzen preußischen Geschichte keinen Untertan gegeben hat, der so unfrei gewesen wäre wie
die volkseigenen Menschen unter Stalins Gesinnungspolizei es samt und sonders
sind.«
So kommt der Film in der BRD erst 1957 mit entstellenden Schnitten und um
elf Minuten gekürzt ins Kino. Nach seiner scharfen Zeitsatire Rosen für den
Staatsanwalt, der Ablehnung des Bundesfilmpreises dafür, nach den zwei ebenfalls gesellschaftskritischen Filmen Kirmes und Herrenpartie wird Staudte in der
veröffentlichten Meinung zum Nestbeschmutzer gestempelt. Der Nonkonformist
scheitert mit dem Versuch, sich mit einer eigenen Produktionsfirma größere Unabhängigkeit zu sichern und unterwirft sich dem Diktat der Auftragsarbeit für das
Fernsehen, zeitweise in Krimi- und anderen Genre-Fernsehreihen, geradezu pausenlos beschäftigt bis zum erwähnten Ende.
Staudtes frühes Fazit dieser Schaffensbedingungen eines »öffentlichen Ruhestörers« (so Wolfram Schütte im Nachruf der Frankfurter Rundschau): »Es ist
schwer, die Welt verbessern zu wollen mit dem Gelde von Leuten, die die Welt in
Ordnung finden.«
Rotation
Produktionsland
Premierendaten
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
196
Deutschland, Sowjetische Besatzungszone (1948/49)
Dreharbeiten: 29. September bis November 1948
in Potsdam und Berlin
Uraufführung (DDR): 16. September 1949,
Berlin, Babylon,
Defa-Filmtheater Kastanienallee
TV-Erstsendung (DDR): 30. April 1954, DFF
TV-Erstsendung (BRD): 13. Mai 1958, ARD
DEFA Deutsche Film-Aktiengesellschaft (Berlin/Ost)
PROGRESS Film-Verleih
Wolfgang Staudte
Regie-Assistenz: Hans Heinrich
Wolfgang Staudte, Erwin Klein
(manchmal auch noch: Fritz Staudte)
Idee: Wolfgang Staudte
Georg Schaafs (George Schaaffs)
Kamera
Licht
Bauten
Kunstmaler
Bruno Mondi
Kamera-Assistenz: Dieter Maurer, Jürgen Kagermann
Standfotos: Rudolf Brix
Günther Müller, Norbert Lude
Willy Schiller
Bauausführung: Willi Eplinius, Artur Schwarz,
Franz F. Fürst
Alfred Born, Herbert Patzelt, Wolfram Baumgardt
Requisite
Gerhard Rotzoll, Jürgen Rietschel,
Elisabeth Stenzel (Außenrequisite)
Kostüme
Georg Schott
Bühne
Maske
Schnitt
Manfred Grimm (Bühnenmeister)
Horst Schulze, Irmela Holzapfel, Wolfgang Möwis,
Margot Friedrichs
Lilian Seng
Ton
Karl Tramburg
Produktionsleitung
Herbert Uhlich
Musik
Aufnahmeleitung
Produktionsassistenz
Darstellende
H. W. Wiemann
Willi Teichmann
Peter-Klaus Niemetz
Hans Behnke: Paul Esser, Lotte Behnke: Irene Korb
Kurt Blank: Reinhold Bernt
Helmuth Behnke: Karl-Heinz Deickert
Inge, Helmut Behnkes Freundin: Brigitte Krause
Rudi Wille: Reinhard Kolldehoff
Udo Schulze: Werner Peters
»VB«-Personalchef: Albert Johannes
1. SD-Mann: Theodor Vogeler
2. SD-Mann: Walter Tarrach
Hebamme: Valeska Stock, Hauswirt: Alfred Maack
Frau Salomon: Ellen Thenn-Weinig
Herr Salomon: Klemens Herzberg
Besucher: Hans-Erich Korbschmitt
Wirtin: Maria Loja, Schauspieler: Wolfgang Kühne
1. Arbeiter im Rotationssaal: Eduard Matzig
Vorarbeiterin in der Weberei: Margit Rocky
2. Arbeiter im Rotationssaal: Peter Marx
SS-Mann: Siegfried Andrich, Ordonnanz: Carlo Kluge
SS-Offizier in Moabit: Hugo Kalthoff
Luftschutzhelfer: Helmut Hein
SD-Mann: Georg August Koch
Flüchtlingsfrau: Kitty Franke, Adjutant: Gerd Ewert
197
Darstellende
Zum Inhalt
SS-Mann im Gefängnishof: Herbert Mahlsbender
MG-Schütze: Rudi Beil
Arbeiter am Fabriktor: Albert Venohr
2. Arbeiter am Fabriktor: Hans Emons
3. Arbeiter am Fabriktor: Helmuth Bautzmann
4. Arbeiter am Fabriktor: Walter Diehl
1. Arbeiter im Rotationssaal: Eduard Maetzig
2. Arbeiter im Rotationssaal: Johannes Knittel
3. Arbeiter im Rotationssaal: Hans Schille
4. Arbeiter im Rotationssaal: Gerd Robat
5. Arbeiter im Rotationssaal: Friedrich Teitge
Berlin von 1932 bis 1946: Der Maschinenmeister Hans Behnke ist tüchtig, und Politik interessiert ihn nicht. Bis er eines Tages von seinem Schwager gebeten wird, eine Druckmaschine zu reparieren, auf der antifaschistische Flugblätter hergestellt werden.
Von seinem eigenen Sohn Helmuth veraten, der in der Hitlerjugend zu einem fanatischen
Nazi erzogen wurde, kommt Behnke ins Zuchthaus.
Nach Kriegsende stehen sich der befreite Vater und der aus der Gefangenschaft heimkehrende Sohn gegenüber. Helmuth hat kaum Hoffnung, daß ihn der Vater aufnehmen wird,
doch der schließt ihn in seine Arme. Gemeinsam wollen sie ein neues Leben aufbauen.
Oskar Lafontaine über Wolfgang Staudte
Jene kritische westdeutsche Nachkriegsgeneration, die in den sechziger Jahren
anfing, politisch zu denken und zu handeln, fand im eigenen Land nur wenige Persönlichkeiten, die ihr etwas zu sagen hatten: da waren die aus dem Exil zurückgekehrten antifaschistischen Politiker; da waren die Schriftsteller, Philosophen,
Theologen und Wissenschaftler, die sich dem Naziregime verweigert hatten; da
war ein Filmregisseur, der mit diesem Regime abrechnete – Wolfgang Staudte.
Die Konzentration aller Kräfte auf den Wiederaufbau half den Älteren die unselige Vergangenheit zu verdrängen. Dieser Verdrängungsmechanismus erleichtere
den Prozeß der politischen und personellen Restauration, an dem die Jungen Anstoß nahmen. Die junge Generation mußte weitgehend alleine damit fertig werden,
daß ihre Eltern den Nationalsozialismus zugelassen hatten. Ihr Protest war nicht
zuletzt das Ergebnis ihrer Aufarbeitung des Nationalsozialismus und seiner mangelnden Bewältigung durch die bundesrepublikanische Gesellschaft der Adenauerzeit. Deshalb war ihr politisches Engagement stark moralisch motiviert.
Auch der Regisseur Staudte war ein politischer Moralist, auch seine politischen
Filme »Rotation«, »Die Mörder sind unter uns«, »Rosen für den Staatsanwalt«,
»Kirmes«, oder »Herrenpartie« setzten sich mit der faschistischen deutschen Ver198
gangenheit auseinander. Darüber hinaus war ihm mit der Verfilmung des Romans
»Der Untertan« von Heinrich Mann eine meisterhafte, zeitlose Karikatur des
kleinbürgerlich-deutschen Mitläufers gelungen. Kein Wunder also, daß diese
Filme während den sechziger Jahren vorwiegend in den auf ein kritisches junges
Publikum ausgerichteten Kunst- und Studentenkinos großen Anklang fanden.
Als einziger westdeutscher Regisseur schwamm Staudte in der Adenauer-Ära
gegen den Strom der allgemeinen Geschichtsverdrängung und verstörte die heile
Welt des Heimatfilms. Dadurch erregte er Mißfallen. Selbst der Kassenerfolg von
»Rosen für den Staatsanwalt« änderte nichts an der Tatsache, daß es für ihn immer schwerer wurde, einen Produzenten zu finden. Als endlich in den späten
sechziger Jahren die Bewältigung der faschistischen Vergangenheit von der aufmüpfigen Jugend und den kritischen Intellektuellen auf die Tagesordnung der
bundesdeutschen Kulturszenerie gesetzt worden war, hatte Staudte längst auf die
Gattung des handwerklich gediegenen Unterhaltungsfilms umgesattelt.
Mitte der siebziger Jahre beschritt die Stadt Saarbrücken neue Wege der Kulturpolitik. Unter anderem sollte auch die Filmkunst, die bis dahin eher als eine
Exzentrikerliebhaberei im Schatten der kommerziellen Kinos geduldet war, aufgewertet werden. Aus dem ersten Schritt eines programmanteiligen Engagements
der Stadt bei dem privaten »Studio für Filmkunst« Camera entwickelte sich in
wenigen Jahren das gleichnamige »Saarbrücker Stadtkino«, das mit gezielten Angeboten für alle Alters- und Interessengruppen ein breites Publikum fand. Diesem
erfreulichen Trend sollten noch besondere Lichter aufgesteckt werden. Man prüfte,
welche bedeutenden Namen des Filmschaffens in einem konkreten Bezug zu
Saarbrücken standen. Nach der Einrichtung des Max Ophüls-Wettbewerbs wurde
auch Wolfgang Staudte angesprochen, ob er bei einer umfassenden Retrospektive
seines Werks in Saarbrücken mitwirken wolle. Die Retrospektive kam nicht zustande. Wolfgang Staudte hatte zu seiner eher zufälligen Geburtsstadt – auch seine
Eltern lebten hier nur etwa anderthalb Jahre – kaum Beziehungen knüpfen können. Aus dem Eintrag ins Geburtenregister konnte er nichts Verbindliches ableiten. Da er gegen den falschen Schein war, wurde er kein »Vorzeige-Saarbrücker«.
Als ich, damals Oberbürgermeister von Saarbrücken, wegen meines Kampfes
gegen die Nachrüstung angegriffen wurde, meldete er sich persönlich aus Sylt:
»Seien Sie sicher – schrieb er – es gibt viele, die auf Ihrer Seite stehen und einer
davon ist, wie Sie, in Saarbrücken zur Welt gekommen«.
Im Jahr 1960, als sich die antisemitischen Ausschreitungen häuften, schrieb
Staudte einen offenen Brief an alle Tageszeitungen »Eine Demokratie lebt vom
Anstand und dem Mut der Bürger, Feigheit macht jede Staatsform zur Diktatur.
Indem wir die Schuld der Vergangenheit von uns zu wälzen versuchen, machen
wir uns erneut schuldig.« Kein Satz kann den politischen Moralisten Staudte treffender charakterisieren. Kein Satz ist heute aktueller.
199
Schlösser und Katen
Teil 1: Der krumme Anton / Teil 2: Annegrets Heimkehr
Produktionsland
Uraufführung
8. Februar 1957, Filmtheater Babylon, Berlin
Produktionsfirma
DEFA-Gruppe 67, DDR-Fernsehen,
Akademie der Künste der DDR
Aufnahmeleitung
Heinz Walter, Heinz Fröhlich
Produktionsleitung
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Licht
Bauten
Reqisite
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Darstellende
200
Deutsche Demokratische Republik, 1956/1957
Hans Mahlich
Kurt Maetzig
Regie-Assistenz: Bernd Braun, Frank Beyer
Assistenzregie: Doris Borkmann
Kurt Maetzig, Kurt Barthel
Willi Brückner
Otto Merz
Kamera-Assistenz: Helmut Borkmann
Optische Spezialeffekte: Ernst Kunstmann
Standfotos: Eduard Neufeld
Felix Kusche
Alfred Hirschmeier
Bau-Ausführung: Heinz Leuendorf, Willi Schäfer
Theo Görgens
Marianne Schmidt
Gerhard Zeising, Erna Hallas
Ruth Moegelin
Gerhard Klein
Wilhelm Neef
Krummer Anton: Raimund Schelcher
Marthe: Erika Dunkelmann, Annegret: Karla Runkehl
Bröker: Erwin Geschonneck, Kalle: Harry Hindemith
Jens Voss: Wilhelm Puchert, Hede: Angelika Hurwicz
Klimm: Dieter Perlwitz, Christel Sikura: Helga Göring
Der alte Sikura: Hans Finohr
Wittig: Kurt Dunkelmann, Ekkehart: Ekkehard Schall
Die alte Sikura: Lotte Loebinger
Paderski: Otto Saltzmann, Palm: Otto Krone
Mann mit Lederjacke: Erich Franz
Elisabeth Bröker: Marga Legal
Gräfin von Holzendorf: Traute Sende
Darstellende
Frau Wittig: Martha Beschort-Diez
Ute Wittig: Barbara Brecht-Schall
Helene Klimm: Maria Wendt
Graf von Holzendorf: Heinz Kögel
Frau Palm: Annelise Matschulat
Pastor Popp: Paul R. Henker
Bräuning: Hans Klering
Bräunings Schwager: Hans W. Hamacher
Betrunkener Bursche: Horst Kube
Alter Bauer: Ludwig Sachs, Karsten: Albert Zahn
Agronom: Ulrich Thein, Bauer Kanne: Karl Brenk
Bauer Mallmann: Karl Kendzia
Bauer Weigant: Hermann Wagemann
Bauer Einsiedel: Herbert Rüdiger
Frau Paderski: Gertrud Brendler
Frau Fritsching: Ditha Cullmann
in weiteren Rollen: Ingeborg Chrobock, Paul Pfingst,
Alexander Papendiek, Gustav Püttjer, Ursula Weiß,
Anna-Maria Besendahl, Walter Stickahn, Elfriede
Florin, Jean Brahn, Ursula Mundt, Heinz Jennerjahn,
Jochen Thomas, Leonhard Ritter, Paul Lipinski,
Willi Rother, Ellen Plessow, Gertrud von Bastineller,
Liska Merbach, Gertruf Hiller, Harry Steinbeck,
Heinz Isterheil, Werner Senftleben, Erwin Behling,
Karl-Heinz Weiß, Frank Michaelis, Käthe Alving,
Else Sanden, Peter A. Stiege, Dora Thomszeck,
Erhard Markgraf, Einar List, Irene Hett, Ilona Ringer,
Lieselotte Fiebig, Wanda Bräuniger, Ursula Blank,
Alfhild Deleuil, Ursula Röschmann, Waltraut Kramm,
Grete Carlsohn, Hela Gruel, Elke Radtke,
Hannelore Schmidt, Brigitte Schmidt
Zum Inhalt
Annegret ist eine uneheliche Tochter des Grafen in einem mecklenburgischen Dorf.
Der Kutscher Anton hatte ihre Mutter geheiratet und war ihr ein guter Vater geworden.
Der Graf versprach mit Brief und Siegel, Annegret einst eine gute Mitgift zu geben. Doch
nach 1945 haben sich die Verhältnisse geändert. Der Graf ist enteignet. Annegret,
die nichts von ihrer Herkunft weiß, verliebt sich in den aus dem Krieg heimgekehrten
Maschinenschlosser Heinz. Durch Klatsch und Intrigen erfährt sie die Wahrheit über
ihre Eltern und verlässt das Dorf. Jahre später kehrt sie als diplomierte Zootechnikerin
und mit einem Sohn zurück und möchte die Bauern von effektiveren Methoden der Viehzucht überzeugen. Der ehemalige Gutsinspektor macht Stimmung gegen die »Grafentochter«. Dieses Spiel macht der »krumme Anton« nicht mit. Heinz und Annegret können endlich heiraten.
201
Ware für Katalonien
Produktionsland
Produktionsfirma
Produktionsleitung
Erstverleih
Uraufführung
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüme
Schnitt
Musik
Darstellende
Zum Inhalt
DDR, 1958/1959
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
Willi Teichmann
Progreß-Filmverleih, Berlin
6. März 1959, Filmtheater Capitol, Leipzig
Richard Groschopp
Lothar Creutz, Carl Andrießen, Richard Groschopp
Willi Brückner
Eugen Klagemann
Kameraführung: Karl Drömmer
Standfotos: Waltraud Pathenheimer
Erich Zander
Helga Scherff
Helga Emmrich
Hans Hendrik Wehding
Marion Stöckel: Eva-Maria Hagen
Sabine Falk: Hanna Rimkus
Unterleutnant Schellenberg: Hartmut Reck
Bob Georgi: Ivan Malré
Hasso Teschendorf: Wilfried Ortmann
Hauptmann Polland: Herwart Grosse
Angestellte bei Polland: Gerlind Ahnert
Hauptmann Germer: Fritz Dietz
Nappo: Jean Brahn, Zement-Otto: Gerhard Frei
Charlotte Gansauge: Carola Braunbock
Bachmann: Albert Garbe, Sigi: Norbert Christian
Johanna Stöckel: Loni Michelis
Junger Optikschmuggler: Manfred Krug
Portier: Werner Dissel, Prokurist: Friedrich Teitge
in weiteren Rollen: Peter Sturm, Marga Legal,
Marianne Wünscher, Werner Lierck, Walter Jupé,
Gerd Biewer
Basierend auf einer wahren Begebenheit: Ende der 1950er Jahre hat die Optik-Herstellung
in der DDR eine Spitzenqualität erreicht, die auch im Westen Begehrlichkeiten weckt. Als
es im Inland plötzlich zu einer wachsenden Nachfrage kommt, während gleichzeitig der
Export nach Südamerika stark abnimmt, wird die Volkspolizei aufmerksam. Zwei scheinbar
unzusammenhängende Fälle dienen Unterleutnant Schellenberg vom Dezernat für Op-
202
tikverschiebung als Ausgangspunkt für seine Ermittlungen: eine alte Frau, die in der Berliner S-Bahn festgenommen wird, weil sie ein Fernglas nach Westberlin schmuggeln wollte,
und ein Toter in einer Laubenkolonie, der einen undurchsichtigen Handel mit optischen
Geräten betrieben hat. Die Spuren führen die Kriminalisten schließlich in die »KantKlause«, die sich als Treffpunkt einer Bande entpuppt, die wertvolle Geräte aus der DDR
über Westberlin nach Spanien schmuggelt. Als Kopf der Bande wird der skrupellose Hasso
Teschendorf ausgemacht, genannt »der Spanier«, der auch bereit scheint, für seine Ziele zu
morden. Während Teschendorf nicht zu fassen ist, geht der Polizei immerhin der Schmuggler Bob Georgi ins Netz, der sich mit der ahnungslosen Ostberlinerin Marion verlobt hat.
Und auch privat kann Schellenberg einen Fang verbuchen: Er kommt mit der hilfreichen
Optik-Verkäuferin Sabine zusammen.
Der Regisseur Kurt Hoffmann
Die heitere Harmlosigkeit, die wir uns für diesen Abend gewünscht haben, entstand vor einem halben Jahrhundert. Als der Film 1959 in die DDR-Kinos kam,
geadelt mit einem Großen Preis des Internationalen Filmfestivals in Moskau für
die beste Komödie, galt uns Regisseur Kurt Hoffmann bereits als Garant für unbeschwerte Unterhaltung.
Den Ruf brachte er schon aus der Nazi-Zeit mit. Damals hatte er sich tapfer
und ehrenhaft jeder vordergründigen politischen Vereinnahmung entzogen und
mit Heinz Rühmann als Quax, der Bruchpilot seinen größten Publikumserfolg gefeiert.
Anders als seine propagandistisch weniger enthaltsamen Regie-Kollegen war
er in Goebbels’ Filmbetrieb nicht UK-gestellt. So befand man ihn als »abkömmlich« für einen späten Kriegsdienst. Den mußte er auch noch mit Gefangenschaft
büßen.
Nach Synchronarbeit und wenigen Versuchen im Problem- und Kriminalfilm
besann sich Hoffmann seiner langjährigen Erfahrung in anderen Genres. Mit Beginn der 50er Jahre kehrte er dauerhaft ins Lustspiel- und Komödienfeld zurück.
Seinen ersten Preis eroberte der friedfertige Mann 1954 für Moselfahrt aus Liebeskummer. Das war allerdings nur der bis dahin unbekannte und danach jedenfalls in der Filmgeschichte nie mehr verzeichnete »Deutsche Weinkulturpreis«.
Schon zuvor hatte Hoffmann die unerschütterliche Frohnatur und Lachnudel
Liselotte Pulver für die Doppelrolle seiner Verwechslungskomödie Klettermaxe
entdeckt. Mit ihr als Piroschka feierte er nicht nur Zuschauerrekorde, sondern
auch erste Film- und Kritikerpreise. Noch fünfmal verhalf er ihr zu attraktiven
Hauptrollen.
203
Auch in der DDR sah man die Pulver schon bald wieder. Die Bekenntnisse des
Hochstaplers Felix Krull aber waren vor allem reich an Abenteuern und Amouren
für den eher burlesken als feinsinnig komödiantischen Jung-Star Horst Buchholz,
jedoch arm im Vergleich mit Thomas Manns ironisch-hintergründigem Gesellschaftsbefund. In der weniger anspruchsvollen bundesdeutschen Filmlandschaft
waren sie immerhin einen Golden Globe wert.
Bald darauf strömten auch hierzulande die lachlustigen Massen zum Wirtshaus
im Spessart, das ihnen wenigstens im Kino offenstand.
1958 schließlich Wir Wunderkinder. Schon die Titelpersiflage auf das inzwischen im Bundesland bereits arg strapazierte Fahnenwort vom »Wirtschaftswunder« versprach einen dort seltenen, uns aber durchaus bestätigenden heiter-kritischen Umgang mit den Verhältnissen im benachbarten Staat. Und wir, die wir uns
über unsere eigene Wirtschaft ja zu wundern gewöhnt waren, wurden nicht enttäuscht. Vielleicht auch gerade deshalb, weil wir mit selbstkritischer, frechfrivoler künstlerischer Spiegelung unserer Zeitgenossen nicht gerade verwöhnt
wurden.
Hoffmann erzählt die 40jährige Geschichte zweier Kleinbürger mit sehr unterschiedlicher Biographie vor wechselnder Zeitkulisse in verschiedenen Genretönen. So ragt die Arbeit inhaltlich und stilistisch aus der Massenproduktion
zeitloser Allerweltskomik und dem Kitsch der Heimatfilme heraus, die der Adenauer-Parole treu folgten: Keine Experimente!
Vorsorglich wurde dem DDR-Publikum von 1959 zum besseren Verständnis
und zur kritischen Wertung eines Produkts der kapitalistischen Unterhaltungsindustrie ein Progreß-Filmprogramm von Karl-Eduard von Schnitzler in die Hand
gegeben. »Weil der Roman- und Drehbuchautor den Ausweg nicht kennt und seinen negativen Helden Bruno Tiches letztlich in einen Fahrstuhlschacht stürzen
läßt«, lieferte der Chefkommentator des Rundfunks den wißbegierigen, doch für
begriffsstutzig gehaltenen Zuschauern die richtige Erkenntnis nach: »Die Tiches
stürzen in Bonn nicht in Fahrstuhlschächte, sondern steigen zum Minister auf,
zum Wirtschaftsführer, zum Fördernden Mitglied des Vereins ›Rettet die Freiheit‹.«
Allein Schnitzlers folgende Prophezeiung entbehrte nicht einer gewissen Komik. Er sagte voraus: »Die Tiches alias Strauß und Schröder werden durch die
fortschrittlichen Kräfte gestürzt, die die Wahrheit erkennen und sich ihrer Kraft
bewußt werden ...«
Nun aber wollen wir mal sehen, ob das Vergnügen an den Wunderkindern, das
wir von damals in Erinnerung haben, sich wiederholt oder sich heute auf ganz
neue Weise herstellt.
204
Wir Wunderkinder
nach der Romanvorlage von Hugo Hartung
Produktionsland
Produktionsfirma
Produzent
Herstellungsleitung
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Geschäftsführung
Erstverleih
Uraufführung
Regie
Drehbuch
Kamera
Bauten
Kostüme
Maske
BRD, 1958
Filmaufbau GmbH, Göttingen
Hans Albich, Rolf Thiele
Hans Albich
Eberhard Krause
Frank Roell, Kurt Zeimert
Herbert Ledwoch
Constantin Film Verleih GmbH, München
28. Oktober 1958, München,
Sendlinger Tor-Lichtspiele
Kurt Hoffmann
Regieassistenz: Wolfgang Kühnlenz,
Manfred Kercher
Heinz Pauck, Günter Neumann
Richard Angst
Kamera-Assistenz: Alfred Westphal, Kurt Pfändler
Standfotos: Ferdinand Rotzinger
Franz Bi, Max Seefelder
Außenrequisite: Waldemar Hinrichs
Innenrequisite: Rolf Taute
Elisabeth Urbancic, Vera Otto (Assistenz)
Garderobe: Josef Dorrer, Josefine Kronawitter
Georg Jauss, Gertrud Weinz, Klara Krafft
Schnitt
Hilwa von Boro
Schnitt-Assistenz: Sophie Weber, Anneliese Nagel
Musik
Franz Grothe
Liedtexte: Günter Neumann
Ton
Darstellende
Walter Rühland
Hans Boeckel: Hansjörg Felmy
Bruno Tiches: Robert Graf
Kirsten Hansen: Johanna von Koczian
Vera von Lieven: Wera Frydtberg
Frau Meisegeier: Elisabeth Flickenschildt
Doddy Meisegeier: Ingrid Pan
Evelyne Meisegeier-Tiches: Ingrid van Bergen
205
Darstellende
Zum Inhalt
Schalle Meisegeier: Jürgen Goslar
Frau Häflingen: Tatjana Sais
Frau Roselieb: Liesl Karlstadt
Herr Roselieb: Michl Lang
Erklärer: Wolfgang Neuss
Hog: Wolfgang Müller
Chefredakteur Vogel: Peter Lühr
Herr Lüttjensee: Hans Leibelt
Bäuerin Vette: Lina Carstens
Siegfried Stein: Pinkas Braun
Dr. Sinsberg: Ernst Schlott
Toilettenmann: Ralf Wolter
Lehrer Schindler: Horst Tappert
Obsthändler: Franz Fröhlich
Alter Herr: Schmidt-Wildy
Obmann Wehackel: Karl Lieffen
Dr. Engler: Otto Brüggemann
Baron von Lieven: Helmut Rudolph
Frau Hansen: Karin Marie Löwert
Herr Hansen: Emil Hass-Christensen
1. Studentenkabarettist: Michael Burk
2. Studentenkabarettist: Rainer Penkert
3. Studentenkabarettist: Fritz Korn, Lisa Helwig
Herr Untermüller – geschnitten: Helmut Brasch
Kurt Hoffmanns Satire auf die Entwicklung Deutschlands während der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts erzählt die Geschichte der beiden Schulkameraden Hans und Bruno.
Die beiden könnten unterschiedlicher kaum sein: Während der strebsame Hans stets hart
für seine Karriere arbeiten muß, scheinen dem lebenslustigen Bruno die glücklichen
Zufälle nur so zuzufliegen. In den 20er Jahren etwa kommt Bruno durch Aktiengeschäfte
zu schnellem Geld; Hans muß sich derweil sein Studium durch den Verkauf von Zeitungen
verdienen. Als die Nazis die Macht in Deutschland übernehmen macht Bruno politische
Karriere und profitiert von der Enteignung der jüdischen Bevölkerung. Und nach dem
Ende des Dritten Reiches entdeckt der findige Bruno die diversen Schwarzmärkte als
lukrative Geldquelle, während Hans seine Familie kaum ernähren kann. Im Deutschland
der Wirtschaftswunderjahre steigt Bruno schließlich zu einem wohlhabenden Geschäftsmann auf. Als der Journalist Hans jedoch einen aufschlußreichen Artikel über die Karriere
seines Schulfreundes veröffentlicht, ist Bruno erbost über diesen Angriff auf seine Ehre.
Er sucht Hans in der Redaktion auf, um ihn einzuschüchtern.
206
For eyes only
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Auszeichnungen
Verleih
Regie
Szenarium
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Szenenbild / Bauten
Kostüme
Schnitt
Musik
Aufnahmeleitung
Produktionsleitung
Darstellende
DDR (1962/63)
19. Juli 1963, Berlin, Kino »Kosmos«
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
Künstlerische Arbeitsgruppe »Solidarität«
Nationalpreis III. Klasse (1964): Harry Thürk
Nationalpreis III. Klasse (1964): János Veiczi
PROGRESS Film-Verleih
János Veiczi
Regieassistenz: Eleonore Dressel
Harry Thürk nach einer Idee von Hans Lucke
Harry Thürk, János Veiczi
Heinz Hafke
Karl Plintzner
Kamera-Assistenz: Günter Heimann
Standfotos: Jörg Erkens, Wenzel
Alfred Drosdek
Gerhard Kaddatz
Christel Ehrlich
Günter Hauk
Manfred Peetz
Siegfried Kabitzke
Hansen: Alfred Müller, František: Ivan Palec
MID-Major Collins: Helmut Schreiber
MID-Colonel Rock: Hans Lucke
Schuck: Werner Lierck, Hartmann: Peter Marx
Oberst im MfS: Martin Flörchinger
Peggy: Eva-Maria Hagen, Max: Rolf Herricht
Charly: Gerd E. Schäfer, Hella: Christine Laszar
Major im MfS: Horst Schönemann
Liz: Ingrid Ohlenschläger, Gisela: Renate Geißler
Adelheid: Marion Van de Kamp
MID-General: Georg Gudzent
MID-Beobachter: Fred Ludwig
in weiteren Rollen: Dieter Knust, Eberhard Esche,
Hans Hardt-Hardtloff, Ingolf Gorges, Victor Grosman,
Perry Friedmann, Hans-Dieter Schlegel,
Horst Rienitz, Peter Friedrich, Norbert Flohr,
207
in weiteren Rollen
Hans Köcke, Fredy Barten, Maximilian Larsen,
Achim Schmidtchen u. a.
Sprecher: Gerry Wolff
Zum Inhalt
Die Würzburger »Concordia«-Handelsgesellschaft ist eine getarnte Dienststelle des MID,
Geheimdienst der US-Army. Seit Jahren wird von hier aus mit allen Mitteln der Spionage,
Sabotage und Diversion versucht, den sozialistischen deutschen Staat zu untergraben. Einen günstigen Zeitpunkt für einen militärischen Schlag sieht man in unmittelbarer Nähe.
Die Pläne dafür befinden sich im Safe von Major Collins. Hansen arbeitet seit Jahren für
ihn – und den Staatssicherheitsdienst der DDR. Daß es eine undichte Stelle gibt, weiß auch
Sicherheitschef Colonel Rock, aber Hansen hat bisher jeder Überprüfung standgehalten.
Sein Auftrag lautet jetzt: Beschaffung der Pläne, damit sie öffentlich gemacht werden können. Es gelingt Hansen, sie aus dem Safe zu holen und mit ihnen in einer atemberaubenden
Flucht in die DDR zu gelangen.
For Eyes Only – Ein Film und seine Geschichte
Eine Dokumentation der DEFA-Stiftung | Gunther Scholz Filmproduktion
Produktionsland
Premierendatum
Konzept und Realisierung
Kamera
Ton
Sprecher
Musik
14. Mai 2009
Gunther Scholz
David Schmidt, Axel Brandt
Michael Weigand
Christian Steyer
Robert Papst, Hugo Siegmeth
Tonmischung
Christian Wilmes
Farbkorrektur
ufuk genc, cine chromatix
Schnitt
Recherche und Produktion
Postproduktion
mit freundlicher Unterstützung
Rechtekontakt
208
BRD (2008)
Christian Zschammer
Matthias Remmert
Die Kosmonauten Cine Impuls Berlin
defa-spektrum, Progress Film-Verleih,
Chronos-Film Berlin
defa-spektrum GmbH
Der Autor und Regisseur Gunther Scholz
Geboren am 9. Oktober 1944 in Görlitz. Abitur, Schriftsetzer, angefangenes Studium der Theaterwissenschaft. Nach dem Militärdienst Filmstudium an der Filmhochschule Babelsberg, 1971 Regie-Diplom. Ab 1973 Regieassistent, ab 1978
Regisseur im DEFA-Studio für Spielfilme. Seit Januar 1991 freischaffend als Autor und Regisseur im Bereich TV-Spiel und -Serie, zuletzt hauptsächlich dokumentarisch tätig. Lebt in Berlin.
Quelle: 58. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog), nach: www.filmportal.d
Filmographie
2007/2008
2006
2002
2001
1998
1995
1994/1995
1989/1990
1988
1987
1986/1987
1985/1986
1985
1983
1982/1983
1980
1978/1979
1973
1969
Quelle: www.filmportal.de
Sag mir, wo die Schönen sind ...
(Co-Produzent, Drehbuch, Regie)
Wenn plötzlich alles anders ist ... Diagnose: gelähmt
(Drehbuch, Regie, Produzent)
Alles schon Geschichte (Drehbuch, Regie)
Die neue Bescheidenheit (Regie)
Einschub in den Bericht des Politbüros (Drehbuch, Regie)
Verbrechen, die Geschichte machten (Regie)
Imken, Anna und Maria (Regie)
Das Licht der Liebe (Regie)
Freitag, der 13. (Drehbuch, Regie)
Es war einmal ein Mittwoch (Regie)
Vernehmung der Zeugen (Regie)
Ab heute erwachsen (Drehbuch, Regie)
Hermann Henselmann, Architekt (Drehbuch, Regie)
Der dicke Lipinski (Drehbuch, Regie)
Verzeihung, sehen Sie Fußball? (Drehbuch, Regie)
Nicki (Drehbuch, Regie)
Ein April hat 30 Tage (Regie, Szenarium)
Fischzüge (Regie-Assistenz)
Zu jung für Memoiren (Drehbuch, Regie)
209
Karbid und Sauerampfer
Produktionsland
Premierendatum
Produzent
Verleih
Regie
Szenarium
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Licht
Requisite
Kostüme
Maske
Schnitt
Musik
Ton
Aufnahmeleitung
Produktionsleitung
Darstellende
210
DDR (1963)
27. Dezember 1963, Berlin, Kino Kosmos
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
Künstlerische Arbeitsgruppe »Roter Kreis«
PROGRESS Film-Verleih
Frank Beyer
Regieassistenz: Helmut Dziuba, Sigrid Meyer
Hans Oliva
Frank Beyer
Christel Gräf
Günter Marczinkowsky
2. Kamera: Hans-Jürgen Sasse
Kamera-Assistenz: Jörg Erkens
Standfotos: Heinz Wenzel
Alfred Hirschmeier
Bau-Ausführung: Willi Schäfer, Bruno Möller
Günther Müller
Theo Görgens
Helga Scherff
Lothar Stäglich, Rosemarie Stäglich
Hildegard Conrad
Joachim Werzlau
Bernd Gerwien
Oskar Ludmann, Gert Klisch
Martin Sonnabend
Kalle: Erwin Geschonneck, Karla: Marita Böhme
Clara: Manja Behrens, Karin: Margot Busse
Sänger: Rudolf Asmus, Kutscher: Fred Delmare
Amerikaner: Hans-Dieter Schlegel
Polizeikommissar: Bruno Carstens
Sowjetischer Kommandant: A. M. Presnezow
Wirtschaftsoffizier: Leonid P. Swetlow
Peter: Werner Möhring, Paul: Peter Dommisch
Mann mit Marmeladeneimer: Günter Rüger
1. Arbeiter: Fritz Diez, Ganove: Fred Ludwig
1. Lkw-Fahrer: Jochen Thomas
Darstellende
Sprecher
Zum Inhalt:
1. Frau im Sägewerk: Else Grube-Deister
2. Frau im Sägewerk: Gina Presgott
Alter Mann: Otto Saltzmann
2. Lkw-Fahrer: Albert Zahn
Beifahrer: Wolfram Handel
Fleischer: Gerd Ehlers
Kommissar: Hans Hardt-Hardtloff
1. Frau auf dem Friedhof: Agnes Kraus
2. Frau auf dem Friedhof: Sabine Thalbach
Mann mit Hut: Peter Kalisch
in weiteren Rollen: Anita Drechsler, Hanna Rieger,
Jochen Diestelmann, Harald Moszdorf, Horst Giese,
Werner Pfeifer, Eberhard Schneider, Gisela Graupner,
Ilona Rüger, Hans Schmidt
3. Frau auf dem Friedhof: Else Korén
4. Frau auf dem Friedhof: Anna-Maria Besendahl
5. Frau auf dem Friedhof: Gertrud Brendler
2. Arbeiter: Frank Michaelis
3. Arbeiter: Hermann Eckhardt
4. Arbeiter: Georg Helge
Eine Nachkriegsgeschichte aus dem kleineren und ärmeren Teil Deutschlands: Kalle,
der Nichtraucher und Vegetarier, soll zur Reparatur der Produktionsmaschinen im zerstörten Zigarettenwerk Karbid (Schweißen!) besorgen. Per Anhalter mit sieben Fässern voller Karbid durch die Besatzungszonen. Das ist so aufregend wie urkomisch. Und so wird
es auch erzählt: ein sehr schöner Film ohne Beschönigung!
Aus: Erwin Geschonneck »Meine unruhigen Jahre«
Hrsg. v. Günter Agde, Berlin/DDR, Dietz 1984
(…) Und so kam eins zum anderen. Auch die Musik von Joachim Werzlau spielte
eine gewisse Rolle: Kalles beschwerlichen Weg untermalte Werzlau mit dem bekannten Volkslied »Das Wandern ist des Müllers Lust«, sehr witzig variiert und
instrumentiert. In diese Variationen, die genau den Situationen angepaßt waren,
hatte er außerdem bekannte russische und amerikanische Melodien, zum Beispiel
»Kalinka«, eingearbeitet. Ich fand, das war eine sehr passende Filmmusik, weil
sie das Komische des Films weiterführte.
Besonders lustig war die ziemlich große Szene, in der Kalle in einem Motorboot zwischen sowjetischer und amerikanischer Besatzungsmacht auf der Elbe
entlangfährt, immer vorschriftsmäßig nach beiden Seiten grüßend. Ich kenne
mich mit Motorbooten nicht gut aus, aber die Techniker der DEFA halfen mir
211
bestens. In »Asta, mein Engelchen« haben wir diese Szene zitiert: Kalle weiß bei
seiner Bootsfahrt manchmal nicht, auf welcher Seite er ist. Wenn ich in »Asta« als
Pförtner-Schauspieler frage: »Bin ich hier in der sowjetischen Besatzungszone?«,
so ist das ein Zitat aus »Karbid und Sauerampfer«. Im Unterschied zur Originalfigur »verlor« unser Kalle auf seinem Weg fünf Fässer. Dabei ging es mitunter
nicht immer nach klassischem Recht und Gesetz zu. Aber die Stationen zeigten
insgesamt heitere Seiten, komische Begebenheiten einer ernsten Zeit. Und über
allem glänzte der unverwüstliche Optimismus dieses Kalle.
Natürlich haben wir auch Kalles Mutterwitz ordentlich ausgenutzt. Und
schließlich: Kalle ist ein Arbeiter reinsten Wassers! Er unternahm das alles nicht
für seine eigene Tasche, sondern für seine Kollegen und für seinen Betrieb. Dabei
fehlte es ihm nicht an Anfechtungen. Unterwegs sagt ihm einer: »Verkauf das
Zeug, du bist ein gemachter Mann!« Oder: »Wozu schindest du dich für andere
ab?« Aber Kalle erfüllt treu und ordentlich seine Aufgabe.
Hans Oliva hatte diverse Abenteuer dieses Kalle auf seiner »Reise mit Hindernissen und mit Karbid« notiert. Nun saßen wir oft mit Frank Beyer zusammen,
tauschten unsere Gedanken aus, wie man diese hübsche, eigentlich ganz einfache,
sehr komische Geschichte ausbauen und zu einem Film machen konnte. Ausgangspunkt war und blieb für uns, daß in einer verworrenen Zeit ein Arbeiter sich
auf den Weg macht, um Karbid zu »organisieren«. Dann haben wir alles mögliche
hinzufabuliert, zum Beispiel, daß dieser Kalle so unheimlich viel Glück bei
Frauen hat, daß er, ein eingefleischter Nichtraucher, ausgerechnet in einer Zigarettenfabrik arbeitet, daß Kalle von seinen Kollegen losgeschickt wird, weil er
Vegetarier ist, denn da hat er in diesen Hungerzeiten unterwegs keine Ernährungsprobleme.
Daß Kalle Vegetarier ist, stammt von mir, weil ich selber einmal Vegetarier
war. Bloß: Komisch wirkt ein Vegetarier natürlich erst in einer Zeit, in der es sowieso kein Fleisch gibt und die Leute hungern. Das verfremdet und wirkt dadurch
komisch. Dazu ist dieser Kalle, der sich von Sauerampfer und Kresse ernährt,
noch ein sehr kräftiger Mensch, der auch noch viel Kraft bei Frauen hat! Das ist
vielleicht ein bißchen übertrieben, aber es ist natürlich auch etwas Wahres daran.
Man muß ja nicht immer Fleisch essen. Ich bin ja damals, in den zwanziger Jahren, Vegetarier geworden aus Not, und in den vegetarischen Restaurants gab es
billiges, gutes, schmackhaftes Essen, hervorragenden Spinat und Eier, Kartoffelbrei oder süße Grießspeisen.
212
Geschichten jener Nacht
Das 11. Plenum des ZK Ende 1965 hatte für das Studio fatale Folgen. Den ersten
drei Verbotsfilmen folgten bald weitere und mehrere Produktionsabbrüche. Eine
externe Kommission kontrollierte alle drehreifen Bücher. Das Ergebnis war eine
klaffende Produktionslücke. Dem Studio drohte der Entzug staatlicher Subventionen zugunsten des Fernsehens. Für jeden Verantwortlichen waren die ökonomischen Folgen so bedrückend wie die politische Verunsicherung. Dies alles neun
Monate vor dem VII. Parteitag der SED.
Die zügige Verfilmung eines belobigten Theaterstücks wie seinerzeit Die Feststellung von Helmut Baierl, »zu Ehren des V. Parteitags der SED« 1958, bot sich
nicht noch einmal an. Produktionschef Albert Wilkening hatte jetzt eine filmfreundlichere Idee.
Um das Studio politisch zu rehabilitieren, sollten wir einen Episodenfilm drehen. Nur so war eine rasche Stoffentwicklung mit mehreren Autoren und die
gleichzeitige Realisierung in drei bis vier Produktionen denkbar, um die Uraufführung noch im April 1967 zu gewährleisten.
Am Rande einer Präsidialratstagung des Kulturbundes hatte er dem Kandidaten des Politbüros Horst Sindermann davon erzählt. Und der hatte ihm spontan
das propagandistisch wünschenswerte Thema suggeriert – die Betriebskampfgruppen der Arbeiterklasse und ihr Einsatz am 13. August 1961 zur Schließung
der noch nicht mauerbewehrten Grenze zu Westberlin.
