Themendossier Einmarsch in Prag 1968 [ 6. 10.]
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Themendossier Einmarsch in Prag 1968 [ 6. 10.]
Themendossier Der Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen 1968 in PRAG Quelle: © http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=422&index=348 Gernot Heiß, Sylvia Gettinger, Karin Ruprecht, Klaus Edel, Claudia Findeis (Transkriptionen) Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 3 2. Daten 4 3. Informationen 6 3.1. Warschauer Pakt 6 3.1.1. Öffentliche Meinung zu den Entwicklungen in der CSSR 1968 6 3.2. DDR und Einmarsch 6 3.3. Prager Frühling 7 3.3.1. Öffentliche Meinung in Österreich zu den Entwicklungen in der ČSSR 1968 7 3.3.2. Die Einschätzung des Prager Frühlings durch die Botschafter Kirchschläger und Wodak 7 3.3.3. Verschiedene Perspektiven in der Beurteilung des Prager Frühlings 9 3.4. Les Preludes 10 4. Quellen 10 4.1. Mitteilung der 21.August 1968) 10 4.2. Printquellen 11 4.2.1. Die Presse 11 4.2.2. Das Manifest der 2000 Worte 12 4.3. Audivisuelle Quellen 17 4.3.1. Austria Wochenschau 35/68, Beitrag 1 17 4.3.2. Morgenjournal Ö1 21.8.1968 (Einmarsch) 17 4.3.2.1. Morgenjournal Ö1 21.8.1968 Sendeteil Nr. 3 18 4.3.2.2. Morgenjournal vom 21.08.1968 Sendeteil Nr. 7 19 4.3.2.3. Morgenjournal vom 21.08.1968 Sendeteil Nr. 8 20 4.3.3. Mittagsjournal Ö1 21.8.1968 (Grenze in Berg) 21 4.3.3.1. Mittagsjournal vom 21.08.1968 22 4.3.4. Abendjournal 21.8. 1968 23 4.3.4.1. Abendjournal vom 21.08.1968 23 5. Texte zur Aufarbeitung der Ereignisse 24 5.1. Tagesecho - 35 Jahre nach Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen – Erste Verurteilung 24 5.2. Erinnerung an polnische Solidarität 26 5.3. Gespräch mit Jiří Gruša 27 5.4. Augenzeugenbericht vom Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in Prag 1968 31 6. Glossar 34 7. Didaktik 37 7.1. Arbeitsaufgaben 38 7.1.1. Vorbemerkung 38 7.1.1.1. Lehrplanbezug 38 7.1.1.2. Kompetenzen 39 7.1.2. Medienrecherche 40 7.1.3. Medienbericht 41 7.1.4. Webquest 42 7.1.5. Wiki 43 7.1.6. Zeitungsanalyse 43 8. Übung 45 9. Anhang 45 9.1. Einstellungsprotokoll 45 9.2. Einstellungsprotokoll – Lösungsvorschlag 47 10. Literatur und Links 49 2 1.Einleitung Im Jahr 1968 spielten sich an verschiedenen Schauplätzen einschneidende Ereignisse ab, die weit über die örtliche Bedeutung hinaus, auch auf andere Kontinente ausstrahlend, Menschen involvierten, mobilisierten und Folgewirkungen zeigten. Zu diesen Vorgängen gehörten 1968 die Studentenrevolution in Paris und in verschiedenen Städten der BRD, der Prager Frühling und dessen Ende als Folge des Einmarsches der Truppen des Warschauer Pakts in Prag1 sowie die seit 1966 währende Kulturrevolution in der VR China, deren 1. Phase in diesem Jahr mit dem Ausschluss von Liu Schao-tschi2 von allen Ämtern endete. Sie sind keine isolierten Phänomene, sondern es lassen sich doch einige Querverbindungen aufzeigen. Wie prägend die Ereignisse waren, vermittelt das Phänomen, dass in unterschiedlichen Kontexten von den „68ern“ gesprochen wird. In diesem Dossier geht es um 1968 in Prag, ein Ereignis, das Österreich durch die unmittelbare Nachbarschaft direkt betraf. Involviert waren die österreichische Bundesregierung, die einerseits zu entscheiden hatte, wie sie in dieser Situation auf der Ebene der Diplomatie reagieren sollte, aber auch wie eine (Teil-)Mobilisierung des Bundesheeres zur Sicherstellung der Grenze von der Staatsvertragsgarantiemacht Sowjetunion aufgenommen würde. Auf der anderen Seite galt es Vorsorge für humanitäre Hilfe zu treffen. In diesem Bereich gab es divergente Vorstellungen und Handlungen des Außenministeriums und der Botschaft in Prag. Eine wichtige Rolle spielte der ORF, der in seinen Journalsendungen mittels Berichterstattung durch Vorort-Reporter nicht nur eine wesentliche Informationsquelle darstellte, sondern auch, verstärkt noch durch Kommentare die Stimmung in Österreich beeinflusste. Eine eigene Informationssendung in tschechischer Sprache signalisierte Sympathie sowie Solidarität und stellte in den ersten Tagen vielfach auch für die Menschen in der ČSSR, die im Einzugsbereich der Sender des ORF lebten, die einzige Informationsquelle dar. Die Austria Wochenschau brachte zwar Beiträge zum Geschehen, aber da die Filme erst im Zuge des wöchentlichen Programmwechsels in die 1 Greiner, Bernd, Müller, Christian Th., Walter, Dierk (Hg.) (2009) Krisen im Kalten Krieg. Studien zum Kalten Krieg Bd. 2, Bundeszentrale für politische Bildung Bd. 767, Bonn 2 vgl. http://www.zeit.de/1969/43/Maos-Gegner 3 Wochenschau- bzw. Programmkinos kamen, hinkten diese in der Aktualität jeweils hinterher. Lange Zeit tabuisiert, begann in den letzten Jahren ein Diskurs über dieses tragische Kapitel der Geschichte der Tschechoslowakei in den beiden Nachfolgestaaten, wovon einige Quellen Zeugnis geben sollen. Die Ereignisse von 1968 haben rasch Eingang in die Schulbücher und den Geschichtsunterricht gefunden. Im Zuge der Initiative der Bundesregierung zugunsten der Politischen Bildung, die sich in der Umbenennung des Faches Geschichte und Sozialkunde in Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung und der Erlassung neuer Lehrpläne der Sekundarstufe I für APS bzw. AHS zeigt, ist auch ein Paradigmenwechsel von der Wissensvermittlung zum Kompetenzlernen erfolgt. Dieses Dossier bietet LehrerInnen Materialien und (medien)didaktische Vorschläge zur Arbeit mit dem Kompetenzstrukturmodell zum Thema „Der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes 1968 in Prag“. Ermöglicht wurde es durch die Kooperation mit dem Demokratiezentrum, das in dankenswerter Weise den Beitrag der Austria Wochenschau (35/68) und bereits dazu aufbereite Texte zur Verfügung stellte. Daten und Schlagwörter zur Austria Wochenschau „Die Tschechoslowakei von einigen Staaten des Warschauer Pakts besetzt“ können Sie vom Netz des Demokratiezentrums Wien herunterladen. http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=422&index=348 2. Daten (in Kursive wörtlich aus den Timelines des Demokratiezentrums Wien http://www.demokratiezentrum.org/wissen/timelines/prag-budapest-undwien-im-20-jahrhundert.html) 1938 29.9.: Konferenz in München zwischen Hitler, Mussolini, Chamberlain und Daladier. Abtretung der sudetendeutschen Gebiete an Deutschland („Münchner Abkommen“). 1939 15.3.: Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in der CSSR. Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren. Von den Prager DemonstrantInnen und im Bericht der Austria Wochenschau (http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=422&index=348) wird der Vergleich zu dieser Okkupation gezogen. 4 1948 25.2.: Vollständige Machtergreifung der Kommunisten in der CSSR: Verfassungsänderung, Umgestaltung des Landes nach sowjetischem Muster. 