Evolutionstrends bei Primaten

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Evolutionstrends bei Primaten
Unterricht im Zoo
Evolutionstrends
bei
Primaten
Beobachtungen an Halbaffen, Neuweltaffen, Altweltaffen und
Menschenaffen
Erstellung eines Modellstammbaums
Unterrichtsvorschlag für Biologie-Kurse der Jahrgangsstufe 13 (Schwerpunktthema)
Lehrerinformationen zur Planung und Durchführung
von Ralf-Dietmar Klaus und Dr. Irene Schiedges
Inhaltsverzeichnis
1
Sachinformation zur Primatenevolution 3
2
Unterricht im Zoo 5
3
2.1
Lehrplan Biologie in NRW 5
2.2
NRW-Erlass für Schulen 5
2.3
Einordnung in die Unterrichtsthematik 5
2.4
Intentionen einer Zooexkursion 5
2.5
Bemerkungen zur Tierhaltung im Kölner Zoo 8
Beobachtbare Merkmale und ihre Evolutionstrends 9
3.1
Sinnesleistungen des Kopfes 9
3.1.1
Schädelform 9
3.1.2
Gesichtssinn 9
3.1.3
Geruchssinn 9
3.1.4
Gehörsinn 10
3.1.5
Einsatz der Sinnesorgane 10
3.2
Fortbewegung und Fortbewegungstypen 11
3.2.1
Verhältnis von Arm- und Beinlängen (Extremitätenproportionen) 11
3.2.2
Beweglichkeit des Schultergelenks 11
3.2.3
Handform 12
3.2.4
Fortbewegungsweisen und –typen 13
3.3
Feinmotorik der Hand 13
3.3.1
Opponierbarkeit des Daumens 13
3.3.2
Einzelfingerbeweglichkeit 13
3.3.3
Griffarten 14
4
Informationen zu den Arten 15
4.1
Halbaffen (Prosimiae): 15
4.2
Echte Affen (Simiae): 15
4.2.1
Neuwelt- oder Breitnasenaffen (Platyrrhini) 15
4.2.2
Altwelt- oder Schmalnasenaffen (Catarrhini) 16
5
6
Organisatorische und methodische Bemerkungen zur Zooexkursion 17
5.1
Vorschlag für eine ganztägige Zooexkursion mit 8 Affenarten 18
5.2
Auswertung in der Schule 19
Literaturangaben 22
2
1 Sachinformation zur Primatenevolution
Als Ergebnis eines langen phylogenetischen Prozesses realisiert jede rezente Organismenart
ihre Ökologische Nische. Aufgrund gemeinsamer Merkmale fasst die Systematik ähnliche
Organismenarten in hierarchisch geordnete taxonomische Einheiten zusammen, so dass sich
je nach Klassifikationsstufe der Typus einer Organismengruppe an charakteristischen
Merkmalen und ihrer Kombination beschreiben lässt.
In der Ordnung der Primaten gibt es eindeutige primatentypische Merkmale jedoch nicht. Sie
lassen sich eher in der Kombination untypischer Eigenschaften im Merkmalskomplex
"Anpassung an das Baumleben" charakterisieren:
 Große Beweglichkeit in den Gelenken, der Greifhände und -füße
verbunden mit einem ausgeprägten Tastsinn
 Betonung der visuellen Orientierung mit gleichzeitiger Reduktion der
olfaktorischen und akustischen Sinnesleistungen.
Aus der unterschiedlichen Ausprägung der jeweiligen Eigenschaften und Einzelphänomene
kann man bei rezenten Affenarten Merkmalskomplexe ableiten, die auf unterschiedlichem
Organisationsniveau eine zunehmende Anpassung an das Baumleben erkennen lassen. Solche
Evolutionstrends spiegeln die Höherentwicklung (Anagenese) innerhalb der Primaten wider.
Die Kriterien der Anagenese (vgl. RENSCH 1972) lassen sich auch in der Primatengruppe
wieder finden:
 zunehmende Arbeitsteilung und Differenzierung
 zunehmende Rationalisierung von Strukturen und Funktionen durch Kombination
 zunehmende Plastizität von Strukturen und Funktionen
(= erhöhte Umweltunabhängigkeit)
Gattung
Familie
Überfamilie
Ordnung
Pongo
Hylobatiden
Pongiden
Hundsaffen
Zwischenordnung
Unterordnung
Hylobates
(Gibbon)
Neuweltaffen
Halbaffen
Gorilla
Pan
Hominiden (Menschenaffen)
Hominoiden (Menschenähnliche)
Altweltaffen
Echte Affen
Primaten
Abb. 1 Vereinfachte Darstellung der systematisch-phylogenetischen Beziehungen der
Primaten
3
Homo
(Orang-Utan)
Ist im Verlauf der Entwicklung eine gewisse Organisationshöhe erreicht, führt Adaptive
Radiation zu einer Vielzahl unterschiedlich stark eingenischter Arten. Je enger die
Ökologischen Nischen realisiert werden, desto stärker wird die Abhängigkeit von der
jeweiligen Umwelt. Umso geringer werden die Chancen, einen neuen Organisationstyp auf
höherem Niveau hervorzubringen.
Die Entstehung des Homo sapiens lässt sich daher aus einer Primatenart auf einem sehr hohen
Organisationsniveau mit einer großen Umweltunabhängigkeit, d.h. aus einem unspezifischen
"Alleskönner" verstehen. Die nächsten Verwandten des Menschen, der Schimpanse Pan
troglodytes und der Bonobo Pan paniscus, gelten unter den Menschenaffen als die am
wenigsten spezialisierten Arten. Inwieweit der Bonobo nach neueren cytogenetischen
Untersuchungen dem Menschen näher steht als der Schimpanse, bleibt abzuwarten, da bisher
kaum Freilanduntersuchungen über Bonobos unternommen wurden.
Die Stammgruppe der Primaten bilden vermutlich die Insektenfresser, aus denen die
Halbaffen hervorgegangen sind. Unsicher ist, ob die rezenten Tupaias als Organisationstyp
ein Bindeglied zwischen den Insektenfressern und Halbaffen darstellen können. Die meisten
Halbaffenarten haben wegen fehlender Konkurrenz durch die Echten Affen auf Madagaskar
überleben können. Diese Erste Primatenradiation im Paläozän und Eozän führte zu einer
deutlichen Anpassung an das Baumleben hinsichtlich des Sehens und in der Entwicklung von
Greifextremitäten.
