Die Mensch-Tier Beziehung unter ethischem Aspekt

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Die Mensch-Tier Beziehung unter ethischem Aspekt
Literaturbericht
Literaturbericht 2008/2009
Die Mensch-Tier Beziehung unter
ethischem Aspekt
Petra Mayr, Judith Benz-Schwarzburg, Regina Binder, Dieter Birnbacher, Silke Bitz,
Gieri Bolliger, Marius Christen, Arianna Ferrari, Kathrin Herrmann, Detlef Horster,
Roman Kolar, Erwin Lengauer, Jörg Luy, Cecilia Muratori, Kurt Remele, Silke Schicktanz,
Kirsten Schmidt und Norbert Walz
1
Inhalt
Vorbemerkungen
Allgemeines zum Tierschutz
1.1
1.2
David Forster Wallace: Am Beispiel des Hummers
David Fraser: Understanding Animal Welfare
2
Philosophische Ethik
3
Ethik interdisziplinär
2.1Tom L. Beauchamp, F. Barbara Orleans, Rebecca Dresser, David B. Morton and John P. Gluck:
The Human Use of Animals – Case studies in Ethical Choice
2.2 Dagmar Borchers und Jörg Luy (Hrsg.): Der ethisch vertretbare Tierversuch. Kriterien und Grenzen
2.3 Cordula Brand, Eve-Marie Engels, Arianna Ferrari und László Kovács (Hrsg.):
Wie funktioniert Bioethik? Interdisziplinäre Entscheidungsfindung im Spannungsfeld von theoretischem
Begründungsanspruch und praktischem Regelungsbedarf
2.4 Reinhard Brandt: Können Tiere denken?
2.5 Andreas Brenner: Leben
2.6 Paola Cavalieri (ed.): The Death of the Animal: A Dialogue
2.7 Markus Düwell, Dieter Birnbacher et al. (Hrsg.): Medizinethik und Empirie – Standortbestimmungen
eines spannungsreichen Verhältnisses
2.8Tina-Louise Fischer: Menschen- und Personenwürde. Über die Notwendigkeit eines neuen Würdebegriffs
2.9 Gary L. Francione: Animals as Persons: Essays on the Abolition of Animal Exploitation
2.10 Richard P. Haynes: Animal Welfare. Competing Conceptions and Their Ethical Implications
2.11 Clare Palmer (ed.): Animal Rights
2.12 Klaus Peter Rippe: Ethik im außerhumanen Bereich
2.13 Kirsten Schmidt: Tierethische Probleme der Gentechnik. Zur moralischen Bewertung der Reduktion
wesentlicher tierlicher Eigenschaften
2.14 Gary Steiner: Animals and the Moral Community: Mental Life, Moral Status, and Kinship
3.1 Frans de Waal: Primaten und Philosophen. Wie die Evolution die Moral hervorbrachte
3.2 Marc Bekoff: Das Gefühlsleben der Tiere. Ein führender Wissenschaftler untersucht Freude, Kummer und
Empathie bei Tieren
3.3Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen:
Pharming. Promises and risks of biopharmaceuticals derived from genetically modified plants and animals
3.4 Vaughan Monamy: Animal Experimentation. A Guide to the Issues
3.5 P. Michael Conn and James V. Parker: The Animal Research War
3.6 Udo Friedrich: Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter
3.7 Rainer E. Wiedenmann: Tiere, Moral und Gesellschaft. Elemente und Ebenen humanimalischer Sozialität
3.8 Jodey Castricano (ed.): Animal Subjects. An Ethical Reader in Posthuman World
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Literaturbericht
4
Theologische Ethik
5
Rechtsfragen und Rechtsentwicklung
4.1Eugen Drewermann: Über die Unsterblichkeit der Tiere. Hoffnung für die leidende Kreatur
5.1 Gieri Bolliger, Antoine F. Goetschel, Michelle Richner und Alexandra Spring: Tier im Recht transparent
5.2 David Favre: Animal Law: Welfare, Interests, and Rights
5.3Edward N. Eadie: Animal suffering and the law. National, regional, and international
5.4 Dominik Lang: Sodomie und Strafrecht: Geschichte der Strafbarkeit des Geschlechtsverkehrs mit Tieren
Literatur
Die AG Literaturbericht und ihre neuen Mitglieder
Vorbemerkungen
Das Spektrum der wissenschaftlichen Bücher, die sich mit
unserem Verhältnis zu Tieren auseinandersetzen, wächst unentwegt weiter. In immer mehr Fachdisziplinen wird das Augenmerk darauf gerichtet, wie wir mit Tieren umgehen. Auch
wenn Quantität noch nichts über Inhalte aussagt, so zeigt doch
der Anstieg solcher Publikationen ein steigendes Interesse am
Mensch-Tier-Verhältnis. Das Besondere an diesem Interesse
ist es, dass die eminent ethische Komponente hierbei immer
mehr ins Zentrum rückt und zugleich längst nicht nur in ihrer
„Heimatdisziplin“, der Philosophie, diskutiert wird. Auch in
soziologischen, historischen oder etwa in kulturtheoretischen
Texten spiegelt sich ein Zeitgeist, der unser Verhalten gegenüber Tieren untersuchend bewertet.
Dabei versteht es sich von selbst, dass jede wissenschaftliche
Disziplin ihre eigene Herangehensweise an dieses Thema hat.
Diese jeweils spezifischen Perspektiven der unterschiedlichen
Disziplinen sind in mehrerlei Hinsicht eine Bereicherung für die
Frage nach einem adäquaten Umgang mit Tieren. Zum einen
decken sie tradierte gesellschaftliche Strukturen und Verhaltenmuster auf. Zum anderen bieten sie darüber hinaus Erklärungsmodelle, um etwa widersprüchliches Verhalten im Umgang mit
Tieren nachvollziehbar zu machen.
Ein zweifellos eklatanter Fall von widersprüchlichem Verhalten ist unser – aus der Distanz betrachtet – geradezu groteskes
Verhältnis im Umgang mit Heimtieren einerseits und Nutztieren
oder Versuchstieren andererseits. Hier spiegelt sich bereits in
den dafür geschaffenen Begriffen „Heimtier“, „Nutztier“ oder
„Versuchstier“ die Funktionalisierung der Tiere, und in der Verwendung der Begriffe liegt zugleich auch der erste Schritt zur
Legitimation der jeweiligen im Wort definierten Umgangsweise. So werden Heimtiere nahezu wie Menschen personalisiert,
während die so genannten Nutztiere und Versuchstiere nicht
selten unmenschliche Ausbeutung erfahren. Wie konnte sich ein
solches Verhalten, das die gleiche Tierart in verschiedene „Nutzenskategorien“ einordnet – denken wir an Hunde, Katzen oder
Kaninchen, die sowohl als Heimtiere als auch als Versuchstiere
gesellschaftlich akzeptiert sind – etablieren?
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Ein bemerkenswerter Erklärungsansatz dafür findet sich im
Buch des Soziologen Rainer E. Wiedenmann mit dem Titel
Tiere, Moral und Gesellschaft. Elemente und Ebenen humanimalischer Sozialität. Der Autor versucht dort mit Hilfe komplexer Theorien die Sozialtechniken aufzuspüren, die es vermögen,
dass solches paradoxe Verhalten in unserer Gesellschaft größtenteils keinerlei moralische Skrupel hervorruft.
Einen weiten Bogen innerhalb der Kulturtheorie spannt die
kanadische Kulturtheoretikerin Jodey Castricano mit ihren
gesammelten Beiträgen im Buch Animal Subjects. An Ethical
Reader in Posthuman World. Mit ihrer Textsammlung hat sie
sich zum Ziel gesetzt, die bislang weitestgehend auf Menschen
fokussierten Studien auch auf Tiere auszuweiten. Die von ihr
zusammengestellten Texte verweisen einmal mehr auf die Verflechtungen der einzelnen Disziplinen, stützen sich jedoch in
der Mehrheit auf philosophisch-ethische Argumentationen.
Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung
und Grenzüberschreitung im Mittelalter ist der Titel eines Buches von Udo Friedrich, der ein Kernthema der Mensch-TierBeziehung auf den Punkt bringt, nämlich die Frage nach der
Abgrenzung. Der Autor, Philologe mit historischem Schwerpunkt geht damit dem Paradoxon auf den Grund, dass in der
Gesellschaft des Mittelalters einerseits eine strenge Abgrenzung
zwischen Mensch und Tier vorherrschte, die andererseits zugleich immer wieder Grenzüberschreitungen inszenierte. Markant schlägt sich diese Ambivalenz etwa in der Strafpraktik der
„Vogelfreiheit“ von Verbrechern nieder.
Verwandt mit der Frage nach der Grenzlinie von Mensch
und Tier ist die Frage nach den Fähigkeiten von Tieren. In seinem Buch Können Tiere denken? geht der Philosoph Reinhard
Brandt dieser Frage nach und thematisiert dabei auch die Problematik der Definition des Begriffes „Denken“. Die Differenz
in den Fähigkeiten zwischen den einzelnen Tier-Spezies und
dem Menschen wird im philosophischen Diskurs vielfach als
Kriterium dafür verwendet, welcher moralische Status Tieren
zuzuschreiben sei. An oberster Stelle hat sich hierbei die Leidensfähigkeit etabliert. Die Schwierigkeit des Kriteriums der
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Leidensfähigkeit liegt nun aber darin, dass sie als empirisches
Kriterium vielfach nur uneindeutig feststellbar ist.
Dieser ernst zu nehmenden Problematik des Kriteriums der
Leidensfähigkeit will der Philosoph Klaus Peter Rippe in seinem Buch Ethik im außerhumanen Bereich Rechnung tragen.
Ihm zufolge ist eine moralische Hierarchisierung von Lebewesen auf der Grundlage einer angenommenen Abstufung der
Leidensfähigkeit nicht zu vertreten, da eine Abstufung der
Leidensfähigkeit empirisch nicht hinreichend gestützt ist. Von
Meilensteinen des Tierschutzes lässt sich dann sprechen, wenn
Veränderungen im gesellschaftlichen Bewusstsein ihren Niederschlag in Gesetzen finden.
Solche Vorschläge machen der Wirtschaftswissenschaftler
und Jurist Edward N. Eadie in seinem Buch Animal Suffering
and the Law: National, Regional, and International und der
Jurist David Favre in seiner Publikation mit dem Titel Animal
Law: Welfare, Interests, and Rights. Ihnen zufolge lassen sich
viele Defizite im Tierschutz auf den juristischen Sachstatus von
Tieren zurückführen. Zwar gelten Tiere in Deutschland, Österreich und der Schweiz juristisch nicht mehr als Sachen, dennoch
werden sie – wenn keine besondere Rechtsvorschrift besteht –
wie Sachen behandelt, da sie den sachrechtlichen Vorschriften
unterliegen. Favre plädiert deshalb für eine Aufwertung des juristischen Status von Tieren. Diese sieht er in der Schaffung einer neuen Eigentumskategorie sui generis gewährleistet. Neben
dem Eigentum an unbelebten Sachen (Gegenständen) und dem
Eigentum an immateriellen Gütern (geistiges Eigentum) solle
es noch eine neue Kategorie des Eigentums an einem lebenden Objekt (Tier) geben, die er als „living property“ bezeichnet.
Eadie schlägt zur Verbesserung des Tierschutzes einen anderen
Weg ein. Er plädiert dafür, die Nutzung von Tieren zu bestimmten Zwecken grundsätzlich zu verbieten. Und das mit gutem
pragmatischem Grund: Ihm zufolge zeige die Praxis, dass die
Leidenszufügung bei Tieren in aller Regel dann in Kauf genommen wird, wenn daraus ein Nutzen für den Menschen hervorgeht. Ein solches Verbot würde eine Güterabwägung, wie sie
derzeit noch vorgenommen wird, in bestimmten Bereichen der
Tiernutzung außer Kraft setzen. Dies erscheint als eine längst
fällige Konsequenz, da vermutlich nur ein gänzliches Verbot
der Tiernutzung in definierten Bereichen die vielfach rein wirtschaftlichen Interessen, unter denen Versuchs- und Nutztiere
leiden, außer Kraft zu setzen vermag.
Einen solchen Vorschlag des Verbots einer Güterabwägung
macht auch der Tierarzt und Philosoph Jörg Luy in seinem
Beitrag des zusammen mit der Philosophin Dagmar Borchers
herausgegebenen Bandes Der ethisch vertretbare Tierversuch.
Kriterien und Grenzen. Luy plädiert dafür, Tierversuche für
die Grundlagenforschung generell zu verbieten, da nahezu jede
Forschungstätigkeit, die sich nicht dem Bereich der „angewandten Forschung“ zuordnen lässt, für sich den Begriff der Grundlagenforschung beanspruchen könne.
Insgesamt lässt sich in der Literatur eine Tendenz erkennen,
die den Schutz von Versuchstieren allein in einer Güterabwägung offenbar nicht mehr gewährleist sieht.
Petra Mayr
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1 Allgemeines zum Tierschutz
1.1 David Forster Wallace:
Am Beispiel des Hummers
79 Seiten, Zürich-Hamburg: Arche
Literatur Verlag, 2009, Euro 12,00
Ein Journalist wird beauftragt, für ein
Gourmetmagazin einen Essay zum
jährlich wiederkehrenden Hummerfestival in der nordamerikanischen Stadt
Maine zu schreiben. Er reist zu dem
medial hochgerüsteten Event und findet vor, was auf Veranstaltungen dieser
Art nahezu immer vorzufinden ist: eine
unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten
durchorganisierte Maschinerie. Über 100.000 Besucher werden
vom jahrmarktähnlichen Getriebe und vor allem dem kulinarischen Gaumenschmaus angelockt. Zuweilen voll Ekel wird dem
Leser die mit Plastikgeschirr ausgerüstete Menschenmasse im
übervollen Fresszelt präsentiert. Eine durchkalkulierte Massenabspeisung, deren Delikatesse – der Hummer – zum unappetitlichen Fastfood verkommt. So jedenfalls ist die Perspektive des
Icherzählers. Selbst mit viel Phantasie, so scheint es, vermag
es ihm nicht nachvollziehbar zu sein, welche Begeisterung die
Menschen zu einer solchen Veranstaltung treibt. Der Autor, David Foster Wallace macht damit seinem Ruf, einer der schärfsten
Kritiker des westlichen „way of life“ zu sein, alle Ehre.
Seine Kritik richtet sich jedoch nicht ausschließlich auf die
nach rein ökonomischen Prinzipien dressierte Masse der Besucher. Es ist eben nicht nur jenes geschmacklose Ambiente des inszenierten Hummeressens der Massen, was den Icherzähler zum
Nachdenken bringt. Im Zentrum des schmalen und ästhetisch
ansprechend gestalteten Bandes wird die Speise selbst unter einem ethischen Blickwinkel betrachtet, der Hummer zum Ausgangspunkt einer ersten kritischen Reflexion über die „Ethik des
Ernährung“. Eben diese Überlegungen sind es, die das Buch auszeichnen. In unvoreingenommer klarer Weise wird thematisiert,
was für die einen per se keine moralischen Skrupel hervorruft,
was jedoch die anderen in aller Regel mit Rationalisierungsstrategien und Verdrängungsmechanismen in Schach halten: das ungute Gefühl, dass ein Tier zum Essen erst getötet werden muss.
Der Blick des Journalisten gleitet ab vom öligen Plastikteller hin
zu den übervollen Hummertanks aus Glas. Ein Perspektivenwechsel. Von nun an geht es nicht mehr um den Gaumenschmaus
der Besucher, sondern darum, wie es dem Hummer ergeht, bevor
er zur Delikatesse wurde. „Sobald nämlich Sie als normaler Festbesucher den Gedanken zulassen, dass die Hummer tatsächlich
leiden (und viel lieber nicht leiden wollten), dann, ja, dann verändert diese unbeschwerte Hummersause ihr Gesicht, wird zur
römischen Arena oder zur Pöbelbelustigung rund um ein mittelalterliches Blutgerüst.“ (73)
Die Leidensfähigkeit eines Lebewesens scheint für den Icherzähler im Mittelpunkt der Frage nach der Legitimität des
Verzehrs von Tieren zu stehen. Das belegen zumindest seine
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Literaturbericht
akribischen Recherchen, bei denen er sich auf Studien über die
neuronalen Strukturen von Hummern stützt. Überdies erfährt
man Vieles zur Abstammung und den biologischen Grundlagen
der das Meer bewohnenden Gliederfüßer. Und auch ebensoviel
zu menschlichen Verhaltensweisen bei der meist praktizierten Tötungsmethode des Hummers, bei der die Tiere lebend in
kochendes Wasser geworfen werden. Viele Köche flüchten aus
der Küche, um den Todeskampf des Hummers nicht ertragen zu
müssen. Sie kehren erst wieder zurück, wenn ihnen die Uhr sagt,
dass es vorbei sein müsste.
Ob Hummer nun Schmerzen empfinden können und welcher Art diese seien, auf diese Frage mag sich der Icherzähler
gar nicht erst einlassen. Für ihn liegt die Antwort in dem was er
sieht: „Allen theoretischen Erörterungen zum Trotz bleibt aber
die Tatsache, dass sich der Hummer verzweifelt dagegen wehrt,
bei lebendigem Leib gekocht zu werden. Bis zur letzten Sekunde
versucht er, dem Topf zu entrinnen, und spätestens bei diesem
Anblick lässt sich schwer mehr leugnen, dass hier ein lebendiges
Wesen vernichtenden Schmerzen ausgesetzt ist.“ (69) Bei seinen Untersuchungen rund um die Frage nach der Legitimität des
Tötens von Tieren zu Nahrungszwecken recherchiert der Icherzähler darüber hinaus einen Fundus an historisch interessanten Fakten. So galt Anfang des 19. Jahrhunderts Hummer noch
als ein äußerst minderwertiges Lebensmittel, das allenfalls den
Insassen von Gefängnissen zuzumuten war.
Am Beispiel des Hummers ist ein schmales, in einer essayistischen Weise verfasstes Buch, das Elemente eines wissenschaftlichen Schreibstils zu integrieren scheint. Zuweilen ziehen sich
Fußnoten über mehrere Seiten hin. Der Band endet mit einer Reihe von anklagend formulierten Fragen, die an die Konsumenten
von Fleisch als Feinschmecker gerichtet sind. Dieser ins „Gewissen redende“ Schluss des Buches kommt überraschend, weil sich
der Journalist (selbst Fleisch liebender Gourmet) bislang kritisch
distanziert und eher unparteiisch dem Thema genähert hat. Das
Ende des Buches aber verdichtet sich zu einer langen Fragenlitanei, die jeder Fleisch liebende Gourmet eher verdrängen mag.
Dennoch sind es die Fragen, die sich jedem stellen, der sich mit
diesem Thema eingehend und aus eigenem Interesse beschäftigt.
Und eben darin liegt die unbequeme Authentizität des Bandes.
Petra Mayr
1.2 David Fraser:
Understanding Animal Welfare
336 Seiten, United Kingdom: John
Wiley & Sons, 2008, Euro 44,90
Mit seinem Werk „Understanding Animal Welfare – The Science in its Cultural Context (Tierschutz verstehen – Wissenschaft im kulturellen Kontext)“ gibt
der Autor David Fraser eine umfassende Zusammenschau und Analyse über
allgemeine Aspekte der Bedeutung des Begriffs Tierschutz und
Kriterien, die zur Beurteilung tiergerechter Verhältnisse relevant
sind und zieht Schlussfolgerungen zur Stellung tierschutzkon34
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former Maßgaben, anhand derer der Tierschutz definiert wird.
Understanding Animal Welfare ist als englischsprachiges Buch
in der Tierschutzreihe der universitären Vereinigung für Tierschutz in England (UFAW; Universities Federation for Animal
Welfare) erschienen.
Das Buch gliedert sich nach dem Vorwort und der Vorschau in
drei Kapitel. Im ersten Kapitel erläutert Fraser moralische Aspekte im Zusammenhang mit Tieren, den Stellenwert der Tiere
aus menschlicher Sicht und stellt die Frage nach einer Wissenschaft des Tierschutzes. Im folgenden Kapitel werden Einflussfaktoren behandelt, die die wissenschaftliche Beurteilung des
Tierschutzes bestimmen, wie beispielsweise Stress, Krankheiten und abnormales Verhalten. Im letzten Teil werden die unterschiedlichen Kriterien in einen Zusammenhang gebracht und in
Bezug auf den Tierschutz bewertet.
Den Ausführungen des Autors zufolge nahm die Debatte um
die adäquate Behandlung von Tieren vermutlich zu Beginn des
sechsten Jahrhunderts vor Christi ihren Anfang in Griechenland
und das prähistorische Verhältnis zwischen Tier und Mensch
zeigt Parallelen zum Umgang vor rund einem Jahrhundert auf.
Zugleich wurden Tiere für menschliche Zwecke benutzt: Pferde
und Ochsen für den Transport oder die Bestellung der Äcker,
Schafe zur Wollgewinnung oder Schweine als Nahrungsmittel,
Hunde als Wächter und Gefährte des Menschen.
Auch waren die Tiere bereits damals von wissenschaftlichem
Interesse. Aristoteles (384-322 v. Chr.) unterhielt eine Sammlung von Wildtieren und wurde von seinem Schüler Alexander
dem Großen unterstützt, der von seinen Streifzügen exotische
Tiere mitbrachte. Aristoteles erkannte beispielsweise, dass eine
Sau weniger Ferkel zur Welt brachte, wenn sie zu häufig gezwungen wird, Nachwuchs zu erzeugen. Die vermutlich früheste Stimme zugunsten einer Ethik gegenüber Tieren erhob Pythagoras, der den Ausführungen nach geäußert haben soll: „Es ist
eine niederträchtige Gewalt des Menschen, dem Kalb die Kehle
durchzuschneiden“ („It is wicked as human bloodshed to draw
the knife across the throat of the calf“) (10), ein Ausspruch, der
in der heutigen modernen Zeit in Form von „Fleisch ist Mord“
gegenwärtig ist.
Dem Autor nach müssen zur wissenschaftlichen Beurteilung
des Tierschutzes verschiedene Kriterien miteinander kombiniert
werden. Fraser gruppiert diese in drei Kategorien: grundlegende
Gesundheit, Einflussfaktoren und natürliche Lebensbedingungen. (222) Weiter erläutert er, dass verschiedene Ansätze zum
Messen des Tierschutzes herangezogen werden können, die Ergebnisse jedoch immer übereinstimmen müssen. Als Beispiel
nennt der Autor die Beurteilung des Wohlbefindens von Tieren
unter bestimmten Haltungsbedingungen. Auch bei unterschiedlicher Methodik muss bei deren korrekter Anwendung die Endaussage über den Tierschutz dieselbe sein. (223) Gleichzeitig
kritisiert Fraser den Ausdruck „Messung“ in Zusammenhang
mit Tierschutz, da das Wohlbefinden von Tieren an sich keine
messbare Größe ist. Lediglich Variablen, die zur Bewertung des
Tierschutzes herangezogen werden, können gemessen werden.
Das Buch kann als umfassende Lektüre zum besseren Verständnis des Begriffs Tierschutz und insbesondere dessen
praktische Umsetzung in Form des menschlichen Verhaltens
gegenüber Tieren empfohlen werden. Für im Tierschutz tätige
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Literaturbericht
Personen liefert es wertvolle Argumentationshilfen in einer Gesellschaft, in der das Fühlen von Tieren abstrahiert und teilweise
von Tier“nutzern“ bewusst als nicht existent dargestellt wird.
Doch selbst wenn es in der heutigen Zeit wissenschaftlicher Erklärungen über das Wohlbefinden und die Bedürfnisse der Tiere
bedarf – um in der Politik Fortschritte zu erlangen, werden Beweise zur Leidensfähigkeit von Tieren abverlangt. Dem Leser
bleibt offen, sich Gedanken darüber zu machen, ob, Kriterien
zur Messung des Tierschutzes hin oder her, der Schutz der Tiere
und ein würdevoller Umgang mit Lebewesen, nicht per se ein
Selbstverständnis sein sollte.
Silke Bitz
2 Philosophische Ethik
2.1 Tom L. Beauchamp,
F. Barbara Orleans, Rebecca
Dresser, David B. Morton und
John P. Gluck:
The Human Use of Animals –
Case studies in Ethical Choice
300 Seiten, USA: Oxford University
Press, second Edition, 2008,
Euro 29,99
Ethische Fallanalysen sind ein beliebtes und bewährtes Mittel für die
Vermittlung angewandter ethischer Probleme in den Wissenschaften. Umso dankbarer sind Dozenten, wenn sie gute Fälle
zur Vorlage erhalten, die zum einen die Komplexität ethischer
Analyse abdecken und zum anderen ausreichend Hintergrundwissen über die konkreten Rahmenbedingungen liefern. Die
aktualisierte und erweiterte Neuauflage von mehreren bekannten US-amerikanischen Bioethikern zu Fallstudien in der
Tierethik bietet hierfür eine gute Grundlage.
Das Buch beinhaltet auf knapp 40 Seiten eine gute Einführung in die wichtigsten Fragestellungen der Tierethik. Diese
geht dabei auf die zwei klassischen Ansätze zurück: den Utilitarismus und die damit verbundene moralische Rücksicht auf
alle empfindungsfähigen Wesen, und die eher deontologisch
geprägte Tierrechts-Position. Darüber hinaus wird auf die zentrale Rolle von kognitionswissenschaftlichen und evolutionsbiologischen Argumenten für die moralische Status-Debatte
hingewiesen. Schließlich wird das Konzept ethischer Abwägung und Rechtfertigung, welche ethische Schlussfolgerungen
in angewandten Fällen immer herausfordern, näher erläutert.
Nicht berücksichtigt werden allerdings neuere Ansätze der
Tierethik, die sich z.T. aus anderen philosophischen Traditionen speisen. Daher kann die dargebotene Einleitung wirklich
nur als erster Einstieg in die Tierethikdebatte dienen.
Im weiteren Verlauf des Buches werden 16 Fallgeschichten
aufgeführt. Jede von ihnen schildert sehr anschaulich und gut
recherchiert konkrete tierethische Konfliktfälle. Diese stammen
aus verschiedenen Anwendungsbereichen wie der Landwirtschaft und Fleischproduktion, der Unterhaltungsbranche, dem
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Einsatz als Haustier oder bei der Religionsausübung, dem Umgang mit vom Aussterben bedrohten Tieren, sowie schließlich
zu Tierversuchen in der biomedizinischen Forschung, der
Verhaltensbiologie, der Biodiversitätsforschung und in der
Ausbildung. Die Darstellung der einzelnen Fälle besticht sehr
durch ihre Detaildichte, ihre Praxisnähe und die pointierte
Schilderung wichtiger Teilaspekte – und dies jeweils auf 10-12
Seiten Umfang. Zwar sind einige der Fälle bereits schon in der
ersten Auflage von 1997 enthalten. Sie wurden aber ebenfalls
aktualisiert und ergänzt. Bei der Darstellung der Fälle wird darauf geachtet, dass Fakten und Ablauf, Hintergrundinformationen, ggf. rechtlicher Rahmen und ethische Analyse getrennt
dargestellt werden. Eine ganze Reihe der Fälle bot dabei neue
Einsichten und auch aktuelle Bezüge zur deutschen TierethikDebatte: Die anvisierte Umsiedlung zweier Zoo-Elefanten –
Winky und Wanda – aus Detroit zeigt die vertrackte Diskussion
über Nutzen, Standards, moralischen Status und Tierhaltung in
Zoos auf. In zwei Fällen aus dem Bereich der Fleischproduktion – einmal zu Schweinen und einmal zu Mastkälbern – wird
deutlich, wie sehr die ethische Diskussion der Befürworter einer Verwendung von Tieren als Nahrungsmittel als auch der
Kritiker dieser Praxis von Annahmen über Notwendigkeit,
Alternativen und Ökonomie der Fleischproduktion abhängen.
Der recht bekannte Fall des Überfalls militanter Tierschützer
auf Primatenversuchslabore an der University of Pennsylvania
in den 1990er Jahren und die Analyse der anschließenden, sehr
verfahrenen Diskurssituation eignet sich sicher gut, mit etwas
Abstand auch Licht auf die aktuelle Debatte über die Primatenforschung an der Universität Bremen zu werfen und damit die aktuelle Diskussion zu erhellen. Der sehr interessante
„Santaria-Fall“ aus Florida zur Einschränkung von Tieropfern
bei religiösen und ethnischen Minderheiten zeigt die vagen
Übergänge zur Diskriminierung ethnischer/religiöser Minderheiten auf, wenn tierethische Argumente mit politischer Ideologie vermischt werden. Zudem wirft er interessante Fragen
zu grundgesetzlichen Konflikten mit dem Recht auf Ausübung
der Religionsfreiheit auf. Interessante Parallelen könnten sich
hier zur aktuellen Schächtungs-Debatte ergeben. Die Ambivalenz verschiedener Tierhalter als auch die von Tiermedizinern
im Umgang mit kosmetischen Eingriffen bei Hunden (wie
dem Schwanz coupieren) wird besonders schön am Fall einer
britischen Hundezüchterin herausgearbeitet. Er verdeutlicht
die Notwendigkeit der Frage nach individueller und professioneller Verantwortung.
Das Buch ist daher sehr zu empfehlen, denn es ist von Konzeption und Umfang der einzelnen Fallgeschichten her ganz
hervorragend geeignet für die Bearbeitung von tierethischen
Fragen z.B. im Studium der Tiermedizin, der Biologie, der
Medizin oder für die Agrarwirtschaften. Eine didaktische Umsetzung wird allerdings seitens der Autoren nicht mit geliefert.
Es obliegt also entsprechend der Erfahrung und der weiteren
Recherchen den Dozenten, sich zu überlegen, wie sie das Material einsetzen können.
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Literaturbericht
2.2 Dagmar Borchers und
Jörg Luy (Hrsg.): Der ethisch
vertretbare Tierversuch.
Kriterien und Grenzen
309 Seiten, Paderborn: mentis, 2009,
Euro 29,80
Das Buch „Der ethisch vertretbare
Tierversuch“ ist eine Zusammenstellung verschiedener Aufsätze, die sich
aus unterschiedlichen Blickwinkeln
und Fachgebieten mit der Frage nach
der ethischen Bewertung eines Tierversuchs auseinandersetzen.
Die Notwendigkeit nach der Festlegung konkreter Kriterien
zur ethischen Abwägung wird seit langem kontrovers diskutiert. In drei Teilen nähern sich die Autoren aus rechtlicher,
ethischer und philosophischer Sicht den Fragestellungen nach
dem Problem der ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen,
der Vertretbarkeitsprüfung nach dem Tierschutzgesetz und der
Schwierigkeit der Belastungsbestimmung bei Versuchstieren.
Schon in der Einführung wird klar, dass das oftmals als
wirksame Kontrollinstanz dargestellte Genehmigungsverfahren für Tierversuche unzureichend ist, weil Kriterien fehlen,
die der Bewertung von Tierversuchen zwingend zugrunde gelegt werden müssen. Deutlich wird auch, dass sich die stark
kontroverse Interpretation des Leidens der Tiere und eines
möglichen medizinischen Nutzens in der mangelnden Klarheit der Begrifflichkeiten begründet. Wie die Herausgeber aus
dem Tierschutzgesetz zitieren, darf ein Tierversuch nur durchgeführt werden, wenn die angestrebten Ergebnisse vermuten
lassen, dass sie für wesentliche Bedürfnisse von Mensch und
Tier von hervorragender Bedeutung sein werden. So lassen die
Vorgaben im Tierschutzgesetz, die sich auf das Vorhandensein
von „Unerlässlichkeit“ und „ethischer Vertretbarkeit“ stützen,
einen enormen Interpretationsspielraum bei jedem Tierversuch
zu. Nach Aussage der Herausgeber hat die Aufnahme des Tierschutzes unter die Staatsziele der Bundesrepublik Deutschland
im Jahr 2002 den normativen Klärungsbedarf noch erhöht.
Dagmar Borchers stellt die Frage, wie pragmatisch ein Ethiker sein darf und führt aus, dass die meisten Ethiker, unter
anderem Peter Singer und Tom Regan, nur vage zu Details
der Regelung von Tierversuchen Stellung beziehen und die
Problematik der Begutachtung von Tierversuchen anhand von
Kriterien ausgeklammert lassen. Regina Binder behandelt die
rechtlichen Rahmenbedingungen für die Prüfung der ethischen
Vertretbarkeit tierexperimenteller Vorhaben in Deutschland,
Österreich und der Schweiz. Der Autorin zufolge führt die
ethische Abwägung eines Tierversuchs im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zu praktischen, methodischen und verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten, so dass die tierversuchsrechtlichen Vorschriften nur unzureichend operationalisierbar
und in der Rechtswirklichkeit bedeutungslos seien. Ursula
Wolf führt aus, dass diejenigen, die den Tierschutzgedanken
im Rahmen einer christlichen Ethik vertreten, eine deutliche
Grenze zwischen Mensch und Tier ziehen, wohingegen diejenigen, die eine Ethik der Rücksichtnahme in eine evolutions-
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biologische Weltsicht einbetten, die Grenze eher für fließend
halten. Johann S. Ach erläutert, dass dem Gesetzgeber bei der
ethischen Abwägung das Gut „Versuchszweck“ dem Gut „zu
erwartende Schmerzen, Leiden und Schäden der Tiere“ gegenübergestellt wird. Bei den tierlichen Gütern kann es sich
jedoch zum einen um die Bedürfnisse der Tiere handeln, oder
aber es handelt sich nur mittelbar um deren Bedürfnisse. In
diesem Fall wäre die Abwägung eine solche zwischen zwei
konkurrierenden menschlichen Gütern, dem Versuchszweck
und dem menschlichen Interesse, das Tierinteresse an Leidensminderung zu erfüllen.