1967 27.-29.6. Kongress des tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes: offene Kritik an der Kulturpolitik der KPČ 30./31.10. im Plenum des Zentralkomitees der KPČ kritisiert Alexander Dubček (1. Sekretär der Kommunistischen Partei der Slowakei) den Staatsund Parteichef Antonín Novotný 1968 4.1. Antonín Novotný wird als 1. Sekretär der KPČ vom 1. Sekretär der Kommunistischen Partei der Slowakei Alexander Dubček (http://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Dub%C4%8Dek) abgelöst, bleibt jedoch Präsident der Republik. März: sukzessive Aufhebung der Pressezensur 14.3. Das Parteipräsidium der KPČ rehabilitiert die Opfer der „stalinistischen“ Verfolgung in den 1950er Jahren 22.3. Novotný tritt auch als Präsident der Republik zurück; General Ludvík Svoboda wird sein Nachfolger (28./30.3) 5.4. Plenum der KPČ beschließt Aktionsprogramm „Kommunismus’ mit menschlichem Antlitz" im Sinne eines 27.6. „Manifest der 2000 Worte“ 29.7.-2.8. Treffen der Führung der KPdSU mit jener der KPČ 11.8. Beginn der Manöver sowjetischer, polnischer, ungarischer, bulgarischer und ostdeutscher Truppen in der südwestlichen Ukraine, im südlichen Polen und in der südlichen DDR 17.8. Beschluss zur militärischen Intervention im ZK der KPdSU 21.8.: Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in Prag als Reaktion auf den Reformkurs von Alexander Dubcek. 162.000 TschechInnen und SlowakInnen verlassen in Folge via Österreich ihre Heimat; 12.000 von ihnen suchen in Österreich um Asyl an. Der österreichische Staatspreis für europäische Literatur wird aus Solidarität zu den Protestierenden an Vaclav Havel vergeben. 5 3. Informationen Schlagwörter (in Kursive wörtlich aus dem Wissenslexikon des Demokratiezentrums Wien: (http://www.demokratiezentrum.org/wissen/wissenslexikon.html) 3.1. Warschauer Pakt (http://www.demokratiezentrum.org/wissen/wissenslexikon/warschauerpakt.html) Als Gegenstück zur NATO gründeten 1955 die UdSSR, Bulgarien, die DDR, Polen, Rumänien, die Tschechoslowakei, Ungarn und Albanien dieses Verteidigungsbündnis. Infolge des Umbruchs in Osteuropa wurde es 1991 aufgelöst. Am Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes nahmen Soldaten der UdSSR, Bulgariens, der DDR, Polens, Rumäniens und Ungarns teil (nicht von Rumänien und Albanien; letzteres tritt als Protest gegen die Invasion aus dem Warschauer Pakt aus). 3.1.1. Öffentliche Meinung zu den Entwicklungen in der CSSR 1968 Die Presse in Österreich setzte – anders als die beiden österreichischen Botschafter, Rudolf Kirchschläger (http://www.didactics.eu/index.php?id=1255) in Prag und Walter Wodak (http://www.didactics.eu/index.php?id=1256 in Moskau – 1968 zunehmend euphorisch große Hoffnungen in die Reformen und die Entwicklung in der Tschechoslowakei. Dementsprechend groß und emotional war nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in der Nacht vom 20. auf 21. August 1968 die Enttäuschung. 3.2. DDR und Einmarsch Am Einmarsch der Truppen der Warschauer Paktstaaten beteiligten sich schließlich keine Kampftruppen der DDR. Das war gegen die ursprüngliche Planung und die Berichte in den Medien der DDR. „Mit fingierten Filmaufnahmen und falschen Pressebeiträgen wollte man den Eindruck erwecken, dass die NVA [Nationale Volksarmee der DDR] sehr wohl am Einmarsch in die CSSR beteiligt war und einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung des Sozialismus im System des Warschauer Vertrages leistete.