Die Rolle von Kunstgelenken

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Die Rolle von Kunstgelenken
Fortbildung · Schwerpunkt
Arthrose an den Fingergelenken
Die Rolle von Kunstgelenken
Implantate an der Hand führen bei den Patienten zu einer oft
erheblichen Linderung der Schmerzen. Es lässt sich zwar in
der Regel damit keine normale Beweglichkeit des Gelenks
wieder herstellen, aber wenigstens eine funktionell befriedigende Situation.
Dr. med. Daniel Herren MHA
Zürich
D
ie Möglichkeit des Kunstgelenkersatzes in der Handchirurgie
hat das Armamentarium der Behandlungsmöglichkeiten massiv erweitert. 1959 setzten Brannon und Klein die ersten „echten”
Kunstgelenke für die Finger ein. Die damalige Hauptindikation war
die rheumatoide Arthritis, der man mit Medikamenten noch sehr
wenig entgegen zu setzten hatte. Diese künstlichen Gelenke für
die Metakarpo-phalangeal-Gelenke (MCP) bestanden aus einem
Metallscharnier. Bereits die ersten Ergebnisse zeigten jedoch Probleme mit diesen vollgeführten Gelenken. Die Unmöglichkeit dieser
starren Gelenke, auf die verschieden einwirkenden Kräfte zu reagieren, äusserte sich in frühen Lockerungen und viel Metallabrieb.
Aufgrund unbefriedigender Langzeitergebnisse mit Prothesen­
lockerungen, Metallabrieb und Knochenerosionen konnten sich
auch diese Implantate nicht durchsetzen.
In den 60-er Jahren wurde dann von Alfred Swanson aus
den USA ein Silikonplatzhalter für das MCP-Gelenk und einige
Jahre später für das proximale Interphalangealgelenk (PIP) entwickelt, der bis heute in modifizierter Form implantiert wird und
immer noch als Goldstandard angesehen wird. Das Konzept von
Swanson unterschied sich grundlegend von der bisherigen Idee,
Gelenke möglichst naturnahe zu replizieren. Das Silikon-Implantat hatte die Aufgabe, als Platzhalter das Gelenk zu ersetzen, ohne
den Anspruch zu haben, biomechanisch korrekt die Bewegung wiederzugeben (Abb. 1). Die anfängliche Angst, das Material könnte
unter den herrschenden Belastungen rasch versagen, bewahrheitete sich gerade beim Grund- und Mittelgelenk interessanterweise
nicht. Offenbar wurde ein grosser Teil der wirkenden Kräfte durch
die postoperative Bindegewebsreaktion, als sekundärer Stabilisator,
aufgefangen.
Aufgrund der konstanten Ergebnisse mit diesem Implantat
kamen in den 80-er Jahren weitere Prothesen dieses Typs auf den
Markt, die sich nur wenig in der Form voneinander unterscheiden.
ABB. 1
med. pract. Caroline Krefter
Zürich
Implantate neuerer Generation
Im Bereich der Fingergrund- und -Mittelgelenke ist, neben der immer
noch eingesetzten Silikonprothese, eine Reihe von Implantaten auf
dem Markt, die als Oberflächen-Ersatz eingesetzt werden. Es handelt
sich um Zweikomponenten-Prothesen, die unter minimaler Knochenresektion, ähnlich den gängigen Kniegelenks­implantaten, die Biomechanik des Gelenkes mit der entsprechenden natürlichen Form
wiedergeben. Verschiedene Materialien, wie Keramik, Pyrocarbon,
Titan und Polyethylen, kommen dabei zum Einsatz. Einer der jüngsten
Vertreter dieser letztgenannten Prothesen-Generation ist die CapFlexProthese für das PIP-Gelenk, entwickelt in der Schulthess Klinik (Abb.
2). Nach minimaler Knochenresektion wird das Implantat zementfrei
eingebracht, und die der Anatomie nachempfundenen Form unterstützt die natürliche Gelenkführung und gewährleistet eine verbesserte seitliche Stabilität. Eine Rückflächen-Titanbeschichtung bietet
eine zuverlässige Knochenintegration. Die bisherigen klinischen und
radiologischen Ergebnisse dieses neuen Implantats sind ermutigend.
Der Vorteil eines solchen Implantat-Designs liegt in der minimalen
Knochenresektion, die – im Falle eines Versagens – einen Rückzug auf
ein konventionelles Silikon-Implantat gut möglich macht.
Indikationen zum Kunstgelenkersatz
Bei Destruktion eines Gelenks an der Hand bietet die Implantation eines Kunstgelenks eine Behandlungsalternative zur Gelenkversteifung an. Grundsätzlich ist der Schmerz das Leitsymptom,
Silikon-Implantate
a: Silikon-Implanat der
2. Generation mit vorge­
bogenem oder geraden
Mittelteil
b: Silikonprothese am Mittelgelenk implantiert.
Die beiden Gelenkschäfte sind in die jeweiligen
Markräume ohne Fixation eingebracht
_ 2014 _ der informierte arzt
2204 Fortbildung · Schwerpunkt
ABB. 2
PIP-Arthroplastik mit Oberflächenersatz (CapFlex-Prothese)
ABB. 3
Behandllung der Endgelenks­
arthrose (DIP-Gelenk)
ABB. 4
Ersatz der Fingergrundgelenke
mit Silikon-Prothesen
Endgelenksversteifung mittels Schraube.