Dieter Birnbacher geht der Frage nach, ob bei Tierversuchen
eine absolute oder eine relative ethische Grenze zugrunde gelegt werden sollte. Gemäss seinen Ausführungen lässt sich eine absolute Grenze der Leidenszufügung auf der Ebene idealer
Normen nicht begründen. Bei Anerkennung einer Abwägbarkeit von Leidenszufügung bei Tieren und Leidensminderung
bei Menschen wäre eine Obergrenze der Belastung für die Versuchstiere nicht rechtfertigbar. Es würde sich nur die Relation
zwischen tierischem Schaden und menschlichem Nutzen verschieben. Petra Mayr stellt die unterschiedlichen Positionen
von Tierversuchsbefürwortern und -gegnern gegenüber und
erläutert, dass es schwierig ist zu sagen, wer Recht hat. Denn
es sei nicht möglich zu beurteilen, welchen Verlauf die medizinische Entwicklung mit oder ohne Tierversuche genommen
hätte. Und davon abgesehen, würde eine Antwort darauf die
Problematik um die ethische Vertretbarkeit nicht lösen. Das
Hauptproblem liegt ihren Ausführungen zufolge in der Durchmischung der naturwissenschaftlichen Frage nach dem Nutzen
von Tierversuchen mit der ethischen Frage nach deren Zulässigkeit. Diese Vermischung spiegele sich in der scheinbar
eindeutigen Frage nach der Notwendigkeit des Tierversuchs.
Nach Auffassung von Norbert Alzmann ist es wünschenswert
Erkenntnisse zu erlangen, aber nicht mit allen Mitteln. Er stellt
fest, dass der Gesetzgeber eine ethische Abwägung einfordert,
dem Forscher aber kein Leitfaden für seine ethische Entscheidungsfindung an die Hand gegeben wird. In gleicher Weise
würden die Behörde und die beratenden Kommissionen Kriterien benötigen, anhand derer ethisch vertretbare von ethisch
nicht vertretbaren Versuchsvorhaben unterschieden werden
könnten.
Jörg Luy bemängelt, dass das Tierschutzgesetz für Tierversuche in der Grundlagenforschung eine Pauschalgenehmigung
für die Wissenschaft erteilt. Der Begriff „Grundlagenforschung“ stehe jedoch für eine vom Nutzennachweis befreite Forschung zum Zweck des Wissens. Da der Antrieb, das
Wissen zu vermehren, jeder Art der Forschung zugrunde liege,
sei es dem Forscher möglich, den Zweck der Grundlagenforschung für sich zu beanspruchen. Daniel Butzke und Barbara Grune führen aus, dass die gesetzlichen Regelungen dem
Antragsteller nicht nur vorschreiben nachzuweisen, dass der
Versuchszweck nicht durch andere Methoden erreicht werden
kann, sondern die Formulierungen im Tierschutzgesetz auch
die Art und Weise implizieren, wie er das zu tun habe. So
könne die Forderung nach der Darlegung des Stands der wissenschaftlichen Forschung und der Frage nach dem Vorhan-
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Literaturbericht
densein möglicher alternativer Verfahren nicht in einer bloßen
Übersichts-Recherche abgehandelt werden. Gisela Arndt, Fabian Lotz und Anja Lüdecke unterbreiten Vorschläge für einen
Leitfaden für die Teilprüfung der Unerlässlichkeit im Hinblick
auf die Reduzierung von Tierversuchen. Ihnen zufolge sollten
eine Reihe von Informationen und Details zum Versuchsvorhaben angegeben werden, damit Behörde und Kommission
auf dieser Basis eine Bewertung vornehmen können. Daran
anschließend stellen Kathrin Herrmann, Kristin Köpernik und
Maria Biedermann mögliche Inhalte für einen Leitfaden hinsichtlich der Verfeinerung (Refinement) von Tierversuchen vor.
Für die Reduzierung der Belastung der Tiere gehen die Autoren insbesondere auf die Bedeutung von Schmerztherapie, Anästhesie, Abbruchkriterien und Tötungsmethoden ein. Regina
Binder geht auf die Erfassung der Belastung der Versuchstiere
ein. Ihren Ausführungen zufolge muss auf einen Tierversuch
verzichtet werden, wenn es nicht möglich ist, die Tiere durch
Refinement vor erheblichen Belastungen zu schützen. Darüber
hinaus sei es aus wissenschaftlicher Sicht notwendig, keine
schwer belastenden Versuche durchzuführen, da ein enger Zusammenhang zwischen dem Versuchstierschutz und der Qualität der Ergebnisse bestehe. Arianna Ferrari stellt die Frage,
ob gentechnisch veränderte Tiere einen Sonderfall darstellen.
Nach Aussage der Autorin besteht die neue Pionierforschung
in der Gentechnik in der Herstellung „vermenschlichter“ Mäuse als Tiermodelle für menschliche Krankheiten. Diese Tiere
sind so modifiziert, dass sie zum Teil menschliche organische
Bestandteile enthalten. Die Idee der vermenschlichten Mäuse besteht nicht in einer Reduktion der Tierzahlen, sondern in
einer Steigerung der Effektivität der Forschung. Allerdings
wird klar, dass keine einfache Übertragung der Ergebnisse auf
den Menschen möglich ist. Abschließend gibt Erwin Lengauer einen Überblick über die Literatur zum Thema Ethik der
Tierversuche, gegliedert nach Beiträgen zur Ethik der Tierversuche in historischer Perspektive, zur modernen Bioethik und
Ethik der Tierversuche, Tierethik und Tierphilosophie.
Das Buch liefert eine Fülle an unterschiedlichen Denkansätzen, ob und wie eine ethische Bewertung von Versuchsvorhaben vorgenommen werden könnte und stellt konkrete Möglichkeiten vor. Die Beiträge zeigen klar die gesetzlichen Lücken in
Bezug auf einen wirkungsvollen Schutz der im Versuch eingesetzten Tiere und gleichzeitig die dringende Notwendigkeit,
diesem Missstand Abhilfe zu leisten. Der Sammelband kann
jedem empfohlen werden, der direkt oder indirekt in die Problematik der Güterabwägung zwischen Wissenschaftsinteresse
einerseits und dem Leid der Tiere andererseits involviert ist
und in der täglichen Arbeit mit dieser „Nutzen-Kosten-Abwägung“ konfrontiert wird.
Silke Bitz
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2.3 Cordula Brand, EveMarie Engels, Arianna
Ferrari und László Kovács
(Hrsg.): Wie funktioniert
Bioethik? Interdisziplinäre
Entscheidungsfindung
im Spannungsfeld
von theoretischem
Begründungsanspruch und
praktischem Regelungsbedarf
341 Seiten, Paderborn: mentis, 2008,
Euro 39,80
Bioethik hat mit Ethik soviel gemeinsam wie Gentechnik mit
Tierzucht. Insofern scheint es selbst für den ethisch informierten
Leser sinnvoll, der Frage nachzugehen, wie Bioethik „funktioniert“. Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass
die Autoren, die den Sammelband verfasst haben, mehr über
diese Frage philosophieren als dem Leser mitzuteilen, wie Bioethik denn tatsächlich „funktioniert“. Darüber herrscht dem Anschein nach nur ein limitierter Konsens, wie auch zu der Frage,
ob sie überhaupt in einer den Philosophen befriedigenden Weise
funktioniert. Wer also ein praktisches Handbuch für den philosophischen Nachwuchs erwartet, könnte enttäuscht werden. Der
Band ist aus einer Tagung gleichen Namens entstanden, die vom
6. bis 8. Oktober 2005 am Interfakultären Zentrum für Ethik
in den Wissenschaften (IZEW) der Eberhard-Karls-Universität
Tübingen durchgeführt wurde. Und in dem Umstand, dass die
an diesem Projekt beteiligten Bioethiker nicht ihr tägliches Tun
erläutern, sondern in bester Philosophenmanier ihr eigenes Handeln in Frage stellen und darüber reflektieren, warum die Bioethik trotz bemerkenswerter Anstrengungen immer noch eher ein
Vorgang als ein Instrument ist, liegt die eigentliche Stärke des
Unterfangens. Solch kritische Reflexion würde auch anderen
Berufen gut zu Gesicht stehen.
Bei der Untersuchung der bioethischen Praxis wird der Leser am Leitfaden der aus der traditionellen Ethik stammenden
Begründungsfrage – wie lässt sich ein ethisches Urteil überzeugend rechtfertigen? – ausgewogen und insbesondere im dritten
und letzten Abschnitt praxisnah mit dem Phänomen Bioethik
vertraut gemacht. Dabei entsteht allerdings der Eindruck, dass
die Autoren, wären sie auf ein freiberufliches Einkommen als
bioethische Gutachter angewiesen, mit diesem Buch ihre Lebensgrundlage empfindlich beschädigt hätten. Denn, obwohl die
Herausgeber betonen, dass „bioethische Expertise den rasanten
biotechnologischen Fortschritt nicht nur retrospektiv bewerten,
sondern die entsprechenden Entwicklungen direkt begleiten
bzw. sich bereits vorausschauend mit ihnen auseinandersetzen
soll“, sind die Aufsätze nicht zu einem überzeugenden Plädoyer dafür zusammengewachsen, die High-Tech-Lebenswissenschaften einer bioethischen Kontrolle zu unterwerfen. Bei den
rasant wachsenden Möglichkeiten der heutigen Lebenswissenschaften mit ihrem ungeheuren Potenzial ebenso für segensreiche als auch für verheerende Begleiterscheinungen zeigt sich
der praktische Regelungsbedarf in der Bioethik vielleicht noch
etwas deutlicher als bei den anderen Bereichsethiken. Indem die
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Literaturbericht
Herausgeber angesichts dieses Regelungsbedarfs die Aufgabe
beschreiben, „zu einem Konsens über Normen bzw. Zielsetzungen zu gelangen und damit einen verbindlichen Handlungsrahmen zu schaffen“, führen sie allerdings die alte Debatte in einer
Zeit fort, die keine Zeit zu verlieren hat. So übt Ernst Tugendhat
in seinem Beitrag zu Recht Kritik: „Es scheint mir wichtiger, die
tatsächliche Unsicherheit unserer moralischen Prämissen, wie
sie gerade angesichts der bioethischen Probleme zutage tritt, herauszuarbeiten und nicht eine scheinbare Wohlfundiertheit anzupeilen, die freilich angesichts der politischen und rechtlichen
Entscheidungsnöte gewiss wünschenswert wäre.“ (144)
Als Fazit bleibt, dass dieser Sammelband das ehrliche Bemühen zeigt, die Schwierigkeiten bioethischer Fragestellungen aus
traditionell ethischer Perspektive zu klären und zu erläutern.
Die derzeit populärste Antwort auf die Frage, wie Bioethik tatsächlich „funktioniert“, die „Principles of Biomedical Ethics“
von Beauchamp und Childress, zieht sich wie ein roter Faden
durch das Buch, kann aber – wie zu erwarten war – den Ansprüchen der klassischen, ohne Zeitnot agierenden Ethik nicht
genügen. So bleibt am Ende das beunruhigende Gefühl, dass
die Menschheit auch künftig ihre Grenzen nicht vorausschauend der Vernunft, sondern retrospektiv den selbstverschuldeten
Katastrophen verdanken wird.
Jörg Luy
2.4 Reinhard Brandt:
Können Tiere denken?
159 Seiten, Frankfurt am Main:
Suhrkamp Verlag, Edition Unseld 17,
2009, Euro 10,00
Der Autor Reinhard Brandt geht in
seinem Buch „Können Tiere denken?“
der schon aus dem Titel ersichtlichen
Grundsatzfrage nach, ob Tiere die Fähigkeit des Denkens besitzen. Hierbei
wird die Begrifflichkeit des Denkens
als „eine uns nur vom Menschen mit
Sicherheit bekannte mentale Fähigkeit, Urteile zu bilden“ (9)
definiert. Als Tier bezeichnet Brandt „nichtmenschliche, mit
Nerven und Gehirn ausgestattete Lebewesen (Insekten, Säugetiere, Vögel, Fische)“(9). Im ersten Kapitel stellt der Autor
die unterschiedlichen Meinungen zur Thematik gegenüber,
erläutert im zweiten Kapitel detailliert die Bedeutung des Begriffs „Denken“ und dessen Entstehungsgeschichte und gibt im
dritten und letzten Kapitel zahlreiche Beispiele für kognitive
Eigenschaften, die als Denkvermögen von Tieren diskutiert
werden können.
Einleitend wird die These „Natürlich können Tiere denken“
der schlichten Gegenthese „Natürlich können Tiere nicht denken“ gegenübergestellt. Nach Aussage des Autors begründet
sich die These der Denkfähigkeit in bestimmten mentalen Eigenschaften wie beispielsweise der Intelligenz der Schimpansen
oder dem Geschick von neukaledonischen Krähen, die Stäbe
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biegen, um sie als Werkzeug zu benutzen. Verfechter der Theorie gehen davon aus, dass beispielsweise Vögel in Wenn-DannRelationen denken können.
Die Gegenthese hingegen spricht den Tieren jegliches Denkvermögen ab und reduziert ihre mentalen Leistungen auf psychologische, physiologische oder gar, wie etwa bei Zugvögeln,
auf genetische Steuerungsmechanismen.
Der Autor vertritt zwar die Auffassung, dass den Tieren das
Denken im Sinne der Fähigkeit, beispielsweise die Ursachen
von Objekten zu erkennen oder über Dinge zu urteilen, nicht
zugänglich ist. Seine Aussage „Tiere können nach allen Indizien, die uns vorliegen, nicht denken“(126), relativiert Brandt
allerdings anhand eines Beispiels, welches das Denken in Urteilsform bei Tieren nachweist. So haben gemäß seinen Ausführungen Mäuse eine anschauliche Vorstellung vom richtigen
Weg im Dressurlabyrinth und sie urteilen bei Verzweigungen,
welcher Weg der richtige ist. Anhaltspunkte zur Annahme dafür,
dass Tiere, in welcher Form auch immer, denken können und
uns Menschen dafür nur die Vorstellungskraft fehlt, liefert der
Autor, indem er weiter ausführt „Solches Operieren mit Vorstellungen, Begriffen und Urteilen, die auf Anschauung beruhen,
aber keinen Namen tragen, weil eine Wortsprache fehlt, nennen
wir unbenanntes Denken.“ (126f.)
Das Buch ist lesenswert, da es eine Fülle an interessanten
Einblicken in menschliche Denkschemata über das kontrovers
diskutierte tierische Denkvermögen gibt. Zahlreiche Fallbeispiele lassen den Schluss zu, dass Tiere, unabhängig davon,
ob sie nun aus menschlicher Perspektive denken können oder
nicht, sensible und intelligente Lebewesen sind, die uns Menschen in einigen Bereichen sicher auch mental überlegen sind.
Es drängt sich beim Lesen die Frage auf, ob es legitim ist, das
nach menschlichen Kriterien definierte Denkvermögen als Diskriminierungsbefugnis für andere Spezies einzusetzen. Letztlich bleibt es dem Leser überlassen, seine eigene Theorie zum
Denkvermögen und der Intelligenz der Tiere einschließlich des
eigenen Umgangs mit ihnen aufzustellen.
Silke Bitz
2.5 Andreas Brenner: Leben
120 Seiten, Stuttgart: Reclam Verlag,
Grundwissen Philosophie, 2009,
ca. 9,90 Euro
Der in Basel lehrende Philosoph Andreas Brenner hat sich bisher v.a. mit
Veröffentlichungen zu bio- und umweltethischen Themen in die Diskussion eingemischt. Sein 2009 in der Reihe
Grundwissen Philosophie des Reclam
Verlags erschienenes Buch „Leben“
fasst jetzt wesentliche Themen und
Ergebnisse der Biophilosophie zusammen. Es bietet einen übersichtlichen und gut lesbaren Einstieg in die biophilosophischen
Themenfelder in historischer und systematischer Hinsicht.
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Literaturbericht
Obwohl die Disziplin der Biophilosophie erst seit kurzem
besteht, ist die Frage nach dem, was Leben ist, eine uralte. Sie
begleitete die Philosophie seit ihren antiken Anfängen. Die Antworten auf die Lebensfrage konnten sich aber bisher der einzig
möglichen, d.h. natürlichen Erfahrung von Leben rückversichern. Durch Artefakte der Robotik und synthetischen Biologie
wird jedoch die natürliche Erfahrung von Leben durch neue
Erfahrungsdimensionen erweitert die z.B. die Frage entstehen
lassen, ob ein Roboter, der „selbstständig“ auf Umweltreize reagieren kann, eine Maschine ist oder eine lebendige Maschine.
Die Frage nach dem Leben erhält m.a.W. eine neue Relevanz in
der Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz, mit „künstlichem Leben“. Und auch die relativ neue, eigenständige Disziplin der Biophilosophie insgesamt kann so, d.h. aus der Konfrontation mit diesen neuen Erfahrungsdimensionen hervorgehend,
verstanden werden.
Bevor Brenner das spannende Themenfeld beleuchtet, ob
ein „künstliches Leben“ möglich ist, problematisiert er zunächst den Lebensbegriff in einer wissenschaftssoziologischen
Betrachtung. (9-17) Sie hat zum Inhalt, dass alle Lebens- und
Naturverständnisse in Metaphern eingekleidet vorliegen oder,
anders ausgedrückt, „Sprachspiele“ (Wittgenstein) sind, sprachliche Konstruktionen bzw. Modellierungen, die auf praktische
Interessen oder wieder auf andere Metaphern verweisen. So ist
das Verständnis der DNA als „genetischer Code“ abhängig von
militärisch-politischen Interessen, die die Geheimsprache lesen
bzw. den „Code knacken“ wollen. (12) Oder: Das Verständnis
der DNA als „Sprache des Lebens“ verweist auf die alte Metapher vom grundsätzlich lesbaren „Buch der Natur“. Problematisch daran ist, dass, wenn der Modellcharakter vergessen wird,
wir unsere eigenen Konstruktionen und Modellierungen für die
Wirklichkeit selbst halten. In der Deutung der DNA als einer
sinnhaften (sprachlichen) Struktur liegt der Sinn „nicht der DNA
zugrunde, sondern ist ihr interpretativ zugrunde gelegt worden“
(13). Der Konstruktcharakter der Natur- und Lebenserkenntnis
wird zudem auch an der Laborforschung verdeutlicht. Brenner
referiert hier die wissenschaftskritische Position, die an der Laborforschung unterstreicht, dass diese die lebendige Natur entnaturalisiert und verdinglicht: „Laborgestützte Naturerkenntnis
scheitert demnach dort, wo sie die Besonderheit des Lebendigen
verkennt, sie verweigert dieser Besonderheit die Anerkennung,
wenn sie das Lebendige ebenso gut im artifiziellen Rahmen des
Labors erkennen zu können glaubt.“ (16f.)
Nach diesen einleitenden methodologischen Betrachtungen
folgt ein historischer Abriss des Lebensbegriffs (Lebensfelder)
von Aristoteles (384-322 v.Chr.) bis in die Gegenwart. (18-50)
Alle wichtigen Stationen werden konzise vorgestellt (Antike,
Mittelalter, neuzeitlicher Materialismus, Romantik, Goethe,
Darwinismus und Neodarwinismus, Vitalismus und Neovitalismus, Leben als Selbst) und dabei auch die außereuropäische
Tradition (China, Indien, Afrika) nicht ausgespart. Hierbei wird
deutlich wie abhängig die verschiedenen Lebensverständnisse vom jeweiligen historischen Horizont sind. Das Verständnis
von Leben bei der mittelalterlichen Ordensfrau Hildegard von
Bingen (1098-1179) muss z.B. notwendigerweise ein ganz anderes sein als für die darwinistische Biologie des 19. und 20.
Jahrhunderts. Ob man also wie bei von Bingen oder bei anderen
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christlichen MystikerInnen Leben von der Vorstellung einer Allbeseelung oder von einem Urgrund her versteht oder von der
Dimension der Geschichte bzw. eines Kampf ums Überleben
wie bei Darwin oder den Neodarwinisten, ist abhängig vom Erkenntnis- und Fragehorizont des jeweiligen Zeitalters wie auch
vom kulturell-geographischen Umfeld, das mit seinen je anderen
kulturellen Traditionen und Metaphern je andere Verständnisse
hervorbringt.
Nun stellt sich angesichts der Vielfalt der Verständnisse freilich die Frage, welches Verständnis das „eigentlich richtige“ sei.
Diese Frage wird von Brenner im Kapitel Lebenstheorien (5179) zu beantworten versucht, wobei seine Antwort im Kern darin
besteht, dass es für ihn gar keine zufrieden stellende Antwort auf
die Frage, was Leben sei, gibt. Da Brenner, wie bereits bei den
methodologischen Bemerkungen am Anfang zu ersehen, eine
kritische Haltung gegenüber dem „harten“ naturwissenschaftlichen Materialismus und Mechanismus einnimmt, favorisiert
er eindeutig diejenigen Positionen, die sich in Opposition zum
„herrschenden“ naturwissenschaftlichen Denken befinden. Daher schließt er zunächst an dem an, was er im historischen Kapitel über das „Leben als Selbst“ referiert hat: Da das materialistisch-mechanistische Denken nur immer Außensichtweisen des
Lebendigen offerieren kann, kann es keine Aussagen über die
lebendigen Organismen selbst machen, sondern nur Funktionen
und Reaktionen (für die Außenwelt) beschreiben. Leben selbst
muss jedoch auch als Leben eines Selbst verstanden werden,
das sich nicht auf äußere Kausalitäten reduzieren lässt, sondern
ebenso eine „innere Kausalität“ aufweist. Dieser „inneren Kausalität“ wird u.a. in der Kybernetik und Systemtheorie nachgespürt, die ab Mitte des 20. Jahrhunderts entsteht. In den verschiedenen Konzepten und Denkweisen der nicht-mechanistischen
Systemtheorie (Leben als offenes System, Autopoiesis, Teleonomie, Emergenz, Synergetik u.a.) wie des Ganzheitsdenkens (Holismus) wird versucht die dem Mechanismus fremd bleibende
Innenperspektive des Lebens auszuleuchten. Am Ende dieser
Darstellung zieht Brenner jedoch den Schluss, dass es auch diesen Theorien nicht gelingt, Leben von innen her befriedigend
auf den Begriff zu bringen. Von daher sei es auch zulässig, den
Anspruch eines generellen Verständnisses des Lebens (bzw. einer Letztbegründung desselben) fallen zu lassen und Leben als
„Geheimnis“ zu deuten: „Langsam schält sich ein Begriff des
Lebens heraus, dessen Quintessenz darin besteht, dass man sich
vom Leben keinen Begriff machen kann. Leben ist... von der Art,
dass es sich einem begrifflichen Zugang sperrt. (...) Was durch
Selbstwerdung wird, das ist aber auch nicht völlig aufklärbar,
es bleibt mithin immer ein Rest, nennen wir ihn Geheimnis, der
nicht geklärt werden kann, da er im Dunkel des Selbst liegt.“
(72, 74) Ohne hier das „Geheimnis“, dessen Begriff Brenner
selbst verwendet, diskreditieren zu wollen (da es sicherlich seine
Berechtigung hat!), so muss doch angemerkt werden, dass der
Autor eine romantisch-lebensphilosophische Position bezieht,
die in der Gefahr steht, die Erfolge und Möglichkeiten der „wissenschaftlichen Vernunft“ zu stark abzuwerten.
Das letzte Kapitel Künstliches Leben? (80-95) greift mit dem
herausgestellten „nicht-begrifflichen Begriff“ des Lebens auf
das zu Beginn der Untersuchung aufgeworfene Problem zurück,
ob es überhaupt Sinn macht, von einem „künstlichen Leben“
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zu sprechen. Leben gilt in vielerlei Hinsicht als das genaue Gegenteil des künstlich Hervorgebrachten (Artefakt): „Leben ist
das, was nicht hergestellt ist“ und „von sich aus ist“. (81) Daher
scheint die Rede von einem „künstlichen Leben“ einen gedanklichen Widerspruch zu enthalten: Leben bedarf der Künstlichkeit
nicht und die Künstlichkeit des Artefakts kann nicht „von sich
aus“ leben. An den Artefakten der künstlichen Intelligenz (Roboter, Computer) wie der synthetischen Biologie (z.B. künstliches, d.h. synthetisches Erbmaterial eines Bakteriums) wird en
detail diskutiert, ob der Ausdruck „künstliches Leben“ sinnvoll
ist. Da Brenner einen Begriff von Leben verteidigt, der die Geheimnis bleibende Innenperspektive des Lebendigen fokussiert,
entzieht sich für ihn Leben durch eine bloß außenperspektivische
Beschreibung wie z.B. durch quantifizierbare Stoffwechselprozesse. Zwar können notwendige Voraussetzungen des Lebens
angegeben werden, doch das Leben selbst − verstanden als das
Leben eines Selbst – ist letztlich, da es nicht restlos aufgeklärt
werden kann, Geheimnis. Folglich kann es auch nicht synthetisiert werden: „Das Lebendige wäre nicht eigenbewirkt..., sondern fremdbewirkt..., würde es durch einen synthetischen Prozess hervorgerufen werden können. Leben, so lässt sich daraus
schließen, kann nicht synthetisiert werden.“ (95) Die Rede von
einem „künstlichen Leben“ macht daher für Brenner keinen
Sinn, da für ihn Leben nicht synthetisch hergestellt werden kann,
denn das würde seine restlose Aufklärung bedeuten, die Brenner
jedoch per definitionem ablehnt: „Die Innenperspektive... macht
Lebendiges ein Stück weit sichtbar, der Rest bleibt Geheimnis.
Das Geheimnis des Lebendigen wird besonders in der spontanen
Entstehung des Lebens sichtbar, die letztlich unerklärbar bleibt:
Es können bestenfalls die das Leben bedingenden Voraussetzungen beschrieben werden, das Leben selbst kann aus diesen Voraussetzungen jedoch nicht erklärt werden.“ (96)
Brenners Buch bietet einen gut informierten Überblick über
biophilosophische Themen, Fragestellungen und Begriffe. Seiner Kritik am „harten“ naturwissenschaftlichen Materialismus
und deren bloße Außensichtweisen kann problemlos zugestimmt
werden. Sie ist jedoch mit einer romantisch-lebensphilosophisch
inspirierten Mystifizierung des Lebens verkoppelt, die allenfalls
Anlass zum Weiterdenken, jedoch keine Lösung sein kann.
Norbert Walz
2.6 Paola Cavalieri (ed.):
The Death of the Animal:
A Dialogue
149 Seiten, New York: Columbia
University Press, 2009, Euro 14,99
Das anspruchvolle Buch von Paola
Cavalieri, italienischer unabhängiger
Philosophin und Tierethikerin, die insbesondere für das „Great Ape Project”
mit Peter Singer bekannt ist, setzt sich
mit einer der zentralsten und wichtigsten Fragen der zeitgenössischen (tier)ethischen Debatte auseinander: mit der Vertretbar40
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keit von moralischem Perfektionismus. Im Mittelpunkt von
moralischem Perfektionismus stehen objektive Erklärungen
über das Gute, indem besondere Handlungen als gut an sich
identifiziert werden, unabhängig davon, ob sie gut für besondere (menschliche) Lebewesen sind. Moralischer Perfektionismus fordert Menschen zum Streben nach objektiv gutem
Leben auf und klassifiziert moralisch relevante Lebewesen in
Abhängigkeit vom Besitz bestimmter Fähigkeiten oder Merkmale. Zur Verteidigung ihrer eigenen These hat Cavalieri eine
interessante und nicht sehr aktuelle Form der philosophischen
Auseinandersetzung gewählt: den Dialog. Sie bezieht sich dabei explizit auf eine Art zu philosophieren, die in der Antike
von Sokrates und Plato die Unabhängigkeit der philosophischen Forschung am besten verteidigt hat. Disputanten sind
Alexandra Warnock und Theo Glucksman, die sich zu einer
unbekannten philosophischen Konferenz im Mittelmeergebiet
treffen und auf einer Terrasse bei Wein und Nüssen miteinander diskutieren. Wie die Namen der zwei Hauptfiguren schon
erkennen lassen, handelt es sich um die Verkörperung der
zwei Haupttraditionen der abendländischen Philosophie, die
analytische und die kontinentale, wobei Alexandra die zentrale Rolle spielt.
Aufgrund des Dialogs wirft Cavalieri der Position des moralischen Perfektionismus, die Alexandra Warnock vertritt, vor,
auf einem fundamentalen Missverständnis aufgebaut zu sein,
indem sie sich zu stark auf die Idee der moralischen Agenten
fixiere. Cavalieri schreibt (Alexandra sagt): „If, on the other
hand, one claims, as we have mentioned, that moral agents
matter more because they are necessary if morality is to exist
at all, without any further consideration of the point of morality, it seems that the only point of morality is: for morality
itself to be able to exist“ (18). Eine solche idiosynkratische
und solipsistische Perspektive ist auch kontraintuitiv, indem
wir heute Menschen nicht mehr in Bezug auf Fähigkeiten diskriminieren (außer etwa im Fall von Embryonen und Föten).
Cavalieri bewertet die Traditionen des Utilitarismus, des Kantianismus oder auch der Tugendethik als unbefriedigend, weil
sie in dieser Sackgasse des moralischen Perfektionismus in ihrer Fixierung auf der Kategorie „Tier“ stehen bleiben. Aus diesem Grund lautet der Titel von Cavalieris Buch: „Der Tod des
Tieres“, Tod im Sinne von Überwindung dieser Abgrenzung
bzw. Kategorisierung. Für eine angemessene Überwindung
sollten wir den Vorschlag von Derrida ernst nehmen, er hat
erklärt, wie der Begriff „Tier“ auf einer metaphysischen und
emotionalen Distanz zwischen den Menschen und den anderen
Tieren beruht, die die ganze abendländische Philosophie prägt.
Auch unsere fundamentale Verurteilung von nationalsozialistischen Verbrechen wie die Aktion T4 (das Euthanasieprogramm) beruht auf einer Ablehnung solcher Verhaltenweisen
gegenüber Menschen qua Angehöriger der Gattung „Mensch“.
Die als Lösung bezeichnete Perspektive der Menschenrechte
bietet zwei wichtige Vorteile: Erstens fokussiert sie auf den institutionellen Schutz von Individuen und von Beeinträchtigungen, indem sie sich auf negative Rechte (Das Recht auf Leben,
das Recht auf Freiheit, das Recht auf Wohlbefinden) bezieht.
Zweitens setzt sie das Kriterium der moralischen Akteure voraus (ein moralischer Akteur zu sein ist die Voraussetzung zur
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Literaturbericht
Zugehörigkeit der rechtlichen Sphäre), wobei hier Cavalieri
mit „moralischer Akteur“ ein Wesen meint, das Interessen hat
und das „intentional“ ist und das Ziele verfolgt (vgl. 39). Wie
schon in ihrem anderen Buch (Die Frage nach den Tieren, Erlangen, 2002) plädiert Cavalieri dann für eine Ausweitung der
menschenrechtlichen Perspektive auf „Tiere“ als endgültige
Ablehnung des Speziezismus. Das Wort „Tier“ ist nun in Anführungszeichnen gesetzt, weil in dieser neuen Perspektive ein
Unterschied zwischen „Mensch“ und „Tier“ als solcher keinen
Sinn mehr macht.
Nach diesem Dialog folgt im Buch ein „Roundtable“, in
dem Beiträge von sehr berühmten Intellektuellen wie Cary
Wolfe, Professor für Englische Literatur an der Rice Universität, Harlan B. Miller, analytischer Philosoph aus Virginia Tech,
Matthew Calarco, Philosoph an der California State Universität und dem Literaturnobelpreisträger John M. Coetzee zu
finden sind. Im dritten und letzten Teil des Buches setzen sich
die Autoren des zweiten Teils mit den Kritiken auseinander
und präzisieren ihre Argumente. Im zweiten und dritten Teil
wird ebenfalls eine Art Dialog aufgebaut, indem die Autoren
wieder auf Anregungen ihrer Kritiker reagieren und weiter reflektieren. Es gibt eine Vielzahl von Aspekten, die in diesen
inhaltsreichen und stimulierenden Teilen des Buches aufgeworfen werden, die aber nicht alle ausführlich diskutiert werden können.
Eine wichtige grundlegende Frage wird schon im Vorwort
von Peter Singer klar formuliert: Was folgt aus der Ablehnung
dieser Position: Gleichheit für alle Lebewesen, die Interesse
haben (wofür Cavalieri plädiert), oder die Anerkennung, dass
es eine Hierarchie bezüglich des moralischen Status unter
Menschen geben sollte (dies wäre die Position Singers)? Darüber hinaus werden im Buch interessante Überlegungen über
den Sinn des Philosophierens überhaupt angestellt, vor allem
wenn bestimmte politische Zwecke wie etwa der Tierschutz
das Ziel sind. Grundlegendes und tiefes Bedenken wird von
Coetzee aufgeworfen, der in seinem gewohnt ironischen und
bissigen Ton Alexandra Warnock und Theo Glucksman als
Kinder einer intellektuellen Elite bezeichnet, die weit von einem praktischen Lebensbezug entfernt sind und die bewusst
entschieden haben, auf die körperlichen Genüsse (wie Fleischessen und Sex) zu verzichten. Für Coetzee bleibt fragwürdig,
ob sie mit ihrer elitären Philosophie in der Lage sind, etwas
zu bewirken, wie es etwa die Politiker mit ihren rhetorischen
Instrumenten vermögen. Auch Calarco stellt grundsätzlich den
Ansatz Cavalieris in Frage, aber aus völlig anderen Gründen:
Cavalieris Ablehnung des moralischen Perfektionismus enthält ihm zufolge perfektionistische Motive, indem sie sich auf
die Tradition der Menschenrechte stützt, die auf der Dichotomie zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern aufgebaut
ist. Deswegen plädiert er für einen radikaleren Ansatz, eine Art
Agnostizismus, den er von einer Ausweitung der Verantwortungsethik Levinas weiterentwickelt.