»Sindermann macht’s möglich«, so hörte man zuweilen die kühne Abwandlung
eines westlichen Werbeslogans. Manche Veränderung im größten industriellen
Ballungsraum der DDR wurde ihm zugeschrieben, nachdem er 1963 SED-Bezirkschef in Halle geworden war. Seine Kulturpolitik war höchst widersprüchlich.
Da gab es die heftigen Attacken seiner Parteizeitung Freiheit gegen Buch und
Film Der geteilte Himmel, von der Berliner Zentrale toleriert, doch nicht zur »Linie« geadelt. Wenig später lockte Spur der Steine noch viele Filmtouristen nach
Halle, als ihn der Leipziger Nachbarregent Paul Fröhlich bereits aus den Kinos
verbannt hatte. Sindermann hatte Gerhard Wolfram als Intendant und Horst Schönemann als Oberspielleiter aus Berlin an sein Landestheater geholt, das bald darauf mit Bühnenfassungen von Hermann Kants Aula und Ulrich Plenzdorfs nicht
realisiertem Filmstoff Die neuen Leiden des jungen W. Furore machte.
Auf dem 11. Plenum aber hatte Sindermann die »Kaninchen-Filme«, wie er
sagte, auf fehlerhafte Theorien und Elite-Anmaßungen »arroganter Intellektueller« wie Stefan Heym und »kulturloser Reimer« wie Wolf Biermann zurückgeführt. Biermann rächte sich an ihm 1976 in Köln mit dem Schmäh »Sindermann,
du blinder Mann«.
An einem Septemberabend lud dieser neue DEFA-Schutzpatron den Chefdramaturgen Günter Schröder und mich in sein bescheidenes Einfamilienhaus am
213
Hallenser Stadtrand. Sindermann kam gleich zur Sache. Er wolle gern beratend
zur Seite stehen, als Genosse, nicht als Funktionär, Kontrolleur oder Zensor. Kontakt mit ihm halte der junge Mann, der vor uns gekommen war, Karlheinz Carpentier, Nachwuchsregisseur im Zweigstudio Halle des Fernsehens. Von ihm stamme
nämlich die Idee, Bruchstücke aus seiner, Sindermanns, Biographie zu nutzen.
Was für einen abendfüllenden Spielfilm personenkultverdächtig sei, möge für
eine Episode, namentlich verfremdet, vielleicht angehen. Mit allen politischen
und organisatorischen Fragen oder Hilfeersuchen solle sich die DEFA also
zunächst an Carpentier wenden.
Sindermann, Jahrgang 1915, wurde als Gymnasiast Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes, als Funktionär schon 1934 verhaftet und zunächst im
Zuchthaus Waldheim, später in den KZ Sachsenhausen und Mauthausen bis 1945
inhaftiert. Er gehörte zur Gruppe der »Roten Bergsteiger«, die nach dem Machtantritt der Nazis bedrohte Antifaschisten illegal über die erzgebirgische Grenze in
die Tschechoslowakei retteten und lange Zeit den Kurierdienst zwischen Prag und
Berlin aufrechthielten.
Carpentier wollte mit der Gegenwartsstory Phönix an die Kämpfe erinnern, als die
Antifaschisten ihren Gegnern noch waffen- und machtlos unterlegen waren. Sindermann schlug vor, die Episode durch eine Auseinandersetzung zwischen einem kämpferischen kommunistischen Maler und einem verzweifelten, pessimistischen Dichter
zu aktualisieren. Damit waren zusätzliche dramaturgische Sorgen programmiert. Wir
brachten als Autor Helmut Baierl ins Gespräch, der sich thematisch bereits mit seinen
Szenen vom 13. empfohlen hatte. Sindermann aber wünschte die Mitarbeit weiterer
Autoren seines Bezirks. Er dachte an Erik Neutsch und Hans Jürgen Steinmann, erstaunlicherweise auch an Werner Bräunig, der nach dem Vorabdruck seines unvollendeten Wismut-Romans Rummelplatz gerade politisch scharf attackiert wurde.
Auch für die Hauptrollen ermunterte Sindermann ausdrücklich zur Besetzung
von Darstellern aus den verbotenen Filmen. Man müsse jedem Gerücht um
»schwarze Listen« entgegenwirken. So konnte man bald Hans Hardt-Hardtloff
(aus Denk bloß nicht, ich heule; Karla; Berlin um die Ecke), Erwin Geschonneck
und Dieter Mann (Berlin um die Ecke), Eberhard Esche und Johannes Wieke
(Spur der Steine), Inge Keller (Karla) und Angelika Waller (Das Kaninchen bin
ich) im Parteitagsfilm versammelt sehen. Vom später so oft erwähnten »Besetzungsboykott« oder »Berufsverbot« konnte keine Rede sein. Unduldsam war
Sindermanns Urteil allein über seinen Genossen und ZK-Kandidaten Hans-Peter
Minetti, dem er die realitätsnahe Gestaltung des dogmatischen Parteisekretärs
Bleibtreu in Spur der Steine nicht verzeihen wollte.
Zum 7. Oktober 1966 wurden die zur Mitarbeit bereiten Autoren und Regisseure ins Hallenser Gästehaus der Partei zu einer »Spinnstunde« eingeladen,
heute »brain-storming« genannt, um sich über ihre Ideen für den Novellenkranz
auszutauschen. Ich nutzte die nächste Parteiversammlung des künstlerischen Bereichs, um Mitstreiter zu gewinnen. Regisseur Gerhard Klein war sofort an einer
214
komödischen Idee Helmut Baierls interessiert, und Frank Vogel wollte einen bestehenden Kontakt zu Werner Bräunig nutzen. Erik Neutsch, von den Turbulenzen der
Romanverfilmung eher unberührt, brachte seine Fernsehbekanntschaft Ulrich Thein
als Regiepartner mit. Die Zusammenkunft so unterschiedlicher persönlicher und
künstlerischer Biographien ließ sofort erkennen, daß trotz politischer Übereinstimmung an ein Kollektivwerk im früher einmal propagierten Sinne nicht gedacht werden konnte. Carpentiers Vorstellung, seine Story als eine Art Rahmen anzulegen, in
das sich die Episoden der anderen einzupassen hätten, wurde gar nicht erst diskutiert. Alle wollten ganz rasch ihre Idee in einem Exposé niederlegen. Nur zur Vermeidung von Doppelungen sollte ein Manuskriptaustausch erfolgen.
Nach Zustimmung des Studios mußten die Episoden ohne weitere Zwischenstufen möglichst als Regiedrehbuch in engster Zusammenarbeit von Autor, Dramaturg und Regisseur entwickelt werden. Zeitliche Sorge bereitete trotz solchen
Mäzenatentums die hohe Hürde der Drehbuchabnahme und Produktionsfreigabe
durch die HV Film. Und es drohte die auch von Sindermann für nötig gehaltene
Konsultation der Abteilung Sicherheit des Zentralkomitees. Ohne deren Zustimmung und Weisung war keine einzige Kampfgruppeneinheit für die Aufnahmen
zu mobilisieren, an welchem Drehort auch immer.
Die Zeitnot erzwang die sofortige Zusammenarbeit der Autoren und Regisseure. Thein machte seinen Kameramann Hartwig Strobel zum Mitautor für
Neutschs dramatische Fluchtgeschichte Die Prüfung.
Bräunig entwarf mit Frank Vogel das epische Filmporträt einer typischen
Arbeitergestalt: Materna. Die weitgehend stumme Bilderzählung, begleitet von
einem inneren Monolog, den wir »Gedankenstimme« nannten, galt als künstlerisches Experiment. Kummer bereitete die Alleinarbeit von Carpentier, die sich bereits im Buch zu halb abendfüllender Länge auszubreiten drohte, durch mehrfache
Rückblenden zusätzlich erschwert.
Meine größten künstlerischen Hoffnungen richteten sich auf die Zusammenarbeit des Bühnenautors Helmut Baierl mit dem Filmfanatiker Gerhard Klein an der
für Erwin Geschonneck konzipierten Komödienidee Der kleine und der große
Willi. Diese zwei schönen Generations- und Charakterstudien versprachen einen
publikumswirksamen, ironisch-heiteren Umgang mit dem politisch aufgeladenen
und konfliktträchtigen Gegenstand.
Nachdem die Drehbücher alle Abnahmeinstanzen passiert hatten, war die
Ernüchterung maßlos, als gerade diese Geschichte auf totale Ablehnung stieß. Die
Idee sei absolut unbrauchbar, politisch falsch und in der Darstellung unrealistisch.
So ließ es uns die Sicherheitsabteilung des ZK über die HV Film wissen. Man
solle auf diese Episode verzichten.
Hatten diese Genossen etwas anderes gelesen als alle, die bereits »grünes
Licht« gegeben hatten – vom Chefdramaturgen über die Hauptverwaltung bis
zum Politbüro-Mann in Halle? Was hatte die höchsten Wächter über die Kampfgruppenehre so in Harnisch gebracht?
215
»Mangelnde militärische und politische Wachsamkeit in der Alarmnacht
gegenüber einem Feind«, wie hier erzählt, gab es nicht und durfte es auch im Film
nicht geben.
Die »Würde der Kampfgruppenzugehörigkeit« dürfe einem potenziellen »Grenzverletzer«, wenn überhaupt, dann höchstens nach jahrelangem Umerziehungsprozeß zuteil werden. Neben Verstößen gegen das halbmilitärische Reglement und
diverse Dienstvorschriften hatte die Auguren die vermeintliche Doppelmoral
unseres positiven Helden aufgebracht: Westberliner suchen die uniformierten
Maurer nicht allein durch Zurufe zu provozieren, nein, sogar mit einer Schachtel
amerikanischer Zigaretten. Der große Willi fängt sie auf und mauert sie zur merklichen Enttäuschung der Spender in die Grenzbefestigung ein. Doch nur die leere
Schachtel sollte im Zement begraben sein. Insgeheim verteilt er die geschickt geretteten Glimmstengel an seine Genossen. Solch apolitische Produktanbetung
wollte man weder der Kunstfigur noch den offenbar ideologisch anfälligen Künstlern durchgehen lassen.
Der Hilferuf des Dramaturgen traf einen überraschten Sindermann. Nein, der
Abteilungsleiter im ZK hatte nicht mit ihm gesprochen. Er könne mangels Zuständigkeit da nichts machen. Die letzte Kompetenz für Sicherheitsfragen liege
beim ZK-Sekretär Erich Honecker. Doch den könne man damit wirklich nicht
behelligen, schon gar nicht als Schiedsrichter zwischen politisch-militärischen
Fachleuten und Künstlern.
Immerhin ließ sich der zuständige ZK-Abteilungsleiter vom Politbüro-Genossen wenigstens zu einem »Meinungsaustausch« mit Helmut Baierl und seinem
Dramaturgen überreden. Nach landläufiger Interpretation des viel strapazierten
Begriffs ging er davon aus, daß die Filmleute mit ihrer Meinung zu ihm kommen,
um mit seiner wieder zu gehen.
Für manches militärische Detail zeichneten sich im kollegial geführten Streitgespräch Lösungen ab. Allein Baierls Argument, ein Arbeiter vernichte kein Genußmittel, stamme es selbst aus kapitalistischer Produktion, durfte in der »siegreichen Klassenschlacht« des Jahres 1961 nicht gelten. Immerhin wurde unser
Versprechen akzeptiert, uns um andere Lösungen zu bemühen. Die Skepsis aber
blieb. Die Entscheidung über Produktionsfreigabe und Zulassung eines Films
liege ja ohnehin nebenan bei der HV Film. Doch dort würde man sich, wie schon
beim Drehbuch, doch wieder hierorts rückversichern...
Gerhard Klein, nach Operation mitten in der Rekonvaleszenz, ließ sich von
solchem Verdikt weniger schrecken als sein eher folgsamer Dichter-Genosse. Der
erfand für die überraschende Wandlung des aufmüpfigen kleinen Willi zum
vertrauenswürdigen Kämpfer eine komische Rahmensituation mit freundlichironischem Bezug.
Trotz der Vorbehalte der Sicherheitsfanatiker wurden die Dreharbeiten in letzter Minute freigegeben. Alle hofften, daß der überzeugende Gesamteindruck die
Bedenken zum nicht-naturalistischen Detail beschwichtigen werde.
216
»Verletzungen der militärischen Regeln werden durch die menschlich warme
und optimistische Ausstrahlung dieser Episode und des positiven Helden glücklich überspielt, so daß eine negative politische Wirkung nicht zu befürchten ist.«
So kämpfte ich noch in unserer Abnahmeempfehlung um die kleinen künstlerischen Freiheiten, die wir den Zensoren zugemutet hatten.
Nur mit organisatorischer Präzision und ökonomischer Disziplin aller Drehstäbe war der geplante Uraufführungstermin zu halten. Alle August-Aufnahmen
mußten zwischen Januar und März realisiert werden. Autor Carpentier hatte es
sich als Regisseur durch eine Vielzahl von Außenaufnahmen mit großem militärischem Aufwand und den höchsten Kosten besonders schwer gemacht. Er beendete die Dreharbeiten als Letzter Mitte März. Zu allem Unglück fiel ein Teil dieses Aufwands am Ende der Schere zum Opfer, weil die Länge der Geschichte ihre
Tragfähigkeit überforderte. Buchstäblich in letzter Minute stand wenigstens eine
Kinokopie zur Verfügung.
Die festliche Uraufführung der Geschichten jener Nacht, meine Titelerfindung,
fand im Filmtheater International am 17. April vor einer großen Gruppe ins Kino
gesandter Delegierter des VII. Parteitags statt. Männer aus der Parteiführung waren nicht darunter, denn es war der Eröffnungstag mit einem Abendempfang für
die ausländischen Gäste.
Die Aufmerksamkeit der vom Rede-Marathon stark in Anspruch genommenen
Konferenzteilnehmer war erstaunlich. Die komödische Themenvariante am Ende
erwies sich als wirkungsvoll und in ihren heiteren Nuancen treffsicher.
Der Beifall war freundlich anerkennend. Doch an »stürmischen Applaus«, wie
von diesem Publikum geübt und am ehesten erwartet, weiß ich mich nicht zu erinnern. Traurig aber stimmte, daß Gerhard Klein weder die Erstaufführung noch die
offizielle Premiere im Juni miterleben konnte. Der Gruß der Versammelten wurde
ihm von mir in die Klinik in Berlin-Buch überbracht, wo ihn eine neuerliche, die
letzte Operation erwartete ... Nur seine und Frank Vogels Episode erhielten das
Prädikat »wertvoll«. Es war Kleins letzte abgeschlossene Arbeit. Er starb am
21. Mai 1970 an seinem Krebsleiden.
Im Urteil der Geschichte über die Geschichten ist Klaus Wischnewski zuzustimmen: »Der Film ist von bekannten Künstlern mit Sorgfalt gearbeitet.(...) Nur
eine der vier Episoden hat die ästhetische Dimension des geschichtlichen Stoffes,
gesehen und gewertet aus einer bestimmten Position«. Die sah er in der damals
kräftig belachten Dialogpointe des großen Willi: »Ein Gespenst geht um in
Europa, und das sind zur Zeit wir«. Rückblickend fragte der Kritiker mit Recht
nach dem tragischen Aspekt im Episodenkranz. »Der historische Moment fand
keine ästhetische Entsprechung. Man verharrte im provinziellen Selbstverständnis
1
der Geschichte.« Der Dramaturg konnte und kann diesem Urteil nur zustimmen.
1
Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg, Berlin 1994, S. 219 f.
217
Geschichten jener Nacht
Produktionsland
Premierendaten
Produzent
Auszeichnungen
Episode 1: Phönix
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Szenenbild/Bauten
Voraufführung: 17. April1967, Berlin/DDR
(Aufführung vor Delegierten des VII. Parteitags der
SED), Voraufführung: 14. Mai 1967, Karl-MarxStadt, Luxorpalast, aus Anlaß des VIII. Parlaments
und des Pfingsttreffens der FDJ, Uraufführung:
8. Juni 1967, Berlin/DDR, International,
TV-Erstsendung: 13. August 1968, DFF 1
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
Künstlerische Arbeitsgruppe »Babelsberg 67«
Prädikat: »Wertvoll« für die Episoden »Materna«
und »Der große und der kleine Willi« (1967)
PROGRESS Film-Verleih
Karlheinz Carpentier
Regieassistenz: Eleonore Dressel
Karlheinz Carpentier
Dieter Wolf
Hans-Jürgen Sasse
Standfotos: Roland Dressel, Alexander Schnittko,
Ferdinand Teubner, Heinz Wenzel
Alfred Drosdek
Kostüme
Babette Koplowitz
Schnitt
Susanne Carpentier
Maske
Frank Zucholowsky, Günter Hermstein
Musik
Georg Katzer
Aufnahmeleitung
Paul Lasinski
Ton
Produktionsleitung
Choreographie
technische Beratung
Darstellende
218
DDR (1966/67)
Klaus Wolter
Dieter Dormeier
Isolde Pötzsch
Fritz Fliegauf, W. Kreft
Kommandeur: Hans Hardt-Hardtloff
Junger Karl: Peter Reusse
Bräutigam von 1933: Peter Sindermann
Darstellende
Episode 2: Die Prüfung
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Szenenbild/Bauten
Kostüme
Maske
Braut von 1933: Renate Bahn
Fremder: Gerry Wolff, Maler: Raimund Schelcher
Uniformierter: Werner Lierck
Fahrer: Jochen Zimmermann
Bräutigam von 1961: Dietmar Obst
Braut von 1961: Jutta Peters, General: Erich Mirek
2. Kommandeur: Hans H. Neubert
Skiläufer mit Leuchtpistole: Walter Kühn
Flugzeugführer: Walter Schmeier
Bordmechaniker: Dieter Neureuther
1. Tänzerin: Isolde Pötzsch, 2. Tänzerin: Karin Vetter
3. Tänzerin: Kriemhild Backmann-Eufe
4. Tänzerin: Petra Rogge-Kühn
1. Tänzer: Bernd Schürmann
2. Tänzer: Herbert Hentschel
3. Tänzer: Hans-Dieter Scheibel
4. Tänzer: Dimiter Bolger
Ulrich Thein
Ulrich Thein, Erik Neutsch, Hartwig Strobel
Dieter Wolf
Hartwig Strobel
Standfotos: Roland Dressel, Alexander Schnittko,
Ferdinand Teubner, Heinz Wenzel
Alfred Hirschmeier
Günther Schmidt
Klaus Becker, Monika Mörke
Schnitt
Lotti Mehnert
Ton
Konrad Walle
Musik
Aufnahmeleitung
Produktionsleitung
Darstellende
Günter Hauk
Kurt Lichterfeld, Katja Saeger
Dieter Dormeier
Robert Wagner: Dieter Mann
Heinrich Huth: Horst Schulze
Jutta Huth: Jenny Gröllmann
Margitta Huth: Inge Keller
Dr. Ernest Huth: Eberhard Esche
Gisela: Regina Beyer, Barfuß: Norbert Speer
Helmut: Otmar Richter, Professor: Martin Flörchinger
Direktor: Wolfgang Luderer, Lehrer: Willi Wenghöfer
Lehrerin: Luise Ziehm
219
Episode 3: Materna
Regie
Frank Vogel
Dramaturgie
Dieter Wolf
Drehbuch
Kamera
Szenenbild/Bauten
Kostüme
Maske
Schnitt
Musik
Ton
Aufnahmeleitung
Produktionsleitung
Darstellende
Werner Bräunig, Frank Vogel
Claus Neumann
Standfotos: Roland Dressel, Alexander Schnittko,
Ferdinand Teubner, Heinz Wenzel
Harald Horn
Helga Scherff
Klaus Becker, Monika Mörke
Brigitte Krex
Wolfgang Pietsch
Klaus Wolter, Gerhard Ribbeck
Jürgen Kussatz
Dieter Dormeier
Materna: Ulrich Thein, Hanna: Angelika Waller
Wiczorek: Johannes Wieke, Kilian: Werner Dissel
Ulli: Frank Reckslack, Maurer: Werner Kanitz
Maurer: Winfried Glatzeder
Episode 4: Der große und der kleine Willi
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Szenenbild/Bauten
Kostüme
Maske
Schnitt
Musik
Ton
Aufnahmeleitung
Produktionsleitung
220
Gerhard Klein
Helmut Baierl, Gerhard Klein
Dieter Wolf
Peter Krause
Standfotos: Roland Dressel, Alexander Schnittko,
Ferdinand Teubner, Heinz Wenzel
Alfred Drosdek
Gerold Winkler
Margarete Walther, Wolfgang Möwis
Evelyn Carow
Wilhelm Neef
Hans-Joachim Kreinbrink
Hans Berek
Dieter Dormeier
Darstellende
Zum Inhalt
Willi Lenz: Erwin Geschonneck
Wilfried Zank: Jaecki Schwarz
Kämpfer mit Brille: Christoph Engel
Karl: Rudolf Ulrich, Melder: Ernst-Georg Schwill
Müder Kämpfer: Otto Stark
Mann mit Kostgeld: Albert Zahn
Frau: Marianne Wünscher, Frau: Ingeborg Naß
Posten mit Frauen: Peter Kalisch
Flüchtling: Willi Schrade, Freund: Peter Hill
Westjunge: Eberhard Schaletzki
Freund (Frend?): Roman-Eckhard Gallonska
Vier Episoden, die unterschiedliche Menschen in Entscheidungssituationen zeigen – in
der Nacht vom 12. zum 13. August 1961. In »Phönix« entschließt sich ein Kampfgruppenkommandeur, seinen jungen Genossen in jener Nacht zu Hause zu lassen, denn der
feiert gerade Hochzeit. 1933 hatte er eine ähnliche Situation erlebt. Damals kam der
Genosse dennoch – wie der junge Mann heute. In »Die Prüfung« entscheidet sich ein
18jähriges Mädchen, ihren republikflüchtligen Eltern nicht in den Westen zu folgen.
Der Maurer »Materna« hatte sich 1945 geschworen, nie wieder ein Gewehr in die Hand
zu nehmen. Die Ereignisse des 17. Juni 1953 veränderten seine Haltung, und auch in
dieser Nacht steht er mit dem Gewehr Posten. »Der große und der kleine Willi« – der
kleine versucht, in einer geklauten Kampfgruppenuniform nach Westberlin zu kommen,
der große hält ihn auf. Bei einem brutalen Angriff anderer Flüchtlinge schlägt sich
der kleine Willi auf die Seite des großen, der ihm durch sein verständnisvolles Verhalten
Achtung abgerungen hatte.
221
Jakob der Lügner
Nur die wichtigsten Umstände der Entstehung des Films möchte ich ihnen hier
mitteilen. Frank Beyer hat uns glücklicherweise in seiner Autobiographie, wie er
schreibt, »Die wahre Geschichte von Jakob dem Lügner« überliefert.1 »Sie beginnt
damit, daß Vater Becker seinem Sohn Jurek, Philosophiestudent und angehender
Schriftsteller, eine Geschichte aus dem Getto ~
Lódz erzählt. Ein Mann dort besaß
ein Radio. Das war streng verboten und mit der Todesstrafe bedroht. Dieser Mann
versorgte das Getto mit Nachrichten (...) besonders von den vorrückenden Russen. Mit der Roten Armee verbanden die Gettobewohner ihre Hoffnung auf Befreiung. Dieser Mann war ein Held, und seine Geschichte solltest du aufschreiben,
meinte Vater Becker.«
Sohn Jurek glaubte, Geschichten dieser Art schon bei anderen gelesen zu haben. Doch Vaters Erzählung ließ ihn nicht los. Erst mit einer überraschenden Idee
wurde aus dem Vorgang, aus dem Stoff, die unverwechselbare künstlerische Gestalt, die einzigartige Story. Statt eines weiteren Helden-Epos schrieb der Autor
die berührendste Tragik-Komödie der DEFA-Geschichte.
Frank Beyer lernte das Szenarium im Frühjahr 1964 kennen, mitten in der Vorbereitung auf Spur der Steine. Noch während dessen Endfertigung im Herbst
1965 schrieb er mit Becker das Drehbuch und lieferte es am 15. Dezember ab. Es
war der Vorabend des 11. Plenums. Doch trotz hitziger Debatten um Spur der
Steine gab die neu eingesetzte Studioleitung die Produktionsvorbereitung frei.
Nach der Abnahme von Spur der Steine durch den Beirat der HV Film reisten
Beyer und Becker in Begleitung eines polnischen Produktionsleiters zehn Tage
durch Ost- und Südpolen zu den Orten, in denen die Faschisten jüdische Bürger in
Gettos zusammengepfercht hatten. In Krakau fanden sie im sehr alten, ehemals
jüdisch besiedelten Stadtbezirk einen idealen Außenschauplatz für ihren künftigen
Film. Die Recherche hatte jedoch auch ein ernüchterndes Ergebnis. Die Sowjetarmee hatte wohl Auschwitz, aber kein einziges Getto befreien können, weil die SS
die Bewohner vorher ermordet, deportiert oder in westlicher Richtung fortgetrieben hatte. Dieser Umstand sollte für den Film eine weitere tragische Zuspitzung
erlauben.
Nachdem die polnischen Filmbehörden das Drehbuch kannten, erklärten sie ihr
Desinteresse an einer Koproduktion, auch baldige Dienstleistungen für die
Außenaufnahmen und die Mitwirkung polnischer Schauspieler und Kleindarsteller wurden ausgeschlossen. Frank Beyer versprach der Leitung, eine andere Realisierungsmöglichkeit zu suchen.
1
Wenn der Wind sich dreht. Meine Filme, mein Leben, München 2001, S. 180 ff.
222
Doch inzwischen war Spur der Steine verboten. Schlimmer noch, höheren Orts
hatte man beschlossen, den uneinsichtigen Regisseur zur »Bewährung« wenn
schon nicht »in die Produktion«, dann wenigstens weg vom Studio Babelsberg
ans Theater nach Dresden zu schicken. In der Westpresse kursierten nun wilde
Spekulationen, von Frank Beyer kompetent dementiert: Der Spiegel wollte wissen, Becker sei mit seinem Buch in Babelsberg durchgefallen. Und Die Welt
kannte gar die Gründe, »der kleinbürgerliche Pufferbäcker Jakob« habe nicht ins
DEFA-Schema des positiven Helden und Widerstandskämpfers gepaßt.«
Bemühungen des Studios und der HV Film, den Regisseur in die Festanstellung zurückzuholen, wurden von einflußreicheren Stellen blockiert. So kam es,
daß Beyer erstmals 1971 mit dem Mehrteiler Rottenknechte wenigstens wieder
auf dem Bildschirm präsent sein durfte. Es folgte ein vierteiliger Gegenwartsfilm
mit seiner Frau Renate Blume in der Hauptrolle, Die sieben Affären der Dona
Juanita. Die Theaterarbeit hatte sie in Dresden zusammengeführt.
Jurek Becker war während der langen Liegekur seines Drehbuchs im Babelsberger Dramaturgiearchiv produktiv. Er machte es ebenso wie sein nicht weniger
enttäuschter Schriftsteller-Kollege Bruno Apitz mit der Filmidee für Nackt unter
Wölfen. Auch Becker entwickelte Jakobs Geschichte erst einmal zum großartigen
Roman.
Die Resonanz im In- und Ausland gab dem fast vergessenen Filmplan neuen
Impuls.
Das ZDF wollte die Verfilmungsrechte erwerben, weil Heinz Rühmann von der
Lektüre so fasziniert war, daß er sich um die Hauptrolle bewarb. Es ist Jurek
Becker hoch anzurechnen, daß er sich noch immer mit Frank Beyer im Wort
fühlte und nicht sofort das auch finanziell verlockende Angebot annahm. Beyer,
nun in Adlershof zwar fest angestellt, doch nie wirklich künstlerisch beheimatet
wie in Babelsberg, schlug dem Fernsehintendanten Heinz Adameck eine Koproduktion mit der DEFA vor.
So konnte der altgediente DEFA-Regisseur nach acht Jahren endlich seine Arbeit im Studio wieder aufnehmen, wo sie 1966 unterbrochen worden war.
Schon damals wollte Beyer die Hauptrolle mit Vlastimil Brodský besetzen, einem alten Freund noch aus Prager Studientagen. Nun gab es aber das Angebot
von Heinz Rühmann, auch in einem DEFA-Film zu spielen. »Aber die Entscheidung zwischen dem populären Rühmann und dem in Deutschland wenig bekannten Brodský wurde mir abgenommen. (...) Es klingt absurd, aber tatsächlich hatte
Erich Honecker das letzte Wort in dieser Besetzungsfrage. Er ließ ausrichten, wir
möchten doch bitte ›zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf eine solche Besetzung verzichten‹. Es sollte alles vermieden werden, was auf eine einheitliche deutsche
Kulturnation hinweisen könnte.«
2001 spricht Beyer von der Besetzung mit Brodský als von einem »Glücksfall«
und das dank einem Generalsekretär und Staatsratsvorsitzenden, der »auch noch
Zeit fand, als oberster Castingchef für Film und Fernsehen zu arbeiten.«
223
Nun schrieben Regisseur und Autor das Drehbuch neu. Die ursprüngliche
Schwarz-weiß-Version wurde aufgegeben zugunsten einer dramaturgisch durchdachten Farbgestaltung, die Beyer in seinem Buch ausführlich begründet. Kurzer
Vorgriff: Daß das Fernsehen der DDR den Farbfilm lange vor der Kinopremiere im
Weihnachtsprogramm 1974 schwarz-weiß in den Äther schoß, mußte alle Beteiligten wie den Babelsberger Koproduzenten allerdings grämen. Normalerweise gilt
auch für Koproduktionen eine längere Kinoschonfrist vor der TV-Ausstrahlung.
Frühere Vorbehalte Beyers gegen Rückblenden werden fallen gelassen. Aus
dem Roman wurden, anders als im ersten Entwurf, Elemente aus Jakobs Erinnerungen für kontrastierende Reminiszenzen genutzt. Das befreundete Polen schien
dem Regisseur nach den früheren Erfahrungen für die Außenschauplätze wenig
einladend. So wurde das Stadtzentrum der bereits für den Kohle-Abriß bestimmten, schon entvölkerten und verwahrlosten nordböhmischen Kleinstadt Most von
Szenenbildner Alfred Hirschmeier in das Film-Getto verwandelt.
Allein mit der Besetzung hatte Beyer erst einmal Probleme. Erwin Geschonneck wollte unbedingt die Hauptrolle spielen, die Brodský versprochen war, der
übrigens durch unzählige Filmrollen auch dem Kino- und vor allem dem DDRFernsehpublikum bestens bekannt war. Trotzdem bedurfte es langer Überzeugungsarbeit, den DEFA- und Fernsehstar für die wichtigste erwachsene Partnerfigur, den Friseur Kowalski, zu gewinnen. Ein neuer Schluß mit dem tragischen
Tod nicht des schmalen, zerbrechlichen Jakob, sondern des kräftigen, anscheinend unerschütterlichen Kowalski durch Suizid gab der Gestalt noch mehr Gewicht. Trotzdem folgte Geschonneck schließlich wohl mehr dem Machtwort als
den künstlerischen Argumenten des Regisseurs. Die erste intime Probenbegegnung der beiden, von Frank Beyer gedolmetscht, verlief denn auch nicht eben
glücklich. Der beschreibt die Folgen so: »Nach Probenschluß wollten beide mich
getrennt sprechen. Vlastimil war ziemlich deprimiert, er war sich wohl bewußt,
daß ihn Erwin ›an die Wand gespielt‹ hatte. ›Herr Geschonneck ist ja ein hervorragender Schauspieler. Ich habe ihn in mehreren Filmen gesehen und bewundere
ihn. Aber willst du wirklich gestatten, daß er in deinem Film auf diese entsetzliche
Weise outriert? Wie soll ich mich denn gegen diesen Hanswurst wehren?‹ Ich bat
Vlastimil, nicht ungeduldig zu sein; wir würden uns schon im Lauf der nächsten
Proben über den schauspielerischen Stil verständigen. Dann kam Erwin. ›Herr
Brodský soll ja ein hervorragender Schauspieler sein. Ich habe ihn zwar noch in
keinem Film gesehen, aber er hat diesen Ruf. Aber willst du wirklich gestatten,
daß er in deinem Film überhaupt nicht spielt? Warum spielt er eigentlich auf der
Probe gar nicht? Ist er überhaupt ein Schauspieler?‹ Ich bat Erwin, nicht ungeduldig zu sein; wir würden uns schon im Lauf der nächsten Proben ...« usw. Die beiden haben sich während der Dreharbeiten sehr gut verstanden (...) der stille, introvertierte Jakob und der aufgedrehte, extrovertierte Kowalski.«
Beide Darsteller gehörten denn auch zum Nationalpreis-Kollektiv 1975, nachdem Brodsky bereits mit einem Silbernen Bären der Westberliner Filmfestspiele
224
geehrt worden war. Jakob der Lügner erhielt als einziger DEFA-Film eine OscarNominierung als bester ausländischer Film. Beyer beschreibt anrührend genau die
Verleihungszeremonie als aufregend und ... enttäuschend, »wenn der Moment
kommt, in dem von der Bühne aus verkündet wird ›The winner is ...‹ (richtig:
»and the Oscar goes…« – der Herausg.) und man hat den Hintern schon halb aus
dem Sessel und ist es dann doch nicht. Ich würde mich einer solchen Prozedur
nicht mehr aussetzen wollen. Auf dem Flugplatz in New York, kurz vor der Heimreise sagte Erwin Geschonneck nachdenklich zu mir: ›Weißt du, wenn ich die
Hauptrolle gespielt hätte, hätten wir vielleicht doch den Oscar bekommen ...‹«.
Ich meine, wir können dem Regisseur dafür dankbar sein, wie uns die beiden
großartigen Mimen im Film noch einmal begegnen werden.
Jakob, der Lügner
nach dem gleichnamigen Roman von Jurek Becker
Produktionsland
Premierendaten
Produzent
Auszeichnungen
Verleih
Regie
DDR
Uraufführung: 22. Dezember 1974 im Fernsehen
der DDR, Kinostart: 17. April 1975, Berlin,
Kino Kosmos
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg/
DDR, Künstlerische Arbeitsgruppe »Johannisthal«)
mit dem Fernsehen der DDR und dem Filmstudio
Barrandov, ČSSR
XXV. Internationale Filmfestspiele Westberlin,
Berlinale 1975: Preis für besten Darsteller
(Vlastimil Brodsky), Nominierung für den Oscar
(1975), Nationalpreis II. Klasse (1975) für Erwin
Geschonneck, Nationalpreis II. Klasse (1975) für
Günter Marczinkowsky, Nationalpreis II. Klasse
(1975) für Gerd Gericke, Nationalpreis II. Klasse
(1975) für Frank Beyer, Nationalpreis II. Klasse
(1975) für Vlastimil Brodský, Nationalpreis
II. Klasse(1975) für Jurek Becker
PROGRESS Film-Verleih
Frank Beyer
Regie- Assistenz: Günter Hoffmann
Assistenz- Regie: Harald Fischer
225
Drehbuch
Szenarium
Dramaturgie
Kamera
Licht
Bauten
Requisite
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Produktionsassistenz
Darstellende
226
Frank Beyer
Jurek Becker
Gerd Gericke
Günter Marczinkowsky
Kamera-Assistenz: Dietram Kleist
Standfotos: Herbert Kroiss
Dieter Tillak, Dietrich Tillac (??)
Alfred Hirschmeier
Bauausführung: Gisela Schultze, Willi Schäfer.
Kurt Pentzien
Joachim Dittrich
Günter Hermstein, Inge Merten (Assistenz),
Monika Mörke (Assistenz)
Rita Hiller
Horst Mathuschek
Mischung: Gerhard Ribbeck
Joachim Werzlau
Solo-Violine: Siegfried Krause
Herbert Ehler
Werner Teichmann, Gerd Zimmermann
Peter-Klaus Niemetz
Jakob: Vlastimil Brodský/Norbert Christian
Kowalski: Erwin Geschonneck
Lina: Manuela Simon, Mischa: Henry Hübchen
Rosa: Blanche Kommerell
Herr Frankfurter: Dezsö Garas/Wolfgang Dehler
Frau Frankfurter: Zsuzsa Gordon/Ruth Kommerell
Prof. Kirschbaum: Friedrich Richter
Josefa Litwin: Margit Bara/Gerda-Luise Thiele
Herschel Schtamm: Reimar-Johannes Baur
Roman Schtamm: Armin Mueller-Stahl
Wachhabender: Hermann Beyer
Najdorf: Klaus Brasch
Schwocj (Schwoch?): Jürgen Hilbrecht
Horowitz: Paul Lewitt, Fajngold: Friedrich Links
Abraham: Edwin Marian, Schmidt: Peter Sturm
Soldat vor Latrine: Hans-Peter Reinecke
Eisenbahner: Helmut Schellhardt
Zivilist im Revier: Klausjürgen Steinmann
Chaim Balabusne: Erich Petraschk
Awron Minsch: Fred Ludwig
Darstellende
Zum Inhalt
Mischas Nachbarin: Jarmila Karlovská
Schlittenkutscher: Wilfried Zander
Larissa: Gabriele Gysi, Polizist: Harry Lehnert
1. Mann in Kowalskis Zimmer: Josef Englicki
2. Mann in Kowalskis Zimmer: Julius Kornstreicher
1. Arbeiter: Peter Pauli, 2. Arbeiter: Alfred Lux
Alter Mann im Kaftan: Josef Koci
Turmposten: Harald Fischer
Soldat im Giebelfenster: Eckhard Bilz
Unteroffizier: Rudolf Schindler
1. Soldat: Joachim Lukas, 2. Soldat: Henry Zschoge
3. Soldat: Peter Bausch, 4. Soldat: Harald Henke
Torposten: Bernhard Schauder
1. Sowjetischer General: Otto Horstmann
2. Sowjetischer General: Wilhelm Jordan
3. Sowjetischer General: Gerhard Brieger
Rafael: Pavel Vancura, Siegfried: Karel Kalita
Sprecher/Nachrichtensprecher: Horst Preusker
Ein osteuropäisches Ghetto im Jahre 1944. Jakob Heym wird wegen angeblicher Überschreitung der Ausgangssperre von einem Posten zum Gestapo-Revier geschickt. Durch
Zufall kommt er mit dem Leben davon, und zufällig hat er dort im Radio eine Meldung über
den Vormarsch der Roten Armee gehört. Er möchte die Nachricht an seine Leidensgefährten weitergeben, um ihnen Hoffnung zu machen, hat aber Angst, man würde ihn wegen seiner »Verbindung« zur Gestapo für einen Spitzel halten. So greift er zu einer Lüge, gibt vor,
ein Radio versteckt zu haben. Die Menschen im Ghetto schöpfen neuen Lebensmut, es gibt
keine Selbstmorde mehr, und man möchte von Jakob immer neue Informationen über den
Vormarsch. Er muß weiterlügen, damit die Hoffnung bleibt. Sein Freund
Kowalski hilft, die Nachrichten zu verbreiten, läßt sich sogar von einem Wachposten
zusammenschlagen, um Jakob zu schützen, als der auf der Toilette aus Zeitungsfetzen der
Nazis wahre Nachrichten zu finden sucht. Ein kleines Mädchen entdeckt kurz vor der Deportation, daß Jakob kein Radio hat, aber seine Lüge und mit ihr die Hoffnung erweisen
sich stärker als die Realität.
Über die Historie hinaus. Gespräch mit Jurek Becker
Wie würden Sie das Genre Ihres Films »Jakob der Lügner« bezeichnen?
Beabsichtigt war, eine tragische Komödie zu machen. Ich hoffe sehr, daß es nicht
beim Vorhaben geblieben und daß die Absicht am fertigen Film ablesbar ist.
Den äußeren Rahmen der Handlung bildet ein jüdisches Ghetto während des
zweiten Weltkrieges. Glauben Sie, daß eine komödienhafte Erzählweise der Darstellung solcher Fakten und Vorgänge wie Judenverfolgung, Erniedrigung von
Menschen oder gar ihre physische Vernichtung angemessen ist?
227
Ja. Ich behaupte gewiß nicht, daß es sich hierbei um die einzig adäquate Erzählweise handelt, aber doch um eine denk- und vertretbare. Es gibt keinen Gegenstand, keinen Bereich des Lebens, vermute ich, für den die Komödie sich von
vornherein als Erzählmöglichkeit verbietet. Dies hat nichts mit Verharmlosung zu
tun, ebensowenig mit Pietätlosigkeit.
Ein Irrtum wäre es, zu glauben, die Lebensumstände, die einer komödienhaften
Geschichte zugrunde liegen, müßten von sich aus spaßig sein, sozusagen ihrem
Wesen nach. Bei einem Ghetto beantwortet sich diese Frage ja von selbst. Demnach wird die Komödie nicht durch die gesellschaftliche oder historische Situation von Völkern ermöglicht, sondern durch die Situation von Individuen, durch
ihr Verhältnis zu anderen Gestalten der Geschichte.
Entsprach die Umsetzung des Drehbuchs durch Regisseur Frank Beyer in jedem
Punkt Ihren Vorstellungen und Erwartungen?
Auf keinen Fall. Wenn es so wäre, wenn ein Regisseur also nichts anderes tun
würde, als dem Erwartungsstandard eines Autors zu entsprechen, dann wäre er im
Grunde eine überflüssige Erscheinung. Dann sähe ich keinen vernünftigen Grund,
warum der Autor sich seinen Film nicht selber drehen sollte.
Selbstverständlich hat Frank Beyer in erster Linie seine Vorstellungen von einer Geschichte und von Film realisiert, nicht meine. Andererseits kannten wir uns
schon vorher und waren einigermaßen darüber informiert, wo unsere Vorstellungen übereinstimmten und wo sie voneinander abwichen. Wir hielten das Maß an
Übereinstimmung für so ermutigend, daß wir Lust auf eine gemeinsame Arbeit
hatten. Dennoch kann von einer restlosen Kongruenz unserer Absichten keine
Rede sein, und das ist nicht bedauerlich, sondern ganz in Ordnung.
Gab es auch während der Dreharbeiten Konsultationen zwischen Ihnen?
O ja, recht viele sogar. In der Regel hat Frank Beyer diese Konsultationen dazu
genutzt, seine eigenen Auffassungen auf demokratische Art und Weise durchzusetzen. Glauben Sie aber bitte nicht, daß ich mich darüber beklage. Denn ich befürworte durchaus die Arbeitsteilung, wonach ein Buch in erster Linie die Angelegenheit eines Autors ist und die Regie in erster Linie Sache des Regisseurs. (…)
Aus: Berliner Zeitung, Berlin/DDR, 20. 12. 1974.
228
Bis daß der Tod euch scheidet
Heiner Carows Film hatte am 17. Mai 1979, dem 33. Jahrestag der DEFA-Gründung, im kleinen Kino International seine Berliner Premiere. Kaum ein anderer
Gegenwartsfilm hatte je eine so lange, kontrovers diskutierte Buchentwicklung
mit immer wieder verschobenem Produktionsstart.