Im Oligozän und Miozän entwickelten sich die Echten Affen in der sog. Zweiten
Primatenradiation. Die Beweglichkeit im Bewegungsapparat nimmt zu, der Geruchssinn
verliert an Bedeutung, die optische Orientierung tritt in den Vordergrund. Nach der Trennung
der Kontinente Afrika und Amerika erfolgt auch eine unterschiedliche Entwicklung der
Echten Affen in die Neuweltaffen (Breitnasenaffen) und Altweltaffen (Schmalnasenaffen),
wobei die Neuweltaffen ursprünglichere Merkmale aufweisen als die Altweltaffen, was sich
besonders beim Greifen (Kraftgriff) zeigt.
Im Miozän entwickelten sich aus der Altweltaffenlinie die Hominoiden (Menschenähnliche)
während der Dritten Primatenradiation. Die Größen- und Gewichtszunahme erfordert eine
Fortbewegungsart "unter dem Ast" (vgl. Abb. unten), der Schwanz ist reduziert
(Schwinghangeln).
Allerdings können auch einige Nicht-Menschenaffenarten z.T. recht gut schwinghangeln. In
der Neuweltaffenlinie kann man wohl von einer konvergenten Entwicklung sprechen, was in
der Altweltaffenlinie nicht so eindeutig nachgewiesen ist.
Abb. 2
Lage des Körperschwerpunkts
bei der Fortbewegung auf und
unter dem Ast bei
unterschiedlicher Körpergröße
(nach NAPIER/NAPIER 1985)
4
2 Unterricht im Zoo
2.1 Lehrplan Biologie in NRW
Grundlage für die Arbeit im Fach Biologie in der Sekundarstufe II sind die verbindlichen
Vorgaben der Lehrpläne für die gymnasiale Oberstufe (Richtlinien und Lehrpläne für die
Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, Frechen 1999) sowie
die inhaltlichen Vorgaben zu den unterrichtlichen Voraussetzungen für die schriftlichen
Prüfungen in der gymnasialen Oberstufe, deren Schwerpunkte jährlich variiert werden.
Unabhängig von diesen Festlegungen für das Abitur gelten als allgemeiner Rahmen immer
die obligatorischen Vorgaben des Lehrplans Biologie.
Die Richtlinien empfehlen im Rahmen der „Öffnung von Schule zur außerschulischen
Wirklichkeit“ insbesondere den Verbund von Lernort Schule und Bildungsangeboten aus
dem kulturellen Umfeld (Zoologische und Botanische Gärten, Museen etc.). So wird das
Interesse an dem Zusammenleben von Mensch, Tier, Pflanze gefördert, durch die direkte
Begegnung mit dem Original eine erlebnisreiche Bindung an die Natur geweckt. Zudem wird
durch Möglichkeiten konkreten Tuns bei der direkten Begegnung mit Begreifbarem eine
Vielzahl von allgemeinen Kompetenzen gefördert. Die Anleitung zum selbsttätigen
Erarbeiten von Kenntnissen, Forschen und Finden bereitet auf lebenslanges Lernen vor,
denn es werden problemlösende Denk- und Lernstrategien entwickelt. Die Sensibilisierung
über die Auswirkungen des menschlichen Handels auf die Natur fördert die
verantwortungsvolle Gestaltung der Welt, die von einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne
der Agenda 21 getragen wird.
2.2 NRW-Erlass für Schulen
In der Organisation der Schulen ist es erfahrungsgemäß schwierig, Exkursionstage für die
Jahrgangsstufe 13 zu erhalten. Das Kultusministerium NRW betont daher in einem Erlass im
Amtlichen Schulblatt August 1985, dass die Fachlehrer das Angebot der Zooschulen nutzen
sollen. Es bittet die Schulleiter, "trotz notwendiger organisatorischer Maßnahmen"
Exkursionen in die Zoos zu ermöglichen.
2.3 Einordnung in die Unterrichtsthematik
Im Rahmen des Leitthemas „Evolution der Vielfalt des Lebens in Struktur und
Verhalten“ in der Qualifikationsphase der Sekundarstufe II gilt die „Transspezifische
Evolution der Primaten“ als ein obligatorisches Themenfeld und wird auch in den
Vorgaben für das Zentralabitur bereits bis 2010 als unterrichtliche Voraussetzung genannt.
Die Richtlinien schlagen sogar die Thematik „Trends in der Primatenevolution“ als ein
mögliches Schwerpunktvorhaben vor und illustrieren es in einem Diagramm. Im Rahmen
eines solchen Schwerpunktvorhabens können Fachinhalte (Bereich I) verschiedener
Themenfelder (Verhalten, Fitness und Anpassung Art- und Artbildung, Evolutionshinweise
und Evolutionstheorie, Transspezifische Evolution der Primaten behandelt werden. Ebenso
lässt sich der Bereich III (Fachmethoden) bei der Erstellung eines Modellstammbaums auf der
Grundlage von Eigenbeobachtungen der Primaten im Zoo realisieren. Dabei erfahren die
Schülerinnen und Schüler den geforderten erkenntnistheoretischen Weg von Beschreiben,
Vergleichen, Ordnen und Klassifizieren der Vielfalt der Einzelbeobachtungen über das
Formulieren von Hypothesen bis hin zum Aufstellen eines Gedankenmodells.
5
Im Gesamtkonzept eines Schwerpunktvorhabens zur Evolution der Primaten erhalten die im
Unterricht obligatorischen paläoontologischen Indizien einen realen Hintergrund durch die
Beobachtung rezenter Affen im Zoo. Morphologische Gegebenheiten unterschiedlicher
Organisationshöhe veranschaulichen einen Teilaspekt der Anthropogenese, der die
Höherentwicklung der Primaten dokumentiert. Gleichzeitig lassen sich durch Homologie- und
Analogieschluss die Adaptive Radiation der Primaten in einem hypothetischen Stammbaum
verdeutlichen und das methodische Vorgehen vertiefen.