Alles in allem stellt dieses Buch einen wichtigen Referenzpunkt der aktuellen philosophischen Debatte in Moral, Politik
und Recht dar. Die These Cavalieris und die umfangreichen
Kritikpunkte erfordern weitere Auseinandersetzungen und
dies ist ein Merkmal eines exzellenten philosophischen WerAltexethik 2009
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kes. Obwohl das gesamte Buch zur Frage der Zugehörigkeit
der Tiere der moralischen Gemeinschaft gewidmet ist, stellt
in der Tat der moralische Perfektionismus grundsätzliche Herausforderungen auch im inframenschlichen Bereich, etwa bezüglich des Umgangs mit menschlicher Behinderung.
Arianna Ferrari
2.7 Markus Düwell und Dieter
Birnbacher et al. (Hrsg.):
Medizinethik und Empirie
– Standortbestimmungen
eines spannungsreichen
Verhältnisses
Das September-Heft der Zeitschrift
„Ethik in der Medizin“ 2009 ist komplett einem für die angewandte Ethik,
also auch der Tier- und Bioethik,
wichtigen Thema gewidmet – den sogenannten „Empirical Ethics“ oder auch „integrated empirical
ethics“. Siehe http://www.springerlink.com/content/0935-7335
Hierbei handelt es sich um einen Trend gerade in der aktuellen Medizinethikdebatte: Es hat sich eine intensive Fachdiskussion um theoretische, meta-ethische und methodologische
Fragen entsponnen. Zentral ist hierbei ob überhaupt und wenn
ja, wie empirische Ergebnisse in angewandte ethische Überlegungen zu integrieren sind. Die Verbindung von normativen,
präskriptiven und empirischen, deskriptiven Dimensionen
spiegelt sich u.a. darin wider, dass angewandte Ethik zunehmend als ein interdisziplinäres Unternehmen verstanden wird,
an dem nicht nur die Philosophie, Theologie und Rechtswissenschaft, sondern auch die Medizin, die Natur- und Ingenieurswissenschaften sowie die Sozial- und Kulturwissenschaften mitwirken müssen und in das darüber hinaus Laien und
öffentliche Wahrnehmungen einzubeziehen sind.
Allerdings sollte das Verhältnis zwischen einer eher normativ ausgerichteten Bioethik einerseits und der eher deskriptiven
empirischen Forschung andererseits nicht als „harmlos“ eingestuft werden. Es wirft hingegen noch zahlreiche ungeklärte
Fragen auf, etwa darüber, ob eine Vermischung von Fakten und
Werten erstens zulässig und zweitens zielführend sein kann.
Insbesondere interessiert die methodologische Spannung zwischen den ethischen und empirischen Dimensionen und was sie
für die zukünftige Bioethikforschung bedeuten könnte. Bislang
fehlen gerade für die deutsche Fachdiskussion verschiedenartige Übersichten, die die methodischen Vor- und Nachteile der
verschiedenen Ansätze in der „empirischen Ethik“ reflektieren.
Angewandte Ethik ist per se keine empirische Wissenschaft,
sie wird jedoch im Zeitalter der Naturwissenschaften immer
stärker einem naturwissenschaftlichen Ideal unterworfen. Das
zeigt sich u.a. daran, dass praxisorientierte Handreichungen, die
Restriktionen bestimmter empirischer Methoden für die Forschungsdesigns aufzeigen, eher noch die Ausnahme sind.
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Literaturbericht
Das vorliegende Themenheft hat sich nun die Aufgabe gemacht, diese Diskussion für die deutsche Debatte erstmals etwas aufzuarbeiten. In dem ersten einführenden Beitrag geht
der holländische Philosoph Bert Musschenga genauer der Frage „Was ist empirische Ethik?“ nach. Er stellt dabei mit Blick
auf die internationale Debatte die spezifischen Kennzeichen
einer „empirischen Ethik“ vor. In den folgenden drei Beiträgen wird das Verhältnis von Sein und Sollen in der Medizinethik aus der moralphilosophischen Perspektive stärker beleuchtet. In dem Aufsatz „Zur Verantwortbarkeit des Einsatzes
sozialwissenschaftlicher Methoden in der Medizinethik“ geht
es Markus Düwell um eine Analyse der meta-ethischen Herausforderungen im Verhältnis von Ethik und Sozialwissenschaften. Mit Blick auf die ethische Urteilsbildung als einem
Kerngeschäft der angewandten Ethik geht Julia Dietrich der
„Kraft der Konkretion oder: Welche Rolle spielen deskriptive Annahmen bei der ‚Anwendung‘ und ‚Kontextsensitivität‘
ethischer Theorie?“ am Beispiel der Schmerztherapie nach.
Potentiale und Limitationen sozialempirischer Forschung für
die Medizinethik will auch Silke Schicktanz in ihrem Aufsatz
„Zum Stellenwert von Betroffenheit, Öffentlichkeit und Deliberation im empirical turn der Medizinethik“ sichtbar machen. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Frage, wessen Meinungen
und Positionen vor allem mit sozialempirischen Untersuchungen eingeholt werden bzw. eingeholt werden sollen.
Aus eher soziologisch geprägter Perspektive beschäftigen
sich hingegen die nächsten zwei Beiträge. Tanja Krones widmet sich vor allem der Methodik und Methodologie empirischer
Medizinethik in ihrem Aufsatz „Empirische Methodologien und
Methoden der angewandten und der empirischen Ethik“. Dem
Verhältnis zwischen Medizinethik und Medizinsoziologie aus
sozialwissenschaftlicher Perspektive gehen weiterhin Sigrid
Graumann und Gesa Lindemann in ihrem Beitrag „Medizin als
gesellschaftliche Praxis, sozialwissenschaftliche Empirie und
ethische Reflexion“ nach. Im abschließenden Beitrag „Empirische Forschung in der Medizinethik: Methodenreflexion und
forschungspraktische Herausforderungen am Beispiel eines
mixed-method Projekts zur ärztlichen Handlungspraxis am Lebensende“ diskutieren Jan Schildmann und Jochen Vollmann
die konkrete Problematik von Integration empirischer und ethischer Aspekte innerhalb eines Forschungsdesigns.
Auch wenn sich die Aufsätze des Bandes der Medizinethik
widmen, so bleiben die theoretischen wie meta-ethischen und
methodologischen Fragen auch die zentralen Grundfragen für
die Tierethik: so müssen hier schließlich normative, naturwissenschaftliche und zunehmend auch soziologische Argumente
integriert werden. Ein solcher wissenschaftstheoretischer Hintergrund ist die Grundvoraussetzung zum Verständis dieser
Problematik. Eine „empirische Tierethik“ etwa, wäre weit vom
Nachdenken darüber, wie man mit Tieren umgehen sollte, entfernt. Sie beschreibt nur, wie mit Tieren umgegangen wird.
Silke Schicktanz
2.8 Tina-Louise
Fischer: Menschen- und
Personenwürde. Über die
Notwendigkeit eines neuen
Würdebegriffs
120 Seiten, Münster: LIT Verlag,
2008, Euro 19,90
„Wie kann man Tiere schützen?“, fragt
Luisella Battaglia in ihrem Buch Alle
origini dell’etica ambientale (Über die
Ursprünge der Umweltethik). Indem
sie Jules Michelets Verständnis der Beziehung Mensch-Tier
untersucht, schreibt Battaglia: Tiere kann man am besten schützen, wenn man begründet und enthüllt, dass sie Personen sind1.
Diese Antwort bildet auch die Grundthese von Tina-Louise
Fischers Essay Menschen- und Personenwürde. Über die Notwendigkeit eines neuen Würdebegriffs. Die Autorin plädiert
dafür, den Begriff der Menschenwürde auf Menschen- und
Personenwürde zu erweitern: Auf diese Weise wäre es möglich, die Barriere zwischen Mensch und Tier so zu verlagern,
dass die entscheidende Trennung eher zwischen Personen und
Nichtpersonen liegen würde (vgl. z.B. 107). Da auch nichtmenschliche Personen „in das moralische Denken und Handeln
einbezogen werden“ sollen (11), müssten ihnen infolgedessen
„fundamentale Rechte“ gewährt werden. Fischers Vorschlag
lautet: Wenn man die Verwendung der Bezeichnung Person
in Bezug auf einige Tiere begründen kann, müssten dann solchen Tieren als nichtmenschlichen Personen nicht dieselben
Grundrechte zuerkannt werden, die menschliche Personen
bereits besitzen? Mit anderen Worten, Fischer möchte einen
Weg zeigen, der zur Notwendigkeit der moralischen Berücksichtigung derjenigen Tiere führt, die man als Personen definieren darf; solche nichtmenschliche Personen sollten folglich
rechtlich geschützt werden (vgl. 33), und zwar indem man sie
für unmündige Personen erklärt (vgl. 12).
Um dieses Ziel zu erreichen, analysiert die Autorin die zentralen Begriffe ihrer Argumentation. Sie beginnt mit einer
stark an utilitaristische Konzeptionen angelehnten Definition
der Moral („Grundlage der Moral ist das Prinzip des größten
Glücks [...]“, 17). Es folgt dann ein Kapitel, in dem nach einer Definition von Mensch, Tier und Person in der Geschichte
der Philosophie gesucht wird. Die Möglichkeit, Eigenschaften
nachweisen zu können, die nur der Mensch besitzt und die ihn
demnach vom Tier unterscheiden, stellt den Fokus der Diskussion dar. Gerade die Tatsache, dass es, laut Fischer, „[...] keine
Eigenschaften gibt, die nur der Mensch vorweisen kann [...]“
(9), rechtfertigt die Einführung des Begriffs der Würde2.
Menschenwürde, auf der die Anerkennung der Menschenrechte basiert, ist jedem Menschen angeboren – es handelt sich
also um eine „Form der inhärenten Würde“ (58), die als solche
keiner weiteren logischen Begründung bedarf. Die Inhärenz
1 Vgl. L. Battaglia (2002). Alle origini dell’etica ambientale. Uomo, natura, animali in Voltaire, Michelet, Thoreau, Gandhi (90). Bari: Edizioni Dedalo.
2 Ein bedeutender Unterschied zwischen Mensch und Tier muss allerdings auch in Fischers Argumentation vorausgesetzt werden, nämlich dass nur Menschen
Subjekte einer ethischen Handlung sein können: Menschen haben Pflichten (zum Beispiel die Pflicht, mit den Tieren nach ethischen Prinzipien umzugehen);
Tieren dagegen (auch denjenigen, die für unmündige Personen erklärt werden, siehe 107) können keine Pflichten zugeschrieben werden.
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tritt eben in der juristischen Argumentation quasi als deus ex
machina auf (vgl. 61-62): Da es jedoch keine Charakteristika
gebe, die den Menschen von allen anderen Spezies wesentlich unterscheiden könnten, müsse sich die Anerkennung von
Menschenrechten einfach auf einen metaphysischen Begriff
stützen, nämlich den Begriff der angeborenen Menschenwürde. Jeder Mensch besitzt Menschenwürde und Menschenrechte, einfach weil er als Mensch geboren wurde.
Wie aber zeichnet sich in diesem Kontext eine Person aus
und wie wird Personenwürde definiert? Indem sie der These
von Peter Singer und Paola Cavalieri folgt, behauptet Fischer,
dass der Begriff „Person“ mit dem Begriff „Mensch“ nicht
gleichbedeutend sei, weil eine Person über Eigenschaften (vor
allem Selbstbewusstsein, Subjektivität und die Fähigkeit zur
autonomen Selbstbestimmung, siehe dazu 42) verfügt, die in
der Tat nicht alle Menschen vorweisen können. In dieser Hinsicht wären zum Beispiel Neugeborene und Komatöse zwar
Menschen, die Menschenwürde und deshalb Menschenrechte besitzen, aber keine Personen. Hingegen – und hier liegt
ein entscheidender Punkt in Fischers Argumentation – haben
zahlreiche kognitive Experimente mit Primaten gezeigt, dass
einige derjenigen Charakteristika, auf denen die oben genannte Definition der Person basiert, zum Beispiel bei Schimpansen (siehe Kapitel IV) nachgewiesen werden können. Darüber hinaus schließt Fischer, dass denjenigen Tieren, die, wie
Menschenaffen, als Personen definiert werden dürften und
sollten, die Grundrechte3 zuerkannt werden müssten, die ihr
Personen-Status verlangt. An dieser Stelle tritt also erst der
Begriff von Personenwürde ein: Alle Personen – menschliche
und nicht-menschliche – sind Träger einer Würde, die aus ihrem Person-Sein folgt; die Würde – wie schon im Fall von
Menschenwürde – ist die Basis für die Anerkennung bestimmter Rechte (vgl. 79-80). Wenn diese Argumentation schlüssig
ist, dann soll der Begriff von Menschenwürde unbedingt in
Menschen- und Personenwürde ergänzt werden, so dass moralische und rechtliche Achtung auch nichtmenschlichen Personen gewährt werden kann.
Das Ziel dieser Erweiterung des Begriffs von Menschenwürde scheint auf jeden Fall wünschenswert; was die Konsequenz der Argumentation betrifft, so bleiben noch einige
Fragen offen.
Dies betrifft zunächst den Begriff der Person. Fischer listet
mehrere Eigenschaften auf, die an das Person-Sein gebunden
sind (vgl. 40-41). „Eine Person“ sei „ein selbstbewusstes,
rationales Wesen, das Vernunft und Reflexion besitzt [...]“
(42). Wie aber vor allem Vernunft und Rationalität in diesem
Kontext definiert werden, bleibt meines Erachtens unklar.
Wie in den folgenden Seiten des Essays aber deutlich wird,
ist eigentlich Selbstbewusstsein laut Fischer das „Hauptmerkmal der Person“, „der eine Person ausmachende Wesenszug“
(43). Die Vernunft und die Rationalität werden damit in den
Hintergrund geschoben, so dass die Antworten auf die Fragen, welche Kombination von Eigenschaften zur Bestimmung
der Person führen und ob Selbstbewusstsein allein reiche oder
nicht, unbeantwortet bleiben. Wie flexibel sind demzufolge
die Grenzen der Definition des Begriffs Person zu denken?
Schließt er nur solche Tiere ein, die „[...] als rationale und
intentionale Wesen wahrgenommen werden, im Gegenzug die
anderen als ebensolche Wesen wahrnehmen, sprachliche Fähigkeiten haben“ (40)? Oder sollte man die Bedingungen für
die Anerkennung des Personen-Status viel niedriger ansetzen,
so dass eine größere Zahl tierischer Individuen als Personen
bezeichnet werden dürften4?
Der entscheidende Punkt aber, der die Schlüssigkeit von Fischers Vorschlag gefährdet, ist die Deutung des Begriffs von
Personenwürde. Wie bereits angeführt, bezieht sich Würde in
der Wendung Menschenwürde auf etwas Inhärentes, Angeborenes, und eben diese Inhärenz stellt die Basis für die Anerkennung der Menschenrechte dar. Wird nun aber dieser Begriff von Würde mit dem Begriff von Person verbunden, so
wird eine unklare Formulierung gefasst, da einige Individuen
zwar als Menschen geboren werden, niemand aber als Person
geboren wird (vgl. 42: „Person-Sein ist demnach erst ab dem
Zeitpunkt gegeben, wenn Selbstbewusstsein, Subjektivität
und die Fähigkeit zur autonomen und rationalen Selbstbestimmung voll ausgebildet sind [...].“). Das Person-Sein betrifft also nur bestimmte Phasen des Lebens eines Individuums. Kann
man infolgedessen die Anerkennung von Grundrechten für
Tiere auf dieser „instabilen“ Bezeichnung aufbauen? Meines
Erachtens kann auf diese Weise viel weniger erreicht werden
als versprochen wird, weil eben die Anerkennung des PersonStatus während des Lebens eines Individuums bedeutende
Schwankungen erleidet und niemals durchgängig gewährleistet sein kann. Wenn Fischer am Ende ihres Essays behauptet,
dass „bestimmte Tierarten als unmündige Personen“ (107;
siehe auch 80 und 89) gelten sollen, folgt dies nicht schlüssig aus den Voraussetzungen, die sie eingangs aufgestellt hat.
Man kann schließlich nicht ohne weiteres annehmen, dass alle
zu einer Tierart gehörenden Individuen Personen seien, wenn
man die Unterscheidung zwischen Mensch und Person als geltend akzeptiert.
Gegen diese Kritik könnte man zwar einwenden, dass die
Verwendung der Bezeichnung Person in Bezug auf einige
Tiere, im aktuellen Diskurs die beste Strategie darstelle, um
wenigstens einigen Individuen Grundrechte zu gewähren.
Dennoch sollte man sich der internen Widersprüchlichkeit des
Begriffs von Personenwürde bewusst sein. Letztendlich besteht die Gefahr darin, dass sich damit nur eine Ethik begründen lässt, die lediglich einige Individuen der Spezies Schimpanse, Gorilla und Orang-Utan (siehe 21) berücksichtigen
3 Als Grundrechte werden etwa die ersten drei Artikel des Grundgesetzes verstanden, vgl. 80.
4 Wie die heutige Debatte über die Definition des Begriffs der Person zeigt, scheint gerade im Blick auf Tiere die Einschränkung auf die Voraussetzung des
Selbstbewusstseins auf keinen Fall überzeugend. Juan Carlos Gómez hat zum Beispiel deutlich bewiesen, dass die Verwendung des Prädikats Person
für die Menschenaffen zwar begründbar ist, aber nur insofern man die kritische Auseinandersetzung mit bestimmten, klar festgelegten Kriterien in Betracht
zieht (Gómez stützt seine Argumentation auf Daniel Dennetts Definition der Person). Siehe: Gómez, J. C. (2003). Are Apes Persons? The Case for Primate
Intersubjectivity. In S. J. Armstrong und R. G. Botzler (hrsg.), The Animal Ethics Reader (138-143). London: Routledge.
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kann, nämlich geistig gesunde und erwachsene Individuen,
die sich zur Person entwickelt haben. Es kann daher gefragt
werden, ob der von Fischer vorgeschlagene Begriff der Person
in der Tat einen sicheren Boden für die ethische Begründung
der Anerkennung von Berechtigungen für die Tiere (mindestens für einige bestimmte Tierarten) bietet, oder ob nicht die
Verwendung eines anderen Kriteriums stattdessen in Anspruch
genommen werden könnte5.
Tina-Louise Fischer muss dabei das große Verdienst zuerkannt werden, dass sie sich engagiert darum bemüht, einen
Schritt weiter in der Begründung einer neuen, erweiterten
Ethik (vgl. z.B. 10) zu gehen, einer Ethik, die endlich auch
das Tier moralisch und rechtlich berücksichtigen kann. In
ihrem Essay setzt sich die Autorin mit der aktuellen Debatte
über die Notwendigkeit der ethischen Berücksichtigung von
Tieren kompetent auseinander. In dieser Hinsicht stellt dieser
Essay eine gute Einführung zum Problemfeld des ethischen
Umgangs mit Tieren dar, die neue Thesen zu einer erweiterten
Ethik durchdenkt und zur weiteren Diskussion dieses hochbedeutenden Themas – die Verwendung des Personbegriffes für
eine tierethische Begründung – anregt.
Cecilia Muratori
2.9 Gary L. Francione:
Animals as Persons: Essays
on the Abolition of Animal
Exploitation
256 Seiten, New York: Columbia University Press, 2008, Euro 19,99
Dieses aktuellste Buch von Gary L.
Francione, das er seinen zwei Meerschweinchen und zwölf Hunden widmet, stellt ein wichtiges Kompendium
aller Thesen über Tierschutz dar, die
der Distinguished Jura Professor of Law and Philosophy an
der nordamerikanischen Rutgers Universität seit den 80er Jahren entwickelt hat. Wie schon der Titel andeutet, zielt das Buch
darauf ab, philosophisch und rechtsphilosophisch die Idee der
Ablehnung jeglicher Form von Tiernutzung zu begründen.
Das Buch besteht aus einem Vorwort und sieben Artikeln, von
denen fünf schon in anderen Büchern oder Zeitschriften veröffentlicht worden sind. In diesem Werk werden dann erstmals Grundzüge einer Ablehnung der Eigentumstheorie für Tiere skizziert,
die die theoretische und politische Basis für deren Nutzung darstellt. Franciones theoretischer Ansatz wird in einer permanenten
Auseinandersetzung mit anderen wichtigen tierethischen Positionen aufgebaut. Er begründet in der Tat seine Position dadurch,
dass er bestimmte Interpretationen, sowohl der Geschichte der
Tierschutzbewegung als auch der Schwächen und Irrtümer anderer zeitgenössischer Theorien liefert. Francione unterscheidet in
der Debatte zwei grundsätzliche Positionen: Tierschutz, der auf
den Schutz des tierischen Wohlbefindens ausgerichtet ist („animal welfarism“), und die Ablehnungstheorie („abolitionism“),
die jegliche Nutzung von Tieren ausschließt. Während Tierschutz
nur am Anfang, und zwar im 19. Jahrhundert, eine substantielle
Verbesserung in der Nutzung von Tieren vor allem in der Forschung und in der Landwirtschaft verzeichnen konnte, erscheint
die heutige Situation der Tiernutzung leider von ungeheuren und
unnötigen Misshandlungen gekennzeichnet – vor allem in unserer
abendländischen Gesellschaft. Francione leugnet selbstverständlich nicht die historisch wichtige Rolle der Entwicklung von Tierschutzgedanken in der modernen Zeit, aber er sieht in dieser Tradition die Wurzeln für die heutige schlechte Situation, weil sie die
Tiernutzung als solche überhaupt nicht in Frage gestellt hat. Tiere
als leidensfähige Wesen zu betrachten besagt nur, dass wir ihnen
keine unnötigen Leiden und Schmerzen zufügen sollen, bzw. dass
wir Tiere „human“ behandeln sollen.
Die zentrale These seines Buches „Animals, Property, and
the Law“ (1995) sowie seine fundamentale Kritik gegenüber der
Tradition von „animal welfarism“ aus dem Buch „Rain without
Thunder: The Ideology of Animal Rights Movement“ (1996)
werden im zweiten Beitrag dieses Buches knapp und prägnant
erklärt und gegen kritische Einwände verteidigt: Der Eigentumsstatus der Tiere macht jegliches Ziel einer humanen Tiernutzung
illusorisch, weil das, was in Wirklichkeit abgewogen wird, die
Interessen der Eigentümer der Tiere sind, die gegen die Interessen ihres Eigentums (der Tiere) stehen. Daraus folgt, dass es absurd ist zu behaupten, dass wir menschliche Interessen an Eigentum, die eigentlich rechtlich geschützt sind, gegen die Interessen
von dem abwägen können, das besessen wird. Das EigentumTier existiert hier nur als Mittel zu einem Zweck (38). Francione argumentiert gegen die vielen pragmatischen Argumente,
die behaupten, dass eine sofortige Abschaffung der Tiernutzung
heute unmöglich ist und dass man den Tierschutzgedanken besser schrittweise im Geist der Einzelnen und der Gesellschaft
wachsen lassen sollte. Er kritisiert diese Argumente als Alibi,
weil sie nicht den Kern des Problems in Frage stellen, und zwar
die Tatsache, dass Tiere als Eigentum gelten. Noch radikaler fällt
seine Kritik gegen den so genannten „new welfarism“ aus, den
ganze Generationen von Tierschutz-intellektuellen praktizieren,
die sich zum Teil in der Zusammenarbeit mit Institutionen engagiert haben. Die heutigen Gesetze, die dadurch inspiriert sind,
tragen letztlich dazu bei, dass Tiere nie angemessen und ethisch
behandelt werden. Vertreter des „new welfarism“ seien „kriminell“ (40), weil sie die Institutionalisierung der Tiernutzung und
damit der Leidenszufügung und Tötung ermöglichen. Diese Perspektive führt zur sozialen Bequemlichkeit der Akzeptanz der
Tiernutzung (16). Für Francione ist eine vegane Gesellschaft
5 Francione, G. L. (1996). Personhood, Property and Legal Comptence. In P. Cavalieri and P. Singer (hrsg.), The Great Ape Project. Equality beyond
Humanity (248-257). New York: St. Martin’s Griffin. Francione weist darauf hin, dass die Fähigkeit des Empfindens als Hauptkriterium in Betracht gezogen
werden kann: Um zu entscheiden, wer zur „community of equals“ gehört, soll man die Grenze beim Empfinden ziehen (vgl. 253). Die Wichtigkeit des
Begriffs der Rechtsperson („legal personhood“, ebenda. 251) bleibt allerdings in Franciones Beitrag unbestritten. Siehe auch: P. Cavalieri und P. Singer,
The Great Ape Project - and Beyond, in: Ders., The Great Ape Project, zit., 304-312, insbesondere 308.
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der einzige Weg, Tierrechte „ernst“ zu nehmen. Nur wenn Tiere
als „Personen“ gelten, und zwar in der Hinsicht, dass sie fundamentale Freiheiten genießen können, ein Lebensrecht haben
und nicht in juristischer Hinsicht als Eigentum gelten, dann kann
man von einer effektiven Anwendung des Prinzips der gleichen
Berücksichtigung von Interessen sprechen.
Ein anderer wichtiger und zugleich problematischer Grundgedanke der heutigen Tierschutzbewegung besteht in der Idee,
dass kognitive Fähigkeiten der Tiere und insbesondere deren
Ähnlichkeit sowie die Vergleichbarkeit mit menschlichen Fähigkeiten das Motiv der Anerkennung des moralischen Status darstellen. Damit greift Francione insbesondere im dritten Beitrag
zu einer der zentralen Fragestellungen der heutigen tierethischen
Debatte, die dann durch neue ethologische Untersuchungen sowie durch das „Great Ape Project“ (1993), an dem Francione
selber teilgenommen hat, bereichert worden ist.
Francione bezeichnet als „similar-minds approach“ den Ansatz, der die kognitive Ähnlichkeit zwischen Menschen und einigen anderen Tieren betont und in diesem den Grund für einen
stärkeren Schutz sieht. Diese Theorie, die auf einer merkwürdigen Inkonsistenz mit der Evolutionstheorie Darwins beruht, ist
aus zwei Gründen problematisch: aus einem praktischen Grund,
weil sie nicht effektiv in der Implementierung des Tierschutzes
sein kann; aus einem theoretischen Grund, weil sie nicht den
Grund erklärt, warum jegliche andere Fähigkeit außer der Leidensfähigkeit nicht auch für die Zugehörigkeit zur moralischen
Gemeinschaft von Bedeutung ist. Zum ersten Grund betont
Francione außerdem, dass selbst wenn wir Beweise von Ähnlichkeiten hinsichtlich kognitiver Fähigkeiten haben, wir diese
ignorieren und unsere Untersuchungen weiter fortführen, weil
wir nicht spezifizieren, welches Maß an Ähnlichkeit für den
Personen-Status von Tieren genügt (139). Für Francione selbst
genügt die Leidensfähigkeit allein für die Anerkennung des vollkommenen rechtlichen Status.
Objekt der Kritik von Francione ist aber nicht nur die utilitaristische Tradition, sondern auch die deontologische Theorie
Regans, die einen Unterschied in der Leidenszufügung und Tötung von Tieren und Menschen betont (siehe siebten Beitrag). Im
sechsten Beitrag richtet er sich dann gegen die Ineffektivität der
Fürsorgeethik für Tierschutz. Auch wenn er der Kritik gegen patriarchale Strukturen generell zustimmt, kritisiert er grundsätzlich
die feministische Kritik gegen jegliche Form von Universalismus
und sieht im Recht selbst kein patriarchales Instrument, sondern
den einzigen Weg zum Schutz von Interessen (188).
Mit seinem provokativen und extremen Charakter wirft dieses
Buch fundamentale Fragen auf, die Tierethiker nicht ignorieren
können und die meiner Meinung nach weitere Auseinandersetzungen erfordern. 1. Gibt es überhaupt Grenzen zwischen Instrumentalisierung und Tiernutzung in einer Gesellschaft, in der
Tiere Mittel zum ökonomischen Zweck sind? Und 2. Warum hat
sich bis jetzt die tierethische Tradition mit der Eigentumstheorie
und dem politisch-ökonomischen Kontext der Tiernutzung nur
sehr eingeschränkt auseinandergesetzt?
Arianna Ferrari
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2.10 Richard P. Haynes:
Animal Welfare. Competing
Conceptions and Their Ethical
Implications
162 Seiten. Dordrecht: Springer, 2008,
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Tierliches Wohlergehen (animal welfare) ist ein zentraler Bestandteil der meisten tierethischen Konzepte und gilt als
wichtiges normatives Kriterium für das
moralisch richtige Handeln gegenüber
Tieren. Darüber hinaus ist die Bestimmung und Untersuchung
des tierlichen Wohlergehens aber mittlerweile auch zu einem bedeutenden wissenschaftlichen Forschungsgebiet geworden, das
großen Einfluss auf alle Bereiche der Tierhaltung und -nutzung
hat. Richard Haynes kritisiert in seinem Buch „Animal Welfare.
Competing Conceptions and Their Ethical Implications“ Ziele
und Vorgehen der so genannten animal welfare science. Seine
These ist, dass der moralische Begriff des Wohlergehens von den
wissenschaftlichen und philosophischen Mitgliedern der animal
welfare science community zu Unrecht übernommen wurde, um
den Gebrauch von Tieren zu Forschungszwecken und in der Lebensmittelindustrie zu rechtfertigen.
Die ursprüngliche Bedeutung des Wohlergehenskonzeptes –
das Führen eines glücklichen Lebens – ist nach Haynes mit vielen Formen der Nutzung von Tieren zu menschlichen Zwecken
nicht vereinbar. Dies wird deutlich, wenn man den Begriff des
tierlichen Wohlergehens richtig versteht: „[…] if we correctly
conceptualize animal welfare, using a correct account of human
welfare as our model, respecting the welfare of animals would
require eliminating most of their use in science and all of their
use when slaughtered for food. So true animal welfare advocates, if they correctly conceptualize ‘animal welfare’ would be
indistinguishable from ‘animal rightists’.” (151)
Zur Untermauerung dieser These gibt Haynes im umfangreichsten ersten Teil des Buches zunächst einen historischen
Überblick über die wissenschaftliche Beschäftigung mit der
Versuchstierhaltung und -pflege in Großbritannien und den
USA, von den Gründung der britischen UFAW (Universities
Federation of Animal Welfare) in den 1920er Jahren bis hin zu
aktuellen Diskussionen etwa zur Tierschutzgesetzgebung, zur
Einsetzung von Ethikkomitees an Forschungseinrichtungen und
zum psychologischen Wohlergehen von Primaten. Dabei zeigt
sich, so Haynes, dass die Bemühungen um das Wohlergehen
von Tieren in der Forschung im Wesentlichen von dem Argument „good science requires humane treatment“ (xiiif.) geleitet
wird. Es ist also im Interesse der Wissenschaftler, dass bestimmte Gesundheits- und Wohlergehensstandards für ihre Versuchstiere erfüllt sind. Problematisch ist, dass die Festlegung dieser
Standards zumeist durch Experten aus dem Kreis der animal
welfare science community erfolgt – „and these experts are, for
the most part, the scientists who use animals in research“ (11).
So bewegt sich der Expertendiskurs stets innerhalb der Grenzen eines tierethischen Ansatzes, der die Nutzung von Tieren
zu menschlichen Zwecken nicht grundsätzlich in Frage stellt,
sondern sich mit einer schrittweisen Reform der Bedingungen
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der Tierhaltung zufrieden gibt. Haynes kommt daher zu dem
Schluss: „While the efforts of the science of laboratory animal
care and use were progressive in helping to significantly improve the conditions under which laboratory animals were housed
[…], they proved conservative of the status quo in their efforts
to resist reforms that might put serious restrictions on the use of
animals in scientific studies that a richer conception of animal
welfare might require.“ (xiv)
Im zweiten Teil des Buches widmet sich Haynes der Anwendung des Wohlergehenskonzeptes im Bereich der Nutztierhaltung, wo sich eine stärker institutionalisierte Form der animal
welfare science entwickelt hat. Im Mittelpunkt stehen die Versuche verschiedener Vertreter der farm animal welfare community,
grundlegende Fragen im Hinblick auf ihr Unternehmen zu reflektieren: Welche Aspekte des Nutztierlebens beeinflussen sein
Wohlergehen? Wie können wir den Einfluss eines bestimmten
Produktionssystems auf das Wohlergehen möglichst objektiv
messen? Welches Wohlergehenslevel ist ethisch erforderlich?
In den von Haynes diskutierten Ansätzen von Bernard Rollin, Ian Duncan, David Fraser, Michael Appleby/Peter Sandøe,
Lennart Nordenfelt und Martha Nussbaum wird der Begriff des
tierlichen Wohlergehens in ganz unterschiedlicher Weise interpretiert. Das Hauptproblem bei allen Konzepten (wenn auch in
ungleich hohem Maße) ist für Haynes, dass das jeweils vertretene Wohlergehenskonzept zu eng ist und den Kern des Begriffs
„Wohlergehen“ nicht angemessen erfasst. Auch wo die Messung
des Wohlergehens nicht mehr allein auf Negativkriterien wie
der Vermeidung negativer Empfindungen beruht und der Kriterienkatalog um Aspekte wie Gesundheit oder positive Empfindungen erweitert wird (wie etwa im Ansatz von Nordenfelt
oder Nussbaum), beschränken sich die vermeintlichen Wohlergehenstheorien zumeist auf eine Auflistung von Dingen, die
für ein Lebewesen von instrumentellem Wert (prudential value)
sind. Eine Theorie des Wohlergehens müsste nach Haynes aber
eigentlich mehr leisten: „A theory of welfare would be needed
to determine which and how many of these goods a custodian
or user is ethically obligated to provide their wards or their
‘employees’.” (107)
Im dritten Teil stellt Haynes den konkurrierenden Konzeptionen seinen eigenen Vorschlag eines custodial models gegenüber. Dabei stützt sich Haynes vor allem auf Wayne Sumners
Theorie des menschlichen Wohlergehens, bezieht aber auch Aspekte von Martha Nussbaums Ansatz des animal flourishing mit
ein. Auf Seiten der menschlichen caregiver besteht demnach die
ethische Verpflichtung, für ihre tierlichen Schutzbefohlenen zu
sorgen und in deren mutmaßlichem Interesse zu handeln. Das
bedeutet z.B., ihnen eine reichhaltige Umwelt zur Verfügung zu
stellen, die eine artgerechte Entwicklung (flourishing) ermöglicht – d.h. eine Umwelt, in der das Tier berechtigterweise mit
seinem Leben zufrieden ist. Im Gegensatz dazu verhalten sich
animal welfare scientists gegenüber den Tieren in ihrer Obhut
wie caretakers: Sie verstehen ihre Aufgabe eher als „Sorge“ um
ein Eigentum mit einem bestimmten Wert, das im Interesses des
Besitzers in einem einwandfreien Zustand gehalten werden sollte, und nicht als Sorge um ein Lebewesen mit einem Anspruch
auf angemessene Berücksichtigung seiner eigenen Interessen.