Rücker stieß schon 1972 in einer Rostocker Zeitung auf einen Gerichtsreport
der ihn nicht loslassen wollte.1
Angeklagt war eine junge Frau des Tötungsversuchs an ihrem Mann, ausgerechnet einem Volkspolizisten. Obwohl schuldig, offenbarte der Prozeß, daß nicht
er, sondern sie das wahre Opfer in einer schrecklichen Familientragödie war. Ihr
Mann hatte sie lange erniedrigt und schwer mißhandelt, bevor sie zum »Racheengel« wurde.
Ein Exposé lag bereits im Oktober 1972 vor. Rücker schrieb das Szenarium
1975 aber erst, als sich Heiner Carow für den Plot zu interessieren begann und
nachdem die Idee geboren war, der tragischen Heldin eine Freundin als Dialogpartner und Bezugsfigur zur Seite zu stellen. Carow war nach dem überwältigenden Erfolg der Legende von Paul und Paula vom schwachen Zuspruch für Ikarus
schwer enttäuscht und sah mit Recht in diesem Ehedrama eine Chance für ein
großes Kino-Ereignis.
Im Mai 1976 (!) bestätigte mir der Künstlerische Direktor die Produktionsreife
des Szenariums. Heiner Carow nahm nun die Federführung in die Hand und begann parallel zur Drehbucharbeit mit der Befragung junger Leute und Ehepaare.
Autor und Regisseur wollten aus dem authentischen Vorgang keinen Krimi und
keinen Prozeßfilm machen. Ihnen ging es um die exemplarische große Liebe
zweier sehr junger Leute, die trotz idealer gesellschaftlicher Voraussetzungen in
die Krise kommt und in einer Katastrophe endet. Daß aus dem Volkspolizisten ein
Bauarbeiter wurde, seine junge Frau Verkäuferin, lag ganz im Sinne der wünschenswerten Verallgemeinerbarkeit der Story. Die Konflikte und ihre Eskalation
sollten nicht aus dem Charakter-Defizit eines Beteiligten, gar des Mannes allein,
erwachsen, sondern aus den geradezu idealen Vorstellungen beider von Liebe und
harmonischer Familienbeziehung. Es ging um das Paradigma einer wirklichen
Tragödie, ein Genre, das unter sozialistischen Bedingungen und auf der Grundlage nicht-antagonistischer Widersprüche angeblich zum Verschwinden verurteilt
war.
Im Frühjahr 1976 hoffte Carow, Studiodirektor Albert Wilkening mit einer ersten, dann zweiten Drehbuchfassung im Mai endlich zur Produktionsfreigabe zu
bewegen. Mit »Erläuterungen zum Drehbuch« vom Juli versuchte er seine Lesart
1
Die Anregung kam möglicherweise von Gisela Steineckert, denn auf Rückers Rat hin erhielt sie das Exposé
mit der Bitte um Stellungnahme.
229
und Regiekonzeption als Entscheidungshilfe nachzureichen: »Das ist kein Film
über die Brutalität eines Menschen, der trinkt. Das ist kein Film über sexuelle
Hörigkeit (...) Das ist ein Film über die Liebe. (...), in dem die Liebe siegt, der die
Zuschauer überzeugt, daß dieses Ideal in unserem Leben möglich ist, daß Geduld,
Ausdauer, Kampf und Leiden dazugehören, unser Ideal von Menschlichkeit zu
verwirklichen (...) ein Beitrag im Sinne der Beschlüsse des IX. Parteitags. Es geht
um den unersetzlichen Wert menschlicher Beziehungen in Ehe und Familie. (...)
Unser Film soll jungen Leuten Mut machen, für ihre Ideale zu kämpfen. Wir polemisieren mit Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe. Das Anliegen unseres Films ist
genau das Gegenteil.«
Die Beteuerungen wurden gehört, doch die Zweifel blieben. Prof. Wilkenings
Produktionsfreigabe wurde von der HV Film widerrufen. Sicherlich wußte der gerade erst ins Amt berufene Chef Horst Pehnert um den bevorstehenden Amtsantritt Hans-Dieter Mädes als DEFA-Generaldirektor und wollte dessen Entscheidung nicht vorgreifen.
Der neue Studiochef rief schon in seiner ersten Arbeitswoche 1977 Günther
Rücker, Heiner Carow und mich zum vertraulichen Gespräch, zur »Information
über die Vorgeschichte der Projektentwicklung«. Vorsorglich machte er uns
darauf aufmerksam, daß es jetzt endlich eine einheitliche kulturpolitische Leitungslinie vom Politbüro (Kurt Hager) via Kultur-Ministerium (Hans-Joachim
Hoffmann) und HV Film (Horst Pehnert) über den Generaldirektor bis zu den
Künstlern gebe. Dies sei die wichtigste Voraussetzung für eine sichere und ruhige
Arbeit im Studio.
Während Carow nur kurz seine Konzeption erläuterte, gab Günther Rücker bereits eigene Überlegungen zur weiteren Akzentuierung der Story und Entwicklung
der Charaktere preis.
Sogleich zeigte sich, daß der neue Chef das Buch nicht nur gelesen, sondern
bis ins kleinste Detail studiert und analysiert hatte. Das Anliegen, diese tragische
Geschichte zu erzählen, fand seine Sympathie. Ja, Freundschaft, Liebe und Tod
seien große Themen auch für unsere Kunst. Aber ... Da gebe es denn doch mehrere große Fragenkomplexe, die der weiteren Erörterung bedürften. Vor allem
gehe es um die gesellschaftliche Umwelt und ihre Einwirkung auf das Geschick
des jungen Paares. Menschliche Selbstverwirklichung geschehe hierzulande unter
qualitativ günstigeren Bedingungen als im kapitalistischen Alltag. Jens’ subjektive Sicht und seine Erfahrungen müßten durch den Autorenstandpunkt relativiert
werden. Seine traumatischen Ängste erschienen nur berechtigt, weil es um ihn
herum keine intakte Liebes- und Ehebeziehung gebe.
Aber auch das moralische Wertesystem sei zu überprüfen. Was sei Liebe? Von
Liebe könne doch erst gesprochen werden, wenn bewußt oder unbewußt Verantwortung für den anderen übernommen werde, ohne Selbstaufgabe dem anderen
zu dienen. Jens einziges Motiv sei verletzte Eigenliebe. In der DDR genüge bekanntlich eine Ohrfeige als Scheidungsgrund, hier komme es zu Gewalttätigkei230
ten mit blutigen Folgen. Das dürfe mit »Liebe« nicht erklärt oder gar entschuldigt
werden. Hier sei die Würde der Frau zu schützen.
Fast schon in der freundlichen Verabschiedung und wie nebenbei noch eine
kleine Frage: »Muß es denn unbedingt ein Bauarbeiter sein?« Da sprach nun nicht
mehr der klarsichtige Dramaturg und scharfzüngige Kulturtheoretiker, sondern
der Kandidat des Zentralkomitees, der Parteisoldat, der den Film schon im Blickwinkel seines Generalsekretärs sah. Der hatte sein innenpolitisches Ansehen mit
der »Lösung des Wohnungsproblems als soziales« verknüpft und einem Propagandaaufwand ohnegleichen zum »strategischen Kampfziel« erkoren. Unser kleiner General wußte wohl sehr genau, daß ihm seine DEFA-Truppe bei solchen taktischen Manövern nicht folgen würde. Und so beließ er es bei der Frage. In der
Hoffnung, daß er wenigstens bei Günther Rücker ein offenes Ohr für seine Besorgnisse fände, schrieb er dem Autor einen sechsseitigen vertraulichen Brief, bevor Heiner Carow unbeeinflußbar zur Regie-Tat schritt.
Anfang Juni 1977 dann die nächste Generalstabsrunde mit kaum veränderter
Fragestellung. In einem langen, überraschend rational argumentierenden Statement des eher emotional veranlagten Carow, antwortete der Drehbuchautor nun
schon als Regisseur. Übereinstimmung bestehe in allen Anforderungen an den
künftigen Film. Widerspruch gebe es vor allem im Urteil über die zu erwartenden
Wirkungen auf den Zuschauer. Hier müsse die Inszenierung Charme und Fröhlichkeit haben. Naturalismen seien auszuschließen, die letzte Handgreiflichkeit
entfalle. Die Helden dürften die Liebe des Zuschauers nicht verlieren. Der Film
polemisiere gegen das rasche Auseinanderlaufen, gegen die modisch hohe Scheidungsquote. Alle führten den Kampf um den Bestand dieser Liebe. Ihre und seine
versuchte Qualifizierung werde nicht als entfremdeter gesellschaftlicher Zwang
gestaltet. Jens’ Arbeitssphäre werde konkretisiert. Die endgültige Lösung für den
Schluß sei noch nicht gefunden. Beabsichtigt sei ein großes optimistisches Bild.
Der Generaldirektor schien vom Echo auf seine Warnungen befriedigt. Es gehe
nicht um ästhetische Fragen oder um deklarative Antworten, etwa im Dialog, vielmehr um die Sicht auf die problematischen Vorgänge. Gerade in der Gestaltung
solcher Katastrophen gehe es um das Gesetz von Ursache und Wirkung. Die
Hilfsangebote der Gesellschaft müßten für den Zuschauer ernst gemeint und von
ihm ernst genommen werden, auch wenn sie von den Figuren individuell nicht genutzt werden könnten. Aber nach diesem Gespräch sei ein gelasseneres Urteil
über die Perspektive der Arbeit möglich.
Und doch sollte noch ein ganzes Jahr ins Land gehen, ehe Carow endlich zum
Schuß kam. An Debatten während der Zeit der Dreharbeiten kann ich mich nicht
erinnern. Carow hatte die heiklen Szenen sehr spät disponiert oder auch in den gelegentlichen Mustervorführungen für die Gruppe und den Generaldirektor als
noch ungeschnitten unterschlagen.
Als für den 8. November 1978 die offizielle Rohschnittabnahme durch den Generaldirektor anberaumt wurde, war das im Grunde schon der fertige, freilich
231
mehrstreifige, also noch leicht veränderbare Film. Zum ersten Mal erschien HVChef Horst Pehnert zu solchem Anlaß im Studio und nahm als zweiter das Wort,
um sogleich »mit persönlicher Erleichterung festzustellen, daß der Film »die Versprechungen und Absichten von Heiner Carow bestätigt«. Nach einigen kritischen
Bemerkungen zum Augenmaß in den »sexuellen Szenen« und zum Schluß fand
er: »Das ist ein richtiger, wichtiger Film, für den wir dankbar sein können.«
Günther Rücker betonte zum Mißfallen Carows den Rohschnittcharakter der
Fassung, sprach von »Irritation durch die Wirkung mancher Dinge«, viel sei zum
Guten gefügt, nur die Bettszene mit der Fast-Vergewaltigung wirke auf ihn »anatomisch statt poetisch«. Hier sprach nicht mehr der Autor, sondern der RegieKollege.
Von mehr als 35 DEFA-Regisseuren war allein Günter Reisch zur Diskussion
erschienen. Gelobt wurde die Entdeckung und Führung der Filmdebütantin Katrin
Saß. Nur Martin Seiferts Rolleninterpretation als sehr unkonventioneller Bauarbeiter-Typus wurde kritisch befragt.
Mäde, von der insgesamt positiven Resonanz sichtlich beeindruckt, fiel die
»Freigabe der nächsten Arbeitsetappe(!) leicht«. Ihm ging es nur noch um die
Länge mancher Szenen von Sex und Gewalt, man dürfe sich »keine Diskussion
über ästhetische Mittel der Darstellung von Gewalt aufzwingen lassen«, nachdem
man in allen kulturpolitisch relevanten Fragen zusammengefunden habe.
Zu welchen minimalen Korrekturen sich Carow in der Nachsynchronisation
und Montage tatsächlich noch durchgerungen hat, könnte nur seine geduldige
Frau und Schnittmeisterin Evelin sagen. Erleichtert und selbstbewußt erlebte man
den Regisseur bei der Studioabnahme. »Ich bin glücklich über die Reaktion der
Leute und den vollen DEFA-Kino-Saal.2 Ich weiß es nicht besser als die Millionen, mit denen wir ins Gespräch kommen wollen über ihre Lebenserfahrung.«
Mäde begrüßte zu Beginn seines langen Statements Carows Haltung und lobte
sein bedeutendes Talent. Er bedauerte »daß nicht alle Träume der Draufsicht auf
die Normalität des Lebens aufgegangen sind«. Nicht völlig vermieden sei der Eindruck der »Unausweichlichkeit, des Schicksalhaften«. »Kernfrage der Freiheit
aber ist die Meisterungsmöglichkeit, die Überzeugung zu vermitteln, daß letzten
Endes im geschichtlichen Prozeß der Mensch in der Lage ist, mit diesen Dingen
fertig zu werden.« Er bat Carow, Kürzungsauflagen der HV Film nicht abzuwarten und »noch einmal das richtige Maß weniger im Bereich der erotischen als
vielmehr der Gewaltszenen« zu überprüfen.
Die Staatliche Filmzulassung war nach all diesen Prozeduren ein kurzer förmlicher Akt mit knapper Stellungnahme der HV Film. Wenig überzeugend, aber
schutzbewußt wurde das Jugendprädikat P 18 festgesetzt, statt wie vom Studio beantragt P 14 oder wie von Progreß vorgeschlagen P 16. Begründet wurde das nicht
2
DEFA-Premiere nannte sich die studio-offene 16-Uhr-Vorführung im DEFA-70-Kino mit rund 400 Plätzen
und Mischpult für den Prozeß der Endfertigung. Ihr folgte die Abnahmediskussion beim Generaldirektor im
kleinen Kreis.
232
etwa mit den erotischen Szenen, sondern mit dem exessiven Alkoholmißbrauch
der Hauptfigur. Der DEFA-Außenhandel befürchtete schmerzliche Ankaufsverweigerungen der Sowjetunion, von Bulgarien und Rumänien. Horst Pehnert blieb
beim besucherunfreundlichen Jugendprädikat P 18. Er lobte, wie übrigens überraschend Heiner Carow auch, den respektvollen Umgang miteinander im Arbeitsprozeß, sagte Zuspruch und Widerspruch voraus und versprach mutig, »wir werden dazu stehen, daß der Film gemacht wurde und in die Öffentlichkeit kommt.«
Horst Knietzsch brauchte nach der Premiere zwölf Tage, um seine Kritik absegnen zu lassen. Die schweren ideologischen Vorbehalte waren in maßvolle Formulierungen gekleidet, die ein Kunsturteil vortäuschen sollten. »Ein Einzelfall
wird in grellen Farben ausgeleuchtet, nicht frei von Lichtern einer sozialen Kolportage.« Sogar Altvater Marx wurde aufgeboten: »›Aus dem Verhältnis des Mannes zum Weibe kann man also die ganze Bildungsstufe des Menschen beurteilen.‹
Im Lichte dieser unbestreitbaren Wahrheit«, so Knietzsch, »scheint mir der Sinn
für künstlerische und gesellschaftliche Realität in diesem Film zu niedrig angesetzt. (...)«3
In Dutzenden von Filmgesprächen lernte ich das ganze Spektrum erwarteter
und überraschender Publikumsreaktionen kennen. Wie von uns erhofft, gingen die
gestalteten Konflikte unter die Haut, fühlten sich die Menschen im Kino persönlich tief betroffen. Die von einem Rezensenten skeptische Frage: »Ist es diese
Wirklichkeit wert, in den Rang von Kunst erhoben zu werden?« wurde jedenfalls
eindeutig und vielstimmig bejaht.
Auf dem 1. Nationalen Spielfilmfestival in Karl-Marx-Stadt 1980 lief der Film
in Konkurrenz zu Solo Sunny und erhielt nur den Drehbuchpreis (Günther Rücker)
und den für Schnitt (Evelyn Carow). Heiner Carow war nur mit Mühe davon abzubringen, den jungfräulichen Festivalort vorzeitig zu verlassen.
Einen gewissen Trost spendete das Ergebnis einer Umfrage des Jugendmagazins Neues Leben, herausgegeben vom Zentralrat der FDJ, dessen Leser Carows
Streifen zum Besten aller rund 120 Kinofilme des Jahres 1980 wählten. Mäde
wußte wohl, was er an diesem unbequemen Mann hatte, denn er sorgte dafür, daß
Carow für sein bisheriges Schaffen 1980 den Nationalpreis II. Klasse erhielt.
Unsere Kino-Erwartungen, durch die Legende von Paul und Paula allzu optimistisch gestimmt, wurden mit 755 000 Besuchern nach einem Jahr doch ein wenig enttäuscht. Die Ankaufsdelegationen der sozialistischen Länder hatten den
Film als zu lautes Melodram kritisiert, doch immerhin für Polen, ČSSR, Ungarn,
Kuba, Jugoslawien, Mocambique und das bulgarische Fernsehen übernommen.
Ein bundesdeutsches Kinoverleihinteresse gab es nicht. Doch auch das Interesse
und vor allem das Geld des gegnerischen Mediums ZDF war intern hoch geschätzt. Das Schweizer Fernsehen entschloß sich sogar zu einer kleinen Retrospektive mit Paul und Paula, Ikarus und diesem jüngsten Carow-Film.
3
Neues Deutschland vom 29. 5. 1979.
233
Die Vorwürfe unserer Oberen schienen durch manche Zuschauerreaktion nach
der Fernsehausstrahlung im Juli 1981 bestätigt. Adlershof schickte ein Bündel
Briefe nach Babelsberg. Es waren ausnahmlos empörte Zuschauerzuschriften, so
daß man fast glauben konnte, hier sei eine hämische Auswahl für den medialen
Konkurrenten getroffen worden.
Eine junge Frau, 12 Jahre verheiratet, der Mann Schichtarbeiter, schrieb an die
»lieben Leute vom Film« offenbar gleich nach dem Bildschirmerlebnis »in Wut
und auf dem Schoß, da ich auf dem Sofa liege: (...) so viel Blödheit, Dummheit
und Naivität (...) habe ich noch nie gesehen. (...) Wie kann man so was drehen, ein
Mann der heult, der jammert wie ein Lappen, so eine hirnlose Kuh, die da weich
wird. (...) Das wäre das erstemal, daß ich mich von einem oder meinem Mann
schlagen ließe. Der flöge raus in hohem Bogen.«
»Wir älteren Leute des Veteranenklub Gera (...) sind empört, so etwas schamloses zu zeigen. (...) Was man im Westen schön findet, braucht doch unsere DDR
nicht nach zu machen. Das Unverständnis des Mannes, der die Frau schlägt, weil
sie arbeiten will, dann diese frivolen Leidenschafts-Ausbrüche und dazu immer
fast nackt stößt uns ab. Wir hörten auch von jungen Leuten, daß sie an so etwas
kein Interesse haben und unsere Meinung vertreten.« »Wie schätzt man denn das
Denken unserer Menschen ein, die heute allseitig gebildet und aufgekärt sind?«
Nach dem vorangegangenen »schönen Montagsfilm4 konnte einem das Grauen
kommen. Was hat dieser Mann bei den Thälmannn-Pionieren gelernt? Was berechtigt eigentlich einen Produzenten oder Regisseur eines VEB, eine solch perverse abnorme Darstellung herzustellen und wer gibt das Geld, das unsere Bürger
bezahlen?«
Ein Professor mit seiner Frau befand: »Eine endlose Folge vorgespielter Orgasmen sind eine Beleidigung des guten Geschmacks. Wir sind nicht prüde. Aber, das
ist ein widerlicher Kniefall vor der aus westlicher Richtung anrollenden Pornowelle«.
Erstaunlich viele Kritiker beließen es nicht beim Urteil über den Film, sondern
forderten Strafmaßnahmen gegen das Studio und die Filmleute: »Man sollte solche Filme gar nicht erst drehen und lieber das Geld an den Staatshaushalt abführen, der damit mehr Wohnungen und Krippenplätze für ordentliche, sozialistisch erzogene Bürger bauen könnte. In Halle warten allein 2 000 arbeitswillige
Frauen auf ihr in der Verfassung verbürgtes Recht auf Arbeit und bis zu drei Jahre
auf einen Krippenplatz.«
Eine Dresdener Hausgemeinschaft hatte einen »schönen Liebesfilm wie in
Willi Schwabes Rumpelkammer« erwartet und wollte es nicht fassen: »Wir
verstehen diese Schauspieler nicht, die sich dafür hergeben – der höheren Gage
wegen?«
4
An fast jedem Montag strahlte das DDR-Fernsehen in der Hauptsendezeit einen Ufa-Unterhaltungsfilm aus.
234
So fehlte es nicht an Rat, »Autoren und Regisseure sollten sich vorerst anders
betätigen« oder aber, »diesen Film sollte man vernichten und Herr Rücker und
Herr Carow auf eine politische Schule delegieren.« Ein anderer Zuschauer riet,
die Filmschöpfer in den Straßenbau zu schicken.
Wer hatte da nun zu antworten? Natürlich der Dramaturg. Ich tat es mit einem
Standdardbrief, ohne auf die Beschimpfung der Filmemacher einzugehen. »Kritische Meinungen zu unseren Filmfiguren und ihrem Verhalten liegen ganz und gar
in der Wirkungsabsicht der Filmemacher, denn auch in der Auseinandersetzung
damit bilden und festigen sich die eigenen Wertvorstellungen des Zuschauers.
Was die Machart des Films betrifft, so ist selbstverständlich immer mit den subjektiven Erwartungen und Empfindungen des jeweiligen Betrachters zu rechnen.
Deshalb respektieren wir die persönlich und sachlich begründete Ablehnung
ebenso, wie wir die vielfach bewiesene öffentliche Resonanz und zustimmende
Meinungen zur Kenntnis nehmen. Mit diesem Vorschlag zur gegenseitigen Achtung recht unterschiedlicher Auffassungen über die Kunst und einzelne Werke
grüßt Sie ...«
Bis daß der Tod Euch scheidet
Produktionsland
Premierendaten
DDR
Uraufführung: 17. Mai 1979 im Kino International
Auszeichnungen
I. Internationales Spielfilmfestival der DDR
Karl-Marx-Stadt 1980: Preis für Drehbuch
an Günther Rücker, für Schnitt an Evelyn Carow
Filmpreis des Jugendmagazins »Neues Leben«
(1980): für das Jahr 1979
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Szenarium
Dramaturgie
Kamera
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
PROGRESS Film-Verleih
Heiner Carow
Regie-Assistenz: Jörg Andrees, Thomas Heise
Heiner Carow
Günther Rücker
Barbara Rogall, Dieter Wolf
Jürgen Brauer
Kamera-Assistenz: Dietram Kleist
235
Bauten
Requisite
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
Zum Inhalt
Standfotos: Waltraud Pathenheimer
Harry Leupold
Bauausführung: Siegfried Stallner
Kurt Pentzien
Horst Rosette, Renate Herrmann
Inge Merten, Monika Mörke, Eberhard Neufink
Evelyn Carow
Konrad Walle
Peter Gotthardt
Musikalische Vorlage: Antonin Dvorák (Thema)
Erich Albrecht
Dieter Krüger, Karl-Heinz Rüsike, Theo Scheibler
Sonja: Katrin Saß, Jens: Martin Seifert
Jens’ Schwester: Angelica Domröse
Tilli: Renate Krößner, Sonjas Mutter: Henny Müller
Verkaufsstellenleiter: Horst Schulze
Brigadier: Werner Godemann
Jens’ Schwager: Alfred Struwe, Erik: Berko Acker
Conny: Peter Zimmermann
Volkspolizist: Carl-Heinz Choynski
Connys Freundin: Michèle Marian
Eriks Mutter: Irmgard Kuhlmey
Eriks Vater: Joachim Lukas
Oma: Lina Patermann (oder: Petermann)
in weiteren Rollen: Elisabeth Andrees, Angela Fensch
Roland Günther, Oskar Daum, Ullrich Bartel
Silvia Schwabe, Anneliese Thünert, Annemarie Latzel,
Jutta Röhl, Mathias Schmidt, Elvira Buth,
Sabine Hentschel, Renate Römer, Sabine Altmann,
Elke Bannier, Axel Mösges, Jürgen Kaschula,
Lutz Gransee, Christian Wolter, Axel Dieme,
Raik Schiller, Gerda Freund, Lieselotte Kühn
Josef Englicki, Gruppe »City« (?)
Jens und Sonja sind Anfang 20. In ihrer Verliebtheit heiraten sie überstürzt, ohne für die
Ehe wirklich reif zu sein. Die Probleme beginnen, als ihr erstes Kind geboren wird. Jens,
der als Bauarbeiter einen ausreichenden Verdienst hat, möchte, zumal er als Kind familiäre
Geborgenheit vermißt hat, daß Sonja sich nur noch dem Kind widmet. Doch sie hat andere
Vorstellungen. Heimlich macht sie die Facharbeiterprüfung. Jens ist empört und schlägt im
Affekt zu. Als er aus einer Seltersflasche trinkt, die aber Putzmittel enthält, – Sonja weiß
das und hindert ihn nicht – kommen beide zur Besinnung. Sie wollen sich eine zweite
Chance geben.
236
Ein Sonderfall von Liebe oder Der streitbarste DEFA-Film
Dieser Film ist streitbar, und er soll es – nach dem Willen seiner Schöpfer – sein.
Diese Streitbarkeit, die manchmal schon zur Streitlust wird, zwingt jeden Zuschauer, sich zu stellen, und entläßt keinen ohne Selbst-Prüfung und -Befragung,
Nachdenken und Betroffensein. Von all den gelungenen DEFA-Filmen der letzten
Jahre, die Lebensfragen unserer Zeitgenossen zu Gegenstand und Botschaft nahmen, ist dieser der rigoroseste, am meisten schmerzende und am meisten zupackende, der leidenschaftlichste.
Er erhebt eine Alltags-Liebes- und Ehegeschichte zwischen zwei jungen Leuten zum Sonderfall und spitzt den Konflikt extrem zu, sozusagen um jeden Preis.
Gegenseitige Liebe und gemeinsames Leben wird an die Grenze von Leben und
Tod getrieben. Damit gewinnt die Geschichte Größe, die zugleich den Boden für
die Leidenschaftlichkeit von Anliegen und Vortrag bildet. Ein legitimer, wenn
auch nicht eben häufiger Vorgang in der Kunst.
Die sich liebenden, miteinander verheirateten und gemeinsam lebenden Sonja
und Jens, Verkäuferin und Bauarbeiter, Anfang 20 und bald Eltern eines gesunden
Jungen, nehmen fundamentale Ideale unserer Wirklichkeit beim Wort. Sie erleben
Schlimmes miteinander und aneinander, aber sie scheitern nicht, gehen auch nicht
kaputt. Ist das vielleicht ein Teil jenes Prozesses, den wir häufig nett verharmlosend
Reifen nennen? Jene Ideale wirken nicht automatisch oder weil man sie sich zur eigenen Maxime nimmt. Es muß jeder wohl kräftig sein Eigenes zur Verwirklichung
einbringen. Was ist das – charakterliche Substanz oder fester Willen oder was? Und
woher kommt es, – vererbt von den Eltern, anerzogen von Jugend an, vermittelt
durch die Umwelt? Und wie noch? Oder vertragen die Ideale (noch) nicht die Probe
auf die Praxis? So viele Fragen … Dem zurechtgeschnittenen Sonderfall werden
flankierende, kontrastierende und mobilisierende Fabel-Elemente zugefügt. (…)
Der Versuch, wichtige Fabelmomente und ihre Wertigkeit für den Sonderfall
sowie ihre in unserer Gesellschaft zu findende Untermauerung, Begründung und
Begrenzung zu skizzieren, muß unvollkommen bleiben. Aus Platzgründen sowieso. Aber auch, weil Günther Rücker und Heiner Carow – bei allen Besonderheiten ihrer Geschichte – vor allem beschreiben, darstellen, vorführen, demonstrieren und zu wenig analysieren und also zu wenig begründen. Ich wiederhole:
Es ist eminent wichtig, daß sie solch Anliegen gestalten und derart zuspitzen.
Aber manche (verminderte oder auch ausgesparte) Motivation könnte – denke ich
– den Zugang zum vollen Verständnis merklich erleichtern. (…)
Schließlich: Weithin ist das richtiger Film, großes Kino, was da auf der Leinwand geschieht, schwer beschreibbar und richtig nur erlebbar im vollbesetzten
Zuschauerraum. Da finden sich Szenarist und Regisseur, Moralist und Eiferer zu
Szenen von großer Schönheit, Bewegung und Rhythmus zusammen und steigern
sich gegenseitig, im besten Bunde mit den Schauspielern und der Kamera (Jürgen
Brauer).
237
Die Beunruhigung
1964, zwei Jahre nach dem »Manifest von Oberhausen« junger westdeutscher
Filmemacher, schrieb Lothar Warneke, Regiestudent der Deutschen Hochschule
für Filmkunst in Postdam-Babelsberg, seine Diplomarbeit »Der dokumentare
Spielfilm«. Die von ihm geforderte Synthese »stellt eine neue Qualität des Films
dar und verwirklicht die Prinzipien des Realismus von allen augenblicklichen
Kunstformen am besten.«1
Der theoretische Vorreiter einer der wenigen ausgeprägten stilistischen Wellen
im DEFA-Spielfilm vermied wohlweislich den Schlachtruf der Jung-Filmer von
drüben »DER ALTE FILM ist tot. Wir glauben an den neuen«.2 Doch die Unbedingtheit, mit der Warneke künstlerische Wahrheit an sein ideelles und stilistisches Credo knüpfte, war davon nicht so weit entfernt. Die Filmpraxis aber nahm
einstweilen von diesen kühnen Reformgedanken kaum Notiz.
Erst als mit Beginn der 70er Jahre die »Jungen« hierzulande, Rainer Simon,
Roland Gräf und Lothar Warneke, damit ernst machten, kam es angesichts einer
zumeist bedenklich schwachen Publikumsresonanz zwischen 250 und 500 000
Besuchern zur kontrovers geführten Gegenüberstellung von »dokumentar« oder
»fiktiv«, »episch« oder »dramatisch«, von »Sujet«- oder »Fabel«-Film Der entschiedenste Exponent der fiktionalen Spielart war neben alten DEFA-Film-Hasen
ausgerechnet Warnekes Generationsgefährte – Horst Seemann.
Doch Lothar Warneke erwies sich in der Praxis nicht als Purist einer einmal
definierten künstlerisch-stilistischen Zielbestimmung. »Ich möchte sagen, daß ich
beim Filmemachen nicht von einer Kunsttheorie ausgegangen bin«, sagte er später selbst.3 Was also bewog ihn, am Beginn der 80er Jahre, noch einmal und so
entschieden wie kaum zuvor zu seinem frühen Credo zurückzukehren?
Angetan vom kleinen Erzählungsbändchen Lauter Leben 4 hatte die Dramaturgin Erika Richter die Diplompsychologin und Hobby-Autorin Helga Schubert zur
ersten Filmarbeit ermuntert. Für seine Gegenwartsfilme mit Originalstoffen griff
Warneke gern auf die Arbeit »junger« Autoren zurück, wenn sie ihm einen neuen,
unverstellten frischen Blick auf die Wirklichkeit versprachen.5 Die Dramaturgin
erklärte seine rasche Entscheidung so: »Zuerst die Geschichte, die die Möglichkeit bot, anhand eines Extremfalles, der aber kein Ausnahmefall ist und viele betreffen könnte, die Sinnhaftigkeit alltäglichen Lebens zu überprüfen. Zugleich
1
2
3
4
5
In: Filmwissenschaftl. Mitteilungen, Sonderheft 1964, S. 238 f.
S.: Pflaum/Prinzler, Film in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1992, S. 9.
Film und Fernsehen, H. 1/1974, S. 19.
Edition Neue Texte, Aufbau Verlag Berlin 1975.
Bis dahin: Hannes Hüttner, Siegfried Pitschmann, Peter Wuss, später Wolfram Witt und Omar Saavedra
Santis.
238
geht es (...) um die Bilanz einer Generation, der sich Warneke noch selbst zurechnen kann. Ebenso wichtig, daß die von Helga Schubert gefundene Geschichte von
ihrer Struktur her einerseits einen festen Rahmen bot, andererseits einen weiten
Spielraum für Improvisation, Beobachtungen, Unvorhergesehenes, ja Zufälliges.
(...) Zugleich ist das Motiv der Krankheit, der existentiellen Bedrohung so stark,
daß es den Zuschauer zwingen kann, den Alltag anders zu sehen, schärfer (...).
Der vertraute Alltag konnte genau beschrieben und dennoch verfremdet werden.«6
Gerade deshalb stieß weniger das Szenarium, mehr aber die Regiekonzeption im
Studio auf einige Skepsis. Sie betraf nicht nur die unsicheren Kinochancen des
dokumentaren Kammerspiels eines kleinen Schwarzweißfilms in einer inzwischen durchweg bunten Medienlandschaft.
Im tradierten volkseigenen Studiobetrieb, organisatorisch fest eingespielt und
durchnormiert, war vor allem die künstlerische Technologie suspekt, die der besonderen Ästhetik entsprach. Das begann bereits mit der Produktionsvorbereitung. Warneke lehnte die Verfertigung eines bisher strikt geforderten »optischen
Drehbuchs« mit genau fixierter Einstellungsfolge, Kamerabewegungen, Einstellungsgrößen und exakt berechneter Länge kategorisch ab.
Sein Plan, den Film in einem Prozeß kollektiver Probenarbeit zu entwickeln,
ohne verbindliche Regiekonzeption für die szenische und optische Auflösung, mit
großen Freiheiten für die schauspielerische Improvisation bis zur Dialoggestaltung, war nicht nur mit organisatorischen Erschwernissen, sondern auch mit
inhaltlich-künstlerischen, also kulturpolitischen Risiken verbunden. Auf den normalerweise verbindlichen Drehbuchtext konnten sich die Beteiligten, Urheber
wie Leiter, im späteren Streitfall immerhin berufen. Auch für die recht selbstbewußte Autorin verstand sich die Zustimmung zu solch freiem Umgang mit
ihrem abgenommenen Szenarium durchaus nicht von selbst.
Als Kompromiß, mehr für die Leitung als für den Drehstab, entstand ein »Rohdrehbuch«, das die 31 Bilder des Szenariums übernahm, obwohl sich diese dramaturgischen Komplexe regelwidrig zumeist auf mehrere Schauplätze verteilten.
Die Bilder waren zuweilen sogar mit einem Wechsel von innen nach außen verbunden, was für die Planung, Organisation und Finanzierung der Dreharbeiten
enorme Konsequenzen hat.
Der Regisseur ließ sich schließlich dazu herbei, diesen Bildern summarisch
eine geschätzte Zahl von Einstellungen zuzuordnen und dafür eine Längenprognose vorzunehmen. Doch auch daran hielt er sich im Drehprozeß nicht. Aus 257
geplanten wurden 390 Einstellungen im Schnitt, der Film wurde um 430 Meter,
das heißt 16 Minuten länger als versprochen. Der erwartete »kleine Film« überzog mit 100 Minuten Vorführzeit die vor allem aus ökonomischen Gründen erwünschte Länge. Es gab auch Zweifel, ob der Gegenstand das rechtfertigt und das
Publikum es respektiert.
6
s. Nachwort zum Filmszenarium, Berlin 1982, S. 87 ff..
239
Eine technisch so ungenaue Arbeitsvorgabe verlangte vom ganzen Stab, besonders aber der Aufnahme- und Produktionsleitung zusätzliche operative Anstrengungen und hohe Flexibilität. Das war nur mit einer auf Inhalt und Methode absolut eingeschworenen kleinen Mannschaft unter der Leitung von Horst Hartwig
realisierbar. Lothar Warneke wollte die Intimität der Inszenierung auch durch einen
sehr kleinen Drehstab unterstützen und möglichst ohne viel Kunstlicht arbeiten.
Dies alles aber war im Studio keineswegs willkommen. Kein einziges der neun
Ateliers wurde in Anspruch genommen, denn alle Aufnahmen wurden an Originalschauplätzen gedreht. Das wiederum war mit erhöhten Transportleistungen verbunden, und zu dieser Zeit herrschte ein rigides Sparregime mit projektgebundener
Benzinrationierung.7 Besonders solche Abteilungen wie Bühne und Beleuchtung
waren an einer hohen Auslastung ihrer reichen technischen und personellen Kapazitäten interessiert.
Auf deutliches Mißbehagen der Leitung stieß auch die Verpflichtung von Thomas Plenert, einem jungen Kameramann aus dem Dokumentarfilmstudio. Immerhin gab es im eigenen Haus neben dreißig festangestellten Kameramännern mehrere
junge diplomierte Anwärter auf eine selbständige Aufgabe. Diese Kollegen, organisiert in einem »Zentrum der Kameramänner«, und die Experten im (Muster-)
Kopierwerk des Studios beobachteten fortan mit aufmerksamer Skepsis die Arbeit
des Quereinsteigers, auf dem Warneke so sehr bestanden hatte.
Wenige Tage nach Drehbeginn läuteten denn auch zum ersten Mal die Alarmglocken. Kontrolleure des Kopierwerks hatten Einstellungen aus technischen
Gründen gesperrt, die Regisseur und Kameramann für künstlerisch gut und technisch brauchbar hielten. Meinungsverschiedenheiten gab es vor allem über exakte
Schärfe und sicheren Bildstand.
Plenerts Vorliebe für halbtotale und totale Einstellungsgrößen, die die Gestalten in ihrem sozialen Umfeld zeigen sollten, statt sie in Großaufnahmen zu isolieren, sein Faible für die frei getragene Handkamera mit wechselnder, auch einmal
vernachlässigter Tiefenschärfe verstießen gegen tradierte, zuweilen in technische
Normen gefaßte Gewohnheiten und Regularien.
Die Filmemacher verteidigten die beanstandete Bildqualität vehement als Ausdruck beabsichtigter dokumentarer Authentizität, während sich die Techniker als
Sachwalter des sogenannten normalen Zuschauers ins Zeug legten. Ihre nicht unberechtigte Sorge galt der technischen Güte-Minderung im Kopierprozeß und danach zu den Massenkopien8. Und sie kannten den zum Teil schlechten Zustand der
Vorführgeräte und Leinwände in den etwa 800 stationären oder ambulanten Spiel7
8
Nach einer Erdöl-Export-Reduzierung der SU kam es zu immer drastischeren Energiesparauflagen, die aus
politischen Gründen allein der Industrie aufgebürdet wurden, für das Studio z.B. mit einem Jahres-BenzinKontingent, dessen Einhaltung der Generaldirektor unter Androhung fianzieller Sanktionen zu verantworten
hatte.
Dort wurden nach dem geschnittenen Negativ für den Kinoeinsatz und die Archivierung zwischen 20 und 50
»Massen«-Kopien hergestellt.
240
stätten des Landes. Manche Probleme schienen auch dem inzwischen fehlenden
praktischen Umgang mit dem Schwarzweiß-Material geschuldet.
Die Techniker wollten eine Farbversion erzwingen, von der man sich weniger
Mühe und bessere Einsatzchancen im In- und Ausland versprach. Doch sie konnten sich in diesem Meinungsstreit nicht durchsetzen. Trotz massiver Bedenken
vertraute die Studioleitung schließlich der Autorität und Kompetenz des Regisseurs, der schon für sein Debüt den Heinrich-Greif-Preis und inzwischen für sein
noch schmales Gesamtwerk den Kunstpreis der DDR sowie 1977 den Nationalpreis erhalten hatte. Im übrigen lag das Experiment mit einem Budget von nur
800 000 Mark sensationell weit unter den Durchschnittskosten der Jahresproduktion von rund 2 Millionen.
Das Team meisterte nicht nur die ungewöhnliche und ungeübte Technologie.
Der stets frohgemute, durch keine noch so überraschende Situation und Anforderung aus der Pykniker-Ruhe zu bringende producer »Kocko« Hartwig verstand es,
über die ganze Drehzeit hinweg ein kameradschaftliches, um nicht zu sagen familiäres Arbeitsklima zu schaffen. Diese Intimität zog rasch auch die mitarbeitenden
Laien ins Vertrauen und ließ sie alle Hemmungen vor der wie zufällig anwesenden Kamera vergessen. Die gute Laune des Aufnahmeleiters Wolfgang Langer, eines schwarzgelockten, cleveren Naturburschen, trug das Ihre zum sicherlich zwar
nicht reibungslosen, doch konfliktfreien Produktionsverlauf bei.
Das Vertrauen der Leitung in diese Mannschaft wurde belohnt. Auf dem 2. Nationalen Spielfilmfestival der DDR 1982 wurden die Filmleute mit einem wahren
Preisregen bedacht: Helga Schubert für das Szenarium, Lothar Warneke für Regie, Christine Schorn für die Haupt-, Walfriede Schmitt für die beste Nebenrolle
(die der Richterin Katharina), Thomas Plenert für Kamera und Erika Lehmphul
für Schnitt. Sie hatte das Wunder vollbracht, ihrem Regisseur aus der Überfülle
gedrehten Materials eine dem Sujet und seiner ideengebundenen Handlungszeit
von nur einem Tag eine gerade noch vertretbare Gesamtlänge abzutrotzen.
Die vielleicht überraschendste Entscheidung aber kam von der Publikumsjury,
die den Film zum wirkungsvollsten (!) der letzten zwei Jahre erklärte. Als Preisinsignie gab es dafür übrigens einen »Großen Steiger«, eine kleine erzgebirgische
Holzplastik.
Die Beunruhigung erhielt eine für uns höchst seltenen Einladungen nach Venedig. Die Autorin erfuhr es zuletzt und eroberte sich mit energischer Demarche im
Ministerium in letzter Minute doch noch einen Platz in der kleinen DDR-Delegation. Ein Jahr später singnierte sie ihr nun gedrucktes Szenarium mit freundlicher
Widmung »Für Rosemarie + Dieter Wolf mit herzlichem Dank für Verständnis +
Rückenstärkung von Helga Schubert«.
Die Aufnahme in der DDR-Presse war überwiegend positiv. Der Meinungsführer der Parteipresse, Horst Knietzsch, titelte vorsichtig: »Versuch einer tieferen
Einsicht in den Sinn des eigenen Lebens«. Er meinte damit wohl nicht nur die
Selbstbefragung der Hauptfigur angesichts der Krebs-Diagnose. Doch die drei241
spaltige differenzierte Besprechung von Inhalt und Gestalt mit durchaus werbendem Charakter konnte nicht auf »zwei, drei kritische Anmerkungen« im Stil kulturpolitischer Orientierung verzichten: »Nicht immer ist Textverständlichkeit gegeben. Ursachen dafür mögen im Technischen liegen, aber auch darin, daß
während der Aufnahmen Dialoge improvisiert wurden (...) naturalistische Elemente, die den geistigen Anspruch des Zuschauers nicht bedienen (...) Im künstlerischen Film muß jeder Satz von Bedeutung sein (...) Vertiefung hätte auch das
soziale Profil der Heldin erfahren müssen (...) Der Satz von Marx, daß die Gesellschaft die Summe der Beziehungen und Verhältnisse ausdrückt, worin Individuen
zueinander stehen, ist für jeden Szenaristen bedenkenswert.«9
Der Kritiker der Jungen Welt wurde da schon deutlicher. »Es soll eben alles so
echt wie möglich sein. Und darum wird der konkrete Alltag der Hauptfigur minutiös
mit allen Belanglosigkeiten beobachtet. (...) Aber wäre es dagegen nicht interessanter und zwingender gewesen (...) zu erleben, wie diese Inge Herold ihre große Lebensvariante versucht, Verantwortung für sich und die Gesellschaft übernimmt?