“3 3 Meinicke, Susanne 21.August 1968: Einmarsch-Kein Marsch. Einmarsch - Kein Marsch. Die Beteiligung der Nationalen Volksarmee der DDR an der Niederschlagung des "Prager Frühlings" 6 Warum nahm die NVA nicht – wie vorgesehen – mit der 7. Panzerdivision und der 11. Motorisierten Schützendivision am Einmarsch teil, obwohl die Beteiligung offenbar von der DDR-Führung erwünscht war? Hypothese: Die beiden Divisionen der NVA wurden zuletzt „in die Reserve versetzt“, da das sowjetische Oberkommando vermutlich die Assoziationen mit der Okkupation 1939 vermeiden wollte. Dass dieser Vergleich von den Prager DemonstrantInnen und von den westlichen Journalisten dennoch gezogen wurde, zeigt auch der Bericht der „Austria Wochenschau" (http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=422&index=348). 3.3. Prager Frühling Nach Unterdrückung eines reformerischen Flügels im Zentralkomitee unter Alexander Dubcek, der die Trennung von Staat und Partei sowie eine legale Opposition forderte, gab es 1968 in der CSSR Versuche, einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" aufzubauen. Der beginnende Volksaufstand wurde mittels des Einsatzes des Warschauer Paktes, mit Ausnahme Rumäniens, niedergeschlagen. 3.3.1. Öffentliche Meinung in Österreich zu den Entwicklungen in der ČSSR 1968 Die Presse in Österreich setzte – anders als die beiden österreichischen Botschafter, Rudolf Kirchschläger (http://www.didactics.eu/index.php?id=1255) in Prag und Walter Wodak (http://www.didactics.eu/index.php?id=1256) in Moskau – 1968 zunehmend euphorisch große Hoffnungen in die Reformen und die Entwicklung in der Tschechoslowakei. Dementsprechend groß und emotional war nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in der Nacht vom 20. auf 21. August 1968 die Enttäuschung. 3.3.2. Die Einschätzung des Prager Frühlings durch die Botschafter Kirchschläger und Wodak Rudolf Kirchschläger (http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.k/k373748.htm), seit Jänner 1967 Gesandter in Prag, blieb skeptisch gegenüber der Reformbewegung und ihrer http://www.bundesarchiv.de/aktuelles/aus_dem_archiv/galerie/00210/index.html Hier finden Sie eine ausführliche Darstellung und Quellen zu diesem Thema 7 Fähigkeit zur Modernisierung des Kommunismus4. Über Dubček5 meinte er: „Ihm ist der Realismus im Überschwang der Gefühle und im Jubel der Massen verloren gegangen. Er hatte die furchtbare Eigenschaft, dass er nach jedem Applaus immer ein Stückchen mehr in der Sache versprochen hat. Als Politiker muss man wissen, wann eine Zuwaage in der Politik zur fahrlässigen Krida führt. Aber diese Grenze hat Dubček eben nicht erkannt." Mit der Invasion der Warschauer Pakt Staaten scheint er jedoch nicht gerechnet zu haben. Bemerkenswert war das Verhalten Rudolf Kirchschlägers in den Wochen nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt Staaten, als er gegen die Weisung aus Wien, die Visumerteilung einzustellen, in der Prager Botschaft tausende Reisevisa6 ausstellen ließ. Walter Wodak7 war seit 1964 österreichischer Botschafter in Moskau. Seiner Einschätzung nach – so im Bericht (http://www.didactics.eu/index.php?id=1258) nach Wien vom 24. Juli 1968 – würden die Sowjetführung