Das Gelenk wird dabei in einer strecknahen
Position positioniert
Das natürliche Gelenk wird biomechanisch
möglichst genau nachempfunden
Alternative zur
Endgelenks­versteifung
in Form eines Silikon-Kunstgelenks
das einen Kunstgelenkersatz rechtfertigt. Die häufig bei der Arthrose zusätzlich vorhandene Bewegungseinschränkung ist mit den
Kunstgelenken oft schwierig zu korrigieren. Deshalb ist ein steifes, aber schmerzarmes Gelenk eine eher schlechte Indikation für
einen Gelenkersatz. Noch schwieriger mit einem Implantat zu korrigieren, sind grössere Fehlstellungen, die oft mit einer Instabilität
einhergehen. Hier empfiehlt sich in der Regel die stellungskorrigierende Gelenksversteifung (Arthrodese).
Am Grundgelenk (MCP) ist die Hauptindikation die rheumatoide Arthritis. Allerdings ist die Häufigkeit der Intervention in den
letzten Jahren, dank dem konsequenten Einsatz der sehr potenten
Medikamente, viel seltener geworden. Noch seltener sind degenerative oder posttraumatische Ursachen für die Gelenkzerstörung an
dieser Lokalisation verantwortlich.
An den Mittelgelenken (PIP) sind die arthrotischen Veränderungen in Form der Bouchard-Arthrose die Hauptindikation für
einen möglichen Gelenkersatz. Posttraumatische Veränderungen
sind deutlich seltener, und die entzündlichen Erkrankungen erfordern oft eine Stabilisierung der zerstörten Gelenke durch eine Versteifungsoperation. Die Position dieser Gelenkversteifung variiert
je nach betroffenem Finger. Die daumennahen Finger werden eher
gestreckter versteift als der Ring- und der Kleinfinger. Damit passt
sich der Finger besser in die Hand ein. Obwohl die Schmerzen
durch einen solchen Eingriff eliminiert werden, sind Gelenkversteifung am Mittelgelenk funktionell nicht unproblematisch und limitieren die Einsatzmöglichkeiten des Fingers deutlich.
An den Endgelenken (DIP) sind bis vor kurzer Zeit, bei entsprechend schmerzhafter Zerstörung, nur Gelenksversteifungen in
Frage gekommen. Da das Endgelenk relativ wenig zum funktionellen
Bewegungsbogen beiträgt, wird eine solche Versteifung in der Regel
gut toleriert. Allerdings profitiert gerade das Daumen­endgelenk und
in gewissen Situationen auch die ellenseitigen Finger von einer Restbeweglichkeit. In diesen Fällen ist man dazu übergegangen, ebenfalls
Silikonkunstgelenk einzusetzen. Allerdings stehen Langzeit-Resultate dieser Eingriffe noch aus. So bleibt die Endgelenksversteifung
in den meisten Situationen die Standardbehandlung bei schmerzhaften DIP-Gelenken (Abb. 3). Die Gelenkversteifung wird bei diesem
Gelenk in einer strecknahen Position durchgeführt.
Ergebnisse
Das funktionelle und subjektive Ergebnis sowie die Häufigkeit
nötiger Revisionseingriffe stehen in engem Zusammenhang mit
der informierte arzt _ 04 _ 2014
Die Streckung und Position der Finger ist deutlich verbessert, die Hand offener und funktioneller. Die sehr störende Schwanenhalsfehlstellung konnte eindrücklich korrigiert werden
der Grunderkrankung. Bei der häufigsten Indikation zum Ersatz
der MCP-Gelenke, der rheumatoiden Arthritis, bei der neben den
Schmerzen häufig störende Deformitäten bestehen, existieren gute
Langzeitergebnisse mit hoher Patientenzufriedenheit und geringen
Revisionsraten. Eindrücklich ist in der Regel die Schmerzminderung. Funktionell profitieren gerade die Rheuma-Patienten oft von
der Verschiebung des Gelenksbewegungssektors von einer gebeugten Stellung in eine deutlich bessere Streckung (Abb. 4). Dies öffnet die Hand und verbessert, auch durch eine höhere Stabilität, die
Funktion. Allerdings erleidet eine nicht geringe Anzahl der Patienten eine Rückkehr der Fehlstellung, insbesondere des ulnaren
Abkippens der Finger.
An den PIP-Gelenken, bei der häufigsten Indikation zum
Gelenkersatz bei Bouchard-Arthrose, kann mit einem Kunstgelenk in der Regel eine schmerzfreie Funktion von 50 bis 60% der
Beweglichkeit eines normalen Gelenkes erreicht werden. Durch die
deutliche Schmerzreduktion ist auch die Patientenzufriedenheit
entsprechend hoch. Die Revisionsrate dieser Gelenke ist erstaunlich
gering. In einer grösseren Serie aus der Schulthess Klinik fand sich
bei Silikonimplanten im Zeitraum von 10 Jahren eine Revisionsrate,
die weniger als 5% betrug. Falls nötig, kann ein Prothesenwechsel
durchgeführt werden, bei grösserer Instabilität muss als Revisionseingriff eine Gelenkversteifung diskutiert werden.
Dr. med. Daniel Herren MHA, Chefarzt
med. pract. Caroline Krefter, Stv. Oberärztin
Handchirurgie, Schulthess Klinik
Lengghalde 2, 8008 Zürich
[email protected]
Take-Home Message
◆Kunstgelenke funktionieren an der Hand vor allem durch eine oft
eindrückliche Schmerzlinderung, was zu einer entsprechend hohen
Patientenzufriedenheit führt
◆In der Regel lässt sich damit keine normale Gelenksbeweglichkeit
erreichen, aber zumindest eine funktionell befriedigende Situation,
insbesondere im Vergleich zur Alternative der Gelenkversteifung
◆Revisionseingriffe nach Gelenkersatz sind, auch im Langzeitverlauf,
selten. Deshalb kann die Indikation besonders an den Fingermittel­
gelenken grosszügig gestellt werden
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