Eine solche aktive Lebenshaltung zu verbreiten, führt zudem sicher weiter, als
sich fast ausschließlich auf das persönliche Umfeld zu beschränken.«10 Der anmaßende, besserwisserische Ton des Kritikers, der lieber einen ganz anderen Film
gesehen hätte, kündigte bereits die Attacke seines Dienstherren Hartmut König
an, Kultursekretär des Zentralrats der FDJ, der bald darauf auf einer eigenen Kulturkonferenz der Jugendorganisation11 in der Attitüde eines Kulturministers auftrat, um den Künstlern aller Gattungen Zensuren zu erteilen.
Trotz dieser kulturpolitischen Fingerzeige gab es beim Filmeinsatz keine zentral gelenkten oder territorialfürstlich verordneten Einschränkungen. Die Presse
öffnete ihre Leserbriefspalten gern für überwiegend zustimmende Zuschauermeinungen. Dennoch blieb der Film mit etwas mehr als 400 000 Besuchern und einem mittleren Platz in der Statistik der 80er Jahre hinter unseren optimistischen
Erwartungen zurück. Wenig tröstlich, daß auch ein dramatischer Gegenwartsfilm
wie Bürgschaft für ein Jahr des erfolgverwöhnten Herrmann Zschoche nur wenig
mehr, die meisten anderen DEFA-Filme noch weniger Besucher hatten. Nur das
Musical-Lustspiel mit dem populären amerikanischen Folk- und Schlagersänger
Dean Reed, Sing, Cowboy, sing und die Hochhuth-Verfilmung Ärztinnen von
Horst Seemann konnten in diesem Jahrfünft noch eine nicht organisierte Zuschauergemeinde von eineinhalb Millionen bzw. einer Million auf sich vereinen.
9 Neues Deutschland v. 25.2.1982.
10 Raymund Stolze, Junge Welt Febr. 1982.
11 21./22.10.1982 in Leipzig.
242
Die Beunruhigung
Produktionsland
Premierendaten
Produzent
Verleih
Auszeichnungen
Regie / Drehbuch
Szenarium
Dramaturgie
Kamera
Licht
Bauten
Requisite
Bühne
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
DDR
Uraufführung: 18. Februar 1981
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
PROGRESS Film-Verleih
beim Nationalen Filmfestival 1982: »Großer Steiger«
der Publikumsjury für den wirkungsvollsten Film;
Preis für Szenarium (Helga Schubert);
Preis für Kamera (Thomas Plenert); für Regie (Lothar
Warneke); Preis für Schnitt (Erika Lehmphul);
Schauspielpreis für weibliche Hauptrolle
(Christine Schorn); Preis für eine weibliche
Nebenrollle (Walfriede Schmitt)
Lothar Warneke
Regie-Assistenz: Christiane Plöger
Helga Schubert
Erika Richter
Thomas Plenert
Kamera-Assistenz: Dieter Lück, Norbert Kuhröber
DEFA-Fotograf: Norbert Kuhröber
Peter Meister, Peter Göhr
Georg Kranz
Hans-Joachim Bauer
Manfred Grimm (Bühnenmeister)
Christiane Dorst, Ruth Leitzmann, Herbert Hentschel
Heinz Bernhardt, Karin Wacker
Erika Lehmphul
Bernd-Dieter Hennig
Mischung: Gerhard Ribbeck
César Franck
Horst Hartwig
Produktionsassistenz: Peter-Klaus Niemetz
Wolfgang Lange, Egon Schlarmann,
Rosalinde Schwarzer
Inge Herold: Christine Schorn
Dieter Schramm: Hermann Beyer
Mann in Beratungsstelle: Christoph Engel
243
Ehepaar in Beratungsstelle: Sina Fiedler
Brigitte: Cox Habbema
Fürsorger: Jörg Herrmann
Ältere Frau: Jarmila Karlovská
Ältere Frau in Beratungsstelle: Ostara Körner
Lutz: Mike Lepke
Junge Frau: Bärbel Loeper
Joachim: Wilfried Pucher
Arzt in Geschwulstklinik: Horst Röseler
Inges Muter: Traute Sense
Psychiater: Dr. Helmut Schlegel
Richterin Katharina: Walfriede Schmitt
Ältere Dame im Café: Steffi Spira
Inges Sekretärin: Ilka Wendel
in weiteren Rollen: Lydia Billiet, Susanne Funk,
Andreas Pietsch, Thomas Brunke, Thomas Warneke,
Ines Golze, Claudia Soyke, Dagmar Ebbeke
Zum Inhalt
Die Psychologin Inge Herold ist Mitte Dreißig, geschieden, hat einen 15jährigen Sohn und
ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann. Plötzlich erfährt sie, daß sie eine bösartige
Geschwulst haben könnte und am nächsten Tag zur Operation muß. Diese Mitteilung veranlaßt sie, über ihr bisheriges Leben nachzudenken. Zur Angst vor der Diagnose kommt
die Angst, ihr Leben vielleicht vertan zu haben. 24 Stunden unter enormer psychischer Anspannung lassen sie die Dinge deutlicher sehen, auch sich selbst. Sie trennt sich von dem
verheirateten Joachim und ihrer Ausrede, unabhängig sein zu wollen. In ihrem Sohn findet
sie einen mitfühlenden Partner, der ihr Mut macht. Und sie bringt die Kraft zu einem Neubeginn auf – trotz ständiger Beunruhigung durch die Krankheit.
244
… und morgen war Krieg
Der Film ist Sergej Apollinarowitsch Gerasssimow gewidmet.
Produktionsland
Premierendaten
Produzent
Auszeichnungen
Verleih
Regie
Szenarium
Kamera
Bauten
Ton
Deutsche Fassung
Musik
UdSSR 1986
Uraufführung: DDR: 4. November 1988,
BRD: 25. 5. 1989, DFF 1: 9. 5. 1991
Gorki Studio für Spielfilme
Dritte künstlerische Arbeitsgruppe
Hauptpreis »Großer Jantar« beim Internationalen
Filmfestival 1987 in Koszalin (VR Polen), Spezialpreis der Jury des Internationalen Filmfestivals 1987
in Mannheim, Grand Prix »Goldener Koloß« (?) beim
Internationalen Filmfestival 1987 in Valdolido
(?)(Spanien), Grand Prix »Kinotreffen in Dunkerque
88« (Frankreich), Goldmedaille »Alexandr
Dowshenko erhielten der Regisseur Juri Kara,
der Szenarist Boris Wassiljew, die Schauspieler
Sergej Nikonenko und Nina Ruslanowa, Preis der
Kinoakademie »Nika-87« für die Schauspielerin Nina
Ruslanowa für die Filme »Und morgen war Krieg«,
»Das Zeichen des Unglücks«, »Kurze Begegnungen«
PROGRESS Film-Verleih
Juri Viktorowitsch Kara
Boris Wassiljew
Wadim Semjonowych
Anatoli Kotschurow
Leonid Wejtkow, Igor Strokanow
Kompositionen von Antonio Vivaldi
und Originalaufzeichnungen aus den 30er Jahren
Dialog
Heinz Nitzsche
Ton
Karlheinz Otto
Regie
Schnitt
Darstellende
Michael Englberger
Ilka Thal
Iskra Poljakowa: Irina Tscheritschenko
(Syvia Mißbach)
Vika Ljuberezkaja: Julia Tarchowa
(Juana Schneidenbach)
245
Darstellende
Zum Inhalt
Der Direktor: Sergej Nikonenko (Klaus Piontek)
Landys: Radij Owtschinnikow (Michael Pan)
Stameskin: Gennadi Frolow (Gunnar Helm)
Ostaptschuk: Wladislaw Demtschenko
(Asad Schwarz)
Ljuberezki: Wladimir Samanski (Otto Mellies)
Sina: Natalja Negoda (Rahel Ohm)
Iskras Mutter, Genossin Poljakowa: Nina Ruslanowa
(Katharina Lind)
Artjom Schefer: Sergej Stoljarow (Holm Gärtner)
Valentina Andrejewna Valendra: Vera Alentowa
(Irmelin Krause)
in weiteren Rollen: T. Gilinowa, W. Maslakow,
A. Gawrilow, A. Alexandrow, M. Anisimow,
E. Potanowa, K. Staroskolzew, W. Ataman,
Lina Gurina, Mischa Nikolajew, Jekaterina Woronina
Die Schule in einer russischen Provinzstadt bekommt 1940 einen neuen Direktor. Er wird
rasch beliebt unter den Schülern, die er so gern zum munteren Gesang revolutionärer Lieder vereint. Argwöhnisch beobachtet die Klassenlehrerin der 9b, Valentina Andronowa, die
Tatsache, daß er in den Mädchenwaschräumen Spiegel anbringen läßt, eine ideologische
Fehlentscheidung. Darum schwärzt sie den Direktor an. Nicht nur Iskra, die Komsomolsekretärin, weiß, daß im selbstlosen Einsatz für die Gesellschaft, in der begeisterten Hingabe an den Fortschritt der Sinn des Lebens liegt. Doch: Wo bleibt der Mensch? Auf einer
Geburtstagsparty hören die jungen Leute zum ersten Mal Verse von Jessenin. Vika rezitiert
diese Verse. Wenig später wird ihr Vater, ein angesehener Flugzeugkonstrukteur, verhaftet.
Dem Mädchen droht der Ausschluß aus dem Komsomol. In ihrer Verzweiflung nimmt sie
sich das Leben. An ihrem Grab veranstaltet die 9b eine Gedenkfeier; der Direktor hält eine
Rede, obwohl er damit seine Stellung riskiert. Damit gibt er den Schülern ein Beispiel, das
vielleicht bestimmend wird für ihr Leben. Wenig später ist Krieg.
246
Der Bruch
... war sicherlich die beste Kriminalkomödie aus Babelsberg, und sie wurde mit
dem Kinostart am 19. Januar 1989 der letzte große Hit der DEFA-Geschichte.
Doch das konnte keiner von uns voraussehen, nicht einmal der weitsichtige Wolfgang Kohlhaase.
Sechs volle Jahre waren seit seiner letzten Zusammenarbeit mit Frank Beyer
vergangen. Der frustrierende Rückzug des Films Der Aufenthalt aus dem Wettbewerbsprogramm der Berlinale nach der Demarche einer neuen Zensurinstanz, der
polnischen Botschaft in Berlin, ermunterte den Autor nicht so sehr, gleich wieder
über den nächsten Spielfilm nachzudenken. So schrieb er erst einmal das Buch für
einen langen Dokumentarfilm über seinen 1982 viel zu früh verstorbenen Freund
Konrad Wolf und übernahm auch die Künstlerische Leitung: Die Zeit die bleibt
(1984/85).
1986 endlich war bei einem Kaffee in Kleimachnow mit dem Autor über Neues
zu reden. Seine schöne Idee für eine Gegenwartskomödie Onkel, hast du Feuer?
kreiste um die Malaisen einer kuriosen Medienpraxis im Umgang mit kritikwürdigen Alltagserscheinungen und die absurden Argumentations-Rituale ideologischer
Abnahmeprozeduren. Doch der Konflikt eines Journalisten zwischen Wahrheitsliebe und medialer Manipulation, der in jeder Hinsicht seine Potenz beschädigt,
schien uns von zu vielen Tabus bedroht.
Da erinnerte sich Kohlhaase einer lang zurückliegenden Lektüre. Strafsache
Pannewitz, Mikulka u. a. – so hieß die Ermittlungsakte, die ihm die inzwischen
verstorbene Dramaturgin Anne Pfeuffer vor vielen Jahren zugänglich gemacht
hatte. Tipgeber war offenbar ihr Mann, Offizier im Kriminal-Ressort des Innenministeriums. Der spektakulärste Banküberfall der Nachkriegszeit im geteilten
Berlin erschien als Stoff immer noch attraktiv und war Kohlhaase schon allein
vom Schauplatz her sofort sympathisch. Doch sein Credo galt auch hier: »Man
kann nur über das schreiben, was man sehr genau kennt, und was einem fehlt, das
muß man sich besorgen.«
Die Presseabteilung des MdI, die auch über den Zugriff aufs Kripo-Archiv der
frühen Jahre zu befinden hatte, erklärte die Akten erstaunlicherweise für verschollen. Vielleicht hatte aber auch ein anhaltender Meinungsstreit der Ordnungshüter
mit dem Studio den Nachforschungseifer der Genossen gebremst. Da ging es um
strafrechtlich relevante Konflikte in Gegenwartsfilmen Der radlose Mann von
Rudi Strahl und Roland Oehme und aktuell um Verbotene Liebe von Helmut
Dzuiba. Behördlichen Mißmut gab es auch über den »DEFA«-Autor Karl-Heinz
Jakobs und sein Projekt Laufend in der Unterwelt.
Glücklicherweise hatte ich einen heißen Draht zur Pressestelle beim Generalstaatsanwalt der DDR. Dort hatte man offenbar mehr Ordnung im Bestand der
247
Gerichtsakten. Und so konnten wenig später Autor und Regisseur die kompletten
Ermittlungs- und Prozeßprotokolle studieren. Sie verständigten sich sehr schnell
auf einen freien literarischen Umgang mit dem Einbruch in die noch Gesamtberliner Eisenbahnverkehrskasse, Charlottenstraße 44, in der Nacht vor einer Lohnauszahlung.
Kohlhaase verlegte die Handlungszeit von 1951 zurück ins Jahr 1946, in die
merkwürdige Umbruchsituation, als die Vier-Sektoren-Stadt noch nicht vom Widerstreit der Weltsysteme zerrissen war. Er sah im trocknen Krimi-Material
sogleich die komödiantischen Chancen: den Widerspruch zwischen der provinziellen Dimension der Gang und ihrer Mittel im Verhältnis zum materiellen Ziel
ihrer Unternehmung, aber auch in der Rollenverteilung zwischen einschlägig erfahrenen Gangstern und einem sich neu formierenden Kriminalistenteam, in dem
ein pfiffiger Berliner trotz oder gerade wegen seiner geringen professionellen Erfahrung politisch den Ton angibt.
Und Kohlhaase erfand eine zauberhafte Dreiecksgeschichte von Siebzehnjährigen, die auf unterschiedlicher Seite und auf verzwickte Weise in den Krimi-Vorgang verwickelt werden. Zu den schönsten Erfindungen zählt nicht zuletzt der
schwule Transvestit in der Tanzbar mit einem herrlich ironisch-anzüglichen Chansontext. Es wurde eine Paraderolle für den Sänger Jürgen Walter und eine herrliche Liedtextvorlage für den Komponisten Günther Fischer.
Autor und Regisseur wollten den Stoff nicht in einer semidokumentaren Stilistik gestalten mit peinlich genauer Rekonstruktion von Spielzeit und Milieu. Aber
Buch und Inszenierung im Genre der Kriminalkomödie hielten trotzdem den Realitätsbezug immer präsent. Die zeitgeschichtliche Wochenschau-Einblendung,
teils original, teils zeittypisch nachinszeniert, exponiert gleich zu Beginn die ironisch-komische Sicht und Wertung.
In den Figuren und ihrer originellen Biographie ist die große Chance der Zeit
und ihrer Protagonisten angelegt, sich für diesen oder jenen Weg zu entscheiden.
Das gilt für die persönlichen Bindungen ebenso wie für die beruflichen Lebenswege und die politischen Orientierungen.
Die vom Autor kräftig gezeichneten Genre-Typen forderten eine Star-Besetzung geradezu heraus. Beyer hatte am Theater in Dresden Rolf Hoppe schätzen
gelernt und ihm schon damals eine Hauptrolle in einem künftigen Film versprochen. Nun hatte er für ihn das richtige Angebot eines alten, gewaltabstinenten,
einschlägig erfahrenen Tresorknackers, der inzwischen allerdings ein wenig zu
dick geworden ist. Für die Besetzung der zwei anderen Ganoven kam Beyer bei
»grenzüberschreitenden Überlegungen« auf Otto Sander und Götz George. Das
stieß nach dem endlich abgeschlossenen Kulturabkommen zwischen der DDR
und der BRD nicht mehr auf so unüberwindliche politische Vorbehalte wie einst
bei Jakob der Lügner. Aber da gab es die hohe Hürde der heimischen Valutanot.
Doch Mitte der 80er Jahre hatte sich im Filmbereich manches bewegt, was zuvor politisch noch undenkbar war. Filmchef Pehnert hatte sich mit dem Repräsen248
tanten des ideologischen Gegners, dem ZDF-Intendanten Stolte, getroffen. Generaldirektor Mäde hatte die Verbindung zu großen westdeutschen und Westberliner
Produzenten aufgenommen, die im Auftrag und mit dem Geld von ZDF und
WDR zur Zusammenarbeit zum beiderseitigen Nutzen bereit waren, ohne daß
zunächst von einer öffentlich schwer vermittelbaren Koproduktion mit dem
»Klassenfeind« die Rede sein mußte. Die DEFA stellte Schauspieler zur Verfügung und lieferte preiswerte künstlerische und technische Dienstleistungen mit
Atelier- und Außenaufnahmen – und kassierte dafür die begehrten Devisen für
den klammen Staatshaushalt. Für unseren Film war der WDR an den Senderechten interessiert und sicherte so über die Westberliner Allianz-FILM das Engagement der beiden Darsteller.
Erst als die Mitwirkung von George feststand, fand sich ausnahmsweise auch
ein Kino-Verleiher (der Jugendfilm-Verleih von Jürgen Wohlrabe).
Frank Beyer beschreibt in seinen Erinnerungen sehr aufschlußreich, wie sich
durch die Besetzung auch dramaturgische Fragen und psychologische Figurenbeziehungen noch einmal ganz neu stellten. Die im Buch 17jährige Tina wurde
mit Ulrike Krumbiegel vom Deutschen Theater zu einer Mittzwanzigerin, ihre
Verehrer Julian und Bubi sind eigentlich zu jung für sie, der Ex-Seemann und
Weiberheld Graf aber zu alt. Gerade das erschien dem Regisseur nun reizvoll für
die zeittypische »Situation zahlreicher junger Frauen 1946 in Deutschland, deren
gleichaltrige oder wenig ältere Partner im Krieg gefallen oder noch in Gefangenschaft waren.« Allein Kohlhaases schöne Dialogpointe nach der ersten Intimität
mit Graf macht sie zu einem späten Mädchen.
Für die beiden Maurerlehrlinge hatte die Assistenzregisseurin Doris Borkmann
zwei talentierte Schauspielschüler in Leipzig entdeckt, Volker Ranisch und Thomas Rudnick, die die Probeaufnahmen auf Anhieb bestanden. Zum ersten Mal
spielte nun auch Hermann Beyer in einem Film seines Bruders, nämlich den altgedienten Kripobeamten aus der Weimarer Zeit, den die Nazis kaltgestellt hatten.
Nach Klärung der schwierigen Besetzungsfragen sind mir aus der Zeit der Vorbereitung und Dreharbeiten keine Probleme erinnerlich. Die Produktion im DEFAKollektiv und im erstmals gesamtdeutschen Darsteller-Team lief konfliktfrei. Und
der Regisseur wußte die Großaufnahme-Eitelkeiten seiner wichtigsten Protagonisten im Sinne der Komödie trefflich zu nutzen.
Offenbar auf Georges Wunsch kam, für die DEFA-Praxis ganz unüblich, gegen
Ende der Dreharbeiten eine PR-Gang »von drüben« mit Film- und Videokamera
nach Babelsberg. Nach einem Besuch im Atelier stand im Versammlungsraum des
Direktionsgebäudes neben den Akteuren auch ein Vertreter des volkseigenen Produzenten für Anfragen bereit. Die wurden natürlich vor allem zur Westbesetzung
erwartet und prompt auch gestellt. Ich begründete die Wahl der West-Stars –
»blauäugig« – allein mit dramaturgisch-typologischen Erwägungen und dem
künstlerischen Rang der beiden Gäste im komödiantischen Zusammenspiel mit
Rolf Hoppe und Hermann Beyer in noch großberlinischer Vorzeit.
249
George wollte mir, einem Studiofunktionär, im Direktionsgebäude nicht direkt
widersprechen und beorderte das PR-Team aus dem Westen zu einer Solo-Aufnahme ins Freie, um die Journalisten aufzuklären. George: »Die haben natürlich
allein auf meine Popularität geschielt, um den Film auch im Westen verkaufen zu
können«, so seine offenbar für nötig gehaltene Korrektur.
Auf der Berlinale 1989 lief Der Bruch in einer ausverkauften und bejubelten
Sonderveranstaltung und kam danach sogleich dank dem renommierten Verleih
mit 30 Kopien ins große Kinoprogramm auch des Westens. Doch laut Frank Beyer
wurde er außer in West-Berlin dort zum Flop. Das war wohl vor allem einer
falschen Werbestrategie um den Schimanski-Serien-Interpreten George geschuldet, den seine West-Fans nicht in einer komischen Partnerrolle und vor allem
nicht als Verlierer sehen wollten – wie nun im Ost-Film.
Für mich wurde Der Bruch die dritte und letzte Zusammenarbeit mit Frank
Beyer. Als Mitglied des Filmförderungsausschusses des Bundesministers des
Innern nutzte ich 1991 mein Vorschlagsrecht für Beyers Auszeichnung mit dem
Deutschen Filmpreis Filmband in Gold für sein Gesamtwerk. Ob meine Initiative
den Ausschlag für die tatsächlich dann erste und letzte Würdigung des Lebenswerks
eines DDR-Filmemachers aus der Hand eines Bundes-Innenministers gegeben hat,
steht dahin. Meine damalige Begründung aber hat auch heute noch Bestand:
Frank Beyer hat mit zwölf Kino-Spielfilmen zum professionellen und künstlerischen Ansehen des deutschen Films im In- und Ausland einen moralisch wie
ästhetisch unumstrittenen individuellen Beitrag geleistet. Seine Filme mit
antifaschistischer Thematik Fünf Patronenhülsen, Königskinder, Nackt unter Wölfen, Jakob der Lügner und Der Aufenthalt (sowie der mehrteilige Fernsehfilm
Rottenknechte) haben zu verschiedenen Zeiten die künstlerische Reflektion widerspruchsvoller deutscher Vergangenheit und Zeitgeschichte bereichert.
Als Regisseur der zweiten Generation hat er mit seinen Arbeiten das Problemund Geschichtsbewußtsein einer neuen, großen, verjüngten Zuschauergemeinde
geschärft und in der Öffentlichkeit den Dialog der Generationen angeregt.
Beyers Wirken hat in künstlerischer Hinsicht dem DEFA-Schaffen vielfach
neue Impulse gegeben, filmisches Erzählen durch neue stilistische und GenreVorstöße vor der latenten Gefahr von Uniformität bewahrt. Dies wurde auch international mit mehrfachen Festivalauszeichnungen und einer Oscar-Nominierung
für die Tragikomödie Jakob der Lügner gewürdigt.
Frank Beyer hat seine künstlerische Arbeit nie einer Parteidoktrin unterworfen
und sich trotz schmerzhafter Auseinandersetzungen und Restriktionen kulturpolitisch nicht disziplinieren lassen. Das Verbot seines Films Spur der Steine und der
mehrjährige Ausschluß von jeder Film- und Fernseharbeit haben tief in seine
künstlerische Biographie eingegriffen. Durch den Wiedereintritt in die Medienarbeit hat er mit großer Konsequenz und Kreativität sein ideelles und ästhetisches
Credo weiterverfolgt und neue Widersprüche und Kämpfe dabei nicht gescheut –
wie etwa beim Fernsehfilm Geschlossene Gesellschaft.
250
Früher als andere Kollegen konnte Frank Beyer die Freiräume der bundesdeutschen Medienarbeit nutzen, als dies in seiner künstlerischen Heimat zwar geduldet, doch keineswegs erwünscht war. Seine Fernsehfilme Der König und sein
Narr und Die zweite Haut wurden Beginn der 80er Jahre zu wichtigen künstlerischen Beiträgen einer frühen gesamtdeutschen Kulturinitiative.
Frank Beyers Auszeichnung gerade zum jetzigen Zeitpunkt wäre nicht nur eine
gerechte Würdigung aller dieser Verdienste. Sie würde sicher auch als Signal der
Hoffnung, als Ermutigung für eine wirkliche kulturelle Einheit und gemeinsame
Zukunft der Filmemacher und der Filmkultur im Lande verstanden.
Der späte große Kinoerfolg von Spur der Steine in Ost und West nach 24 Jahren hat zu diesem Prozeß eines tieferen Verständnisses füreinander bereits manches beigesteuert und wäre ein Grund mehr für die breite gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung der vorgeschlagenen Würdigung.
Der Bruch
Produktionsland
Premierendaten
Produzent
Zusammenarbeit
Auszeichnungen
Verleih
DDR
Uraufführung: 19. Februar 1989
DEFA-Studio für Spielfilme
(Potsdam-Babelsberg/DDR)
Westdeutscher Rundfunk (WDR) Köln
Allianz Film Produktion GmbH Berlin
Staatliches Prädikat »Wertvoll« (1989), Kunstpreis
des FDGB für das Drehbuch (Wolfgang Kohlhaase)
Prädikat »Besonders wertvoll« der Filmbewertungsstelle Wiesbaden, »Ernst-Lubitsch Preis« 1990
des Clubs der Filmjournalisten Berlin (West):
für Frank Beyer und Wolfgang Kohlhaase
PROGRESS Film-Verleih
Regie
Frank Beyer
Regie-Assistenz: Doris Borkmann
Script
Sylvia Bolzendahl
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Wolfgang Kohlhaase
Dieter Wolf
Peter Ziesche
Kamera-Assistenz: Frank Bredow,
Waltraud Pathenheimer
251
Bauten
Requisite
Dieter Adam
Bauausführung: Helfried Winzer, Dieter Döhl,
Frank Abraham, Angela Rienäcker
Klaus Selignow
Bühne
Dietrich Tillack
Maske
Lothar Stäglich, Rosemarie Stäglich,
Annette Klockau
Kostüme
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Produktionsassistenz
Darstellende
252
Standfotos: Waltraud Pathenheimer
Christiane Dorst
Rita Hiller
Schnittassistenz: Ingeborg Sohr
Hans-HennigThölert
Ton-Assistenz: Roland Winke
Mischung: Konrad Walle
Günther Fischer, Gesang: Jürgen Walter
Liedtexte: Wolfgang Kohlhaase (Tango-Text)
Gerrit List, Dieter Albrecht
Dieter Anders, Dieter Albrecht
Peter-Klaus Niemetz
Beratung: Kurt Großkopf, Oberstleutnant d. K. a. D.
Graf: Götz George, Bruno Markward: Rolf Hoppe
Lubowitz: Otto Sander, Tina: Ulrike Krumbiegel
Biegel: Jens-Uwe Bogadtke, Julian: Volker Ranisch
Bubi: Thomas Rudnick, Lotz: Gerhard Hähndel
Kollmorgen: Hermann Beyer, Pinske: Reiner Heise
Müller: Jürgen Walter, Anita: Angelika Waller
Frau Markward: Franziska Troegner
Tinas Wirtin: Hildegard Alex
Escheritz: Hans-Dieter Kanup
Dombrowski: Klaus Manchen
Notar: Peter Mohrdieck, Pförtner: Günther Rüger
Großer Polizist: Axel Werner, Dame: Ute Loeck
Tierpfleger: Hans Bergermann
Rotarmist: Magne Harvard Brekke
in weiteren Rollen: Peter Loeck, Peter Pauli,
Hans-Jochen Röhrig, Joachim Schönfeld,
Elke Schuhrk, Hannes Stelzer, Günther Drescher,
Christel Peters, Mirko Haninger, Peter Berger,
Werner Möhring, Stephan Baumecker, Matthias Wien,
Gerit Kling, Antje Bemm, Karl Maschwitz,
Wolfgang Lippoldt, Wolf Enders, Dietrich Stüve,
Brigitte Gerhardt, Barbara Henze,
Ursula Fischer-Maschwitz, Gerlinde Specht,
Darstellende
Zum Inhalt
Ramona Gierth, Brunhilde Lautenbach-Seifert,
Klaus Sehmisch, Andreas Herrmann,
Karl-Heinz Kruse, Peter Obermann, Mona Stein,
Andrea Fischer, Frank Matthus und Gunda Ebert
Berlin 1946. Drei Männer – ein Profi-Ganove, ein zwielichtiger Kellner und ein TresorSpezialist – planen, die Lohngelder aus dem Reichsbahntresor zu rauben. Dafür brauchen
sie einen Helfer, der die Decke aufstemmt. Der Maurerlehrling Bubi, der Geld braucht, um
seiner Freundin zu imponieren, ist dazu bereit. Die Aktion verläuft erfolgreich, aber sofort
ist die Polizei auf dem Plan: Neu-Kommissar Lotz weiß wenig, er ist Kommunist und saß
im Nazi-Zuchthaus. Sein 1933 abgehalfterter SPD-Kollege hat wenigstens Ahnung. Als die
Einbrecher dingfest gemacht sind, gibt es ein unerwartetes Wiedersehen zwischen TresorProfi Bruno und Kommissar Lotz, die beide im gleichen Nazi-Knast saßen.
Zeit, so hell wie dunkel
Klaus Wischnewski, Film und Fernsehen, Berlin/DDR, Nr. 4, 1989
Autor und Regisseur, obwohl beileibe keine »alten Männer«, gehören zu den Senioren der Babelsberger Filmemacher. Es gibt nur noch wenige, die Mitte der fünfziger Jahre mit der Filmarbeit begonnen haben. So erscheint es nur natürlich, daß
Wolfgang Kohlhaase und Frank Beyer nach ihrer so erfolgreichen Partnerschaft
bei der Verfilmung von Hermann Kants »Der Aufenthalt« wieder nach einem gemeinsamen Stoff suchten und ihn in diesem, von Kohlhaase bewahrten, Berliner
Nachkriegs-Kriminalfall fanden. Allerdings: Seit »Aufenthalt« sind Jahre vergangen. Die Gefahr der Zeitverluste ist unübersehbar. Die Impulse, aufzuarbeiten und
abzuliefern, erscheinen zu schwach, gemessen an den Zeitbedürfnissen und geistigen Prozessen hier und anderswo. (…)
Beyer und Kohlhaase verweisen im Gespräch (vgl. Film und Fernsehen, Heft
1/89) darauf, daß der Fall als aktionsbetonter Kriminalfilm anders hätte erzählt
werden müssen, daß es nicht primär auf Berlin als Ort und nicht auf das KrimiGenre ankam, auch nicht etwa auf eine weitere Information zur jüngeren Zeitgeschichte. Wohl aber auf Begegnung von Charakteren, menschliche Motivationen und Befindlichkeiten, auf Zeitklima und – wichtiges Stichwort – »Beschreibung eines Lebensgefühls«. Mir scheint, eine dem DEFA-Film oft vorgeworfene
Monotonie und Didaktik der Strukturen hat mit einem Mangel gerade dieses
»Lebensgefühls« zu tun, das den Autoren hier so wichtig war.
Wirkung – wichtiger Orientierungs- und Bezugsfaktor: spielerischer Umgang
mit Kinomustern und -konstellationen. So etwas wird des öfteren betont und mit
253
jener lauten Lustigkeit betrieben, die im Atelier mehr lachen macht als im Parkett.
Das ist hier anders: Der Zuschauer wird angeregt und aufgefordert, zu entdecken
und doppelten Spaß zu haben, den an der eigenen Entdeckung und Assoziation
und den an der Sache selbst, dem zitierten Klischee oder Typ oder Situationsmuster. Günther Fischers Musik ist gerade unter diesem Aspekt brillant zu nennen;
da wird zitiert, parodiert, Zeitklima über den Hörsinn beschworen, ist, ohne je
aufdringlich oder billig zu werden: Substanz, Spaß und Genuß … Dabei die Bestätigung und auch Neuentdeckung eines längst durchgesetzten Sängers und Interpreten: Jürgen Walter, ohne Sentimentalität, als Dame-fatale mit rauchiger Altstimme auf der Bühne, als anrührend-komischer, anhänglich-hilfsbereiter Partner
im Hinterzimmer mit Vorkriegs-Opel … Auch hier genau gesetzter Witz, Selbstironie und Takt.
Die Bildwelt des Films ist nüchtern-real, aber nicht um dokumentarische Rekonstruktion bemüht. Das ist dem Szenenbild (Dieter Adam) wie der Kostümgestaltung (Christiane Dorst) ebenso zu danken wie Peter Ziesches Kameraarbeit:
Ich werde als Zeitgenosse immer an Selbstgesehenes lebhaft erinnert, und dennoch bin ich mir ständig der Kunstebene von Bild und Szene bewußt; was nie
bemühte Überhöhung oder Distanz bedeutet, sondern Teil des Genusses – des im
wahren Wortsinn Unterhaltungswertes – ist. Dies ist natürlich ein SchauspielerFilm. Am wertvollsten ist seine Ausgewogenheit. Die jungen Debütanten Volker
Ranisch und Thomas Rudnick (als die auf verschiedene Weise und konträren Seiten in den Fall verwickelten Jungen) und die vergleichsweise noch wenig bekannten Schauspieler Jens-Uwe Bogadtke und Gerhard Hähndel (als neugebackene
Kriminalisten) bestehen voll neben und mit den Stars der Besetzung: Götz
George, Rolf Hoppe und Otto Sander als Gaunertrio (…)
254
2010
255
256
Affaire Blum
Wir eröffnen das Kino ihrer Wünsche mit dem 14. Spielfilm der erst zwei Jahre
zuvor gegründeten DEFA.
Affaire Blum hatte am 3. Dezember 1948 im Kinotheater Babylon Premiere.
Nur zwei Monate später, am 1. Februar 1949, untersagte die im Rathaus Schöneberg tagende Stadtverordnetenversammlung West jede Werbung für DEFA-Filme
im öffentlichen Raum der Westsektoren und in der ihr unterstellten U-Bahn. Das
Verbot galt nicht nur der kommunistischen Propaganda aus Babelsberg, sondern
auch für die Ostberliner Theater und sowjetische Kulturveranstaltungen.
Nach Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns und Ehe im Schatten von
Kurt Maetzig wurde Affaire Blum von Erich Engel die bedeutendste künstlerische
Leistung und der größte Publikumserfolg der ersten Jahre. Lassen Sie uns ein paar
filmobiografische Voraussetzungen für diese erstaunliche Leistung näher betrachten.
Erfahrene Filmautoren und Regisseure standen nach Kriegsende im Osten
nicht auf der Matte. Hier waren bekanntermaßen nur jene willkommen, die sich
nicht als geistige Urheber von Nazi- und Kriegsfilmen diskreditiert hatten.
Kameramännern und Schauspielern mochte man die Mitwirkung an der Goebbels-Propaganda eher nachsehen. Viele von ihnen hatten das Kriegsende in Berlin
nicht abgewartet und waren westwärts entschwunden. Mit Ausnahme des inhaftierten Staatsschauspielers Heinrich George suchten die sowjetische Administration und ihre antifaschistischen deutschen Gewährsleute weitherzig, namhafte
künstlerische Kräfte für den demokratischen kulturellen Neuanfang zu gewinnen.
Paul Wegener etwa, der gerade noch wie Heinrich George im Durchhaltefilm Kolberg mitgewirkt hatte, wurde Präsident der Kammer der Kunstschaffenden und
bereits am 4. Juli 1945 Gründungsmitglied des Kulturbundes zur demokratischen
Erneuerung Deutschlands.
Auf dem 1. Deutschen Filmautoren-Kongreß im Juni 1947 forderte Kurt Maetzig die schreibenden Kollegen auf, nicht auf Richtlinien von oben zu warten.
»Dem Künstler, der innerlich frei ist, der die Vergangenheit überwunden hat, sind
heute keine Schranken in seinem künstlerischen Schaffen gesetzt.«
In der Gründungsphase verzichtete die Dramaturgie auf den bald schon geforderten thematischen Plan und eine von ihm inspirierte Auftragserteilung. Buchentwicklung und Produktionsentscheidung folgten dem Ideen- und Projektangebot von Szenaristen und Regisseuren. Daß sich ein Regisseur wie Staudte mit
einem fertigen Drehbuch für Die Mörder sind unter uns um Lizenz und Budget
bemühte, zunächst übrigens erfolglos bei den Westalliierten, war und blieb allerdings die Ausnahme.
257
Produktionschef Dr. Albert Wilkening bestätigt der ersten Zeit eine verhältnismäßig unbürokratische Leitungspraxis: »Wir dachten weniger an ein ausgewogenes Programm als an die Möglichkeit, einen interessanten Film zu machen.«
Der kurzzeitige DEFA-Direktor Walter Janka erinnert sich so: »Wenn z. B.
Stemmle ein Drehbuch geschrieben hatte, kam er zu mir und sagte: ›Na, Herr Janka,
wollen wir uns mal einen schönen Abend machen, an dem ich die ersten fünfzig
Seiten vorlese?‹ Ich fand das toll und lud dazu Erich Engel, Staudte und noch zwei,
drei andere ein. ...Wir diskutierten bei uns bis in die tiefe Nacht hinein. Sie kamen
alle gern zu uns, weil ich natürlich auch dafür sorgte, daß etwas auf den Tisch kam.«
Dies also mag die in jeder Hinsicht erquickliche Geburtsstunde des ersten
DEFA-Films von Robert A. Stemmle gewesen sein. Der 1903 in Magdeburg geborene Autor griff auf einen recht banalen Kriminalfall zurück. Der mündete jedoch 1926/27 in seiner Heimatstadt in einen deutschlandweit aufsehenerregenden
Prozeß und Justizskandal.
Damals arbeitete Stemmle noch als Lehrer an der Karl-Marx-Schule in Magdeburg-Buckau, begann aber schon zu schreiben. Einen fortan fleißigeren Menschen
kann man sich kaum vorstellen. Er erprobt das Handwerk mit Puppenspielen, um
als Mittzwanziger noch ein Studium aufzunehmen – Germanistik, Theater- und
Literaturwissenschaft. Zeitgleich entstehen mehrere Theaterstücke, Sketche für
das von ihm mit gegründete Kabarett Die Katakombe.
Am Beginn der 30er Jahre arbeitet er beim Rundfunk, am Theater und in der
Filmbranche als Chefdramaturg der Tobis. Er schreibt für in- und ausländische
Zeitungen, publiziert Anekdoten- und Balladensammlungen, veröffentlicht einen
Roman.
Stemmles erstaunliche Filmlaufbahn als Autor und Regisseur begann 1936 bei
der Ufa als Mitarbeiter beim Film Der Rebell mit Luis Trenker. Das Werkverzeichnis umfaßt bis zum Kriegsende vierunddreißig Titel, sehr viele in Personalunion
als Autor und Spielleiter, wie es in großdeutscher Terminologie zu heißen hatte.
Es hat den Anschein, daß ihn allein diese unglaubliche Kontinuität eigener Angebote im Komödien- und Abenteuergenre vor zwielichtigen politischen Aufträgen von Goebbels und seinem Reichsfilmdramaturgen schützte. Seine größten
Erfolge feierte er mit Charleys Tante, Der Mann der Sherlock Holmes war und
Quax der Bruchpilot.
Als Stemmle seine Nachkriegskarriere in der DEFA startet, kehrt er nicht nur
stofflich in seine frühen Magdeburger Jahre zurück. Hier sind seine sozial- und
gesellschaftskritischen Intentionen von damals gefragt. Nach Affaire Blum wirkt
er noch an zwei weiteren DEFA-Filmen mit, dem heiteren Gegenwartsstück Die
Kuckucks und an Erich Engels attraktiver Hauptmann-Verfilmung Der Biberpelz.
Während Erich Engel 1958 seinen letzten DEFA-Film über die verdeckte amerikanische Unterstützung des französischen Kolonialkriegs in Vietnam inszeniert,
Geschwader Fledermaus, hat sich Stemmle längst wieder ganz dem vordergründig kommerziell orientierten Kinogeschäft des Westens verschrieben.
258
1962 wendet er sich voll dem neuen Massenmedium, dem Fernsehen, zu. Als
erstes schreibt und inszeniert er ein TV-Remake seines großen Kino-Erfolgs: Affäre Blum. Danach adaptiert er für seinen ehemaligen DEFA-Kollegen Regisseur
Falk Harnack den antifaschistischen Fallada-Roman Jeder stirbt für sich allein.
Bis zu seinem Tod 1974 arbeitet er bevorzugt im Krimi-Genre und Gerichtsmilieu und bringt es auf weitere 30 Titel.
Folgt man Jankas Erzählung, so hat er wohl an jenem Abend in seinem Babelsberger Heim mit Gartenausgang nach Westberlin Stemmles Partnerschaft mit
Erich Engel gestiftet. Obwohl der Autor bis dahin für die bekanntesten deutschen
Filmregisseure geschrieben hatte, fanden die beiden erst jetzt und in der DEFA zu
gemeinsamer Arbeit.
Auch wenn Erich Engel da bereits auf ein stattliches Film-Werk zurück blicken
konnte, war sein künstlerisches Renommee stärker von seiner innovativen und erfolgreichen Theaterpraxis geprägt. Der Bürgersohn hatte die Schauspielschule von
Leopold Jessner in Hamburg besucht und 1917 dort am Schauspielhaus als Dramaturg begonnen, danach an den Kammerspielen auch als Regisseur gearbeitet.
Die Übersiedlung nach München 1922 führte ihn mit Bertolt Brecht zusammen. Seine Inszenierung Im Dickicht wurde mit Fritz Kortner in der Hauptrolle
auch in Berlin ein großes Theaterereignis. 1928 begann mit der Uraufführung der
Dreigroschenoper im Theater am Schiffbauerdamm unter Engels’ Regie, Brechts
Siegeszug über die Bühnen der Welt. Brecht nannte diesen Perfektionisten und
Fanatiker der Präzision einen Regisseur des wissenschaftlichen Zeitalters. Mit
seinen stilprägenden Berliner Shakespeare-Inszenierungen am Deutschen Theater
schrieb Engel Theatergeschichte.
Nach einem wenig bekannten frühen Filmversuch gemeinsam mit Brecht und
Karl Valentin Die Mysterien eines Frisiersalons 1923 fand Engel am Beginn der
30er Jahre zum Kino, erst als die Bilder sprechen lernten, die Helden auch dank
der Sprache vielseitiger charakterisiert werden konnten. Engel näherte sich dem
neuen Medium zunächst mit der Dialogregie für eine Dostojewski-Verfilmung
Der Mörder Dimitri Karamasow. Kameramann war übrigens der im Stummfilm
erfahrene Friedl Behn-Grund. Mit ihm wird Engel erst wieder in der DEFA drehen.