„The caregiver model seems a more appropriate way of model46
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ling the relationship between the producer and livestock, but
this model […] seems to imply that the caregiver make the sort
of choices for its ward that are consistent with the ward’s future
autonomy (or its constructed autonomy).” (141)
Insgesamt erhält der Leser des vorliegenden Buches einen
umfassenden Überblick über die Geschichte der animal welfare
science und die zum Teil kontroversen aktuellen Positionen. Und
Haynes eigener Vorschlag einer auf constructed consent und tierlicher Autonomie beruhenden tierethischen Position ist auf jeden
Fall bedenkenswert. Gerade deshalb hätte sein Ansatz aber eine
ausführlichere Darstellung verdient gehabt. Stattdessen verliert
sich vor allem der historische Teil I über weite Strecken in der Auflistung von Informationen und Details, die zum Teil überflüssig
erscheinen. So bleibt z.B. unklar, was die Auflistung der Schriften
des Animal Welfare Institute (AWI) inklusive Seitenzahlen (19f.)
oder die zahlreichen Zitate aus Webseiten und Broschüren der
verschiedenen Organisationen eigentlich zeigen sollen.
Zudem ist zu bezweifeln, ob Haynes These einer unzulässigen
Aneignung des Wohlergehenskonzeptes durch die Wissenschaft
tatsächlich allein durch die von ihm angeführten Beobachtungen gestützt werden kann. Seine scharfe Polemik gegenüber
„self-styled animal welfare scientists“ (71) scheint, bei aller berechtigten Kritik, in dieser Form nicht gerechtfertigt zu
sein. Haynes unterstellt, dass die Mitglieder der animal welfare
science community nicht nur ein eingeschränktes und damit
unpassendes Konzept von Wohlergehen vertreten, sondern
dies auch in aus tierethischer Sicht „unmoralischer Absicht“
tun, d.h. am Wohlergehen der Tiere eigentlich nicht interessiert
sind. Aber warum sollte die damit zugleich kritisierte Annahme,
dass es auch ethisch vertretbare Formen der Nutzung von Tieren durch den Menschen gibt, von vornherein moralisch falsch
sein? Für diese starke These wäre eine überzeugendere tierethische Argumentation notwendig, als Haynes sie liefert. Trotz
dieser argumentativen Schwächen ist das Buch jedoch ein interessanter Beitrag zur Klärung von Bedeutung und Rolle des
Konzeptes des tierlichen Wohlergehens, der wichtige Impulse
für die tierethische Diskussion geben kann.
Kirsten Schmidt
2.11 Clare Palmer (ed.):
Animal Rights
582 Seiten, Washington: Ashgate
Publishing, 2008, Euro 180,99
Sammelbände wie der hier besprochene „Animal Rights“ bilden nicht nur allein durch ihren Umfang von über 500
großformatigen, solide gebundenen
Buchseiten einen weiteren wichtigen
Beitrag zu der beeindruckenden Leistungsschau von bereits bestehenden
tierethischen Referenzwerken, wie z.B. der „Animal Ethics Reader“. Der Band von Clare Palmer stellt durch seine insgesamt
31 ungekürzten Aufsätze zum Themenbereich „Moral and leAltexethik 2009
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Literaturbericht
gal rights for animals“ auch ein zeitgeschichtliches Dokument
der modernen Tierrechtsdebatte dar. Die meisten verwendeten
Texte erschienen erstmalig im Zeitraum von 1976 bis 1990 und
werden durch einige später erschienene (bis zum Jahr 2006)
ergänzt. Alle Texte sind vorbildlich editiert mit der OriginalPaginierung abgedruckt.
Besonders hervorzuheben ist die zwanzigseitige Einleitung
des Bandes, diese bildet eine hervorragende Tour de Force
über die Texte, die in vier Themenbereiche gegliedert sind.
Der vorliegende rote Band „Animal Rights“ erschien als sechzehnte Publikation der renommierten „International Library of
Essays on Rights“. In dieser Reihe behandelt der Band „Theory
of Rights“ ausführlich die grundlegenden rechtsphilosophischen Fragen. Eine rechtstheoretische Übersicht findet sich
zu Beginn der Einleitung etwas kurz zwar, aber durchaus mit
prägnanten Analysen versehen, wie „Two senses in particular
have been important. The first takes animal rights to be shorthand for the idea that animals have any kind of moral standing
at all.“ (XV).
Doch im Zentrum heftiger Diskussionen steht die zweite
Konzeption von Rechten „… a subset of the first. It refers to
a particular kind of moral status ... rights are entitlements. In
many cases, rights can be best understood as claims against
others.“ (XV). Vielleicht wäre zu einem speziesneutralen Verständnis noch die normentheoretische Erläuterung hilfreich
gewesen, dass allen Rechten eine bestimmte Form gemeinsam ist, die man als ihre elementare Grundstruktur bezeichnen
kann. Jedes Recht, gleichgültig was es im einzelnen bedeuten
mag, hat die Form eines dreistelligen Relationsprädikats mit
den folgenden variablen Komponenten: 1. dem Subjekt oder
Inhaber, 2. den Adressaten und 3. dem Inhalt oder Gegenstand
des Rechts (vgl. M. Stepanians (Hrsg.) 2007. Individuelle
Rechte. Paderborn: mentis).
Damit ist nun noch nicht entschieden, ob überhaupt ein Tier
oder aus säkularer Perspektive ein „non-human animal“ (XIV)
die erforderlichen Kriterien eines Trägers von moralischen
Rechten oder, juristisch noch umstrittener, die Kriterien von
„legal rights“ (XVIII) erfüllt. Mithilfe der normentheoretischen Erläuterung werden nichtmenschliche Tiere nicht schon
bereits vorweg in der formalen Grundstruktur von Rechten
durch scheinbar inhaltlich „neutrale“ Wesensbestimmungen
kategorisch als mögliche Rechtssubjekte ausgeschlossen.
Im Band “Animal Rights” bilden „Part I – Arguments in Favour of Animal Rights“ und “Part II – Critical Views on Animal
Rights – and Some Responses” den allgemein theoretischen
Teil. Der erste Teil beginnt amüsanter Weise mit „All Animals
Are Equal“(13-17) von Peter Singer, der verwendet wurde,
weil dieser bereits 1974 erschienene Text der wohl international am häufigsten zitierte und übersetzte ist. Aber bereits im
Text 11 des hier besprochenen Bandes mit dem bezeichnenden
Titel „Animal liberation or animal rights?“ (165-177) findet
sich seiner nachfolgenden utilitaristischen Argumentationsstrategie klar vorangestellt „This essay explains why I do not,
philosophically, accept the animal rights approach“.
Im ersten Teil des Buches bildet der ebenso bereits klassische Aufsatz von 1985 „The Case for Animal Rights“ von Tom
Regan die starke deontologische Konzeption von Tierrechten,
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er findet sich auch im deutschsprachigen Raum unter „Wie
man Rechte für Tiere begründet“ und wird bis in die Gegenwart oftmals verwendet.
Den Abschluss des ersten Teils von „Animals Rights“ bilden
zwei gemässigtere Tierrechtsentwürfe der bekannten Philosophin Mary Anne Warren und des leider früh verstorbenen Bioethikers James Rachels.
Der zweite Teil wird zwar mit einem Text unter dem Titel
„Animal Rights“ eröffnet, doch dessen Verfasser, der utilitaristisch orientierte Philosoph R. G. Frey, ist bekannt als einer der
langjährigsten und scharfsinnigsten Kritiker von Tierrechten.
Erstaunlicherweise finden sich weitere langjährige Kritiker,
insbesondere des starken Tierrechtskonzepts von Tom Regan,
nicht nur im zweiten Teil des Buches, sondern gerade auch in
„Part III – Animal Rights and Human Uses“. Der Philosoph
Carl Cohen, der im dritten Teil mit „The Case for the Use of
Animals in Biomedical Research“ vertreten ist, publizierte zusammen mit Tom Regan 2001 die engagierte Streitschrift „The
Animal Rights Debate“. Abschließend sei beim Teil II neben
dem einschlägigen Aufsatz von Josephine Donavan „Animal
Rights and Feminist Theory“ noch auf Evelyn Pluhar mit „Must
an Opponent of Animal Rights Also Be an Opponent of Human
Rights?“ hingewiesen. Sie gilt als eine der wichtigsten Verteidigerinnen des sehr intensiv diskutierten „Argument from
Marginal Case – AMC“, dessen These sich kurz zusammenfassen lässt in „If Animals lack rights, so to do non-paradigmatic
humans“. Der dritte Teil des AR widmet sich neben den Fragen
des Vegetarismus insbesondere der Tierversuchsdebatte. Hier
versucht der Bioethiker David Degrazia in seinem oft zitierten
Papier „The Ethics of Animal Research: What Are the Prospects
for Agreement?” eine vermittelnde und gemäßigte Position
von Tierrechten zu verteidigen.
Zu Beginn des letzten Teils „Part IV – Politicial and legal
rights for animals” findet sich bei Joel Feinberg – einem der
prominentesten amerikanischen Rechtsphilosophen – mit
seiner Analyse „The possession of interests can be seen at
this point to be the crucial mark of conceptual suitability for
right-ownership“ (408) das zentrale Argument jeder säkularen
Theorie der Rechte. Eine sehr gute Ergänzung bildet sein bereits 1980 ins Deutsche übersetzter Aufsatz „Die Rechte der
Tiere und zukünftiger Generationen“. Mit den drei Beiträgen
der prominenten amerikanischen Rechtswissenschafter Gary
Francione (425-444) „Taking Sentience Seriously“, Richard
Epstein (445-464) „Animals as Subjects, or Objects, of Rights“
und Steven Wise (477-499) „A Great Shout: Legal Rights for
Great Apes” findet sich auch der aktuelle „Legal Rights for Animals“ Diskurs der letzten Jahre hervorragend im Band „Animal Rights“ repräsentiert.
Zusammenfassend kann nur nochmals betont werden, dass
er für jeden grundlegend orientierten Tierethiker eine unverzichtbare – und nicht nur zeithistorisch wichtige – intellektuelle Ressource darstellt. So man kann nur hoffen, dass dieses
Meisterstück angesichts eines Preises von gut 180 Euro zu
mindest in den Bibliotheken seinen Platz findet.
Erwin Lengauer
47
13.12.2009 15:45:22 Uhr
Literaturbericht
2.12 Klaus Peter Rippe:
Ethik im außerhumanen
Bereich
367 Seiten, Paderborn: mentis, 2008,
Euro 32,00
Ein durchgängiges Problem der Tierethik, wenn nicht der Naturethik insgesamt, ist ihre starke Abhängigkeit
von den moralischen Intuitionen ihrer
Autoren. Außenstehende teilen diese Intuitionen nur bedingt, und wenn,
dann doch nicht mit der Schärfe, auf die gerade die radikaleren
tier- und naturschützerischen Positionen zurückgreifen. Dies
führt nicht nur des Öfteren zu intellektuellem Naserümpfen
in der engeren philosophischen community, sondern beeinträchtigt auch die öffentliche Akzeptanz und die Chancen auf
politische Umsetzung. Ein Beispiel aus der Tierethik ist Tom
Regans Konzeption eines „inherent value“ höherer Tiere, der
jede Instrumentalisierung zu menschlichen Zwecken verbietet.
Methodisch stützt sich Regan auf das Verfahren des Reflexionsgleichgewichts, das die ethische Theoriebildung als eine Art
harmonisierende Rekonstruktion vortheoretischer Intuitionen
auffasst. Im Falle Regans sind diese Intuitionen jedoch von
vornherein so stark von tierschützerischen Motiven imprägniert,
dass das resultierende „Gleichgewicht“ aus der Außenperspektive eher als Schieflage erscheint. Zwar ist die Rekonstruktion
einer bestimmten durch starke persönliche Intuitionen geprägte Sichtweise nicht ohne Verdienste, zumindest solange davon
auszugehen ist, dass sie von anderen geteilt wird. Sie ist aber
wenig geeignet, den Verbindlichkeitsanspruch der Ethik einzulösen, vor allem in einem so wenig konsolidierten Feld wie der
Ethik des Umgangs mit der außermenschlichen Natur. Dazu
bedarf es mehr, nämlich einer argumentativen Absicherung der
zugrunde liegenden Überzeugungen. Die bloße Versicherung,
dass es sich evidentermaßen so verhält, reicht nicht hin.
Klaus Peter Rippe geht in diesem Buch einen anderen Weg.
Mit einer an Leonard Nelson erinnernden Rigorosität verbannt
er alle moralischen Anmutungen in den Orkus der Bauchgefühle, die in einer rationalen Ethik nichts zu suchen haben,
und dies nicht wiederum aus einer Bauchentscheidung heraus,
sondern aus guten Gründen: Entweder moralische Wahrheiten
liegen in den Gegenständen selbst und lassen sich ihnen unter Anwendung geeigneter kognitiver Instrumente entnehmen.
Oder sie sind das Ergebnis kultureller Wertungsmuster, die im
Erkenntnissubjekt zu stabilen Wahrnehmungsweisen geronnen
sind. Da die zweite Annahme ontologisch sparsamer ist als der
moralische Realismus, spricht alles dafür, von ihr auszugehen
und kulturelle Selbstklärung und Ethik sorgfältig auseinanderzuhalten. Der anthropozentrische bias der naturethischen Intuitionen in unserem Kulturbereich lässt sich leicht durch die
Jahrtausende währende Dominanz der christlichen Metaphysik
erklären. Das sagt jedoch lediglich etwas darüber, mit welchen
Reaktionen man rechnen muss, nichts über deren Richtigkeit.
Wie sieht und wertet man die außermenschliche Natur richtig? Die erste Hauptthese dieses Buchs ist die pathozentristische These, dass alle, aber auch nur alle empfindungsfähigen
48
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Wesen moralisch zu berücksichtigen sind. Nur empfindungsfähige Wesen, und zwar als Individuen, verdienen es, als moralische Größen bei der Prüfung der moralischen Vertretbarkeit
menschlichen Naturhandelns ins Kalkül gezogen zu werden.
An dieser Position ist zunächst nichts Bemerkenswertes. Sie
entspricht nicht nur dem vorherrschenden Common Sense, sie
bildet auch die Grundlage nahezu aller Tierschutzgesetze, die
in der einen oder anderen Weise die Schutzwürdigkeit mit der
Empfindungsfähigkeit zusammenfallen lassen. Bemerkenswert
ist die Begründung, die Rippe dafür angibt und die seinem Anspruch auf intuitive Enthaltsamkeit in der Tat optimal gerecht
wird: eine von ihm „skeptische Vertragstheorie“ genannte Fundierung der Moral auf das langfristige aufgeklärte Eigeninteresse jedes Einzelnen und damit auf die solideste, aber auch die
schmalstmögliche Basis, die eine normative Ethik tragen kann.
Wie kann es im Interesse jedes Einzelnen sein, moralische
Prinzipien zu vertreten und zu befolgen, die gerade auch nichtmenschliche Lebewesen schützen – also Wesen, von denen das
Moralsubjekt weiß, dass es keine Gefahr läuft, in ihre Lage zu
geraten und möglicherweise Leiden und Frustrationen ausgesetzt zu sein, die durch eine funktionierende nicht-anthropozentrische Moral abgemildert werden könnten? Der entscheidende
Schritt besteht für Rippe in der Überlegung, dass rationale Akteure Gründe haben, von moralischen Normen gerade auch in
Situationen geschützt zu werden, in denen sie leidensfähig, aber
nicht handlungs- und/oder urteilsfähig sind. Aus einer egozentrischen Perspektive ist die Moral gerade für solche Situationen
attraktiv, in denen sich das Individuum nicht selbst durch Wort
oder Tat schützen kann. Aus einer egozentrischen Perspektive
gibt es deshalb gute Gründe, seinen Schutz an die möglichst
lückenlose Geltung altruistischer Normen zu delegieren und
entsprechende Hilfspflichten auch gegenüber anderen zu akzeptieren. Unter langfristigen Klugheitsgesichtspunkten wird
es sich ebenfalls empfehlen, die Unversehrtheit von Kindern
geschützt zu wissen, da eine reflektierende Person, auch wenn
sie selbst dem Kindesalter entwachsen ist, ein Interesse daran haben wird, im Alter von den Kindern versorgt zu werden.
Kindern Rechte zuzuschreiben, lässt sich insofern relativ problemlos im Rahmen einer von natürlichen Fürsorgeempfindungen abstrahierenden Minimalethik begründen. Warum aber
sollte ein rationales Subjekt diese Rechte auf nichtmenschliche
Empfindungssubjekte ausdehnen? An diesem bottleneck seiner
Argumentation (275) greift Rippe, so weit ich sehe, auf zwei
Argumente zurück: einerseits ein Argument der Uneindeutigkeit der Speziesgrenzen, andererseits ein Argument der Inakzeptabilität willkürlicher Differenzierungen. Nach dem ersten
Argument lässt sich zwar aktuell zwischen menschlichen und
nicht-menschlichen Tieren eine eindeutige Grenze ziehen. Das
wäre jedoch anders, lebten gleichzeitig mit uns die weiteren aus
der Paläontologie bekannten Gattungen der Hominiden. Unter
dem Eindruck der Uneindeutigkeit der Gattungsgrenzen würde auch ein rationaler Egoist bereit sein, allen leidensfähigen
Wesen ein Recht auf Unversehrtheit zuzusprechen. Nach dem
zweiten Argument würde eine Grenzziehung zwischen Mensch
und Tier riskieren, dass weitere kontingente Merkmale zur Differenzierung der Rechtezuschreibung herangezogen werden
könnten, etwa die Zugehörigkeit zu einer rassischen oder reAltexethik 2009
13.12.2009 15:45:23 Uhr
Literaturbericht
ligiösen Gruppe. An einer diskriminierenden Differenzierung
dieser Art kann jedoch auch ein rationaler Egoist kein Interesse
haben, da er selbst, würde die Moral solche Differenzierungen
zulassen, unter den Diskriminierten sein könnte.
Beide Argumente haben offenkundige Schwachpunkte.
Auch wenn man hypothetische Überlegungen einbezieht
und annimmt, dass zwischen Menschenaffen und Menschen
fließende Übergänge bestehen, würde sich im Sinne einer
skeptischen Vertragstheorie allenfalls eine Einbeziehung der
menschenähnlichsten nichthumanen Wesen, etwa im Sinne
des Great Ape Project nahelegen. Und anders als von einer
rassistischen oder religiös-partikularistischen Moral hätte
der rationale Akteur von einer exklusiv anthropozentrischen
Moral nichts zu befürchten. Eine Nötigung zur Einbeziehung
der nichtmenschlichen Empfindungssubjekte bestünde unter
vertragstheoretischen Voraussetzungen nur insoweit, als diese
über die Sanktionsmacht verfügen, auf einen Ausschluss aus
der menschlichen Moral mit einem entsprechenden Ausschluss
aus ihrer Moral zu reagieren.
Die zweite Hauptthese, die dieses Buch entwickelt (und mit
Gegenpositionen konfrontiert), fügt der ersten im Grunde nicht
viel hinzu. Besagt die erste These, dass ein rationaler Egoist,
um seine eigene körperliche Integrität zu wahren, allen übrigen
leidensfähigen Wesen ein gleiches Recht auf Unversehrtheit
zusprechen muss, beinhaltet die zweite These, dass es keinen
Grund gibt, dieses Recht irgendeinem Tier mit Verweis auf
kontingente Eigenschaften vorzuenthalten. Eine moralische
Hierarchie innerhalb der Welt der Tiere ist nicht zu verteidigen – weder so, dass (mit Schopenhauer und dem Common
Sense) zwischen Stufen der Leidensfähigkeit und den damit
verknüpften Schutzpflichten unterschieden wird, noch so, dass
Tieren die Leidensfähigkeit erst ab einer bestimmten phylogenetischen Entwicklungsstufe zuerkannt wird. Vielmehr soll
allen Tieren ein Recht auf Unversehrtheit (und damit ein Recht
auf Nicht-Tötung, bei Tieren in menschlicher Obhut auch ein
Recht auf Schutz vor Selbstschädigung) zukommen. Auch hier
greift der Autor auf die Kombination eines Uneindeutigkeitsarguments und eines Willkürverbots zurück. Die empirischen
Befunde bieten ihm zufolge weder für eine Abstufung noch für
eine eindeutige Begrenzung der Leidensfähigkeit hinreichende
Anhaltspunkte. Solange uns genauere Einblicke verwehrt sind,
kann deshalb nur die Grenze zwischen Tieren und Pflanzen als
willkürfrei gelten. Auch diese Argumentation ist nicht leicht zu
akzeptieren, auch dann nicht, wenn man im Sinne eines epistemischen Risikobegrenzungsprinzips auch Tieren mit nichtzentralisierten Nervensystemen Leidensfähigkeit zugesteht.
Wie der Autor zu Recht postuliert, bedarf es für die Zuschreibung von Leidensfähigkeit positiver Indizien. Um in den Kreis
der moralisch signifikanten Wesen eingeschlossen zu werden,
reicht es nicht, dass Empfindungsfähigkeit nur nicht auszuschließen ist. Andernfalls müssten die von Rippe geforderten
Unversehrtheitsrechte auch Pflanzen – etwa im Sinne von Paul
Taylors biozentristischem Egalitarismus – zukommen. Gibt
es aber dieselben Indizien für Empfindungsfähigkeit wie bei
Kopffüßern (die von einigen Tierschutzgesetzen mittlerweile geschützt werden) auch bei evolutionär älteren Tieren wie
Schnecken und Amöben?
Altexethik 2009
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Damit sind nur die Grundlinien der Argumentation dieses
hochaktuellen Buchs nachgezeichnet, das dem Anspruch seines Titels umfassend gerecht wird und auf dem Hintergrund der
Erfahrungen des Autors in der Politikberatung sehr viel mehr
bietet als akademische Begründungsdiskurse. Weitere Themen,
derentwegen sich eine Lektüre lohnt, sind eine genaue Prüfung
der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Anwendung von
Würdebegriffen auf nichtmenschliche Tiere (Kap. 3), eine im
Rahmen von Rippes egalitärem Pathozentrismus konsequente
Relativierung des Artenschutzes (Kap. 9) sowie eine Verteidigung des Vorrangs von Unversehrtheitsrechten vor Güterabwägungen (Kap. 15) mit dem Resultat eines Prima-facie-Verbots
nicht nur der Tötung von Tieren zu menschlichen Zwecken,
sondern auch der Unterwerfung von Tieren unter anerkannt
nützliche, aber belastende Tierversuche.
Dieter Birnbacher
2.13 Kirsten Schmidt:
Tierethische Probleme der
Gentechnik. Zur moralischen
Bewertung der Reduktion
wesentlicher tierlicher
Eigenschaften
386 Seiten, Paderborn: mentis, 2008,
Euro 54,00
Nach überwiegender Auffassung besteht die Zielsetzung des Tierschutzes
in erster Linie darin, Tiere vor unangenehmen Erfahrungen, d.h. vor der Zufügung von Schmerzen
und Leiden, zu bewahren bzw. ihr Wohlbefinden sicherzustellen. In beiden Fällen dienen – negative oder positive – Empfindungen von Tieren als Anknüpfungspunkt für die Formulierung
ethischer und rechtlicher Normen. Allerdings zeigt eine genauere Auseinandersetzung mit Maßnahmen, die nicht notwendigerweise mit negativen Empfindungen der betroffenen Tiere
einhergehen, dass der Schutz der Tiere nicht hinreichend gewährleistet werden kann, wenn – wie im pathozentrischen Bezugsrahmen – ausschließlich auf ihre subjektive Befindlichkeit
abgestellt wird. Bereits im Zusammenhang mit der tierethischen
Diskussion der „Tötungsproblematik“ hat sich gezeigt, dass ein
rein pathozentrisch ausgerichtetes Tierschutzkonzept jedenfalls
dann zu kurz greift, wenn man die Fiktion der „Schmerzlosigkeit“ unrealistischerweise wörtlich nimmt.
Nunmehr zeigt die Biologin und Philosophin Kirsten
Schmidt in ihrer am Lehrstuhl für Ethik in Medizin und Biowissenschaften der Ruhr-Universität Bochum verfassten Dissertation, dass dieses Defizit auch im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Tieren manifest wird. Die Autorin setzt
sich in ihrer umfangreichen Studie weder mit biomedizinischen
Forschungsvorhaben oder Gene-Pharming (vgl. dazu Besprechung des Bandes „Pharming“ in diesem Heft) auseinander,
sondern widmet sich ausschließlich jenen biotechnologischen
Anstrengungen, die das Ziel verfolgen, durch gentechnische
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13.12.2009 15:45:23 Uhr
Literaturbericht
Eingriffe besser angepasste Nutztiere hervorzubringen bzw.
deren Leistungen zu optimieren. Ausgangspunkt für Schmidts
Analyse sind gentechnische Veränderungen an Tieren, die zu
einer Reduktion bzw. Eliminierung tierlicher Eigenschaften
führen, wobei die Bandbreite solcher Veränderungen, z.B.
hornlose Rinder, blinde Hühner und – vorerst noch auf der
Ebene eines Gedankenexperiments – empfindungslose QuasiTiere umfasst.
Schmidt unternimmt zunächst den Versuch, die Reduktion
tierlicher Eigenschaften durch genetische Eingriffe nach ihrer
Auswirkung auf das Tier zu klassifizieren und schlägt zu diesem Zweck eine vierteilige Skala vor: Stufe 1 umfasst Eingriffe,
welche die tierlichen Eigenschaften nicht reduzieren, sondern
lediglich verändern (z.B. Expression menschlicher Proteine,
fluoreszierendes Fell); Stufe 2 beinhaltet Eingriffe, die durch
konventionelle Züchtung ungewollt selektierte Eigenschaften
eliminieren, die das tierliche Wohlbefinden beeinträchtigen
(z.B. verstärkte Mastitisdisposition bei Hochleistungsrindern).
Eingriffe, die der Stufe 3 zuzuordnen sind, reduzieren wesentliche artspezifische Eigenschaften, Fähigkeiten oder Bedürfnisse
der betroffenen Tiere (z.B. Eliminierung des Sehvermögens, des
Nisttriebs oder der Fähigkeit zur Schmerzempfindung). Stufe 4
schließlich umfasst Maßnahmen, welche die tierliche Aktivität
auf die Aufrechterhaltung der erwünschten physischen Prozesse
(z.B. Eierproduktion, Muskelwachstum) reduziert.
Als Ausgangspunkt wählt Schmidt das spektakuläre Beispiel
blinder Hühnermutanten, die in den USA als Legehennen weitergezüchtet wurden. Geht man davon aus, dass ein blind geborenes Tier keine Minderung seines subjektiven Wohlbefindens
wahrnimmt, so wäre dieser Praxis aus einer ausschließlich pathozentrischen Perspektive kaum etwas entgegenzuhalten. Werden durch den Sehsinn (mit-)gesteuerte Verhaltensstörungen wie
Federpicken und Kannibalismus in einer Herde blinder Hühner
reduziert, so könnte das fehlende Sehvermögen als Maßnahme
zur Stressreduktion sogar aus Tierschutzgründen Befürworter
finden, was – wie die Autorin zeigt – selbst unter Tierethikern
(z.B. Ryder und Rollin) auch tatsächlich der Fall ist. Dennoch
würde diese Praxis von vielen Menschen intuitiv abgelehnt. Da
die moralische Intuition aber als äußerst fragwürdiges Kriterium moralischer Entscheidungen gilt, macht sich die Autorin auf
die Suche nach tragfähigen Kriterien, die geeignet sind, ethisch
vertretbare Eingriffe am tierlichen Erbgut von ethisch unvertretbaren Maßnahmen abzugrenzen.
Ein weiteres Problem, das in Schmidts Untersuchung breiten Raum einnimmt, ist das Phänomen der sog. AMLs („animal
microencephalic lumps“, „Tierklumpen“), die durch gentechnische Eingriffe auf ihre Produktionsfunktion beschränkt wurden
und als empfindungslose Entitäten („vegetable animals“, „vegemals“) nicht mehr den moral patients zuzurechnen wären. Ganz
abgesehen davon, dass die Entwicklung solcher (vermeintlich?) empfindungsloser Entitäten mit Schmerzen und Leiden
für Eltern- und Vorgängergenerationen verbunden ist, gilt es in
diesem Zusammenhang zu bedenken, dass auch das bloße „InExistenz-Bringen“ eine Schädigung bedeuten kann, wenn das
hervorgebrachte Leben nicht lebenswert ist (vgl. dazu auch die
kritische Beurteilung von Genetically modified insentient animals durch A. Ferrari in ALTEX 4/2006).
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Nach einer Überprüfung der bislang vorgeschlagenen Ansätze zur Lösung des „blind hen problems“ kommt Schmidt zum
Ergebnis, dass weder die Anerkennung eines normativen Eigenwertes von Tieren (Würde, Integrität, Telos) noch ein Wohlergehensansatz für sich allein genommen das Dilemma auf plausible
Weise lösen können. Während die Autorin das Konzept der Würde als missverständliche Bezeichnung eines bestimmten Typs
von Eigenwert (213) zu Recht skeptisch betrachtet und zuletzt
als untaugliche Kategorie verwirft, arbeitet sie in überzeugender
Weise das Potential des Integritätskonzeptes heraus, das als Kriterium zur Operationalisierung eines bereits vorausgesetzten tierlichen Eigenwertes durchaus fruchtbar angewendet werden kann:
„Wenn wir einen Ansatz vertreten, bei dem Lebewesen mit eigenem Wohlergehen einen normativen Eigenwert besitzen, dann
muss Integrität als Grundlage bzw. unabdingbare Voraussetzung
für dieses Wohlergehen ein entscheidendes normatives Kriterium
für uns sein. Sie ist deshalb ein so zentrales Kriterium, weil die
Integrität des Organismus […] ein entscheidendes – vielleicht das
entscheidende – Merkmal des Lebendigen ist.“ (183).
Wenngleich sich Schmidt keine abschließende moralische
Beurteilung der in der Arbeit aufgeworfenen Fragen anmaßt
(vgl.16), schlägt sie am Ende ihrer umfangreichen Analyse einen
durchaus plausiblen Ansatz vor, der darin besteht, das „blind hen
problem“ durch eine Kombination des Integritätskonzeptes und
eines erweiterten Wohlergehensansatzes zu lösen. Danach ist
die Reduktion wesentlicher tierlicher Eigenschaften unabhängig
vom subjektiven Wohlempfinden des betroffenen Tieres ethisch
relevant, denn „alle empfindungsfähigen Lebewesen besitzen neben dem subjektiven auch ein objektives Wohlergehen, das zentral für ihr Leben als Organismus ist“ (365). Zu diesen grundlegenden Aspekten zählen vor allem die tierliche Integrität und das
objektive tierliche Wohl, das neben dem subjektiven Wohlempfinden wesentlicher Bestandteil eines Wohlergehens im umfassenden Sinn ist: „Tierliches Wohlergehen und tierliche Integrität
können nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sondern
verweisen wechselseitig aufeinander.“ (365). Auch dann, wenn
eine gentechnische Veränderung offenkundig nicht zu Schmerzen oder Leiden führt, stellt sie doch immer eine Verletzung der
tierlichen Integrität und des Wohlergehens in einem umfassenden Sinn dar, die moralisch berücksichtigt werden muss.
Die vorliegende Arbeit besticht nicht nur durch die genaue
Analyse der verwendeten Begriffe und die akribische Aufarbeitung auch selten rezipierter tierethischer Ansätze, sondern auch
durch die systematische Darstellung komplexer moralischer
Fragestellungen und die Erarbeitung eines integrativen und
einfach operationalisierbaren Lösungsansatzes. Nur durch eine
Kombination pathozentrischer und anthropozentrischer Tierschutzaspekte, durch Einbeziehung subjektiver und objektiver
Kriterien, durch einen Wechsel zwischen Innen- und Außenperspektive und durch die Einbeziehung konsequentialistischer
und deontologischer Argumente kann eine differenzierte, plausible und tragfähige Beurteilung komplexer moralischer Fragestellungen gelingen.
Im Tierschutzrecht ist die Lösung der von Kirsten Schmidt
behandelten Problematik allerdings längst vorgegeben: Obwohl
das Ziel der Tierschutzgesetzgebung vor allem in der Vermeidung bzw. Minimierung ungerechtfertigter Schmerzen und
Altexethik 2009
13.12.2009 15:45:23 Uhr
Literaturbericht
Leiden besteht und das moderne Tierschutzrecht daher grundsätzlich dem pathozentrischen Tierschutzkonzept verpflichtet
ist, weist der häufig vernachlässigte Begriff des „Schadens“
über den pathozentrischen Bezugsrahmen hinaus, indem aus
der Außenperspektive zu beurteilen ist, ob sich der (physische
oder psychische) Zustand eines Tieres durch eine menschliche
Einwirkung zum Schlechteren verändert hat (vgl. Binder und v.