Die Einordnung rezenter Affenarten in ein taxonomisches System ist mit Hilfe verschiedener
Merkmale aus unterschiedlichen Teildisziplinen der Biologie möglich. Je mehr Merkmale
berücksichtigt werden, desto eher spiegelt die Systematik den natürlichen Evolutionsprozess
wider. Im Biologieunterricht werden solche Merkmale häufig angesprochen, wie beim
immunologischen Vergleich, der Chromosomenübereinstimmung, der Ähnlichkeit von
Aminosäure- und DNA-Sequenzen sowie den anatomischen und funktionellen
Übereinstimmungen bei rezenten und fossilen Arten. Ein paläontologisch ausgerichtetes
Museum kann als zusätzlicher außerschulischer Lernort eine mögliche unterrichtliche
Erweiterung zum Thema Evolution des Menschen sein (z.B. das Neanderthal-Museum in
Mettmann).
6
2.4 Intentionen einer Zooexkursion
In aller Regel steht Kursen der Sek II nur eine begrenzte Zeitspanne für einen
Unterrichtsbesuch im Zoo zur Verfügung. Sicherlich wären mehrere Beobachtungstage
wünschenswert, es lassen sich aber schon wertvolle Lernziele verfolgen, die über den rein
kognitiven Bereich hinausgehen. Viele Kollegen wählen einen Unterrichtsbesuch im Zoo, um
den Schülern einen erlebnisorientierten, realitätsnahen Biologieunterricht außerhalb des
Fachraumes zu bieten:
 Die Schüler erleben die Vielschichtigkeit und Komplexität tierischen Verhaltens am
lebenden Objekt.
 Sie erfahren die Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Methoden durch
ihre Anwendung und selbständige Auswertung.
 Die Schüler setzen sich intensiv und mit Geduld mit wenigen Tierarten
auseinander.
Bei einem einmaligen Unterrichtsbesuch im Zoo beschränken sich allerdings die
Beobachtungsmöglichkeiten auf leicht beobachtbare morphologische Merkmale und ihren
funktionellen Zusammenhang in bestimmten Verhaltensweisen sowie ihre
Kategorisierung. Darüber hinaus sind intensive Verhaltensstudien unter evolutivem
Aspekt aus dem Bereich des Lern- und Sozialverhaltens wenig sinnvoll. Zum einen
zeigen die Tiere bestimmte Verhaltensweisen sehr selten, zum anderen erkennen
ungeübte Schüler ohne intensive Schulung nur schwer Verhaltenselemente des
Sozialverhaltens, die darüber hinaus problematisch zu deuten sind. Auch in der Ethologie
werden Ansätze zur Homologisierung von Verhaltenselementen stark diskutiert.
Schüler
können
ausgewählte
morphologische
Merkmale
sowie
ihren
Funktionszusammenhang erkennen und unter evolutionsbiologischen Gesichtspunkten
(Mosaikevolution) systematisieren.
Die zu untersuchenden Arten lassen sich aufgrund abgestufter Ähnlichkeiten in Halbaffen
und Echte Affen unterteilen, letztere wiederum in Neuwelt- und Altweltaffen. In der
Altweltaffenlinie heben die Menschenaffen heraus.
Es lassen sich bei den heute lebenden Affen Hypothesen über die Merkmalsausprägung
möglicher Stammformen aufstellen ( halbaffenähnlich, neuweltaffenähnlich,
altweltaffenähnlich, menschenaffenähnlich) und für jedes Merkmal ein Evolutiver Trend
formulieren.
Daraus lässt sich ein hypothetischer Modellstammbaum der beobachteten Affenarten
erstellen, der auf einfachem Niveau die zunehmende Komplexität von Merkmalen unter
Berücksichtigung der Zeit veranschaulicht. Auch wird die Methode der
Stammbaumerstellung an selbst beobachteten Daten eingeführt und geübt. Die Schüler
erfahren dabei, dass Einzelmerkmale in der Gewichtung und Berücksichtigung bei der
Stammbaumerstellung den Merkmalskomplexen nachgestellt werden müssen und dass sie
auch als Sonderanpassungen der Einnischung ( Artbildung) aufgefasst werden können,
die den Evolutiven Trend modifizieren. An einigen Stellen im Stammbaum lassen sich
sogar mehrere Verzweigungsmöglichkeiten postulieren, die mit der durchgeführten
Untersuchungsmethode im Rahmen der Vergleichenden Ethologie nicht eindeutig zu
klären sind. Es bedarf daher weiterer Daten aus anderen biologischen Disziplinen
7
2.5 Bemerkungen zur Tierhaltung im Kölner Zoo
Oberstufenschüler stehen der Tierhaltung in Zoologischen Gärten oftmals sehr kritisch
gegenüber. Bei einer Zooexkursion wird jeder Lehrer erfahrungsgemäß mit dieser
Problematik konfrontiert.
Die Grundforderung der Tierhaltung ist die Artgemäßheit. Aufgrund des intensiven
wissenschaftlichen Informationsaustausches werden die Haltungsbedingungen der Zootiere in
den "wissenschaftlich geführten" Zoo ständig weiterentwickelt. Entscheidendes Kriterium zur
Beurteilung artgemäßer Haltung ist weniger die Größe eines Geheges, sondern eher die
Strukturheterogenität in Raum und Zeit. Mit anderen Worten: das Angebot an vielfältigen
Umweltreizen zur Beschäftigung der Tiere erleichtert die artgemäße Auseinandersetzung der
Tiere mit ihrer Umwelt "Zoo" und befriedigt artspezifische Bedürfnisse ihrer
Lebensäußerungen (z.B. Sozialformen, Bewegungsformen, Verhaltensäußerungen u.a.). Dazu
sind Kenntnisse der Freilandforschung und Zoohaltung erforderlich.
An den Gehegen des Kölner Zoo lässt sich der Einstellungswandel der Tierhaltung im Laufe
der Zeit gut nachvollziehen. Bei historischen, z.T. denkmalgeschützten Gebäuden, wie dem
Elefantenhaus muss sich die Tierhaltung oftmals auf Kompromisse einlassen. Aber selbst
ältere Gebäude und Gehege (Südamerikahaus, Bärenanlagen, Vogelgehege) werden durch
permanente Veränderungen auf die Bedürfnisse der Tiere angepasst Ebenso wird eine gute
Präsentation der Gehege für die Besucher angestrebt.