Neben der Theaterarbeit inszenierte Engel bis 1944/45 23 Kinofilme, überwiegend Komödien, elf davon mit Jenny Jugo in der Hauptrolle. Nach Kriegsende
war er Intendant der Münchener Kammerspiele.
1948 aber kehrte er für immer nach Berlin zurück, um die Arbeit mit Brecht
zunächst am Deutschen Theater wieder aufzunehmen. Dem 1949 gegründeten
Berliner Ensemble blieb er über Brechts Tod hinaus treu.
Engel mißtraute der sehr frühen DEFA-Idee einer Verfilmung von Mutter Courage. Er kannte Brechts bühnennahes Filmverständnis und fürchtete die UrheberMacht des Autors, die wenig später zum Produktionsabbruch des Courage-Films
von Wolfgang Staudte führte. Erich Engel aber war in beiden Medien zu Hause
und drehte parallel zur Probenarbeit mit Brecht an Mutter Courage in Babelsberg
259
Affaire Blum. Mit großartigen Bühnendarstellern schuf er eine unverwechselbare,
nicht-theatralische Film-Realität. Regie- und Schauspiel-Stil, auch die Kameraarbeit waren freilich noch stark von der Ufa-Tradition beeinflußt.
Engel gab Hans-Christian Blech in der negativen Hauptrolle die Chance für ein
bestechend eindrucksvolles Leinwand-Debüt, Beginn einer unglaublich facettenreichen Film- und Fernsehkarriere des Darstellers. Sie führte ihn 1991 noch einmal nach Babelsberg. Da sah man ihn in einer Hauptrolle einer WDR Fernsehproduktion nach Wolfgang Kohlhaases Erzählung und Drehbuch Rückkehr einer
Gräfin.
Wir kehren noch einmal zu Walter Jankas Erinnerungen zurück. Erst die Staatliche Abnahme konfrontierte die Filmleute mit Einwänden der Bedenkenträger.
Das waren Parteifunktionäre der DEFA-Kommission, des politischen Aufsichtsrats der inzwischen zur Deutsch-sowjetischen Aktiengesellschaft verwandelten
Filmfirma: »Die Partei war gegen den Schluß. Engel mahnte: ›Leute, seht euch
vor, diese Sauereien sind noch nicht Geschichte, die können jeden Tag wieder
passieren.‹ Das wollte aber die SED nicht. Vielmehr mußte deutlich gesagt werden: Diese Verbrecher sind weg, und ihr habt das Glück, unter unserem Dach
Schutz zu finden. Das wollte Engel natürlich nicht mitmachen. Da flüsterte ich
ihm ins Ohr: ›Sag jetzt einfach, daß du die letzte Sequenz wegläßt.‹ Und das
machte er dann auch.«
260
Affaire Blum
Produktionsland
Premierendaten
Produzent
Verleih
Auszeichnung
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
Ostdeutschland/Sowjetische Besatzungszone
Uraufführung: 3. Dezember 1948, Berlin,
Kino Babylon
DEFA Deutsche Film-Aktiengesellschaft (Berlin/Ost)
(Herstellungsgruppe Herbert Uhlich)
PROGRESS Film-Verleih
Nationalpreis für den Regisseur des Films
Erich Engel, Ausgewählt vom Museum of
Modern Art New York 1975
Erich Engel
Regie-Assistenz: Zlata Mehlers, Ludwig Lober
Robert A. Stemmle nach seinem
gleichnamigen Roman
Dieter Wolf
Friedl Behn-Grund, Karl Plintzner
Standfotos: Rudolf Brix
Emil Hasler
Bauausführung: Emil Hasler, Walter Kutz
Brigitte Götting (Beratung)
Kurt Aust, Charlotte Kersten
Lilian Seng
Erich Schmidt
Herbert Trantow
Herbert Uhlich
Produktionsassistenz: Peter-Klaus Niemetz
Fritz Brix, William Neugebauer
Dr. Jacob Blum: Kurt Ehrhardt
Sabine Blum: Karin Evans
Karlheinz Gabler: Hans-Christian Blech
Christina Naumann: Gisela Trowe
Wilschinsky: Helmut Rudolph
Kriminalkommissar Otto Bonte: Alfred Schieske
Landgerichtsdirektor Hecht: Herbert Hübner
Konrad: Paul Bildt, Schwerdtfeger: Ernst Waldow
Lorenz: Hugo Kalthoff, Wilhelm Platzer: Arno Paulsen
Anna Platzer: Maly Delschaft
261
Darstellende
Zum Inhalt
Lucie Schmerschneider: Blandine Ebinger
Rechtsanwalt Dr. Wormser: Friedrich Maurer
Karl Bremer: Gerhardt Bienert
Frau Bremer: Renée Stobrawa
Egon Konrad: Werner Peters
Hans Fischer: Klaus Becker, Therese: Emmy Burg
Alma: Hildegard Adophi, Zahnarzt: Richard Drosten
Waffenhändler: Albert Venohr
Merkel: Jean Brahn, Hinkeldey: Arthur Schröder
Tischbein: Reinhard Kolldehoff
Redakteur: Herbert Malsbender
Reporter: Otto Matthies, Patientin: Lilli Schoenborn
Dienstmädchen bei Blum: Gertrud Boll
Dienstmädchen bei Konrad: Anita Hinzmann
Sekretärin bei Wilschinsky: Eva Bodden
sowie Margarete Salbach
Magdeburg, zur Zeit der Weimarer Republik. Der jüdische Unternehmer Jacob Blum wird
beschuldigt, seinen Buchhalter ermordet zu haben. Der ehemalige Freikorpsmann Gabler,
gegen den ebenfalls ermittelt wird, hat Blum schwer belastet. Für den Untersuchungsrichter steht von vornherein fest, der Jude ist schuldig.
Weder Entlastungsmaterial noch die eindeutig zu Gabler führende Spur können die antisemitisch eingestellten Ermittler von ihrer Meinung abbringen. Schließlich gelingt es Blums
Freunden, aus Berlin Kommissar Bonte hinzuzuziehen, der den wahren Täter überführen
kann. Die Justiz schweigt den Fall offiziell tot.
262
Die blauen Schwerter
Erst einmal ein Geständnis. Der Titel geriet in die Auswahlliste ohne eine aktuelle
Wiederbegegnung mit dem Film. Ich folgte allein meiner Erinnerung an einen
sehr einprägsamen frühen Kinobesuch und dem unvergeßlichen Eindruck, den
zwei Schauspieler hinterlassen hatten – deren Gesichter und Gestalten unterschiedlicher nicht hätten sein können: Da war der schwergewichtige Willy A.
Kleinau als sächsischer König und als August der Starke hier in jeder Hinsicht
eher zu fürchten als zu bewundern. Und da war sein Gefangener, der alchimistisch
orientierter Apothekergehilfe und Preußen-Flüchtling Johann Friedrich Böttger
in Gestalt des geradezu zerbrechlich und durchgeistigt wirkenden Hans Quest, der
dem robusten Machtmenschen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Die Fabel
folgte parabelhaft einem alten Märchenmotiv: Allein auf sich gestellt soll das Opfer unter Zeitnot und Todesandrohung eine schier unerfüllbare Leistung vollbringen. Spannung also im historischen Kostüm inklusive.
Die blauen Schwerter stehen am Beginn einer neuen, DEFA-eigenen Tradition
des historisch-biografischen Films im deutschen Kino. Das hieß ideelle und ästhetische Abkehr vom deutsch-nationalistischen Genie-Kult wie ihn der Nazi-Regisseur Hans Steinhoff prototypisch im Robert Koch-Porträt auf die Leinwand gebracht hatte. Es mußte endlich Schluß sein mit der Verherrlichung des militanten
Preußentums und der Anbetung historischer Potentaten im Sinne des Führerprinzips. Erinnert sei nur an Titel wie Der alte und der junge König wiederum von
Steinhoff, Der große König von Veit Harlan oder zwei Bismarck-Filme von Wolfgang Liebeneiner.
Auch vom biographischen Film wurde nun ein realistischer, kritischer Blick
auf die politischen und sozialen Verhältnisse der jeweiligen Zeit erwartet, noch
bevor das Studio vorrangig auf die »Geschichte und Helden der deutschen Arbeiterbewegung« orientiert wurde, so jedenfalls Hermann Axen als Vorsitzender der
DEFA-Kommission auf der Filmkonferenz des ZK im September 1952.
Erstaunlich aber, daß die DEFA 1948 trotz größten materiellen Mangels auf
allen Gebieten ein Projekt in die Planung aufnahm und 1949 realisierte, das einen
hohen dekorativen Bau- und Ausstattungsaufwand erforderte. Das konnte nur mit
künstlerisch erprobten, technisch und ökonomisch erfahrenen Fachleuten gelingen. Vom Buch angefangen, über Regie, Kamera, Szenen- und Kostümbild waren
Profis gefragt. Die meisten von ihnen wohnten noch in Westberlin.
Die DEFA aber produzierte in Babelsberg und Johannisthal unter den Bedingungen des sich anbahnenden Kalten Krieges. Die NATO-Gründung hatte das
brüchige Anti-Nazi-Bündnis der vier Alliierten beendet.
Berlin war schon vor Gründung der Bundesrepublik eine politisch geteilte Stadt,
zementiert durch die Einführung der D-Mark im Juni ‘48 auch in Westberlin.
263
Viele Westberliner Filmleute und Schauspieler waren urplötzlich von ihrer Babelsberger Arbeitsstätte durch eine Zollgrenze geschieden, die sie täglich zweimal
passieren mußten. Diese Umstände und Voraussetzungen wollen wir mitdenken,
wenn wir uns ins Milieu des 17./18.Jahrhunderts zurück versetzen lassen, das nur
drei Jahre nach Kriegsende in Babelsberg glaubhaft rekonstruiert werden mußte.
Schauen wir mal, wie die wichtigsten Beteiligten damit zu Rande kamen.
Erstaunlicherweise gab es offenbar in der Buchentwicklung- und bestätigung
keine Probleme, die sonst immer aktenkundig wurden. Die ungewöhnlich rasche
Entscheidung für die aufwendige Produktion erklärt sich vor allem wohl mit der
vertrauenswürdigen Regiekandidatur von Wolfgang Schleif. Seine Filmobiographie ist charakteristisch für diese Zeitenwende und die frühen DEFA-Jahre.
Er hatte die Filmarbeit von der Pike auf gelernt, schon in der Ufa als Schnittmeister und Regieassistent u. a. bei Veit Harlan gearbeitet. Er war Kurt Maetzigs
unverzichtbare rechte Hand und wohl mehr als nur ein bloßer Assistent bei dessen
Spielfilmdebüt Ehe im Schatten. Seine eigene Regiekarriere konnte er daraufhin
(gemeinsam mit Erich Freund) schon 47/48 mit Grube Morgenrot starten. Das
war ein hoch willkommener erster DEFA-Film über eine Gruppe von Arbeitern,
die, historisch verbürgt, in den 30er Jahren vergeblich versuchen, eine Kohlengrube, die stillgelegt werden soll, in Eigenregie vor dem wirtschaftlichen Aus zu
retten. Der Autor Joachim Barckhausen hatte zunächst Slatan Dudow von dieser
seiner alten Filmidee erzählt, die wegen ihrer antikapitalistischen Tendenz von der
Ufa abgelehnt worden war. Dudow war mit seinem eigenen Projekt Unser täglich
Brot beschäftigt und so kam Wolfgang Schleif zum Zuge.
Schon ein dreiviertel Jahr nach Grube Morgenrot hatte sein Jugendfilm ... und
wenn’s nur einer wär Premiere und noch im selben Jahr, am 30. Dezember ‘49,
Die Blauen Schwerter, Beispiel einer ganz ungewöhnlichen Produktivität und
Qualität.
Damit wurde das Genre des historisch-biographischen Films fester Bestandteil
der thematischen Planung. Doch mit Ausnahme des bald folgenden Films über
den Frauenarzt und Geburtshelfer Ignaz Philipp Semmelweis, den Retter der Mütter, scheiterten andere Portät-Pläne überwiegend bereits an ideologischen Bedenken: Carl v. Ossietzky und Berta von Suttner wegen pazifistischer Tendenzen. Die
Selbsthelfer Michael Kohlhaas und Claus Störtebeker waren als Anarchisten verdächtig. Der freche Franzose Francois Villon aber wurde ein Opfer der zeitgenössischen Prüderie.
Zurück zu den Blauen Schwertern. Dem Regisseur stand auch bei seinem dritten Film der erfahrene Kameramann E. W. Fiedler zur Seite und zwei im historischen Milieu erprobte Szenen- und Kostümbildner sorgten für ein stimmiges Ambiente.
Noch während der Endfertigung seines Films bat die Direktion Schleif um uneigennützige Hilfe für einen in die Krise geratenen Gegenwartsfilm – Bürgermeister Anna nach einem Buch des berühmten Friedrich Wolf. Obwohl der Autor, zu
264
dieser Zeit Botschafter der DDR in Polen, Qualität statt Eile anmahnte, wurde das
Drehbuch in drei Wochen erstellt. Das Studio brauchte die Ablieferung des Films
zum Jahresende. Ohne namentlich genannt zu werden, wurde Schleif zum Mitregisseur berufen. Hans Müller drehte tagsüber, Wolfgang Schleif mit einem zweiten Team des Nachts. Allein der Regieassistent Joachim Kunert sorgte dafür, daß
wenigstens die Anschlüsse stimmten. Aus jahreszeitlichen Gründen mußte der
sommerliche Außenschauplatz im kleinen Johannisthaler Atelier gedreht werden .
Kein Wunder, daß Friedrich Wolf enttäuscht davon sprach, dieses Dorf rieche
nach Pappe. Immerhin, mit der Mischung in der Nacht zu Silvester konnte das
Studio die Planerfüllung melden.
Die ungeheure Anstrengung wurde nicht belohnt. Der fertige Film erfuhr eine
schonungslose politische Kritik. Wolfgang Schleif aber hatte sich erneut als richtiger Profi und selbstloser Kollege erwiesen.
Sein nächstes Projekt scheint eher eine Verlegenheits- und Auftragsarbeit und
hieß Saure Wochen – frohe Feste. Das zeitgenössische Lustspiel handelte vom
Wettstreit zweier Laienspielgruppen, der auf dem Betriebfest ihres Kraftwerks
ausgetragen wird. Dabei siegt schließlich das kabarettistische Programm junger
Leute über ein kitschig-konventionelles Singspiel aus der Mottenkiste der Alten.
Allein in den »sauren Wochen«, die dem Fest vorangehen, bewähren sich Jung
und Alt bei einer Havarie als feste Gemeinschaft. Nun aber folgten »saure Wochen« erst einmal für den Regisseur.
Schleif arbeitete an einer Filmversion der Erzählung Leinwandmesser von Leo
Tolstoi, leider vergeblich. Das ungeschönte Bild des Dorfes im zaristischen Rußland, so wurde befürchtet, könne »bei einem Teil des deutschen Filmpublikums an
reaktionäre Vorstellungen über die Sowjetunion« anknüpfen.
Der rastlose Mann sah seine Kreativität und kontinuierliche Produktion behindert. Sein Engagement für die Nachwuchsausbildung von Schauspielern und Regisseuren in der frühen DEFA-Akademie konnten ihm den Regiestuhl nicht ersetzen. 1952/53 drehte Schleif seinen letzten DEFA-Film Die Störenfriede nach
einem Buch von Hermann Werner Kubsch und erstmals Wolfgang Kohlhaase. Als
die Premiere am 26. Juni 1953 im DEFA-Filmtheater Kastanienallee stattfand,
nahm der Regisseur schon nicht mehr daran teil.
Doch die Trennung vom Studio hatte sich schon länger angekündigt. Die Arbeitsbedingungen hatten sich durch zu viele und zu lange Debatten um Bücher
und Drehgenehmigungen deutlich verschlechtert. Die Produktion war von Jahr zu
Jahr geschrumpft. Mehr und mehr beeinflußte auch die politische Entwicklung
die persönlichen Entscheidungen von Künstlern, die ihren Wohnsitz in Westberlin
hatten und behalten wollten.
Der D-Mark-Anteil am Honorar erschien mit wachsenden Preisen im Westen
als zu gering. Unser Geld war in den Westberliner Wechselstuben nur ein Siebtel
wert. Die Westberliner DEFA-Leute aber brauchten für den Osteinkauf einen personengebundenen Einkaufsbescheinigung, und den gab es nur entweder für den
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Gehaltsempfänger oder nach vielen Beschwerden auch für die Frau und dann nur
für sie. Nun aber könne er selbst, so Schleif in einem Brief an die Leitung, »als
Regisseur der DEFA, einer Weltfirma, im demokratischen Sektor von Berlin nicht
einmal eine Schachtel Streichhölzer einkaufen ... Ja, ich muß damit rechnen, daß
mir Dinge, die ich zur Arbeit brauche, beschlagnahmt werden, weil ich keine Einkaufsbescheinigung vorweisen kann.« Und er klagte über würdelose Zoll-Prozeduren »beinahe bei jeder S- oder U-Bahnfahrt am Grenzbahnhof (...) Tag für Tag
oder gar mehrmals am Tag ...«.
Nach folgenloser Vorsprache beim höchsten DEFA-Chef in Berlin legte er am
9. April 1953 im Hinblick auf die wochenlangen Außenaufnahmen in Thüringen
und zu geringe Spesen bei zu hohen Unkosten die verabredete Regie für den Film
Hexen nieder. Er nahm unbezahlten Urlaub, und das Studio sperrte die nächste
Gehaltszahlung. Erst nachdem auch andere Westberliner die DEFA verlassen hatten, wurde das Bezugsscheinregime liberalisiert, ein Spezialgeschäft für ihre Einkäufe in Ostberlin eröffnet. Zu spät für Schleif.
Schon ab 1954 drehte er im Westen und schnell hintereinander: Ännchen von
Tharau; Die Mädels vom Immenhof; Freddy, die Gitarre und das Meer, leider
aber auch Rommel ruft Kairo pünktlich zu Adenauers Bemühungen um die Wiederaufrüstung.
Wolfgang Schleif kommentierte später seinen politischen und künstlerischen
Systemwechsel so: »Bei der DEFA habe ich mich mit klugen politischen Köpfen
herumgeschlagen, hier schlage ich mich mit Zigarettenhändlern herum, die das
Geld haben«.
Ich kehre zu meiner kleinen Entschuldigung vom Anfang zurück. Mal sehen,
ob mir beim Vorschlag und ihnen bei der Wahl der Blauen Schwerter die gute Erinnerung einen Streich gespielt hat oder ob das Werk, sicher auch ein Dokument
der filmischen Stil- und Zeitgeschichte, unsere Erwartungen heute enttäuscht.
Dann trösten wir uns eben damit, daß wir an Böttgers Erfindung des Weißen
Goldes gerade jetzt erinnern, wo alle Welt den 300. Jahrestag der Meißener Porzellanmanufaktur würdigt, die hoch verdient und doch erstaunlicherweise die
Kehrtwende in die Marktwirtschaft gemeißenert, nein, gemeistert hat.
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Die blauen Schwerter
Produktionsland
DDR
Premierendaten
Uraufführung: 30. Dezember 1949, Berlin,
Kino Babylon
Prüfung/Zensur
Alliierte Militärzensur (DE): 14. Dezember 1949
Produzent
Verleih
Auszeichnung
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüme
Maske
Ton
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
DEFA Deutsche Film-Aktiengesellschaft
PROGRESS Film-Verleih
Nationalpreis 3. Klasse für den Kameramann
Erich W. Fiedler (1951)
Wolfgang Schleif
Regie-Assistenz: Hans-Joachim Kunert
Alfred R. Böttcher
Marieluise Steinhauer
Erich Wilhelm Fiedler
Standfotos: Erich Kilian
Erich Zander, Karl Schneider
Walter Schulze-Mittendorff, Hans Kieselbach
Kurt Aust, Lotte Schmidt, Schnitt: Hermann Ludwig,
Kurt Witte, Musik: Walter Sieber
Robert Leistenschneider
Produktionsassistenz: Fritz Pamme
Fritz Brix, Erwin Dräger
Böttger: Hans Quest
Frau von Tschirnhausen: Ilse Steppat
von Tschirnhausen: Alexander Engel
Nehmitz: Herbert Hübner
August der Starke: Willy A. Kleinau
Katharina: Marianne Prenzel
König Friedrich I.: Paul Wagner
Dr. Bartolomäi: Wolfgang Kühne
Kreisamtmann von Wittenberg: Werner Pledath
Laskari: Klaus Miedel, Wildenstein: Hans Emons
Köhler: Siegfried Dornbusch
Schubert: Walter Weinacht
Wirt im »König von Portugal«: Alfred Maack
Leutnant Menzel: Rolf Weih
Fürst von Fürstenberg: Alexander Schäffer
Apotheker Zorn: Martin Rosen
Bedienerin bei Zorn: Inge van der Straaten
267
Darstellende
Zum Inhalt
Bergrat Kunkel: Robert Taube
Graf Wartenberg: Otto Stöckel
Kommandant der Bastei: Werner Segtrop
Spion Dünnbrot: Werner Marx
Gehilfe von Dünnbrot: Hans Fiebrandt
Provisor der Apotheke: Otto Matthies
Leutnant von Kittwitz: Erik von Loewis
Finanzminister: Albert Bessler
Baumeister des Königs: Heinz Lingen
Kavalier am Dresdner Hof: Gustav Lücke
Apothekerlehrling: Henning Schlüter
Maitresse: Sonja Hardtke, Oberst Klesch: Axel Triebel
Herbergswirt: Franz Lichtenauer
Diener von Laskari: Friedrich Teitge
Student in Wittenberg: Hannes Fischer
Königlicher Münzmeister: Hans Sanden
Hausknecht im »König von Portugal«: Harry Gillmann
Kleiner Mohr: Aite Folli
in weiteren Rollen: Alfred Walter, Hans Jöckel,
Alois Krüger, Bruno Lopinski, Hans Meng,
Perzy Werner, Erich Gürtler, Walter Schramm,
Alfred Stein, Max Paetz, Johannes Bergfeldt,
Günter Glaser, Irene Medding, Edmund Pouch,
Franz-Willy Markiewicz, Nico Turoff, Ulrich Busch
Paul Singer, Friedrich Berger, Wilhelm Kaiser-Heyl,
Otto Köppen, Kurt Muskate, Franz Musetti
Anna Sablotzki, Willi Narloch, Emil Seefeld
Berlin, 1701. Der junge Johann Friedrich Böttger ist ein unruhiger, aber kluger Geist.
Allerdings trifft er mit seinen Forschungen beim Lehrmeister Zorn der königlich preußisch
privilegierten Apotheke auf großes Unverständnis.
Friedrich Zorn sieht darin nur Teufels Werk. Mehr Unterstützung erhält er vom zwielichtigen Mönch Monsieur Laskari, der nicht nur dem europäischen Adel vorgaukelt, er verstehe
das Goldmachen. Wie ein Instrument benutzt er Böttger, um die Kommission des preußischen Königs von seiner Erfindung zu überzeugen. Der Adel hofft, damit ein geeignetes
Mittel gefunden zu haben, um die eigenen kostspieligen Ausgaben zu finanzieren.
Erst als Laskari reich belohnt abreist, wird sich der junge Wissenschaftler der Gefahr bewußt, der er nun ausgesetzt ist. Mit Hilfe von Katharina, die ihm in Liebe zugetan ist, kann
er den Häschern von König Friedrich I. entkommen und nach Wittenberg in Kursachsen
fliehen. Doch der auf ihn angesetzte preußische Spion Dünnbrot macht den Studiosus ausfindig und verlangt seine Auslieferung. So wird August der Starke auf Böttger aufmerksam
und läßt ihn in einer geheimen Aktion auf der Jungfernbastei an der Elbe festsetzen. Dort
soll Böttger Gold für den König von Sachsen und Polen produzieren. Aber Böttger hat
längst ein anderes Ziel vor Augen: Er will das Geheimnis des »Weißen Goldes«, des chinesischen Porzellans, lüften.
Ein spannender, biografischer Film um die historische Figur des Porzellanentdeckers und
Alchimisten Johann Friedrich Böttger (1682 – 1719) in der Zeit des Absolutismus.
268
Das Beil von Wandsbek
In die Filmgeschichtsschreibung der Nachwende ist Das Beil von Wandsbek als
der erste Verbotsfilm der DEFA eingegangen.
Vorab dazu die knappen Fakten: Das Regie-Debüt von Falk Harnack hatte am
11. Mai 1951 Premiere im Kino Babylon bei gleichzeitigem Start im DEFA-Kinotheater Kastanienallee. In den folgenden fünf Wochen erreichte der Film, begleitet
von einer breiten, übereinstimmend positiven, ja überschwänglichen Presse, bereits 800 000 Besucher. Da zog ihn die DEFA als Teilhaber von Progress FilmVertrieb aus den Kinos zurück. Erst zehn Jahre später wurde eine um 20 Minuten
gekürzte Fassung für den Inlandeinsatz und Export freigegeben und zum 75. Geburtstag von Arnold Zweig am 9. November 1962 aufgeführt.
Die erste Wiederaufführung des Originals fand im Januar 1982 in der Akademie der Künste zum 75. Geburtstag von Erwin Geschonneck statt. Horst Pehnert,
Stellvertreter des Kulturministers und Leiter der HV Film, hatte die Neuzulassung
ohne politische Rückversicherung verfügt. Vorführungen blieben jedoch weitgehend auf Filmkunsttheater und Filmklubveranstaltungen begrenzt. Das DDRFernsehen zeigte den Film am 24. Januar 1983.
Nun aber zurück in die Werkgeschichte.
Die Auseinandersetzungen um den Film 1951/52 läuteten Falk Harnacks Abschied von Babelsberg ein. Unter den frühen künstlerischen Verlusten der DEFA
war dies der schwerste und schmerzlichste, denn es war nicht der Regisseur und
Genosse, der den Bruch vollzog. Und so lohnt ein Blick auf das Leben eines Mannes, der als »kleinbürgerliches, zurückgebliebenes und zurückbleibendes Element« im August 1952 vertrieben wurde.
Harnack, Jahrgang 1913, entstammte einer kunstnahen Familie, der Vater war
Literaturhistoriker und Goethe-Forscher, die Mutter Malerin. Er studierte Germanistik, Theater-, Zeitungs- und Volkswirtschaft und promovierte bereits zu einem
dramaturgischen Thema. So war die Theaterlaufbahn programmiert. Sie begann in
Berlin und München und führte ihn als Regisseur, Schauspieler und Dramaturg
ans Nationaltheater Weimar und ans Staatliche Landestheater Altenburg, bis auch
ihn der Krieg 1941 in den Militärdienst zwang. Schon als 20jähriger wurde er
Mitglied der KPD. Er war aktiv bei einer Münchener Flugblattaktion 1934 und
1942 auch im Kontakt mit der Weißen Rose. Als er im Februar ‘43 an der Gedächtniskirche vergeblich auf Hans Scholl wartete, ahnte er nicht, daß der inzwischen verurteilt und hingerichtet war wie auch seine Schwester Sophie. Das gleiche Schicksal hatte da bereits seinen Bruder Arvid und seine Schwägerin Mildred
getroffen. Sie waren mit Harro Schulze-Boysen führende Köpfe der weitverzweigten Widerstandsgruppe, die die Gestapo als Rote Kapelle verfolgte und
unters Schafott brachte.
269
1943 kam es zur Verhaftung weiterer Sympathisanten der Weißen Rose, nun
auch von Falk Harnack. Dank mangelnder Beweise konnte er aus der Haft zu
seiner Truppe nach Griechenland zurückkehren. Als ein unheildrohender Geheimbefehl Himmlers ihn nach Berlin beorderte, gelang ihm die Flucht zu den Partisanen. Dem Gründer und Leiter eines Antifaschistischen Komitees deutscher Soldaten blieb eine längere britische Gefangenschaft erspart.
Zurück in München arbeitete er am Bayerischen Staatstheater, bis ihn 1947 Intendant Wolfgang Langhoff als seinen Stellvertreter ans Deutsche Theater rief.
Hier inszenierte er Die russische Frage von Konstantin Simonow, Stücke von
Carl Sternheim (Die Kassette) und Julius Hay (Haben), Lessings Emilia Galotti.
Als im Frühjahr 1949 der Künstlerischer Leiter der DEFA, Kurt Maetzig, endgültig in den Regiestuhl wechselte, wurde ein Nachfolger gesucht. In der sowjetisch-deutschen DEFA-Spitze konnte das nur ein Genosse sein, eine künstlerische
Kapazität mit Leitungserfahrung. Mit solchem Profil gab es nicht viele.
Die DEFA-Kommission des Zentralsekretariats der SED stimmte der Berufung
von Harnack zu. Er setzte nun für zwei kurze Jahre die produktive Arbeit von
Maetzig und Janka fort. Die vielfarbige Palette umfaßte an die zwanzig Filme, die
unter seiner Leitung vollendet, verabschiedet oder auf den Weg gebracht wurden.
Nach seinem Ausscheiden brach diese Kontinuität dramatisch ab. 1952 und ‘53
kamen nur noch je sechs DEFA-Filme ins Kino.
1950 erstritt sich Harnack die Regie der bereits beschlossenen Zweig-Verfilmung
und im März 51 auch seine Befreiung vom Leiteramt. Die Rechte am Roman hatte
er dem Studio sofort nach der Lektüre eines Vorabdrucks in der NBI vertraglich gesichert. Nun schrieb er das Drehbuch mit dem Dramaturgen Bortfeldt und griff dabei auf die szenaristische Vorarbeit von Wolfgang Staudte zurück, der inzwischen in
Hamburg drehte. Während die Zusammenarbeit im Produktionsteam, vor allem mit
dem erfahrenen Kameramann Robert Baberske, harmonisch verlief, gab es offenbar
nach der Musteransicht einzelner Szenen kritische Reaktionen aus der Vorstandsetage. Einwände von Arnold Zweig veranlaßten Harnack zu Nachaufnahmen.
Aber erst mit dem Rohschnitt im März 1951 kam es zum ernsthaften Konflikt.
Da allein der sowjetische Berater Igor Tschekin den Film für »kühn, klar, aber gefährlich« hielt, konnte Harnack die Endfertigung mit Montage, Synchronisation,
Musikaufnahmen und Mischung abschließen.
Zwei Monate später wurde der Film von der hochrangig besetzten DEFAKommission nicht abgenommen. Tschekin hielt die politische Aussage für untragbar und hatte sogar die Sowjetische Kontrollkommission alarmiert. Er forderte die
Absetzung des Films vom Spielplan. Gerhart Eisler, Leiter des Amtes für Information beim Ministerpräsidenten, teilte die Befürchtung offenbar nicht, der Film
erwecke Mitleid mit dem Henker. Er verbreite vielmehr die Warnung, »wer sich
mit dem Faschismus einläßt, der geht zugrunde«.
Eisler konnte sich aber auch darauf berufen, daß die Verfilmungsabsicht in der
Kommission nicht beraten wurde.
270
So kam es zur Anrufung der letzten Instanz, des Politbüros, und zur Vorführung
vor Wilhelm Pieck, Hermann Axen, Paul Verner, Rudolf Herrnstadt und Gerhart
Eisler. Er war wiederum der Einzige, der dem Rückzug des Films widersprach,
den Tschekin noch einmal als »schädlich« qualifiziert hatte, weil nicht das
Schicksal der Widerstandskämpfer, sondern die Tragik des Henkers und seiner
Frau im Zentrum stünde. Peinlich nur, daß der Film bereits mit großer Resonanz
in den Kinos angelaufen war.
Pieck wollte Arnold Zweig schonen und schlug vor, die Öffentlichkeit mit kritischen Zuschauerstimmen auf die Absetzung des Films vorzubereiten. So kam es
zu einem förmlichen Beschluß des Politbüros und des Sekretariats des ZK.
Nun wurden also die Leserbriefe bestellt, um die beschlossene Sanktion mit
Volkes Stimme zu rechtfertigen. Die Attacke eröffnete die Berliner Zeitung unter
der Titel-Anklage »Mitleid mit dem Henker« und der Behauptung, die Aufführung sei verwirrend und gefährlich. Der Dresdener Sächsischen Zeitung fehlte
»der Haß gegen den Faschismus, die Kampfbereitschaft gegen den sich entwickelnden Neofaschismus in den USA und Westdeutschland«. Die Leipziger
Volkszeitung druckte den ungeheuerlichen Vorwurf, »der Mörder und seine Familie werden idealisiert«. Wenige Tage später folgte aus Dresden Anklage und
Schuldspruch: »Wir lassen uns das Bewußtsein unseres Volkes nicht durch
schlechte Filme, die den Interessen der Kriegstreiber dienen, vergiften. Es wird
Zeit, daß dieser Film zurückgezogen wird.«
Dem folgte alsbald, was längst beschlossen war. Arnold Zweig, Präsident der
Akademie der Künste, vermied den Eklat und wandte sich an die am wenigsten
zuständige Adresse. Sein förmlicher Widerspruch bei der DEFA blieb folgenlos.
Eine in Aussicht genommene Debatte über »Schritte, den Film künstlerisch und
politisch zu retten«, fand weder im Vorstand, noch im Beirat oder der DEFAKommission statt. Ein Brief der zeitweiligen Parteigruppe des Films, voran
Harnack und Geschonneck, an die Kulturabteilung des ZK, blieb unbeantwortet.
Nun veranlaßte Zweig eine Vorführung und Diskussion in der Akademie, der
sich jedoch der eingeladene DEFA-Vorstand verweigerte. Auf Änderungsvorschläge konnte man sich nicht verständigen. Selbst Brecht, der sich für den Film
jetzt und auch später sehr einsetzte, befand kategorisch: »Es darf durch das seelenvolle Auge eines guten Schauspielers kein Mitleid erweckt werden. Ist dies der
Fall, dann ist der Film von dieser Stelle an untragbar.«
Eine »Filmresolution des Politbüros« vom Juli 1952 erstickte jeden weiteren
Gedanken an eine Rettung. Da hieß es u. a.: »Noch krasser offenbaren sich die
Fehler des kritischen Realismus in dem Film Das Beil von Wandsbek, der nicht
die Kämpfer der deutschen Arbeiterklasse zu den Haupthelden macht, sondern
ihre Henker. Die Verfilmung des Stoffes war ein ernster Fehler der DEFA-Kommission und des DEFA-Vorstandes.«
Vom Regisseur war nicht die Rede. Doch in der DEFA ging man danach weniger rücksichtsvoll mit Harnack um. Die von ihm angeregte Verfilmung der Kleist271
Novelle Michael Kohlhaas wurde wegen des individualistischen Selbsthelfers
nicht weiter verfolgt. Eine freie Bearbeitung des historischen Stoffes, die den Helden mit dem deutschen Bauernkrieg verband, reifte dagegen dank prominenter
Autoren (Alexander Graf Stenbock-Fermor, Joachim Barckhausen) immerhin bis
zum Szenarium. Der Drehbuchauftrag wurde erteilt, Harnacks nächste Regie
schien gesichert.
Das Politbüro aber hatte inzwischen andere Schwerpunkte gesetzt, nämlich
»Filme und Ereignisse im Kampf um den Aufbau des Sozialismus (...) und solche
(...), die hervorragendende Persönlichkeiten der Geschichte unseres Volkes in ihrem
Schaffen darstellen.« Ein konkreter Maßnahmeplan forderte die »Überprüfung des
Produktionsplanes der DEFA vom Standpunkt der Beschlüsse der II. Parteikonferenz« über den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus. Diesem Auftrag folgten
bald die Filme über Ernst Thälmann und Thomas Müntzer.
Zu den ersten Opfern dieser Plankorrektur gehörte der längst ungeliebte Kohlhaas. Stattdessen sollte »Genosse Harnack« nun einen Film über die kämpfende
westdeutsche Arbeiterklasse drehen.
Ein Hafenarbeiterstreik, so die Fabel – welch’ treffender Doppelsinn – verhindert die Entladung eines Schiffes mit Gefährlicher Fracht, so auch der spätere Titel. Der Waffentransporter muß unverrichteter Dinge abziehen. Die Aktion mündet in eine große Friedens-Demonstration.
Harnack hatte schon anhand einer frühen Textfassung die Typisierung der Figuren und den Schematismus der Szenen bemängelt. Seine Recherche in Hamburg bestätigte ihm nun auch noch die politische Unglaubwürdigkeit der Story. Er
nannte die Fiktion Selbsttäuschung und politischen Romantizismus.
Das wurde ihm nun zum Verhängnis. Das Politbüro hatte die Parteiorganisation
des Studios zu schonungsloser Kritik und Selbstkritik verpflichtet und die Parteileitung exekutierte sie nun zuerst einmal an Harnack. Der Vorstandsvorsitzende
Sepp Schwab, der Harnack schon lange mißtraute, warf ihm vor, »keine Ahnung
von der revolutionmären Arbeiterbewegung in Westdeutschland zu haben«,
»keine Stoffe mit 100%iger Stellungnahme für uns und 100%iger Absage gegenüber dem Westen« zu akzeptieren. Ein Regiekollege widersprach einer Bewährungsfrist und forderte, daß sich »Genosse Harnack sofort entscheidet in der
Frage des Umzugs in den demokratischen Sektor und seiner Beteiligung am Kampf
gegen den amerikanischen Imperialismus«. Beschwörende Vermittlungsversuche,
unter anderem von Kurt Maetzig, fanden kein Gehör. Die Parteileitung schlug vor,
Harnack »auf Grund der Resolution des Politbüros als kleinbürgerliches, zurückgebliebenes und zurückbleibendes Element aus den Reihen der Partei auszuschließen«.
Harnacks Versuch, seine Position der Einheit von Kunst und Politik zu verteidigen, blieb ungehört: »Schließt mich aus, daß ich Marxist und Sozialist auch
weiterhin bleibe, kann mir niemand verwehren.« Er gab sein Parteidokument ab
und erklärte seinen Austritt. Doch die die Mitgliederversammlung statuierte ein
272
Exempel, denn, so das Protokoll, »hier stand die Frage, sich zu entscheiden für eines der beiden Lager, die es im Weltmaßstab gibt. Harnack hat sich für das Lager
des Krieges entschieden.« Mit der Drohung, »wer noch für Harnack ist, ist kein
Genosse«, war der einstimmige Beschluß gesichert. Vierzehn Tage später endete
Harnacks Arbeit in der DEFA, denn Schwab hatte ihm vorsorglich den üblichen
Einzelvertrag mit fester DEFA-Bindung vorenthalten.
Der von den Nazis verfolgte Jude Artur Brauner nahm Harnack für zwei Jahre
als künstlerischen Berater seiner CCCF-Film-Studios in Dienst. 1955 drehte er einen der ersten westdeutschen Filme über den Widerstand Der 20. Juli und erhielt
dafür ein Filmband in Silber. Für das Fernsehen entstand 1962 Jeder stirbt für
sich allein nach dem Roman von Hans Fallada. Es folgten bis 1976 noch mehr als
zwanzig Fernsehfilme.
Sein Biograf Schoenberner bezeugte dem toten Freund 1991: »Weder die lebensgefährliche Bedrohung vor noch der sanfte Anpassungsdruck nach 1945
konnten ihn von seinem Weg abbringen.«
Das Beil von Wandsbek
Produktionsland
Premierendaten
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüme
Maske
Schnitt
DDR
Uraufführung: 11. Mai 1951, Berlin, Kino Babylon
DEFA Deutsche Film-Aktiengesellschaft
PROGRESS Film-Verleih
Falk Harnack
Regie-Assistenz: Otto Meyer
Hans Robert Bortfeldt, Falk Harnack,
Wolfgang Staudte (Manuskript),
Werner Jörg Lüddecke (Manuskript)
Marieluise Steinhauer
Robert Baberske
Standfotos: Erich Kilian
Erich Zander, Karl Schneider
Walter Schulze-Mittendorff
Herbert Zensch, Gerda Stombrowski
Hilde Tegener
273
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
274
Adolf Jansen
Walter Sieber
Kurt Hahne
Produktionsassistenz: Heinz Berg
Gustav Lorenz
Albert Teetjen: Erwin Geschonneck
Stiene Teetjen: Käthe Braun
Dr. Käthe Neumeier: Gefion
Hans Peter Footh: Willy A. Kleinau
Dr. Koldewey: Arthur Schröder
Annette Koldewey: Ursula Meißner
Oberst Lintze: Helmuth Hinzelmann
Aga Lintze: Blandine Ebinger
Anneliese Blüthe: Hilde Sessak
SA-Sturmführer Trowe: Claus Holm
Lene Prestow: Erika Dannhoff
Siegfried Mengers, Verurteilter: Fritz Wisten
Otto Merzenich, Verurteilter: Albert Garbe
Friedrich Timme, Verurteilter: Hermann Stövesand
Willi Schröter, Verurteilter: Gert Schaefer
Otto Lehmke: Friedrich Honna
Frau Lehmke: Maly Delschaft
Dörte Lehmke: Gina Presgott
Geesche Barfey: Charlotte Küter
Tom Barfey: Claus Peter Lüttgen
Karl Prestow: Raimund Schelcher
Arbeiterfrau: Gisela May, Schneider: Klaus Miedel
Gehilfe von Dünnbrot: Hans Fiebrandt
Straßenbahner: Albert Venohr
Frau Schmermund: Annemarie Hase
Kostümverleiher: Kurt Mikulski
SA-Mann Fiete: Harry Riebauer
Schuhmacher: Gustav Püttjer
Frau Michalke: Helene Riechers
Hauptwachtmeister: Herbert Richter
Dienstmädchen: Elfriede Dugall
Gehilfe im Kostümverleih: Egon Vogel
Sekretärin Fräulein Willmann: Gerda von Rohde
1. Müllkastenträger: Nico Turoff
2. Müllkastenträger: Wladimir Marfiak
in weiteren Rollen: Otto Eduard Stübler,
Thea Achenwall, Artur Malkowsky, Kurt Mühlhardt,
Herbert Kiper, Ilva Günten, Georg Kröning
George Lannan, Hugo Kalthoff, Georg Helge,
Bruno Lopinski, Käte Alving, Gertrud Paulun,
Marga Becker, Erich Gühne, Werner Segtrop,
Otto Stoeckel
Zum Inhalt
Falk Harnacks DEFA-Film beruht auf dem gleichnamigen Roman von Arnold Zweig:
Nachdem der Hamburger Fleischermeister Albert Teetjen die Konkurrenz eines Warenhauses schmerzhaft zu spüren bekommen hat, wird er Mitglied der NSDAP. Und tatsächlich
wird ihm bald eine neue Arbeit angeboten. SS-Standartenführer Footh schlägt dem Fleischer vor, die Rolle des erkrankten Scharfrichters zu übernehmen. Teetjen geht darauf ein,
doch er und seine Frau Stiene werden an der Aufgabe zerbrechen.
