Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße

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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Neunzig Jahre wohnen
an der Oberschlesier Straße
Die Nachbarschaft in Münsters
Geistviertel - 1924 bis 2014
Münster im August 2014
Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Inhalt
Die Ersten Planungen ................................................................................................................. 3
Der Baubeginn ............................................................................................................................ 8
Alle Häuser der Oberschlesier Straße ...................................................................................... 12
Westliche Straßenseite – die geraden Hausnummern........................................................... 12
Östliche Straßenseite – die ungeraden Hausnummern ......................................................... 35
Und sonst im Geistviertel ......................................................................................................... 59
Zur Geschichte des „Gut Insel“ ............................................................................................ 59
Evangelische und katholische Kirchengemeinde ................................................................. 64
Fronleichnamsprozession ..................................................................................................... 65
Volksschulen ........................................................................................................................ 67
Kleingärtnerverein Ronneberg ............................................................................................. 69
Stadtbad Süd ......................................................................................................................... 71
Straßenfest ............................................................................................................................ 73
Stammtisch ........................................................................................................................... 74
Straßenblog ........................................................................................................................... 75
Das Resümee ............................................................................................................................ 76
Mein Schlusswort ..................................................................................................................... 77
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Die Ersten Planungen
Nach dem Ersten Weltkrieg waren Wohnungen und bebaubare Grundstücke in Münster ein
sehr knappes Gut. Bereits Mitte und Ende 1918 erwarb die Stadt umfangreiches
Siedlungsgelände im Süden der Stadt von etwa 550 Morgen (nicht ganz 140 ha)
Flächengröße. Hier sollten neue Wohngebiete entstehen mit gesunden Wohnungen für
minderbemittelte Familien und Personen. Im Verwaltungsbericht der Stadt Münster, 1. April
1915 bis 31. März 1926, steht:
„Mittlerweile wurden mehr und mehr die ganzen Folgen des Krieges, und gar erst eines
verlorenen Krieges, für die deutschen Städte und vor allem für Münster fühlbar. Einer, seit
1913/14 um Zehntausend gestiegenen Einwohnerzahl (1913: 95.555, 1919: 105.120) stand
nicht ein einziger Zugang an Wohnungsbauten seit 5 Jahren gegenüber. Während anderswo
durch die veränderten politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Stillstand oder Rückgang
der Bevölkerungszahlen zu beobachten war, ließ die alte Anziehungskraft Münsters auch in
den trübsten Jahren nicht nach. Durch den Zustrom vertriebener Grenz- und
Auslandsdeutscher, durch die Besetzung des Rheinlandes und des nahen Ruhrbezirks, sah sich
die beliebte Provinzialhauptstadt noch dazu einem besonderen Anschwellen der
Bevölkerungszahl gegenüber. Eine, selbst bei günstigem Kriegsausgang unvermeidlich
gebliebene Wohnungsnot steigerte sich ins unerträgliche. Obendrein zeitigte die stockende
Erzeugung von Baustoffen, bei größter Nachfrage und der fortschreitenden Geldentwertung,
eine Teuerung auf dem Baumarkte und damit Schwierigkeiten jeglicher Bautätigkeit, die
Ihresgleichen nicht finden dürfte in Vergangenheit und Zukunft.“
Zuwanderer aus den Gebieten, die nach dem Versailler Vertrag vor allem im Osten abgetreten
werden mussten, kamen insbesondere aus Teilen von Westpreußen und der Provinz Posen,
aus Teilen von Hinterpommern und Oberschlesien. Zwischen 1919 und 1926 verließen ca.
600.000 bis 800.000 Deutsche die an Polen abgetretenen Gebiete.
Die Stadt Münster stellte 1920 den „Bebauungsplan Siedlungsgelände Geist“ auf. Das Gebiet
ist grob abgegrenzt durch die Weseler Straße im Westen, durch eine Linie vom heutigen
Kolde-Ring zur Joseph Kirche im Norden, durch Geiststraße / Hammer Straße im Osten und
im Süden durch den Düesbergweg.
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Abbildung 1: Gartenvorstadt Münster Habichtshöhe
Der Plan „Gartenvorstadt Münster Habichtshöhe Bebauungsplan Maßstab 1:2500“

von 1924, aufgestellt vom Architekten der Westfälischen Heimstätte Prof. Dr. Gustav Wolf,
umfasst nur das Gebiet:
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Sentmaringer Weg ()
Weißenburgstraße 
Inselbogen (im Plan „Querweg“
Oberschlesier Straße (im Plan „An der Rauhen Wiese“)
Kappenberger Damm (
Althoffstraße (im Plan „Am Nienkamp“)
Abbildung 2: Gartenvorstadt Münster Habichtshöhe - Bebauungsplan
Im Plan steht zur Erläuterung:

„Vom Punkt A bis zur Straßenbahn (Schützenhof) 5 Minuten Fußweg.“
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Über den Bereich zwischen Althoffstraße und Habichtshöhe, also den Bereich Grüner Grund
wurde und wird vielfach berichtet. Die Oberschlesier Straße bleibt oft unerwähnt. Die Straße
wurde gemäß dem Beschluss der Stadt Münster vom 11. Oktober 1928 nach der preußischen
Provinz Oberschlesien benannt, die den südöstlichen Teil Schlesiens bildete. Dieser Teil
musste nach dem Versailler Vertrag und der Abstimmung von 1921 an Polen abgetreten
werden.
Zeitgleich mit der Aufstellung des Plans von Dr. Wolf wurde bereits am Kappenberger Damm
(KD, Name von 1923) und an der parallel verlaufenden noch namenlosen (Oberschlesier)
Straße mit dem Hausbau begonnen. In den 1920er und 1930er Jahren wurde fast
ausschließlich von gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften und Baugenossenschaften
gebaut. In den schwersten Jahren von 1919 bis 1924 wurde die Bautätigkeit nur möglich
durch die Bereitstellung des Baulandes aus dem Bodenvorrat der vorsorgenden Stadt samt
ihrer Stiftungen.
Der bei der ersten Erwähnung benutzte Name „An der Rauhen
Wiese“ für die Oberschlesier Straße diente als Motto für das Straßenfest im August 2014:
Abbildung 3: „“ ist das Motto des Oberschlesier Straßenfest 2014
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Im Stadtplan von 1930 sieht man, wie unsere Straße damals verlief:
Abbildung 4: Stadtplan Münster Süd von 1930
Vom Inselbogen aus ca. 380 m nach Süden, dann schräg zum Kappenberger Damm. An der
Hammer Straße steht die „Alte Geistschule“ von 1872 zwischen Düesbergweg und
Umgehungsstraße. Diese Bauerschaftsschule gab es noch nach 1945, sie wurde später
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abgebrochen. Jetzt steht da die Turnhalle der Karl-Wagenfeld-Schule. Am KD steht zweimal
der Eintrag „Geistkotten“. Heute sind das Düesbergklause und das Restaurant Kleine Welt.
Links (westlich) vom Kappenberger Damm ist Ronneberg eingetragen. Früher war das ein
Kotten von Gut Insel (Jesuiten / Leising / Ronneberg / Stadt Münster), heute Gärtnerei
Schrieverhoff.
Vom Grünen Grund war bis 1930 nur der nördliche Teil vom Sentmaringer Weg bis zum
Habichtsbrunnen fertig bebaut, Althoffstraße und Inselbogen waren noch vollständig
unbebaut, auch das nördliche Stück vom Kappenberger Damm von Nr. 1 bis Nr. 23. Gut Insel
war insgesamt Stadtgärtnerei, Haus Geist noch verpachteter landwirtschaftlicher Betrieb
(Möllerarnd). Die katholische Geistkirche gab es seit 1928 und am Straßburger Weg die
evangelische Trinitatis-Kirche (Kp.) schon seit 1924.
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Der Baubeginn
Die allerersten Häuser am Kappenberger Damm waren der „Blaue D-Zug“ mit den
Hausnummern 23 bis 47 und die drei Doppelhäuser Nr. 51/53, 55/57 und 59/61. An der noch
namenlosen Oberschlesier Straße wurden vier Doppelhäuser gebaut. Sie sind im Adressbuch
von 1925 unter Kappenberger Damm eingetragen, Farbe im folgenden Lageplan blau, in der
Beschreibung mit (KD 47a).
Abbildung 5: Der „Blaue D-Zug“ am Kappenberger Damm 23 – 47 in den 1920er Jahren
Abbildung 6: „Blaue D-Zug“ am Kappenberger Damm 23 – 47 im Sommer 2014
Die drei Doppelhäuser am KD und die vier an der Oberschlesier Straße wurden von der
Münstersche Eigenheimbau-Gesellschaft mbH (später WGM danach LEG) nach einheitlichen
Plänen gebaut, überwiegend für Leute aus Gebieten, die im Osten an Polen abgetreten
wurden.
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Abbildung 7: Ansicht der Doppelhäuser Kappenberger Damm 51 - 61 und Oberschlesier Straße 40 - 60
Die damals geplante Ansicht ist noch an vielen Stellen und an vielen Einzelheiten zu
erkennen - trotz aller Änderungen durch An- und Umbauten und Kriegszerstörung.
Abbildung 8: Ansicht der Doppelhäuser Oberschlesier Straße 60 (links) und 58 (rechts)
Abbildung 9: Ansicht der Doppelhäuser Kappenberger Damm 55 (links) und 57 (rechts)
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Abbildung 10: Lageplan Oberschlesier Straße bis 1940
Nach den ersten vier Doppelhäusern folgten bald und waren bis 1930 fertig (im Lageplan
gelb):

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auf der rechten Seite (Westen) Bauten der Wohnungsgesellschaft, die Blöcke Nr.
2-6 und Nr. 12-16 sowie die privaten Bauten Nr. 62/64 und die Reihenhäuser Nr.
72-82
auf der linken Seite (Osten) Bauten der Wohnungsgesellschaft Block Nr. 1-7 und
die fünf Doppelhäuser Nr. 17/19, 21/23, 25/27, 29/31 und 33/35 sowie die privaten
Reihenhäuser Nr. 37-47
Im dritten Bauabschnitt folgten (im Lageplan blass-rot), fertig bis 1935:


rechts die privaten Häuser Nr. 20 und 38
links die privaten Häuser 49/51, 71, 73/75 und 77/79 sowie die Reihenhäuser 5565
Bis 1939 baute die Wohnungsgenossenschaft weitere Blocks (Im Lageplan grün):


rechts 84/86, 88/92
links 83/87, 91/97, 101-107 und 109-115
Weitere Häuser entstanden als Nachverdichtung in den 80er Jahren: hinter 84/86 die Nr. 84A
und hinter 88/92 die Nr. 86A. Der Bereich gegenüber von 101/107, 109/115 wurde ebenfalls
nachverdichtet. Hausgärten hatten jetzt weniger Bedeutung, in den Gärten wurden Nr. 106
und 108-114 in 2001/2002 gebaut.
In der zweiten Hälfte der 60er Jahre wurden die fünf Doppelhäuser Nr. 17-35 abgebrochen
und durch zwei Neubauten ersetzt mit den Nr. 25-29 und 31-35. Die Straße bekam dadurch
ein vollkommen neues Aussehen.
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Im Bombenkrieg wurden viele Häuser stark bis sehr stark beschädigt, einige vollständig
zerstört. Alle wurden wieder hergestellt oder neu errichtet. Wer damals gebaut hat, ob und wie
Kriegsschäden entstanden und wem heute das Haus gehört, welche Nutzung außer Wohnen es
gab oder gibt, ist möglichst für jedes privat gebaute Haus aufgeschrieben und auch ein Stück
Familiengeschichte. Bei den Miethäusern ist das schwierig. Mieterwechsel kommt häufiger
vor als Eigentumswechsel.
Abbildung 11: Lageplan Oberschlesier Straße 2014
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Alle Häuser der Oberschlesier Straße
Bauherr und Eigentümer der Häuser Nr. 2-6 und 12-16, 84-86, 84A, 86A, 88-92, 106, 108114, 1-7, 17-35 (alte Nr.), 21-35 (neue Nr.), 83-87, 91-97, 101-107 und 109-115 ist die WGM
(Wohnungsgesellschaft Münsterland, heute LEG). Sie baute nach Plänen von Architekten aus
eigenem Haus.
Westliche Straßenseite – die geraden Hausnummern
Nr. 2-6 und 12-16 blieben frei von großen Bombenschäden. Dächer waren beschädigt,
Fensterscheiben zersprungen. An Nr. 12-16 fällt auf, dass die zweifach abgeknickte Fassade
dem gekrümmten Straßenverlauf folgt. Dadurch bekommt der kleine Platz zwischen Nr. 2-6
und Nr. 1-7 optisch mehr Weite.
Die Nummern 8, 10 und 18 gibt es nicht.
Nr. 20 erbaut 1936 von Anton Bragard, Telefonist, im Krieg wenig zerstört. Seine Familie
kam mit dem französischen Namen „De Bragard“ aus Eupen, das nach dem Versailler Vertrag
an Frankreich abgetreten wurde. Durch einen Arbeitsunfall hatte Anton Bragard einen Arm
verloren; als Telefonist wurde er weiter beschäftigt. Die Zahnarztpraxis seines
Schwiegersohns Willi Rengel war anfangs im ersten OG, später am KD. Da gibt es die Praxis
noch, jetzt in zweiter Generation. Der Schwiegersohn Otmar Kämpchen mit seiner Frau
Henriette geb. Bragard bewohnt das Haus seit 1990. Anton Bragard hatte vier Kinder, außer
den Frauen Rengel und Kämpchen noch Tochter Edith und Sohn Dieter.
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Abbildung 12: Die Nr. 20 (Kämpchen) vor der Renovierung und heute
Die Nummern 22, 24, 26, 28, 30, 32, 34 und 36 gibt es nicht.
Nr. 38 erbaut von Maurerpolier Emil Meika (*1891 Lauterburg Kreis Strasburg/Westpreußen,
†1936) und seiner Frau Emma Alwine, geb. Krüger, verh. seit 1919. Das Grundstück war
Reichsheimstätte (1.1.1930 bis 31.12.1964). Nur für kurze Zeit meldete Emil Meika ein
Gewerbe an: Vertretungen- Flaschenbier und Markwarenhandel (29.01.1932 bis 27.08.1932)
Die Metzgerei Gustav Philipps richtete 1932 im Haus eine Filiale ein. Bereits 1934 wird die
Filiale aufgegeben. Emma Meika führt das Geschäft weiter als Wurstwarenhandlung. Der
Eingang zum Laden war an der Schmalseite des Erkervorbaus. Die Witwe Emma zieht 1936
um nach Am Berg Fidel. Sie bleibt Eigentümerin vom Haus. 1943 wird das Haus zerstört bis
auf den Keller und 1956 wieder aufgebaut mit Walmdach (vorher Satteldach). 1950 war
Witwe Westphal Eigentümerin, im Adressbuch 1953-1959 ist Emma Westphal Eigentümerin.
Jost Maria Jelich (*1914, †1965), später Maria Elfriede (*1917, †1975) Jelich werden ab
1962 Eigentümer. Rolf und Margarete Brandewiede erwarben das Haus 1980 von
Cornelissen, der es kurz vorher aus einer Insolvenz kaufte. Die Eltern von Rolf, Anneliese
geb. Bils (*1920, †2003) und Hermann Heinrich Brandewiede (*1924, †2007) wohnten
längere Zeit in Nr. 86A. Gabriele Leivermann (*1936, †2010) und ihr Mann Preußen-Fan
Ferdinand kamen 1968 als Mieter ins Haus. Ferdinand wohnt dort heute noch.
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Abbildung 13: Die Nr. 38 (Brandewiede) vor der Renovierung und heute – verklinkert
Nr. 40 (KD 47a) erbaut von Johannes Große Gehling (*1881 Gescher, †1932 Münster),
Reichsbahnschaffner, und Adelheit Christina, geb. van Schelve (*1882, †1955). Sie heirateten
1907 in Coesfeld, bekamen vier Töchter und vier Söhne: Maria Wilhelmine (*1907 Coesfeld),
Katharina Josefine (*1909 Coesfeld), Clemens Heinrich (*1910 Coesfeld), Paula Gertrudis
Hermine (*1912 Legden), Hubert Johannes (*1915), Josef Johannes (*1918, †1976),
Johannes Florenz (*1921), Adele Wilhelmine Henriette (*1924) ausgewandert nach England
Rangiermeister und Bahnbetriebsaufseher Josef Johannes heiratete Elisabeth Welschhoff, geb.