Bevor die Schüler ihr eigenes Urteil über Zoos, ihre Existenzberechtigung und den Kölner
Zoo im Besonderen fällen, sollten sie beachten, dass der für Besucher oftmals
verbesserungswürdige optische Eindruck nicht mit schlechten Haltungsbedingungen
gleichzusetzen ist. Ohne ausreichende Kenntnis der Arten ist eine Wertung nicht stichhaltig.
8
3 Beobachtbare Merkmale und ihre Evolutionstrends
Zur Beobachtung und Systematisierung der Primaten bei einer Zooexkursion eignen sich
folgende Merkmale bzw. -komplexe, die die Schüler zum einen als morphologisches
Einzelmerkmal zum anderen auch als komplexere, damit zusammenhängende
Verhaltensäußerungen beobachten sollen:
3.1 Sinnesleistungen des Kopfes
3.1.1 Schädelform
Eine typische Schnauze findet sich nur bei den Varis (Halbaffen) mit einer deutlich
vorgezogenen Schnauze und flacher Stirn als Übergang zum Gehirnschädel. Der
Gesichtsschädel ist dem Gehirnschädel vorgelagert.
Abb. 3
Lage der Schädelteile bei Halbaffen und Echten Affen
Bei allen anderen Affenarten ist zwar die Kiefernpartie deutlich vorgezogen (stumpfe
Schnauze), der Gesichtsschädel befindet sich aber mehr unter dem Gehirnschädel
(affentypisch). Der Mantelpavian besitzt einen sehr stark ausgeprägten Ober- und
Unterkieferbereich, dennoch liegt durch eine starke Aufwölbung des Gehirnschädels der
Gesichtsschädel unter ihm (sekundäre Anpassung).
Evolutionstrend:
Gesichtsschädel vor Gehirnschädel 
Gesichtsschädel unter Gehirnschädel
3.1.2 Gesichtssinn
Der schräg nach vorne gerichteten Augenstellung am Schädel der Halbaffen (Varis) steht eine
frontale Stellung der Echten Affen gegenüber, die das Gesamtsehfeld verkleinert, doch das
stereoskopische Sehfeld vergrößert (vgl. Lösungsblätter).
Evolutionstrend: seitliche Augenlage  frontale Augenlage
3.1.3 Geruchssinn
Die Varis besitzen eine deutlich erkennbare unbehaarte, drüsenreiche Nase mit einer
unbeweglichen Oberlippe und Tasthaaren (feuchter, „hundeartiger“ Nasenspiegel), was auf
einen gut entwickelten Geruchssinn schließen lässt.
Die Nasenregion der übrigen Affenarten ist kein deutlich abgegrenzter Bezirk. Der gesamte
äußere Nasenbereich einschließlich der äußeren Nasenöffnungen ist trocken und leicht
behaart.
9
Aufgrund der unterschiedlich breiten Nasenscheidewand lassen sich die Echten Affen in
Schmalnasen(=Altwelt)affen und Breitnasen(=Neuwelt)affen leicht unterscheiden.
Evolutionstrend:
feuchte Nase mit Tasthaaren (Nasenspiegel) 
trockene Nasenregion
Abb. 4
Nasenformen
Nasenspiegel der Halbaffen
Breitnasenaffen
(Neuweltaffen)
Schmalnasenaffen
(Altweltaffen)
3.1.4 Gehörsinn
Die Halbaffen besitzen einen beweglichen, behaarten Ohrtrichter (Ohr"tüte"), den sie aktiv
auf eine Geräuschquelle ausrichten können. Die Echten Affen haben eine unbewegliche
Ohrmuschel.
Evolutionstrend: trichterförmiges, bewegliches Ohr  unbewegliche Ohrmuschel
3.1.5 Einsatz der Sinnesorgane
Die Einzelmerkmale lassen sich zum Merkmalskomplex Sinnesleistung zusammenfassen:
Der Gesichtssinn ist bei den Halbaffen (Vari) gut entwickelt, dennoch werden gerade bei der
Fernorientierung die beweglichen Ohren eingesetzt. Sie orientieren den Kopf in die Richtung
einer Reizquelle und spitzen dabei die Ohren. In Ruhephasen ist das Ohrenspiel oft die einzig
erkennbare Bewegung. Zwecks Nahorientierung prüfen die Varis ihre Nahrung intensiv durch
Beriechen im Futternapf und nehmen sie dann mit dem Mund auf. Gegenstände der
Gehegeeinrichtung sowie Artgenossen werden ständig berochen.
Die Echten Affen orientieren sich sowohl im Nah- und Fernbereich vorwiegend optisch, z.B.
wählen sie ihre Nahrung am Boden, in den Bäumen oder in der Hand unter Sichtkontrolle aus.
Sie erkennen sich an optischen Merkmalen und verständigen sich häufig mit Mimik des
Gesichts. Daneben verständigen sie sich untereinander mit akustischen Signalen.
Olfaktorische Sinnesleistungen besitzen eine untergeordnete Bedeutung.
Es lässt sich eine Schwerpunktverlagerung der Sinnesleistungen feststellen, der besonders bei
der Nahorientierung (z.B. der innerartlichen Kommunikation) beobachtbar ist.
Evolutionstrend: Riechen, Hören, Sehen  Sehen, Hören, Riechen
10
3.2 Fortbewegung und Fortbewegungstypen
Als Bewohner des arborealen Lebensraumes beherrschen alle Affen die erforderlichen
Fortbewegungsweisen des Laufens (Vierfüßlergang), Kletterns und Springens. Anpassungsund evolutionsbedingt werden jedoch bestimmte Techniken der Fortbewegung "auf dem Ast"
bevorzugt bzw. abgewandelt, z.T. sogar über kürzere Strecken der bipede Gang angewandt.