Der Untertan
Schaut man auf Wolfgang Staudtes furiosen DEFA-Start mit zwei politisch-dramatischen Filmen Die Mörder sind unter uns und Rotation, so erscheint seine
Sympathie für das anscheinend heitere Genre nicht so selbstverständlich. Schließlich waren auch seine Erfahrungen auf diesem Feld nicht gerade die besten. Sein
zweiter Spielfilm nach Akrobat schööön, die Bürokratie-Groteske Der Mann, dem
man den Namen stahl, wurde 1944 verboten. Zwar konnte er Teile des Films in
seine zweite DEFA-Produktion Die seltsamen Abenteuer des Herrn Fridolin B.
einschneiden, doch trotz prominenter Besetzung mit Axel von Ambesser, Paul
Henckels, Aribert Wäscher und Ernst Legal wollte sich weder das Publikum noch
die Kritik für den »seltsamen Film« und die »Satire im luftleeren Raum« erwärmen, so jedenfalls die Schlagzeilen.
Rascher als gedacht, war Staudtes Zorn auf DEFA-Chef Sepp Schwab und
seine Zensurschnitte im Film Rotation verflogen. Nach kurzem Ausflug nach
Hamburg kehrte er zur DEFA zurück. Heinrich Manns Roman lieferte ihm den
richtigen Stoff zur rechten Zeit. Er schuf eine großartige Filmsatire, die in Gehalt
und Gestalt in der deutsch-deutschen Filmgeschichte beispiellos ist.
Wie es dazu kam, erzählt Staudte selbst: »Ich fuhr zur Premiere Die Mörder
sind unter uns nach London und ein englischer Kritiker (...) sagte hinterher zu
mir: ›Dieser Arno Paulsen (der Darsteller des Mörders in Uniform – D. W.) ist ja
eine unheimliche Gestalt, mit dem müßten Sie den Untertan machen.‹ Damals
kannte ich den Roman überhaupt nicht. Als ich zurück nach Berlin kam, habe ich
leichtsinnigerweise zu den DEFA-Leuten gesagt: ›Den Untertan müßte man machen, ein unheimlich guter Stoff, mit Paulsen.‹ Und da sprangen sie voll darauf
an, aber die Rechte lagen in Amerika, und ich habe das erst mal aus den Augen
verloren. Eines Tages hieß es, wir haben die Rechte erworben, Staudte macht als
nächstes den Untertan. Da habe ich schnell erst mal das Buch gelesen.«
Nicht alle waren von dieser Stoffwahl so überzeugt. Ideologie-Chef Anton
Ackermann kritisierte am Drehbuch »die völlige Perspektivenlosigkeit, das ganze
275
Volk besteht nur aus Untertanen«. Und das in der Zeit von Karl Liebknecht. Es
müsse wenigstens ein Arbeiter eine kämpferische Figur darstellen. Und: »Die alte
Ufa-Erotik sollte endlich aus unseren Filmen verschwinden. Die Szene im Lumpensaal mit dem jungen Arbeiter und seiner künftigen Frau (...) läßt völlig falsche
Schlußfolgerungen für unsere Arbeiter heute zu. (...) Dies ist ein schlechtes Beispiel
für Arbeitsmoral. Wobei der Unterschied zwischen einem kapitalistischen und einem VEB-Betrieb im Film nicht klargestellt werden kann.« Hier aber bewährte sich
die autoritäre Entscheidungsfreude desselben DEFA-Chefs, Sepp Schwab nämlich,
der die Dreharbeiten für unaufschiebbar erklärte. Da Arno Paulsen für die Hauptrolle nicht zur Verfügung stand, entschied sich Staudte glücklicherweise für den
jungen Werner Peters, der seine Begabung für satirische Nuancen schon in einer
kleinen Nebenrolle in Erich Engels Affäre Blum unter Beweis stellen konnte.
Die anspruchsvollen Dreharbeiten verliefen offenbar problemlos. Günter
Reisch beschreibt aus eigener Anschauung Staudte als Regisseur der »lockeren
Hand, der im Atelier Atmosphäre erzeugte. Er drehte gerade den Untertan und
Maetzig Roman einer jungen Ehe. Beide arbeiteten Atelier an Atelier. Während
Maetzig nachdachte, wie er den Schauspielern die komplizierten Anforderungen
der Szene allgemeinverständlich nahebringen könnte, vergnügte sich Staudte mit
Werner Peters nebenan im Ateliergang beim Tischtennisspielen. Inzwischen richtete Kameramann Baberske das Licht ein, und ein Aufnahmeleiter bemühte sich,
die beiden in die Dekoration zurückzubekommen. Und ich lief zu ihnen hinüber
und guckte, was die so locker machten und wie sie es taten – direkt von der Tischtennisplatte mitten in die Szene hinein.«
Diese mentale Lockerheit stand offenbar aller geistigen Präzision nicht im
Wege. Im Gegenteil. Staudte nutzte die Romanvorlage zur schärfsten filmkünstlerischen Auseinandersetzung mit preußisch-deutscher Autoritätsgläubigkeit, Untertanengeist, Herrenmoral und militantem Nationalismus.
Das Werk fand trotz der Ufa-fernen und wenig DEFA-üblichen Stilistik eine
selten einmütige Aufnahme und Resonanz bei Zuschauern, Kritikern und politischen Auguren. Regisseur und Hauptdarsteller erhielten den Nationalpreis.
Das war so selbstverständlich nicht. Noch während der Dreharbeiten hatte das
ZK zum »Kampf gegen Formalismus in Kunst und Literatur« aufgerufen. Doch
Staudte ließ sich in seiner Konzeption nicht beirren. Mit seinem Kameramann
suchte er zugespitzte charakterisierende Bildperspektiven, ungewöhnliche Blickwinkel, provozierende Bild- und Tonmontagen. Eine Szene des Drehbuchs spielte
in Rom. Diederich Heßling wird Zeuge von Kaiser Wilhelms Staatsbesuch und
huldigt überschwänglich seinem angebeteten Idol. Der Schauplatz-Ferne gehorchend, inszenierte Staudte die Nahaufnahme einer kaiserlichen Kutschfahrt, die
der katzbuckelnde Heßling hutschwenkend und jubelnd begleitet.
Staudte wollte das Zeitbild des wilhelminischen Imperialismus als sehr aktuelle Mahnung verstanden wissen und erfand dafür eine einprägsame filmische
Metapher. Die Handlung endet mit der Einweihung des Kaiser-Denkmals. Über
276
die pompöse Feier bricht ein Unwetter-Gewitter herein und das Bild überblendet
in die zerbombte Trümmerwüste der Kleinstadt Netzig.
Der bald in aller Welt berühmte Film wurde in Adenauers restaurativer Bundesrepublik verboten. Der Spiegel lieferte dem Interministeriellen Ausschuß der Regierung die Zensurgründe gegen das »Paradebeispiel ostzonaler Filmpolitik: Man läßt
einen politischen Kindskopf wie den verwirrten Pazifisten Staudte einen scheinbar
unpolitischen Film drehen, der aber geeignet ist, in der westlichen Welt Stimmung
gegen Deutschland und damit gegen die Aufrüstung der Bundesrepublik zu machen.
Der Film läßt vollständig außer acht, daß es in der ganzen preußischen Geschichte
keinen Untertan gegeben hat, der so unfrei gewesen wäre wie die volkseigenen
Menschen unter Stalins Gesinnungspolizei es samt und sonders sind.«
So kommt der Film in der BRD erst 1957 mit einem peinlich belehrenden Vorspann, entstellenden Schnitten und um elf Minuten gekürzt ins Kino. Auch das
Schluß-Menetekel fehlt. Staudte inszenierte in den 50er Jahren in der DEFA nach
seinem meisterlichen Märchenfilm Die Geschichte vom kleinen Muck noch die
Koproduktion mit Schweden Leuchtfeuer, während seine Version von Mutter
Courage und ihre Kinder aus den schon bekannten Gründen unvollendet blieb.
Nach seiner scharfen Zeitsatire Rosen für den Staatsanwalt (1959), der Ablehnung des Bundesfilmpreises dafür, nach den zwei ebenfalls gesellschaftskritischen Filmen Kirmes und Herrenpartie wurde Staudte in der veröffentlichten
Meinung endgültig zum Nestbeschmutzer gestempelt.
Als Lilly Becher für die Verfilmung von Abschied Mitte der 60er Jahre Wolfgang Staudte noch einmal ins Gespräch brachte, winkte Studiodirektor Professor
Wilkening sogleich ab. Erst kürzlich habe der ihn wissen lassen, daß er sich aus
politischen Gründen seiner Existenz im Westen keine neue DEFA-Verpflichtung
leisten könne, es sei denn in einer regulären Koproduktion. Im übrigen erwarte er
ohne Buchmitarbeit ein Regiehonorar von 150 000 DM, und er wisse wohl, daß
sich das nun wieder die DEFA nicht leisten könne.
Der Untertan
nach dem gleichnamigen Roman von Heinrich Mann
Produktionsland
Premierendaten
DDR
Uraufführung: 31. 8. 1951, Berlin, Kino Babylon,
Defa-Filmtheater Kastanienallee; TV-Erstsendung:
2. 9. 1954, DFF, BRD-Erstaufführung: 8. 3. 1957,
München, Sendlinger Tor-Lichtspiele, Rathaus-Lichtspiele; TV-Erstsendung: 27. 7. 1961, ARD
277
Produzent
Verleih
Auszeichnungen
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Dreharbeiten
Darstellende
278
DEFA Deutsche Film-Aktiengesellschaft
PROGRESS Film-Verleih
1951: Nationalpreis II. Klasse für Wolfgang Staudte,
1951: Nationalpreis III. Klasse für Werner Peters,
1951: »Preis für den Kampf um den sozialen
Fortschritt« des VI. Internationalen Filmfestivals
Karlovy Vary, 1956: Ehrendiplom in Helsinki
auf einer Festveranstaltung anläßlich des 60. Jahrestages der Erfindung des Films
Wolfgang Staudte
Regie-Assistenz: Hanna Bark, Werner Reinhold
Wolfgang Staudte, Fritz Staudte
Hans Robert Bortfeldt
Robert Baberske
Kameraassistenz: Günter Marczinkowsky
Standfotos: Eduard Neufeld
Erich Zander, Karl Schneider
Walter Schulze-Mittendorff
Alois Strasser, Willy Roloff
Johanna Rosinski
Erich Schmidt
Horst Hanns Sieber
Willi Teichmann
Produktionsassistenz: Heinz Berg
Fritz Brix, William Neugebauer
1. 3. 1951 bis 22. 6. 1951:
Außengelände der Studios in Potsdam-Babelsberg
Diederich Heßling: Werner Peters
Regierungspräsident von Wulkow: Paul Esser
Frau von Wulkow: Blandine Ebinger
Vater Heßling: Erich Nadler
Mutter Heßling: Gertrud Bergmann
Emmi Heßling: Carola Braunbock
Magda Heßling: Emmy Burg
Guste Daimchen: Renate Fischer
Fabrikant Göpel: Friedrich Maurer
Frau Göpel: Friedel Nowack
Agnes Göpel: Sabine Thalbach
Mahlmann: Hannsgeorg Laubenthal
Vater Buck: Eduard von Winterstein
Dr. Wolfgang Buck: Raimund Schelcher
Darstellende
Zum Inhalt
Dr. Heuteuffel: Paul Mederow
Fabrikbesitzer Lauer: Friedrich Richter
Warenhausbesitzer Neumann: Richard Landeck
Amtsgerichtsrat Kühlemann: Fritz Staudte
Landgerichtsrat Fritzsche: Oskar Höcker
Pastor Zillich: Ernst Legal, Major Kunze: Axel Triebel
Dr. Mennicke: Wolfgang Kühne
Leutnant von Brietzen: Wolfgang Heise
Landgerichtsdirektor: Arthur Schröder
Napoleon Fischer: Friedrich Gnaß
Sötbier: Ernst Wehlau
Junger Arbeiter: Kurt-Otto Fritsch
Junge Arbeiterin: Viola Recklies
Geheimer Medizinalrat: Georg August Koch
Hornung: Heinz Keuneke, Wiebel: Peter Peters
Jungfrau von Orleans: Antje Ruge
in weiteren Rollen: Albert Venohr, Hans Rose,
Anna-Maria Besendahl, Hilma Schlüter, Steffie Spira,
Käthe Scharf, Harry Riebauer, Egon Brosig,
Musy Haffner, Edgar Pauli, Franz Lichtenauer,
Charles-Hans Vogt, Hans Schiller, Günther Ballier,
Lutz Götz, Fredy Barten, Christine Traute-Wiere,
Hans Olaf Moser, Egon Vogel, Walter Strasen,
Walter B. Schulz, Günther Polensen, Ludwig Sachs,
Johannes Maus, Bella Waldritter, Dorothea Bracks,
Elka Hedrich, Hans Sanden, Werner Kunkel,
Hannjo Hasse, Horst Schönemann, Edgar Pauly,
Georg Helge, Willi Wietfeldt, Friedrich Schrader
Carlo Kluge, Kurt Wilde, Reginald Iwinski,
Friedrich Teitge, Arthur Schilsky, Günter Polsensen,
Gerd Wolfrum, Martin Rickelt
Eine gelungene Satire nach Heinrich Manns Roman über den kleinbürgerlichen Aufsteiger
Diederich Heßling im wilhelminischen Deutschland. Er hat gelernt, nach oben zu buckeln
und nach unten zu treten. Er knüpft Beziehungen zu einflußreichen Leuten, die ihm nützen
können, für seinen geschäftlichen Erfolg, unter solchen Erwägungen wählt er auch seine
nicht sonderlich attraktive, aber reiche Ehefrau aus. Und er nutzt seine Beziehungen zum
Regierungspräsidenten von Wulkow, um einen unliebsamen Konkurrenten auszuschalten.
Sein größtes Erlebnis ist es, den Kaiser aus der Nähe gesehen zu haben. Eifrig sammelt er
für ein Kaiserdenkmal in seiner Stadt. Doch die Einweihung geht in einem tosenden Gewitter unter.
279
Das Fräulein von Scuderie
Der historische Krimi nach geradezu klassischer Novelle von E. T. A. Hoffmann
läßt unsere kleine filmhistorische Einführung zur überraschenden Hommage geraten. An Henny Porten nämlich. Vor 120 Jahren geboren, jährt sich ihr 50. Todestag
im Oktober.
Wir Dramaturgie-Praktikanten aus dem germanistischen Filmseminar der
Jenaer Universität hörten im Sommer 1953 in Babelsberg von Produktionschef
Dr. Albert Wilkening vom bevorstehenden DEFA-Gastspiel der berühmten Diva
der Stummfilm-Ära. Die eher amüsierende Nachricht schien uns kein so überwältigendes Signal für den sozialistischen Aufbruch unserer jungen DDR-Kinematografie. Daß da neben fragwürdiger Publikumserwartung auch die große Politik im
Spiele war, blieb uns erst einmal verschlossen.
Eines allerdings stimmte versöhnlich: Die westdeutsche restaurative, rein kommerziell orientierte Unterhaltungsindustrie hatte den Star trotz des zugkräftigen
Namens merkwürdigerweise in der Versenkung der holsteinischen Provinz belassen. So schien es wenigstens ein Akt künstlerischer Solidarität, ihr zu einer wirkungsvollen Wiederkehr zunächst einmal in unseren Kinos zu verhelfen.
Die Filmkarriere der Henny Porten war tatsächlich beispiellos. 17jährig begann
sie 1907 mit ihrer Schwester Rosa in sogenannten »Tonbildern« in der Regie ihres
Schauspiel-Vaters, der zuvor Opernsänger war. In der Rolle eines Schäfers spielte
Henny im »Gesangsfilm« mit dem Vers »Fassen sie mich recht behutsam an, ich
bin hergestellt aus Meißner Porzellan!« Und das war dann auch der Titel ihres Debüts: Meißner-Porzellan.
Nach vielen kleinen Rollen wurde sie 1911 mit dem Liebesglück der Blinden
als »germanische Venus« zur ersten populären deutschen Filmschauspielerin, neben dem Star aus Dänemark – Asta Nielsen. Die rührselige Geschichte aus der
Feder ihrer Schwester bewies sogleich ihre Stärke für ein bestimmtes Rollenfach
– sie wurde eine, wie es damals hieß, »Erste Sentimentale«. Vor allem das Melodram wurde nun ihr Grenre. Da ging es immer wieder um Liebe, Treue, Aufopferung, Verzicht. Und so tönten auch bereits die Titel: Schuld und Sühne; Im
Glück vergessen; Geächtet; Einer Mutter Opfer; Kämpfende Herzen; Wankender
Glaube; Erloschenes Licht; Märtyrerin der Liebe. An die achtzig Titel allein bis
1921.
Endlich engagiert sie eine Kapazität wie Leopold Jeßner für seinen expressionistischen Film Hintertreppe, und das gemeinsam mit Fritz Kortner und Wilhelm
Dieterle. Der Regisseur Georg Wilhelm Pabst gibt ihr die Titelrolle in einer
Komödie als Gräfin Donelli. In der Regie von Ernst Lubitsch sieht man sie an der
Seite von Emil Jannings in Anna Boleyn und dank einer verblüffenden Einspiegelungs-Tricktechnik in einer Doppelrolle als Kohlhiesels Töchter.
280
1924 gründet sie mit Carl Froelich eine eigene Filmproduktion. Er war schon
der Kameramann aller ihrer frühen Filme und wird nun bis 1931 ihr Regisseur
für durchaus differenzierte Charakterrollen – so etwa in der Komödie Das Abenteuer der Sibylle Brant. Die meisten der fünfzehn Titel sind heute vergessen. Unter Froelich liefert sie als Luise, Königin von Preußen ihren Beitrag zur populären
nationalistischen Preußen-Gloriole.
Danach geht Froelich auch als Produzent wieder eigene Wege. Sein politischer
führt ihn schon 1933 zu den Nazis und seine Firma in enge Ufa-Bindung. Dem
Regime dient er weniger mit seinen Unterhaltungsfilmen, mehr aber in der herausgehobenen politischen Funktion eines Präsidenten der einflußreichen Reichsfilmkammer.
In den zwölf Nazijahren ist man an der weiteren Popularisierung der Porten
weniger interessiert, sie wird kaum noch besetzt. Neben der Konkurrenz jüngerer
Damen gibt es dafür einen politischen Grund: Sie trennt sich nicht, wie geraten
und später massiv gedrängt, von ihrem jüdischen Ehegatten Wilhelm v. Kaufmann. Er wird zusammen mit einem Freund der Porten vom Filmproduzenten
Erich Mehl in Berlin und Königs Wusterhausen versteckt und so vor Deportation
und drohender Ermordung bewahrt. Henny Porten verdankt Carl Froelich noch
während des Krieges die selten gewordene Hauptrolle in zwei Filmen: Familie
Buchholz und Neigungsehe.
Nach dem Krieg bekommt sie im Westen nur noch eine einzige Chance: 1949/50
in Absender unbekannt. Möglicherweise ist es Freund Erich Mehl, der selbst die
Beziehungen zur DEFA sucht und pflegt, der Henny nun ermuntert, sich mit einem Filmvorschlag an die DEFA zu wenden. Dafür wählt sie auch gleich die
höchste Adresse – den großen Vorsitzenden der DEFA-Kommission Sepp Schwab
und Studiodirektor Hans Rodenberg, der ihr als Schauspieler der berühmten Berliner Piscator-Bühne der Vornazi-Zeit bekannt gewesen sein dürfte.
Die erste Begegnung ist ausgerechnet in den heißen Juni-Tagen 1953 terminiert. »Um die große alte Dame des deutschen Films unbehelligt von West- nach
Ostberlin zu bringen, erwirkt die DEFA beim sowjetischen Stadtkommandanten
eine Durchfahrtgenehmigung durchs Brandenburger Tor, das eigentlich gesperrt
ist. Doch der Westberliner Taxifahrer stoppt, aus Angst vor den russischen Panzern, bereits an der Siegessäule. Die Porten muß mit ihren Koffern zu Fuß über
die Sektorengrenze: »Im DEFA-Haus war schon alles versammelt, alles wartete
auf mich, und mit einem großen Jubel wurde ich dann dort empfangen, und der
Vorsitzende des Staatlichen Filmkomitees nahm mich in die Arme und sagte dann
nur leise: ›Liebste Henny Porten, seien Sie willkommen bei uns und wir alle sagen Ihnen nur eines: Wir sind stolz auf Sie!‹«
So hat nach einigen Buchumwegen noch im Dezember 1954 ihr DEFA-Einstand Premiere: Carola Lamberti – Eine vom Zirkus. In einem Interview für die
Berliner Zeitung im Juli 1954 erzählt sie: »Ich habe in Babelsberg alte Bekannte
wiedergetroffen, Bühnenarbeiter, Beleuchter, Aufnahmeleiter. Es war ein herz281
liches Wiedersehen, und ich bin sehr froh, wieder arbeiten zu können. Jeder Tag,
an dem ich im Atelier stehe, ist für mich immer noch ein Feiertag.«
Joachim Barckhausen, Co-Autor für Das Fräulein von Scuderi, fühlt sich bei
dieser Wiederbegegnung an Billy Wilders Sunset Boulevard erinnert, in der Gloria
Swanson die Tragik eines gealterten, längst vergessenen Filmstars verkörpert, der
man den Ruhm wie eine Droge entzogen hat.
»An diesen Film mußten wir denken, als wir Henny Porten näher kennen lernten.
Stets trug sie einen kleinen Koffer mit sich herum, der mit vergilbten Kritiken und
alten Fotos gefüllt war, den Stationen ihres Ruhms. Tränen des Glücks konnten ihr
in die Augen steigen, wenn wir auf Spaziergängen einem alten Bauern begegneten,
der plötzlich wie angewurzelt stehen blieb und ausrief: ›Das ist doch die Porten!‹«
Der lauthals verkündete »Neue Kurs« von Partei und Regierung vom Juni 1953
und das im Januar 1954 gegründete Ministerium für Kultur orientierten wieder
verstärkt auf die Einheit Deutschlands. Es wird die große DEFA-Zeit von namhaften Darstellern, die in Westberlin und Westdeutschland wohnhaft sind.
Und es war offenbar eine letzte glückliche Stunde für Henny Portens ZirkusStory. Die Dramaturgin Marieluise Steinhauer weiß es für die Entscheidungsgremien leicht faßlich zu begründen: »Es siegt nämlich am Schluß keine Generation,
weder die Söhne, noch die Mutter, sondern es siegt die Gemeinschaftsaufgabe, die
alle auseinanderstrebenden Individualitäten immer wieder zusammenhält.« Kaum
früher, noch weniger aber kurze Zeit später wäre solch ein Appell an die alles versöhnende familiäre Eintracht ideologisch kaum akzeptiert worden. Die UngarnEreignisse 1957 veranlassen den nächsten Kurswechsel, und die hoch angebundene
Filmkonferenz von 1958 läutet das Ende der deutsch-deutschen Filmbemühungen
nun auch von unserer Seite ein.
Für Henny Portens zweites DEFA-Gastspiel 1954/55 aber zeigen die Signale
im Osten noch auf Grün. Koproduzent Erich Mehl muß allein mit Rücksicht auf
Bonner Behörden-Macht seine Zusammenarbeit mit der DEFA als Gemeinschaftsproduktion mit Schweden tarnen und über die Pandora-Film Stockholm
abwickeln, um die Mitwirkung von Angelika Hauff und anderen West-Schauspielern zu ermöglichen. Das Fräulein von Scuderi und drei weitere DEFA-Koproduktionen Leuchtfeuer, Spielbank-Affäre und Die Schönste werden in Schweden
nie gezeigt.
Wie mutig Henny Porten tatsächlich war, als sie im Juni 1953 das Brandenburger Tor in östlicher Richtung durchschritt, sollte sich erst nach ihrer Rückkehr
vom glamourösen Come-back in geradezu existenzieller Weise bewahrheiten. Das
Klima des Kalten Krieges hatte sich im Westen weiter verschärft. Schnell zerschlug sich ihre Hoffnung auf neue Filmarbeit. Doch nicht nur das. »Ihr Ratzeburger Hauswirt drängt sie aus der Wohnung, ihr Mann verliert seine Arztpraxis. Für
ihre Memoiren, die sie ab 1958 auf Tonband spricht, findet sich kein Verleger.
Henny Porten stirbt am 15. Oktober 1960 in Berlin, nachdem ihr der Senat mit einem Ehrensold über finanzielle Engpässe hinweggeholfen hat.«
282
Das Fräulein von Scuderi
nach der gleichnamigen Novelle von E. T. A. Hoffmann
Produktionsland
Premierendaten
Produzenten
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Choreographie
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
DDR / Verleih: PROGRESS Film-Verleih
29. 7. 1955, Berlin, Babylon,
Defa-Filmtheater Kastanienallee
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg/
DDR) und A. B. Pandora Film (Stockholm)
Eugen York
Regie-Assistenz: Rita Arendt, Willi Urbanek
Joachim Barckhausen,
Alexander Graf Stenbock-Fermor
Marieluise Steinhauer
Eugen Klagemann
Kameraassistenz: Gerhard Wandrey
Optische Spezialeffekte: Ernst Kunstmann
Standfotos: Eduard Neufeld
Erich Zander
Bauausführung: Hans Poppe
Walter Schulze-Mittendorff, Vera Mügge
Herbert Zensch, Gerda Behrendt, Erich Haase
Hilde Tegener
Gerhard Wiek
Walter Sieber
Jens Keith
Werner Dau
Produktionsassistenz: Heinz Berg
Erwin Dräger, Erich Christian Urban,
Paul Schimanski
Fräulein von Scuderi: Henny Porten
Cardillac: Willy A. Kleinau, St. Croix: Angelika Hauff
Madelon: Anne Vernon, Olivier: Roland Alexandre
Miossens: Richard Häußler
Louis XIV.: Mathieu Ahlersmeyer
La Regnie: Alexander Engel
Degrais: Hans-Peter Thielen, Louvois: Johannes Arpe
La Martiniere: Barbro Hiort af Ornäss
1. Hofdame: Pat Svenson, 2. Hofdame: Ruth Arnim
3. Hofdame: Charlotte Brummerhoff
4. Hofdame: Karin Lüsebrink
5. Hofdame: Eva Lochmeier
283
Darstellende
Zum Inhalt
Theaterdirektor: Alf Östlund
De la Fare: Gerd Frickhöffer
Ganove: Karl Block, Nanette: Käte Alving
Haushofmeister: Egon Brosig
Bruder Menardus: Hans-Joachim Büttner
Der Mickrige: Wolf Beneckendorff
Beamter: Willi Endtresse
1. Dame: Ingeborg Haverkamp
2. Dame: Hella Jansen, 3. Dame: Gisela Kugland
Denise: Inge Kanzler, Zofe Suzette: Hannelore Lottis
Tenor Colani: Mario Lerch, Dame: Gerda Müller
Diener Miossens: Martin Rosen
Clochard: Kurt Rackelmann
Prostituierte: Eva Sanden-Mandel
Canton: Elisabeth Süßenguth
Bürger am Fenster: Paul Streckfuß
Prostituierte: Ruth Scheerbarth
Baptiste: Rudolf Schröder, 1. Hofherr: Axel Triebel
2. Hofherr: Georg Soboleff, 3. Hofherr: Ulrich Wenzel
4. Hofherr: Lutz Brunner, Steuerpächter: Rolf Weih
Polizeiarzt: Hans Wehrl, Mutter: Maria Wendt
Häftling: Heinz Keuneke, 1. Polizist: Georg Helge
2. Polizist: Heinz Kammer, Dirigent: Hermann Kirstein
3. Polizist: Erdmann Rafalsky, 4. Polizist: Kurt Rust
5. Polizist: Günter Klostermann, Wirt: Wilhelm Richter
Bürgerin: Christel Fischer, Ehemann: Jean Brahn
Frau am Fenster: Hilma Schlüter, Dame: Ursula Budin
Kutscher: Bruno Atlas-Eising
sowie: Fritz Löffler, Friedrich Teitge, Erich Richter,
Heinz Appel, Siegfried Weil, Kurt Pfeiffer,
Walter E. Fuß, Gerhard Einert, Edith Volkmann,
Erich von Dahlen, Horst Kube, Günther Haack,
Hans Schwenke, Carlo Kluge, Willi Linke,
Renate Küster, Arthur Reppert, Wolfgang Erich Parge
Paris im 17. Jahrhundert. Die Stadt wird von einer furchtbaren Mordserie in Angst und
Schrecken versetzt. Auf kostbaren Schmuck hat es der Mörder abgesehen, und keiner, der
solchen auf nächtlicher Straße trägt, wird verschont. Der Leiter des Sondergerichtshofes
verhängt eine nächtliche Ausgangssperre, damit gleichzeitig den aufsässigen Adel unter
Kontrolle bringend. Das Fräulein von Scuderi, eine bei Hofe geschätzte Dichterin, bringt
die Polizeischikane jedoch mit Spottversen zu Fall – und erhält aus Dankbarkeit vom Mörder einen wertvollen Schmuck. Ihr vertraut sich der Geselle Olivier an, der den Mörder in
seinem Meister entdeckt hat, dem berühmten Hofgoldschmied Cardillac. Aus besessener
Liebe zu seinen Kunstschöpfungen ist er zum Mörder geworden – um die Schmuckstücke
zurückzubekommen. Mit Hilfe der Scuderi kann der Fall aufgeklärt werden, doch um einen
Skandal bei Hofe zu vermeiden, müssen Olivier und Madelon, die Tochter Cardillacs, die
Stadt verlassen.
284
Mir nach, Canaillen!
Sie erwarten zum heiteren, kurzweiligen Film ihrer Wünsche gewiß keine langatmige, tiefgründige Vorrede. Also belassen wir es heute bei einigen Informationen zum filmbiografischen Hintergrund dieser Arbeit.
Ralf Kirsten, 1930 geboren, gehört vielleicht nicht zu den bekanntesten, wohl
aber zu den interessantesten Regisseuren der zweiten DEFA-Generation. Er
wollte nach dem Abitur erst einmal etwas Richtiges lernen, um später Atomphysik
zu studieren. Als er mit 60 Jahren arbeitslos wurde, konnte er die industriellen
Zeugen seiner frühen Träume, den Forschungsreaktor Rheinsberg und das KKW
Nord nur noch auf dem Abrißplan finden. Seine 16 Spielfilme immerhin haben
ihn überlebt. Am 30. Mai wäre Ralf Kirsten 80 geworden.
Zurück ins Jahr 1950. Der gelernte Elektro-Installateur gründete in der Energieversorgung Leipzig-Markkleeberg die erste FDJ-Gruppe und wurde so zum Wandzeitungsredakteur. Seine intensive Lektüre der Exil- und Gegenwartsliteratur, vor
allem aber prägende Erlebnisse im Leipziger Theater änderten den Lebensplan.
Noch während des nunmehr unvermeidlichen Studiums der Germanistik- und
Theaterwissenschaft in Berlin und Weimar wurde er 1952 an die Filmfakultät der
Akademie der Musischen Künste in Prag delegiert. Als Diplomarbeit inszenierte
Kirsten 1956 in Babelsberg den Kinderfilm Bärenburger Schnurre. Doch auch
seine zweite Arbeit Skimeister von morgen sicherte ihm noch keine Regie-Zukunft
in der DEFA. Und so ging er zunächst zum Fernsehen. Dort bot sich ihm im Aufbaustadium von Adlershof ein vielseitiges Betätigungsfeld.
Sein Ziel aber blieb der Kino-Spielfilm. 1957/58 war er sich nicht zu schade,
dafür noch einmal bei älteren Meistern – Carl Balhaus und Slatan Dudow – für Verwirrung der Liebe zu assistieren. Das Urteil Dudows, der auch Vorsitzender des
Künstlerischen Rates war, stellte die Weichen für eine eben vakante CoRegie. Mit der berühmten polnischen Kollegin Wanda Jakubowska inszenierte Kirsten 1960 die Koproduktion Begegnung im Zwielicht über das Schicksal einer polnischen Fremdarbeiterin. Ihr Wiedersehen mit alten deutschen Bekannten konfrontiert
sie mit der politischen Restauration und Wiederaufrüstung in der Bundesrepublik.
Die 60er und 70er Jahre wurden für Kirsten eine Zeit beispielloser kreativer
Kontinuität. Es entstanden zwölf Kino- und drei Fernsehfilme, zwei satirische
Kurzfilme und ein Fernsehspiel.
Kirsten nutzte dafür die günstigen Arbeitsbedingungen der DEFA-Werkstatt
mit ihrem täglichen Beieinander aller künstlerischen Sparten. Hier begegneten
sich über die aktuelle Produktion hinaus, sozusagen mindestens täglich in der
Kantine, fest angestellte Dramaturgen, Szenen- und Kostümbildner, Kameramänner und Schauspieler, auch Szenaristen. Das gab Gelegenheit zum schnellen Austausch über Pläne und Projekte.
285
Seine Festanstellung garantierte vor allem auch die wiederholte Zusammenarbeit im Künstlerstab. Es entstanden stilprägende Partnerschaften vor allem von
Regisseuren und Kameramännern, folglich auch mit Kostüm- und Szenenbildnern. Ähnlich stabile produktive Stabbildung ist unter marktwirtschaftlichen Produktionsbedingungen kaum zu finden. Das ist vor allem der ausschließlich freiberuflichen Tätigkeit aller künstlerischen und künstlerisch-technischen Filmleute
geschuldet.
So konnte Ralf Kirsten seine nächsten drei Filme mit Kameramann Hans Heinrich realisieren, insgesamt zehn entstanden in engster Zusammenarbeit mit dem
Szenenbildner Hans Poppe, gerade auch die baulich besonders aufwendigen historischen Sujets mit großem dekorativem Ausstattungsaufwand, wie wir auch
heute sehen können.
Kirsten ließ sich nie auf ein Thema oder ein Genrefach festlegen und wollte
nach dem eher glücklosen Kinderfilm-Einstand lieber mit Schauspielern als mit
Laien Filme für das erwachsene Publikum drehen. Seinem Loblied auf die Trümmerfrauen der Nachkriegszeit, Steinzeitballade, aber folgte das ersehnte große Publikum nicht. Nach einem Roman von Ludwig Turek war mit dem Lyriker Heinz
Kahlau als Mitautor ein an Brecht erinnerndes, im gängigen Kino unbekanntes
Formexperiment entstanden, das nicht einmal von der Kritik freundlich aufgenommen wurde. Ein teurer, aber vielleicht notwendiger Irrtum, der immerhin bewies,
daß sich dieser junge Regisseur nicht auf ausgetretenen Pfaden bewegen wollte.
Zunächst von der Leitung und manchem Kollegen skeptisch beäugt, begann
danach eine Erfolgsgeschichte. Mit den drei nun aufeinander folgenden Filmen
Auf der Sonnenseite, Beschreibung eines Sommers und Mir nach, Canaillen!
wurde unter seiner Regie Manfred Krug zum DEFA-Star. Das war ein später Beginn für eine beispiellose DDR-Karriere. Vergeblich hatte die Berliner Schauspielschule versucht, den gelernten Stahlschmelzer mit der tiefen Kneipennarbe
auf der Stirn zu disziplinieren. Er wurde Eleve im Berliner Ensemble. So bestand
er die Bühnenreifeprüfung und spielte eine Rolle in Bechers Winterschlacht. Seinen größten Bühnenerfolg hatte er 1970 und danach über vier Jahre hinweg an der
Komischen Oper in der Rolle des Sporting Life in Porgy und Bess, dem Musical
von George Gershwin.
Als Chanson- und Jazz-Sänger hatte er schon vorher sein eigenes Publikum gefunden mit mehreren Langspielplatten und auf Tourneen in der DDR, in Polen
und der ČSSR.
Daneben sah man den freien Schauspieler in vielen kleinen Rollen in DEFAFilmen und Fernsehproduktionen, bevor ihm Frank Beyer 1959 einen tragenden
Part anvertraute – im Spanien-Epos Fünf Patronenhülsen.
So war Krug bereits in zwölf DEFA-Filmen präsent, als die Autoren Heinz
Kahlau und Gisela Steineckert mit Ralf Kirsten auf die Idee kamen, diesem Multitalent eine Hauptrolle als singendem Schauspieler und schauspielendem Sänger
auf den Leib zu schreiben. Sie griffen dafür auf originelle Begebenheiten aus
286
Krugs Biographie zurück, und die Inszenierung nutzte seine unverwechselbaren
stimmlichen, mimischen und gestischen Eigenheiten für eine der schönsten Gegenwartskomödien der DEFA: Auf der Sonnenseite. Die Endfertigung fiel in die
Zeit des Mauerbaus. Gemeinsam mit dem Autor Horst Bastian entwarf Krug
spornstreichs eine echt zeitgenössische Hauptrolle für sich selbst. Die eines
Kampfgruppenmannes mit Dienst an der noch wenig befestigten Mauer. Der verliebt sich ausgerechnet in eine Ex-Grenzgängerin mit dubioser westberliner BarVergangenheit. Ihrem erpresserischen westberliner Zuhälter verpaßt der schlagfertige Genosse einen Kinnhaken. Und das war dann auch der Titel des eher
burschikosen Berlin-Films in der Regie von Heinz Thiel.
Kirsten aber adaptierte in dieser Zeit mit Karl-Heinz Jakobs dessen RomanBestseller Beschreibung eines Sommers. Damit machte er Manfred Krug und
Christel Bodenstein im erfolgreichsten Gegenwartsfilm des Jahrzehnts zu den Publikumslieblingen der DEFA überhaupt.
Kirsten konnte an diesen Erfolg sogleich anknüpfen. Da gab es ein Szenarium
von Ulrich Plenzdorf und Joachim Kupsch nach dessen heiterem Roman Eine
Sommerabenddreistigkeit. Gemeinsam mit Manfred Krug schrieb er das Drehbuch. Nach einer zügigen Produktion des aufwändigen Projekts startete der Film
im Juli 1964 auf der Freilichtbühne an der Regattestrecke in Berlin-Grünau seinen
massenwirksamen Kino-Lauf unter dem heldengemäßen und darstellergerechten
Titel Mir nach, Canaillen!
Mir nach, Canaillen!
nach dem Roman »Eine Sommerabendreistigkeit« von Joachim Kupsch
Produktionsland
Premierendaten
Produzenten
Verleih
Regie
Szenarium
Dramaturgie
Kamera
DDR
Uraufführung: 25. 7.1964, Berlin,
Freilichtbühne Regattastrecke Grünau
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
PROGRESS Film-Verleih
Ralf Kirsten
Regie-Assistenz: Roland Oehme, Bärbel Tzscharnke
Ulrich Plenzdorf, Joachim Kupsch
Werner Beck
Hans Heinrich
Kameraassistenz: Dieter Jaeger, Horst Blümel
Defa-Fotograf: Horst Blümel
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Bauten
Hans Poppe, Jochen Keller
Bauausführung: Hans Poppe
Maske
Günter Hermstein, Ursula Funk, Inge Merten
Kostüme
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
288
Ingeborg Wilfert
Christel Röhl
Horst Mathuschek
André Asriel
Werner Liebscher
Produktionsassistenz: Heinz Berg
Otto Ziesenitz, Dieter Krüger
Alexander: Manfred Krug
Ulrike: Monika Woytowicz
August der Starke: Erik S. Klein
Leutnant Lübbenau: Fred Düren
Baronin Lübbenau: Carola Braunbock
Gerichtsherr: Norbert Christian
Denhoff: Marion Van de Kamp
Kronenberg: Harald Halgardt
Freiin von Lübbenau: Helga Göring
Wäscherin: Marianne Wünscher
Finanzminister: Helmut Schreiber
Sekretarius: Walter Lendrich
Sekretär: Fritz Decho
Pape: Helmut Bruchhausen
Notarius: Heinz Scholz
Korporal: Horst Papke
Mätresse: Jutta Wachowiak
Fischer: Friedrich Links
Soldat in Pulverkammer: Hans Hardt-Hardtloff
1. Bauer: Otto Erich Edenharter
2. Bauer: Gerhard Vogt
Kutscher: Axel Triebel
1. Überlandkutscher: Willi Neuenhagen
2. Überlandkutscher: Joachim Bober
Gerichtsbüttel: Peter Dommisch
Page: Edwin Marian
Diener: Friedrich Teitge
Bauernmädchen: Lilo Grahn
sowie: Hans-Eberhard Gäbel, Klaus-Jürgen Tews,
Hartmuth Bier, Mario Lerch, Bernd Bartoczewski,
Rolf Naumann, Hans Krause, Hans Ulrich,
Remo Borst, Karl-Heinz Labutsch, Lothar Gunnel
Horst Franzelius, Helmut Probst, Ute Gerrasch,
Heidi Lehmann, Franziska Fels, Harald Engelmann,
Hans-Dieter Scheibel, Hans-Werner Schmidt,
Darstellende
Zum Inhalt
Jürgen Schneider, Roland Giertz, Harry Peukert,
Christel Braubach, Irmgard Thieme, Irene Zeise,
Siegfried Wende, Sigrid Schnapha, Anita Klier,
Jutta Gorks, Manfred Schnelle, Hans-Joachim Theiß,
Frank Bey, Günter Guschke, Inge Holtfreter,
Karin Münch, Dieter Kraatz, Dieter Schlegel,
Harald Wendthe, Ingrid Buckram, Roland Gawlik,
Siegfried Götz, Monika Klug, Jürgen Kowalczyk,
Monika Manzeit
Preußen 1730. Der Leutnant von Lübbenau macht sich auf ins Hannoversche, um Rekruten
für seinen König zu pressen. Der Hirt Alexander scheint ihm geeignet, doch der setzt den
Leutnant fest. – Dank einer Weiberlist kann er sich vor dem Galgen retten: Er übernimmt
die Vaterschaft für Alexander. Dieser reist sofort nach Preußen, um sein »Erbe« in Augenschein zu nehmen, verliebt sich in seine »Schwester« Ulrike, muß aber dem herbeieilenden
Leutnant entfliehen. So kommt er ins Sächsische, an den Hof Augusts des Starken, wo er
die Gunst des Königs durch Aufdeckung eines Betruges des Finanzministers erringt. Ulrike
wurde indes von ihrem Vater wegen ihrer schändlichen Affäre mit Alexander aus Lübbenau
verbannt – an Augusts Hof. Die beiden finden wieder zusammen, doch der König erhebt
Anspruch auf Ulrike – und seine Freundin, Gräfin Denhoff, auf Alexander. Nach einem
kühnen Gefecht und einer abenteuerlichen Flucht gelangen Alexander und Ulrike schließlich ins Hannoversche, wo sie endlich Zeit füreinander finden.
Chronik eines Mordes
Dieser Film macht Sie erstmals mit einem schon zu DDR-Zeiten im Grunde unterschätzten DEFA-Künstler bekannt, der sich selber kaum als einen solchen bezeichnet hätte. Eher hätte er sich einen Filmfachmann genannt. Der Regisseur von
zwölf und Kameramann von 20 Kinofilmen wurde 1929 geboren. Er lernte das
Metier, wie es so schön heißt, von der Pike auf. Diese ungewöhnliche DEFA-Biografie führt zunächst in die letzten Kriegsjahre zurück. Seine erste Lehrstelle fand
der Schulabgänger in der kleinen Kopieranstalt von Robert Maetzig, deem Vater
seines künftigen Regie-Kollegen.