Schilling (*1915, †2006). Sie brachte zwei Söhne aus erster Ehe mit: Manfred (*1934) und
Herbert Günter Daniel (*1935). Johannes und Elisabeth bekamen fünf Kinder: Heinz Dieter
(*1947), Reinhard (*1950), Edelbert (*1952), Christine (*1954), Norbert (1956, †2004)
Reinhard und seine Frau Perdieta geb. Plümers haben einen Sohn, der in Glandof-Schwege
zusammen mit seiner Frau Anne die Gaststätte Brüggemann betreibt. Die Familie Große
Gehling ist seit vielen Jahren aktiv in der St. Johanni Schützenbruderschaft e.V. von 1930 und
insbesondere auch im Spielmannszug der Schützen.
Das Elternhaus wurde nach Kriegsschäden 1950 in alter Form wieder aufgebaut und gering
erweitert. Architekt Winzek aus Beckum plante Wiederauf- und Anbau.
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Nr. 42 (KD 49a), Mathias Schütz (*1890, †1960) Elektromonteur aus Peterslahr, Landkreis
Altenkirchen, verheiratet mit Elisabeth Katharina, baute das Haus. Das Haus wurde ziemlich
stark beschädigt und wieder aufgebaut in alter Form und etwa 1983 an einen Investor /
Vermieter verkauft und abgerissen. Ein vollständig neuer Mietwohnungsbau mit Tiefgarage
bis unter den Garten entstand. Mathias hatte insgesamt zwölf Kinder von zwei Frauen. Die
dritte, Elsa Maria, geb. Webers, (Heirat 1940) zog den jüngsten Sohn aus zweiter Ehe, Peter
(*1938) groß. Peter wurde Architekt. Er war verheiratet mit Elisabeth. Sie bekamen vier
Kinder: Petra Maria, Christian, Matthias und Rüdiger. Matthias wurde Architekt, wie sein
Vater, Rüdiger ist Project Manager in Münster.
Eine Nummer 44 gibt es nicht.
Nr. 46 (KD 51a) Revierförster a.D. Fritz Hans Alfred Grohmann (*1883
Pförten/Brandenburg, †1964 Münster) und seine Frau Julie Ottilinger (*1887 Waldsassen,
†1977 Sendenhorst) heirateten 1909 in Groß Teuplitz, Kreis Sorau (heute Tuplice,
Woiwodschaft Lebus). Von Bersndorf, Kreis Sorau, zogen sie 1919 mit den Kindern Fritz
(*1908 Teuplitz, †1993 Münster), Margarete „Grete“ (*1910 Silbitz/Schlesien, †1974
Münster), Paul (*1911 Pockuschel/Sorau, †1999 Recklinghausen) und Elisabeth „Lieschen“
(*1914 Tzschenschel/Sorau, †1979 Münster) nach Wyschetzin im Amtsbezirk Lusin,
Regierungsbezirk Danzig, Provinz Westpreußen. Vater Fritz hatte hier zuvor den Umbau des
Forsthauses Eichwalde betreut. Er stand zunächst in Diensten des Grafen Strachwitz, danach
des Baron von Oppel. Dieser hatte das Rittergut Wyschetzin erworben. In Wyschetzin kam
das fünfte Kind Franz (*1921, †1998 Münster) zur Welt. Wenige Wochen nach der Geburt
von Franz musste die gesamte Familie das Forsthaus verlassen. Es lag ca. 300 m westlich der
Grenze zum neu geschaffenen Polnischen Korridor. Über die Bahnstation Groß-Boschpol
ging es über Frankfurt/Oder nach Lockstedt. Von Juni 1921 bis Juli 1922 war die Familie im
Lager Lockstedt bei Itzehoe untergebracht. In Münster fand die Familie eine erste Unterkunft
in den Ballonhallen an der Lippstädter Straße, danach an der Hammer Straße 61. Fritz
Grohmann hatte ab dem 01.08.1922 eine Anstellung als Vorprüfer beim Deutschen Ostbund
(Staatl. Fürsorgesystem mit Hilfsmaßnahmen für die „Verdrängungsgeschädigten“). 1924
konnte das Haus an der Oberschlesier Str. 46 (damals noch KD 51a) bezogen werden. Hier
wurde das sechste Kind Christel (*1930) geboren. Vater Fritz wurde später Angestellter bei
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den Stadtwerken. Sohn Fritz lernte das Maurerhandwerk, wurde Maurermeister und Polier.
Sohn Franz machte sich selbstständig als Handelsvertreter und Handelsmakler in
Haushaltsartikeln. Beide blieben kinderlos. Sohn Paul wurde Bauingenieur, heiratete 1940 in
Münster Hedwig Hilgenberg (*1919 Hiltrup, †2007 Hannover). Aus der Ehe gingen fünf
Kinder hervor: Peter (*1940, †2014), Klaus (*1949), Ursula (*1950), Margareta-Maria
(*1953) und Ulrich (*1955).
Vater Fritz hatte - wie schon dessen Vater - das Forsthandwerk gelernt und wurde Hilfsjäger
und Revierförster bei der Gräflich von Brühlschen Verwaltung und beim Grafen Stillfried aus
Silbitz. Bis zu seiner Einziehung als Soldat (1915) betreute er verschiedene Reviere des
Grafen, zuletzt Bernsdorf.
Im Krieg erlitt das Haus Oberschlesier Straße starke Kriegsschäden. Diese konnten bereits
1948/1949 beseitigt werden. Bauingenieur Paul machte den Plan für den Wiederaufbau schon
im Oktober 1946, Maurermeister Fritz kannte den Weg zu Baumaterialien. Der frühere
Zustand aus 1924 wurde fast unverändert wieder hergestellt, einschl. Plumpsklo. Die großen
Schäden waren schon 1948/1949 beseitigt. Der Außenputz wurde erst später fertig, man sieht
es.
Abbildung 14: Familientreffen Grohmann 1954
Im Jahr 1972 verkaufte Familie Grohmann das Haus an Günter Kziensik (*1921) und seine
Frau Jenni (*1927, †2013). Seit 2013 wohnt Enkel Volker Geissler mit seiner Frau und zwei
Töchtern beim Opa.
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Nr. 48 (KD 53a), Paul Ernst Skipniewski (*1888 Soldau, †1955), Schlosser, kam mit seiner
Frau Helene (*1890 Prignitz Ldkrs Briesen, †1967) aus Soldau/Westpreußen. Sie hatten 1920
in Geierswalde, Kreis Osterode, Ostpreußen, geheiratet. Paul Ernst und Helene hatten zwei
Töchter, Herta Luise (*1921, †1962) und Annemarie Georgine (Gisa) (*1924, †2009).
Annemarie blieb ledig, Herta heiratete 1944 in Harsewinkel Bäckermeister Karl Bussmann
(*1913). Sie bekamen vier Kinder: Kurt Klaus (*1946), Wolfgang (*1948, †1973), Margot
Helene (*1950, †1985), Barbara Gisa (*1958). Klaus und seine Schwester Barbara verkauften
das Haus 2010 nach dem Tod von Annemarie (Gisa) an Familie Andreas und Sabrina
Hagedorn. Das Haus wurde nach sehr starker Beschädigung im Februar 1945 (es waren nur
noch Reste vom Kellermauerwerk vorhanden) in den Jahren 1948 bis 1952 in alter Größe
wieder aufgebaut, soweit bekannt, bereits mit den Dachausbauten. Zwischen der Zerstörung
und dem allmählichen Wiedereinzug in das Haus wohnte die Familie im Gartenhaus.
Abbildung 15: Impressionen aus dem Winter 2010. Die Nr. 52 (links) und 48 (rechts)
Eine Nummer 50 gibt es nicht.
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Nr. 52 (KD 55a), Martha Stern (*1889, †1973) kam mit ihrem Mann, dem Hilfsschaffner Paul
Stern (* 1886, †1920/1921) und den 6 Kindern: Ernst, Gerhard, Gertrud, Heinz, Herbert und
Helmut (*1920, †2005) aus Bromberg, Bezirk Posen. Paul Stern verstarb auf dem Weg von
Bromberg nach Münster an einer Lungenkrankheit. Das siebte Kind Horst (*1921) wurde in
Münster geboren. Die Witwe Martha erwarb das Haus und lebte dort mit ihrer Familie bis zur
vollständigen Zerstörung des Hauses 1943, danach einige Zeit in einem Behelfsheim, das im
Garten an der Nordgrenze zu Skipniewski stand, später einige Zeit am Kappenberger Damm.
Abbildung 16: der Häuser 52 - 54. Links der Giebel von 48. Im Hintergrund die Dächer Nr. 37 / 47 und 49
Die Bomben-Trümmer wurden bald beseitigt. Lange Zeit blieb die Baugrube offen. Das
Behelfsheim wurde abgebrochen bevor das neue Haus durch Sohn Helmut und seine Frau
Annita, geb. Offermann, (*1925 Leipzig, †2009) ab 1963 erbaut wurde. Nach dem Tod von
Helmut verkaufte Annita das Haus im Herbst 2007 an Karsten Krüger und zog in eine
Seniorenwohnung. Die Kinder Ingrid Gemski, Hartmut, Udo und Christel leben in
Deutschland und Australien.
Abbildung 17: Ein neuer Baum, ein neues Beet vor Nr. 52, August 2002, der alte Baum wurde gefällt.
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Nr.54 (KD 57a) Bruno Regall (*1886, †1950), Steinsetzer, und seine Frau Ida kamen mit den
Kindern Arthur Albert (*1914, †1941) und Paul (*1920, †1941) aus Bromberg (heute
Bydgoszcz), Provinz Posen. Arthur Albert fiel an der Ostfront, der ElektroMaschinenbauerlehrling Paul starb nach einem Verkehrsunfall in Münster. Vater Paul meldete
im Mai 1941 (nach bestandener Meisterprüfung) ein Straßenbau-Unternehmen an und im
April 1950 ab. Das Haus wurde 1943 vollständig zerstört.
Abbildung 18: Ruine der Nr. 54 vom Garten Lepke aus aufgenommen
Regall errichtete im Garten ein Behelfsheim. Seine Frau Ida zog in das Dachgeschoss des
Neubaus (mit lebenslangem Wohnrecht), das Bauingenieur Karl Ellmauer (*1912, †1967)
nach seinem Plan 1957/1958 zusammen mit seiner Frau Luzia, geb. Klare (*1909, †1959)
errichtete. In zweiter Ehe war er verheiratet mit Anna, geb. van de Kolk (*1917, †2005).
Ellmauer wohnte von 1938 bis 1947 mit seiner Frau und den beiden Töchtern als Mieter in
Nr. 43 bei Flocke. Danach fanden sie eine Wohnung in der Hochstraße, wo sie blieben, bis
das neue Haus an der Oberschlesier Straße fertig war. Ellmauer war vor und im Krieg bei der
Heeresbauverwaltung als Ingenieur u.a. beim Bau des Standort-Lazaretts (heute Universitäts
Hautklinik) an der von-Esmarch-Straße beschäftigt. Die Klinik wurde 1938 vollendet. Sein
Fotoalbum aus der Bauzeit 1936-1938 ist im Stadtmuseum Münster. Nach dem Tod von Karl
wohnte Anna Ellmauer noch lange Zeit im Haus zusammen mit ihrer Freundin Irmgard Fahne
als Mieterin und der Witwe Regall. Aus dem Nachlass von Irmgard Fahne kamen u.a. ihre
Reiseberichte in das Stadtmuseum. Einige Jahre später machte das Museum eine
Sonderausstellung: „Die Reisen von Frau F“. Anna verstarb, nachdem sie einige Jahre im
Maria-Hötte-Stift gelebt hatte. Ihre Töchter Brigitte (*1944) und Reinhild (*1947) verkauften
das Haus 2006 an Andrea und Torsten Engelke. Sie wohnten vorher schon als Mieter im
Haus.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 19: Nr. 54 (Engelke) Haus mit Ziegelmauerwerk von 1958 bis 2007; wärmegedämmt, verputz, neues Dach
Eine Nummer 56 gibt es nicht.
Nr. 58 (KD 59a) Der Maurer Otto Karl Lepke (*1884, †1963) und seine Frau Albertine, geb.
Gommert (*1881, †1958) heirateten 1909 in Birnbaum (heute Miedzychod) an der Warthe im
Gebiet Posen. Mit ihnen kamen die drei Kinder: Hans, Lina und Heinz. Lina und Heinz zogen
später in andere Städte. Das Gebiet Birnbaum wurde zwischen dem 17. Januar und 4. Februar
1920 geräumt und an Polen übergeben.
Im Oktober 1906 wurde Otto Karl Soldat. Als Rekrut kam er zum Inf.-Reg. Graf Dönhoff. Bei
Schießübungen war er so erfolgreich, dass er bereits im Mai 1907 die Erste Schießklasse
erreichte. Geschossen wurde mit Gewehr Nr. 88 und 98. Sein Dienst bei diesem Regiment
endete im September 1909. Im II. Weltkrieg wurde er Juni 1916 Soldat, zunächst bis
November 1917 an der Ostfront in Russland, danach bis Kriegsende an der Westfront in
Frankreich. Seine Tapferkeit wurde belohnt mit dem EK II. Im Militärpass steht sein
Dienstgrad Gefreiter, als letzte Eintragung: unleserlicher polnischer Stempel, Unterschriften
und 14.03.1921 Altengrabow, liegt östlich von Magdeburg. Dann ging wohl die Reise
endgültig nach Westen.
Am 9. Januar 1922 gab Otto Karl beim Preußischen Regierungspräsidenten in Münster seine
Optionserklärung für die deutsche Reichsangehörigkeit ab. „Die Prüfung der
Optionsberechtigung und die Erteilung einer endgültigen Optionsurkunde bleibt vorbehalten.“
Mit dieser Option war die Verpflichtung verbunden, das polnische Gebiet zu verlassen. Das
neue Heim in Münster wurde 1924 bezogen.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 20: Optionserklärung für die deutsche Reichsangehörigkeit von Otto Karl Lepke
Bereits im August 1933 stellte Otto Karl einen Antrag zum Umbau und Erweiterung des
Hauses. Angebaut wurde ein Raum, außen 4 x 5 m². Das Haus bekam nur geringe
Kriegsschäden.
Otto Karl stieg nach dem Krieg auf vom Maurer zum Maurerpolier. Sohn Hans (*1911,
†1978), Maurer und Maler, später Bundesbahnoberamtsrat, war verheiratet mit Mathilde
Auguste, geb. Kopmann (*1919, †2001. Ihre drei Kinder heißen Ursula, Helga und Hans Otto
(*1943, †1998), verh. mit Marianne Hillebrand aus Papenburg. Er war Angestellter der
Stadtwerke. Das Paar bekam drei Kinder: Ralf, André und Susanne.
Abbildung 21: Vater Hans Otto, Söhne Ralf und André im Sommer 1970. Giebel von Nr. 54.
Im Hintergrund das Haus Nr. 49. (Die Badewanne gibt es heute noch!)
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 22: André im Winter 1970.
Im Hintergrund von rechts nach links die Häuser: 49, 47-37, 35-31
Ralf und seine Mutter bewohnen das Haus.
Nr. 60 (KD 61a) Richard Adolf Thiel (*1884 Neu-Dombie / Kreis Schubin/Posen, †1965),
Maurer, ist als Eigentümer eingetragen. Er kam mit seiner Frau Ida Maria geb. Vollak aus
Bromberg, wo sie 1913 geheiratet hatten. Sie hatten zwei Töchter, Erika und Gertraud.
Gertraud heiratete den Tuchmacher Erich Deutschmann. Sie bekamen drei Kinder Erwin
(*1942), Ursula (*1944), verh. Hahndorf, und Hans-Dieter (*1945, †2007). Dieters Frau Ilona
geb. Göcke und ihr Sohn Frank mit seiner Familie leben im Haus. Die Kriegsschäden konnte
Richard Thiel bald beseitigen.
Nr. 62-64, Das Heimstättengrundstück mit Doppelhaus wurde 1929/1930 gebaut von den
Bauunternehmern Wilhelm Schmidt & Franz Ladberg. Bauherren waren für Nr. 62 Kaufmann
Heinrich Rose, für Nr. 64 Bäcker und Konditor Josef Ladberg. Das gesamte Objekt kam am
23.12.1930 in die Zwangsversteigerung.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 62 erwarb Lokomotivführer i.R. Josef Wiedemeier (†1954 St. Mauritz), Margaretenstraße
4, als Mietobjekt. Josef und seine Frau Maria geb. Rosendahl, hatten fünf Kinder: Elisabeth,
Emma, Josef, Maria, Wilhelm. Elisabeth (*1904, †1995). Sohn Josef heiratete Ruth geb.