Bei den Menschenaffen kommt das Schwinghangeln (Echte Brachiation) als zusätzliche
Fortbewegungsweise hinzu, die als Fortbewegungsanpassung „unter dem Ast" aufgrund ihrer
Abb. 5
Typisches Schwinghangeln
= Fortbewegung „unter dem Ast“
(nach NAPIER/NAPIER 1985)
Gewichtszunahme aufgefasst werden (vgl. Abb. 1). In ähnlicher Form als sog.
Semibrachiation kann das Schwinghangeln auch auf niedrigerer Organisationsstufe sowohl
bei den Altweltaffen als auch Neuweltaffen beobachtet werden kann. Da dies nur sehr schwer
erkennbar ist, ist eine Unterscheidung für Schüler im Rahmen dieser Thematik unbedeutend.
3.2.1 Verhältnis von Arm- und Beinlängen (Extremitätenproportionen)
Alle sich überwiegend im Vierfüßlergang und springend fortbewegenden Affenarten besitzen
längere oder annähernd gleich lange Beine als Arme. Mit der Brachiation/Semibrachiation ist
eine Verlängerung der Arme verbunden, die bei den Menschenaffen (Orang-Utan) am
deutlichsten ausgeprägt ist. Gemessen wird das Verhältnis mit dem Intermembralindex, der
sich als Prozentwert ausdrücken lässt.
Evolutionstrend: Längere Hinterextremität  längere Vorderextremität
3.2.2 Beweglichkeit des Schultergelenks
Die quadruped laufenden Affenarten können nur im begrenztem Maße ihre
Vorderextremitäten seitlich abspreizen. Die Freiheitsgrade des Schultergelenks lassen
hauptsächlich eine Vor-Zurück-Bewegung der Arme zu, da der ovale Gelenkkopf eine
allseitige aktive Beweglichkeit einschränkt (vgl. Abb. 7). Nur passiv können die
Schultergelenke in jede Richtung gedehnt werden, z.B. beim Hängen unter dem eigenen
Körpergewicht.
Die aktive Schulterbeweglichkeit ist bei den Hanglern vollkommen dreidimensional
(Kugelgelenkkopf), so dass sie Richtungsänderungen während des Hangelns schon beim
Zugreifen und in der Schwungphase erzielen können.
Evolutionstrend: Beweglichkeit Vor-Zurück  dreidimensionale Beweglichkeit
11
Abb. 6
Aktive Beweglichkeit in den Schultergelenken bei Echten Brachiatoren
(links) und vorwiegend quadruped laufenden Arten (rechts) und ihre
Gelenkköpfe
(ergänzt nach EIMERL 1977)
3.2.3 Handform
Hangler krümmen bei ihrer Fortbewegung "unter dem Ast" ihre letzten Fingerglieder ohne
Benutzung des Daumens ("einhaken"). Sie greifen nicht um den Ast. Ihr Daumen setzt daher
tief in Handgelenksnähe am schmalen Handteller an oder ist sogar stark reduziert (wie z.B.
beim Klammeraffe).
Die laufenden Affenarten besitzen einen relativ breiten Handteller mit kurzen Fingern und
hohem Daumenansatz.
Abb. 7
Handformen und Daumenansatz
Evolutionstrend: Hoher Daumenansatz  Tiefer Daumenansatz / Kein Daumen
12
3.2.4 Fortbewegungsweisen und –typen
Die Einzelmerkmale lassen sich zum Merkmalskomplex Fortbewegung zusammenfassen:
Es lassen sich bei allen Affenarten die arttypischen Fortbewegungsarten beobachten, wobei
besonders die Jungtiere wegen ihrer größeren Bewegungsaktivität häufig die gesamte
Variationsbreite aller Bewegungen zeigen. Der Hauptlokomotionstyp ist allerdings nicht
Abb. 8
Der Daumenansatz des laufenden
und schwinghangelnden
Fortbewegungstyps
(aus KUHN 1988)
unbedingt während der Beobachtungszeit der Schüler auch die Hauptfortbewegungsweise.
Evolutionstrend:
quadrupedes Laufen, Klettern, Springen 
Schwinghangeln, Klettern,
quadrupedes und bipedes Laufen
3.3 Feinmotorik der Hand
3.3.1 Opponierbarkeit des Daumens
Die Möglichkeit, den Daumen den anderen Fingern gegenüberzustellen (Opponierbarkeit),
befähigt die Altweltaffen des differenzierten Greifens bei der Fortbewegung und von
Gegenständen. Sie besitzen ein Sattelgelenk im Daumen und stellen ihn aktiv den übrigen
Fingern gegenüber (Echte Opponierbarkeit).
Die Halbaffen besitzen einen anatomisch abgespreizten Daumen mit einem Scharniergelenk,
der beim Laufen auf einem Ast den Fingern gegenübergestellt ist und durch das eigene
Körpergewicht die Hand schließt, so dass der Eindruck der Opponierbarkeit entsteht. Eine
Rotation im Daumengelenk ist nur eingeschränkt möglich. Beim Ergreifen von Gegenständen
vom Boden kann der Daumen aber nicht opponiert werden, er liegt seitlich neben der
Handfläche. Daher besitzen die Halbaffen nur die Fähigkeit der sog. Pseudoopponierbarkeit.
Auch die Neuweltaffen können nur die Pseudoopponierbarkeit durchführen, bei ihnen ist aber
der Daumen von vornherein nicht so weit abgespreizt und liegt meist mit der Handfläche in
einer Ebene.
Evolutionstrend: Pseudoopponierbarkeit Echte Opponierbarkeit
3.3.2 Einzelfingerbeweglichkeit
Beim Greifen sind die Halbaffen und Neuweltaffen nicht in der Lage, ihre Finger unabhängig
voneinander zu bewegen (Ganzhandkontrolle). Beim Ergreifen von kleineren Gegenständen
nehmen sie ihn daher in die ganze Hand und krümmen alle Finger gleichzeitig in einer Ebene.
Dagegen bewegen die Altweltaffen jeden Finger einzeln (Einzelfingerkontrolle).