Fircks, 45). Bereits das Tierschutzrecht stellt damit klar, dass
das ausschließliche Abstellen auf die subjektive tierliche Befindlichkeit nicht ausreicht, um den Schutz der Tiere zu gewährleisten. Sandøes und Holtungs kategorische Feststellung “[…]
welfare is all that matters in our moral obligations to animals“
(319) bleibt damit deutlich hinter den tierschutzrechtlichen
Anforderungen zurück. Erst durch den tierschutzrechtlichen
Schadensbegriff und das dadurch vorgegebene Korrektiv der
Außenperspektive gelingt es, Integritätsverletzungen, die nicht
mit einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens einhergehen, als
tierschutzrelevant und damit als rechtfertigungsbedürftig zu
identifizieren. Bei der Abgrenzung gerechtfertigter von ungerechtfertigten Schäden könnte indes die von Kirsten Schmidt
vorgeschlagene Skala wertvolle Hilfe leisten. Es bleibt daher zu
hoffen, dass Gesetzgeber und Vollzugsbehörden sich im Rahmen der Weiterentwicklung bzw. Anwendung der einschlägigen Rechtsvorschriften mit den ethischen Grundlagen der Entscheidungsfindung auseinandersetzen. Die Arbeit von Kirsten
Schmidt sei ihnen dabei sehr ans Herz gelegt. Regina Binder
Literatur
Binder, R. (2005). Ethische Konzepte und Wertungswidersprüche im (österreichischen) Tierschutzrecht). DVG (Hrsg.),
Tagung der Fachgruppen „Tierschutzrecht“ und „Tierzucht,
Erbpathologie und Haustiergenetik“, Nürtingen, 24.-25. 2.
2005 (10-20).
Binder, R. und v. Fircks, W.-D. (2008). Das österreichische
Tierschutzrecht. 2. Aufl. Wien: Manz.
Ferrari, A. (2006). Genetically modified Laboratory Animals in
the Name of the 3Rs? ALTEX 23, 4/06, 294-307.
2.14 Gary Steiner: Animals
and the Moral Community:
Mental Life, Moral Status, and
Kinship
232 Seiten, New York: Columbia
University Press, 2008, Euro 29,99
In seinem Buch “Animals and the moral community” setzt sich Gary Steiner
– John Howard Harris Philosophieprofessor an der nordamerikanischen
Bucknell Universität – mit dem Zusammenhang zwischen Theorien über den mentalen und moralischen Status von Tieren auseinander. Bereits in seinem Buch
„Anthropocentrism and its Discontents: The moral Status of aniAltexethik 2009
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mals in the History of Western Philosophy“ (2005) behandelte
Steiner diese Frage aus geschichtsphilosophischer Perspektive.
Damit knüpft er an eine der aktuellsten Diskussionen im Bereich
der Tierethik an: die Diskussion über die ethische Relevanz der
kognitiven Fähigkeiten von Tieren. Die Popularität dieser Fragestellung zeigt sich u.a. anhand anderer Publikationen, die im
aktuellen ALTEXethik Literaturbericht rezensiert werden (siehe
insbesondere das Buch von Francione, das Steiner übrigens in
seiner Danksagung nennt).
Steiners Buch besteht aus sechs Kapiteln: Die ersten drei sind
einer Kritik der verbreiteten Theorie über den Geist der Tiere
und zugleich der Etablierung einer neuen Interpretation einer
solchen Theorie gewidmet. In den drei folgenden Kapiteln diskutiert er die praktischen Probleme einer Theorie, die den moralischen Status auf den mentalen Status aufbaut, lehnt diese ab
und skizziert einen „kosmischen Holismus“ als Perspektive für
die Gewährleistung eines angemessenen Tierschutzes.
Im ersten Kapitel setzt sich Steiner mit der wichtigsten zeitgenössischen Theorie der Philosophie des Geistes auseinander.
Vertreter dieser Theorie (wie bspw. McDowell, Davidson, Dennett und Malcom) verweisen auf einen Unterschied in der Komplexität der kognitiven Fähigkeiten von Tieren und Menschen;
sie leugnen zugleich, dass Tiere zur Intentionalität oder konzeptuellen Abstraktion fähig sind. Dabei erinnert uns Steiner, dass
die eigentliche Herausforderung darin besteht, das triviale cartesianische Vorurteil, d.h. die Gleichsetzung der Tiere mit Maschinen, gegenüber der Intelligenz von Tieren beizubehalten, ohne
ihnen ein höheres Niveau an Intelligenz zuzuschreiben, als sie
eigentlich zeigen (25). Die zeitgenössische ethologische Diskussion hat sich für die Überwindung des behavioristischen Ansatzes ausgesprochen, indem sie sich zu einer kognitiven Ethologie
gewandelt hat. Der behavioristische Ansatz besagt, dass man
keine definitive Antwort zur Frage des mentalen Lebens von
Tieren geben kann, und dass deshalb die Beobachtung von Verhalten der angemessene Weg sei. Eine solche Überlegung setzt
die Überzeugung voraus, dass es tatsächlich möglich ist, die
Komplexität des mentalen tierischen Lebens mit wissenschaftlichen Instrumenten (vor allem durch Analogie) zu erforschen.
Andere Autoren haben in der Tat viele gute Gründe genannt, um
eine solche Möglichkeit erkenntnistheoretisch zu verteidigen:
Donald Griffin, einer der Gründer der kognitiven Ethologie, hat
erklärt, dass Tiere aufgrund ihrer physiologischen Ähnlichkeit
und ihrer evolutionären Kontinuität mit den Menschen denken
können; Ruth Millikan hat zwischen Repräsentationen, wie
Präpositionen oder Gedanken, und allgemeiner Intentionalität
unterschieden. Damit klassifiziert sie unterschiedliches Tierverhalten (siehe Kapitel 2). Für Steiner stellt das Alltagswissen
in der Wahrnehmung tierischen Verhaltens die implizite Basis
dieser Theorie dar, auf die dann viele Autoren wie Searle und
Nussbaum immer wieder zurückgreifen (42).
Im dritten Kapitel skizziert Steiner seine eigene Theorie. Diese
zielt darauf ab, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen zwei
Auffassungen herzustellen: Einerseits zwischen der „intellektuellen“ Auffassung tierischer Fähigkeiten, die Tieren begriffliche Abstraktion und propositionale Einstellungen zuschreibt,
und andererseits der „informationalen-prozessualen“ Auffassung, die zur Erklärung dieser Fähigkeiten jeglichen Bezug auf
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13.12.2009 15:45:24 Uhr
Literaturbericht
Selbstbewusstsein oder Intentionalität von Tieren ablehnt. Indem er auch in der ontologischen Bezeichnung der Trennlinie
zwischen Menschen und Tieren immer das wichtige Ziel der
Überwindung von Anthropozentrismus vor Augen hat, erklärt
er, dass Tiere nur Wahrnehmungsrepräsentationen (perceptual
representations) haben können, die zu bestimmten Zielen durch
komplexe Zusammenhänge und nicht durch begriffliche Assoziation verbunden sind. Dadurch gründet Steiner seine Auffassung auf die Theorie Humes über Assoziation, indem zwischen
Vorstellungen und Tatsachenurteilen unterschieden wird: Tiere
können nur Tatsachenurteile bilden (79ff). Dies ermöglicht Steiner zu erklären, warum Tiere nur in Anwesenheit von konkreten
Stimuli über „entfernte Ereignisse“ und nicht über ihre eigene
Wahrnehmungsrepräsentationen denken können.
Im vierten Kapitel bezeichnet er die Fähigkeit, Wahrnehmungserfahrung zu haben, als hinreichende aber nicht notwendige Bedingung für die Anerkennung des moralischen Status
(in einer Fußnote erklärt er die Absicht, sein nächstes Buch
dem Thema des moralischen Status der nicht leidensfähigen
Natur zu widmen). In Bezug auch auf die von Francione schon
entwickelten Argumente der Kritik gegen den „similar-minds“Ansatz lehnt Steiner explizit jeden Versuch ab, die moralische
Relevanz der Tiere durch den Rekurs auf ihre mentalen Fähigkeiten zu gründen und setzt sich kritisch mit den wichtigsten
Positionen der liberalen Tradition (wie z.B. Locke, Kant und
Regan) auseinander. Im Unterschied aber zu Francione begründet er diese Theorie nicht so sehr in einer Rechtstheorie,
sondern er ist davon überzeugt, dass Tierrecht eine holistische
Kosmologie als Hintergrund benötigt. Der Fehler der liberalen
Ansätze besteht Steiner zufolge in ihrem Versuch, den moralischen Status von Tieren im Hinblick auf eine Kategorie auszuweiten, die eigentlich nur der menschlichen Sphäre angehört:
auf soziale Gerechtigkeit (105). Dagegen entwickelt Steiner im
fünften Kapitel einen Ansatz um den Begriff von kosmischer
Gerechtigkeit, indem die fundamentale Abhängigkeit aller Lebewesen im Mittelpunkt steht, stark zu machen. Kosmische
Gerechtigkeit erfordert eine komplette Veränderung unseres
Verhältnisses zur Natur durch die Anerkennung der natürlichen Kontinuität und Verwandtschaft der Lebewesen. Im letzten Kapitel setzt er sich mit der liberalen Kritik zum Holismus
auseinander, die er als faschistisch und diskriminierend gegenüber den Rechten der Einzelnen kritisiert: Francione bezieht
sich einerseits auf Schopenhauer, der die Kontinuität zwischen
Menschen und Tieren in ihrer Erfahrung von Leiden betont.
Nach Schopenhauer partizipieren sowohl Menschen als auch
Tiere am Willen zum Leben. Zugleich bezieht sich Francione
auch auf die Dialektik von Hegel, in der das Individuum mit
seinem Eintritt in die Rechtsgemeinschaft alle Oppositionen
und Interessenkonflikte zwischen sich und der Gemeinschaft
aufhebt. Mit diesen beiden Ansätzen sieht er die Möglichkeit
einer Gemeinschaft der Gleichwertigen unabhängig von der
Spezieszugehörigkeit. Kosmische Gerechtigkeit erfordere die
Ablehnung der Gewalt gegenüber Tieren (wie sie sich durch
eine vegane Lebensweise ausdrückt), sowie soziale Gerechtigkeit es in Bezug auf Menschen tut (163).
Der erste Teil des Buches bietet eine präzise Zusammenfassung der wichtigsten Fragen über den tierischen Geist in der ak52
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tuellen Debatte, sowie interessante Anregungen über die Grenzen kognitiver Ethologie. Seine eigene Theorie über tierische
Kognition, die selbstverständlich viel reicher als meine knappe
Beschreibung ist, liefert gleichzeitig eine interessante Interpretation von Verdiensten und Grenzen der Erkenntnistheorie von
Hume und regt eine weitere Diskussion an. Insbesondere lässt
dieses Buch uns mit der Frage zurück, inwieweit tatsächlich
die ethologischen Studien zu kognitiven Fähigkeiten von Tieren für den politischen Tierschutz relevant sind. Der zweite Teil
des Buches enthält eine interessante Auseinandersetzung mit
der liberalen Tradition sowie eine präzise Begründung seiner
Position. Steiner setzt sich eher mit der theoretischen Herausforderung seiner Position auseinander und thematisiert weniger
ausführlich die praktischen Konsequenzen eines kosmischen
Holismus (außer der Verteidigung von Veganismus), was man
sich als Leser aber auch wünschen würde.
Arianna Ferrari
3 Ethik interdisziplinär
3.1 Frans de Waal:
Primaten und Philosophen.
Wie die Evolution die Moral
hervorbrachte
220 Seiten, München: Hanser, 2008,
Euro 19,90
Zu erfahren, dass der Mensch seine Existenz nicht einem besonderen
Schöpfungsakt verdankt, sondern
vom Affen abstammt, war nach Sigmund Freud eine der großen Kränkungen, die die Menschheit hinnehmen musste. Nun soll auch
noch unsere Moral von den ungeliebten Vorfahren herrühren;
eine Behauptung, die seit geraumer Zeit nicht nur ins Feuilleton, sondern auch in die seriöse wissenschaftliche Literatur
Eingang gefunden hat. Dort, wo Charles Darwin aufhörte, beginnt der Primatenforscher Frans de Waal.
Letzterer will zeigen, dass die Moral ein Evolutionsprodukt ist und sich nicht erst seit der Existenz der menschlichen
Spezies nachweisen lässt. Dies belegt er durch eindrucksvolle Tierbeobachtungen. Er berichtet von einem erwachsenen
Schimpansen, der ein Kleinkind vor dem Ertrinken retten
wollte, obwohl Schimpansen nicht schwimmen können. Ein
anderer tröstet einen Artgenossen, der gerade im Kampf unterlegen war; ein weiterer beobachtet, wie seine Tante vergeblich versucht, Reifen wegzuräumen und interpretiert offenbar,
dass sie an das Wasser im unteren Reifen kommen will. Er
räumt sie alle weg und schafft den Reifen mit dem Wasser zu
ihr. Ein anderer wiederum bringt einen verletzten Vogel in den
oberen Bereich des Geheges und hilft ihm beim Wegfliegen.
So reihen sich Beispiele an Beispiele in den hier vorliegenden
„Tanner-Lectures“ de Waals an der amerikanischen Princeton
University im Jahre 2003/2004.
Altexethik 2009
13.12.2009 15:45:24 Uhr
Literaturbericht
Bekannte Philosophen wie Peter Singer und Philip Kitcher
bekamen in den ebenfalls abgedruckten Beiträgen Gelegenheit, sich mit de Waals Ausführungen auseinander zu setzen.
Die bedeutendste unter denen, die de Waals kommentieren,
ist Christine M. Korsgaard. Auf ihre scharfsinnigen Einwände
muss eingegangen werden. Sie arbeitet die Unterschiede von
Tieren und Menschen in moralischer Hinsicht heraus. Menschen hätten im Gegensatz zu Tieren die Fähigkeit zur normativen Selbstbestimmung, zur Autonomie. Erst auf dieser Ebene trete die Moral hervor, die nicht allein unseren Intentionen
zu verdanken sei, sondern Korsgaard bestimmt sie als „Funktion der Ausübung unserer Selbstbestimmung“. Dies schlage
sie als Antwort auf de Waals Frage vor, was denn an unserem
Verhalten anders sei als an dem der nichtmenschlichen Spezies und uns damit zu moralischen Wesen mache. Die Autonomie sei zugleich die Quelle unserer Fähigkeit zum Bösen wie
zum Guten. Tiere hingegen könnten nicht für ihre Handlungen
verantwortlich gemacht und verurteilt werden, wenn sie ihren
stärksten Impulsen und ihren Instinkten folgten. Tiere seien
nicht niederträchtig, sondern stünden jenseits des moralischen
Urteils.
De Waal erhielt Gelegenheit, auf alle Einwände und Kritiken zu antworten. Seine Replik ist eine grundlegende Darstellung seiner Moralauffassung, die das Lesenswerteste an dem
ganzen Buch ist, sieht man einmal von Korsgaards Beitrag ab.
In diesem Teil führt er aus, dass seine Theorie eine Kontinuitätstheorie ist: Moral entwickle sich von der einfachen Form
bei Tieren zur höheren bei Menschen. Die Moral habe drei
Ebenen: 1. Die moralischen Gefühle, 2. die soziale Sanktionierung beim Regelverstoß, 3. Beurteilung und Überlegung.
Er gehe davon aus, dass die ersten 1½ Ebenen bei Primaten
bereits vorlägen. Moralische Gefühle seien etwa die Fähigkeit
zur Empathie, die Neigung zur Reziprozität, Sinn für Fairness
und Harmonie. Weiterhin: Moralische Sanktionen sind in Primatenkolonien bereits zu beobachten. Mit der dritten Ebene
widerspricht er Korsgaard nicht, sondern stimmt ihr zu, dass
diese der menschlichen Spezies vorbehalten ist.
Korsgaard würde widersprechen, dass wir schon die erste
moralische Ebene mit den Primaten teilten. Hier kritisiert sie
die Untersuchungsmethode de Waals, die sich lediglich in Beobachtung erschöpfe: Ein Kapuzineraffe wies die ihm angebotene Gurke zurück, wenn seine Partnerin eine Weintraube
angeboten bekam. Protestiert er nun gegen die Ungerechtigkeit, wie de Waal interpretiert oder spekuliert er einfach auf
die Traube, fragt Korsgaard. Teilen Schimpansen die Nahrung
mit denen, die sie gegroomt haben, aus Dankbarkeit oder weil
sie durch das Groomen entspannt sind?
Das sind offene Fragen, die in dem Buch aufgeworfen werden und uns, die Wissenschaft und das Feuilleton noch länger
beschäftigen werden. Das Buch ist deshalb lesenswert, weil es
das Pro und Contra in dieser Debatte gut präsentiert.
Detlef Horster
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3.2 Marc Bekoff: Das
Gefühlsleben der Tiere. Ein
führender Wissenschaftler
untersucht Freude, Kummer
und Empathie bei Tieren
234 Seiten, Bernau: animal learn
Verlag, 2008, Euro 20,00
Bekoff unterstützt die These von der
Existenz vielfältiger Emotionen bei
nicht-menschlichen Tieren. Er gliedert
sein Buch in sechs Kapitel, wovon sich das erste mit Argumenten für die Gefühle der Tiere und deren Bedeutung beschäftigt.
An das zweite Kapitel (Kognitive Ethologie und das Studium
des Verstandes und der Herzen von Tieren) schließt sich Kapitel
drei (Tierische Leidenschaften: Was Tiere fühlen) und schließlich
ein viertes Kapitel zu Gerechtigkeit, Empathie und Fairplay bei
Tieren an. Bekoff schließt mit zwei Kapiteln, in denen er auf
Antworten für Skeptiker und auf Ethische Entscheidungen eingeht. Damit steht die Frage, was wir mit unserem Wissen über
die Gefühle von Tieren tun, am Ende seines Buches.
Wer als Laie das Buch zur Hand nimmt (und womöglich auch
noch den Umgang mit Tieren gewöhnt ist), wird sicherlich viele eigene Erlebnisse bestätigt sehen. Nähert man sich aber als
Wissenschaftler und Experte diesem Buch, dann muss man sich
eventuell an die Herangehensweise des Autors erst gewöhnen –
kann aber einiges lernen, was in der sonst trockenen Fachliteratur verloren geht. Ethische Fragen zu stellen, so Bekoff, läge
beispielsweise „in der besten Tradition der Wissenschaft“ und an
mitfühlender Wissenschaft und mitfühlenden Wissenschaftlern
wäre nichts Falsches (44f.). Dass man lange keine Emotionen bei
Tieren gefunden habe, läge daran, dass man Gefühle nicht unter
einem Mikroskop sehen könne. In Wirklichkeit sei der Versuch,
gegen ihre Existenz zu argumentieren, „schlechte Biologie“. Die
Forschung der Evolutionsbiologie, Kognitiven Ethologie und
Sozialen Neurowissenschaften unterstützte die Ansicht, dass
„sich bei zahlreichen Spezies [Emotionen] als Adaptionen entwickelt [haben]. Sie dienen als sozialer Kitt, der Tiere miteinander
verbindet. Zusätzlich stabilisieren und regulieren Gefühle eine
Vielzahl sozialer Begegnungen […] und sie erlauben es Tieren
sich angepasst und flexibel selbst zu schützen.“ (14)
Selbstverständlich bestehen hinsichtlich von Emotionen Unterschiede zwischen den Arten, die etwa in den unterschiedlichen Gehirngrößen begründet liegen. Es gäbe allerdings keinen
Nachweis dafür, dass diese Differenzen bedeuten, dass Tiere
mit einer geringeren Gehirnmasse im Vergleich zur Körpermasse kein reiches Gefühlsleben hätten: „Statt anzunehmen, dass
Fische weniger fühlen als Mäuse und Mäuse weniger fühlen als
Schimpansen oder dass Ratten nicht so emotional sind wie Hunde oder Wölfe oder, ganz allgemein, dass Tiere weniger fühlen
(und weniger wissen und weniger leiden) als Menschen, lassen
Sie uns annehmen, dass zahlreiche Tiere vielfältige Emotionen
haben und alle Formen von Leid empfinden, möglicherweise sogar in einem größeren Ausmaß als der Mensch.“ (43)
Bekoffs vielfältige Beispiele und Forschungsergebnisse erzählen auf den folgenden Seiten etwa von trauernden Elstern,
die am Straßenrand angesichts einer tot gefahrenen Artgenossin
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Literaturbericht
ein ähnliches Verhalten zeigten, wie wir es von Elefanten kennen (21). Neben den vielen Tierbeispielen führt Bekoff außerdem in die (nicht-invasiven) Methoden der Ethologie ein, betont
den Wert der Freilandforschung und trifft wichtige Unterscheidungen, beispielsweise die zwischen Primär- und Sekundäremotionen (27f.). Bei letzteren handele es sich um komplexere
Emotionen, die höhere Gehirnzentren in der Großhirnrinde mit
einbeziehen. Das Individuum denkt über sie nach und entscheidet, wie es mit ihnen umgehen soll, es gewinnt dadurch Flexibilität in der Reaktion auf sich ändernde Situationen und stellt
eine Verbindung zwischen Gefühlen und Handlungen her (28f.).
Hier kann der Leser bereits ahnen, dass es Bekoff im Folgenden
sicherlich auch um Sekundäremotionen bei Tieren gehen wird.
Komplexeren Gefühlen wendet sich der Autor spätestens in
seinem Kapitel über Sinn für Humor und Ehrfurcht bei Tieren,
etwa in der Mitte des Buches, zu. Er kommentiert Beispiele wie
den Wasserfall- und Regentanz von Schimpansen oder beschäftigt sich etwa mit Trauer bei Tieren als dem „Preis für enge soziale Bindungen“ (87). Bereits vor dem vierten Kapitel hat der
Autor also Beispiele und Argumente für Emotionen angeführt,
die über Primäremotionen hinausgehen.
Nun wendet er sich Gerechtigkeit, Empathie und Fairplay zu.
Hierbei handelt es sich um eines von Bekoffs Spezialgebieten.
Besonders im Zusammenhang mit dem Spielverhalten von Hunden, Koyoten und Wölfen hat er sich selbst intensiv mit diesen
Phänomenen beschäftigt. Er stellt die Frage in den Mittelpunkt,
ob Tiere Moralfähigkeit besitzen, in dem Sinne, dass sie nach
Absprachen handeln.
Bekoff geht ausführlich auf die Charakteristika und die
Funktionen des Spiels ein (hier, wie auch an einigen anderen
Stellen, hatten die Übersetzer wohl Mühe, angemessene deutsche Formulierungen zu finden und hätten vielleicht besser die
englischen Begriffe beibehalten) und stellt etwa Rollentausch,
Selbstbehinderung und Spielsignale wie die Vorderkörpertiefstellung bzw. Spielverbeugung dar. Außerdem weist er im Laufe
des Kapitels sein Verständnis von Moral als pro-sozialem Verhalten klar aus. Das Spiel der Tiere, so meint er, folge der goldenen Regel ("Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch
keinem andern zu"), was Empathie und gegenseitigen Austausch
erfordere (111). „Die zur Fortsetzung eines Spiels nötige Ebenbürtigkeit und Fairness unterscheidet es von anderen Formen
des kooperativen Verhaltens (wie Jagen und Versorgen). Spiel
ist vielleicht der einzige Gleichmacher. Wenn wir Gerechtigkeit
und Moral als soziale Regeln und Erwartungen definieren, die
Unterschiede zwischen Individuen ausgleichen, um die Harmonie in der Gruppe zu gewährleisten, dann beobachten wir genau
das, wenn Tiere miteinander spielen.“ (114). Wichtig ist Bekoff,
dass es sich bei dem bisher beschriebenen um moralische Werte handelt. Ethische Werte werden im Gegensatz dazu erst im
moralphilosophischen Nachsinnen darüber, „warum das Gute
gut ist“ gewonnen. Sie seien „ein ausgesprochen menschliches
Phänomen“ (112f.).
Immer mehr Biologen, Neurowissenschaftler, Philosophen
und Ethologen würden – entgegen dem traditionellen „Exklusivrecht“ des Menschen auf Moral – anfangen zu denken, dass
„Moral eine allgemein anwendbare Strategie ist, die sich bei
vielen Spezies entwickelt hat. Ich behaupte nicht, dass tierisches
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Moralverhalten dasselbe ist wie menschliches. Mein Ansatz ist
eher der, dass das Phänomen, das man als ‚Moral’ bezeichnet,
für das Sozialleben eine weit reichende biologische Notwendigkeit darstellt. Wie Gefühle ein Geschenk unserer Vorfahren
sind, so sind es auch die grundlegenden Bestandteile der Moral: nämlich Kooperation, Empathie, Fairness, Gerechtigkeit
und Vertrauen“ (111).
Ab Kapitel 5 nimmt das Buch noch einmal eine Wende.
Bekoff spricht nun verstärkt über ethische und wissenschaftstheoretische Fragen. Wertfreie Forschung, so meint er, gäbe
es nicht. Die ethische Einstellung jedes Wissenschaftlers beeinflusse, wie er Studien durchführe, Daten erkläre und diese
interpretiere (137). Damit stellen sich zentrale Fragen: Haben
Persönlichkeit, Intuitionen und Gefühle eines Forschers jemals
einen Platz in der Wissenschaft? „Wann wird aus subjektivem
Wissen objektive Wahrheit“ und „wie viel Forschung und welche Art von Forschung ist notwendig, um etwas zu beweisen?
[…] Kann es in der Wissenschaft einen Ort für Subjektivität
geben, die der ‚objektiven Wahrheit’ nicht schadet?“ Bekoff
meint, die persönlichen Wahrheiten seien zulässig: „wenn sie
anerkannt und ausgewiesen werden, sind sie der Objektivität
nicht abträglich“ (137f.).
Skeptiker, die bisweilen die Unwissenschaftlichkeit von Anekdoten oder die Vermenschlichung von Tieren (Anthropomorphismus) kritisieren, fragt Bekoff: Woher kommt es, dass
Astronomen „glühend und poetisch über den Nachthimmel
und ihre Liebe zu den Sternen“ sprechen und sich dadurch
anderen mitteilen können, ohne Angst haben zu müssen, dass
ihre Gefühle dazu führen könnten, „dass irgendjemand die
Zuverlässigkeit ihrer Daten in Zweifel zieht“? Bis jetzt seien
Ethologen nicht in den Genuss des Zugeständnisses gekommen, dass sie zugleich leidenschaftlich und peinlich genau
sein könnten (146).
Wenn man versuche, herauszufinden, was im Kopf eines
Hundes vorgeht, müsse man anthropomorphisch sein, sich
aber um die Perspektive des Hundes bemühen. Über Tiere
als einen Haufen von Hormonen, Neuronen und Muskeln zu
sprechen, ohne jeden Zusammenhang mit dem was sie tun und
warum sie es tun herzustellen, könne nicht der angemessenere
Weg sein (149). Bekoff geht sogar so weit zu sagen: „Wenn
wir nicht vermenschlichen, gehen uns wichtige Informationen
verloren“ (150). Die Herausforderung, das Verhalten einer
Spezies zu verstehen, liege nun einmal auch darin, dass sie aus
einem bestimmten Grund wirken wie wir. „Das bedeutet nicht,
menschliche Werte zu projizieren. Es heißt, die Merkmale,
die wir mit ihnen gemein haben, zu ̔primatisieren̓. […] wir
stellen Gemeinsamkeiten fest und verwenden die menschliche
Sprache, um mitzuteilen was wir beobachten.“ (151) Entscheidend sei, mit dem Anthropomorphismus „bewusst, mitfühlend
und biozentrisch“ umzugehen und immer „den Standpunkt der
Tiere zu bewahren“ (151).
Obwohl Anekdoten und Geschichten nicht reproduzierbar
und durch persönliche Beteiligung und eigene Einsichten geprägt sind, plädiert Bekoff auch hier dafür, dass sie unerlässlich sind. Ihr Wert liege darin, dass ihre systematische Analyse
wiederum zu Daten führen könne, die ihrerseits reproduzierbar sind, indem Experimente durchgeführt werden, die die
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Situation nachstellen. Außerdem gelte gerade im Bereich der
Emotionen, dass diese nicht in einem Vakuum entstünden,
sondern aus einem Kontext heraus: „Sie werden durch Ereignisse verursacht, denen Konsequenzen folgen. Sie richtig zu
beschreiben bedeutet, eine Geschichte zu erzählen […] wenn
wir immer mehr solche Geschichten sammeln, schaffen wir
eine solide Verhaltens-Datenbank.“ (147)
Bekoff kommt zu dem Ergebnis, dass wir inzwischen über
das Gefühlsleben von Tieren genug wissen würden, um Änderungen in der Art und Weise, wie wir Tiere behandeln, herbeizuführen (159). Abschließend führt er deshalb verschiedene Bereiche vor Augen, in denen wir Tiere verwenden und
ausnutzen: im Labor (wo er bemängelt, dass sich weder die
3-R-Prinzipien noch Mindeststandards an Haltungsbedingungen durchgesetzt haben), auf Farmen (wo gemessen an der
Anzahl die meisten Tiere leiden, obwohl uns der Abschied von
der Fleischwirtschaft als vegetarische Lösung zur Verfügung
steht) und in Zoos (deren Artenschutz und Bildungsauftrag
den Autor nicht überzeugen). Auch in freier Wildbahn sind wir
aufgefordert, Tiere in ihren letzten verbleibenden Lebensräumen zu schützen (190f).
Inhaltlich spricht Bekoff viele interessante Punkte an und
vertieft diejenigen, die ihm wichtig sind, zu überzeugenden
Argumenten. Gleich zu Beginn des Buches verwendet er allerdings die emotionale Verbundenheit zwischen menschlichen
und nicht-menschlichen Tieren einmal erstaunlich unkritisch
innerhalb seiner Argumentation: in Tiergestützten Therapien
zeigten Tiere ihre heilende Kraft für autistische und sozial
zurückgezogene Menschen. Die heftige Kritik von Tierethikern und Verhaltensforschern gegen eine Verwendung von
Wild- und Zootieren (besonders von Delphinen) innerhalb
solcher Therapien bleibt leider unerwähnt. Für viele Experten
ist der medizinische Erfolg dieser Therapien nicht erwiesen
und eine artgerechte Haltung solcher Tiere in Gefangenschaft
unmöglich. Ansonsten zeichnet sich sein Buch aber durch
viele Besonderheiten aus: es besticht durch eine differenzierte Argumentation, die sich auf die kognitive Kontinuität und
Anpassungsüberlegungen für Emotionen bei Tieren, inklusive
komplexer Emotionen, stützt. Dabei wird immer Wert darauf
gelegt, dass Ähnlichkeiten mit Emotionen beim Menschen bestehen, was zwar nicht bedeutet, dass diese Emotionen gleich
sind, wohl aber gleichwertig, wenn es um ethische Überlegungen geht. Bekoffs Buch überzeugt durch eine Vielzahl interessanter Anekdoten und Forschungsergebnisse, durch die
Zusammenführung komplexer ethologischer, ethischer und
wissenschaftstheoretischer Fragestellungen und vor allem
durch einen Autor, der mit Begeisterung und Ehrlichkeit Position bezieht. Seine Plädoyers für eine mitfühlende Forschung,
die Überwindung des Widerspruchs zwischen objektiver Wissenschaft und subjektivem Wissen, die Anerkennung des Wertes von Anekdoten, die Naturalisierung selbst solch komplexer
Phänomene wie der Moralfähigkeit und sein Einsatz für die
Durchsetzung der 3-R-Prinzipien sowie der fünf Freiheiten
des Tierschutzes sind in ihrer Direktheit und Klarheit sympathisch und bestechend.
Judith Benz-Schwarzburg
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3.3 Europäische Akademie
zur Erforschung von Folgen
wissenschaftlich-technischer
Entwicklungen (Hrsg.): E.
Rehbinder, M. Engelhard,
K. Hagen, R. B. Jørgenson,
R. Pardo-Avellaneda, A.
Schnieke und F. Thiele
Pharming. Promises and risks
of biopharmaceuticals derived
from genetically modified
plants and animals
343 Seiten, Berlin und Heidelberg: Springer, 2009, Euro 68,99
Neben dem Einsatz transgener Tiere in der biomedizinischen
Forschung bzw. in der Grundlagenforschung und gentechnischen Eingriffen zur Optimierung der Leistungen von Nutztieren ist das Pharming(Gene-) oder Molecular Pharming der
dritte Hauptanwendungsbereich für biotechnologische Eingriffe in das tierliche Genom. Die Technologie des Pharmings
ermöglicht es, z.B. in Milch, Blut oder Urin transgener Tiere
artfremde Proteine zu produzieren, die als Wirkstoffe in Arzneimitteln oder aber auch in der Lebensmittelherstellung verwendet werden können.
Die von einem interdisziplinär zusammengesetzten Autorenteam verfasste Studie beleuchtet das Thema Pharming aus
verschiedensten Perspektiven und ist die erste umfassende
Auseinandersetzung mit diesem zunehmend an Bedeutung
gewinnenden Produktionsverfahren. Neben den biologischen
und technologischen Grundlagen und der öffentlichen Akzeptanz des Pharmings, der Risikobewertung, der ethischen
Evaluierung und den rechtlichen Rahmenbedingungen werden
auch mögliche Tierschutzprobleme eingehend erörtert.