Klinner, sie bekamen zwei Kinder: Klaus und Irmgard. Anton Liesner heiratete Elisabeth
Wierdemeier. Der Sohn Helmut hat mit Emilie (Hedwig), geb. Flache vier Kinder: Karin,
Thomas, Carmen, Anna. Die Eltern von Helmut waren Wilhelm Aloysius Remigius Liesner
(*1902, Borken, †1981 Münster) und Maria Helena Gastrich.
Im Erdgeschoss betrieb Paul Rebbert eine Kolonialwarenhandlung, die später von Käthe
Fislake (*1892, Warendorf) weiter geführt wurde. Ihr Verkaufsprogramm war: „Lebensmittel
aller Art und Brot, auch Flaschenbier und Rauchwaren sowie vergällter Branntwein“.
Abbildung 23: Werbeschild von „Käthe Fislake“
Das Ladenlokal wurde bald zu klein, 1950 wurde das Haus in ganzer Tiefe um 3,50 m
verbreitert, der Laden bekam mehr Raum, im OG. entstand eine weitere Wohnung. Aus
finanziellen Gründen wurde das Dach noch nicht ausgebaut. Erst 1955 wurde das vorläufige
Pappdach ersetzt durch ein Walmdach. Anni Kniesel von Nr. 63 übernahm im Oktober 1957
das Geschäft und erhielt im Dezember 1957 die Erlaubnis, Lebensmittel und Branntwein in
Flaschen zu verkaufen. Der Lebensmittelhandel ging 1981 zu Ende. Danach war ElektroFischer Mieter. Schwerpunkt seiner Arbeit war Kundendienst an Hausgeräten. Der letzte
gewerbliche Mieter des Ladenlokals in der Nr. 62 war Uwe Thiel mit seiner Firma „Light &
Sound Production“. Aus alter Verbundenheit zur Straße sorgt er bis heute für die Bühne und
deren technische Ausstattung bei den Straßenfesten. Der Firmensitz ist jetzt an der
Nieberdingstraße in der Nähe von getränke Lappe.
Das Haus ging von Vater Josef Wiedemeier auf dessen Sohn Wilhelm, von ihm auf GroßNeffen Helmut Liesner über. Das Haus blieb lange Zeit Mietobjekt. Erst nach 1945 zog ein
Teil der Familie ein: Wwe. Ruth und Sohn Wilhelm, in den 1960er Jahren: Wilhelm
Wiedemeier und Wwe. Elisabeth Liesner. Jetzt wohnt Helmut Liesner mit seiner Familie im
Haus.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 24: Die Häuser 64 und 62 vor 1950
Links der Laden Nr. 64 Ladberg / Book, der
Vorbau für das Café kam in den 1950ern.
Rechts der Laden Nr. 62 Rebbert / Fislake /
Kniesel / Fischer. 1950 wurde nach rechts
verlängert.
Nr. 64 Konditormeister August Book, (*1904 Appelhülsen, †1985) ersteigerte das Objekt. Er
übernahm die Bäckerei schon am 1. September 1930 von Anna Ladberg, die im November
1929 den Laden eröffnet hatte. Der Betrieb ihres Vaters, Bäckermeister Josef Ladberg, war an
der Travelmannstraße. Schon im Oktober 1934 wurde der Betrieb erweitert. Nach der
Fertigstellung des Vordergebäudes wurde am 24. Juli 1959 die Schankerlaubnis für den
Caffeebetrieb erteilt. Maria geb. van Oepen (*1905, †1986) und August Book waren mit
Bäckerei, Konditorei und Café sehr erfolgreich. Backwaren von Book waren Spitze.
Abbildung 25: Emblem der Bäckerei „August Book“
Fast fünf Jahre lang von 1962 bis 1967 arbeitete August Book in Arbeitsgemeinschaft mit
seinem Sohn Josef, der eine Bäckerei am Friedrich-Ebert-Platz hatte. Josef wurde später
Berufsschullehrer in Bocholt. Er hatte drei Geschwister: Egon, Berthold (*1933, †1996) verh.
mit Martha geb. Hinnenkamp und Eva-Maria. Berthold und Martha bekamen zwei Kinder:
Andreas und Susanne. Beide sind dem Bäcker- und Konditoren-Handwerk treu. Viele Jahre
war Bäckermeister Bernhard Heinker Leiter der Backstube. Er ist der Vater von Annette
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Schrieverhoff in Nr. 57. Annette half als Schülerin oft an Sonntagen als Aushilfe beim
Verkauf von Kuchen. Der Laden wurde am Ende von Frau Martha Book noch weiter geführt,
als die Backstube schon geschlossen war. Sie verkaufte Brot und Brötchen eines BäckereiKollegen. Als das Geschäft endgültig geschlossen wurde, zog sie vom Obergeschoss ins
Erdgeschoss in den Laden. Sie lebt jetzt im Maria-Hötte-Stift.
Das Haus Nr. 64 mit dem später angebauten Ladenlokal nutze der Bildhauer Wilhelm
Heising, der in der Nr. 75 wohnte, als Modell für eines seiner Werke. In der St. Gottfried
Kirche am Düesbergweg befindet sich ein 1956 von Heising erstelltes Holzrelief des Hl.
Josef. Auf diesem Relief erkennt man deutlich das Café Book als Vorlage.
Abbildung 26: Holzrelief in der St. Gottfried Kirche und das Haus Nr. 64 als Vorlage
Die Nummern 66, 68 und 70 gibt es nicht.
Nr. 72a Claus Twachtmann kaufte das bebaute Grundstück Nr. 72 Anfang 1970 von der Stadt
Münster. Im Juni 1971 stellte er einen Antrag zum Bau von sechs Appartements, die
überwiegend von Firmenangehörigen bezogen werden sollen. Die Stadt Münster stimmte dem
Vorhaben zu und löschte den Heimstättenvermerk. Der Neubau wurde als „Existenz
erhaltend“ für den Gewerbebetrieb bezeichnet. Im Oktober 1976 kamen Miteigentumsanteile
in die Zwangsversteigerung.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 72-82 Die Reihenhäuser wurden erbaut unter dem Titel: „Wohnungsbauten für
Kinderreiche“. Die Baugenehmigung für Nr. 74 wurde erteilt am 06.12.1928, Abnahme des
fertigen Hauses am 30.05.1930. Für alle Häuser aus diesem Block gelten wohl fast identische
Zeiten.
Abbildung 27: Wohnungsbauten für Kinderreiche
Die Häuser erlitten keine wesentlichen Kriegsschäden, außer Nr. 74, 1944 vollständig
zerstört. Architekt Adolf Frericks aus Münster machte den Entwurf und ließ noch zwei
identische Häuser bauen: Nr. 37-47 und 55-65; außerdem mit identischem Grundriss noch
einmal als Doppelhaus Nr. 73-75. Ein weiteres Haus wurde in seinem Büro geplant Nr. 49-51.
Nr. 72 wurde gebaut von Franz Heinrich Heimann und seiner Ehefrau Maria geb. Lansing.
Franz Heinrich war kriegsversehrt, hatte sieben Kinder und als Versicherungsvertreter
gearbeitet. Er eröffnete im Frühjahr 1930 sein Lebensmittelgeschäft „Ideale Gemeinschaft“.
Das Gewerbe meldet er am 13.05.1930 an und am 30.10.1932 ab. Der Laden war jedoch
schon seit Winter 1931 geschlossen. Das Lebensmittelgeschäft war von Anfang an nicht gut
gelaufen. Heimann wurde ab dem 1.7.1932 im vom ihm gebauten Haus Mieter im
Obergeschoß. An diesem Tag erwarb es die Stadt Münster aus der Zwangsversteigerung. Mit
der Miete kam er bald in Rückstand. Im Dezember 1932 beklagt er sich bei der Stadt Münster,
dass die Straße erst ein Jahr nach Öffnung des Geschäftes im Frühjahr 1931 ausgebaut wurde.
Zudem habe er schwere Verluste erlitten durch Betrügereien und Schiebungen sowie
Verpfuschungen durch den Architekten Frericks erlitten. Er, Heimann, habe zwar nach 1½
Jahren den Prozess gegen Frericks gewonnen. Der sei jedoch pleite und nicht mehr in
Münster. Das Erdgeschoss nutzt die Stadt Münster als Wohnung für Obdachlose.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 28: Blick auf den Hof der Nr. 72. Im Hintergrund die Nr. 62 - noch ohne Vorbau
Gut erkennt ihr den Anbau der 72, in der sich das Geschäft befand. Die Gärten wurden damals
natürlich hauptsächlich zum Anbau von Obst und Gemüse genutzt – wie man am fleißigen
Kleingärtner der Nr. 74 erkennt. Auch hinter der 72 gab es damals einen Garten, denn das
Wohnhaus 72a gab es ja noch nicht. Deshalb ergibt sich der freie Blick auf die Bäckerei Book
– allerdings noch ohne die davor angebauten Geschäftsräume.
Frau Ursula Senft (später Frau Langenbach) erfährt vom leer stehenden Laden und schreibt
am 17.09.1932 an die Stadt: „betr. Ladenlokal Heimann. Ich möchte das Lebensmittelgeschäft
erwerben, bin seit 20 Jahren in der Lebensmittelbrache Leiterin in großen Filialen.“ Sie bietet
eine Miete an für den Laden und zwei Zimmer. Die Stadt akzeptiert. Mietbeginn ist
1.11.1932, Gewerbeanmeldung 2.11.1932, Abmeldung 11.12.1964. Am 14.12.1932 heiratet
Ursula (*1889 Bamberg, †1976 Münster) den Handelsvertreter Melchior Johann Langenbach
(*1889 Datteln, †1935 Münster). Im Adressbuch steht viele Jahre: Langenbach Ursula Witwe,
Lebensmittelhandlung. Nur einmal im Adressbuch 1950 steht: Langenbach Ursula,
Kolonialwarenhandlung, danach bis 1964: Langenbach Ursula Witwe, Lebensmittelhandlung.
Der letzte Eintrag von 1967 bis 1976 lautet: Langenbach Ursula, Hausfrau. Sie wurde 87
Jahre alt.
Als im Oktober 1944 das Nachbarhaus Nr. 74 vollständig zerstört wurde, fiel ein großes Stück
des gemeinsamen Giebels um und auf der Rückseite ein Teil der Außenwand. Das
Treppenhaus war nur noch zum Teil vorhanden. Die Treppe zum OG hatte keinen Handlauf
mehr. Weiter nach oben gab es nur eine Leiter. Ursula Langenbach wohnte im Haus, der
Laden war beschädigt und blieb von da an geschlossen. Schon im November 1945 teilt sie der
Stadt Münster mit: „Ich habe seit dem 29.10.1945 meinen Laden wieder eröffnet.” Sie selbst
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
hat den Laden in Stand gesetzt. Im Juli 1946 machte das Bauamt der Stadt Münster eine
Kostenschätzung zur Beseitigung aller Schäden. Beseitigt wird erst viel später.
Der Nachbar von gegenüber, Claus Twachtmann, erfährt, dass Frau Langenbach das Geschäft
zum Ende November 1964 aufgeben will. Er mietet von der Stadt das Ladenlokal für seine
Ausstellung. Später wird er Hausverwalter, danach Eigentümer. Im Kaufvertrag vom
27.02.1970 wird geregelt, dass die Übergabe zum 1.3.1970 erfolgen soll. In den 1980er Jahren
wohnten mehrere Studenten in Haus und Laden, unter ihnen Peter Büscher. Einige Jahre nach
dem Tod von Claus Twachtmann wurde das Haus von seiner Frau Vera zum Verkauf
angeboten. Peter Büscher und seine Frau Heidi kauften das Objekt 1997. Vera Twachtmann
verstarb einige Jahre später. Die Mieter zogen nach und nach aus. So konnte von Grund auf
saniert und modernisiert werden.
Abbildung 29: Der Platz vor der 72 wird für Veranstaltungen benutzt
Abbildung 30: Altar an Fronleichnam (links) und Straßenfest 1978 (rechts) vor der Nr. 72
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 74 Bahnhofsoberschaffner Friedrich Sonntag,(*1887 Borchertsdorf Kreis. Pr. Holland,
†1944), und seine Frau Henriette Karoline Adolfine geb. Willberg, Graelstr. 42, bauten das
Haus. Am Sonntag, den 22. Oktober 1944, um 14:30 Uhr wurde das Haus durch eine Bombe
vollständig zerstört. Friedrich Sonntag kam im eigenen Haus zu Tode.
Erst 1960/1961 wurde die Baulücke geschlossen von Lieselotte geb. Sonntag und Tischler
Paul Schübner (*1920, †1997). Die Witwe Klara Sonntag zog in den Neubau mit ein. Sohn
Jürgen Schübner hatte hier 1989 die Anschrift für sein Unternehmen: Kleintransporte und
Entrümpelungen.
Abbildung 31: Die Nummer 74 von der Straßenseite und der Gartenseite
Das Haus wurde von Familie Schübner an Familie Stephan und Kerstin König im Jahr 2000
verkauft.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 76 Reichsbahn-Betriebsarbeiter Anton Carl Schmitz war zusammen mit seiner Frau
Theresia Maria geb. Ahlbrand (*1880, †1959) Bauherr. Im Haus lebten die Mieter: Heinrich
Bohle (Monteur) und Maurer August Camps, (*1910 Münster, an Ostfront vermisst). Seiner
Frau Cäcilia Henriette Gertrud, geb. Bittner (*1911) beantragte 1968, ihn für tot zu erklären.
Als Todeszeit wurde amtlich der 31.12.1945 festgesetzt. August Camps wurde vom Maurer
zum Maurerpolier, noch später Maurer-Oberpolier und Eigentümer. Camp hinterließ vier
Kinder (*1930, *1932, *1937, *1943). Seine Schwiegertochter Helene, geb. Schmitz war bis
1973 Eigentümerin. Sie verkaufte an Freifrau Constanze Droste zu Senden, geb. von Gallwitz.
1976 wurde das Haus weiter verkauft an Hedwig Jöcker, geb. Jörden, die es bis 1992 behielt.
Nächste Eigentümer wurden Dr. Cornelia Hartmann-Jansen und Bernhard Jansen. Sie
vermieteten an OUTLAW, gemeinnützige Gesellschaft für Kinder- und Jugendhilfe mbH.
Zeitweise lebten bis zu sechs Kinder im Haus, die von vier Fachkräften betreut wurden.
Dieser Betrieb in Münster wurde 1997 eingestellt. Outlaw mit einer Zentrale in Greven
betreibt in Münster z. Zt. mehrere Kindertagesstätten. Nach Ende der Mietzeit von Outlaw
kamen mehrere Mieter ins Haus, 2000 Thomas und Edeltraud Wiefel. Sie wurden 2002
Eigentümer. Die Straßenfront wurde in den 1970er geändert. Die alten Verblendziegel wurden
abgebrochen und durch neue ersetzt. Gleichzeitig wurde die zurückliegende Eingangstür nach
vorne verlegt. Der Eingangsflur wurde dadurch größer. An der Rückseite erhielt das Haus in
voller Breite einen Anbau. Die Schäden durch Bombensplitter sind daher nicht mehr sichtbar.
Abbildung 32: Zerstörung der Häuser 78 bis 82 – Gartenseite. An 82 sind jetzt noch die ausgebesserten Splitterlöcher
am Ziegelmauerwerk zu sehen
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Schreiner Bernhard Schulz, Weseler Straße 227, baute das Haus. Die Witwe Maria Schulz
lebte noch lange im Haus. Ihr Sohn Heinz Josef wohnt jetzt dort.
Nr. 80 Rangieraufseher Wilhelm Füntmann, Schmale Str. 11, (*1887 Weitmar / Bochum,
†1981) und Christina Füntmann (*1890 Clarholz, †1964), geb. Hagenkötter, heirateten 1913
in Weitmar. Sie bauten das Haus. Wilhelm stieg später auf zum Oberrangiermeister. Sie
hatten mehrere Kinder: Sohn Wilhelm (*1917 Bochum, †1944 Estland), Stabsgefreiter /
Bäckergehilfe, Tochter Gertrud (*1925, †1997) verh. Weßel, Maria verh. Quentmeier, Agnes
verh. Glaschke, Georg und Martha verh. Schulz. Die Nachricht, der Sohn ist gefallen, kam
offiziell im April 1946 von einer Dienststelle in Berlin.