Evolutionstrend: Ganzhandkontrolle  Einzelfingerkontrolle
13
Sattelgelenk
Weißkopfsaki
Lisztäffchen
Vari/Katta
Kleideraffe
Mantelpavian
Orang-Utan
Bonobo
Abb. 9
Rotation im Daumengelenk
3.3.3 Griffarten
Diese Einzelmerkmale lassen sich zum Merkmalskomplex Greifen zusammenfassen:
Einzelfingerkontrolle und Echte Opponierbarkeit des Daumens (als "Einzelmerkmale")
ermöglichen Feinmanipulationen der Hand von höchster Genauigkeit, die mit dem
Merkmalskomplex Präzisionsgriff (Pinzettengriff) beschrieben werden können. Er ist für die
Altweltaffen charakteristisch
Der Kraftgriff der Halbaffen und Neuweltaffen ist weniger genau und wirkt unbeholfener.
Die Merkmale Pseudooponierbarkeit und Ganzhandkontrolle wirken in dieser Griffart
zusammen. Die Unterschiede der beiden Griffarten können sehr gut bei Situationen der
Fellpflege (Grooming) sowie bei der Nahrungsaufnahme beobachtet werden.
Evolutionstrend: Kraftgriff  Präzisionsgriff
Abb. 10
Kraft- und Präzisionsgriff
(aus EIMERL 1977)
14
4 Informationen zu den Arten
4.1 Halbaffen (Prosimiae):
Schwarz-weißer Vari (Varecia variegata variegata) oder Roter Vari (V. v. ruber),
Fam. Lemuricae
Alternative / Ergänzung: alle Halbaffen des Lemurenhauses
Standort: Lemurenhaus
Innerhalb der Lemuren stehen die Varis wohl auf einem relativ niedrigen
Organisationsniveau. Sie sind überwiegende Baumbewohner und mehr einzelgängerisch
organisiert. Alle Halbaffenarten zeigen in auffälliger Weise die olfaktorische Orientierung
durch intensives Schnüffeln und Markieren. Weite Sprünge und schnelles Laufen und
Klettern sind typisch. Weniger effektiv ist das von Schülern oft als „Hangeln“ bezeichnete
Hangelklettern mit allen vier Extremitäten unter dem Deckengitter, welches eher als "Klettern
unter dem Ast" verdeutlicht werden kann.
Die Roten Varis stellen eine Unterart der Schwarz-weißen
Varis dar, die im Nordosten von Madagaskar geografisch
getrennt von den Schwarz-weißen Varis vorkommen. Sie
gelten im Freiland als ausgerottet und bestehen somit nur noch
als Zoopopulation und lassen sich recht gut vermehren.
4.2 Echte Affen (Simiae):
4.2.1 Neuwelt- oder Breitnasenaffen (Platyrrhini)
Gelbbrust- Kapuzineraffe (Cebus xanthossternos)
Fam. Cebidae, Kapuzinerartige
Alternative / Ergänzung: Weißkopfsaki (Pithecia),
Standort: Südamerikahaus
Die Kapuzineraffen lassen sich aufgrund ihrer Fortbewegung als "auf den
Zweigen gehender und laufender Typ" bezeichnen. Die Finger sind dabei
in einer Ebene angeordnet. Manchmal lässt sich eine weitere Griffart
beobachten, die als Präzisionsgriffersatz aufgefasst werden kann, der sog
Scherengriff. Dabei halten die Affen einen Gegenstand mit gespreizten
Fingern fest. Gut beobachten lässt sich bei ihnen der Kraftgriff.
Der Gelbbrust-Kapuzineraffe ist einer der bedrohtesten Affenarten
überhaupt.
Lisztäffchen (Sanguinus)
Alternative: andere Krallenaffenarten (s. Gehegeschild)
Fam. Callitricidae, Krallenaffen
Standort: Südamerikahaus
Die Krallen der kleinen Krallenaffen sind als Anpassung an das
Baumleben kein ursprüngliches Merkmal, sondern nachweislich das
Ergebnis einer späteren Radiation - und damit umgewandelte Plattnägel.
Aufgrund ihrer geringen Körpergröße bewohnen die Krallenaffen die
Kronenregionen der südamerikanischen Regenwälder. Sie laufen und
springen sehr schnell auf den Ästen. Äußerst selten betreten sie den
Boden. Deutlich erkennbar ist bei ihrem Griff die Lage aller Finger in einer Ebene.
Brüllaffe (Alouatta)
Fam. Cebidae, Kapuzinerartige
Standort: Südamerikahaus
Brüllaffen sind langsame Läufer und Kletterer. Sie bewegen sich mit
ihren Armen und zusätzlichem Einsatz ihres Greifschwanzes als
"fünfte Extremität" in der Baumregion sehr gemächlich fort. Die
Finger können nicht einzeln bewegt werden. Der Daumen ist um
besseren Greifen ein wenig abgespreizt. Der Scherengriff dient als
Ersatz zum Präzisionsgriff.
4.2.2 Altwelt- oder Schmalnasenaffen (Catarrhini)
Kleideraffe (Pygathrix pygathrix)
Alternative: Guereza (Colobus guereza)
Fam. Colobidae Schlankaffen
Standort: Lemurenhaus
Als reine Baumbewohner und hochspezialisierte Blattfresser
bewegen sich die Kleideraffen im Vierfüßlergang und Springen
auch relativ weit. Das schnelle Schwinghangeln (konvergente
Entwicklung?) ist bei den Jungtieren häufiger zu beobachten als
bei den Adulten. Die Opponierbarkeit des Daumens ist bedingt
durch den tiefen Ansatz des Daumens an der Hand und seiner
geringen Größe wegen etwas schwieriger zu erkennen. Die
Schultergelenke sind in alle Richtungen beweglich.
Nur wenige Zoos auf der Welt sind wegen der komplizierten Haltung und Ernährung
(Blätterfresser) in der Lage, Kleideraffen zu halten. In nur zwei Zoos ist bislang die Züchtung
erfolgreich, so auch in Köln. Allerdings sinkt der Zoobestand beständig.
Mantelpavian (Papio hamadryas)
Fam. Cercopithecidae, Meerkatzenartige
Standort: Pavianfelsen
Als sekundäre Bodenbewohner laufen die Paviane im Vierfüßlergang. Ihr
Körperbau ist stämmig, die Hand kurzfingrig. Die Kletterbäume nutzen
häufig die Jungtiere, die erwachsenen Tiere sitzen meist in ihren EinMann-Gruppen am Boden oder in Felsvorsprüngen des Affenfelsens. Beim
intensiven sozialen Lausen lässt sich der Präzisionsgriff sehr gut erkennen.