Das Wissen der Bevölkerung über Biologie, Genetik und
Gentechnik im Allgemeinen und über Pharming im Besondern
kann durchaus als mangelhaft bezeichnet werden. Die Einstellung zum Pharming beruht daher selten auf Faktenwissen,
sondern wird vielfach von der individuellen Weltanschauung
geprägt, sodass neben tiefem Misstrauen auch euphorischutopische Erwartungen anzutreffen sind. Dies erstaunt wenig,
da das Thema Pharming in der öffentlichen Diskussion bzw.
in der medialen Berichterstattung kaum präsent ist. Die Autoren fordern daher ganz zu Recht eine Umsetzung der „3Ds“ –
dialogue, discussion, debate – zwischen Öffentlichkeit und scientific community; dabei wäre ergänzend darauf hinzuweisen,
dass einem solchen Diskurs nur dann keine manipulative Absicht vorgeworfen werden kann, wenn nicht nur die erwarteten
Vorteile, sondern auch die möglichen Risiken offen thematisiert und beründete Vorbehalte tatsächlich ernst genommen
werden. In diesem Zusammenhang weisen die Autoren darauf
hin, dass nicht zuletzt auch dem Gesetzgeber eine bedeutende
Rolle im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung zukommt:
„[…] a transparent und unbiased regulatory framework could
play a major role in avoiding mishaps and alienating the public.“ (153) Das Kapitel über die rechtlichen Rahmenbedingungen des Pharmings zeigt allerdings, dass Regulative, die
diesen Anforderungen entsprechen, sowohl auf der Ebene der
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Europäischen Union als auch in den Mitgliedstaaten bislang
weitgehend fehlen. Die Rechtslage hinkt vielmehr der technologischen Entwicklung nach, ist in den meisten Staaten lückenhaft und unklar und vermittelt alles andere als ein Gefühl
der Rechtssicherheit.
Ein Beispiel für diese durchaus unbefriedigende Situation ist
der Schutz der für Zwecke des Pharmings verwendeten transgenen Tiere: Lediglich die Herstellung eines neuen transgenen
oder mutanten Stammes stellt – nach österreichischem und
deutschem Recht – bis einschließlich der F2 einen genehmigungspflichtigen Tierversuch dar, obwohl in allen Folgegenerationen unvorhersehbare Schäden bzw. Spätfolgen auftreten
können. In der Anwendungsphase unterliegen die für das Pharming verwendeten Tiere nicht mehr den tierversuchsrechtlichen, sondern – ebenso wie konventionell genutzte Tiere –
den allgemeinen tierschutzrechtlichen Bestimmungen, obwohl
diese keine besonderen Vorkehrungen für transgene Tiere bzw.
für spezifische Probleme des Pharmings treffen.
Anders als im Rahmen der biomedizinischen Forschung, die
Krankheitsmodelle verwendet, werden für Zwecke des Pharmings grundsätzlich gesunde Tiere benötigt. Dennoch zeigt
der vorliegende Band, dass diese Technologie mit einer Vielzahl von Tierschutzproblemen verbunden sein kann: Je nach
angewandter Methode ist die Entwicklung eines transgenen
Stammes mit verschiedenen invasiven Eingriffen (z.B. Entnahme von Eizellen, Embryonentransfer, Genotypisierung)
bzw. Belastungen (wie Schwergeburtsneigung, Totgeburten,
Missbildungen) verbunden. Ein besonderes Problem besteht in
der „Produktion“ von Tieren, die nicht dem erwünschten genetischen Anforderungsprofil entsprechen und daher gleichsam
als „Überschuss“ getötet werden. Wenn die dem Pathozentrismus verpflichteten Autoren in dieser Praxis kein „eigentliches
Tierschutzproblem“ zu erkennen vermögen (vgl.115), so weist
dies auf das Defizit dieses Tierschutzkonzepts hin (vgl. dazu
auch die Rezension von K. Schmidts „Tierethische Probleme
in der Gentechnik“ in diesem Heft). Im Zusammenhang mit
dieser Problematik gilt es zu bedenken, dass sowohl das deutsche als auch das österreichische Tierschutzrecht nicht nur das
Wohlbefinden, sondern auch das Leben der Tiere als geschütztes Rechtsgut anerkennen und der Tierschutz als bedeutsames
öffentliches Interesse gilt. Aus dieser (anthropozentrischen)
Tierschutzperspektive stellt die Tötung von Tieren einen Kostenfaktor dar, der im Rahmen der ethischen Beurteilung des
Pharmings zu berücksichtigen ist (so auch APC 2003, 47). In
der Produktionsphase ist an Tierschutzprobleme im Zusammenhang mit Haltung und Management zu denken; zwar treten
haltungsbedingte Tierschutzprobleme auch in konventioneller
landwirtschaftlicher Haltung auf, doch kann die Unterbringung
von Nutzieren in pharmazeutischen Einrichtungen mit spezifischen Einschränkungen verbunden sein. Und schließlich ist
daran zu denken, dass auch die Gewinnung der produzierten
Proteine mit belastenden Eingriffen (z.B. Blutabnahmen) verbunden sein kann.
Mit noch komplexeren Unsicherheitsfaktoren ist die Risikofolgenabschätzung für die Umwelt verbunden. Was die ethische Evaluierung des Pharmings betrifft, äußern sich die Autoren daher vorsichtig bis kritisch. Während z.T. behauptet wird,
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dass biotechnologische Verfahren im Vergleich zur konventionellen Tierzucht keine neuen Tierschutzprobleme schaffen
würden (vgl. Gjerris, Olsson und Sandøe, 2006, 99), stellen
die Autoren des vorliegenden Bandes fest: „[…] [the] claim
[…] that using animals for food production is indeed morally similar to using them for farming purposes […] is wrong. At least
with respect to certain ecological risks and certain welfare concerns, animal and plant pharming are in a morally relevant way
dissimilar to conventional means of using animals and plants
for human purposes.” (195) Daraus folgt naturgemäß nicht,
dass das Pharming unter ethischen Gesichtspunkten in Bausch
und Bogen abzulehnen wäre, doch ist den Autoren beizupflichten, wenn sie die ethische Vertretbarkeit des Pharmings von
der Durchführung einer gewissenhaften Güterabwägung sowie
von einer umfassenden Risikoabschätzung abhängig machen
und darüber hinaus besondere Sicherheitsvorkehrungen fordern. So empfehlen die Verfasser, dem hohen Risiko für den
Tierschutz durch eine Befristung der Genehmigungen für die
Herstellung transgener Tiere auf einen Zeitraum von höchstens
12 Monaten Rechnung zu tragen, wie dies in z.B. Kanada der
Fall ist; vor und während der Produktionsphase sollte darüber
hinaus ein sorgfältiges Monitoring der Tiere unter Tierschutzgesichtspunkten verpflichtend sein.
Da nicht nur die mit dem Pharming verbundenen Risiken
hoch und deren wissenschaftliche Bewertung unsicher ist,
sondern diese Technologie auch durch eine hohe Variabilität charakterisiert ist, wird weiters empfohlen, Pharming nur
nach Durchführung einer Einzelfallbeurteilung anzuwenden.
Im Rahmen dieser Fall-zu-Fall-Prüfung müssen der Produktionszweck, der Nutzen des gewonnenen Produkts, das potentielle Tierleid – insbesondere in der Phase der Entwicklung
der transgenen Tiere – und, im Fall des Pflanzen-Pharmings,
das spezifische Risiko der unbeabsichtigten Verbreitung des
Pharming-Gens berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden. Vor dem Hintergrund des pathozentrischen Tierschutzkonzepts plädieren die Autoren dafür, dass das mögliche
Tierleid im Rahmen dieser Güterabwägung verstärkt berücksichtigt werden sollte (vgl.188). Schließlich sprechen sich die
Autoren für klare rechtliche Rahmenbedingungen aus, die auf
transparenten Beurteilungskriterien beruhen. Gerade diese
Empfehlung wird allerdings nur schwer einzulösen sein, da im
Bereich neuer Technologien rechtliche (und erst recht moralische) Erwägungen erfahrungsgemäß nur allzu rasch von der
Wirklichkeit überholt werden und vor der Macht des Faktischen – wozu nicht zuletzt auch ökonomische Interessen zählen – kapitulieren müssen.
Regina Binder
Literatur
Animal Procedures Committee (APC) (2003). Review of CostBenefit Assessment in the Use of Animals in Research.
Gjerris, M., Olsson A. and Sandøe, P. (2006). Animal biotechnology and animal welfare. In Council of Europe Publishing
(ed.), Ethical Eye: Animal Welfare (89-110). (Besprechung im
Literaturbericht 2007/08, ALTEX 4/2008, 270-271).
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Literaturbericht
3.4 Vaughan Monamy:
Animal Experimentation.
A Guide to the Issues
116 Seiten, Cambridge: University
Press, 2009, Euro 20,99
Das Buch, das in einer überarbeiteten
2. Auflage neu erschienen ist, richtet
sich in erster Linie an Studierende der
Lebenswissenschaften. Es soll darüber
hinaus aber auch Laien und Forschenden eine allgemein verständliche Einführung in die grundlegenden gesellschaftlich diskutierten Themen in Zusammenhang mit Tierversuchen bieten.
In Kapitel 1 (Einführung) umreißt Vaughan Monamy kurz
die Zielsetzung und wesentliche Gliederung des Buches und
gibt Begriffsdefinitionen. Er verschreibt sich dabei der Aufgabe, dass kein Studierender der Biowissenschaften ohne eine
formale Ausbildung in Theorien und Praktiken die Universität
verlassen sollte, die einen humanen Umgang mit Versuchstieren fördern.
In Kapitel 2 fasst der Autor auf nur 8 Seiten die Geschichte der
Tierversuche zusammen. Er spannt einen Bogen zwischen den
Alexandrinischen Physikern im 3. Jahrhundert v. Chr. bis zu den
modernen Biowissenschaften. Dabei betont er insbesondere die
vollkommen mitleidslose Sichtweise des „Dunklen Zeitalters“
(„Dark Age“), von der Antike bis ins 16. Jahrhundert. Bereits
in diesem Kapitel werden dem Leser auch die ersten ethischen
Kontroversen beschrieben. Dabei stellt Monamy die dominierenden humanistischen Sichtweisen vor und setzt Schwerpunkte
bei christlichen Standpunkten und dem Cartesianismus, der die
dominante anthropozentrisch ausgerichtete Sichtweise auf ein
völlig mechanistisches Verständnis von Tieren, denen jedwedes
Bewusstsein abgesprochen wurde, zuspitzte. Tierexperimente
des 19. und 20. Jahrhunderts werden dabei vorwiegend unter
dem Aspekt geschildert, dass diese grundlegende medizinische
Erfolge ermöglicht hätten. Der Autor leitet aus diesen Errungenschaften der Vergangenheit eine grundsätzliche Legitimität
auch gegenwärtiger und zukünftiger Tierversuche ab. Unreflektiert benutzt er hier ethische Argumente zu einem unbedarften
„der Zweck-heiligt-die Mittel“-Pragmatismus.
In Kapitel 3 widmet sich Monamy unter der Überschrift „Opposition to Animal Experimentation“ einem historischen Abriss
der Anti-Tierversuchsbewegung. Interessanterweise lokalisiert er deren Wurzeln in einer wissenschaftlichen Kritik seitens professioneller Physiologen, die solchen Versuchen einen
Nutzen für den Menschen abgesprochen hätten. Öffentliche
Kritik habe erst später eingesetzt. In diesem und im nachfolgenden Kapitel 4 (zum moralischen Status von Tieren) werden
ethische Standpunkte zum Thema Tierversuche von Descartes über Kant bis Singer und Regan zusammengefasst. Das
ermöglicht dem mit der Thematik weniger vertrauten Leser,
sich einen schnellen, leider aber auch oberflächlichen und zum
Teil falschen Eindruck der diversen Positionen zu verschaffen.
So geht der Autor davon aus, dass Tom Regan, der sich gegen
eine Ausbeutung aller Nutztiere ausspricht, nur Säugetiere für
schutzwürdig halte. Wirklich erfreulich ist hingegen der deutAltexethik 2009
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liche Hinweis von Monamy, dass Singer immer wieder fehl
interpretiert wird, wenn man ihm unterstellt, er propagiere,
geistig behinderte Menschen anstelle von Tieren in Versuchen
einzusetzen. Denn mit dieser Behauptung wird auch heute immer noch vielerorts gegen Singer polemisiert.
Monamy gibt zu erkennen, dass er sich bei der Diskussion der verschiedenen ethischen Positionen auf ungewohntem
Terrain bewegt. Dies wird insbesondere deutlich, wenn moralphilosophische Gedankengänge unter dem Aspekt bewertet
werden, ob sich diese dafür eignen, unmittelbar in ordnungspolitische Maßnahmen überführt zu werden: „…pragmatism
was of far greater importance than finding a universally applicapble ethic for use when considering research animals.“ (55)
Hiermit beschreibt er die Sichtweise einer australischen Juristin, mit der er sich aber zweifellos identifiziert, wenn er den
Pragmatismus wissenschaftlichen Handelns gegen die philosophische Frage nach einer adäquaten Tierethik ausspielt.
Kapitel 5 ist mit „Animal use“ überschrieben und beschreibt
im Wesentlichen die verschiedenen Anwendungsgebiete von
Tierversuchen. Aus der Perspektive von Ethik und Tierschutz
kann dieser Teil nicht überzeugen. Zum einen wird der Leidensaspekt nahezu vollständig ausgeblendet. Dass Tierversuche
für die betroffenen Tiere erst einmal durch Schmerzen, Leiden
oder Schäden gekennzeichnet sind, wird nicht ausreichend gewürdigt, geschweige denn, dass dem Leser verdeutlicht würde, welches Ausmaß dieses Leiden – qualitativ und quantitativ
– hat. Stattdessen werden auch an dieser Stelle medizinische
Errungenschaften der Vergangenheit als Pauschalrechtfertigung für Tierversuche bemüht. Am Beispiel der Entwicklung
des Polioimpfstoffes führt Monamy allerdings genau diesen
Ansatz – und damit auch seine in Kapitel 2 geführte Argumentation – ad absurdum. Denn er beschreibt zutreffend, dass erst
die Viruskultivierung in menschlichen Gewebekulturen die
Impfstoffproduktion ermöglicht habe. Dieses Ergebnis hätte
einen guten Ansatzpunkt geboten, um die Übertragbarkeit von
Tierversuchen auf Menschen zu diskutieren, was der Autor jedoch unterlässt. In diesem Kapitel findet der Leser dann auch
etwas zum Thema Gentechnik. Die Entwicklungen in diesem
Bereich waren dem Umschlagtext nach der Hauptgrund für
die Neuauflage des Buches: „ ... this second edition has been
updated to include discussion of genetically modified organisms and associateds ethical and welfare issues that surround
the breeding programmes in such research.“ Wer angesichts
dieser Ankündigung auf die betreffende Textstelle stößt, wird
jedoch enttäuscht. Gerade einmal etwas mehr als eine Seite hat
der Autor dem Thema gewidmet. Inhaltlich unzureichend stellt
er fest, dass es besondere ethische Gesichtspunkte und Tierschutzaspekte in diesem Bereich gebe. Weitergehende Informationen oder gar einen Überblick über die diesbezüglichen
Diskussionen bleibt er schuldig. Stattdessen widmet er nahezu die Hälfte des betreffenden Textes einer rein technischen
Schilderung verschiedener gentechnischer Methoden und
konstatiert den wachsenden Anteil von gentechnisch basierten
Verfahren am Gesamtspektrum der Tierversuche. Auch hier
wird leider das Tierleid nicht erwähnt, und weitere Probleme
(z.B. die leidenden Zuchttiere, die niemals verwendet werden)
werden in einem Halbsatz nur mehr angedeutet.
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Literaturbericht
In Kapitel 6 beabsichtigt Monamy, eine Übersicht über die
Gesetzgebung verschiedener Länder zu Tierversuchen zu geben. Deren Auswahl ist allerdings erheblich begrenzt, nämlich
auf das Vereinte Königreich (aus historischen Gründen – dort
gab es weltweit die ersten Gesetze zu Tierversuchen), Australien und Neuseeland sowie die USA. Hier hätte man sich schon
einen etwas breiteren Blickwinkel gewünscht, um zumindest
einen Eindruck davon zu bekommen, wie es bspw. in Kontinentaleuropa oder in den sogenannten Schwellenländern aussieht.
Da Monamys bisherige Betrachtungen über historische, gesellschaftliche und philosophische Wurzeln des Umgangs mit
Tierversuchen in dieses Kapitel zur Gesetzgebung münden, wäre eine differenzierte Analyse zumindest der wenigen vorgestellten Rechtsakte angezeigt. Unverständlicherweise verzichtet er
darauf und hinterlässt beim uninformierten Leser den Eindruck,
die bestehenden Gesetze würden alle wesentlichen ethischen
Anforderungen angemessen berücksichtigen. Beispielsweise
suggeriert er, die derzeit existierenden Ethikkommissionen seien in der Lage, gesellschaftliche Diskussionen zu Tierversuchen
korrekt widerzuspiegeln.
In Kapitel 7 geht es um Alternativen zu Tierversuchen im Sinne der 3R. Nach einem kurzen Hinweis auf einige (wenige) Institutionen, die sich mit Alternativmethoden befassen, schließt
sich ein ebenfalls kurzer Exkurs zu dem zugrundeliegenden
Standardwerk von Russell und Burch an. Es folgt ein Verweis
auf gesetzliche Anforderungen, welche die Anwendung der 3R
verlangen, anschließend werden Beispiele für die 3R gegeben.
Hierbei stellt Monamy leider bis auf Ausnahmen Methoden aus
den 1980er-Jahren vor. Seine willkürlich anmutende Auswahl
war in großen Teilen bereits zum Zeitpunkt der Erstauflage
überholt. Da die Alternativmethodenforschung in den letzten 20
Jahren einen regelrechten Boom erlebt hat und dabei von modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Technologien
profitierte, wäre eine vollständige Überarbeitung dieses Kapitels für die 2. Auflage angebracht gewesen.
In Kapitel 8 stellt der Autor seine Schlussfolgerungen vor. Er
betont dabei zwar seine Intention, dass Tierversuche immer von
moralischen Erwägungen begleitet sein sollten. Dass seine Ausführungen hierbei jedoch nur im engeren Sinne der 3R, nicht
aber bezüglich grundlegender ethischer Aspekte weiterhelfen,
wird ebenso klar. Er wiederholt seine These der gesellschaftlichen Bedeutung von Tierversuchen, insbesondere auch im Bereich der Produktprüfung. Er spricht hier auch die Verwendung
von Tieren für menschliche Zwecke in anderen Bereichen als
der Nutztierhaltung an und relativiert auf diese Weise explizit
die aus seiner Sicht hohen ethischen und gesetzlichen Ansprüche
an Tierversuche. Diese Argumentation lässt seinen moralischen
Appell für Tierschutz in der Forschung fragwürdig erscheinen.
Denn genau diese Argumentation setzen Wissenschaftler rund
um den Globus gegen Reglementierungen im Tierversuchsbereich ein, und insbesondere bei der von Monamy genannten
Zielgruppe für sein Buch – Studierende – dürfte sie nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Dass Tierversuche einen Sonderfall
innerhalb der menschlichen Nutzung von Tieren darstellen, da
sie per se darauf abzielen (oder es zumindest systematisch in
Kauf nehmen), dass Tieren Schmerzen, Leiden und Schäden zugefügt werden, erwähnt der Autor ebenso wenig, wie er es für
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nötig hält, die zahlreich vorhandenen Gegenargumente zu einer
solchen Rechtfertigungsethik zumindest zu erwähnen.
Das Buch schließt mit auf 5 Unterpunkten basierenden 2-seitigen ethischen Richtlinien der neuseeländischen Organisation
ANZCCAART und richtet sich dabei noch einmal ausdrücklich
an Studierende, die mit Tieren arbeiten. Schon der Umfang dieser Leitlinien offenbart, dass es sich hierbei nur um erste Hinweise handeln kann. Und ihr Niveau ist eher bescheiden (z.B.
Punkt Nr. 3 auf S. 103: „Consider the regulatory framework and
obey the law”). Sinnvoller – oder als Ergänzung geeignet – wäre es gewesen, zumindest einige Informationsquellen (Literatur,
Institutionen, ggf. auch Webseiten) aufzulisten, die zu den verschiedenen „Issues“ im Bereich der Tierversuche weitergehende
Informationen liefern und dann eventuell tatsächlich das leisten,
was Monamy für sein Buch in Anspruch nimmt, nämlich als
Basis für eine ausgewogene Meinungsbildung zu dienen. Denn
wie er selbst schreibt (89): „A thorough knowledge of the relevant literature is essential.“ Dies aber gilt für alle Aspekte von
Tierversuchen und nicht nur für das Refinement, in dessen Zusammenhang er diese Aussage trifft.
Fazit:
Die Stärke dieses Buches liegt sicherlich in seiner Kürze. Auf
gut 100 Seiten wird versucht, einen relativ umfassenden Überblick über wesentliche wissenschaftliche, rechtliche, historische, philosophische und gesellschaftspolitische Aspekte von
Tierversuchen zu geben. Problematisch ist, dass der Autor zwar
verschiedene ethische Blickwinkel zitiert, aber selbst in seiner
Position verharrt, nach der Tierversuche prinzipiell ethisch vertretbar sind, insofern die 3R beachtet werden. Wesentliche Thesen und Schlussfolgerungen des Buches folgen diesem Ansatz.
Sie stellen damit keine ausgewogene Informationsgrundlage dar,
auch wenn Monamy dies suggeriert. Weitestgehend ausgespart
bleibt bei ihm die grundsätzliche Perspektive des Tierschutzes,
die man auch nicht von ihm erwarten kann. Dennoch bleibt es
sein Versäumnis, die Tatsache nicht angemessen zu würdigen,
dass Tierversuche immenses Leid bei den verwendeten Tieren
verursachen und zwar millionenfach, weltweit.
Die Frage, inwieweit das Vorhandensein von Alternativen den
massiven Tierverbrauch in den Wissenschaften nicht moralisch
fragwürdig macht, bleibt offen. In diesem Zusammenhang hat
der Autor den Aspekt nicht-wissenschaftlicher Alternativen
völlig außer Acht gelassen: Kann nicht einfach auf ein Produkt
verzichtet werden (oder ein bereits zugelassenes verwendet),
wenn eine Neuzulassung nur über Tierversuche möglich ist?
Können gesundheitspolitische Weichenstellungen nicht zumindest manche Tierversuche vollkommen überflüssig machen (so
wie z.B. eine bessere Verfügbarmachung menschlicher Organe
die Organproduktion in Tieren bzw. die Xenotransplantationsforschung erübrigen würde)?
Derartige Blickwinkel überschreiten eindeutig den Horizont
dieses Buches. Doch wenn sich der Autor schon in philosophisch-ethische Themen hinauswagt und eine umfassende und
ausgewogene Meinungsfindung propagiert, hätten auch solche
Aspekte einer Erwähnung bedurft.
Die im Umschlagtext genannte Begründung für eine Neuauflage, nämlich die Berücksichtigung und Diskussion der VerAltexethik 2009
13.12.2009 15:45:26 Uhr
Literaturbericht
wendung transgener Tiere und der damit verbundenen Probleme
muss verwundern, denn dieser Aspekt erfährt wenig Beachtung.
Auch bezüglich anderer Themen wäre eine umfassende Modernisierung des Inhaltes angezeigt.
„Animal experimentation – a guide to the issues” führt den
Leser zu verschiedenen einschlägigen Problemfeldern im Tierversuchsbereich. Mitunter gelingen dabei flotte und weite Vorstöße, bisweilen macht es auf halbem Wege Halt, gelegentlich
führt es in die Irre, und mancher Pfad bleibt unbegangen. Der
Leser sollte sich diesem Guide nur anvertrauen, insofern er seinen eigenen moralischen Kompass im Blick behält.
Roman Kolar
3.5 P. Michael Conn and
James V. Parker: The Animal
Research War
224 Seiten, New York City: Palgrave
Macmillan, 2008, Euro 28,99
Die beiden Autoren P. Michael Conn
und James V. Parker berichten, wie
tierexperimentelle Forscher durch eine
radikale Randgruppe der Tierversuchsgegner schikaniert und bedroht werden
und argumentieren, dass es sich hierbei
um eine Form des Terrorismus handelt. Sie zeigen auf, welche
Ausmaße dieser „Terror“ gegen tierexperimentell Forschende in
den letzten 20 Jahren speziell in den USA und in Großbritannien
angenommen hat und weisen auf die potentiellen Folgen für den
medizinischen Fortschritt hin.
Conn ist stellvertretender Direktor und Forscher am nationalen Primatenforschungszentrum in Oregon und u.a. Professor für
Physiologie und Pharmakologie an einer Universität in Oregon. Er
schildert ausführlich seine persönlichen Erfahrungen, die er machte, als er das Ziel extremistischer Tierversuchsgegner wurde. Sein
Koautor Parker, ein Ethiker, hat sich als Pressesprecher des nationalen Primatenforschungszentrums in Oregon fast 20 Jahre lang
mit der Tierrechtsbewegung auseinandergesetzt. Heute befindet er
sich im Ruhestand, schreibt aber regelmäßig Artikel, in denen er
die Öffentlichkeitsarbeit im Bereich Tierversuche untersucht.
Das Buch der beiden beginnt mit Begriffserklärungen und
-abgrenzungen. In den ersten beiden Kapiteln berichtet Conn en
détail über die Anfeindungen, Belästigungen und Morddrohungen und über die Gewalt gegen ihn und andere tierexperimentell
arbeitende Wissenschaftler in den USA. Im Kapitel 3 wird die
Tierrechtsbewegung von damals bis heute zusammengefasst. Kapitel 4 analysiert die Strategien, nach denen diese extremistische
Randgruppe der Tierversuchsgegner vorgeht. In den Kapiteln 5
und 6 geht es um die „Opfer“ durch den „Animal Research War“.
Hier werden u.a. zwei Fallbeispiele von Wissenschaftlern angeführt, die derart massiv von Tierversuchsgegnern bedroht wurden, dass sie schließlich ihre Forschung aufgaben. Des Weiteren
fürchten beide Autoren um die Auswirkungen dieser Aktionen auf
den wissenschaftlichen Nachwuchs. Einige der größten Erfolge
Altexethik 2009
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der Medizingeschichte dienen als Argument für die Notwendigkeit von Tierversuchen. Kapitel 7 beleuchtet die Rechte der Tiere
und die unterschiedlichen Auffassungen diesbezüglich. Des Weiteren werden hier kurz die relevanten Rechtsvorschriften für die
Durchführung von Tierversuchen in den USA inklusive der 3R
erwähnt.
Im letzten Kapitel wird endlich auf das Kernproblem eingegangen: die mangelhafte öffentliche Diskussion über Tierversuche.
Laut den beiden Autoren leistet dies Gerüchten Vorschub, welche
die extremistischen Tierschützer dann als Legitimation für ihre im
Buch als „direct actions“ bezeichneten Übergriffe auf tierexperimentell Forschende verwenden. Die Autoren berichten, dass die
Universitäten selten Gelder zur Verfügung stellen, um die Öffentlichkeit über den Nutzen der Forschung zu unterrichten. Im Gegenteil würden es die Hochschulen vermeiden, der Öffentlichkeit
mitzuteilen, dass Tierversuche einen Großteil ihrer Forschung
ausmachen. Die mangelnde Transparenz über dieses sehr emotionale Thema führt den Autoren zufolge dazu, dass Tierversuche
zum „dirty little secret“ werden, welches dann von den Tierversuchsgegnern gegen die Forscher verwendet wird. Am Ende des
Buches befinden sich zwei Anhänge. Informativ für Leser, die
nicht aus den einschlägigen Fachkreisen kommen, ist der Anhang
A, in dem 20 oft von Laien gestellte Fragen zu Tierversuchen von
den Autoren beantwortet werden. In Anhang B sind die umfangreichen Quellen aufgelistet.
Die primäre Motivation, dieses Buch zu schreiben, scheint für
Michael Conn vermutlich darin gelegen zu haben, sich sein eigenes Leid und seine Wut über das, was ihm widerfahren ist, von
der Seele zu schreiben. Darüber hinaus soll das Buch sicherlich
der Aufklärung der Öffentlichkeit dienen, da die Autoren ja richtig erkannt haben, dass Transparenz beim Thema „Tierversuche“
unerlässlich ist. Somit ist das Buch ein wichtiger Beitrag zum Anstoß einer längst überfälligen Diskussion.
Und obwohl es ein derart radikales Vorgehen von Tierversuchsgegnern gegen Forscher in Deutschland nicht gibt, ist dies der
Punkt, an dem das Buch auch für Deutschland eine hohe Relevanz entwickelt. Denn auch hier fehlt es oft an einer öffentlichen
und sachlichen Diskussion über das Thema Tierversuche.
Allerdings ist das Buch selbst nicht ganz frei von emotionalen
Argumenten und unglücklichen Verallgemeinerungen. So wird
die durchaus differenzierte Tierrechtsbewegung mit ihren radikaleren Verästelungen pauschal gleichgesetzt. Und das äußerst heterogene Feld der Tierversuche wird generalisierend als unerlässlich beschrieben. Alternativmethoden werden mit einigen Sätzen
als für die biomedizinische Forschung unbrauchbar abgehandelt.
Des Weiteren fehlt jede Differenzierung der Tausenden von verschiedenen Tierversuchen, die allein in Deutschland durchgeführt
werden und von denen jeder einzelne auf seine Unerlässlichkeit
und ethische Vertretbarkeit überprüft werden muss – und das aus
gutem Grund.
Darüber hinaus sind leider wichtige Kapitel im Buch zu kurz
geraten. So das Kapitel über die Gesetze und die 3R. Dies vermittelt den Eindruck, hier gäbe es keinen Verbesserungsbedarf,
weder in der Gesetzgebung noch in der Umsetzung. Eine konstruktive Diskussion zu diesem Thema müsste jedoch genau hier
ansetzen, denn hier liegen die Probleme – und darauf reagiert die
Öffentlichkeit, wenn auch vielleicht nicht immer angemessen.
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13.12.2009 15:45:26 Uhr
Literaturbericht
Vielleicht schreiben die Autoren ja noch einen zweiten Band, in
dem aufgezeigt wird, was wirklich in der Praxis getan wird – oder
eben auch nicht. Einerseits, um Tierversuche zu reduzieren und
wo immer möglich zu ersetzen. Und andererseits, um die Haltung
und die Zucht von Versuchstieren so artgemäß und so verhaltensgerecht wie möglich zu gestalten und Schmerzen und Leiden der
Versuchstiere auf ein unerlässliches Maß zu reduzieren. Die 3R
und deren Weiterentwicklung vermehrt in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken, nimmt die Forscher einmal mehr in die Pflicht,
die Möglichkeiten der 3R vollständig auszuschöpfen. Dies ist unsere ethische Verpflichtung den Tieren gegenüber, die uns zum
Wohle der Menschheit helfen den biomedizinischen Fortschritt
voranzutreiben.
Kathrin Herrmann
3.6 Udo Friedrich:
Menschentier und Tiermensch.
Diskurse der Grenzziehung
und Grenzüberschreitung im
Mittelalter
437 Seiten, Göttingen: Vandenhoeck
& Ruprecht, 2009, Euro 59,90
Der Autor ist Professor für Ältere
Deutsche Sprache und Literatur an der
Universität Göttingen. Das Buch ist als
Band 5 der fünfteiligen Reihe „Historische Semantik“ des Vandenhoeck & Ruprecht-Verlags erschienen. Der Band Menschentier und Tiermensch gliedert sich in
fünf aus jeweils einigen Kapiteln und Unterkapiteln bestehenden
Teile und enthält 10 Abbildungen.
Im ersten Teil werden kulturwissenschaftliche Fragestellungen erörtert und darin Zusammenhänge zwischen beispielsweise
Ackerbau und Jagd hergestellt und mittelalterliche Natur- und
Kulturkonzepte beleuchtet. Im folgenden Teil „Anthropologischer Rahmen – Grenzziehungsdiskurs“ wird unter anderem ein
Abriss über die mittelalterliche Wissenschaft vom Menschen
gegeben und Grenzfiguren zwischen Mensch und Tier exemplarisch herausgestellt. Der dritte Teil behandelt in zwei separaten Blocks politische Aspekte, die der Verfasser mit „Herrschaft
über das Tier“ und „Annäherungen an das Tier“ überschreibt.
Hier werden beispielsweise die Domestizierung und Instrumentalisierung von Tieren und die Jagd thematisiert. Im vierten Teil
unternimmt der Autor einen Diskurs in literarische Fallstudien.
Mimesis und „Tierwerden“ erörtert der Autor am Beispiel des
Nibelungenlieds. Im fünften und letzten Teil gibt Friedrich in
seinem Resümee eine Zusammenfassung über Anlass und wesentliche Aspekte seiner Studie.
Der Autor zitiert aus dem Werk „Tier“ von Macho: „Das agrarische Zeitalter entfaltete sich als das Zeitalter der tierischmenschlichen Wunschmaschinen, der vielgestaltigen Symbiosen
und ambivalenten Verwaltungsmöglichkeiten…, als das Zeitalter
der Tiergötter und Teufelsbiester…, Tierkreiszeichen und Wappentiere…, kurzum: als das Zeitalter der detaillierten Heraus60
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bildung subtiler kultureller Profile von Tierarten oder typischen
Gemeinschaften von Menschen und Tieren“ (17) und lässt die
Vielgestaltigkeit der nicht zuletzt durch die menschliche Phantasie entstandenen tiermenschlichen Mischwesen und die bis ins
heutige Zeitalter reichende Ausbeutung der Tiere durch den Menschen erahnen.
Am literarischen Beispiel des Romans „Partonopier und Meliur“ von Konrad von Würzburg, der „Geschichte eines jugendlichen Helden, der über zahlreiche Stationen, Trennungen und
Wiedervereinigungen Geliebte und Herrschaft erringt“ (375),
umreißt der Autor die Rolle von Tiervergleichen. So wird nach
Aussage des Verfassers die metaphorische Anbindung von Ritterart an Tierqualitäten raumsemantisch inszeniert. Zur Untermauerung führt der Autor die Beschreibung einer Szene an: „Selbst
der frühkindliche Partonopier, Inbegriff höfischer Vollkommenheit…, wird schon früh mit Tiervergleichen und -metaphern
umstellt, gewissermaßen als Markierung latenter animalischer
Anlagen. Schon bei der ersten Verirrung im Wald besitzt die
Raumsemantik der Wildnis ihr körperliches Analogon im Falkenblick des Helden.“ (378f.)