die Entwicklung in der ČSSR seit dem Manifest der 2000 Worte (27. Juni 1968) als Infektionsherd im sozialistischen Block sehen, der auf drei Arten zu ‚heilen’ sei: als Schocktherapie käme die „Auslösung [...] eine[s] massiven, einer direkten Intervention nahekommenden sowjetischen Druck[s]“8 in Frage; unter diesem Druck würde die Zensur wieder eingeführt werden, würden sowjetfeindliche Personen aus der Regierung eliminiert und sowjetische Truppen in der ČSSR stationiert werden. Die zweite mögliche Vorgehensweise der Sowjetunion wäre ein „operative[r] Eingriff“, das „Niederwalzen der widerspenstigen Tschechoslowaken, das sich wahrscheinlich in humanerer Form als 1956 in Ungarn abspielen würde und bestenfalls [die] Installierung eines aufgeklärten Regimes à la Kádár“ 9zur Folge hätte, d.h. in der Version des relativ liberalen ungarischen Kommunismus. Der dritte von den Sowjets zu erwartende Weg war nach der Meinung Wodaks eine „Absonderung des Krankheitsherdes“ in der Art, wie es mit 4 Vgl. Paul Ullmann, Eine schwierige Nachbarschaft. Die Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Tschechoslowakei von 1945 – 1968 (Wien 2006) 199f. und David Pruonto, Österreich und der Prager Fühling. Einschätzungen und Reaktionen auf die Ereignisse des Jahres 1968, in: Florentine Kastner, Barbora Veselá, Jakub Jaros, Christian Knoche (Hg.), Prager Frühling und Ära Kreisky - Reformen zwischen Repression und Realisierung. Untersuchung zweier europäischer Nachbarn, Juvenilia Territorialia II. (Prag 2009 – im Druck). 5 Zitiert in der von Rudolf Kirchschläger autorisierte Biographie von Mario Schenz, Bundespräsident Rudolf Kirchschläger (Wien/Köln/Graz 1984) 74. 6 Vgl. Paul Ullmann, Eine schwierige Nachbarschaft. Die Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Tschechoslowakei von 1945 – 1968 (Wien 2006) 199f. und David Pruonto, Österreich und der Prager Fühling. Einschätzungen und Reaktionen auf die Ereignisse des Jahres 1968, in: Florentine Kastner, Barbora Veselá, Jakub Jaros, Christian Knoche (Hg.), Prager Frühling und Ära Kreisky - Reformen zwischen Repression und Realisierung. Untersuchung zweier europäischer Nachbarn, Juvenilia Territorialia II. (Prag 2009 – im Druck). S.207f 7 http://agso.uni-graz.at/marienthal/bibliothek/biografien/07_04_Wodak_Walter_Biografie.htm 8 http://www.didactics.eu/index.php?id=1258 9 http://www.didactics.eu/index.php?id=1258 8 Tito-Jugoslawien 194810 geschah; in diesem Fall würde das Experiment der ČSSR als „häretisch, revisionistisch und nichtkommunistisch“ 11 gebrandmarkt; dies sei jedoch die bei weitem unwahrscheinlichste Variante, da die Sowjets die Fehler Stalins von 1948 kaum wiederholen würden. 3.3.3. Verschiedene Perspektiven in der Beurteilung des Prager Frühlings 1. Der „Prager Frühling“ als Bemühungen Alexander Dubčeks und der tschechischen Reformer innerhalb der Kommunistischen Partei um einen „Kommunismus mit menschlichem Antlitz“ im Rahmen des neuen „Eurokommunismus“ italienischer Prägung: das hätte Demokratisierung und Abgehen vom Anspruch auf das Machtmonopol der KP bedeutet. 