Tischlermeister Bernd Grote aus Münster erwarb das Haus 1997 von der Erbengemeinschaft
Füntmann nach dem Tod von Gertrud Weßel, baute um und vermietete es 1998 an die Diplom
Pädagogin Beate Martin und ihren Mann, den Soziologen Dr. phil. Michael Florian. Sie hatten
zuvor seit 1978 in anderen Wohnungen in Münsters Süden gewohnt. Beide waren zum
Studieren nach Münster gekommen, sie aus Schwelm, er aus Krefeld. 2011 konnten Sie das
Haus von Tischlermeister Bernd Grote kaufen. 2013 wurde das Dach erneuert und energetisch
dem aktuellen Stand angepasst.
Nr. 82 Witwe Maria Anna Josefine Rengers, geb. Lansing (*1887 Coesfeld, †1987),
verheiratet seit 1913 mit Schuhmacher Anton Rengers (*1889 Coesfeld, †1934) wurde nach
dem frühen Tod ihres Mannes Eigentümerin. Sie hatte vier Kinder: Magdalene (*1914,
†1970), Maria (*1919, †2008), Elisabeth (*1920, †2008), Rudolf (*1925, †2005),
Automechaniker. Magdalene war verheiratet mit Walter Jochheim. Rudolf Hanke (mit
schlesischen Wurzeln) heiratete Elisabeth Rengers, sie bekamen vier Kinder: Dietmar, Ingrid,
Doris und Ilonka. Nach dem Tod von Rudolf, der unverheiratet im Elternhaus lebte, ging das
Haus Oberschlesier Straße 82 an seine Großnichte Claudia Hanke, Tochter von Dietmar
Hanke.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 33: Garten der Nr. 82 Ende der 1930er Jahre
Die beiden Fotos zeigen den Garten der Hausnummer 82 zu unterschiedlichen Zeiten. Links
beim älteren Bild erkennen wir eine Mutter mit Kind- Deutlich wird an dem Bild, dass der
Garten von 82 (und auch von 80) sehr viel tiefer ist als von den anderen Häusern. Das rechte
Bild zeigt die Rückseiten mehrerer Häuser. Der Soldat - ein Freund der Familie - steht im
Garten der Nummer 82.
Nr. 84A, 84-86, 86A, und 88-92 baute die Wohnstättengesellschaft Münsterland als
Mietobjekte nach eigener Planung.
Die Blocks 84-86 und 88-92 wurden auf Veranlassung der Stadt Münster als
„Kleinstwohnungen in Stockwerksform“ gebaut zusammen mit den gegenüberliegenden
Blocks 83-87, 91-97 und 101-107. Hier entstanden zusammen 96 Wohnungen bis 1937.
Insgesamt wurden im Bereich Kappenberger Damm / Oberschlesier Straße 120 dieser
Wohnungen geplant.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
In Nr. 86 kam am 22.06.1940 das Ehepaar Maria (74) und Ludwig (80) Wördemann durch
Bombenvolltreffer zu Tode. Sie waren zusammen mit drei weiteren Toten aus Nr. 107 die
ersten Toten durch Fliegerbomben auf Münster. Das schwer beschädigte Haus wurde
umgehend wieder aufgebaut. Die Witwe Elli Lange, deren Mann in Nr. 107 beim gleichen
Angriff starb, fand in Nr. 86 eine neue Wohnung.
Abbildung 34: Zerstörung der Häuser 86 bis 88 - Straßenansicht 1940. Nur Reste vom Keller 86 blieben. Auch von 88
war der Giebel vollständig zerstört. Elektro-Freileitungen, Straße / Gehweg nicht ausgebaut
Abbildung 35: Zerstörung der Häuser 86 – 88, Gartenansicht
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 36: Traueranzeige Ehepaar Wördemann vom 23.06.1940
Nr. 88 wurde beim Angriff ebenfalls stark beschädigt und sofort wieder aufgebaut.
Nr. 84A, 86A und Nr. 106 kamen 1984 dazu. Die Hausgärten hatten keine Bedeutung mehr.
Die Nummern 94, 96, 98, 100, 102 und 104 gibt es nicht.
Nr. 108-114 sind die neuesten Häuser an unserer Straße. Sie wurden 2000 gebaut.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Östliche Straßenseite – die ungeraden Hausnummern
Nr. 1 Hier wohnte Albert Beckmann (*1905, †1960) und hier hatte er seit 1934 einen
Kolonialwarenladen mit Obst und Gemüse bis 1941. Danach ruhte der Betrieb kriegsbedingt.
Während des Krieges betrieb Milchkaufmann Heinrich Boedecker einige Jahre sein Geschäft
im Laden von Beckmann. 1944 beschlagnahmte die Stadt Münster den Laden zu Gunsten von
Fa. Heinrich Hill, deren Laden in Nr. 1 Kappenberger Damm (heute Bäckerei Schrunz)
zerstört war. Boedecker bekam ein Geschäftslokal gegenüber auf der anderen Straßenseite
angeboten (heute Al Gambero). In den Laden Beckmann / Boedecker zog Fa. Hill nicht ein.
Die allgemeine Lage war kriegsbedingt schon zu schwierig. Das Haus Kappenberger Damm 1
bekam 1944–1945 solche Kriegsschäden (u.a. durch Brand), dass baupolizeilich verboten
wurde, den Laden wieder zu eröffnen. Im August 1945 beschlagnahmte die Stadt Münster das
schwer beschädigte Haus Kappenberger Damm 1 zugunsten von Beckmann. Beckmann
verpflichtete sich zum Wiederaufbau und Eröffnung aus eigenen Mitteln. Der Laden wurde
offiziell am 01.01.1946 eröffnete. 1991 gab Albert Beckmann jun. das Geschäft auf. Das
Haus war inzwischen in sein Eigentum übergegangen. Beckmann vermietete an Schrunz.
Oberschlesier Str. 1 übernahm Heinrich Bollmann 1946. Seine Obst- und Gemüsehandlung
gab es bis Ende der 1960er Jahre. Dann kam eine neue Nutzung. Linda Krause eröffnete einen
Fußpflegebetrieb, den Gabriele Rohrbach im März 1980 übernahm. Seit 2012 wird der Laden
als Lager für Versandhandel von Tauchausrüstungen genutzt unter dem Namen: „Tom Karch,
SANTI GERMANI“. Die Firma Hill blieb in der Nähe. Anfang der 1950er Jahre eröffnete sie
einen Laden Inselbogen 30 und blieb bis etwa 1980. Fa. Prünte nutzt heute einen kleinen Teil
als Bäckerladen.
Nr. 7 Milchkaufmann Heinrich Boedecker, Kleinhandel mit Milch und Milcherzeugnissen,
wohnte hier. Er betrieb sein Geschäft in der Kriegszeit in Nr. 1. Später baute er einen
Feinkostladen am KD (heute „Königs-Grill 2“). Sein Sohn Adolf führte das Geschäft mit
seiner Frau ab 1962 nach Vaters Tod weiter. Boedecker gaben den Laden auf, als sie ins
Rentenalter kamen. Sie zogen nach Greven. Der Laden wurde übernommen von Frau Schmidt
und gut weiter geführt. Sie gab in den 1990er Jahren das Geschäft auf.
Die Nummern 9, 11, 13, 17, 19, 21 und 23 gibt es nicht.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 17-35 Diese Gruppe von fünf Doppelhäusern wurde als „Kleinwohnungen für
Kinderreiche“ 1928 gebaut. Die Höchstgrenze ihrer Baukosten war sehr niedrig angesetzt,
allgemein sollte ihre Quadratmetergröße bei 34 bis 42 m2 (für Kinderreiche) liegen. Der
Wohnstandard sollte insgesamt einfacher sein. Bereits nach rund 35 Jahren wurden die Häuser
abgebrochen und durch Neubauten ersetzt, die nicht mehr auf der vorderen sondern auf der
hinteren Grundstückshälfte stehen. Die Straße erhielt hierdurch ein völlig neues Aussehen.
Abbildung 37: Rechts die fünf Doppelhäuser Nr. 17 bis 35
Das Foto zeigt Julie und Fritz Grohmann mit ihrer Schwiegertochter Margret (ca. 1965).
Rechts im Bild sind die fünf Doppelhäuser Nr. 17 bis 35 zu sehen, davor die Straße Gut Insel.
Auf der linken Seite die Nr. 42 der Familie Schütz. Die Oberschlesier Straße wurde kurz
vorher ausgebaut. Als Beleuchtung dient eine einsame Gaslaterne!
Nur einige Nummern werden beschrieben: mit Dauermietern vom Erstbezug bis zum Abbruch
und ein Gewerbeunternehmen.
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Nr. 17: Monteur Franz Koch
Nr. 21: Familie Bellman hatte hier 1931/1932 eine Heißmangelstube, später von Sommer
1948 bis Sommer 1954 eine Wasch- und Plättanstalt, die davor von 1936 bis Oktober
1944 auf der Ludgeristraße war. Sie wurde durch Bomben vollständig zerstört.
Nr. 23: Maschinist B. Brüggenkamp
Nr. 25: Städtischer Arbeiter August Rickert
Nr. 27: Zimmerer Theodor Hagemann
Nr. 29: Magazinarbeiter Ferdinand Broloer
Nr. 31: Installateur Arnold Quante
Nr. 33: Händler Peter Heitbrock
Nr. 35: Kaufmann Otto Wurmbach
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 25-29 neu und Nr. 31-35 neu. Diese Bauten wurden von der Wohnungsgesellschaft
geplant und Ende der 1960er gebaut. Die Lage zur Straße und die Architektur sind der Zeit
angepasst. Hausgärten haben ihre Bedeutung verloren. Fenster wurden größer, Balkone
bestimmen das Bild. Die Fassade ist nicht einfach lang gestreckt sondern mehrfach in der
Tiefe gestaffelt.
Nr. 37-47 Diese Reihenhäuser „Wohnungsbauten für Kinderreiche“ von Architekt Adolf
Frericks waren die ersten der drei gleichen Häuser, wahrscheinliche Bauzeit 1929/1930.
Danach wurde 72-82 gebaut, zuletzt Nr. 55-65. Frericks plante eine Ansicht mit reicher
Gliederung. Ziegelgesimse um Fenster und Türen gliedern die Fassade. Die Eingänge sind
zurückgesetzt und die Hauseingänge so vor Schlagregen geschützt. Ins Erdgeschoss führen
fünf Stufen, zusammen mit den Stufen von der Straße zum Vorgarten sind das sieben. So
konnte man mit der Kellersohle gerade noch über dem Grundwasser bleiben. Auf der
Gartenseite hat jedes Haus im OG einen Balkon, im EG eine Terrasse. Nur Nr. 47 ist noch
Eigentum der Familien, die hier gebaut haben, die anderen bekamen nach und nach neue
Eigentümer. Die Häuser wurden gering im Bombenkrieg beschädigt: Dachziegel abgedeckt,
Fenster zersprungen.
Nr. 37 Schuhmachermeister Johann Rygusiak (*1890 Wanne-Eickel, †1963) und seine Frau
Agnes (*1894 Herne, †1979) bauten das Haus und den Anbau mit dem Laden „Tabakwaren,
Kurzwaren u. Sämereien, Schreibwaren“ und noch Vieles mehr. Die Väter von Johann und
Agnes waren Bergleute. Fünf Töchter und zwei Söhne kamen zur Welt zwischen 1919 und
1955, eine große Familie. Die Schusterwerkstatt war in Stadtmitte, Schuhe und Taschen, alles
aus Leder, gab man im Laden ab, und bekam es dort repariert zurück. Der Laden bestand von
Oktober 1929 bis August 1979. Im September 1982 wurde der Laden zum „Kaffepott“ mit
Schulbedarf (Kaffee, belegte Brötchen, Süßigkeiten, Zigaretten, Fotokopien) für die Schüler
der Ludwig-Erhard-Schule. Er war auch Rückzugsraum für Lehrer und Schüler. Auf
„neutralem Boden“ konnten Kontakte gepflegt und Konflikte angesprochen und gelöst
werden. Anfang 2002 richtete die Schule ein „Bistro“ ein. Dieser Konkurrenz war der Pott
nicht gewachsen. Der drittälteste Sohn einer Familie Hahn aus Ostwestfalen, Günter, und eine
Rheinländerin waren wegen der Berufe nach Münster gekommen. Zwei Jahre wohnten sie
hier, dann bekamen sie über einen Makler das Haus angeboten. Sie erwarben Ende 1983 Haus
und Laden von Johannes Rygusiak. Der Laden wurde 2002/2003 zur Wohnung umgebaut und
zweigeschossig.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 38: Fritz jr. und Franz Grohmann (älterer Bruder von Fritz sen. aus Berlin) 1958
Im Hintergrund die Häuser 37 und 39 sowie die alten Nr. 29-31 und 33-35. Man beachte den Belag der Straße!
Nr. 39 Zimmermann Heinrich Hakenes (*1877, †1958) und seine Frau Karoline (*1876,
†1958) bauten das Haus. Sie hatten zwei Kinder: Agnes und Johannes. Gabi Blaese und Heinz
Kasberg kauften das Haus 1995 von Ingeborg Neuhäuser geb. Droste. Sie hatte es geerbt nach
dem Tod und dem Testament von Johannes Hakenes (*1914, †1990). Die nicht verheiratete
Agnes hatte ein lebenslanges Wohnrecht. Nach ihrem Tod verkaufte Ingeborg Neuhäuser. Bei
Umbauarbeiten im Dachgeschoss fand Heinz Kasberg einige ältere Zeitungen. Sie sind durch
Alter, Mäusefraß, Staub beschädigt und ziemlich brüchig und nur zum Teil lesbar. Der
„Münstersche Anzeiger“ von Dienstag, den 10.12.1929, und das „Sportblatt des Dortmunder
General-Anzeigers“ von Montag, den 9.12.1929 waren damals Lektüre in der Arbeitspause.
Es sieht so aus, als seien die Zeitungen nicht zufällig liegen geblieben, sondern bewusst
hingelegt. Diese Dokumente bestätigen das, was aus anderen Quellen über die Bauzeit
bekannt ist.
Nr. 41 Herrenschneider Heinrich Surholt und seine Frau Karoline, geboren in Straßburg
kennengelernt, bauten das Haus. Heinrich aus Münster hatte Karoline als Soldat in Straßburg.
Er war viele Jahre Mitarbeiter in der sehr angesehenen Schneiderei Gebr. Venker,
Warendorfer Straße. Karoline betrieb von Juni 1928 bis April 1958 eine Wäscherei und
Plätterei. Sie hatten vier Kinder: Alfred (Schriftsetzer) (*1920, †1985), Heinrich (FinBed),
Hedwig und Maria. Alfred war verheiratet mit Luzia (*1923), geb. Eversloh, aus Oelde. Sie
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
haben einen Sohn. Luzia war im Krieg dienstverpflichtet bei der FLAK u.a. in MünsterWolbeck und Datteln. Nach dem Krieg kam sie zu ihrer Tante als Aushilfe in eine Gaststätte
an der Hammer Straße. Bei einem Gewitterregen suchte Alfred hier Schutz. Er fand noch
mehr: seine spätere Frau Luzia. Sie ist Witwe und wohnt jetzt in der Friedrichburg. Hedwig
Ziel, geb. Surholt in Ahrenburg erbte das Haus 1966 von ihrem Vater Heinrich Surholt. 1978
verkaufte sie das Haus an Jürgen und Christine Maletz geb. Welslau. Der Heimstättenvermerk
wurde vorher gelöscht. Alfred verkaufte das Haus an Jürgen und Christine Maletz. Von ihnen
erwarben Hedwig und Michael Tillmann das Haus 1980. Es wurde von einer Bank in der
Zeitung angeboten. Erst spät entdeckten sie, dass der Vorbesitzer das Haus ohne ausreichende
Kenntnis der Standsicherheit eine tragende Wand entfernt und an ihrer Stelle einen
Holzbalken eingebaut hatte. Er musste durch einen Stahlträger und Stahlstützen ersetzt
werden. Michael und Hedwig zogen von der Eichsfelder Straße nach hier. Sie haben drei
Töchter und ein Enkelkind. Michael wurde als dritter von vier Geschwistern am Niederrhein
im Kreis Kleve geboren, Hedwig als fünfte von fünf Geschwistern in Münster. Michael ist
Vorsitzender des Ost-West-Forum e.V. und Sprecher der NRW-Landesarbeitsgemeinschaft
Weißstorch.
Nr. 43 Tischler Hermann Flocke (*1885, †1959) und seine Frau Katharina waren Bauherren.