Nicht nur in literarischen Fallstudien oder in der Geschichte
sind die engen Übergänge zwischen Mensch und Tier thematisiert. Auch heute projiziert der Mensch häufig bestimmte menschliche Eigenschaften auf Tiere oder auch umgekehrt. Das Buch ist
insofern eine ausgesprochen umfassende Zusammenschau zahlreicher Aspekte und Fallstudien der Grenzbeziehung zwischen
Mensch und Tier, die der Autor aus theologischen, literarischen
und politischen Blickwinkeln beleuchtet. Es gibt sehr aufschlussreiche Einblicke nicht nur in den Grenzbereich der Spezies, sondern verdeutlicht auch ganz allgemein die Beziehung zwischen
Mensch und Tier in der Geschichte, die bis heute teilweise noch
Gültigkeit hat. Gerade die Tatsache, dass der Übergang zwischen
Mensch und Tier nicht nur in der Literatur fließend ist, regt uns
Menschentiere zum Nachdenken über unseren Umgang mit den
Tiermenschen an. Es wird deutlich, dass es zwischen Mensch
und Tier keine fixe Grenze gibt und eine Grenzüberschreitung
zwischen Mensch und Tier schwer auszumachen ist. Indes wird
eine andere Grenzüberschreitung sichtbar. Die Diskurse lassen
die Folgerung zu, dass der Mensch mit seinem Machtergreifen
über Tiere und deren Nutzung zu eigenen Zwecken ganz klar eine
ethische Grenze überschreitet.
Silke Bitz
3.7 Rainer E. Wiedenmann:
Tiere, Moral und Gesellschaft.
Elemente und Ebenen
humanimalischer Sozialität
462 Seiten, Wiesbaden: VS Verlag,
2009, Euro 49,90
Rainer E. Wiedenmann vertritt zur Zeit
den Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie und soziologische Theorie an der
Katholischen Universität EichstättAltexethik 2009
13.12.2009 15:45:26 Uhr
Literaturbericht
Ingoldstadt. In seiner erst jetzt in Buchform veröffentlichten
und umfassend überarbeiteten Habilitationsschrift aus dem Jahr
1997 plädiert er dafür, Tiere in der Soziologie nicht länger zu
marginalisieren. Statt als passive Objekte humangesellschaftlicher Interaktionsprozesse gelten ihm Tiere als aktive Teilnehmer
gesellschaftlicher Interaktion und Organisation. Mensch-TierSozialverhältnisse werden von beiden Seiten gleichermaßen gestiftet. Wiedenmann verwendet dafür den Begriff der „humanimalischen Sozialität“. Die Teilhabe daran wird auf höhere Tiere
eingeschränkt, die auf gewisse Weise an den konstituierenden
Kommunikationsprozessen teilnehmen können.
Vorderhand würde man erwarten, dass der Autor naturwissenschaftlich-etholgische Befunde beibringt und systematisiert, um
das Konzept der „humanimalischen Sozialität“ zu begründen
und auszuarbeiten. Sein Anliegen ist aber ein anderes. Er will
die soziologische Theorie, namentlich die Systemtheorie Parsonsscher und Luhmannnscher Prägung, fortentwickeln, um sie
für den Bereich des Humanimalischen zu öffnen. Ziel ist „zu
zeigen, wie Mensch-Tier-Sozialverhältnisse (Elemente, Formen und Prozesse humanimalischer Sozialität) nicht-reduktionistisch, d.h. im Rahmen eines Mehrebenensystems konzipiert
werden können“ (56).
Nach zwei einleitenden Kapiteln, in denen die Randständigkeit des Tieres in der Soziologie exponiert und problematisiert wird (14-107), klopft er dementsprechend die gängigen
Strukturbegriffe der Systemtheorie auf ihre Tauglichkeit bzw.
ihren Ergänzungsbedarf für die Beschreibung von Mensch-TierInteraktionen ab, angefangen beim Kommunikationsprozess
als Element des Sozialen bis hin zu symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien als übergreifende, makrosoziale
Bezugspunkte: „Zum Mehrebenenaufbau humanimalischer
Sozialität“ (109-172), „Humanimalische Interaktionssysteme“
(173-248), „Tiermoralische Orientierungsmuster: Kontexte und
Konstitutionsbedingungen“ (249-355).
Ein Knackpunkt der Luhmannschen Kommunikationstheorie,
auf die Wiedenmann zunächst Bezug nimmt, ist die – nicht ganz
leicht zu fassende – strukturelle Kopplung zwischen Kommunikation und Bewusstsein. Einerseits operieren diese als selbstbezügliche (rekursive) Systeme völlig unabhängig voneinander,
anderseits sind für Luhmann Kommunikation und Sinnbezüge
ohne (sprachliches) Bewusstsein nicht denkbar und vice versa.
Luhmann erkennt mithin nicht jede Form der Verhaltensabstimmung als Kommunikation im Rahmen seiner Theorie an, sondern
nur solche, die über die Unterscheidung von Mitteilung (kommunikativem Handeln) und Information (Thema, Inhalt der Mitteilung) vermittelt werden. Ausgeschlossen wird dadurch insbesondere auch das, was man „unbewusste Kommunikation“ nennen
könnte. Wiedenmann gibt zwar Hinweise, dass man ausgehend
von Merleau-Ponty oder Waldenfels (leibliches Verhalten, autochtoner Sinn) zugunsten der Tiere dagegen argumentieren könnte. Es gelingt ihm aber nicht, dies konsistent in den Baukästen der
Systemtheorie unterzubringen. Es bleibt beim „es ist vielleicht
nicht abwegig“ (116) oder gar: die entsprechenden Instrumente
können hier nicht erörtert werden (114). Wiedenmann legt unter
dem Strich kein Konzept des Humanimalen vor, sondern weist
eher die Fragen auf, die es in künftigen Forschungsprojekten zu
klären gilt, um zu einem solchen zu kommen.
Altexethik 2009
031-071-AltexLiteraturb.indd 61
Instruktiver ist die Studie dort, wo Wiedenmann auf rein soziokulturelle Kontexte fokussiert, also auf den eingeschränkten
Blickwinkel des Binnenmenschlichen zurückgeht. Das gilt beispielsweise für die Betrachtung der symbolisch generalisierten
Kommunikationsmedien (332ff). Die Idee der Kommunikationsmedien hatte Talcot Parsons in die Soziologie eingeführt.
Darunter kann man eine Art Leitcode oder Leitmetapher verstehen, durch die soziale (Sub-)Systeme am Laufen gehalten
werden. Für das Wirtschaftssystem nennt Parsons zum Beispiel
das Medium „Geld“, für das politische System die „Macht“.
Luhmann hat für den Bereich von Intimbeziehungen „Liebe“
und für das Wissenschaftssystem „Wahrheit“ hinzugefügt.
Vereinfacht ausgedrückt, kann man so verdeutlichen, warum
es mit zunehmender Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft dazu kam, dass die Wissenschaft sich nur noch auf die
Frage konzentriert, was wahr und falsch ist, während moralische oder religiöse Kriterien für die Erzeugung von Wahrheit
immer weniger relevant wurden. Dies könnte, so die Annahme,
eine Teilerklärung dafür sein, warum Heimtiere auf der einen
Seite geliebt und verhätschelt werden, während Versuchstiere
scheinbar frei von moralischen Bedenken als Messinstrumente
missbraucht werden.
Im sechsten und letzten Hauptkapitel werden zwei historischsoziologische Fallstudien zum Wandel der Mensch-Tier-Beziehungen präsentiert: „Milieuspezifische Tiermoralen der Frühneuzeit“ (357-399). Thematisch geht es um die tiermoralischen
Orientierungen in der frühneuzeitlichen höfischen Gesellschaft
und im englischen Nonkonformismus. Auch wenn sich Wiedenmann hier ebenfalls auf die soziokulturellen Kontexte beschränkt
und ein Zusammenhang mit humanimalischen Strukturelementen auf der Mikroebene kaum auszumachen sein dürfte, ist die
Darstellung dennoch interessant: Wiedenmann kann zeigen, warum kommunalistische Sozietäten wie Quäker oder puritanische
Sekten ein besseres Milieu für den Tierschutz bieten als zum
Beispiel die Höfische Kultur, bei der trotz aller Kulturleistungen
vor allem im Umgang mit Wildtieren „eine dauerhafte Internalisierung subjektbezogener Moralstandards“ (402) nicht stattgefunden hat. Beispielhaft dafür sind die Jagd und Tierquälereien
im Rahmen höfischer Spiele. Mit den asketischen Maximen von
Puritanern und Quäkern ließen sich tierquälerische Belustigungen nicht vereinbaren. Die Nutzung von Tieren in der Landwirtschaft wurde bei diesen Gruppen gezielt gefördert, allerdings
wurden die Tiere schon aus Gründen rationaler Betriebsführung
vergleichsweise sorgsam behandelt. Interessengleichheit und
strenge (Selbst-)Kontrollmechanismen sorgten dafür, dass einmal erlangte Tierschutzüberzeugungen dann auch eingehalten
und verinnerlicht wurden. Der Einfluss solcher Gruppen trug
maßgeblich zur Entstehung der Tierschutzbewegung und zur
Gründung der ersten großen Tierschutzorganisationen im England des frühen 19. Jahrhunderts bei.
Das Engagement Wiedemanns für eine tierbezogene Soziologie ist aus Sicht des Tierschutzes überaus zu begrüßen. Für die
Tierschutzpraxis dürfte die vorliegende Schrift allerdings kaum
fruchtbar werden. Die Arbeit richtet sich an Spezialisten, die
mit der Terminologie der soziologischen Systemtheorie vertraut
sind und sich dafür interessieren, die theoretischen Hinweise
Wiedemanns aufzugreifen und weiterzudenken. Wer sich für
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13.12.2009 15:45:27 Uhr
Literaturbericht
soziokulturell-historische Studien zur Mensch-Tier-Beziehung
interessiert, ist mit Wiedenmanns Aufsatzsammlung „Die Tiere
der Gesellschaft“ (ISBN 3-89669-916-4, UVK-Verlag, Konstanz, 2002) sicherlich besser beraten. Darin findet sich auch eine
prägnante Darstellung der zuletzt angesprochenen Fallstudien
sowie ein kurzes Plädoyer für eine Soziologie humanimalischer
Sozialverhältnisse.
Roman Kolar
3.8 Jodey Castricano (ed.):
Animal Subjects. An Ethical
Reader in Posthuman World
324 Seiten, Canada: Wilfrid Laurier
University Press, 2008, Euro 29,99
Die Kulturtheorie setzt sich mit der
menschlichen Kultur auseinander. Es
scheint daher zunächst selbstverständlich, dass sie den Menschen in den Fokus stellt und aus anthropozentrischer
Perspektive argumentiert. Aus dieser
Sichtweise allerdings hat sie nach Meinung der kanadischen
Kulturtheoretikerin Jodey Castricano den kulturellen Umgang
des Menschen mit dem Nicht-Menschlichen vernachlässigt.
Der von ihr herausgegebene Sammelband hat deshalb zum Ziel,
diesen „social and theoretical lag in cultural studies“ aufzuholen (1). Die gesammelten Aufsätze intendieren, die „anthropocentric boarders“ dieser interdisziplinären „Disziplin“ zu
sprengen (5), wobei sie allesamt auf das Verhältnis zwischen
Mensch und Tier fokussieren und die nicht-animalische Natur
ausklammern. Während die theoretisch motivierten Beiträge eine „critique of cultural studies regarding the ethical treatment
of non-human animals“ formulieren (12), münden manche eher
praktisch motivierte Beiträge in konkrete Handlungsanweisungen zum ethisch korrekten Umgang mit Tieren (so z.B. Anne
Innis Daggs Forschungsbericht Blame and Shame? How Can
We Reduce Unproductive Animal Experimentation?).
Castricano vereint eine Vielfalt an unterschiedlichen thematischen, interpretativen und methodischen Zugängen zur Tierfrage. Entsprechend darf der Band nicht den Anspruch erheben, ein einheitliches Bild zu zeichnen. Die Vielfältigkeit der
Beiträge tritt insbesondere in der weit reichenden Auswahl der
reflektierten Thematiken zu Tage. Die Beiträge bearbeiten die
Tierfrage an derart unterschiedlichen Themenstellungen wie
Tierfabriken (Donna Halaway: Chicken), soziobiologischen
Theorien (Rod Preece: Selfish Genes, Sociobiology and Animal
Respect), Naturparks (John Sorenson: Monsters: The Case of
Marineland), dem Werk von Mary Wollstonecraft (Barbara K.
Seeber: „I sympathize in their pains and pleasures“), einem Fall
perverser Tierquälerei (Lesli Bisgould: Power and Irony) oder
der Unsterblichkeit der tierischen Seele (Johanna Tito: On Animal Immortality).
Die Aufsätze divergieren aber auch aufgrund unterschiedlicher Interpretationen philosophischer Positionen. So legen
62
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beispielsweise Paola Cavalieri und Cary Wolfe (A Missed Opportunity: Humanism, Anti-Humanism and the Animal Question
bzw. Thinking Other-Wise) die Philosophie von Jacques Derrida
auf gänzlich unterschiedliche Art aus und bewerten sie folglich
entsprechend anders: Während Cavalieri Derrida vorwirft, den
„philosophical vegetarianism“ nicht ablehnen zu können und
so „at one stroke the entire problem of the value of animal life“
auszulöschen (107), beruft sich Wolfe gerade auf diesen Denker, um Daniel Dennetts materialistischen Funktionalismus zurückzuweisen (132ff.).
Obschon bei der Mehrheit der Beiträge die philosophischethische Argumentation überwiegt, widerspiegelt der Sammelband insgesamt den methodischen Reichtum, den die
Kulturtheorie zu bieten hat. So verbindet Dawne McCance in
Anatomy as Speech Act in lehrreicher Weise eine medizin- und
kulturhistorische Analyse mit philosophischer Kritik. Anhand
der Darstellung der Genese der modernen Anatomie vermag sie
aufzuzeigen, wie Descartes’ Philosophie, die als Grundstein der
anthropozentrisch dominierten Moderne gilt, in die historische
Situation eingebettet ist. Wie McCance unterlegen auch etliche
andere Autorinnen und Autoren ihre Argumentation mit Erzählungen oder literarischen Beispielen.
Der literarische Zugang wirkt insofern als adäquate Methode, als von allen Beitragenden die Grundansicht geteilt wird,
dass ein gerechter Umgang mit Tieren nicht durch rationale Erwägungen, sondern durch Mitgefühl begründet und motiviert
werden muss. Der moralische Imperativ sei „grounded in empathy, not reason“, wie Angus Taylor in Electric Sheep and the
New Argument from Nature diese geteilte Ausgangsbasis auf
den Punkt bringt. Wollte man die gesammelten Beiträge unter
ein philosophisches Label gestellt sehen, so wäre das wohl am
ehesten jenes einer pathozentrisch erweiterten Gefühlsethik.
Zur Einstimmung in die theoretische Reflexion dieser Intuition ist der ironisch verfasste Beitrag von Donna Haraway geschickt gewählt. Haraway weckt die Gefühle, die den folgenden
Aufsätzen als Ausgangsbasis für Kritik an unterschiedlichen
Theorien, Weltbildern und kulturellen Praxen dienen. Michael
Allen Fox und Lesley McLean nehmen diesen Grundgedanken
explizit auf und plädieren in ihrem Beitrag Animals in Moral
Space für eine neue Konzeption des moralischen Raums, der
Tiere integriert. Ein Öffnen dieses physischen und phänomenologischen Raums würde „unprecedented forms of interaction“
mit Tieren erlauben (158). Dadurch, so die These, könnten neue
Möglichkeiten der „cross-species intersubjectivity“ entstehen
(159). Um Intersubjektivität zwischen Mensch und Tier herstellen zu können, rekurrieren sie auf Empathie und auf den „emotional part of […] cognition“ (163). Leider führen sie kaum
aus, was Empathie genau bedeutet und wie und mit welchen
nicht-menschlichen Wesen wir mitleiden können und sollten.
Die Diskussion eines Gedichts von Gwen Harwood sowie die
Schilderung von Tierexperimenten vermögen zwar durchaus
Mitgefühl zu wecken, doch die phänomenologische Analyse
dieser Gefühle bleibt oberflächlich. Es wird folglich auch nicht
klar, inwiefern ihre Ausführungen wirklich ein „foothold for a
new ethics“ bereitstellen (146).
Ein anderes Fundament der traditionellen Ethik wird von
David Sztybel in Animals as Persons kritisch untersucht. Seine
Altexethik 2009
13.12.2009 15:45:27 Uhr
Literaturbericht
These lautet, dass die „traditional definition of ‚person’ […]
unaccebtably anthropomorphic“ ist (241). Ausgehend von der
Annahme, dass wir einer Person gegenüber ein ihr gebührendes
Verhalten schulden, will er folglich den Personenbegriff erweitern. Personsein sieht Sztybel nicht an Rationalität gebunden.
Person ist vielmehr „that-which-experiences“ (246). Weil Tiere
– wie auch schwer behinderte Menschen – personale Erfahrungen haben, müssen sie als Personen betrachtet und entsprechend
behandelt werden. Ob ein Wesen Erfahrungen hat, wissen wir,
indem wir evaluieren „whether, if we had their experiences,
we would call them personal experiences“ (247). Dies sei nur
durch empathisches Mitfühlen herauszufinden. Es ist m.E. allerdings fraglich, ob ein solches Gedankenexperiment hinreicht,
um Tieren den Status des Personseins zusprechen zu können.
Vernachlässigt wird dabei beispielsweise der Unterschied zwischen einer „bloß“ bewussten Erfahrung wie „Es schmerzt“ und
einer selbstbewussten Erfahrung wie „Ich habe Schmerzen“. Es
ist folglich auch nicht ersichtlich, weshalb Tiere zwingend als
Personen aufgefasst und behandelt werden sollten. Genügte es
nicht zu begründen, dass wir ihnen gegenüber bestimmte Verpflichtungen haben, dass sie moralische Objekte sind – ohne sie
als Personen zu beschreiben – und somit als moralische Subjekte, die für ihr Verhalten Verantwortung zu tragen haben?
Man gewinnt den Eindruck, dass Sztybel wie auch etliche
andere Beitragende die Grundintuitionen etwas gar emphatisch
verteidigen und so aus einer vermeintlichen Selbstverständlichkeit heraus argumentieren. Dabei verwenden sie viel Raum für
Kritik an bestehenden Ansichten und Theorien, wodurch konstruktive Überlegungen leider zu kurz kommen. So reflektiert Sztybel nebst der Unterscheidung zwischen moralischem Subjekt
und Objekt beispielsweise auch nicht, was es bedeutet, dass ein
Wesen etwas empfindet. Theoretische Unterscheidungen und
Grundlagenarbeit werden kaum geleistet oder auf Gemeinplätze reduziert.
Exemplarisch zeigt sich diese Überemphase vielleicht am
besten an der von der Herausgeberin unkritisch zitierten Prognose von Wolfe, wonach unsere Nachkommen in hundert Jahren
„with much the same horror and disbelief“ auf den gegenwärtigen Umgang mit Tieren blicken werden, wie wir heute auf
die Sklaverei und den Genozid des zweiten Weltkriegs schauen
(11). Es ist m.E. aber höchst fraglich, ob man die in der westlichen Kultur verbreiteten und wahrlich frappanten Ungerechtigkeiten gegenüber Tieren mit dem abscheulichen Umgang mit
den Juden im Nationalsozialismus und anderen verfolgten Minderheiten vergleichen darf.
Die von Castricano gesammelten Beiträge vermögen aufzuzeigen, dass die Kulturtheorie etwas zur Lösung der Tierfrage
beitragen und dabei in vielfältiger Weise erweitert werden kann.
Allerdings erhält man den Gesamteindruck, dass aufgrund des
großen Engagements für einen gerechteren Umgang mit Tieren
das Feingefühl für theoretische Details leider etwas vernachlässigt wird.
Marius Christen
Altexethik 2009
031-071-AltexLiteraturb.indd 63
4 Theologische Ethik
4.1 Eugen Drewermann:
Über die Unsterblichkeit
der Tiere. Hoffnung für die
leidende Kreatur
68 Seiten, Düsseldorf: Patmos Verlag,
2008, Euro 7,95
Der Text von Eugen Drewermanns
vorliegendem Buch erschien zu allererst im Jahre 1989 im Walter-Verlag
als Nachtrag seines Werkes „Ich steige
hinab in die Barke der Sonne. Meditationen zu Tod und Auferstehung“. Ein
Jahr später veröffentlichte der Verlag eine Auskoppelung dieses
Nachtrags unter dem gegenüber dem Originaltext leicht veränderten Titel Über die Unsterblichkeit der Tiere. Hoffnung für die
leidende Kreatur, mit einem Geleitwort der 2002 verstorbenen
deutschen Schriftstellerin Luise Rinser. Knapp zwanzig Jahre
später liegt nun eine Neuauflage des schmalen Bandes vor.
Die Fassung von 2008 unterscheidet sich von jener von 1990
kaum. Nur das statistische Material über die Zahl der Tiere in
Massentierhaltung und Laborversuchen wurde aktualisiert:
In der Neuausgabe müssen nach Drewermann beispielsweise „jährlich ca. 100 Millionen Tiere … aller nur erdenklichen
Arten jedes Jahr ihr Leben für ebenso sinnlose wie grausame
Experimente lassen“ (28f.), in der Ausgabe von 1990 waren es
immerhin noch ca. 300 Millionen Tiere.
Drewermann kommt unzweifelhaft das Verdienst zu, die
Tiervergessenheit des Christentums wie kein anderer zeitgenössischer Theologe im deutschsprachigen Raum seit zwei
Jahrzehnten lautstark und leidenschaftlich kritisiert und einen
barmherzigen Umgang mit der nichtmenschlichen Schöpfung
eingemahnt zu haben. Der vorliegende Band ist ein klares
Zeugnis dafür. Drewermann wirft darin der katholischen Kirche
vor, mit ihrer Einstellung zur menschlichen Geburtenkontrolle – d.h. ihrem Verbot künstlicher Antikonzeptiva – in Kauf zu
nehmen, dass Lebensraum und Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten durch die menschliche Überbevölkerung rücksichtslos reduziert werden. Er legt dar, dass es der christlichen Theologie
bis heute nicht gelungen sei, „sich mit dem evolutiven Weltbild
der modernen Naturwissenschaft anzufreunden“ (30, Hervorhebung im Original), und dass sie immer noch eine einseitige
Anthropozentrik vertrete, wonach „die ganze Schöpfung dem
Menschen zu dienen“ (28) hat. Einen wesentlichen Beitrag zu
dieser Abwertung der Tiere hat nach Drewermann die christliche Lehre von der Unsterblichkeit der Seele geleistet. Denn die
grundlegende Bedingung für die bei uns übliche Tierausbeutung
liege „in dem christlichen Glaubenssatz, dass allein der Mensch
ein unsterbliches Leben besitzt, während die Tiere nichts sind
als verbrauchbares Material zum Nutzen des Menschen als des
Herrn der Schöpfung in Zeit und Ewigkeit“ (28).
Drewermann plädiert dafür, Immanuel Kants Postulat von der
Unsterblichkeit der Seele auf die Tiere auszuweiten: Die Tiere
müssten als unsterblich vorgestellt werden, damit sie als Träger
eigener Rechte im Jenseitsgericht die menschliche Rücksichts63
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Literaturbericht
losigkeit ihnen gegenüber bezeugen können. Er unterstreicht
und illustriert diese Forderung mit dem Hinweis auf die ägyptische Mythologie, für die die Tiere als Botschafter oder Verkörperungen des Göttlichen galten und ihre Misshandlung als
Sünde. Folgerichtig stand den Tieren zu, Menschen wegen ihrer
Verstöße gegen die Achtung der Tiere im Jenseits anzuklagen.
Drewermanns Buch ist vorrangig paränetischer Natur. Es
stellt eine eindrucksvolle, engagierte ethische Mahnrede dar,
die die ungezähmte Anthropozentrik christlicher Dogmatik und
Moral anklagt und zu überwinden versucht. Ob das allerdings
dadurch gelingen kann, dass man die theologisch hochkomplexe Lehre von der so genannten „Unsterblichkeit der Seele“ auf
die Tiere ausdehnt, bezweifle ich, allein schon aus dem pragmatisch-religionssoziologischen Grund, dass diese Glaubenslehre
das Bewusstsein heutiger Christinnen und Christen nicht mehr
zentral prägt. Spekulative dogmatische Überlegungen zur Unsterblichkeit von Tierseelen durch die Ausweitung von Kants
Postulat der Unsterblichkeit von Menschenseelen zu untermauern, ist zudem nur für jene hilfreich, die Kants ursprüngliche
Ausführungen verstehen und für überzeugend halten.
Dem Text hätte eine gründlichere Überarbeitung und Aktualisierung gut getan: Seit seiner Ersterscheinung vor zwanzig
Jahren hat sich im Bereich der theologischen Tierethik einiges
getan. Der Hinweis auf Joseph Bernhardt, Francis Jammes und
auf den (dem Katholizismus zugeneigten) Juden Franz Werfel
als führende Vertreter einer konkurrierenden tierfreundlichen
Minderheitstradition erscheint doch ziemlich lückenhaft, und
die angeführten Textauszüge klingen sprachlich antiquiert (z.B.
Werfels Ode von den leidenden Tierchen [sic!]). Zu guter Letzt
eine kurze Bemerkung zu Luise Rinsers Geleitwort: Auch hier
steht Wichtiges und Richtiges. Aber Rinsers Behauptung „Hindus und Buddhisten essen kein Fleisch …, weil sie wissen, dass
auch im Tier ‚Atman‘ ist: der göttliche Hauch“ (13), ist eindeutig
falsch und das in zweifacher Hinsicht: Zahlreiche Hindus und
Buddhisten essen Fleisch (sogar der Dalai Lama ist kein strenger Vegetarier), und die Lehre von „Atman“ ist zwar für den
Hinduismus zentral, wird aber vom Buddhismus abgelehnt.
Kurt Remele
5
Rechtsfragen und Rechtsentwicklung
5.1 Gieri Bolliger, Antoine F.
Goetschel, Michelle Richner
und Alexandra Spring:
Tier im Recht transparent
559 Seiten, Zürich, Basel, Genf:
Schulthess Juristische Medien AG,
2008, CHF 49,00
Heimtierhaltung ist keine reine Privatangelegenheit, sondern hat eine gesellschaftliche und zunehmend auch juristische Bedeutung. So steht
denn auch im Zentrum der neuen Schweizer Tierschutzgesetzgebung die Verantwortung der Tierhalter für die ihnen anvertrauten
64
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Tiere. Von ihnen wird verlangt, dass sie die natürlichen Ansprüche
und Bedürfnisse ihrer Tiere kennen. Um das zum 1. September
2008 in Kraft getretene vollständig überarbeitete Schweizer Tierschutzrecht bekannt und für alle, die mit Tieren umgehen, auch
anwendbar zu machen, hat die Stiftung für das Tier im Recht
(TIR) einen universellen Ratgeber zur Heimtierhaltung herausgegeben. In einem breit angelegten ersten Kapitel wird der Leser
behutsam an die Grundfragen Was ist Tierschutz? Was versteht
man unter Tierschutzrecht? Was sind seine Leitprinzipien? etc.
herangeführt. Hier erfährt der Leser zum Beispiel, dass Hamster
und Meerschweinchen nach der Einteilung des Tierschutzrechtes
als nicht domestiziert und damit als Wildtiere gelten. Komprimiert
und dennoch leicht verständlich verschafft das Buch einen Überblick über das ethisch ausgerichtete Schweizer Tierschutzrecht,
seine Neuerungen, Leitprinzipien, Ziele, Zuständigkeiten, Stärken
und Schwächen. Verweise auf Unterschiede z.B. zum deutschen
Tierschutzrecht, in welchem die Tötung eines Wirbeltieres ohne
vernünftigen Grund strafbar ist und der Geltung internationalen
Tierschutzrechts stellen den Bezug zum europäischen Tierschutzrecht her.
In einem eigenen Abschnitt (Kap. 1.2.2.) wird die ausdrückliche
Aufnahme des Schutzes der Tierwürde als eine der tragenden Säulen im Schweizer Tierschutzrecht thematisiert. Dieses allgemeine
Verfassungsprinzip, das zu achten das Bundesverfassungsgericht
dem Bund bereits seit 1992 im Hinblick auf Missbräuche in der
Gentechnologie auferlegt worden ist, wird von den Autoren mit
kritischen Bildern vermenschlichter Tierdarstellungen unterlegt.
Sie drücken besser als viele Worte aus, weshalb die Würde des
Tieres als Eigenwert im Umgang mit ihm zu achten ist. Eingriffe
in die Würde der Tiere werden künftig – vergleichbar dem vernünftigen Grund nach deutschem Recht – im Wege einer Güterabwägung im Einzelfall nach ihrer Rechtfertigung zu bewerten sein.
Geschützt sind alle Tiere als Mitgeschöpfe in ihrem Selbstzweck,
weshalb es nun verboten ist, sie bloß als Mittel für menschliche
Zwecke zu verwenden. Tiefgreifende Eingriffe in ihr Erscheinungsbild, Erniedrigungen und Instrumentalisierungen bedeuten
eine Würdemissachtung und werden durch eine neu eingeführte
Strafbestimmung wie andere Tierquälereien bestraft. Auswüchse
in der Tierzucht oder sexuell motivierte Handlungen sind seit September 2008 sogar expressis verbis verboten.
Als weitere Neuerungen des Schweizer Tierschutzrechts wird
auf die konkreter festgelegten Bestimmungen zur Haltung von
Katzen, Pferden, Schafen, Ziegen, Fischen und Panzerkrebsen sowie den Mindestanforderungen für die erlaubnisfreie Haltung von
Wildtieren in privater Hand (Hamster, Chinchillas, Wellensittiche,
Kanarienvögel oder Koifische) verwiesen. Das Sozialleben und
die Bewegungsbedürfnisse der Tiere werden nun stärker berücksichtigt. Neben Informationen über differenzierte Übergangsvorschriften und Sachkundenachweise oder die Pflicht der gewerblichen Tierverkäufer, den Erwerber eines Tieres nun schriftlich über
die Bedürfnisse und Haftungsansprüche der Tiere aufzuklären,
wird der Leser darüber informiert, dass das Bundesamt für Veterinärwesen mit Merkblättern und über die neu geschaffene Website
www.tiererichtighalten.ch viel Praxiswissen über die richtige Haltung verschiedener Heim-, Nutz- und Wildtierarten bereithält.
Im zweiten Teil des ersten Kapitels wird anhand von Beispielsfällen dargestellt, wann von einer Misshandlung zu sprechen ist,
Altexethik 2009
13.12.2009 15:45:27 Uhr
Literaturbericht
wie Tierquälereien und andere Tierschutzdelikte bestraft werden,
welche Geldbußen durchschnittlich ausgesprochen wurden, wie
der behördliche Vollzug des Tierschutzrechtes aussieht und welche Aufgaben der Tieranwalt wahrnimmt.
Nach diesen „allgemeinen Erläuterungen“ handeln die Kapitel
2 bis 15 alle relevanten Problemkreise rings ums Tier ab. Dies beginnt mit den Vorüberlegungen vor dem Erwerb eines Heimtieres,
den Pflichten als Tierhalter, Haftungs- und Versicherungsfragen,
Zucht und Handel mit Heimtieren, Eigentumsfragen, Mietrechtsund Nachbarschaftsfragen, Tiere am Arbeitsplatz, Tiere auf Reisen
und im Straßenverkehr, Tiere im Sport, beim Tierarzt, Tiere aus
dem Tierheim, Probleme mit Wildtieren, und dem Thema Tierheim bis hin zu Fragen über den Tod des Tieres und seine legale,
würdevolle Bestattung. Auch heikle Themen wie der in einzelnen
Regionen praktizierte Verzehr von Hunde- und Katzenfleisch oder
sexuell motivierte Handlungen mit Tieren (Zoophilie und Zoosadismus) werden dabei nicht ausgespart.
Zahlreiche wissenswerte Tipps, wie das Recht auf Arbeitsfreistellung wegen unaufschiebbaren Pflegemangels am Haustier
oder Informationen über einen Fonds der Schweizer Tierärzte für
die Behandlungskosten von Findeltieren, sind nicht nur hochinteressant, sondern regen zur Nachahmung auch in Deutschland an.
Auf weit über 500 Seiten gelingt es dem durchweg aus Juristen
bestehenden Autorenteam ganz ohne Nennung von Gesetzesartikeln ihr enormes Fachwissen über die Mensch-Tier-Beziehung,
insbesondere über die juristischen Aspekte und Folgen menschlichen Handelns anhand von Beispielfällen aus der Beratungspraxis
der TIR kurzweilig und laienverständlich darzustellen und Lösungen anzubieten. Wo eine unstreitige Konfliktlösung nicht mehr
möglich ist, werden Ratschläge für die behördliche oder gerichtliche Rechtsverfolgung (Kapitel 1.3/1.4 und Kapitel 15) erteilt.
Das Nachschlagewerk wird abgerundet durch einen farblich abgesetzten Infoteil mit wichtigen Adressen und Links zu den Vollzugsbehörden, Meldestellen für Findeltiere, Heimtierdatenbanken, Tierschutzorganisationen, Tierversicherungen etc. Sinnvolle
Hilfsmittel sind die Mustervorlagen im Anhang, wovon insbesondere der ausführliche Kaufvertrag über ein Tier, die Vereinbarung
zur Heimtierhaltung als Anlage zum Wohnraummietvertrag sowie
eine Checkliste für eine Strafanzeige wegen Tiermisshandlung besonders hervorzuheben sind.