Ebenso die vorwiegend visuelle Kommunikation über eine ausgeprägte
Mimik.
Orang-Utan (Pongo)
Fam. Pongidae, Menschenaffen
Standort: Urwaldhaus
Die Orang-Utans gehören zu den Menschaffen, die sich
sehr früh spezialisiert haben. Ihre sehr langen Arme
werden als Ergebnis einer Einnischung an die fast
ausschließliche Baumlebensweise aufgefasst. Aufgrund
ihres hohen Körpergewichts hangeln und klettern sie
bedächtig. Die Schultergelenke (und auch Hüftgelenke)
sind extrem beweglich, ihre schlanken Hände besitzen
lange Finger mit einem tief ansetzenden kleinen Daumen, dessen Nicht-Einsatz während des
Schwinghangelns bei den Orangs besonders deutlich beobachtet werden kann.
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Am Boden wirkt die Fortbewegung langsam, obwohl sich die Tiere die meiste Zeit am Boden
aufhalten. Sie schieben ihren Körper durch die aufgestützten Arme, dabei nehmen die Hände
und Füße eine seitlich gekrümmte Stellung ein (Krückengang).
Bonobos (Pan paniscus)
Fam. Pongidae, Menschenaffen
Standort: Urwaldhaus
Bonobos zeigen die größte Variationsbreite bei der
Fortbewegung. Wegen der geringen Spezialisierung der
Extremitäten ist der Vierfüßlergang (als Knöchelgang) relativ
schnell, sie halten sich auch im Freiland die meiste Zeit am
Boden auf. Sie beherrschen auch über eine längere Distanz den
zweibeinigen Gang. Aber auch die Effektivität des
Schwinghangelns und des Klettern ist sehr beachtlich. Im
Vergleich zu den Orangs sind sie jedoch nicht so beweglich in
den Gelenken der Arme und Beine. Neuere, besonders
biochemische Untersuchungsergebnisse stellen die Bonobos in
die nächste Nähe der Verwandtschaft mit dem Menschen und
nicht die zur gleichen Gattung gehörenden Schimpansen.
5 Organisatorische und methodische Bemerkungen zur
Zooexkursion
Ein im Zoo zu erstellender Modellstammbaum sollte mit möglichst vielen Arten erstellt
werden. Erst dadurch erhält er möglichst viele Verzweigungen und ähnelt einem "Baum".
Seine Verzweigungsstellen können bei den Schülern wissenschaftspropädeutische
Diskussionen zur Bewertung von Merkmalen und Merkmalskomplexen erzeugen. Eine
Zooexkursion sollte einen ganztägigen Zooaufenthalt einplanen. Eine Begrenzung auf einen
Vormittag ist zwar besser als gar keine Beobachtung der Affen im Zoo, geht aber eindeutig
auf Kosten der Artenvielfalt und eines tieferen Einblicks in die Radiation und Lebensweise
der Primaten.
Beobachtungen im Zoo:
 Eigenbeobachtungen der Schüler mit Hilfe von Beobachtungsaufträgen
(Arbeitsblatt 1 und 2) vor den Gehegen
 Sammlung der Beobachtungsdaten mit tabellarischen Sammlungsbögen an einem
geeigneten Ort im Zoo
Auswertung in der Schule:
 Erstellen einer übersichtlichen Merkmalstabelle mit Folien zur Erläuterung
 Konstruktion des Modellstammbaums
 Diskussion
Die Arbeitsblätter mit ihren Beobachtungaufträgen sind nicht tabellarisch aufgebaut, um die
Schüler nicht zu stark zu lenken bzw. sie zu einer schnellen "Erledigung" der Aufgabe zu
verführen. Die stärkere Offenheit der Fragestellungen und Anregungen führt zu einer
ganzheitlichen Betrachtung einer Tierart. Erst bei der Sammlung der Beobachtungsdaten mit
den eigens konzipierten Sammlungsbögen werden gezieltere Fragen zu den Merkmalen
gestellt, die die Beobachtungen präzisieren und genaue Formulierungen erfordern. Der
Fachlehrer sollte hier genau kontrollieren und mit Zwischenfragen zu genauem Protokollieren
anregen.
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5.1 Vorschlag für eine ganztägige Zooexkursion
mit 8 Affenarten
Die Beobachtung von 8 Affenarten erfolgt in zwei ausgewählten Artenkombinationen von je
vier Arten, davon jeweils zwei Arten unter gleichem Themenschwerpunkt. Es werden
folgende Artenkombinationen, unter systematischen Gesichtspunkten ausgewählt,
vorgeschlagen:
1. Artenkombination :
2. Artenkombination:
Vari - Mantelpavian
Brüllaffe - Bonobo
Orang-Utan – Krallenaffenart
Kapuzineraffe - Kleideraffe
Um wenigstens eine Vorstellung der behandelten Affenarten zu erhalten, ist ein einführender
Rundgang zu allen Gehegen unerlässlich.
Die Schüler wählen sich eine Artenkombination (2 Arten"paare") aus und untersuchen ein
Artenpaar unter dem Themenschwerpunkt 1 und das andere unter dem Themenschwerpunkt 2
oder umgekehrt. Sie werten (nach der Methode der arbeitsteiligen Gruppenarbeit) alle 8
Affenarten in der Schule gemeinsam aus. Die Auswahl und Zuordnung der
Artenkombinationen/Arten“paare“ sollte daher am Anfang so festgelegt werden , dass jede
Arten“paar“ unter beiden Themenschwerpunkten von der gesamten Schülergruppe
besprochen und ausgewertet werden kann. Dies bedeutet, alle Arten“paare“ müssen unter
jedem Themenschwerpunkt bearbeitet werden.