1973 ging der Besitz über von Vater Hermann auf die Tochter Wilhelmine Schober, geb.
Flocke. Deren Sohn Willibald aus Nr. 31 verkaufte das Haus 1984. Seine Mutter zog in ein
Altenheim. Johann Prahm und Elke Pfeiffer-Prahm renovierten das Haus von Grund auf,
bauten 1988 einen Wintergarten an, 1992 wurde das Dachgeschoss ausgebaut, das Dach neu
eingedeckt. Von 1938 bis 1947 war Karl Ellmauer mit seiner Familie Mieter, später erwarb er
von Bruno Regall Nr. 54, er baute das völlig zerstörte Haus neu.
Nr. 45 Franziska Weßling baute das Haus. In der Familie Weßling gab es mehrere Berufe:
1937 Bernhard Maurer, später Maurerpolier, Heinrich Bote, 1950 Bernhard und Hermann
Polsterer, 1962 Bernhard, Kaufmann, Hermann, Polsterer, scheidet 1963 aus der Firma aus.
1965 wird die Firma verlegt zur Sonnenstr. 55, 1979 von Bernhard Buschhoff übernommen.
Die Polsterwerkstatt waren Schuppen hinten im Garten. Die (großen) Polstermöbel mussten
von und zur Werkstatt durch das Haus getragen werden. Der Weg hinter den Grundstücken
entstand erst zusammen mit dem Bau des LEBK. Um den Möbeltransport einfacher zu
machen, grub man den Vorgarten schräg ab, man transportierte durch den Keller. Besonders
große und sperrige Teile passten weder durch den Keller noch durch die Wohnung. Nachbar
Käufer gab die Zustimmung, über den Gartenzaun und an seinem Haus vorbei zu
transportieren. Familie Weßling verkaufte das Haus an Bernhard Milte aus Ottmarsbocholt. Er
baute um und erweiterte um den Anbau etwa 1967. Dann vermietete er an Studenten, was
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
einige Unruhe in die Nachbarschaft brachte. Brigitte Ginski-Adolph und Hartmut Adolph
kauften das Haus 1984 von den Schwestern Hünerbein und Feldmann, geb. Rolf. Kaufmann
Kurt Hünerbein war in der frühen 1960er Jahren einer der Mieter im Haus. Er kaufte von
Bernhard Milte aus Ottmarsbocholt, der es von Fam. Weßling erworben hatte. Brigitte und
Hartmut renovierten und konnten im April 1984 einziehen. Als sie das Haus übernahmen,
stand im Garten noch ein Schuppen der Polsterwerkstatt, der abgerissen wurde. Von einem
anderen gab es noch Fundamente.
Nr. 47 Klempner und Installateur Ernst Franz Wilhelm Käufer (*1899, †1967), Marinesoldat
im I. WK, danach wieder Installateur, heiratete 1920 seine Frau Agnes Katharina (*1894
Freiberg/Sachsen, †1978), geb. Strohwasser, Näherin. Am 1. September 1931 zogen sie in das
neue Haus. Sie bekamen 5 Kinder: Katharina Karoline (Käthe) (*1923), Wilhelm Ernst (Erni)
(*1922, 1955 Spätheimkehrer aus Russland, starb kurze Zeit später), Ernst Bruno (*1925),
Elisabeth Pauline (Liesel) (*1926, †1933). Sie verunglückte auf der Straße, als sie ihrer
älteren Schwester folgen wollte, die bei Rebbert Lebensmittel kaufen sollte. Bei Haus Nr. 49
rangierte der Möbelwagen für die neuen Bewohner. Helmut (*1928, †2003) wurde Schneider.
Er und seine Schwester Käthe mit ihrem Sohn Ralf, heute Ralf Hoppe, bewohnten das Haus
nach Mutters Tod. Sie war viele Jahre (fast) blind, grüner Star. Käthe verh. mit Josef Adorf
(*1913, †1979), Steinmetz, arbeitete kriegsverletzt bei den Stadtwerken. Sie bekamen 3
Kinder: Monika, Helmut, Ralf. Käthe hat 7 Enkel, 1 Urenkel. Als evangelische Christin ging
sie zu Fuß mit wenigen anderen Kindern zur evangelische Johannisschule, die es heute noch
gibt an der Vogel-von Falkenstein-Straße. Katholische Kinder gingen zunächst noch in die
„Alte Geistschule“ an der Hammer Straße zwischen Umgehungsstraße und Düesbergweg.
Diese Bauerschafts-Schule wurde in den späten 1950er Jahren abgebrochen. 1930 wurde die
„Neue Geistschule“ an der Grevingstraße fertig und darin das Stadtbad. Das Bad wurde durch
Bomben so zerstört, dass es nicht wieder aufgebaut wurde. Spielen konnten alle Kinder
gemeinsam auf der noch nicht befestigten Straße. Völkerball, Pinnchen schlagen, im Wald auf
Bäume klettern, in der Aa schwimmen, auf Baustellen am Straßenende herumturnen, aus
einen Brett eine Wippe bauen. Schon als Schülerin musste Käthe BDM-Mitglied werden. Die
Uniform stellte BDM, Familie Adorf hatte dafür kein Geld. Käthe fand die Gruppenführerin
ganz toll. Der Dienst und die Dienstzeit passten Käthe nicht. Sie war sehr schüchtern, mochte
nicht sagen, dass sie lieber mit anderen Gleichaltrigen die freie Zeit anders genutzt hätte. Sie
musste insbesondere samstags nach Schulschluss antreten für Übungen oder eine große
Parade beim Brunnen am Grünen Grund. Josef Adorf war Trommler im Spielmannszug, auch
dessen Sohn Helmut war Mitglied. Schützenfeste wurden groß gefeiert im Saal „Lichterbeck
am Scharfen Eck“. Heute ist dort die Sparkassen-Filiale. Auch eine große Wiese am KD
gehörte Lichterbeck. Heute stehen dort die Häuser von Königs Grill (früher Feinkost
Bödecker, danach Feinkost Schmidt), Friseur Schilling, Dr. Münster (davor Dr. Walter, davor
Dr. Schmidtmann) und der Block mit der Apotheke. 1944 wurden Mutter und Kinder Adorf
evakuiert nach Westkirchen. Als sie 1945 wieder in die Wohnung zurück wollten, war sie
belegt, vom Wohnungsamt der Stadt beschlagnahmt von Ostflüchtlingen bewohnt. Käthe mit
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Mann und Kindern zogen in ein Behelfsheim, das hinten im Garten errichtet wurde. „Wir
hatten ein Dach über dem Kopf, eine Wasserleitung konnte Vater sofort verlegen. Das Klo
war bei den Eltern. Alles war sehr eng, provisorisch, bei Sonne heiß, bei Kälte kalt“.
Nr. 49-51 Architekt Adolf Frericks, der Architekt der auch die drei Reihenhäuser und ein
Doppelhaus „Für Kindereiche“ plante.
Abbildung 39: Links Nr. 49 (Engelhardt) Enning, rechts Nr. 51 Steinberg.
Steinberg haben mal überlegt, rechts ein Ladenlokal anzubauen.
Nr. 49 Die Eheleute Maurerpolier Karl Engelhardt und seine Frau Rosalie geb. Hartung
erwarben das Grundstück mit Vertrag vom 12.09.1930 von der Stadt Münster. Mit dem
Vertrag vom 13.01.1931 wurden sie Reichsheimstätter der Stadt Münster. Die Eintragung
Heimstätte blieb bis zum 15.02.1974. Karl Engelhardt beantragte die Baugenehmigung
zusammen mit Maurermeister Franz Joseph Steinberg am 21.07.1930. Sie wurde am
06.08.1930 erteilt, eine weitere für den Bau der Vorgarteneinfriedigung am 31.12.1930. Die
Kosten für Grundstück und Aufschließung betrugen 1.590,60 + 2.800,00 zus. 4.390,60 RM.
Karl Engelhardt hatte bis 1928 mit seiner 12-köpfigen Familie in Teistungen, Kreis Worbis
(Thüringen) 33 Morgen (ca. 8 ha) Pachtland bewirtschaftet. Durch einen Todesfall ging die
Pacht zu Ende. Der Reichsbund der Kinderreichen (RdK) sorgte dafür, dass die 12-köpfige
Familie das Baugrundstück in Münster bekam. Für die Finanzierung seines Hauses in Münster
musste Engelhard sich höher verschulden als geplant. Die Baukosten überstiegen den
Voranschlag, ein Mieter zahlte unpünktlich. Engelhard geriet mit der Zahlung der
Hypothekenzinsen immer mehr in Rückstand und bekam Zahlungsschwierigkeiten. Im
Dezember 1939 verkaufte er das Haus. Die Zustimmung der Stadt Münster als Herausgeber
der Heimstätte wurde nachgeholt. In Schwanheide, Kreis Ludwigslust, in Mecklenburg
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
pachtete Engelhardt einen Kotten von 153 Morgen (ca. 38 ha). Hier sollten seine sämtlichen
Kinder in der Landwirtschaft beschäftigt werden. Das Haus in Münster kaufte Kaufmann
Heinrich Kampel, „Großhandel in Schokoladen- und Zuckerwaren“, Bremer Str. 59. Er
vermachte es 1953 als Mitgift an seine Tochter Helene, Frau des Tabakwarengroßhändlers
Heinrich Wagener, Annette Allee. Weder Heinrich Kampel noch seine Tochter Helene haben
in der Heimstätte gewohnt, sie war vermietet.
Abbildung 40: Die Nr. 49 im Jahr 1965 von der Straßen- und der Gartenseite. Im Stallanbau war unten Platz für ein
Schwein, darüber der Hühnerstall. Die Hühner hatten Auslauf zum Garten über den abgedeckten Gang, helle Fläche
In den 1950er kam Familie Engelhardt aus Mecklenburg nach Münster zurück. Ein Anwalt
sollte versuchen, den Kaufvertrag von 1939 rückgängig zu machen. Der Vertrag habe nicht
das Reichsheimstätten-Gesetz ausreichend berücksichtigt. Die Stadt, Ausgeberin der
Reichsheimstätte, lehnte ab, der Regierungspräsident ebenfalls. Kampel-Wagener blieb
Eigentümer, ließ die Reichsheimstätte löschen und verkaufte 1974 an Hannelore und Gerhard
Enning. Sie bekamen vorher verschiedene Objekte angeboten, besichtigten sie, entschieden
sich für Nr. 49 unter anderem wegen des großen Grundstücks. Im Haus sollte auch das
Ingenieurbüro Platz bekommen.
Abbildung 41: Die Nr. 49 im Jahr 1990
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Sie bauten das Haus im Jahr 1975 um und eingeschossig an. Im Frühjahr 1976 bezogen sie
das Erdgeschoss. 1990 bekam der Anbau das zweite Geschoss. Gerd Enning kam von
Erftstadt, übernahm 1972 den Fachbereich Tiefbau eines Kollegen aus Münster.
Abbildung 42: Die Nr. 49 im Jahr 1999
Das Ingenieurbüro zog 1980 von der Stadtmitte zunächst in das Dachgeschoss, danach ins
OG, wo es blieb, bis der Nachfolger F.W. Laube aus Essen 2001 zum Gewerbegebiet Roxel
umzog. Das Büro expandierte zunächst noch unter dem Namen Enning, wurde dann
umbenannt in Laube, Helming und Partner. Das Büro Münster wurde inzwischen aufgegeben,
Laube hat sein Büro in Essen. Gerd, Nr. 2 von 7, wuchs in Ahaus auf, Hanne, Nr. 1 von 5, in
Schöppingen. Im Dachgeschoss wohnte lange Zeit Maurerpolier Amand Wingenfeld mit
seiner Familie. Er zog mit seiner Frau 1979 zu seiner Tochter an den Niederrhein.
Nr. 51 Maurermeister Franz Joseph Steinberg (*1890, Coesfeld-Stockum, †1964) und
Katharina Henriette Maria, geb. Lobbe (*1895, †1976), heirateten im Mai 1918 in Coesfeld.
Sie bekamen fünf Kinder: Trudel (*1919 Coesfeld, †2011), verh. mit Fritz Hübschen, Walter
(*1920 Coesfeld, †1945 gefallen), Paul (*1922 Coesfeld, †1958), Bildhauermeister, verh. mit
Edith, geb. Mannefeld, Bildhauerin, Franz Josef (*1925, †2013), Handelsvertreter, verh. mit
Elfriede Vinnenberg aus Albersloh, und Lilo, verh. mit Günter Fidorra. Eine stadtbekannte
Bildhauerarbeit von Paul Steinberg ziert die Fassade der Handwerkskammer an der Weseler
Straße.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 43: Bildhauerarbeit von Paul Steinberg an der Handwerkskammer
Auch die Bronze „Der Evangelist Johannes“ im Ev. Krankenhaus stammt von ihm. Seine
Tochter Julia Steinberg studierte an der Kunstakademie Düsseldorf. Ihre Malerei stellte sie
schon in vielen Ausstellungen sehr erfolgreich aus. Franz Josef heiratete 1956 Elfriede
Vinnenberg (*1924) aus Albersloh. Sie wurden in der schönen Dykburgkirche getraut. Die
Hochzeitsreise mit der BMW-Isetta ging zum Schwarzwald.
Abbildung 44: Das Brautpaar Steinberg in der Isetta
Elfriede ist die zweite von sechs Geschwistern, fünf Schwestern und einem Bruder. Nach
einer Schneiderlehre arbeitete sie in Münster in einer Kleiderfabrik, die Uniformen und
Herrenkleidung herstellte. Nach dem Tod von Franz Josef lebt sie jetzt im Haus mit mehreren
Mietern. Lilo, die Jüngste der fünf Geschwister, lernte Photolaborantin. Als Kind erlebte sie
schöne und zum Teil gruselige Stunden beim Nachbarn Engelhardt. In der dunklen Jahreszeit
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
saßen seine und die Kinder der Nachbarn um den großen Ofen. Karl Engelhard las Märchen
vor oder erzählte Schauergeschichten, richtig zum Gruseln. Auf dem Weg zurück zu den
Eltern war sie manchmal ein wenig ängstlich. Aber schön war es doch! In der Geist-Schule
wurde sie eingeschult. Kurze Zeit hatte sie Unterricht in der kleinen ev. Geistschule. Wegen
der Zerstörung von anderen Schulen mussten immer wieder neue Schulpläne gemacht
werden. Schließlich wurden im Sommer 1943 in Münster alle Schulen geschlossen. Lilo fuhr
zusammen mit vielen Kindern in einem Sonderzug von Hiltrup nach Süddeutschland, wo sie
sicher sein sollten vor Fliegerangriffen.
Abbildung 45: Familie Steinberg im Garten: Walter, Paul, Mutter, Lilo, Vater, Franz Josef, Trudel, ca. 1941
Abbildung 46: Straßenansicht der Nr. 51, ca. 1941
Franz Joseph Steinberg schloss für den Hausbau einen Heimstätten-Vertrag mit der Stadt
Münster. Die Kosten für Grundstück (6 m2 weniger als Nr. 49) und Aufschließung betrugen
gemäß Vertrag zusammen 4.377,70 RM.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 55-65 Drittes Haus der „Wohnungsbauten für Kinderreiche“. Nr. 65 wurde abgebrochen
und durch einen Neubau (giebel- statt traufenständig) ersetzt. Der ganze Block ist noch im
Eigentum der Erbauerfamilien. Die Kriegsschäden waren nicht wesentlich Dächer und Fenster
zerstört.
Eine Nummer 53 gibt es nicht.
Nr. 55 Anstreichermeister Josef Heßbrüggen (*1895 Altschermbeck, †1986) gründete im Juni
1928 einen Maler- und Anstreicherbetrieb, dessen erste Werkstatt sich im St. Franziskus
Hospital am Hohenzollernring befand. Mit dem Einzug in die Oberschlesier Straße 55 wurde
im April 1930 auch der Glaserbetrieb eröffnet. 1963 wurde die Firma eine KG. Ende der
1960er Jahre zog der Betrieb dann zum Buldernweg 33-35 und wurde vom zweiten Sohn
Bernhard (*1923, †1974) geführt. Nach dem frühen Tod von Bernhard Heßbrüggen übernahm
dessen Sohn Franz-Josef 1974 den Betrieb und führte ihn bis Ende 2013. Der Betrieb läuft
weiterhin unter dem Namen Heßbrüggen, wird aber von zwei Meistern weitergeführt und ist
nicht mehr in Familienbesitz.