Mit einer modernen Aufmachung, klaren Struktur, optisch
gekennzeichneten Merksätzen und Praxistipps ergänzt durch
anschauliches Bildmaterial wird jedem Leser ein umfassender,
keineswegs spröder Durchgang durch die komplexen ethischen
und juristischen Probleme, die bei der Tierhaltung erwachsen,
ermöglicht. Dass bei der Darstellung der Tierschutzrechtslage
gänzlich auf Gesetzestexte verzichtet wurde, ist kein Manko, da
anhand von zahlreichen Verweisen und Links dem interessierten
Leser der Zugang zu den Rechtsvorschriften, weiterführenden
Erkenntnisquellen oder Interessensvertretungen laufend im Text
zur Verfügung gestellt werden. Das als Praxishandbuch gedachte
Nachschlagewerk richtet sich nicht nur an Heimtierhalter, zumal
viele Ausführungen auch auf Zoo- und Nutztiere übertragbar sind.
Mit dem zu recht gewählten Titel ist das Buch in seiner Art im
deutschsprachigen Raum einzigartig und für jeden am Tierschutz
Interessierten absolut empfehlenswert.
Roman Kolar
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5.2 David Favre: Animal Law:
Welfare, Interests, and Rights
520 Seiten, USA: Aspen Publications,
2008, Euro 40,99
David Favre, der seit mehr als 30 Jahren Tierrecht, Artenschutzrecht und
Vermögensrecht am College of Law
der Michigan State University lehrt
und eine der umfangreichsten Internetressourcen zum Thema Tierrecht
ins Leben gerufen hat (http://www.
animallaw.info/), legt ein umfangreiches Kompendium vor, das
sich mit dem Tier in der US-amerikanischen Rechtsordnung
befasst. Obwohl der Autor ausdrücklich auch den interessierten Laien ansprechen möchte, ist das als Casebook konzipierte
Werk in erster Linie ein Lehr- und Lernbehelf für Studenten der
„animal law courses“, die aus dem Lehrangebot amerikanischer
Universitäten nicht mehr wegzudenken sind.
An Hand von Rechtsnormen und Einzelfallentscheidungen
amerikanischer Gerichte werden verschiedene Tierschutzprobleme wie das Aussetzen und Vernachlässigen von Tieren,
Tierkämpfe und Animal Hoarding, aber auch die Haftung von
Tierärzten und verfahrensrechtliche Hürden, wie z.B. die eingeschränkte Klagelegitimation in Tierschutzfällen, behandelt.
Das Hauptinteresse des Autors gilt jedoch der Rechtsstellung
des Tieres im Zivilrecht, das dem Tier nach wie vor Sachstatus zuschreibt und es folglich ermöglicht, Eigentum an Tieren
zu begründen. Das für das Rechtssystem zentrale Organisationsprinzip des Eigentums prägt die Rechtsbeziehung zwischen
Mensch und Tier und steht gleichzeitig in einem unauflösbaren
Spannungsverhältnis zum Konzept des tierlichen Eigenwerts
(„intrinsic value“) und zur Anerkennung des Tieres als empfindungsfähiges Lebewesen („sentient being“, „Mitgeschöpf“).
Obwohl das Eigentumsrecht an Tieren bereits in den geltenden
(US-amerikanischen wie europäischen) Rechtsordnungen eine
Reihe von Einschränkungen erfährt, die der Besonderheit von
Tieren als leidensfähige, aber auch als potentiell gefährliche
Lebewesen Rechnung trägt (z.B. Tierschutzrecht, Vorschriften
zur Gefahrenabwehr im Sicherheitspolizeirecht), wäre eine formalrechtliche Klärung der Rechtsstellung von Tieren im Sinne
der Beseitigung normativer Widersprüche zwischen verschiedenen Rechtsmaterien wünschenswert, wie auch die von Favre vorgestellten Fallbeispiele aus dem Scheidungs-, Erb- und
Schadenersatzrecht zeigen. Die gänzliche Beseitigung des
Sachstatus von Tieren hält Favre jedenfalls derzeit für unrealistisch. Im Unterschied zu E. Eadie (vgl. die Besprechung der
Studie „Animal Suffering and the law“ in diesem Heft) plädiert
Favre für eine mit der Rechtsordnung kompatible Neudefinition
des Rechtsstatus von Tieren. Der veränderte gesellschaftliche
Stellenwert der Tiere erfordert es nach Auffassung des Autors,
neben dem Eigentum an (unbelebten) Sachen und dem Eigentum an Immaterialgütern (z.B. geistigem Eigentum) Tiere als
Eigentumskategorie sui generis („living property“) anzuerkennen: „The category of living property is easily distinguished
from the other property categories as physical, moveable living
objects – not human – that have an inherent self interest in their
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Literaturbericht
continued well-being and existence.“ (36) Im amerikanischen
Caselaw, dem besondere Bedeutung für die Weiterentwicklung
der Rechtsordnung zukommt, wurden bereits 1979 Überlegungen in diese Richtung angestellt: „This court now overrules prior precedent and holds that a pet is not just a thing but occupies
a special place somewhere in between a person and a piece of
personal property.” (136)
Durch das Tierschutzrecht erfährt die freie Verfügungsbefugnis des Eigentümers, die das Eigentumsrecht charakterisiert,
mehr oder weniger marginale Einschränkungen. Die Geschichte der US-amerikanischen Tierschutzgesetzgebung geht auf die
2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück; wie in Europa war das
historische Tierschutzrecht der USA zunächst auf wenige, ökonomisch wertvolle Tierarten sowie auf den Schutz dieser Tiere vor Übergriffe durch Dritte beschränkt. Die amerikanische
Tierschutzgesetzgebung weist jedoch bis heute Einschränkungen ihres Geltungsbereiches auf, die vor dem Hintergrund der
europäischen Rechtsentwicklung unverständlich erscheinen:
So nehmen sowohl die Tierschutzgesetze der amerikanischen
Bundesstaaten als auch der Federal Animal Welfare Act nicht
nur Jagd bzw. Fischerei und Schädlingsbekämpfung, sondern
auch die Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere („farming or a
generally accepted animal husbandry or farming practice involving livestock“) aus ihrem Geltungsbereich aus. In diesem
Zusammenhang stellt sich freilich nicht nur die Frage nach der
sachlichen Rechtfertigung dieser Ausnahme, sondern auch nach
ihrer Notwendigkeit: „[…] is it really necessary to impose cruel
conditions on agricultural animals in order to raise food animals? If the answer is no, then why is there a blanket exemption
for farming practices?” (242)
Wie E. Eadie betont auch Favre, dass der Schutz der Tiere in
der Europäischen Union besser gewährleistet wäre als in den
USA: „The laws of the European Union are much more protective of the interests of animals“. (311) Dieses Pauschal-urteil,
das sich keineswegs auf einen inhaltlichen Vergleich der Tierschutzstandards stützt, bedarf aus europäischer Perspektive freilich einer Differenzierung: So unterliegen z.B. die Hühnermast
als landwirtschaftliche Nutzung von Tieren nicht dem amerikanischen Tierschutzrecht, doch werden Mindestanforderungen an
die Hühnermast – ähnlich wie bis vor kurzem auch in Deutschland – durch brancheninterne Vereinbarungen definiert (vgl.
301f.). Vergleicht man die durch das National Chicken Council,
der Vereinigung US-amerikanischer Hühnermäster, festgelegten
höchstzulässigen Besatzdichten mit dem Mindestplatzangebot
der Masthühner-Richtlinie, so wird man feststellen, dass den
in der EU gemästeten Broilern kaum mehr Bewegungsfreiheit
zugestanden wird als ihren amerikanischen Art- bzw. Leidensgenossen.
Da die Rechtsordnung auf der moralischen Überzeugung der
Gesellschaft beruht bzw. einen Minimalkonsens dieser Überzeugung darstellt, muss zunächst geklärt werden, welcher moralische Status eine Gesellschaft den nicht-menschlichen Tieren
zuschreibt. Wie weit die Meinungen in dieser Frage auseinander
gehen, zeigen die Forderungen der Tierrechtsbewegung, gegen
die auch in den USA mit den Mitteln der Terrorismusbekämpfung vorgegangen wird. Den 2006 in den USA verabschiedeten „Animal Enterprise Terrorism Act“ kommentiert der Autor
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nicht; er stellt lediglich die Frage in den Raum, welche Interessen ein solches Gesetz wohl zu schützen berufen sei ...
Das vorliegende Werk, das durch die Materialfülle beeindruckt,
Leser mit geringen Vorkenntnissen aber wohl z.T. auch überfordert, wirft zahlreiche, mitunter provokante und irritierende Fragen auf: „Is it degrading for nonhuman animals to be considered
human property?“ (95) oder „What might the animal-human relationship be in 50 years?“ (101) Das Buch ermuntert den Leser,
unter subtiler Anleitung des Autors die Stellung des Tieres im
historisch gewordenen Rechtssystem kritisch zu reflektieren und
eigene Perspektiven bzw. Lösungsansätze zu entwickeln.
Gerichte und Behörden schenken Fällen, in denen Interessen
von Tieren auf dem Spiel stehen, im Allgemeinen wenig Aufmerksamkeit (vgl.35). Daran wird sich nur dann etwas ändern,
wenn tierrelevante Rechtsmaterien und Fragestellungen nachhaltig Eingang in die Studienpläne der rechtswissenschaftlichen
und veterinärmedizinischen Ausbildungsstätten finden, das
Bewusstsein der künftigen Entscheidungsträger für die spezifischen Probleme geschärft und die Klage- bzw. Beschwerdelegitimation in Angelegenheiten des Tierschutzes erweitert
wird. Bücher wie das vorliegende können dazu einen entscheidenden Beitrag leisten.
Regina Binder
5.3 Edward N. Eadie:
Animal suffering and the
law: national, regional, and
international
280 Seiten, West Lakes, South Australia: Seaview Press, 2009, $ 39,00
Der Wirtschaftswissenschafter und
Jurist Edward N. Eadie, der es sich
zum Ziel gesetzt hat, das Tierleid sowohl mit den Mitteln des Rechts als
auch durch Information und Bewusstseinsbildung zu verringern (Umschlagtext), legt ein Übersichtswerk über das Tierschutzrecht auf internationaler Ebene und in ausgewählten
nationalen Rechtsordnungen vor.
Der Autor gibt einen Überblick über allgemeine Begriffe des
Tierschutzes und Tierschutzkonzepte, behandelt die Entwicklung der Tierschutzgesetzgebung und thematisiert die Rolle
internationaler Organisationen (z.B. der World Organisation
for Animal Health, OIE) sowie der NGOs bei der Verbesserung des Tierschutzes. Neben der australischen Tierschutzgesetzgebung geht der Autor auch auf Tierschutzregelungen
in Neuseeland, den USA und in der Europäischen Union ein.
Schließlich enthält der Band ein Kapitel über verschiedene
Regelwerke (Codes of Practice), die als „accepted standards
of animal management“ für den Umgang mit Tieren vielfach
von großer praktischer Bedeutung sind, aber nur selten thematisiert werden.
Was die Stellung des Tieres im Recht betrifft, so weist Eadie
unter Bezugnahme auf die einschlägigen Arbeiten des amerikaAltexethik 2009
13.12.2009 15:45:28 Uhr
Literaturbericht
nischen Rechtswissenschafters G. Francione und übereinstimmend mit D. Favre (vgl. die Besprechung des Bandes „Animal
Law“ in diesem Heft) darauf hin, dass die Defizite im Bereich
des Tierschutzes ursächlich auf den Umstand zurückzuführen
sind, dass Tiere im rechtlichen Sinn als Sachen gelten (oder,
wie z.B. nach dem deutschen und österreichischen Zivilrecht,
in aller Regel wie solche zu behandeln sind). Eine Änderung
bzw. Aufwertung des rechtlichen Status der Tiere wäre daher
eine grundlegende Bedingung für eine systemische Verbesserung ihres Schutzes. Obwohl die Rechtsordnung die Rechtspersönlichkeit keineswegs ausschließlich Menschen vorbehält,
sondern sie z.B. auch bestimmten Körperschaften zuerkennt,
stellt der Autor zu Recht fest, dass die Umsetzung der Forderung, (bestimmten) Tieren Rechtspersönlichkeit zuzuerkennen schon auf Grund der weitreichenden ökonomischen und
sozialen Konsequenzen als unrealistisch bezeichnet werden
muss. Im Unterschied zu D. Favre, der zwar ebenfalls diese
Auffassung vertritt, aber dennoch eine moderate Neudefinition des Rechtsstatus der Tiere für erstrebenswert hält, spricht
sich Eadie dafür aus, die Nutzung von Tieren zu bestimmten
Zwecken zu verbieten und damit anzuerkennen, dass einige
Interessen von Tieren nicht gegen menschliche Interessen aufgewogen werden dürfen (35). Die Praxis zeigt nämlich, dass
sich die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes „unnötiges“ bzw. „vermeidbares“ Leiden („unnecessary suffering“)
als zentrale Schwierigkeit in der Umsetzung bzw. Anwendung
des Tierschutzrechts erweist. Zumeist wird ein Rechtfertigungsgrund in Gestalt „notwendiger“ oder „unvermeidbarer“
Leidzufügung bereits dann bejaht, wenn daraus nur irgendein Nutzen für den Menschen generiert wird oder auch nur
zu erwarten ist (34). Die Einbeziehung deontologischer, d.h.
ausnahmslos geltender und folglich unverhandelbarer Grenzen der Tiernutzung bzw. der Schmerz- bzw. Leidzufügung ist
als Ergänzung eines grundsätzlich auf einer Interessenabwägung basierenden Regulativs äußerst wünschenswert, da sie
der Tiernutzung deutlich sichtbare, aber gleichzeitig durchaus
gesellschaftsverträgliche Grenzen auferlegt.
Die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse über Biologie, Verhalten und Bedürfnisse von Tieren für die Weiterentwicklung des (rechtlichen) Tierschutzes ist heute unbestritten.
Da der Begriff der Wissenschaftlichkeit gerade im Hinblick
auf Forschungsarbeiten im Bereich des Tierschutzes häufig auf die Sammlung und Auswertung mess- bzw. wägbarer
Daten und Fakten verengt wird (z.B. Stressbeurteilung durch
Messung des Cortisolspiegels), plädiert Eadie für einen weiten
Wissenschaftsbegriff: „[…] the scientific community [should]
become more receptive to anecdotal evidence and anthropomorphic interpretation as important factors in appreciating
animal capacities“ (22). Ein ausschließlich positivistischer
Wissenschaftsbegriff wird dem Tier als ganzheitliches Lebewesen nicht gerecht; dem Autor ist daher darin zuzustimmen,
dass auch systematisch gesammelte anekdotische Berichte
über Tiere und ihre Verhaltensweisen einen Erkenntniszuwachs bedeuten können, was auch Verhaltensforscher wie D.
R. Griffin, J. M. Masson und zum Teil auch M. Bekoff zeigen.
Skepsis scheint allerdings gegenüber der Forderung nach einer
anthropomorphen Betrachtung der Tiere angebracht, da durchAltexethik 2009
031-071-AltexLiteraturb.indd 67
aus auch die wohlmeinende Vermenschlichung nichtmenschlicher Lebewesen zu einer Verkennung und Missachtung ihrer
autochthonen Bedürfnisse führen kann.
Im Gesamtzusammenhang des – pathozentrisch ausgerichteten – Tierschutzrechts kommt dem Begriff „sentient being”
(„empfindungsfähiges Lebewesen“, „Mitgeschöpf“), der sowohl im Tierschutzprotokoll zum Vertrag von Amsterdam
als auch in einzelnen nationalen Tierschutzgesetzen Europas
anzutreffen ist, große Bedeutung zu. Grundsätzlich ist Eadie
beizupflichten, wenn er daraus schließt, dass das Tierschutzprotokoll ein günstigeres politisches Klima zur Durchsetzung
von Verbesserungen im europäischen Tierschutzrecht erwarten lasse (24f.). Hingegen vermisst man den Hinweis, dass
sich dieses, immerhin dem Primärrecht zugehörige Dokument
bislang kaum positiv auf die Qualität der tierschutzrelevanten
Rechtsakte der Europäischen Union ausgewirkt hat, wie etwa
das Beispiel der Richtlinie 2007/43/EG (sog. „MasthühnerRichtlinie“) zeigt. Umso mehr erstaunt es, wenn Eadie das
Tierschutzprotokoll als „remarkable progress achieved in EC
law“ (136) bezeichnet.
In der aktuellen Tierschutzdiskussion wird dem Erfordernis
eines auf freiwilligem Verhalten des Einzelnen basierenden
präventiven Tierschutzes häufig größere Bedeutung beigemessen als dem rechtlichen Tierschutz, der Regelverletzungen
mit staatlichen Zwangsmitteln sanktioniert. Erfreulicherweise
betont Eadie nachdrücklich, dass Erziehung bzw. Information
einerseits und Gesetzgebung andererseits gleich wichtige und
gleichberechtigte Strategien auf dem Weg zu Verbesserungen
des Tierschutzes darstellen. Dem ist uneingeschränkt beizupflichten. Die Bevölkerung wird nur dann öffentlichen Druck
erzeugen, wenn ihr Bewusstsein für Tierschutzprobleme geschärft wird. Öffentlicher Druck aber ist der Motor für Fortschritte im Bereich des Tierschutzes, wie R. Garner in seiner
politikwissenschaftlichen Untersuchung „Political Animals“
(1998) aufgezeigt hat. Für die Weiterentwicklung des rechtlichen Tierschutzes sind daher die „Three Ps – public, press and
parliament“ – Öffentlichkeit, Medien und Gesetzgeber – von
entscheidender Bedeutung (46).
Insgesamt macht das Buch einmal mehr die Vielschichtigkeit der Fragestellungen, die sich rund um das Thema des Tierschutzrechts stellen, deutlich: „The provision of adequate and
effective legal protection for animals against suffering inflicted
by humans involves a great diversity of related issues and is
enormously complex.“ (241). Es enthält zahlreiche interessante und im deutschsprachigen Raum z.T. auch wenig bekannte
Detailinformationen; insgesamt ist es aber leider ein wenig
überfrachtet und unübersichtlich geraten, sodass die Orientierung dem Leser nicht immer leicht fällt. Etwas weniger wäre
in diesem Fall mehr gewesen!
Regina Binder
Literatur
Francione, G. (1995). Animals, Property, and the Law. Philadelphia: Temple University Press.
Garner, R. (1998). Political Animals: Animal Protection Politics
in Britain and the United States. Basingstoke, Hampshire:
Palgrave Macmillan.
67
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Literaturbericht
5.4 Dominik Lang: Sodomie
und Strafrecht: Geschichte
der Strafbarkeit des
Geschlechtsverkehrs mit Tieren
266 Seiten, Frankfurt am Main: Peter
Lang Verlag, 2009, Euro 45,50
Sexuelle Handlungen mit Tieren bilden seit Urzeiten einen festen Bestandteil fast aller Kulturen und Religionen
und gelten daher als Urphänomene der
menschlichen Gesellschaft. Dennoch
löst die Vorstellung entsprechender Kontakte heute meist ein Gefühl der Befremdung bis hin zu Abscheu aus. Im Altertum und der
Frühzeit oftmals akzeptiert, wird Geschlechtsverkehr mit Tieren –
der auch als Sodomie, Bestialität oder Zoophilie bezeichnet wird
– heutzutage weitgehend tabuisiert.
Vor dem Hintergrund dieses widersprüchlichen Denkens zeigt
Dominik Lang in seiner von der Universität Tübingen abgenommenen juristischen Dissertation die Entwicklung des Tatbestands
der Sodomie und dessen Auslegung im Gebiet des heutigen
Deutschlands auf. Rechtsvergleichend betrachtet der Autor dabei
auch die entsprechende Entwicklung in anderen Regionen Europas, wobei er sich insbesondere auf die Analyse des Strafgrunds
und die Form der Strafe innerhalb der verschiedenen Epochen
und Rechtsgebiete konzentriert und diese auf ihren jeweiligen Ursprung zurückführt.
Nach einer Übersicht über den kulturgeschichtlichen Stellenwert des Themas, in deren Rahmen der Autor aufzeigt, wie sexuelle Vereinigungen von Menschen, Tieren und Göttern in etlichen
Sagen, Mythen, Legenden und Märchen vorkommen, führt er den
Leser auf eine ausführliche Tour d̓horizon über die Strafbarkeit
der Sodomie in Europa, indem er nacheinander die verschiedenen
Rechtsordnungen von der Antike über das Hoch- und Spätmittelalter bis in die Neuzeit analysiert.
Die sorgfältige Untersuchung zeigt auf, wie die Ursprünge der
Strafbarkeit des Geschlechtsverkehrs mit Tieren bereits im Alten
Testament liegen (das die Tat mit der Steinigung des menschlichen
Täters und der Tötung des betroffenen Tieres bedroht), während
weder die Hochkulturen Vorderasiens und Ägyptens noch die alten Griechen und Römer oder die heidnischen Germanen, Kelten
und Slawen darin eine strafbare Handlung sahen. Der mosaische
Gesetzgeber nahm die Sodomie (neben anderen Sexualdelikten)
in seinen Strafkatalog auf, um das Volk „rein“ zu halten und gegenüber den übrigen „unreinen“ Völkern abzugrenzen. Dieses
Motiv der Identitätsstiftung wurde dann vom frühen Christentum
wieder aufgenommen und die Sodomie über die Jahrhunderte hinweg mehr und mehr zur am härtesten geahndeten Sünde erklärt,
deren Verdammungswürdigkeit sich tief ins christliche Bewusstsein des ersten Jahrtausends setzte. In der Neuzeit dehnte sich
der Tatbestand dann zunehmend von sexuellen Handlungen mit
Tieren auch auf weitere Handlungen aus, wobei unter anderem
Homosexualität, Analverkehr, Masturbation, Beischlaf mit NichtChristen, Leichenschändung, Teufelsbuhlschaft oder Verkehr mit
Statuen strengstens bestraft wurden.
Die Form der Strafe lag zunächst über viele Jahrhunderte in
kirchlichen Bussen, sodann – mit räumlich und zeitlich fliessenden
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Übergängen – für bis zu 1000 Jahre vor allem im Verbrennen des
Täters, wobei das missbrauchte Tier – insbesondere aus Furcht vor
der Entstehung von Mischwesen sowie zur Löschung der Erinnerung an die Tat – in der Regel ebenfalls verbrannt wurde. Erst in der
Neuzeit wich der Feuertod schliesslich „milderen“ Sanktionen wie
der Enthauptung oder arbiträren Strafen und schliesslich stetig abnehmenden Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen. Um 1800 entstand
allmählich eine Kluft zwischen dem romanischen Rechtsraum, in
dem die Sodomie bis spätestens Ende des 19. Jahrhunderts infolge
der fortschreitenden Säkularisierung der Religionsverbrechen für
straflos erklärt wurde, und dem nordisch-germanisch-angelsächsischen Sprachraum, dessen Staaten bis weit ins 20. Jahrhundert an
der Strafbarkeit festhielten. Veränderungen sind über die Jahrhunderte hinweg allein hinsichtlich Form und Grund der Bestrafung
sowie im Hinblick auf das Geschlecht der Täter zu bemerken, weil
eine Vielzahl von Gesetzen zwar die männliche, nicht jedoch die
weibliche Sodomie unter Strafe stellte.
Abschliessend liefert der Autor einen Überblick über die Strafbarkeit der Sodomie in der heutigen Zeit. Während die Handlung
innerhalb Europas nur noch in England, Wales und Nordirland
strafrechtliche Konsequenzen hat, haben alle anderen Staaten die
Strafbarkeit aufgehoben. Dabei fällt auf, dass der generelle Schutz
der missbrauchten Tiere – ausser in jenen Fällen, in denen eigentliche Tierquälereien vorliegen, d.h. den Tieren erhebliche körperliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden – nach
wie vor kein Thema zu sein scheint. Eine bedeutsame Ausnahme
hiervon, die Langs Arbeit bereits bei ihrem Erscheinen nicht mehr
ganz aktuell bleiben lässt, darf an dieser Stelle nicht unerwähnt
werden: Nach vielen Jahrzehnten der grundsätzlichen Straflosigkeit hat der Schweizer Gesetzgeber sexuelle Handlungen mit
Tieren nämlich wieder unter Strafe gestellt, indem das nationale
Tierschutzrecht Zoophilie seit September 2008 ausführlich verbietet. Der Grund hierfür liegt nicht in religiösen Überlegungen.
Die Strafbarkeit ist vielmehr ein Aspekt des Schutzes der Tierwürde, die in der Schweiz sowohl in der Verfassung als auch im
Tierschutzgesetz verankert ist. Für die Strafbarkeit ist es daher
nicht relevant, ob einem betroffenen Tier im Rahmen der Tat auch
physische Schmerzen oder Schäden zugefügt werden oder nicht.
Dieser kleine Makel tut jedoch der Tatsache keinen Abbruch,
dass Langs Dissertation einen sehr wichtigen Beitrag zur rechtshistorischen Aufarbeitung des Themas bedeutet. Dem Autor ist es
vorzüglich gelungen aufzuzeigen, wie das Unrechtsbewusstsein
hinsichtlich sodomitischer Handlungen stets von gesellschaftlichen Anschauungen abhing, die massgeblich durch den Wandel
der sozialen und religiösen Strukturen geprägt wurden. Damit hat
er die geschichtliche Entwicklung des Tatbestands der Sodomie
vor allem in den Kontext von Kultur- und Sozialgeschichte gesetzt und damit grössere Zusammenhänge verdeutlicht, was in
der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bislang mehrheitlich
unterblieben ist. Um „nicht ein rein theoretisches Geschichtsbild
entstehen zu lassen“ (19), prüft der Autor zudem auch immer wieder die Umsetzung der jeweiligen Strafnormen in der Praxis.
Gesamthaft liegt eine sehr sorgfältige Auseinandersetzung mit
der Materie vor, die nicht nur durch ihre minutiöse Quellenarbeit
und einen entsprechend umfassenden Fussnotenapparat besticht,
sondern interdisziplinär sowohl rechtshistorische, als auch religions- und sozialgeschichtliche Aspekte gebührend berücksichtigt.
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Literaturbericht
Dominik Lang liefert mit seiner Arbeit einen wertvollen Beitrag
zu einer traditionell heiklen Fragestellung. Ausserdem überzeugt
sie durch einen klaren Aufbau, sprachliche Sicherheit und die
Gründlichkeit der Aufarbeitung der einzelnen Teilaspekte. Sie ist
in Inhalt und Sprache anspruchsvoll, dennoch aber gut lesbar und
– was angesichts des Themas keine Selbstverständlichkeit ist –
wohltuend sachlich.
Gieri Bolliger
Literatur
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ISBN: 978-0-521-70348-2, € 20,99
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Rippe, Klaus Peter (2008). Ethik im außerhumanen Bereich. Paderborn: mentis. 367 Seiten. ISBN: 978-3-89785-659-2, € 32,00
Schmidt, Kirsten (2008). Tierethische Probleme der Gentechnik.
Zur moralischen Bewertung der Reduktion wesentlicher tierlicher
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Steiner, Gary (2008). Animals and the Moral Community: Mental Life,
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Wiedenmann, Rainer E. (2009). Tiere, Moral und Gesellschaft.
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Verlag. 462 Seiten. ISBN-13: 978-3810025272, € 49,90
Korrespondenzadresse
Dr. phil. Petra Mayr
Deisterstraße 25 B
31848 Bad Münder am Deister
Deutschland
E-Mail: [email protected]
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Literaturbericht
Die Arbeitsgruppe Literaturbericht
Buchbesprechungen verfassen (in alphabetischer Reihenfolge) Judith Benz-Schwarzburg (Tübingen), Regina Binder (Wien),
Dieter Birnbacher (Düsseldorf), Silke Bitz (Freiburg), Gieri Bolliger (Zürich), Andreas Brenner (Basel), Marius Christen (Basel),
Arianna Ferrari (Darmstadt), Franz P. Gruber (Küsnacht), Claus Günzler (Karlsruhe), Kathrin Herrmann (Berlin), Detlef Horster
(Hannover), Roman Kolar (Neubiberg), Ingrid Kuhlmann-Eberhart (Witzenhausen), Erwin Lengauer (Wien), Jörg Luy (Berlin),
Petra Mayr (Bad Münder), Cecilia Muratori (München), Kurt Remele (Graz), Silke Schicktanz (Göttingen), Kirsten Schmidt
(Bochum), Norbert Walz, (Nürnberg), Jean-Claude Wolf (Fribourg)
Neue Mitglieder:
Prof. Dr. Dieter Birnbacher
Geboren 1946 in Dortmund. Studium der Philosophie, Anglistik und der Allgemeinen Sprachwissenschaft in Düsseldorf, Cambridge und Hamburg; Promotion 1973, Habilitation 1988. Von 1993
bis 1996 Professor für Philosophie an der Universität Dortmund, seit 1996 an der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf. Arbeitsschwerpunkte Ethik, Angewandte Ethik, Anthropologie. Vizepräsident
der Schopenhauer-Gesellschaft e.V., Frankfurt/M. Mitglied der Zentralen Ethikkommission der
Bundesärztekammer. Stellv. Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer.
Wichtigste Buchveröffentlichungen: Die Logik der Kriterien. Analysen zur Spätphilosophie
Wittgensteins, 1974; Verantwortung für zukünftige Generationen, 1988; Tun und Unterlassen, 1995;
Analytische Einführung in die Ethik, 2003; Bioethik zwischen Natur und Interesse, 2006;
Natürlichkeit, 2006; Schopenhauer, 2009.
Lic. phil. Marius Christen
Geboren 1980 in Solothurn (Schweiz). Studium der Philosophie, Nachhaltigkeitswissenschaften
(Mensch-Gesellschaft-Umwelt) und Geschichte in Basel und Berlin; 2006 Abschlussarbeit zu Maurice
Merlau-Pontys Intersubjektivitätstheorie als Grundlegung einer Moralphilosophie im Vergleich zu
Immanuel Kants‚ „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“. Seit 2007 vom Schweizerischen
Nationalfonds geförderte Doktorarbeit zu den philosophischen Grundlagen von Nachhaltigkeit am
Programm für Nachhaltigkeitsforschung der Universität Basel, betreut durch Prof. Dr. Paul Burger.
Seit 2008 assoziiertes Mitglied des Graduiertenprogramms ‚Menschliches Leben‘ der Universitäten
Bern und Basel.
Kathrin Herrmann
Geboren 1976 in Ulm. Von 1997 bis 2003 Studium der Veterinärmedizin an der Freien Universität
Berlin und an der Universität Zürich. Nach Erhalt der Approbation im Juli 2003 Mitarbeit in
Hilfsprojekten von Tierärzte ohne Grenzen e.V. in Kenia und im Südsudan. Zwischen 2005 und 2007
Tätigkeit als praktische Tierärztin für Klein- und Heimtiere in Spanien und Deutschland. Seit 2007
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Veterinärwesen des Landesamtes für Gesundheit und
Soziales in Berlin. Zuständig für die Genehmigung und Überwachung von Tierversuchsvorhaben
und Versuchstierhaltungen. Berufsbegleitende Weiterbildung zur Fachtierärztin für Tierschutz und Tierschutzethik.
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Literaturbericht
Prof. Dr. Detlef Horster
1942 in Krefeld geboren und in Kempen am Niederrhein aufgewachsen; Drogistenlehre und anschließend Chemielaborant; 1966 Abitur am Erzbischöflichen Friedrich-Spee-Kolleg in Neuß;
Studium in Köln und Frankfurt/M.; 1973 erstes Juristisches Staatsexamen am OLG in Düsseldorf;
1976 Promotion zum Dr. phil. im Fach Soziologie; 1979 Habilitation mit der venia legendi für
„Sozialphilosophie“; Lehre und Forschung an den Universitäten Utrecht (Niederlande), Kassel,
Berlin (Humboldt-Universität), Port Elizabeth (Südafrika), Zürich und bis 2007 Professor für
Sozialphilosophie an der Leibniz Universität Hannover, mit den Schwerpunkten Moral- und
Rechtsphilosophie.
Prof. Dr. Kurt Remele
Geboren 1956 in Bruck/Mur (Österreich). Studium der katholischen Theologie und der Anglistik/
Amerikanistik in Graz und Bochum: wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum
(1984-1990): pädagogischer Mitarbeiter am Sozialinstitut Kommende in Dortmund (1990-1992):
seit 1992 am Institut für Ethik und Gesellschaftslehre der Universität Graz, seit 2001 ao.
Universitätsprofessor. Leopold Kunschak-Preis (2002). Kardinal-Innitzer-Förderungspreis (2002).
Fulbright Scholar an der Catholic University of America (2003), Visiting Professor am Department
of Philosophy der University of Minnesota (2007). Gründungsmitglied der Akademie für Tier-MenschBeziehungen in Graz. Fellow des Oxford Centre for Animal Ethics.
Wichtigste Publikationen: Ziviler Ungehorsam. Eine Untersuchung aus der Sicht christlicher
Sozialethik, Münster 1992; Tanz um das goldene Selbst? Therapiegesellschaft, Selbstverwirklichung
und Gemeinwohl, Graz 2001; Zwischen Apathie und Mitgefühl. Religiöse Lehren aus tierethischer
Perspektive, in: Tierrechte. Eine interdisziplinäre Herausforderung, Erlangen 2007, 254-270.
Verheiratet, 3 Kinder.
Dr. phil. Kirsten Schmidt
Geboren 1972 in Hagen. 1991-97 Studium der Biologie an der Ruhr-Universität Bochum (Abschluss
Diplom), anschließend Studium der Philosophie. 2007 Promotion mit der Arbeit „Tierethische Probleme
der Gentechnik. Zur moralischen Bewertung der Reduktion wesentlicher tierlicher Eigenschaften“.
Seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich „Angewandte Ethik“ am Institut für
Philosophie der Ruhr-Universität Bochum, arbeitet dort seit 2009 im Rahmen eines DFG-Projektes
zum Thema Genkonzepte und genetischer Essentialismus.
Arbeitsgebiete und wissenschaftliche Interessen: Philosophie der Biologie (vor allem Philosophie der
Genetik), Tier- und Bioethik, Philosophie des Geistes.
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