Ablauf im Zoo
Medien
Zeit
- Rundgang zu den 8 Affengehegen
Madagaskar-Haus: Vari,
Ersatz-Südamerikahaus: Krallenaffenarten,
Kapuzineraffe, Brüllaffe
Pavianfelsen: Mantelpavian
Urwaldhaus: Orang-Utan, Bonobo, Kleideraffe
Zooplan
90'
- Einteilung nach Artenkombination
und Zuordnung der Artenpaare zu Schülergruppen
Infoblatt für Schüler
Zeitaufwand: ca. 6 Zeitstunden
- Erarbeitung 1 in arbeitsteiligen Gruppen
2 Arten = 1. Artenpaar
- Sinnesorgane des Kopfes und
Arm-/Beinvergleich
- Sammlung der Beobachtungsdaten
- Erarbeitung 2 in arbeitsteiligen Gruppen
2 Arten = 2. Artenpaar
- Fortbewegung
- Handeinsatz
- Sammlung der Beobachtungsdaten
- Klärung von besonderen Fragen

18
AB 1
2x30'
Sammlungsbogen zu AB 1
30'
AB 2
2x30'
Sammlungsbogen zu AB 2
30'
In der Schule:
- Tabellarische Zusammenfassung der
Beobachtungsdaten in Gruppen und Erläuterung
Merkmalstabelle für AB 1 und AB 2
Auswertungsfolien
- Konstruktion des Modellstammbaums der 8 Affenarten
anhand der Merkmalstabelle
- Diskussion der Einteilung der Affen in systematische
Taxa und der Verzweigungsstellen im Stammbaum
5.2 Auswertung in der Schule
Die Sammlungsprotokolle, die im Zoo erstellt wurden, werden im Unterrichtsgespräch unter
Mithilfe der Beobachtungsgruppen in Tabellenform zusammengefasst, die mit Stichworten
oder Symbolen ausgefüllt werden. Der Lehrer vervollständigt sukzessive diese Tabellen
parallel mit den Schülern auf Auswertungsfolien (siehe Folienvorlagen im Anhang) und
ergänzt nicht erbrachte Beobachtungsdaten. Das fertige Endergebnis der Merkmalstabelle ist
im Anhang (Lösungsbögen) dargestellt. Zusätzliche Erläuterungsfolien, die von den
Abbildungen im Text angefertigt werden können, unterstützen die Auswertung einiger
Beobachtungsdaten und Merkmale.
Während der Erstellung der Tabellen können die Merkmale schon unter dem Gesichtspunkt
der evolutiven Trends betrachtet werden (vgl. Folienvorlage Evolutionstendenzen), die bei
den systematischen Taxa in unterschiedlicher Weise verwirklicht wurden (Mosaikevolution).
Dabei stehen folgende Erläuterungen und Ergebnisse im Vordergrund:
Merkmalskomplexe
Sinnesorgane des Kopfes:
Es verlagert sich der Schwerpunkt der Sinnesleistungen
vom Riechen und Hören zum Sehen (Halbaffen Echte Affen).
Erläuterungsfolien von
- Kopfform
Fortbewegung
Alle Affen klettern.
- Schwinghangeln
Zum Laufen (Vierfüßlergang) und (Weit-)Springen der kleineren Arten - Beweglichkeit des
kommt mit zunehmender Körpergröße eine neue Fortbewegungsart,
Schultergelenks
das Schwinghangeln, hinzu, das Springen verliert an Bedeutung.
Feinmotorik der Hände
Die Leistungsfähigkeit und Variabilität beim Greifen, besonders
bei kleineren Objekten und deren Handhabung, nimmt mit
zunehmender Organisationshöhe zu.
Die Neuweltaffen haben den Präzisionsgriff nicht entwickelt,
sondern zeigen den Kraftgriff der Halbaffen.
- Daumengelenk
- Griffarten
Zum Abschluss der Auswertung der Zooexkursion wird ein Modellstammbaum konstruiert.
Vorgegeben werden den Schülern eine Zeitachse (ohne Zeitangaben), sowie die vermutliche
Stammform der Primaten, ein unspezifischer Insektenfresser, unten an der Zeitachse. Die
Schüler erhalten den Auftrag, die 8 Affenarten so einzuordnen, dass alle heute lebenden Arten
nebeneinander oben an der Zeitachse (Jetztzeit) aufgeführt sind. Dabei sollen nahverwandte
(ähnliche) Arten näher beieinander stehen als entfernt verwandte Arten. Der evolutive
19
Zusammenhang kann nun durch Verbindungslinien und Verzweigungen in unterschiedlicher
Höhe der Zeitachse hergestellt werden. Überlegungen zur methodischen Verfahrensweise
können mit dem Satz "Je ähnlicher die Merkmalsträger, d.h. je mehr gemeinsame, abgeleitete
Merkmale sie besitzen, desto näher verwandt und jünger sind ihre gemeinsamen Vorfahren"
der Stammbaumerstellung vorangestellt werden. Bei Bedarf kann die Methode des
Merkmalsvergleiches und Stammbaumableitung auch an dieser Stelle erarbeitet werden.
An zwei Stellen des Modellstammbaums sind mehrere Verzweigungen möglich, da aufgrund
der von den Schülern gesammelten Daten eine eindeutige Entscheidung nicht getroffen
werden kann. Hier kann auf die Notwendigkeit verwiesen werden, weitere Daten hinzuziehen
zu müssen, die durch rein morphologische und verhaltensbiologische Beobachtungen nicht zu
erhalten sind. Eine Verzweigungsmöglichkeit ist nur unter der Annahme erlaubt, dass sich das
Schwinghangeln bei den Altweltaffen zweimal unabhängig voneinander entwickelt hat
(Konvergenz).
20
23 Mio. Jahre
30 Mio. Jahre
Schwinghangeln
Präzisionsgriff
50 Mio. Jahre
70 Mio. Jahre
Kraftgriff
Lisztäffchen
Kapuziner- Klammeraffe
affe
Kleideraffe
Mantelpavian
OrangUtan
Bonobo
menschenaffenähnlich
altweltaffenähnlich
neuweltaffenähnlich
Mantelpavian
Kleideraffe
OrangUtan
Bonobo
menschenaffenähnlich
Abb. 11
Mögliche Modellstammbäume der
im Zoo erarbeiteten Affenarten
altweltaffenähnlich
21
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