Josef Heßbrüggen hatte 9 Kinder. Er war zunächst verheiratet mit Christine, geb. Grewer
(*1898, †1935). Aus dieser Ehe gingen 6 Kinder hervor: Heinrich (*1921, †1941), Bernhard
(*1923, †1974), Anna (*1925, †1967), Ludwig (*1927, †2004), Maria (*1931, †2006),
Norbert (*1935). In zweiter Ehe war Josef Heßbrüggen mit Katharina, geb. Pavel (*1905,
†1981) verheiratet. Kinder: Christina (*1938), Heinrich (*1942, †1997), Margret (*1946)
Nachdem Maria Heßbrüggen von 1986 bis 2006 Eigentümerin war, ist das Haus seit 2006 in
dritter Generation weiterhin im Familienbesitz: Eigentümer Thomas Kniesel, Sohn von Anna
Heßbrüggen.
Nr. 57 Eisenbahner Franz Johanshon (*1890, †1982) und seine Ehefrau Josefa geb. Gövert
(*1895, †1974) bauten das Haus. Beide waren in Wolbeck geboren. Der Vater von Franz war
mit ca. vierzehn Jahren aus Schweden nach Wolbeck gekommen, das erklärt den nicht
westfälischen Namen. Die erste Familienwohnung in Münster war an der Gerhardstraße. Dort
blieben sie bis sie 1931 in das eigene Haus einziehen konnten. Sie bekamen elf Kinder: Franz
(*1921, †2014), Josef (*1922, †1944), Heinz (*1923, †1925), Bernd (*1924, †1978), Anton
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
(*1926, †1944), Fritz (*1926, †1943), Maria (*1928, †1980), Klärchen (*1929), Wilhelm
(*1930, †1997), Hedwig (*1931, †1933) und Erich (*1934, †2003). Franz Johanshon wurde
im Ersten Weltkrieg verschüttet, danach litt er lebenslang an Schüttellähmung (Parkinson). Er
bezog bereits mit ca. 45 Jahren Invalidenrente. Die große Familie bewohnte nur das Erd- und
Dachgeschoss, die mittlere Etage war vermietet, zuerst an Familie Altenhövel mit zwei
Kindern, dann bis Mitte der 1950er an Familie Jahn mit den Kindern Anita und Marlies.
Wohnungen waren in den 1950ern sehr knapp. Vater Franz baute für seinen Sohn Bernd und
seine Frau Elfriede im Garten ein kleines Haus mit zwei Räumen. Das Haus gibt es noch.
Tochter Maria heiratete 1955 den Bäckermeister Bernhard Heinker. Sie bekamen vier Kinder:
Bernhard, Annette, Franz-Josef und Christoph. Bernhard Heinker war viele Jahre leitend in
der Backstube der Bäcker- und Konditorei Book tätig. Tochter Annette besserte ihr
Taschengeld lange Zeit auf durch Sonntagsdienst im Kaffee Book.
Franz Johanshon versorgte die Familie mit Frischei und Suppenhuhn von eigenen Hühnern,
Kaninchen lieferten Fleisch; drei bis vier Schweine wurden gemästet und an die Fleischerei
Schröder verkauft. Das alles war im Haus- und Schrebergarten möglich. Nebenbei arbeitete er
für die Wohnstättengesellschaft am Grünen Grund. Er war für die Grünflächen zuständig.
Rasenpflege machte er perfekt und ausschließlich mit der Hand-Sense. Im Sommer passte er
zusätzlich auf den Habichtsbrunnen auf, einem beliebten Wasserspiel- und Badeplatz für
Kinder. Das Südbad kam erst 1966.
Nr. 59 Maurer Peter Rosenbaum (*1891, †1963) und seine Frau Josefa geb. Taphorn (*1895,
†1971) bauten das Haus, bekamen neun Kinder: Else, Irmgard, August, Heinz, Katharina,
Josef, Annelore, Gerda und Willi. August (*1917, †1987) lernte das Elektro-Handwerk und
wurde Pilot und Fluglehrer der Fluglehrerschule der Luftwaffe in Brandenburg (Havel)Briest. Als Flugzeugführer war er mit der JU 52 an allen Fronten: in Kreta, Norwegen und
Russland. Seine spätere Frau Gertrud geb. Wiese musste mit ihren Eltern - Mutter aus Nakel
(Westpreußen), Vater aus Bromberg - das an Polen abgetretene Land verlassen. Mit ihrem
kleinen Sohn gingen sie zunächst ca. 150 km in Richtung Nord-Ost nach Preußisch-Holland
in Ostpreußen, wo Tochter Gertrud (*1922) geboren wurde. Nicht lange nach der Geburt
kamen sie ca. 600 km weiter süd-westlich nach Brandenburg an der Havel und fanden
Wohnung und Arbeit in einer Gärtnerei. Dort ertrank der noch sehr junge ältere Sohn in
einem Teich. Der zweite Sohn Günter (*1924†1943) wurde als Soldat vermisst. Gertrud
arbeitete als Weißnäherin und wurde dienstverpflichtet in der Rüstungsindustrie, wo sie
Qualitätskontrollen für Kleinteile machte. Eine etwas ältere Arbeitskollegin fragte die
18jährige, ob sie zusammen ausgehen wollten in ein Kaffee, an einem Donnerstag, einfach
mal so. Von ihren Eltern bekam sie die Erlaubnis mit dem Hinweis: bitte um 21:00 Uhr
wieder zu Hause zu sein. Die beiden Freundinnen saßen in einer Ecke, in einer anderen saßen
zwei Fliegersoldaten. Die hatten sich wohl eher zufällig getroffen, kannten sich wenig. Der
Kellner brachte einen Zettel zu den Damen, worauf stand, sie möchten doch bitte an den
Herrentisch kommen. Das lehnten sie ab und ließen durch den Kellner ausrichten: die Herren
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
könnten ja kommen. So kam es. Gertrud wurde pünktlich nach Hause begleitet. Der Flieger
August Rosenbaum bat um ein Wiedersehen. Gemeinsame Treffen gab es wenige. August
war nur in Brandenburg, wenn sein Flugzeug zur Wartung oder Reparatur in der Werft war.
Briefe waren damals das einzige Kommunikationsmittel. Bald nahm August Gertrud mit nach
Münster zum Besuch bei Eltern und Geschwistern. 1942 heirateten sie in Münster. Gertrud
wohnte weiter in Brandenburg bei ihren Eltern und arbeitete kriegsdienstverpflichtet weiter.
Den Sohn Jürgen sah Vater August nur selten, Urlaub gab es bei den Fliegern kaum. Nach
Kriegsende sollte Gertrud für die Russen arbeiten. An ihrer Stelle tat das ihre Mutter. So hatte
sie Zeit für ihr Kind. Bis September 1945 wusste sie nicht, wo ihr Mann war, ob er lebte, wie
es ihm ging. Plötzlich stand er an der Haustür, wurde von der Mutter begrüßt. Gertrud
erkannte die Stimme sofort. Für seinen kleinen Sohn war der Mann überhaupt nicht fremd.
Vater und Sohn fanden sofort zusammen. August war gekommen mit der Bitte, Gertrud solle
in spätestens 10 Tagen entscheiden, nach Münster mitzukommen. Eine solche Entscheidung
war nicht leicht, die Eltern wollten sie ungern gehen lassen und auch nicht diese neue Heimat
verlassen. August wollte nicht in Brandenburg in der sowjetischen Zone bleiben. Als
ehemaliger Flugzeugführer im Kampf gegen die Russen befürchtete er Schlimmes. Gertrud
wollte mit nach Westen, ca. 400 km. Die Reise ging von Brandenburg bis Magdeburg mit
dem Zug. Sie konnten zu Dritt nur das Allernotwendigste mitnehmen. Von Magdeburg bis zur
Zonengrenze bei Helmstedt liefen sie, wurden auch mal auf einem Fahrzeug mitgenommen.
Die Grenze wurde in der Dunkelheit der Nacht überschritten. August hatte zuvor einen
möglichen Weg ausgekundschaftet. Das dauerte sehr lange. Gertrud machte sich große
Sorgen. Von Helmstedt nach Münster dauerte die Zugfahrt einen ganzen Tag lang. Die
Wohnung von Augusts Eltern war voll von seinen Geschwistern, Schwägerinnen und
Schwägern sowie deren Kinder. Anspruch auf eine Wohnung hatte man nur, mit drei oder
mehr Kindern. August und seine Familie fanden zunächst eine Unterkunft im Haus KD Nr.
67a an der Verbindungsstraße Oberschlesier Straße zum Kappenberger Damm, nur wenige
Schritte vom Elternhaus. 1949 zogen sie um in eine schöne Wohnung an der
Trauttmansdorffstraße. Zur Oberschlesier Straße kamen sie 1971 zurück nach dem Tod von
Augusts Mutter. Im Haus wohnte Augusts Schwester Gerda mit ihrem Mann Karl-Heinz
Schumann. Gertrud und August hatten vier Söhne: Jürgen (*1943) Elektromeister, Günter
(*1948, †2012) Koch, Wolfgang (*1949) Autoschlosser, Dirk (*1961) Elektriker. Vater
August bekam sofort nach der Rückkehr nach Münster Arbeit als Elektriker. Die erste Firma
wurde nach einigen Jahren insolvent. August suchte und fand neue Arbeit bei Fa. Heikes, wo
er in der Verwaltung tätig war. Sein jüngster Sohn lernte bei Heikes und ist dort beschäftigt.
Gertud hat neun Enkelkinder und mehrere Urenkel.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 61 Buchdrucker Bernhard Heinrich Schlöter (*1880, †1955) und Maria Elisabeth Budde
(*1885, †1973) heirateten 1908 in Dortmund. Sie bekamen sechs Kinder: Bernhard (*1909,
im Krieg vermisst), Luise (*1911, †2006), Maria (*1916, †2002), Willi (*1917, †1933), Paul
(*1919, †2009) und Johanna (*1923, †2013). Bis zum Einzug im Januar 1931 in das Haus
Oberschlesier Straße wohnte Familie Schlöter in der Ostmarkstaße. Sohn Paul heiratete 1955
Maria Kramer aus Nottuln. Maria und Paul bekamen zwei Kinder: Bernhard und Brigitte.
Im Krieg erlitten Haus und Garten Schäden durch Bomben, die im eigenen Garten und in der
Stadtgärtnerei fielen.
Nr. 63 Josef Kniesel (*1875, †1971), geb. in der Villa Weinhalde in Rohrschach (Schweiz)
am Bodensee, wuchs in Süddeutschland auf und folgte seinem Bruder nach Walstedde in
Westfalen, wo er zunächst als Maler und Anstreicher arbeitete. Ab 1910 war er dann Beamter
bei der Deutschen Reichsbahn. Noch in hohem Alter von 90 Jahren verkündete er stolz, dass
er nun genauso lange pensioniert sei, wie er bei der Reichsbahn gearbeitet hatte. Er hatte
zwischen 1901 und 1927 insgesamt 21 Kinder aus zwei Ehen. Seine erste Ehefrau verstarb
1914. Im Jahre 1915 heiratete er Gertrud Fleerkötter (*1885, †1974) aus Gelmer, die, als im
Jahre 1918 in einer Woche 4 Kinder an der Durchfallerkrankung Ruhr starben, am Boden
zerstört war. Von den eigenen acht Kindern lebten schließlich Katharina (*1919, †2003),
Heinrich (*1921, †2005), Anna (*1922), Theresia (*1924), Josef (*1926) und Rudolf (*1927)
seit 1930 in dem neuen Heim Oberschlesier Str. Aus der Wohnung Graelstraße war man in
die Oberschlesier Straße umgezogen. Aus erster Ehe lebten zur damaligen Zeit lediglich noch
Carl (*1901), Hedwig (*1905), Hans und Bernhard. Zu erwähnen wäre an dieser Stelle
vielleicht, dass Hedwig um 1930 als Haushaltshilfe und Kindermädchen bei Familie König
arbeitete (Fa. Hobrecker und König, heute Brillux) und den heutigen Seniorchef der Firma
aufgezogen hat und dass Carl als ältester 102 Jahre alt wurde.
Nachdem Heinz Kniesel 1949 aus der Gefangenschaft aus Russland zurück kam, ging er 1952
nach Karlsruhe zur Meisterschule und machte sich im Haus Nr. 63 als Schneidermeister
selbständig. 1954 heiratete er mit Anna Heßbrüggen ein Mädchen aus der Nachbarschaft.
1995 übernahmen dann Marita und Thomas Kniesel das Haus.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 47: Schneidermeister Kniesel – so wie man ihn kannte: „Der Schneider mit der Zigarre“
Nr. 65 Kraftfahrer Josef Althoff und seine Frau Hildegard bauten das Haus. In zweiter Ehe
war er mit Therese Josefine Blaeser verheiratet, die mit Willi und Herbert zwei Söhne
mitbrachte. Aus der gemeinsamen Ehe lebten dann noch Herta, Irmgard und „Seppel“ in Nr.
65, das um 1960 verkauft wurde. Der Vater der jetzigen Eigentümerinnen Annette Freuer und
Ute Plemper, F.W. Freuer riss das Haus um 1960 ab und errichtete es neu als
Mehrfamilienhaus mit Giebel zur Straße.
Die Nummern 67 und 69 gibt es nicht.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 71 Wurde gebaut von Reichsbahnrangierer Anton Kaltmeier und seiner Frau Emma, geb.
Braun (Kappenberger Damm 184). Kaltmeier wollte zunächst am Kappenberger Damm Nr.
69 eine Hälfte des Doppelhauses bauen, bekam dann das Grundstück Nr. 71 Oberschlesier
Straße zugewiesen für ein Einzelhaus. Das giebelständige Haus steht in der Achse der
Verbindungsstraße zum KD. Alle anderen Häuser waren traufenständig. Im Garten fielen im
Juni 1940 mehrere Bomben, Balkone an der Rückseite wurden abgerissen, weitere Schäden
entstanden.
Abbildung 48: Abgerissene Balkone der Nr. 71. Schäden am Dach der Nr. 65. Im Hintergrund das Dach von Nr. 60.
Lokomotivführer Heinrich Lindenberg und seine Frau Maria, geb. Hues waren erste Mieter.
Der Angestellte der Stadtwerke Joest Frericks (*1917, †1989), im Emsland geboren, heiratete
Ottilie Lindenberg (*1921, †2002), die Tochter von Heinrich Lindenberg; sie bekamen den
Sohn Werner. Mutter Ottilie (Otti) wohnte mehr als siebzig Jahre im Haus. Familie Ringbeck
kaufte das Haus 1989 und baute 1991 und 2002 um.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 73-75 Das Doppelhaus entspricht dem Typ „Wohnungsbauten für Kinderreiche“ von
Architekt Adolf Frericks.
Abbildung 49: Wohnungsbauten für Kinderreiche.
Links Nr. 73, (Frantzen) Rohe-Sterndorf | Rechts Nr. 75, Heising
Nr. 73 Witwe Agnes Frantzen geb. Moormann (*1894 Holte bei Damme †1963), verh. seit
1918 mit Straßenbahnführer Dietrich Johann Carl Otto Frantzen aus Leer, wohnte hier mit
ihrer Familie, den beiden den beiden Töchtern Inge und Anni (*1921, †1998). Für die
Finanzierung des Neubaus wurde ein Reichsheimstättenvertrag mit der Stadt Münster im
September 1930 abgeschlossen. Der Kaufpreis für Grund und Boden sowie Aufschließung
betrug zusammen 3.028,50 RM. Frantzen zogen von der Uppenbergstraße in den Neubau. Die
Kriegsschäden waren nicht sehr groß, sie konnten bald beseitigt werden. Das Haus wurde
2000 von Familie Frantzen in der Tageszeitung durch BHW angeboten und verkauft. Danach
kam Um- und Anbau. Die alte Architektur blieb erhalten, der Anbau entstand in neuer
Architektur, begleitet von Dipl.-Ing. Thomas Kittner. Margrit Sterndorf aus Gütersloh, dritte
von drei Geschwistern und Josef Rohe-Sterndorf aus Lähden im Emsland, Nr. vier von sechs,
wohnen hier seit 2001.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 75 Kunstbildhauer Wilhelm (I) Heising (*1882 Wiedenbrück, †1947 Münster), verh. mit
Elisabeth geb. Winter (*1886 Münster, †1962) bauten das Haus spiegelgleich wie Nr. 73.