Das Kriegsende in Berlin scheint zunächst auch alle Filmträume zu beenden.
Hasler packt Kisten für den Versand in Richtung Osten. Es sind die noch nicht
westwärts ausgelagerten Überreste von Kopierwerkstechnik der Firmen Geyer,
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Siewert und Afifa. Allein die Babelsberger Bestände bleiben von den Reparationsforderungen weitgehend verschont. Das gesamte Gelände dort ist bereits von
der sowjetischen Besatzungsmacht übernommen, bevor die Immobilie mitsamt
verbliebenem Inventar in den Besitz der Sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft
LINSA/DEFA übergeht.
Im DEFA-Musterkopierwerk beendet Hasler seine Lehre als Kopierer, arbeitet
als Vorführer und bald schon spezialisiert als Lichtbestimmer. Magische Anziehungskraft aber haben die Filmaufnahmen in den nahen Ateliers. Und so geht bald
sein sehnlichster Wunsch in Erfüllung. Er wird Assistent bei Ufa-erfahrenen Meistern – Robert Baberske, Friedel Behn-Grund und Bruno Mondi.
Kameraassistent Hasler ist gerade mal zweiundzwanzig Jahre alt, als sein Chef
Nationalpreisträger Karl Plintzner bald nach Beginn der Dreharbeiten mit Martin
Hellberg erkrankt. Regisseur und Studioleitung vertrauen der soliden Ausbildung
und dem Talent des jungen Mannes und übertragen ihm die volle Verantwortung
für die Bildgestaltung des politischen Prestige-Projekts Das verurteilte Dorf.
Hasler, nun hinter der Kamera, bestritt allein 80 Prozent der Aufnahmen. Für
das hochaktuelle Werk gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik erhielt
Hellberg 1952 den Stalin-Friedenspreis, auch den Nationalpreis 1. Klasse und mit
ihm der rechtzeitig genesene Kameramann Karl Plintzner.
Auch nach seiner nächsten bildprägenden Arbeit für Die Unbesiegbaren in der
Regie des allein spielleitenden Artur Pohl geht der junge Mann bei der Preisvergabe leer aus. Die Geschichte einer Arbeiterfamilie in der Zeit des Sozialistengesetzes imponierte auch durch prägnante Porträts der sozialdemokratischen Führer
August Bebel und Wilhelm Liebknecht, gespielt von Karl Paryla und Erwin Geschonneck.
Wir Erststudenten eines Filmseminars der Germanistik in Jena wagten uns an
eine kollektive Analyse des hoch gelobten Werkes. Sie wurde alsbald von der einzigen Fachzeitschrift Deutsche Filmkunst veröffentlicht. Die Rezension begann
mit dem bescheidenen Vor-Satz, »den Filmschaffenden besser als in der Vergangenheit bei der Überwindung von Schwierigkeiten zu helfen, die sie bei der Entwicklung ihrer künstlerischen Schaffensmethode vom kritischen zum sozialistischen Realismus hemmen ...«
Mehr als die soziologisch-historischen Einwände mögen den klugen Autodidakten und theorie-abstinenten Praktiker Hasler manche schulmeisterlichen Anmerkungen zur Bildarbeit gefuchst haben. Er konnte nicht ahnen, daß gerade sie
von jenem Jüngling stammten, der sich als Praktikant bald darauf hinter seine Kamera drängen wollte.
Hasler drehte danach zwei weitere Filme mit Artur Pohl – Kein Hüsung nach
Fritz Reuter und 1954 die nächste Literaturverfilmung nach Theodor Storm Pole
Poppenspäler, die zum ersten Mal in Farbe.
Bei den sommerlichen Dreharbeiten durften also zwei Studenten des Jenaer
Filmseminars wenigstens als stumme, möglichst unauffällige Beobachter in den
290
Kulissen stehen. Die ungebetenen Zaungäste wurden nicht nur vom älteren, arrivierten Westberliner Bildungsbürger Artur Pohl gezielt geschnitten. Der war aber
selbst im Umgang mit seinen Mitarbeitern äußerst wortkarg, mit rascher Neigung
zu Hohn und Spott. Nur die Schauspieler und sein Kameramann wurden von ihm
wie Kollegen behandelt, auch dies freilich in bürgerlich-reserviertem Stil. Auch
der junge Kameramann Hasler, im Gegensatz zum gepflegten Outfit der anderen
Stabspitzen burschikos gekleidet, bei Außenaufnahmen gar in kurzen Hosen, würdigte die Studenten keines Blickes.
In der nun folgenden Zusammenarbeit mit den älteren Regie-Routiniers, mit
Richard Groschopp, Hans Müller, ein viertes Mal mit Pohl, entwickelte sich Hasler immer mehr zum Mitgestalter, zum stilprägenden Kameramann. Er war nicht
der Schwenker, der nur das Licht stellt für die wechselnden Einstellungen, die der
Regisseur vorschlägt. Nach sieben Filmen, drei davon in Farbe, reizte es den lernfähigen, scharfen Beobachter der Szene, nun auch die Spielleitung selbst in die
Hand zu nehmen.
1956/57 konnte er eine Regie-Vakanz nutzen und inszenierte Gejagt bis zum
Morgen. Nach einer Erzählung von Ludwig Turek ging es noch einmal um das
Schicksal einer Arbeiterfamilie um die Jahrhundertwende.
Die Leitung akzeptierte die damals ungewöhnliche Personalunion. Sie ersparte
dem großen Aufnahmeteam viel Zeit, denn die notwendigen Abstimmungen zwischen Regisseur und Kameramann oder gar kontroverse Debatten gefährdeten
nicht selten das streng geplante Tagespensum und so das Budget.
Nach dem akzeptablen Regiedebüt bat der inzwischen berühmte Kurt Maetzig
Joachim Hasler wieder hinter die Kamera. Es ging um ein neues großes Auftragswerk im Breitwand- und Normalformat zum 40. Jahrestag der Novemberrevolution, Das Lied der Matrosen und das in größter Terminnot. Da blieb nur ein unkonventioneller Ausweg. Zum ersten und letzten Mal in der DEFA-Geschichte
wurde ein Film von zwei parallel arbeitenden kompletten Drehstäben realisiert.
Kurt Maetzig arbeitete mit Hasler und sein langjähriger Assistent Günter Reisch
mit Kameramann Otto Merz an getrennten Schauplätzen. Nun waren die von den
alten Filmhasen oft skeptisch beäugten Studenten der jungen Babelsberger Filmhochschule in allen Sparten als Assistenten und Springer gefragt, zumal in diesen
stark belasteten Sommermonaten.
Als Aufnahmeleiter-Ersatz am Drehort trat ich einmal in eines der längst aufgestellten Fettnäpfchen. Der Nachmittag war fortgeschritten, das Planpensum im
DEFA-Außengelände noch längst nicht geschafft. Kameramann Hasler wartete,
seelenruhig wie immer, auf das richtige Licht für die nächste Einstellung, als dieser junge Spund vom Nachbar-Set kam und den Pausenfrieden mit einer naseweisen, vielleicht ein wenig ironisch anmutenden Bemerkung störte. Kameramann
Otto Merz sei mit dem Himmel gleich um die Ecke durchaus zufrieden und warte
nur darauf, daß man ihm endlich einen Darsteller schicke, der hier vergeblich auf
besseres Wetter zu warten habe.
291
Der leise Satz war kaum gesprochen und nur von wenigen um die Kamera
herum vernommen. Da brach über dem vorlauten Neuling aus nahezu heiterem
Himmel ein Donnerwetter herein, wie er es noch nie erlebt hatte, schon gar nicht
am eigenen Leibe. Der stets gelassene und eher stille Hasler, nur vier Jahre älter
als sein vermeintlicher Kritiker, verbat sich mit nie gehörter Stentor-Stimme vor
und für vierzig Kollegen am Schauplatz diese »unverschämte und inkompetente
Anpöbelei« von einem Menschen, der »von Filmarbeit keine, aber auch nicht die
geringste Ahnung« habe. Der möge doch erst einmal die Grundbegriffe des Handwerks lernen, die man an einer Hochschule offensichtlich nicht studieren könne –
was zum Beispiel ein Lichtanschluß sei.
Der überraschte Delinquent ließ die Strafpredigt geduldig über sich ergehen
und stammelte erschrocken eine Entschuldigung. Die wurde auf der Stelle gnädig
und ohne weitere Belehrung angenommen.
Trotz der kleinen Verzögerung an diesem Tage stand wenigstens eine Premierenkopie für den Partei- und Staatsakt vor 5 000 Gästen in der Werner-Seelenbinder-Halle in Berlin-Weißensee pünktlich am 9. November 1958 zur Verfügung.
Das Epos endet nicht mit der historischen Niederlage, sondern mit einem Sieg –
dem Gründungsparteitag der KPD.
Das doppelt große Schöpferkollektiv teilte sich in den erwarteten den Nationalpreis I. Klasse, und nun war endlich auch Joachim Hasler aller Ehren wert.
Bereits bei seiner nächsten Zusammenarbeit mit Kurt Maetzig war der Praktikant vom Vorjahr, nun als Produktionsabsolvent in der Aufnahmeleitung wieder
mit von der Partie. Doch Joachim Hasler war nicht nachtragend. Er hatte wohl
den Vorfall im Gegensatz zu seinem Opfer schnell vergessen. Die Zusammenarbeit beim ersten utopischen DEFA-Film Der schweigende Stern gestaltete sich
sehr kollegial. Und so kam es zur ungewöhnlichen Annäherung zwischen Meister
und Schüler. Während der längeren Außenaufnahmen auf der polnischen Seite der
Hohen Tatra wurde der junge Mann für Hasler »Bruder Dieter«, und der durfte
ihn »Bruder Jo« nennen und duzen.
Das im DEFA-Studio weit verbreitete Du, teils durch die gewerkschaftliche
Anrede Kollege begründet oder im Kreis der Genossen ohnehin üblich, wollte in
Haslers professionellen und persönlichen Gestus nicht so recht passen. So ersann
er also wenigstens fürs abendliche Beisammensein am Tisch des engeren Stabes
in der anheimelnden Pension in Zakopane die liebevoll-ironische Gemeinsamkeit
einer »Bruderschaft«. Die Beschwörung eines Mönchsordens spielte wohl auch
auf seine und seiner »Brüder« Enthaltsamkeit an, die im übrigen Drehstab nicht
immer an der »Nachtordnung« war.
1960 inszenierte Hasler eine kleine Gegenwartsstory – Wo der Zug nicht lange
hält. Die spielte also in der Provinz und war wohl auch so beschaffen. Schon der
Titel war eine kleine ironische Absage an das vielfach geforderte »epochale Gegenwartsthema«: »das Heldentum der Arbeit auf den Bauplätzen des Sozialismus«.
292
Nur für Kurt Maetzig übernahm er noch einmal die Kamera: beim Gegenwartsfilm Septemberliebe. Doch selbst die fast freundschaftliche, gänzlich konfliktfreie
mehrfache Zusammenarbeit mit ihm war für Hasler unbefriedigend. Kein anderer
Regisseur, erinnert sich Hasler, kam »so gut vorbereitet und mit großer Disziplin«
zum Drehort. »Er hatte schon zu Hause die Kamerafahrt zurechtgelegt ... Bei
Maetzig war alles Schreibtisch, bei Staudte kam das morgens aus dem Hut.«
Fortan arbeitete Hasler nur noch als Regie-Kameramann. Er wußte das Spiel
seiner Darsteller ganz aus der Perspektive und wechselnden Optik der Kamera zu
inszenieren. Junge Kameramänner oder qualifizierte Erste Assistenten übernahmen für ihn das rein Technische: die pure Kameraführung, die Fahrt auf dem Kamerawagen oder per Zoom, den ruhigen oder den Riß-Schwenk, die Kontrolle des
Bildausschnitts und der Tiefenschärfe der verschiedenen Brennweiten, die er Chef
vorher bestimmt hatte.
Anfang der 60er Jahre wagte sich Hasler, einer der wenigen parteilosen DEFARegisseure, in die politische Arena. Drei Filme hintereinander gehören in die dramaturgische Kategorie der antiimperialistischen Thematik.
Der Tod hat ein Gesicht heißt 1961 der Polit-Krimi um die eher zufällige Entdeckung eines Giftes, dessen sich die Rüstungsindustrie gegen den Willen des
Forschers sogleich zu bemächtigen sucht.
Der Film Nebel konfrontiert einen freundlichen Bundesbürger noch einmal mit
seinen Kriegsverbrechen als Kommandant eines U-Bootes, der vor der englischen
Küste wissentlich ein Flüchtlingsschiff mit vielen schon gerettet geglaubten Kindern versenkt.
Chronik eines Mordes konnte sich auf die Autorität eines links-bürgerlichen Literaten berufen, auf die literarische Kompetenz eines in der Bundesrepublik
lebenden und befehdeten Autors, auf Leonhard Franks. Mit Angel Wagenstein gewann Dramaturg Walter Janka einen erfahrenen Szenaristen für seine erste Literaturverfilmung. Vor seiner Verhaftung 1957 hatte er als Chef des Aufbau Verlags
das Werk Leonhard Franks, so auch den Roman Die Jünger Jesu, für ein großes
DDR-Publikum erschlossen. Dank seiner freundschaftlichen Beziehungen zum
Autor war der bereit, der DEFA mitten im Kalten Krieg gerade dieses heikel-gesellschaftskritische Sujet anzuvertrauen und ihre sparsamen finanziellen Bedingungen zu akzeptieren.
Mitte der 60er Jahre entdeckte Jo Hasler für sich ein gänzlich anderes, von der
DEFA mit wechselndem Erfolg bearbeitetes Genre: Lustspiel und Komödie. Beginnend mit Reise ins Ehebett, wurde er nun zum Erfolgsregisseur. Er kreierte das
Film-Musical und dies ausgerechnet im DDR-Gegenwartsambiente. Mit Heißer
Sommer und Nicht schummeln, Liebling eroberte er die Freilichtbühnen und
machte Chris Doerk und Frank Schöbel zu Filmstars und Publikumslieblingen.
Lange bevor Heißer Sommer nach der Wende noch einmal zum Kultfilm
wurde, geriet er Anfang der 70er Jahre ins kleine Programm einer DDR-Filmwoche in Damaskus. Aus den bekannten Valuta-Gründen stellten Joachim Hasler und
293
Dieter Wolf allein die DEFA-Delegation dar. Hasler erwies sich als unerwartet unterhaltsamer, anekdotenreicher Reisegefährte. Die Offiziellen waren seinem Vorschlag nicht gefolgt, seinen Film Heißer Sommer als publikumssicheren Eröffnungsbeitrag zu wählen. Aus kulturpolitischen und repräsentativen Gründen fiel
die Wahl auf den Goya von Konrad Wolf, dem ich die Ersatzdelegierung verdankte. Und so kam es wie es kommen mußte. Über dem Portal des Uraufführungstheaters hatte der hauseigene Werbemaler farbig und über mehrere Meter
hinweg den Film angekündigt und dafür die Die nackte Maja Goyas ausgebreitet.
Das Motiv aus dem Gemälde-Oeuvre und dem Film schien ihm einladender als
die schamhaft verhüllte bekleidete Version. Doch die Sittenstrenge des revolutionären islamischen Staates erlaubte so viel Freizügigkeit nun auch wieder nicht.
Und so hatte der Künstler seinen spanischen Kollegen ein wenig korrigiert und
der malerisch hingestreckten adligen Alba einen knallroten Bikini über Venushügel und Brüste gezaubert. Doch daran lag es sicher nicht, daß die Eröffnung zur
schwach besuchten, höflich applaudierten Protokollveranstaltung festlich gekleideter Amtsträger geriet. Dafür durfte sich Hasler mit seinem Musical-Hit eines
vollen Hauses und eines frenetisch begeisterten jungen Publikums erfreuen.
So nahe wie in Damaskus waren wir beide uns später leider nicht noch einmal.
Jo Hasler kommentierte das treuhändlerische Ende der DEFA sarkastisch. Sie war
seine künstlerische Heimat. Er überlebte sie nur wenige Jahre.
Chronik eines Mordes
nach dem Roman »Die Jünger Jesu« von Leonhard Frank
Produktionsland
Premierendaten
Produzent
Verleih
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
294
DDR
Uraufführung: 25. Februar 1965, Leipzig, Capitol
DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg,
Künstlerische Arbeitsgruppe »Heinrich Greif«
PROGRESS Film-Verleih
Joachim Hasler
Angel Wagenstein
Walter Janka
Joachim Hasler
Standfotos: Herbert Kroiss
Alfred Tolle
Kostüme
Schnitt
Musik
Produktionsleitung
Darstellende
Zum Inhalt
Luise Schmidt
Hilde Tegener
Gerd Natschinski
Dieter Dormeier
Ruth Bodenheim: Angelica Domröse
Dr. Martin: Ulrich Thein, Dr. Hoffmann: Jiří Vrstála
Dr. Schäure: Bohumil Smída
Dr. Rotholz: Siegfried Weiß
Zwischenzahl: Martin Flörchinger
Lion: Willi Schwabe, Direktor: Hans Klering
Esther: Antje Ruge, David: Arno Wyzniewsk
Johanna: Monika Lennartz, Steve: Stefan Lisewski
Kapitän Liban: Helmut Schreiber
Kleiner David: Norbert Petznick
Wärterin: Gisela Graupner, Sekretärin: Rita Richter
Sekretär: Helmut Bruchhausen
Redner: Werner Schulz-Wittan
Polizeichef: Horst Quednow
Richter: Bruno Müller, Hoher Beamter: Günther Müller
Solider Geschäftsmann: Fredy Barten
Schöne Frau: Anna-Maria Horn
Baronin: Katharina Recknitz
Organist: Alois Herrmann, Pfarrer: Erich Böhme
Ältere Frau: Gertrud Brendler
Polin: Elisabeth Hermanns
Amerikanischer Posten: Martin Richter
Betrunkene Frau: Agnes Kraus
Unterrock-Mädchen: Janina Rzasa-Adynowska
Schlafrock-Mädchen: Maria Popwassilewa-Nitzsche
Mixer: Wolfgang Joachim
Justizbeamter: Friedrich Teitge
Tänzerin: Elke Rieckhoff
Mitte der 1950er Jahre wird in einer westdeutschen Stadt der Bürgermeister Zwischenzahl
am Tag seiner Amtseinführung erschossen. Täterin ist die Jüdin Ruth Bodenheim, die sich
mit dem Mord am Tod ihrer Eltern rächen will: Als SA-Mann war Zwischenzahl offensichtlich an der Deportation ihrer Eltern ins KZ während des Krieges beteiligt. Ruth hat ihre
schrecklichen Erlebnisse und den Tod ihrer Eltern nicht verkraftet und will den Bürgern
der Kleinstadt die Augen öffnen. Auch ihr liebevoller Ehemann Dr. Martin kann Ruths
Gerechtigkeitssinn und ihr Bohren in der Vergangenheit nicht abwenden. Sie will keine Abfindung, sondern einen offenen Prozeß. Beeindruckt von Ruths Beharrlichkeit, den schwierigen Fall Zwischenzahl an die Öffentlichkeit zu bringen, beschließt der Staatsanwalt
Dr. Hoffmann ihre Verteidigung vor Gericht zu übernehmen.
295
Der Regisseur Gerhard Klein
DEFA-Chefdramaturg Klaus Wischnewski, 1966 nach dem 11. Plenum fristlos
entlassen, hat in der Rückschau Leichensache Zernick in die unmittelbare Nachfolge von Affäre Blum gestellt, den wir hier vor kurzem noch einmal gesehen
haben. Auch da ging es ja nicht so sehr um die übliche Krimi-Spannung, wer denn
der Mörder sei. Der Blick anspruchsvoller DEFA-Autoren und Regisseure richtete sich zu allen Zeiten vielmehr auf die sozialhistorischen Bedingungen und das
politische Umfeld der Kriminalität, zielte auf die Besonderheiten ihrer Aufklärung
und Verfolgung unter wechselnden gesellschaftlichen Verhältnissen.
Leichensache Zernick geht auf einen authentischen Berliner Fall zurück. Das
Studio hatte den Zugang zum Material der Dramaturgin Anne Pfeuffer zu danken,
die mit einem Kriminalisten verheiratet war. In der Künstlerischen Arbeitsgruppe
Berlin war zunächst Regisseur Gerhard Klein mit dem Stoff befaßt. Und so hat
Leichensache Zernick eine besondere, man kann wohl sagen, tragische Werkgeschichte.
Gerhard Klein wollte sich nach dem Verbot seines vierten Berlin-Films Berlin
um die Ecke 1966 nicht in die unverbindliche Unterhaltung oder ins pure ActionGenre zurückziehen. Das hätte seiner ganzen Entwicklung und politischen Haltung zutiefst widersprochen.
Der Arbeitersohn, 1920 geboren, war Mitglied von Jungspartakus, arbeitete illegal für die KPD, wurde zweimal verhaftet. Nach 1945 geriet er so erst einmal in
den Hauptjugendausschuß der KPD und ins Jugendamt des Berliner Magistrats.
Doch das existenzielle Interesse des Autodidakten galt dem Film. Und so kam er
1946 zum DEFA-Dokumentarfilm, 1952 dann zum Spielfilmstudio.
Den Ur-Berliner interessierte das Material sogleich wegen seiner Ansiedlung in
einer historisch einmaligen Situation seiner Heimatstadt. Der Kriminalfall entwickelte sich vor dem Hintergrund der endgültigen Spaltung Berlins durch die
Einführung der Serparatwährung in den drei Westzonen und das Ende gemeinsamer politischer Institutionen – so auch der Kriminalpolizei. Gerade diesen Umstand nutzte der Gewalttäter, der seine Opfer vornehmlich im Osten suchte und im
Westen abtauchen konnte.
Gerhard Klein entwarf unter Mitarbeit von Joachim Plötner und Wolfgang
Kohlhaase ein breites Gesellschaftspanorama der gespaltenen Stadt mit ihrer
exorbitanten Atmosphäre des eskalierenden Kalten Krieges. Mehr als die Akten
über den mehrfachen Frauenmörder inspirierten ihn die lebendigen Erzählungen
dreier seinerzeit mit dem Fall befaßter Kriminalkommissare.
In einem längeren Arbeitsprozeß, von den Attacken einer heimtückischen Erkrankung mehrfach unterbrochen, entstand das Drehbuch für einen Film doppelter Länge. Das war aber nicht allein der Materialfülle geschuldet.
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In der Zeit des ersten, fernsehbedingten Zuschauerrückgangs erhofften sich
manche Filmschaffende nicht nur vom Breitwand- und 70-mm-Format mit Dreioder Mehrkanalton wieder größere Publikumswirksamkeit.
Von den Erzählmöglichkeiten im großen Filmroman versprach man sich andere, stärkere Kino-Attraktivität. So entstanden Ende der 60er, Anfang der 70er
Jahre gleich mehrere Filme, die das übliche Eineinhalb-Stunden-Limit sprengten:
Konrad Wolfs Goya, der Film über die Widerstandsgruppe Rote Kapelle und Die
gefrorenen Blitze über den internationalen Widerstand gegen die faschistische
Kriegsraketenentwicklung und ihren Einsatz.
Während der Bucharbeit am Krimi drehte Gerhard Klein seinen Beitrag zum
Episodenfilm Geschichten jener Nacht über den 13. August 1961: Der kleine und
große Willi. Bereits da war er nach schwerer Operation mehr angeschlagen als geheilt. Doch Klein wollte nicht aufgeben. Ich hatte ihn in der Produktionsvorbereitung von Berlin Ecke Schönhauser und beim Episodenfilm bereits als unermüdlichen Arbeiter kennengelernt. Sein Kameramann Peter Krause beschreibt ihn als
»klein, drahtig, kernig, witzig. Immer mit der großen Klappe vorneweg, autoritär,
energiegeladen, aber immer diszipliniert ..., der kaum Ruhepausen kannte, besessen von der Aufgabe, den Menschen etwas für ihr Leben mitzuteilen ..., in der
Lage, auf uns, seine engsten Mitarbeiter, etwas von seiner Kraft, seinem Mut zu
übertragen. Ähnliches habe ich nach ihm nie wieder erlebt.«1 So weit also sein
Kameramann.
Als das Drehbuch endlich fertig, die Produktion beschlossen war, mußte der
Drehbeginn mehrfach verschoben werden. Die Vielzahl historischer Schauplätze
überforderte die Studio-Kapazität, weniger an Atelierfläche als im Dekorationsbau. Da kam der DEFA ein Hilfeersuchen aus dem Prager Barrandov-Studio entgegen, das man schon aus politischer und kollegialer Solidarität nicht ausschlagen
wollte. Dort standen die Ateliers leer und viele Mitarbeiter für Dienstleistungen
zur Verfügung, denn nach dem 21. August 1968 lag die bis dahin prosperierende
tschechisch-slovakische Filmproduktion des inzwischen nur noch sagenhaften
Prager Frühlings völlig am Boden. Das kannten wir ja nur allzu gut aus den Jahren 1966/67, als nach dem 11. Plenum kurzfristig der Produktionsplan und fast
der gesamte Buchvorlauf in den Orkus gingen.
Gerhard Klein, von einer jüngsten Nachoperation noch nicht einmal voll genesen, wollte keine weitere Verzögerung des Drehbeginns. So kam es also zum Beschluß der DEFA-Leitung, einen Teil der besonders aufwendigen Dekorationen
auf dem Barrandov-Hügel über der Moldau bauen zu lassen und den großen Aufnahmestab samt Schnitt für Wochen in Prag zu stationieren.
Gerhard Klein hatte erstklassige Theater- und Filmdarsteller für sein großes
Ensemble gewonnen: Wolfgang Kieling, Norbert Christian, Kurt Böwe, Günter
Naumann, Wolfgang Winkler, Uwe Kockisch, Anne-Katrin Bürger, Helga Göring,
1
Hannes Schmidt, Werkstatterfahrungen mit Gerhard Klein – Gespräche. Aus Theorie und Praxis des Films;
Heft 2/1984; Hrsg. Betriebsakademie des VEB DEFA Studio für Spielfilme.
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Brigitte Krause, Erik S. Klein. Fast alle mußten wegen ihrer fortdauernden Bühnenverpflichtungen mehrfach anreisen.
In mehreren Wochen drehte das Team bis Ostern 1970 etwa 20 Minuten des erwarteten Dreistundenfilms. Nach kurzer Feiertagspause sollten die Innenaufnahmen in weiteren, komplett vorbereiteten Dekorationen abgeschlossen werden.
Doch da wurden das Team und das Studio von Kleins neuerlicher Notaufnahme
im Krankenhaus überrascht. Von diesem Rückfall aber sollte sich der mutige
Mann nicht mehr erholen. Er starb, gerade erst 50, am 21. Mai 1970.
Bei einem solchen Abbruch der Dreharbeiten war an eine Weiterführung des
Projekts unter anderer Spielleitung mit gleicher Darsteller-Crew nicht zu denken,
zumal mit Schauspielern aus dem Westen wie Wolfgang Kieling und seiner Frau –
Monika Gabriel. Und so wurde das gedrehte Material zunächst archiviert, der
Film aber ausgebucht.
Erst ein Jahr später wagte sich der junge Regisseur Helmut Nitzschke an die
Wiederbelebung des totgeglaubten Projekts. Er war zuvor auch schon Kleins Assistent beim verbotenen Film Berlin um die Ecke. Das Studio war aus thematischen
Gründen sehr am Stoff interessiert, wollte aber auf keinen Fall Gerhard Kleins Experiment einer doppelten Filmlänge mit einem Nachwuchsregisseur wagen.
Der sehr eigenwillige Absolvent eines frühen Jahrgangs der Filmhochschule
war mit seinem Debüt 1962 gescheitert. Nach eigenem Buch hatte er eine kleine
Gegenwartsgeschichte im Produktionsmilieu in unbekannter quasi-dokumentarer
Stilistik inszeniert. Nach drei Monaten Drehzeit entschied die Studioleitung den
Arbeitsabbruch, ohne daß dafür starke politische Argumente ins Feld geführt wurden. Inzwischen aber hatte er mit einem respektablen Krimi, Nebelnacht, seine
handwerkliche Zuverlässigkeit und mit der Verfilmung einer Kalendergeschichte
von Bertolt Brecht, »Zwei Söhne«, im Rahmen des Episodenfilms Aus unserer
Zeit seine künstlerischen Ambitionen nachgewiesen. Er vollbrachte tatsächlich
das Wunder, aus Gerhard Kleins Mehrstunden-Panorama die Kriminalgeschichte
nachvollziehbar herauszufiltern.
Leichensache Zernik
Produktionsland
Produzent
Auszeichnung
298
DDR, 1970
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
(Künstlerische Arbeitsgruppe »Berlin«)
Heinrich-Greif-Preis I. Klasse für Joachim Plötner/
Claus Neumann, Heinrich-Greif-Preis I. Klasse
für Georg Kranz, Heinrich-Greif-Preis I. Klasse
für Helmut Nitzschke – alle 1973
Regie
Gerhard Klein
Dramaturgie
Anne Pfeuffer
Drehbuch
Kamera
Wolfgang Kohlhaase, Gerhard Klein,
Joachim Plötner,
Peter Krause
Bauten
Georg Kranz
Musik
Wilhelm Neef
Kostüme
Produktionsleitung
Darstellende
Barbara Müller-Braumann
Horst Dau
Kleinert: Norbert Christian, Stübner: Kurt Böwe
Probst: Günter Naumann, Kramm: Wolfgang Winkler
Neltner: Justus Fritzsche, Hilgert: Uwe Kockisch
Frau Zernik: Annekathrin Bürger
Frau Dahlmann: Helga Göring
Frau Walter: Brigitte Krause
Berchthold: Herbert Köfer
Erwin Retzmann: Gert Gütschow
Die Dreharbeiten mußten wegen einer schweren Erkrankung des Regisseurs Gerhard Klein
nach zehn Tagen abgebrochen werden.
1971/72 wurde der Stoff unter der Regie von Helmut Nitzschke neu verfilmt:
Produktionsland
Premierendaten
Produzent
Verleih
Auszeichnung
Regie
Drehbuch
Szenarium
DDR, 1971/72
Uraufführung: 10. März 1972, Berlin,
Kino »Kosmos«
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
(Künstlerische Arbeitsgruppe »Berlin«)
PROGRESS Film-Verleih
Heinrich-Greif-Preis I. Klasse für Joachim Plötner/
Claus Neumann, Heinrich-Greif-Preis I. Klasse
für Georg Kranz, Heinrich-Greif-Preis I. Klasse
für alle 1973
Helmut Nitzschke
Regie-Assistenz: Dorit Langbein
Helmut Nitzschke; Gerhard Klein, Joachim Plötner,
Wolfgang Kohlhaase
Helmut Nitzschke
299
Dramaturgie
Kamera
Licht
Bauten
Kostüme
Maske
Schnitt
Ton
Musik
Produktionsleitung
Aufnahmeleitung
Darstellende
Darstellende
300
Anne Pfeuffer
Claus Neumann
Kamera-Assistenz: Frank Bredow, Peter Dietrich,
Waltraud Pathenheimer
Standfotos: Rudolf Brix
Jürgen Jankowski
Georg Kranz
Bauausführung: Norbert Günther
Außenrequisite: Ingrid Hoehne
Eva Sickert
Klaus Becker
Evelyn Thieme
Kurt Eppers, Harry Fuchs
Hans-Dieter Hosalla
Horst Dau
Produktionsassistenz: Peter-Klaus Niemetz
Wolfgang Bertram
Kriminalanwärter Horst Kramm: Alexander Lang
Erwin Retzmann: Gert Gütschow
Oberrat Kleinert, Leiter der Direktion K.:
Norbert Christian
Kriminalrat Stügner, Leiter der Mordkommission:
Kurt Böwe
Josef Probst, Kommissariatsleiter:
Hans Hardt-Hardtloff
Katharina Zernik: Annemone Haase
Ingrid Walter: Lissy Tempelhof
Lucie Matewsky, genannt »Goldlucie«: Käthe Reichel
Trude Heinrich: Ute Boeden
Emma Böhnke: Agnes Kraus
Brucker, Leiter der Abteilung Fahndung:
Günter Naumann
Dieter Netner, Mitarbeiter der MOK: Dieter Wien
Berchtold, Stellvertreter von Probst: Jürgen Holtz
Werner W. Bergmann, Fuhrunternehmer: Rolf Hoppe
Hilgert, Kriminalanwärter: Jörg Gillner
Alfred, Mitarbeiter der MOK: Justus Fritzsche
Otto Böhnke, Hausvertrauensmann: Heinz Scholz
Tscherbakow: Horst Hiemer
Rosenfeld, US-Leutnant: Otto Stark
Kilgas, US-Major: Franz Viehmann
Kommissariatsleiter im Französischen Sektor:
Gerd Ehlers
Darstellende
Zum Inhalt
sowie: Friedrich Links, Gerhard Paul, Peter Kalisch
Wolfram Handel, Viktor Deiß, Hasso Zorn,
Otto Schröder, Günter Rüger, Gerd Staiger,
Renate Usko, Carola Braunbock, Karin Gregorek,
Horst Wünsch, Georg-Michael Wagner, Axel Triebel
Gerhard Moebius, Victor Keune, Erich Schmidt-Rau,
Jarmila Karlovská, Gerd-Michael Henneberg
Harald Warmbrunn, Hans-Peter Pieper,
Christoph Beyertt, Friedel Nowack, Wolfgang Bertram,
Harald Quast, Regine Lehmann, Elfriede Hiesgen,
Roman-Eckhard Gallonska, Elke Schuhrk,
Eckhart Strehle, Heinz Runge, Hans Schmidt,
Manfred Ott, Horst Lebinski, Günther Drescher,
Horst Westphal, Alexander Wikarski, Hans Feldner,
Harald Popig, Wolfgang Arnst, Werner Riemann,
Karl Sturm, Fred Schlenker, Jochen Richter,
Wolfgang Gehrick, Kurt Radeke, Karl-Maria Steffens,
Wolfgang Seiffert, Gerhard Rohrer, Siegfried Theiss
Anna-Maria Besendahl, Gertraut Last, Ostara Körner
Berlin 1948. Der Maschinenwärter Horst Kramm ist soeben in den Dienst der Kriminalpolizei eingetreten. Sein erster Fall, er soll eine diebische Nutte verhaften, entbehrt nicht
einer gewissen Komik. Der nächste jedoch ist bitterernst. Ein Frauenmörder treibt sein
Unwesen in der Vier-Sektoren-Stadt, die geteilten Kompetenzen raffiniert ausnutzend. Zwei
Leichen, bis zur Unkenntlichkeit durch Säure verätzt, wurden bereits in Berlin-Buch gefunden. Die Kriminalisten des demokratischen Sektors haben inzwischen das Tatmotiv ermittelt, doch ihre weitere Arbeit wird durch die Bildung eines eigenen Polizeipräsidiums für
die drei Westsektoren unterbrochen. So können sie zwei weitere Morde nicht verhindern. In
einer angesichts der politischen Situation grotesken Lage gelingt es ihnen unter großen
Anstrengungen dennoch, den Täter zu fassen.
Der Mann, der nach der Oma kam
nach einer literarischen Vorlage von Renate Holland-Moritz
Produktionsland
Produzent
Uraufführung
DDR, 1970/1971
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
(Künstlerische Arbeitsgruppe »Johannisthal«)
10. Februar 1972, Berlin, Kino »International«
301
Auszeichnung
Regie
Drehbuch
Szenarium
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüme
Maske
Musik
Schnitt
Ton
Aufnahmeleitung
Produktionsleitung
Darstellende
302
Prädikat: Wertvoll
Roland Oehme
Regieassistenz: Harald Fischer
Roland Oehme, Maurycy Janowski
Lothar Kusche
Willi Brückner
Wolfgang Braumann
Kamera-Assistenz: Eckhart Hartkopf, Rudolf Meister
Defa-Fotograf: Rudolf Meister
Hans Poppe
Bauausführung: Marlene Willmann, Dieter Gabriel
Maria Welzig
Margarete Walther, Eberhard Neufink
Gerd Natschinski
Gesang: Manfred Krug
Chansontexte: Hans-Jürgen Degenhardt
Hildegard Conrad
Klaus Heidemann
Günter Berger, Ralf Biok
Siegfried Kabitzke
Erwin Graffunda: Winfried Glatzeder
Günter Piesold: Rolf Herricht
Gudrun Piesold: Marita Böhme
Gaby Piesold: Katrin Martin
Danny Piesold: Rolf Kuhlbach
Herr Kotschmann: Herbert Köfer
Frau Kotschmann: Marianne Wünscher
Hans-Joachim Kotschmann: Harald Wandel
Marianne: Margot Busse, Oma Piesold: Ilse Voigt
Taxifahrer Köppe: Fred Delmare
Frau Köppe: Agnes Kraus, Karl: Jochen Thomas
Frau Bunzel: Angela Brunner
Lehrerswitwe Henkel: Senta Bonacker
Bürgermeister: Wolfgang Greese
Versicherungskassiererin: Carmen Maja Antoni
sowie: Otto Stark, Ilse Maybrid, Axel Triebel,
Willi Schwabe, Gojko Mitic, Deborah Kaufmann,
Lothar Kusche, Joachim Pflaum, Fritz Decho,
Erika Stiska, Heidemarie Schneider, Fritz Marquardt,
Hubert Hoelzke, Rudolf Kroboth, Christiane Lanzke,
Hans Jörg Bräuer, Karlheinz Siewert, Monika Däbritz,
Susan Baker, Emöke Pöstenyi, Heinz-Florian Oertel,
Darstellende
René Mach, Beate Fernengel, Carsten Hase,
Carola Schmidt, Siegfried Kabitzke, Harald Fischer,
Hans Feldner
Zum Inhalt
Das Zuhause von Fernsehkomiker Günter Piesold, Schauspielerin Gudrun und ihren drei
Kindern ist ein Chaos, das nur von Oma Piesold in Schach gehalten wird. Doch dann findet die alte Dame zu spätem Liebesglück, heiratet und widmet sich wieder ihrem eigenen
Leben, was zum völligen Zusammenbruch des Künstlerhaushalts führt. Die Familie sucht
daher per Annonce eine Aushilfe und findet überraschend den jungen und gut aussehenden
Erwin Graffunda, der den Haushalt auf Vordermann und Gerede in die Nachbarschaft
bringt. Auch Herr Piesold wird mißtrauisch: Ist Graffunda vielleicht der Liebhaber seiner
Frau? Doch dieser hat noch ein zweites Leben ... Des ungewöhnlichen Rätsels Lösung:
Graffunda sammelt praktische Erfahrungen für seine Dissertation über die Emanzipation
der Frau. Ein Thema, das ihn ganz persönlich weiterbeschäftigen wird – als inzwischen
verheirateter und bald Vater werdender Mann.
Liebesfallen
Mit meinem Studienkollegen Werner W. Wallroth aus dem ersten Regie-Matrikel
der 1954 gegründeten Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg verbinden mich gleich mehrere sehr frühe Erinnerungen. Er war oder wirkte
jedenfalls immer etwas älter als die meisten von uns, auch belesener, klüger,
geistreicher, jedenfalls respekteinflößend, zumal durch seine unnachahmliche Art,
jeden noch so profanen Gedanken in lange druckreife Sätze, ja in geistreiche, gern
auch ironische Sentenzen zu verwandeln. Diesem Image entsprechend, heiratete
der Beststudent bald unsere GEWI-Assistentin.
In Babelsberg war Wallroth mein erster Parteisekretär, und von seiner Hand
stammt die Widmung in einem Werk des später bei Parteioberen nicht mehr so
hoch angesehenen Stefan Heym. Diese Schriften zum Tage enthielten auch die
Sammlung seiner recht freimütigen Kolumnen in der Berliner Zeitung nach dem
17. Juni 1953. Der Buchtitel Im Kopf – sauber zitiert die von einer Geste untermalte Antwort eines Sowjetsoldaten, den eine mißlaunige Berlinerin per Fingerzeig auf seine schmutzigen Stiefel hingewiesen hatte.
Ich erhielt das Buchpräsent mit dem Zeigefinger-Titel als krönenden Abschluß
der Kandidatenzeit und zur Aufnahme in die führende Partei, also nach erfolgreich bestandener zweijähriger Bewährung für – damals – alle, die nicht der
303
Arbeiter- oder Bauernklasse entstammten. Daß sich 1953 Studenten aus den »verbündeten Schichten« überhaupt bewerben konnten, verdankte man erstaunlicherweise dem Tod des »weisen Führers« und dem folgenden »Stalin-Aufgebot der
FDJ«.
1957 wurde ich der studentische producer für Wallroths Vordiplom-Film Gewehre in Arbeiterhand. In seinem Bericht über die paramilitärische Ausbildung
einer kleinen Einheit der Betriebskampfgruppen des Babelsberger Karl-MarxWerks, damals noch Lokomotivbau, ehemals Orenstein & Koppel, übernahm der
Regisseur die bekannte historische Legitimation. Er nutzte also Original-Dokumentaraufnahmen von den bewaffneten Kämpfen der Arbeiterklasse nach dem
Ersten Weltkrieg, voran des Rot-Front-Kämpfer-Bundes. Unser Streifen vertrat
unsere Hochschule, zu meinem Kummer leider erfolglos, im Filmwettbewerb
während der VI. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1957 in Moskau. Dort
hatten wir neben den neorealistischen Studentenfilmen aus Prag und Budapest
keine Chance. Geringer Trost: der namentliche Eintrag ins Ehrenbuch des Zentralrats der FDJ.
Vor dem Studium hatte Wallroth einen freiwilligen Dienst in der Kasernierten
Volkspolizei absolviert. Das prädestinierte ihn nun als ersten Ausbilder in der vormilitärischen Unterweisung seiner männlichen Kommilitonen. Im ersten Studienjahr waren es in allen vier Fachrichtungen nur einige dreißig. Wer aus dieser Vita
nun auf einen fortan besonders eifrig linientreuen Propagandisten schließen
möchte, der irrt.
Werner W. Wallroth war, anders als manch ein Regiekollege, kaum auf eine
thematische Grundorientierung festzulegen, noch weniger auf eine spezielle
Genre-Affinität. Erstaunlicherweise äußerte er sich öffentlich kaum zu einem wie
auch immer gearteten Credo, obwohl ihm doch die Worte dafür wahrlich nicht gefehlt hätten.
Für sein Spielfilmdebüt 1960 schrieb sich der Regisseur das Buch selbst. Das
Rabauken-Kabarett erzählt von einer aufmüpfigen Lehrlingsgruppe im Schieferbergbau seiner thüringischen Heimat. Ihre eher fragwürdigen Aktivitäten werden
in kabarettistische Bahnen gelenkt und sie selbst auf diese Weise sozialisiert: Die
Rabauken mutieren unter der Leitung eines pfiffigen Lehrausbilders zur Laienspieltruppe und attackieren parodierend ihr eigenes Fehlverhalten. Wandel also
durch Abstand – die unverzichtbare DEFA-Moral hier einmal in spielerischkomödischer Gestalt.