2. Als innerparteilichen Machtkampf der Jungen „Reformer“12 gegen die Herrschaft der „Altstalinisten“ um Parteichef (seit 1953) und Staatspräsident (seit 1957) Antonin Novotný13, die auch im wirtschaftlichen Niedergang der Tschechoslowakei seit den 1950er Jahren an Herrschaftslegitimation verloren hatte. Durch die Reformrhetorik14 der Jungen kam es nach dieser Interpretation zu einer gesellschaftlichen Dynamik, der die neue Parteiführung teilweise nachgab, über die sie aber auch die Kontrolle verlor (ein Höhepunkt: „Manifest der 2000 Worte“ Ludvík Vaculíks vom 27.6.1968)15. 3. Im Rahmen der im Jahre 1968 in Europa in Demonstrationen, Streiks, Hörsaalbesetzungen u.a. Happenings16 kulminierenden 17 Studentenbewegungen können auch viele der Aktionen und Proteste während des „Prager Frühlings“ und nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes gesehen werden. Sinnfällig wird dies auch in der Überzahl der jungen Frauen und Männer im Bericht der Austria Wochenschau „Die Tschechoslowakei von einigen Staaten des Warschauer Pakts besetzt“ (Austria Wochenschau 35/68) im Netz des Demokratiezentrums Wien. http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=422&index=348 3.4. Les Preludes 10 Nähere Informationen zum Ausschluss Jugoslawiens 1948 siehe http://www.imperialtraces.org/index.php?id=31&L=1 11 http://www.didactics.eu/index.php?id=1258 12 Hinweise siehe http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Prager_Fr%FChling.html 13 Eine Biografie und Erläuterungen finden sie unter http://www.uniprotokolle.de/Lexikon/Anton%EDn_Novotn%FD.html 14 Vgl. http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Prager_Fr%FChling.html#Emanzipation_der_%C3%96ffentlichkeit 15 Siehe Quellen 4.2.7. S.14 bzw. http://www.didactics.eu/index.php?id=1143 16 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Happening 17 http://www.dhm.de/lemo/html/teilung/KontinuitaetUndWandel/UnruhigeJahre/studentenbewegung.html 9 „Les Preludes“ von Franz Liszt18 – Tonebene am Beginn der Austria Wochenschau 35/6819 – wurden im Nationalsozialismus wegen des Pathos des Fanfarenthemas zur Einleitung20 von Sondermeldungen21 verwendet. 4. Quellen 4.1. Mitteilung der Tass22 (21.August 1968) 18 19 http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.l/l753333.htm http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=422&index=348 20 http://books.google.at/books?id=fWeQAaq2LMEC&pg=PA63&lpg=PA63&dq=preludes+liszt+Nationalsozialismus&so urce=bl&ots=pnipFxDbCK&sig=piaBt7Gt385ePznt5yw_SODzIA&hl=de&ei=nCAUSvTGFcm__QbOne2iDw&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1#v=on epage&q=&f=false 21 http://www.didactics.eu/index.php?id=461 22 TASS russische Nachrichtenagentur in der Zeit der UdSSR, vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/ITAR-TASS die Mitteilung wurde im Neuen Deutschland, dem Parteiorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (DDR) abgedruckt 10 4.2. Printquellen: 4.2.1. Die Presse Anmerkung: Die Artikel der Presse, finden Sie als pdf in der online-Version des Dossiers. http://www.didactics.eu/index.php?id=1143 Die Presse: 20.8.1968 Die Presse: 21.8.1968 Die Presse: 22.8.1968 Die Presse: 23.8.1968 4.2.2. Das Manifest der 2000 Worte Alte Texte: Das Manifest der 2000 Worte Ein nüchternes, von einem Kommunisten und doch überzeugten Demokraten aufgesetztes Dokument: Es beschreibt die totalitäre Praxis der Kommunistischen Partei und würdigt die Versuche von deren ehrlichen Protagonisten, dem Land Würde und Demokratie zurückzugeben. TEXT: LUDVÍK VACULÍK AUSWAHL: MICHAEL FRANK FOTOGRAFIE: FZHM 11 Die hitzige Begeisterung der Reformbewegung begann im