Wilhelm (I) war ein Sohn des Webers Josef Heising und seiner Frau Elisabeth geb. Schwabe,
beide aus Wiedenbrück. Die Eltern von Elisabeth waren Schlosser Karl Winter und seiner
Frau Elise geb. Mondinalli. Wilhelm und Elisabeth heirateten 1915 in Münster, er war
Unteroffizier. Sie bekamen fünf Kinder: Elisabeth (*1917), Wilhelm (II) (*1920, †1987),
Hermine (*1921), Maria Anna (*1922) und Marianne (*1927). 1949 heiratete Wilhelm (II)
Ursula geb. Graftfelder. Ihre sieben Kinder sind. Sabine, Lucia, Wilhelm (III), Ursula,
Sybille, Markus, Dominikus.
Wilhelm (II) war Bildhauer wie sein Vater. Werke von ihm sind u.a. in der St. Gottfried
Kirche Münster (Schutzmantelmadonna von 1956).
Abbildung 50: Madonna von Wilhelm Heising in der St. Gottfried Kirche
Das Haus wurde im Krieg ganz zerstört und in völlig neuer Architektur nach Plänen von
Wilhelm (II) 1963 wieder aufgebaut. Die Familie lebte seit der Zerstörung in der
Künstlerwerkstatt, die im Garten stand.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 51: Wiederaubau der Nr. 75 im Jahre 1963, links Wilhelm Heising, mitten und rechts Herren Kemper
Das Bild zeigt den kompletten Neuaufbau der Nr. 75 im Jahre 1963. Der Bombentrichter
reichte tief unter die Kellersohle, musste mit Magerbeton aufgefüllt werden. Rechts im Bild
sieht man die beschädigte Giebelwand von Frantzen, Nr. 73. Im Hintergrund sind (von links)
Nr. 76 Fassade nicht erneuert, Nr. 74 wieder aufgebaut, Nr. 72
Wilhelm hatte auch großes Interesse an jeglicher Technik. Zusammen mit Günter Wengartz
als Chef-Ingenieur und ihm als Chef-Designer entwickelter er in den 1980ern FlughafenIdeen der Zukunft: Atlantis Airport. Projekte dieser Größenordnungen ließen sich damals
nicht verwirklichen, blieben bis heute Utopie. Das Team Heising/Wengartz (HEIWEEngineering) machte auch Designstudien für Großflugzeuge mit bis zu 650 Passagieren.
Abbildung 52: Designstudien für Großflugzeug und Atlantis Airport der HEIWE-Engineering
Wilhelm (III) und Markus sind in dritter Generation künstlerisch tätig. Sie arbeiten in
traditioneller Handwerkstechnik und auch mit neuer Technik, CNC-gesteuert. Ihre Schwester,
Diplom-Designerin Sybille, gründete 1994 die „Malschule für Kinder“, die inzwischen
„Malschule-Münster NRW“ heißt.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 77-79 Doppelwohnhaus
Nr. 77 Bauingenieur Heinrich Twachtmann (*1898 Empede Krs Neustadt, †1970), verh.
(1923 Nienburg/Weser) mit Wilhelmine Sophie Lina Rienäcker, meldete sein Baugeschäft im
Februar 1927 an und im August 1938 ab. Von April 1946 bis Dezember 1956 ist eingetragen
„Hoch-, Tief- und Eisenbetonbau“, danach von Juni 1963 bis Februar 1964 „Ingenieurbüro
für Hoch- und Tiefbau (Planung)“. Der Sohn Claus (*1935) betrieb als Twachtmann GmbH
einen Zentralheizungs- und Lüftungsbauer-Betrieb und hatte eine Generalvertretung für
Lüftungen in der Zeit von Oktober 1967 bis November 1974.
Abbildung 53: Emblem der Firma "Claus Twachtmann Ölfeuerungen"
Familie Twachtmann verkaufte das Haus an einen Vermieter. 1970 erwarb Claus Trachtmann
Nr. 72 auf der anderen Straßenseite. Der Laden wurde Firmenbüro. Schon kurz nach dem
Kauf wurde das Grundstück mit Sicherheiten für den Geschäftsbetrieb Twachtmann belastet.
Nr. 79 Erbaut von Joseph Köster(s), Raesfeldstraße 39, später Finkenstraße 45. Er soll in der
Inflation Geld verloren haben und suchte hier eine sichere Anlage. Joseph Köster war seit
1924 Ledergroßhändler und ab 1952 Immobilienmakler. Das Gewerbe wurde 1975
abgemeldet. Mieter waren längere Zeit verschiedene Mitglieder von Familie Mannefeld,
Architekt Hermann Menneke und Handelsvertreter M. Wilke. Das Eigentum ging später über
auf Hildegard Konetzka, Köln, schließlich 1999 auf das Ehepaar Georg und Dagmar
Konetzka, Augsburg; sie hatten es von ihrer Tante in Köln geerbt. Eigentum aus so weiter
Entfernung zu verwalten wurde zu aufwändig. Das Haus wurde 2003 von einem Münsteraner
Makler in den Westfälischen Nachrichten angeboten. Familie Peter und Beate Sophie Fleck
erwarben es und zogen im September 2003 mit ihrer fast zehn Monate alten ältesten Tochter
ein. Beate Sophie hatte schon von 1991 bis Frühjahr 1997 in der Oberschlesier Straße Nr. 14
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
unterm Dach bei einer Studentin zur Untermiete gewohnt. Wenn ihr jemand bei ihrem Auszug
gesagt hätte, dass sie nach Münster zurückkäme und sogar in dieselbe Straße, sie hätte das
weder für möglich gehalten noch unbedingt gewollt. Sie kehrte schon im September 2000
nach Münster zurück, zunächst ins Borromaeum, dann in die von-Kluck-Straße. Flecks hatten
vor dem Kauf von Nr. 79 andere Objekte besichtigt, verworfen, nicht bekommen. Mit
entscheidend für Nr. 79 wurde der stufenlose Eingang in den Keller an der Rückseite. Das ist
für Kinderwagen, Fahrräder und nicht zuletzt für Weintransporte von Vorteil. Dr. Peter Fleck
ist Winzer, sein Bioland-Weingut ist in Bingen-Dromersheim. Verkauft wird auch in Münster.
Eine Nummer 81 gibt es nicht.
Nr. 83-87, 91-97 und 101-107 baute die Wohnstättengesellschaft Münsterland als Mietobjekte
nach eigener Planung auf Veranlassung der Stadt Münster als “Kleinstwohnungen in
Stockwerksform” zusammen mit den gegenüberliegenden Blocks 84-86 und 88-92. Etwas
später entstand 109-115. Insgesamt waren das 120 Wohnungen in dieser Bauform. In den
1960ern wurde modernisiert, aus drei Wohnungen entstanden zwei.
Abbildung 54: Straßenschild mit der alten Schreibweise als ein Wort
An der Wand der Nr. 95 war bis zur Renovierung im Sommer 2014 noch das alte emaillierte
Straßenschild angebracht, bei dem der Straßenname „Oberschlesierstraße“ noch zusammen
geschrieben wurde. Die heutige Schreibweise ist getrennt, also „Oberschlesier Straße“.
Die Nummern 89 und 99 gibt es nicht.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Nr. 101-107 und 109-115 Beim Angriff im Juni 1940 wurden Nr. 107 und 109 schwer
beschädigt. In 107 gab es drei Tote, die Herren Tkaczuk, Hoischen und Lange. Beim selben
Angriff starb in Nr. 86 das Ehepaar Wördemann. Diese fünf Menschen waren die ersten Toten
durch Fliegerangriff in Münster. Die Häuser wurden schnellstmöglich wieder hergestellt.
Abbildung 55: Zerstörung der Häuser 109 (links) und 111 (rechts) von der Straßenseite.
Im Hintergrund der Sudetenweg
Von beiden Blocks wurden die Giebelwände abgerissen. Die Toten hielten sich nicht im
Keller sondern im Treppenhaus auf.
Abbildung 56: Traueranzeigen von 1940 für Bombenopfer er Oberschlesier Straße
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
In einem Fotoband zur Stadt Münster findet sich eine schöne Rückansicht der 1960er Jahre
dieser Häuserreihe:
Abbildung 57: Nachbarskinder spielen Fußball auf der unfertigen Umgehungsstraße
Dazu gibt es folgenden Bildkommentar: „Ein Kuriosum war die Situation im Bereich des
Kappenberger Damms in Richtung Weseler Straße. Hier war die Umgehungsstraße bereits
fertiggestellt, allerdings ausgebildet als Kreuzung. Nachträglich wollte man dann aber eine
Überführung errichten, so dass die Umgehungsstraße hier in einer Aufschüttung für die
Brücke endete. Freude hieran hatten die Jugendlichen, die diesen Abschnitt noch einige Zeit
länger als Spielstraße nutzen konnten.“
Das Bild stammt vom November 1960. Fünfzig Jahre später bietet sich folgender Anblick:
Abbildung 58: Luftbild der Umgehungsstraße von 2010
Die zweite Generation der Umgehungsstraße zieht sich durchs Viertels. Die Gärten werden
durch die Lärmschutzwand der Umgehungsstraße dominiert.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Und sonst im Geistviertel
Zur Geschichte des „Gut Insel“
Die Straße „Gut Insel“ erhielt ihren Namen nach dem Gutshof (Anwesen) mit dem Namen
„Insel“. Das „Gut Insel“ wurde im 17 Jahrhundert als großer Bauernhof und kirchlicher
Erholungsort der Jesuiten angelegt mit dem „Jesuitenhügel“ zum Beten und Meditieren.
Abbildung 59: Gut Insel
Nach der Säkularisierung ging es in das Eigentum der Familien Leising und später Ronneberg
über.
Abbildung 60: Altes Hofgebäude auf Gut Insel
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Hier ist eine Zeichnung des „Gut Insel“ vor der Errichtung der zentralen Gartenbaubetriebe
nach dem I. Weltkrieg von W. Albsmeier aus der Schrift „50 Jahre Miteinander 1937-1987,
Siedlungsgemeinschaft Düesbergweg“:
Abbildung 61: „Gut Insel“ vor der Errichtung der zentralen Gartenbaubetriebe nach dem I. Weltkrieg
Die Stadt Münster erwarb es in den 20er Jahren und nutzte das Gelände als Betriebshof und
städtische Gärtnerei mit zahlreichen Gewächshäusern. Davon stammt noch der alte
Baumbestand ab, die 10 Gewächshäuser wurden im Krieg zerstört.
Abbildung 62: Verwaltungsgebäude des Gut Insel
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 63: Gemüse- und Obstanbau bei Gut Insel. Im Hintergrund das Betriebsgebäude
Im Jahr 1974 genehmigt der Rat der Stadt Münster das Raumprogramm für den Neubau der
„Handelslehranstalt I“. 1987 begannen dann die Erdarbeiten und Austausch des Bodens an
Gut Insel. Die in den darauf folgenden Jahren erbaute Schule wurde 1979 in „Ludwig-ErhardSchule“ umbenannt und 1981 fertiggestellt. Den aktuellen Namen „Ludwig-ErhardBerufskolleg, Schule der Sekundarstufe II der Stadt Münster mit Wirtschaftsgymnasium“
trägt die Schule erst seit 2007. Informationen zur Chronik des LEBK gibt es im Internet unter
www.lebk-muenster.de .
Die beiden topographischen Karten im Maßstab 1:25 000 von 1841 und 2005 mit fast
gleichen Blattschnitten machen 165 Jahre Wachstum der Stadt Münster deutlich. Zum
besseren Vergleich sind die Gebiete um Gut Insel direkt nebeneinander gelegt:
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 64: Katasterkarte von 1841
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 65: Katasterkarte von 2005
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Evangelische und katholische Kirchengemeinde
Als die ersten Häuser an der Oberschlesier Straße bezogen wurden, gab es die Heilig-GeistKirche noch nicht. Die Straße lag im Pfarrbezirk St. Josef (geweiht 1905). Nach
Fertigstellung der kath. Hl. Geist-Kirche (geweiht 1928) gehörte die Straße zu deren
Pfarrbezirk. Für ev. Christen wurde der Grundstein für die dritte ev. Kirche in Münster, „die
Kleine auf der Geist“, 1924 gelegt, Ursprünglich sollte sie Heilig-Geist-Kirche heißen. Dazu
kam es nicht. Die kath. Kirche hatte diesen Namen schon für ihr neues Gotteshaus reserviert.
Erst 1949 entschloss sich die ev. Kirchengemeinde zum Namen Trinitatiskirche. Die
Altkatholische Gemeinde Münster (seit 1875 in MS) feiert seit Frühjahr 2011 ihre
Gottesdienste in Trinitatis. Die St. Gottfried Kirche wurde 1953 eingeweiht. Im Stadtteil Berg
Fidel wurde vor vierzig Jahren das St. Maximilian Kolbe Haus fertig.
Die Oberschlesier Straße gehört seit 1953 zum Pfarrbezirk St. Gottfried / St. Maximilian
Kolbe. Das Bistum Münster ordnete in den letzten Jahren die Pfarrbezirke neu. St. Gottfried /
St. Maximilian Kolbe ist weiterhin eigenständige Gemeinde. Trinitatis- und Jakobusgemeinde
fusionierten 2006 zur neuen Thomasgemeinde. Die Fronleichnamsprozession der neuen St.
Gottfried Gemeinde, zog über Kappenberger Damm und Oberschlesier Straße.
Ein Segensaltar mit reichem Blumen und Bilderschmuck wurde auf der Ecke bei Nr. 72
aufgebaut. Dafür sorgte die gesamte Nachbarschaft.
Abbildung 66: Altar der Fronleichnamsprozession vor der 72
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Fronleichnamsprozession
Als 1952 die St. Gottfriedkirche eingeweiht wurde, veränderten sich natürlich auch die
Pfarrbezirksgrenzen. Die Oberschlesier Straße gehörte nicht mehr zu Hl. Geist, sondern zur
neuen Pfarrgemeinde St. Gottfried. Ab Mitte der 1950er Jahre führte dann die
Fronleichnamsprozession der Gemeinde auch über die Oberschlesier Straße.
Abbildung 67: Zug der Fronleichnamsprozession auf der Oberschlesier Straße
Die Nachbarn errichteten jedes Jahr auf dem Platz vor Nr. 72 einen großen Segensaltar,
dessen Konstruktion in mühevoller Kleinarbeit vom Tischler Heinrich Schulte-Zweckel, mit
seiner Frau Maria langjähriger Bewohner der Straße (zunächst in 55 bei Heßbrüggens, dann in
61 bei Schlöters), organisiert wurde.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 68: Segensaltar auf dem Platz vor der Nr. 72
Besondere Aufmerksamkeit galt immer den aus zahllosen bunten Blütenblättern gestalteten
biblischen Motiven vor dem Altar, hier war vor allen Dingen Martha Book und einige
Bewohnerinnen und Freunde des Hauses 64 aktiv, und dem als Flamme gestalteten
Hintergrund des Altars nach einem Entwurf von Bildhauer Wilhelm Heising.
Abbildung 69: Bild aus Blütenblättern vor dem Altar
Nachdem zu Beginn der 1970er Jahre die Pfarrgemeinde St. Gottfried mit dem St.
Maximilian-Kolbe-Haus in Berg Fidel eine Dependance bekam, findet die Prozession fortan
zwischen den beiden Gemeindeteilen in Richtung Süden statt.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Volksschulen
In Münster gab es verfassungsgemäß Bekenntnisschulen. Das änderte sich in der NS-Zeit. Um
1925 bestand im Süden der Stadt die kath. „Alte Geistschule“ mit drei Klassen.
Abbildung 70: Alte Geistschule
Die anderen kath. Schulen: Josefschule (1883), Hermannschule (1907) lagen weiter entfernt.
Für evangelische Kinder gab es seit 1910 die Johannisschule, zu Fuß ca. ¾ Stunde entfernt. In
unmittelbarer Nähe der Hl. Geist Kirche entstand 1930 die damals modernste und größte
Schule in Münster, die „Neue Geistschule“, mit 18 Klassen. Zusätzlich zu den Klassenräumen
wurden die Turnhalle und das „Volksbad“ (Stadtbad III) gebaut. Dies wurde nach der
Kriegszerstörung nicht wieder aufgebaut. In unmittelbarer Nähe zur Geistschule entstand die
evangelische Inselbogenschule an der Ecke Gut Insel / Habichtshöhe. Sie blieb nicht lange,
wurde vollständig zerstört. Mit dem Bau der Kappenberger-Damm-Schule (Gottfried-vonCappenberg-Schule) wurde 1939 begonnen. Der Schulbetrieb begann erst im Dezember 1945.