Für den Jung-Star Ernst-Georg Schwill war es eine ganz neue Figurenvariante,
für die studierten Filmdebütanten Peter Reusse und Günter Junghans wurde es der
Start in eine erstaunliche Spielfilmkarriere. Leider wurde Peter Sindermann wenig später tödliches Opfer seiner Segelflugleidenschaft. Der frühe Erfolg machte
den Hauptdarsteller, den begabten Horst Jonischkan, nur trunken. Der kleine Gegenwartsfilm bewies Wallroths handwerkliche Sicherheit und galt als Talentbeweis, machte aber im Kino und in der Öffentlichkeit kaum Furore.
304
So startete der Regisseur erst einmal zu einem Ausflug nach Adlershof in die
Fernsehunterhaltung und zwar im Krimi-Genre, geografisch weniger als politisch
naheliegend: Mord in Gateway. Danach aber blieb er Babelsberg bis zum bitteren
Ende der DEFA treu und seiner Wohnheimat Potsdam bis heute auch.
Wallroths Film Alaskafüchse eröffnete in Farbe, Breitwandformat und 4Kanal-Magnetton die Sommerfilmtage 1964 auf der iga-Freilichtbühne in Erfurt.
Der politische Abenteuerfilm nach einer Erzählung von Wolfgang Schreyer verdankte seine Story den reichen Material- und Personal-Offerten des Kalten Krieges. Der DEFA-Dramaturg Egon Günther erwies sich hier bereits zum dritten Mal
als routinierter Filmautor im Action-Genre. Der Captain eines US-Luftwaffenstützpunkts im Hohen Norden havariert bei einem heiklen Aufklärungsflug in sowjetischem Interessengebiet. Daß er sich per Notruf von einer sowjetischen
U-Boot-Besatzung retten läßt, wird ihm zum doppelten Verhängnis. Heimgekehrt,
wird er wegen lebenserhaltender Befehlsmißachtung verhaftet und auch noch von
der Geliebten verlassen ...
Weniger fatal, doch durchaus dramatisch waren danach Manfred Krugs Abenteuer als Hauptmann Florian von der Mühle: 1968 wurde es der richtige, zudem
überlange erste DEFA-Film im 70-mm-Format auf der riesigen Leinwand des
noch jungen Lichtspieltheaters Kosmos mit seinen 1 000 Plätzen. In allen anderen
Kinos lief die zusätzlich auf 35-mm gedrehte Breitwandfassung. Das farbige
Spektakel wurde zum großen Publikumserfolg. Der Unterhaltungsliteratur folgend, hier einer Erzählung von Joachim Kupsch, näherte sich die DEFA damit
zunächst einmal den eher amüsanten Aspekten der Befreiungskriege.
Da kämpft ein Müller um sein Recht und wird am Ende doppelt belohnt, für
seine im Krieg zerstörte Mühle pekuniär reich entschädigt und durch die Liebe einer Duchessa von Guastalla, die er auf seinem Abenteuerritt vor Wegelagerern
aus Gefahr für Leib und Leben rettet.
Als zehn Monate später im selben Kino Rolf Ludwig als Seine Hoheit, Genosse Prinz das versammelte Volk herrlich amüsiert, ahnt im Publikum niemand
die vorangegangene Mühsal der Entstehung einer Gegenwartskomödie trotz nicht
gerade staatsgefährdendem Sujet. Nach dem 11. Plenum wurde jede DDR-Story
von der Buchentwicklung über die Produktionsfreigabe bis zur Staatlichen Abnahme argwöhnisch beobachtet, kritisch begutachtet und kleinlich zensiert.
Von Rudi Strahl stammte der schöne assoziationsträchtige Einfall, einem
schlichten DDR-Porzellan-Außenhändler mit Findelkind-Vita die blaublütige
Abkunft derer von und zu Hohenlohe-Liebenstein anzudichten. So wird unser
Genosse im bundesdeutschen Westen auf sehr unvermutete Weise kontakt- und
kontraktfähig. »Aus der ›Was wäre, wenn‹-Situation entwickeln sich Pointen, Spitzen, klamottige und nachdenkliche Szenen. Strahl und Wallroth wurden mehrfach,
bis zum Minister hinauf, mit Listen zu streichender Wörter und Sätze versehen.«1
1
Klaus Wischnewski, »Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg«, S. 240.
305
Zum Glück für das Studio und das Publikum wurde Rudi Strahl, wenn auch
mit neuerlichen Blessuren, seinem danach gefaßten Vorsatz untreu, vom heiteren
Film fürderhin zu lassen. Für und mit Wallroth schrieb er erst einmal eine kleine
harmlos-heitere, politisch unverdächtige Liebesgeschichte, wie schon der Titel
beruhigend versprach: Du und ich und Klein-Paris mit schönen Hauptrollen für
Jaecki Schwarz, Evelyn Opoczynski und die Handelsmetropole Leipzig. Dort
startete der Film pünktlich zur Frühjahrsmesse 1971 im Kino Capitol.
»Das war Lützows wilde verwegene Jagd?«2 so lautete die sarkastische Titelfrage eines Kritikers zur handwerklich soliden, doch wenig packenden Filmbearbeitung des Schauspiels von Hedda Zinner »Lützower« durch Szenarist und Regisseur Wallroth.
Mit Dramaturg Walter Janka sah ich in unserer Gruppe die Chance, die nationalistisch so übel mißbrauchte, in sich widersprüchliche Geschichte der Freikorps
im Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft für ein junges Publikum
spannend zu erzählen.
Die äußere Handlung kreist um einen Husarenstreich, den Raub einer französischen Kriegskasse aus dem Haus eines reichen Kollaborateurs. Der kühne Freiheitskämpfer wird gefangengenommen und zum Tode verurteilt. Er kann aber
dank der Hilfe eines französischen Sergeanten und mit ihm zu den Lützowern
zurückkehren. Doch da gab es noch eine zweite, weniger aktionsreiche Handlungslinie. Die aufmüpfige Tochter des Kollaborateurs erfährt von der Intrige des
Königs und überbringt der Freischar die geheime Nachricht vom preußischen
Waffenstillstand mit den Franzosen. Lützow glaubt nicht an den Verrat des Regenten. Gutgläubig und befangen im Ehrenkodex seiner Kaste, gehorcht er dem
Eid und wird so auf tragische Weise mitschuldig am Untergang seiner Truppe.
Walter Janka wollte mich beim ersten Gespräch mit der Autorin in ihrer Villa in
Berlin-Niederschönhausen dabei haben und bereitete mich auf eine Begegnung der
eher ungewöhnlichen Art vor. Die Dichterin, Jahrgang 1907, gelernte Schauspielerin
mit achtunggebietender antifaschistischer Vita, politische Emigrantin in Wien, Prag
und Moskau, lege auf noble Umgangsformen wert, doch müsse man sie nicht unbedingt mit »Gnädige Frau« anreden, wie es vom Personal ihres Hause erwartet werde.
Werner W. Wallroth mußte sich da nicht anstrengen. Er beherrschte den angemessenen Konversationsstil und verstand es, auch in solch anspruchsvoller Umgebung Eindruck zu machen und zugleich Respekt zu bezeugen.
Die große Dame wirkte mehr streng als distinguiert, ein tief herabhängendes Augenlid verstärkte den Ausdruck einer gewissen Skepsis und Unnahbarkeit. Nach
schlechter Erfahrung mit der DEFA-Version ihres bekanntesten Bühnenstücks Der
Teufelskreis durch Carl Balhaus wollte sie die Bucharbeit dem Regisseur nicht allein
überlassen, und Wallroth war die prominente Mitautorenschaft durchaus recht.
2
Günter Sobe, Berliner Zeitung vom 29.10.1972.
306
Mit dem Drehbuch aber begann ein ungewöhnlicher Kosten-Clinch zwischen
dem Produktionsleiter und dem Studiodirektor. Der aber wollte Dramaturg und
Gruppenleiter in die Pflicht nehmen, denn wir hatten nach dem Szenarium die
Selbstkosten viel zu gering veranschlagt: Für 70-mm- plus Normalformat 2,7 Millionen. Nun forderte die Produktion 3,5. Da ließ Hedda Zinner den Studiochef
kommen, doch der blieb hart und bewilligte maximal drei Millionen. Als das Regiebuch gar mit vier Millionen veranschlagt wurde, mutierte der Hauptdirektor
zum Dramaturgen. In einem Brief schlug er die Streichung mehrerer Bilder und
Einstellungen vor sowie die Reduzierung der vierbeinigen Komparserie mit zu
großem Aufwand für die Pferdetransporte. Die Artillerie wurde einer Rüstungsbegrenzung unterworfen und die Schlachtenszenen in Studionähe verlegt. Die nervenzehrenden Dispute und lange Korrespondenz bewirkten wenig. Am Ende landeten die Kosten bei 4,7 Millionen.
Das künstlerische Resultat ließ das ökonomische Desaster leider nicht in milderem Lichte erscheinen. Im Film gab es neben visuell attraktiven Milieu- und
Kampfszenen viele Dialogpassagen, die allzu stark an ihre theatralische Herkunft
erinnerten. Während selbst Hedda Zinner dies einräumte, nannte der Regisseur
solchen Einwand »geistige Bedürfnislosigkeit« und wunderte sich wortreich, wie
man bei einer Tragödie so genrefremde Erwartungen habe pflegen können.
Unsere Hoffnung auf großen Publikumszulauf wurde enttäuscht. Der enorme
Aufwand für die Produktion zweier Formate erwies sich als glatte Fehlinvestition.
Wallroth aber konnte seinen früheren Erfolg im historischen Action-Genre
doch noch einmal wiederholen. 1975 mit dem Indianerfilm Blutsbrüder mit
DEFA-Dauer-Rothaut Gojko Mitic und unserem nicht weniger populären Zuwanderer aus den USA – Dean Reed, image- und rollengerecht als weißer Deserteur
an der Seite der vom Genozid bedrohten Cheyenne.
Schon im nächsten Jahr eröffneten Wallroths Liebesfallen wiederum die Sommerfilmtage.
Nach einem Bühnen-Musical von Dieter Wardetzky und Komponist Peter Rabenalt inszenierte Wallroth 1982/83 die Film-Version des Musicals Zille und ick.
Das realistische Zeit- und Milieubild aber enttäuschte anders geartete Unterhaltungserwartungen des Publikums.
Daß dieser Regisseur bei der Stoffwahl wählerisch sein konnte, verdankte er
neben dem Festvertrag in Babelsberg wohl auch einer ganz anderen Kreativität,
als Liedtexter nämlich für seinen solistischen Bruder.
So hatte Wallroths letzter Spielfilm erst 1985 Premiere – ein kleines, mäßig
heiteres Verwechslungsspiel: Der Doppelgänger.
307
Liebesfallen
nach Episoden aus Ludwig Tureks »Die Liebensfalle«
Produktionsland
Produzent
Uraufführung
Regie
Drehbuch
Dramaturgie
Kamera
Bauten
Kostüme
Maske
Musik
Schnitt
Produktionsleitung
Darstellende
Zum Inhalt
DDR, 1975/1976
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
(Künstlerische Arbeitsgruppe »Berlin«)
2. Juli 1976, Berlin, Freilichtbühne Fürstenwalde
Werner W. Wallroth
Regieassistenz: Bernd Braun
Werner W. Wallroth
Anne Pfeuffer
Werner Bergmann
Standfotograf: Norbert Kuhröber
Erich Krüllke
Barbara Braumann
Gerhard Petri
Walter Kubiczek
Musikinterpretation: Thomas Lück, Gerd-MichaelisChor, Holger Biege, Chris Doerk, Vlady Slezak
Gesang: Nina Hagen
Lotti Mehnert
Gerrit List
Bettina Gürtelschmidt: Marianne Wünscher
Udo Klüterjahn: Fred Delmare
Frau Reitstock: Eva-Maria Hagen
Renate Mauerbusch: Heidemarie Wenzel
Dr. Biebermamm: Dieter Wien
Gabriele Metzke: Angela Brunner
Herr Reitstock: Thomas Lück
Prof. Kallmann: Herbert Köfer
Liane Brückner: Nina Hagen
Frau Schmidt: Ingeborg Krabbe
Glöwen: Edgar Külow, BGL: Gertraud Last
Kloppmann: Werner Lierck
Kollege Rochmann: Carl-Heinz Choynski
Paolino: Edwin Marian, Meister: Harry Merkel
Die Liebe in all ihren Spielarten ist Thema dieser aus vier szenisch miteinander verbundenen Geschichten bestehenden Komödie: Schiffskoch Udo Klüterjahn verführt das weibliche Geschlecht mit Hilfe eines Segelboots und delikater Speisen. Doch am Ende ist es
308
Bettina, die ihn zum Traualtar (ver)führt. Deren Vorgesetzte Renate Mauerbusch würde ihrerseits gerne mit Pensionsnachbar Dr. Biebermann in den Hafen der Ehe einlaufen – doch
zuerst muß sie den aufdringlichen Vermieter Reitstock wieder mit seiner Frau vereinen. Als
Biebermanns Sekretärin Gabriele ihre Felle davonschwimmen sieht, sucht sie ihr Heil in
einer Heiratsanzeige. Doch das Angebot läßt zu wünschen übrig, bis sie selbst auf eine Anzeige reagiert und so mit Professor Kallmann zusammenkommt. Dessen Forschungen befassen sich im Augenblick mit den Möglichkeiten der Frau zur Selbstverwirklichung. In
dem von ihm beobachteten Betrieb scheint er in der attraktiven Liane, der alle Männer zu
Füßen liegen, ein perfektes Studienobjekt gefunden zu haben. Denn selbst der neue Vorsitzende der Betriebsgewerkschaftsleitung, den ihr neidische Kolleginnen auf den Hals hetzen, damit er ihr ein bißchen Anstand beibringt, kann diese nicht schrecken – vielmehr
scheint er genau der Mann zu sein, nach dem Liane gesucht hat.
Und nächstes Jahr am Balaton
Als Filmminister Horst Pehnert im Kunsteisstadion Wilhelm Pieck in Weißwasser
die Sommerfilmtage 1980 vor einer mehr als tausendköpfigen jungen Fan-Gemeinde mit einer launigen Rede eröffnete, lag eine achtjährige Buch- und Produktionsgeschichte hinter uns.
An ihrem Anfang stand eine Tramp-Story-Idee des mehrfachen DEFA-Autors
Wolfgang Held aus Weimar. Eine amüsante Urlaubsliebelei zwischen einem
DDR-Jungen und einem Mädchen in Bulgarien endete bei ihm allzu folgerichtig,
als sich mit der westdeutschen Herkunft der Schönen auch die Unverträglichkeit
ihrer Ansichten über die Welt und das Leben offenbart.
Da wurde in bekannter Beweisdramaturgie vor allzu intimen Annäherungen im
Zuge des deutsch-deutschen Massentourismus ans Schwarze Meer gewarnt.
Ziemlich vordergründig war die Autorenabsicht und meine Dramaturgenkollegen waren verstimmt. Nur meine Studienkollegin Inge Wüste, frisch in der Gruppe,
wußte sogleich Rat: Ausbuchen und einen anderen, nämlich jüngeren Autor mit
entsprechend zeitgemäßerem Jugendsensus beauftragen. Und sie kannte auch
gleich einen begabten Kandidaten, der sich justament jetzt auf einen Tramp-Trip
vorbereite. So sponserte also die DEFA 1973 per Materialsammlung und Treatment-Vertrag eine Urlaubsreise des Lektors und Erzählers Joachim Walther unter
dem Arbeitstitel Tramp durch sozialistische Länder, geliefert mit viermonatiger
Verspätung und in vertragsferner Prosagestalt im Umfang von 150 Seiten.
Diesem Manuskript folgte der vom Autor erwartete Szenarienvertrag erst einmal nicht. Zu groß und ungelöst waren die offenen Gestaltungsfragen. Die Episoden in den verschiedenen Ländern verselbständigten sich und schienen austausch309
bar. Das Handlungsmotiv und der Charakter des Helden waren nur aus dem Dialog zu erfahren. Genre, Stil und Erzählweise blieben unbestimmt. Vor allem aber
vermißten wir heitere, komödiantische Elemente. Die Geschichte sollte von nebensächlicher Polemik frei sein, die weder die Fabel, noch die Charaktere bereicherte. Dafür wollten wir die Liebesgeschichte mit der Holländerin ins Zentrum
gerückt sehen. Dem filmunerfahrenen Autor eine zweite Treatment-Fassung abzufordern, schien uns aussichtslos, zumal ohne die Mitarbeit eines Regisseurs.
Ich hielt bereits das Reisemotiv seines jungen Helden für fragwürdig. TrampFan und Maschinenschlosser Norman Bielat aus der Brigade »Patrice Lumumba«,
liest in der Frühstückspause die neuesten Meldungen von der Donau-HochwasserKatastrophe in Rumänien. Er faßt spontan den Entschluß, dort selbst Hand anzulegen, statt sich mit der obligaten Soli-Spende billig freizukaufen.
Solche eine Einzelaktion, sicherlich gut gemeint, galt in unseren zentralistischen Planregimen als purer Individualismus. Kurz zuvor war Egon Günthers
Projekt Carmen u. a. an einem ähnlichen Spontaneinfall seiner Hauptfigur gescheitert.1 Die schöne Schauspielerin wollte nämlich ihren lang ersehnten Wartburg sogleich gewinnbringend umrubeln und den Erlös für das kämpfende Vietnam spenden und zwar ohne langjährige Splittung in monatliche Soli-Raten.
Joachim Walther stellte in seiner Version den blinden Aktionismus des jungen
Arbeiters selbst in Frage: Endlich im Donau-Delta angelangt, wird sein Hilfsangebot im strategisch organisierten Großeinsatz von Militär, Technik und Menschenmassen eher als störend betrachtet. So muß er sich damit begnügen, einer alleingelassenen Soldatenfrau den Keller auszupumpen.
Problematisch erschienen mir auch die Autorenblicke ins Interieur der sozialistischen Bruderstaaten. In der Tschechoslowakei beherbergt den Tramper ein vereinsamter skurriler alter Herr mit abseitigem Uhren-Sammler-Tick. Das mochte ja
angehen. In Budapest trifft er auf einen gutherzigen Hochstapler, dessen sexuelle
und berufliche Renommiersucht ans Tragisch-Krankhafte grenzt. Auch das war,
komödiantisch behandelt, zu verkraften. Doch selbst Regisseur Herrmann Zschoche störte, daß unser Mann im Puszta-Land auch noch in eine Treibjagd gerät, die
gegen harte Währung eigens für Jäger aus dem Westen veranstaltet wird. Vor
fremden Türen aber wollte auch er nicht kehren.2
Weitaus heikler aber waren die Begegnungen dieses Norman Bielat mit den
Siebenbürger Sachsen in Rumänien. Die Nachfahren der deutschen Minderheit
waren im Staate Nicolae Ceausescus eher beargwöhnt als wohl gelitten. Ob ihres
Fleißes und Ordnungssinnes lange Zeit ungeschoren, erfreuten sie sich noch, anders als nationale Minderheiten rumdum, einer eigenen Zeitung und deutschsprachiger Rundfunksendungen. Im Erlebnis des trampenden DDR-Bürgers nun stellten sie sich so dar, wie sie in der nationalen Diaspora zum Teil wohl auch waren,
1
2
Siehe: Unsere nicht gedrehten Filme, a.a.O., S. 90 f.
Hermann Zschoche, Sieben Sommersprossen und andere Erinnerungen, Berlin 2002, S. 128 f.
310
als bigotte Christen und dünkelhafte Nationalisten. Sie verstoßen eine junge Deutsche aus ihrer frömmelnden Gemeinde, weil sie gegen den Willen ihrer Eltern einen Rumänen liebt und heiraten will.
Gegen solch eine kritische Sicht hätte die rumänische Bruderpartei ja kaum etwas einwenden können, von der »führenden Kraft« hierzulande gar nicht zu reden. Doch da war außenpolitische Vorsicht angeraten. Und richtig, die einschlägig
erfahrenen Genossen in der zuständigen Länderabteilung des MfAA und der Auslandschef im Kulturministerium, Dr. Tautz, stellten unübersehbare Warnschilder
auf. Gegen die Bewertung des Minderheiten-Phänomens durch den Autor sei
natürlich nichts einzuwenden, aber die selbstbewußten Rumänen, die ohnehin immer aus der sozialistischen Reihe tanzten, seien allergisch gegen jede öffentliche
Erörterung des Nationalitäten-Problems, schon gar in ausländischen Medien. Ein
solcher DEFA-Film habe dort keine Chance.
Da sei möglicherweise sogar bruderstaatliche Demarche zu befürchten, und sei es
mit dem zynischen Argument, da könnten sich redliche rumänische Staatsbürger
deutscher Nationalität beleidigt fühlen (wie heute vielleicht eine Nobelpreisträgerin).
Joachim Walther schickte uns 1976 die druckfrische Erzählung Ich bin nun mal
kein Yogi, begleitet von einem Beschwerdebrief an den Studio-Chef. Doch der
wollte eine Entscheidung lieber seinem bereits designierten Nachfolger überlassen. Regisseur Herrmann Zschoche wiederum wollte sich erst mit dem Autor verabreden, wenn das Studio »grünes Licht« gegeben habe. So blieb das persönliche
Gespräch mit dem empörten Autor mir allein.
Im Juli 1978 hatte eine Bühnenversion der Erzählung in Weimar den Publikumstest glücklich bestanden, ohne daß es zu diplomatischen Verwicklungen gekommen war. Der Regisseur aber, offen für eine neue Fabelidee der Dramaturgin,
hatte inzwischen zwei andere reifere Projekte in petto. Doch die Dramaturgin
Inge Wüste-Heym gab nicht auf und entwarf selbst eine aussichtsreichere Konzeption und wurde so zur Filmautorin – nach Motiven von Joachim Walther. Mit
der Erfindung einer völlig neuen Exposition kreierte sie eine handlungsbetonte,
vor allem aber komödisch akzentuierte Story.
Ins Zentrum des road movie rückten nun die Zufallsbekanntschaft und der
intensive Austausch zwischen dem unangepaßten DDR-Jungen und der zivilisationskritischen holländischen Aussteigerin. Sie ist auf Tantra-Trip zu einem indischen Yogi. Die recht unterschiedlichen Lebensansichten und Glücksvorstellungen der beiden Generationsgefährten sind kein Hindernis für eine kurze heftige
Liebesromanze, die an der bulgarisch-türkischen Länder- und Systemgrenze endet. Das Lustspiel findet sein genregerechtes Finale in der glücklichen Wiedervereinigung von nunmehr Jonas und seiner Ines, ja sogar in der Versöhnung mit ihren
Eltern, die nach manchen Abenteuern und auf getrennten Wegen das Urlaubsziel
erreicht haben.
Die wichtigste Garantie für den wohl letzten überwältigenden Kinoerfolg Herrmann Zschoches war seine Fähigkeit, mit jungen Laiendarstellern ein ganz und
311
gar glaubwürdiges Bild dieser Generation gerade jenes Zeitraums zu zeichnen.
Lange Zeit war der Regisseur der Meinung, die Rolle der Shireen könne glaubwürdig nur von einem holländischen Mädchen gespielt werden. Doch dann entschied er sich glücklicherweise für die schon erprobte Kareen Schröter aus Sieben
Sommersprossen, für die er mit Hilfe von Cox Habbema später eine unersetzliche,
einschmeichelnde Synchronstimme fand mit dem liebreizenden, holländisch gefärbten Deutsch einer echten Niederländerin.
Nach Solo Sunny war das Lustspiel mit 730 000 Besuchern in den ersten
13 Wochen unser größter Besucherrekord im letzten DEFA-Jahrzehnt.
Nur der Auslandsverkauf ließ zu wünschen übrig. Die sowjetischen Filmankäufer meldeten moralische Skrupel an. Den angeblich so toleranten Ungarn
waren ihre Zollorgane nicht taktvoll genug behandelt, und die Rumänen hatten im
Bilde ihres Landes immer noch unübersehbare Fehlfarben entdeckt …
Und nächstes Jahr am Balaton
Nach der literarischen Vorlage »Ich bin nun mal kein Yogi« von Joachim Walther
Produktionsland
Produzent
Uraufführung
Regie
Drehbuch
Szenarium
Dramaturgie
Kamera
Bauten
312
DDR, 1979/1980
DEFA-Studio für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg)
(Künstlerische Arbeitsgruppe »Babelsberg«)
26. Juni 1980, Berlin, Kino »International«
Filmpreis des Jugendmagazins »Neues Leben«
(1980): Bester DEFA-Film Auszeichnungen
Leserumfrage des »Filmspiegel« aus Anlaß des
2. Nationalen Spielfilmfestivals der DDR
in Karl-Marx-Stadt (1982): 3. Preis
Hermann Zschoche
Regieassistenz : Eleonore Dressel
Hermann Zschoche
Inge Wüste-Heym
Manfred Wolter
Günter Jaeuthe
Kamera-Assistenz: Klaus Groch, Herbert Kroiss
Defa-Fotograf : Herbert Kroiss
Alfred Thomalla
Bauausführung: Peter Zakrzewski
Kostüme
Maske
Schnitt
Musik
Ton
Aufnahmeleitung
Produktionsleitung
Darstellende
Zum Inhalt
Günter Pohl
Kurt Tauchmann, Christa Grewald
Monika Schindler, Hildegard Conrad
Günther Fischer
Christfried Sobczyk, Helga Kadenbach,
Christian Müller
Detlef Willecke
Rolf Martius
Irene Moldenschütt: Gudrun Ritter
Heinz Moldenschütt: Peter Bause
Otto Schmiedel: Fred Delmare, Kuß: Bernd Chill,
Kalle: Günter Schubert, Jonas: René Rudolph
Shireen: Kareen Schröter, Rainer: Thomas Kieper,
Ines Moldenschütt: Odette Bereska
Fränze: Silke Hollender, Grille: Christine Krech,
Evelyn: Kerstin Haustein, Ordner: Hannes Stelzer,
Gisela: Heide Kipp, Prohazka: Bohumil Vávra
Jonas wollte eigentlich allein mit seiner Freundin Ines verreisen. Aber ihre Eltern haben
andere Pläne: spießiger Familienurlaub am Schwarzen Meer. Nicht mit Jonas. Er steigt
unterwegs aus und trampt allein weiter. Er trifft Kumpels aus seiner Werkstatt und schließt
sich Shireen, einem holländischen Mädchen an, das bis nach Indien zur Sekte der Tahtras
gelangen will. An der bulgarisch-türkischen Grenze nehmen sie wehmütig Abschied. In
Nessebar trifft Jonas wieder auf Ines und erfährt von der Familienreise mit Hindernissen.
Der Vater mußte sich um einen gestohlenen Koffer kümmern und die Mutter hatte den Zug
verpaßt. Am Ende gibt es doch noch einen versöhnlichen Urlaub zu viert.
Die Beteiligten
Laut großem Lexikon der DEFA-Spielfilme hat Drehbuchautor Gerhard Bengsch
die Handlung dieses Krimis 1964 in einer Kleinstadt an der Elbe angesiedelt. Es
war die Kreisstadt Burg, etwa 20 km von der Bezirkshauptstadt Magdeburg entfernt. Ursprünglich trug der Film dann auch den Titel Der Fall Burg. Eine junge
Frau war während einer Dienstreise mit ihrem Chef und einer Kollegin ertrunken.
Die zwei unmittelbar Beteiligten – ein tüchtiger Stadtrat und ehrbarer Familien313
vater sowie eine seiner Mitarbeiterinnen – sagen aus, sie sei beim Spaziergang an
der Elbe ins Wasser gefallen. Ein Unfall. Man glaubt ihnen. Ein Kriminalist ermittelt, vom Unwillen seines Chefs begleitet, der den Stadtrat seit Jahren gut kennt.
Schritt für Schritt kommt Fakt für Fakt ans Tageslicht. Es stellt sich heraus, daß
die Tote schwanger war – vom Stadtrat. Ein außereheliches Kind wäre das Ende
seiner Karriere gewesen. Schließlich ist klar: Es war Mord.
Der Film polemisiert, seinem Genre gemäß, gegen Karrieredenken, opportunistisches Verhalten, Privilegien, Unterwürfigkeit, finanzielle Abhängigkeiten, verfilzte Freundschaften, Furchterzeugung … und zielt so auf zahlreiche eben auch
mittelbar Beteiligte. Anspielungen auf die Gegenwart werden deutlich.
1964 konzipiert, wurde das Projekt nicht realisiert (Stichwort 11. Plenum
des ZK der SED vom Dezember 1965, dem 13 fertige oder in der Endfertigung
befindliche Filme zum Opfer fielen). Der Regisseur Horst E. Brandt schreibt in
seinen Erinnerungen Halbnah Nah Total: »Wir wollten über eine Kleinstadt
erzählen, in deren Mauern sich die Diener des Staates gegen Recht und Gesetz
vergehen und einen Mörder zu decken versuchen.«
Das paßte nicht in die beschlossenen Vorstellungen: Im Juli 1958 hatte der
V. Parteitag der SED »Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik« verabschiedet, sie wurden dann auch in das auf dem VI. Parteitag im Januar 1963 beschlossene Parteiprogramm übernommen; in Nr. 9 hieß es: »Du sollst sauber und
anständig leben und Deine Familie achten.« Die Arbeiten am Film wurden erst
1988 wieder aufgenommen und zu Ende geführt – Drehort war die Kreisstadt
Stendal.
Mein Kalender sagt mir, daß ich am 15. Juni 1989 im International die Premiere erlebte. Als ich nun diesen Film sah, gingen meine Gedanken zurück in das
Jahr 1959. Ich war damals Student an der Fakultät für Journalistik und hatte als
Börde-Kind erst mein Druckerei- und dann mein Redaktionspraktikum bei der
Volksstimme in Magdeburg absolviert; zu Ferienzeiten ging ich dann in der Redaktion ein und aus und muggte ein wenig. Eines Tages kam ein Redakteur von
einer Verhandlung am Bezirksgericht zurück. Aufgewühlt erzählte er vom Leiter
des VEB Kommunale Wohnungsverwaltung der Stadt Burg, der ein folgenreiches
Verhältnis mit einer jungen Frau hatte. Ein außereheliches Kind wäre das Ende
seiner Karriere gewesen. (Man bedenke zudem: 1959 war Schwangerschaftsabbruch noch verboten; den das Opfer übrigens abgelehnt hatte). Um den – nicht
einmaligen – Fehltritt zu vertuschen, entschieden sich er und eine ihm hörige Mitarbeiterin fürs Verbrechen. Bei einer gemeinsamen Dienstreise stieß die Frau ihre
Kollegin von einer Buhne in die Elbe. Und nach dem Mord, berichtete mein damaliger Kollege erschüttert, seien beide seelenruhig essen gegangen.
Die Unfall-Variante wurde den beiden zunächst geglaubt. Doch der Vater der
jungen Frau gab keine Ruhe. Seine Wahrnehmungen wurden in der Kreisstadt von
Volkspolizei und Staatsanwaltschaft ungenügend ernst genommen. Erst über den
Generalstaatsanwalt gelangte der Fall aus den Händen der Kreisbehörde zum Bezirk
314
und wurde aufgeklärt. Die Ähnlichkeiten liegen auf der Hand. Die Verlegung der
Handlung von 1959 ins Jahr 1964 begründet sich durch die zeitliche Nähe der Ereignisse; der andere Personenkreis (z. B. Stadtrat statt Leiter der Wohnungsverwaltung) hat neben künstlerischen Gründen die gebührende Verfremdung als Grund.
Bei meinen Bemühungen, etwas mehr über die damaligen Umstände zu erfahren, wechselten sich Fräulein Glück und Kommissar Zufall ab, aber auch Teufel
Mißerfolg griff ein: Ich erinnerte mich aus Literaturankündigungen, daß es im
Magdeburgischen einen Autor gibt, der außergewöhnliche Fälle aus dieser Region
nacherzählt. Meine Buchhändlerin fand im Internet den Namen, den ich vergessen
hatte: Bernd Kaufholz. Im Mitteldeutschen Verlag, der seine Schriften herausgibt
(es sind mittlerweile ein rundes Dutzend), konnte ich mit meinen vagen Erinnerungen nicht erfahren, ob dieser Fall in einem seiner Bände steht, die Mitarbeiterin verriet mir aber, daß ich Herrn Kaufholz bei der Volksstimme erreiche, er sei
dort Chefreporter. Zufällig arbeitet meine Nichte auch bei der Volksstimme und
vermittelte mir ein Gespräch mit dem Autor. Von ihm erfuhr ich, daß diese Geschichte in dem Band »Der Ripper von Magdeburg« zu finden ist (ein Film über
diesen Fall lief übrigens unlängst als Wiederholung im RBB).
Meine Versuche, aus dem Archiv der Volksstimme den Gerichtsbericht von damals zu erhalten, schlugen fehl. »Nicht fündig geworden« übermittelte die Nichte
dem Onkel. Das kann ich mir nicht vorstellen, denn ich wußte mittlerweile die
Daten der Gerichtsverhandlung und der Urteilsverkündung. Zusätzlich habe ich
dann eine Kollegin von damals in die Spur geschickt. Auch sie wurde nicht fündig. »Vielleicht hat das Archiv beim Umzug gelitten.« Eine andere – für mich die
wahrscheinliche – Variante: Es ist nichts veröffentlicht worden – eben aus Rücksicht auf das gesamte Umfeld: Ehepartner (die Täter waren verheiratet), Kinder,
Nachbarn, Arbeitskollegen, Freunde, Bekannte ... Und in diesem weiten Umfeld
eben auch dieser oder jener mittelbar Beteiligte. Persönlichkeitsschutz also ist ein
Grund. Ein anderer: An Debatten in solcher Breite war die DDR nicht interessiert
(mir war einmal zu Ohren gekommen, daß eine Nachricht über ein Geschehnis,
das in der Region für Unruhe sorgte, vom Generalsekretär persönlich formuliert
und nur regional veröffentlicht wurde). Meine Kollegin von damals aber fand heraus, daß die Wochenpost in Ausgabe 6/1960 über diesen Prozeß berichtet hatte.
Autor war der ebenso literarisch geschätzte Rudolf Hirsch – wir erinnern uns an
ihn, seine Gerichtsberichte waren DDR-weit bekannt. Er verwendete in seinem
Bericht allerdings die vollen Klarnamen. Was nicht üblich war und ist. Er gab die
Aussagen zweier Zeugen wider, des Hauptbuchhalters und des Chauffeurs. Sie
beklagten die selbstherrlichen Gewohnheiten ihres Chefs. »Wenn sie vor einem
Jahr den Mund aufgetan hätten …«, gab der Verfasser zu bedenken. »Sie hatten
Kenntnis von den Allüren ihres Vorgesetzten ... Sie haben es geduldet, haben den
Karrieristen, Manager und Betriebscasanova nicht bloßgestellt ... Es wäre ihre
Pflicht gewesen, dagegen Sturm zu laufen, selbst auf die Gefahr hin, Unannehmlichkeiten erdulden zu müssen. Auch sie haben eine Schuld auf sich geladen, nicht
315
aber eine Mitschuld am Tode ... Daß ein Mord Folge ihres Versagens war, konnten
sie nicht voraussehen.«
Richtig, richtig. Wie es aber einer Frau ergehen kann, wenn sie sich dem Werben des Chefs widersetzt, schilderte eine Zeugin; aus Taktgründen war nur sie geladen. Seit ihrer Weigerung habe sie keinen ruhigen Tag mehr im Betrieb gehabt.
Es sei unsere Aufgabe zu untersuchen, so Rudolf Hirsch, auf welchem Boden
ein derartiges Verbrechen gedeihen konnte. Und dieser Aufgabe hatte sich auch
der Film gestellt. In der Geschichte von Bernd Kaufholz »Die Ertrunkene aus der
Elbe« in »Der Ripper von Magdeburg, Spektakuläre Kriminalfälle«, edition
Volksstimme, Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle 2001, ist der Fall geschildert.
Auf der Grundlage dieser Schilderung kann man sich vergegenwärtigen, was der
Film aus diesem Stoff gemacht hat.
Dieter Römmler
Die Beteiligten
Produktionsland
Produzent
Uraufführung
Produktionsleitung
Regie
Drehbuch
DEFA-Studio für Spielfilme
15. Juni 1989, Kino »International«, Berlin
Katrin Wiedemann
Horst E. Brandt
Gerhard Bengsch
Kamera
Peter Badel
Kostüme
Inez Raatzke
Bauten
Schnitt
Musik
Darstellende
316
DDR, 1988
Georg Wratsch
Rosemarie Drinkorn
Rainer Böhm
Hans Gregor: Manfred Gorr
Erwin Müller: Gunter Schoß
Willi Stegmeier: Jürgen Zartmann
Eva Sorge: Karin Ugowski
Ewald Sorge: Christoph Engel
Anna Sell: Karin Gregorek
Helga Jordan: Katrin Knappe
Betty Stegmeier: Renate Heymer
Darstellende
Zum Inhalt
Staatsanwalt Matthes: Peter Kube
Richard Sell: Wolfgang Greese
Erika Müller: Friederike Aust
in weiteren Rollen: Stefan Lisewski, Harry Pietzsch,
Ute Lubosch, Petra Hintze
1964 wird in einer Kleinstadt an der Elbe die Leiche von Christa Gellert aus dem Wasser
gefischt. Scheinbar hat sich ein Unfall ereignet, so sagen jedenfalls die Beteiligten aus:
Christa war mit dem Stadtrat Stegmeier und dessen Mitarbeiterin Anna Sell auf einer
Dienstfahrt unterwegs und ist beim Pflücken von Weidenkätzchen ertrunken. Der junge
Kriminalbeamte Hans Gregor vermutet mehr hinter der Sache und geht Gerüchten nach –
erst recht, als sein Vorgesetzter Erwin Müller, der mit Stadtrat Stegmaier befreundet ist, ihn
davon abhalten will. Nach undurchsichtigen Zeugenaussagen läßt Gregor eine Exhumierung vornehmen und findet heraus, daß die Tote schwanger war. Eine Kollegin weiß genaueres über Christas Verhältnis zum Stadtrat, scheut jedoch eine klare Aussage. Nur mit
unendlicher Geduld kann sich Gregor durch das Geflecht der Abhängigkeiten kämpfen, um
den Fall zu lösen.
317
Über die Autoren
Klaus-Detlef Haas
geboren 1949 in Berlin; 1968 bis 1975 Studium der Philosophie an der
Humboldt-Universität zu Berlin, danach hauptamtlich in FDJ und SED tätig,
ab 1990 Arbeit als Journalist, seit 1999 freiberuflich.
Seit 1990 ehrenamtliche Arbeit im ANTIEISZEITKOMITEE und anderen
Kulturprojekten.
Dr. Dieter Wolf
geboren 1933 in Bad Frankenhausen/Kyffhäuser; 1952 bis 1954 Studium der
Germanistik in Jena; 1954 bis 1958 Studium der Film-Produktion Deutschen
Hochschule für Filmkunst Potsdam-Babelsberg;
von 1958 bis 1990 im VEB DEFA-Studio für Spielfilme tätig,
zunächst als Produktionsassistent, dann als Dramaturg,
von 1964 an Leiter und Hauptdramaturg der Gruppe Babelsberg,
als Dramaturg Mitwirkung an 26 der in der Gruppe Babelsberg
entstanden 97 Filme.
Arbeit als Autor:
Bevor der Film ins Kino komm. Von der Idee zur Premiere, Berlin 1984 u. 1987;
Gruppe Babelsberg. Unsere nicht gedrehten Filme, Berlin 2000;
als Herausgeber:
Barbara und Winfried Junge, Die Kinder von Golzow, Marburg 2004;
div. Filmpublizistik, Mitautor von Sammelwerken, u. a.
Babelsberg. Ein Filmstudio 1912/1992, Berlin 1992;
Vor der Kamera. Fünfzig Schauspieler in Babelsberg, Berlin 2005;
Jahrbuch der DEFA-Stiftung 2005; Zwischen uns die Mauer,
DEFA Filme auf der Berlinale, Berlin 2010
318
Alphabetisches Verzeichnis der Filme
Inhalt (nach Filmtiteln alpabetisch geordnet) – Titel und Regisseur
Abschied
Ach du fröhliche
Addio piccola mia
Affaire Blum
Anton der Zauberer
Beethoven – Tage aus einem Leben
Berlin – Ecke Schönhauser
Beschreibung eines Sommers
Bis daß der Tod euch scheidet
Blonder Tango
Busch singt
Chronik eines Mordes
Das Beil von Wandsbeck
Das Fräulein von Scuderi
Das Kaninchen bin ich
Der Aufenthalt
Der Bruch
Der Dritte
Der Fall Gleiwitz
Der Geteilte Himmel
Der Mann, der nach der Oma kam
Der Untertan
Der Verlorene Engel
Die besten Jahre
Die Beteiligten
Die Beunruhigung
Die blauen Schwerter
Die Braut
Die Kraniche ziehen
Die Schlüssel
Die Zeit, die bleibt
Ein Lord am Alexanderplatz
Einer trage des anderen Last
Einmal ist keinmal
For eyes only
Genesung
Egon Günther
Günter Reisch
Lothar Warneke
Erich Engel
Günter Reisch
Horst Seemann
Gerhard Klein
Ralf Kirsten
Heiner Carow
Lothar Warneke
Konrad Wolf
Joachim Hasler
Falk Harnack
Eugen York
Kurt Maetzig
Frank Beyer
Frank Beyer
Egon Günther
Gerhard Klein
Konrad Wolf
Roland Oehme
Wolfgang Staudte
Ralf Kirsten
Günther Rücker
Horst E. Brandt
Lothar Warneke
Wolfgang Schleif
Egon Günther
Michail Kalatosow
Egon Günther
Lew Hohmann
Günter Reisch
Lothar Warneke
Konrad Wolf
János Veiczi
Konrad Wolf
319
Geschichten jener Nacht
Ich war neunzehn
Junges Gemüse
Karbid und Sauerampfer
Klarer Himmel
KLK an PTX
Leichensache Zernik
Leuchte, mein Stern, leuchte
Leute mit Flügeln
Liebesfallen
Lotte in Weimar
Mama, ich lebe
Mir nach, Canaillen
Professor Mamlock
Rotation
Solo Sunny
Sterne
… und morgen war Krieg
Und nächstes Jahr am Balaton
Unterwegs zu Lenin
Wenn du groß bist, lieber Adam
Wir Wunderkinder
Wolz
320
Karlheinz Carpentier, Ulrich Thein,
Frank Vogel, Gerhard Klein
Konrad Wolf
Günter Reisch
Frank Beyer
Grigori Tschuchrai
Horst E. Brandt
Helmut Nitzschke
Alexander Mitta
Konrad Wolf
Werner W. Wallroth
Egon Günther
Konrad Wolf
Ralf Kirsten
Konrad Wolf
Wolfgang Staudte
Konrad Wolf
Konrad Wolf
Juri Karra
Hermann Zschoche
Günter Reisch
Egon Günther
Kurt Hoffmann
Günter Reisch