Im Krieg war die Schule belegt vom Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers-SS und von
weiteren Hilfsdiensten. Wegen der immer häufigeren Luftangriffe und Zerstörung der Schulen
wurde am 1.7.1943 die Schließung aller Volksschulen in Münster verfügt. Nach dem Krieg
wurde der Schulbetrieb zunächst nur beding regelmäßig möglich. Gebäude und Lehrmittel
waren zerstört oder beschädigt. Lehrkräfte fehlten, waren gefallen, kriegsversehrt, mussten
entnazifiziert werden. Unterricht wurde im Mehrschichtbetrieb gegeben. Jeglicher
Schulbetrieb musste von der Militärregierung genehmigt werden.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 71: Feuerwehrschule
Auf einem Teil des Grundstücks der ehemaligen Provinzial Feuerwehrschule am Inselbogen
wurde 1957 die evangelische Matthias-Claudius-Schule gebaut. Seit 1985 ist sie
Gemeinschaftsschule. Auf dem Grundstück der Feuerwehrschule entstanden auch die
Städtische Kita Inselbogen und das Stadtbad Süd.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Kleingärtnerverein Ronneberg
Bevor das Land für den städtische Gartenbaubetrieb „Gut Insel“ von der Stadt Münster
übernommen wurde, war Paul Ronneberg der letzte persönliche Eigentümer. Sein Name lebt
fort in Ronnebergweg (seit 1931) und in „Kleingärtnerverein Ronneberg e.V.“.
Hier sind Ausschnitte aus einer Jubiläumsfestschrift des Kleingartenvereins Ronneberg zu
dessen 50. Jubiläum im Jahr 1999:
Chronik des Kleingärtnervereins „Ronneberg“ e. V., Münster 31. März 1949 bis 31.
März 1999
Im Jahre 1945 lag unsere Stadt Münster in Trümmern, aber schon Ende 1948 setzte auf
der „Geist“ eine außergewöhnliche und rege Bautätigkeit ein. Auf einem städtischen
Grundstück, der von 76 Bombentrichtern entstellten Fläche, entstand auf Initiative des
Gartenbauamtes der Stadt Münster auf dem Gelände der Stadtgärtnerei „Gut Insel“ die
Kleingärtneranlage „Ronneberg“ mit 90 Gartenparzellen.
Alle damaligen Mitglieder errichteten durch schwere körperliche Arbeit, die mit Schutt
aus der zerbombten Stadt Münster zugeschütteten Bombentrichter und die Entfernung
einer Menge alter Bäume, diese Anlage. (Noch heute kommen Knöpfe und kleinere
Gegenstände, durch Frost verursacht, aus dem Erdboden hervor). Tiefer gelegene
Flächen erhielten eine Entwässerung. Gleichzeitig entstanden Wege, die insgesamt 1,5
km lang waren und auch gepflegt werden mussten.
(…)
Im Jahre 1954 entstand bereits im südlichen Teil der Anlage, an heutiger Stelle, ein
Schulungsheim, das durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe errichtet wurde
und endgültig 1954 in den Besitz des Vereins „Ronneberg“ überging. Im Jahre 1956
wurde diese Fläche auf 104 Gärten erweitert.
Abbildung 72: Lageplan von 1956 des Kleingärtnervereins „Ronneberg“
Seite 69
Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
(…)
Unsere Gartenanlage bekam einen besonderen Stellenwert, als in unmittelbarer Nähe
das „Clemenshospital“ und auch das Altenheim „Höttestift“ errichtet wurden. Viele
Menschen nutzen zusätzlich unsere Gartenanlage als Erholungsgebiet.
Leider gingen uns 1979 zwölf Gärten verloren durch den Bau der „Ludwig-ErhardSchule“. Weiterhin wurden 1984 Gärten ein Opfer der Erweiterung unserer
Umgehungsstraße, sodass z.Zt. unsere Anlage noch 83 Gärten aufzuweisen hat.
Abbildung 73: Lageplan von 1984 des Kleingärtnervereins „Ronneberg“
(…)
Im April des Jahres 1990 wurde unser Vereinshaus, durch Brandstiftung, ein Opfer der
Flammen. Doch knapp ein Jahr später, im März 1991, konnten wir, nach weniger als
einem Jahr Bauzeit, dieses schöne Vereinshaus wieder einweihen. Im Jahre 1995
erhielten wir vom Stadt- und Bezirksverband der Kleingärtner einen Pokal für eine
schöne und gepflegte Anlage.
(…)
Wenn wir in diesem Jahr auf eine 50jährige Gemeinschaft zurückblicken können, so
wünschen wir uns für die Zukunft eine gute allgemeine Zusammenarbeit mit unseren
Kleingärtnern, dem Stadt- und Bezirksverband sowie der Stadt Münster.
Seite 70
Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Stadtbad Süd
Der Provinzial-Feuerwehr-Verband baute am Inselbogen gegenüber vom Grünen Grund 1938
die Provinzial-Feuerwehr-Schule. Für das große repräsentative Gebäude stellte die Stadt
Münster 8.025 qm Gelände kostenfrei zur Verfügung, der Verband kaufte zusätzlich von ihr
1.136 m² für 2.628,20 RM. Die Gesamte Fläche war 9.261 m² groß.
Abbildung 74: Feuerwehrschule von Süden (Gut Insel), 1937-1943
Im Bombenkrieg wurde die Schule fast vollständig zerstört. Nur der Schlauchturm und kleine
Gebäudereste blieben als Ruinen. Das waren (nicht erlaubte, verbotene) Spiel- und
Abenteuerplätze für Kinder aus der Nachbarschaft.
In der Geist-Schule war das Stadtbad III zerstört, wurde nicht wieder aufgebaut. Die Stadt
Münster kaufte für den Bau des geplanten Stadtbades Süd und den Bau der Mathias-ClaudiusSchule vom Feuerwehrverband die Fläche 9.261 m² für 75.000 DM zurück. 1957 wurden die
Mathias-Claudius-Schule und 1966 das Stadtbad-Süd fertig.
Abbildung 75: Das neue Stadtbad Süd 1966
Später kam der städtische Kindergarten an Gut Insel dazu. Gut vierzig Jahre blieb das Bad,
dann wurde es abgebrochen.
Seite 71
Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Abbildung 76: Stadtbad Süd aus der Vogelperspektive, links Straßenseite, rechts Gartenseite
Abbildung 77: Die Reste vom Stadtbad Süd, im Hintergrund Kita Inselbogen
Der Verein „Schwimmverein Südbad e.V.“ fordert die Errichtung eines neuen Bades an
gleicher Stelle. Dies wird aber immer unwahrscheinlicher, denn die Unterstützung durch die
Ratsparteien schwindet.
Abbildung 78: Website der Bürgerinitiative www.suedbad-muss-bleiben.de
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Straßenfest
Als Ende der 1960er Jahre die ersten Wohngemeinschaften, damals noch progressiv
Kommunen genannt entstanden, waren diese Folgen der 68er Studentenbewegung von der
Oberschlesier Straße scheinbar noch ganz weit weg. Aber Mitte der 1970er Jahre hatte auch
die Oberschlesier Straße im Haus Nr. 72 ihre erste „Studentenkommune“. Befreundete
Studenten hatten sich dort eingemietet und belebten fortan das Geschehen auf der Straße.
Als dann 1977 in Münster unter den skeptischen Augen der Münsteraner Bürgerschaft die
erste Skulpturenausstellung stattfand, fühlten sich auch die Studenten aus Nr. 72 bewogen,
ihren Teil dazu beizutragen und nahmen die große Kunstaktion der Stadt zum Anlass auf dem
Platz vor ihrem Haus ebenfalls eine „Skulptur“ aus Gasbetonsteinen im Rahmen eines
kleinen Straßenfestes zu enthüllen. Gleichzeitig sollte die Gelegenheit genutzt werden, alle
Nachbarn einzuladen, sich die Wohngemeinschaft auch mal von innen anzusehen. Damit war
das erste Straßenfest geboren.
Im folgenden Jahr 1978 wurde aufgrund der großen Nachfrage eine Neuauflage gestartet,
diesmal auch organisiert von einigen Nachbarn. Schließlich dauerte es dann bis 1999, bis sich
wieder einige Nachbarn der Nachfolgegeneration zusammenfanden und die Idee eines
Straßenfestes neu beleben wollten. Als Generalprobe für ein großes Fest im Millenniumjahr
2000, wurde ausprobiert und geplant und so das Konzept entwickelt, dass noch heute besteht.
Beim vierten Fest im Jahr 2000 stand dann erstmalig die große Bühne auf dem Platz und 3
Musikgruppen sorgten für ein sehr abwechslungsreiches Musikprogramm.
Abbildung 79: Plakate zum Straßenfest von 2002, 2008 und 2014
Die Organisatoren einigten sich schließlich darauf, das Fest nun jeweils im Abstand von zwei
Jahren durchzuführen. Mittlerweile hat sich das Straßenfest zu einem beliebten Treffpunkt für
aktuelle und ehemalige Nachbarn aus dem ganzen Viertel entwickelt und findet in 2014 zum
elften Mal statt.
Vom Straßenfest 2012 gibt es einen netten Kurzfilm, den Markus Heising zur Verfügung
stellt.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Stammtisch
Die zahlreichen gelungenen Straßenfeste und weitere gemeinsame Aktionen rückten die
Nachbarschaft immer näher zusammen und es kam, was schon seit längerer Zeit in der Luft
lag: Ein regelmäßiger gemeinsamer Stammtisch wurde ins Leben gerufen. Ein geeignetes
Stammlokal war schnell gefunden, am Straßburger Weg hatte im Herbst 2012 das Peniche,
ein gemütliches inhabergeführtes portugiesisches Lokal eröffnet, und am 05. November 2012
war Stammtischpremiere. Ca. 15 Nachbarn trafen sich in der kleinen Kneipe, um die Themen
der Straße und der Welt zu besprechen.
Seit knapp zwei Jahren kommen regelmäßig viele Anwohner der Oberschlesier Straße an
jedem ersten Dienstag der ungeraden Monate ab 19.30 Uhr zusammen.
Immer wieder kommen auch „Neuankömmlinge“ ins Peniche und der Stammtisch ist
mittlerweile ein fester Treffpunkt für die Anwohner der Straße geworden.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Straßenblog
Seit Februar 2013 gibt es im Internet den Blog zur Oberschlesier Straße. Unter der
Netzadresse „oberschlesier.wordpress.com“ finden sich dort Geschichten über Dinge, die uns
in der Nachbarschaft bewegen.
Beim Straßenblog handelt es sich um eine digitale Pinwand und den öffentlichen Kalender für
alle Nachbarn der Oberschlesier Straße in Münster. Neuigkeiten zur Oberschlesier Straße
können hier angezeigt und kommentiert werden.
In unregelmäßigen Abständen werden dort Beiträge zur Oberschlesier Straße und zum
Geistviertel veröffentlicht. Wer einen Beitrag zum Blog hat, schickt ihn per E-Mail. Text und
Bilder werden für das Internet aufbereitet und dann veröffentlicht.
Im Kalender finden sich immer der nächste Termin für den Stammtisch im Peniche und auch
andere Veranstaltungen wie unser legendäres Straßenfest. Außerdem ist dort die Müllabfuhr
für unsere Straße eingetragen – dann kann man hier nachschauen und braucht den
Abfallkalender nicht mehr.
Und wenn ihr diesen Blog zur Oberschlesier Straße bekannter machen wollt, dann verweist doch bitte
auf die Adresse http://oberschlesier.wordpress.com
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Das Resümee
Nach den ersten Bomben im Juni 1940 fielen noch zahlreiche weitere in die Oberschlesier
Straße und in unmittelbarer Nähe, insbesondere 1943/1944. Die Stadtgärtnerei wurde vielfach
getroffen.
Bei den Angriffen wurden einige Häuser vollständig zerstört, andere wurden schwer, viele
weniger schwer beschädigt. Kein Haus blieb frei von Schäden. Die Zahl und die Menge der
Bomben, die von der RAF und USAAF auf Münster fielen, sind nicht bekannt, auch nicht,
wie viele noch als Blindgänger im Boden liegen. Es heißt, dass ca. 91% der Altstadt völlig
zerstört wurden, von der gesamten Stadt ca. 63%. Die Zahl der bei Angriffen Getöteten liegt
über 1.600.
Der Bau der Wohnhäuser in der Oberschlesier Straße begann in einer Zeit größter
Wohnungsnot und der wirtschaftlich schwierigen Zeit der Inflation, die durch die Ausgabe der
Rentenmark am 25.11.1923 beendet wurde. Eine Billion (1.000.000.000.000) Papiermark
wurden eine Rentenmark, später wertgleich Reichsmark.
Abbildung 80: Notgeld der Provinz Westfalen und der Stadt Münster von 1923
Die Vorrats-Bodenpolitik der Stadt und die grundlegende Planung von 1920 sowie die
Zusammenarbeit von Stadt und Wohnungsbau-Gesellschaften und die Initiative privater
Bauherren machten es möglich, in kurzer Zeit Wohnungen für Kinderreiche und sozial
Schwache im Süden der Stadt zu bauen. Die Zeit der „Goldenen Zwanziger“ wurde genutzt.
Die Weltwirtschaftskrise von 1928 bis 1930 hemmte das Bauen nicht wesentlich.
In den letzten Jahren wurde „Wohnen auf der Geist“ noch attraktiver als zuvor. Besonders die
Nähe zur Stadtmitte, die gute Infrastruktur mit Geschäften jeder Art in der Nähe, die gute
Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die Nähe von Schulen jeder Art,
Kindertagesstätten, Krankenhaus, Altenwohnungen, Kirchen, sind Magnete; auch die
Kleingartenanlagen sind bedeutsam.
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Neunzig Jahre wohnen an der Oberschlesier Straße
Mein Schlusswort
Die Baugeschichte unserer Häuser, unserer Oberschlesier Straße, wollte ich schon seit
Längerem erkunden. Beim Straßenfest 2012 und bei Stammtischen danach zeigten auch
Andere Interesse daran. Wer waren die Menschen, die hier draußen weit von der Stadtmitte
ein eigenes Haus bauten und woher kamen sie? Wer waren die Stadtplaner und Architekten?
Antwort auf diese Fragen fand ich bei der Stadt Münster, insbesondere im Stadtarchiv in der
Speicherstadt.
Ich danke den Mitarbeiterinnen des Stadtarchivs Münster, die mir im Lesesaal wertvolle
Tipps und Hilfe gaben sowie den Mitarbeitern der Stadtverwaltung Münster, insbesondere des
Denkmalamtes und des Kataster- und Vermessungsamtes.
In ziemlich kurzer Zeit kam ich mit Nachbarn ins Gespräch, die ich lange Jahre zuvor zwar
sah, aber nicht kannte. Es war für mich ein großer Gewinn, so viele offene Gespräche zu
führen.
Viele Nachbarn und ehemalige Nachbarn, auch solche, die heute nicht mehr in Münster
wohnen, trugen mit Gesprächen, Hinweisen, Materialien, Zeichnungen, Fotos dazu bei, die
Bau- und Familiengeschichte(n) aufzuschreiben. Für manche(n) war das Anlass, über die
Vergangenheit der eigenen Familie nachzudenken.
Ermutigung zum Weitermachen brauchte ich mehrmals. Dafür danke ich besonders Annette,
Thomas, Stefan und Peter.
Für viele Fotos und das Layout sorgte Peter Büscher mit großer Erfahrung, Umsicht und
manchen guten Tipps. Die Geschichte “Gut Insel” stellte er neu zusammen. Er richtete den
Blog zur Oberschlesier Straße ein und hält ihn auf den jeweils neusten Stand. An dieser Stelle
möchte ich ihm dafür besonders danken stellvertretend für Viele.
Thomas Kniesel schrieb die Beiträge zum Straßenfest und zur Fronleichnamsprozession. Über
den Stammtisch berichtet Stephan König. Ihre Hilfe war sehr wertvoll, danke!
Beim Lesen korrigierte meine Nichte Brigitte zusammen mit ihrer Schwester Annette
Manches. Beiden ein herzliches Dankeschön!
Meine Frau Hanne ließ mir (zu)viel Zeit zum Recherchieren und Schreiben. Dafür danke ich
ihr ganz besonders.
Mögliche Fehler, große oder kleine, die mir unterliefen beim Bemühen, etwa 90 Jahre Bauund Familiengeschichte(n) unserer Straße wieder entstehen zu lassen, sind ausschließlich mir
zuzuschreiben. Diese Geschichte(n) hätte ohne die Hilfe verschiedener Institutionen und
vieler Nachbarn nicht entstehen können.
Münster, im August 2014
Gerd Enning
Seite 77