Frühsommer 1968 abzuflauen, die Sehnsucht nach einem demokratisierten, menschlichen Alltag schien das, was wir heute den Prager Frühling nennen, in ruhigere Bahnen zu lenken. Da trat der 1926 in Brumov geborene Schriftsteller Ludvík Vaculík mit dem „Manifest der 2000 Worte“ an die Öffentlichkeit der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik. Ein nüchternes, von einem Kommunisten und doch überzeugten Demokraten aufgesetztes Dokument: Es beschreibt die totalitäre Praxis der Kommunistischen Partei und würdigt die Versuche von deren ehrlichen Protagonisten, dem Land Würde und Demokratie zurückzugeben. Keine Rache fordert Vaculík, aber auch die Einsicht, dass man „mit dem Entschluss, das alte Regime zu vernichten, bis zum Ende gehen“ müsse. Dies allerdings auch mit den Kommunisten zusammen, deren gesellschaftliche Logistik und Erfahrungen in den Zeiten der Radikalreform hin zu einem menschlichen Sozialismus unentbehrlich scheinen. Und da ist die Warnung vor neuen Begehrlichkeiten, dem „Kampf zwischen der Demokratie und den Futtertrögen“. Vaculíks Manifest, das 70 führende Köpfe der Kulturelite unterzeichnet haben, wurde zum zentralen Dokument der fundamentalen Reformbewegung vor 40 Jahren in der Tschechoslowakei. Einschließlich der so dunklen wie nüchternen Ahnungen von Gelingen oder gewaltsamem Ende. Michael Frank „Ursprünglich hat der Krieg das Leben unseres Volkes bedroht. Dann kamen weitere schlechte Zeiten mit Ereignissen, die die seelische Gesundheit unseres Volkes und seinen Charakter bedrohten. Mit Hoffnung hatte die Mehrheit des Volkes das Programm des Sozialismus aufgenommen. Dessen Leitung ist indessen in die Hände der falschen Leute geraten. Nicht so sehr hätte es geschadet, daß es diesen Leuten an genügender staatsmännischer Erfahrung mangelte, an sachlicher Kenntnis und philosophischer Bildung, wenn sie diese Mängel durch ein wenig mehr an bürgerlichem Verstand und Anstand ausgeglichen hätten, wenn sie imstande gewesen wären, die Meinung anderer anzuhören, und wenn sie sich einer allmählichen Auslese der Besseren unterworfen hätten. Die Kommunistische Partei, die vor dem Kriege in weitem Umfang das Vertrauen des Volkes genossen hatte, hat dies Vertrauen sukzessive gegen Ämter eingetauscht, bis sie endlich alle diese Ämter bekommen hatte und nichts anderes mehr besaß. Wir müssen es so ausdrücken, und das wissen auch jene Kommunisten unter uns, die von den Ergebnissen ebenso enttäuscht sind wie die Außenstehenden. Die fehlerhafte Linie der Führung hat diese 12 Partei aus einer politischen Partei und einem idealistischen Verband in eine Machtorganisation verwandelt, die eine gewaltige Anziehungskraft auf herrschsüchtige Egoisten ausübte, auf skrupellose Feiglinge und Leute mit schlechtem Gewissen. Ihr Einfluß wirkte auf den Charakter und das Verhalten der Partei, die im Inneren keineswegs derart organisiert war, dass ihrem Einfluß anständige Menschen auf Dauer ohne beschämende Kompromisse hätten widerstehen können. Viele Kommunisten hatten versucht, gegen diesen Verfall anzukämpfen, aber es ist ihnen nicht gelungen, auch nur ein wenig davon zu verhindern, was dann Wirklichkeit geworden ist. Die Zustände in der Kommunistischen Partei waren Vorbild und Beispiele der gleichen Zustände im Staat. Die Verflechtung der Partei mit dem Staat hat dazu geführt, daß sie den Vorteil des Abstandes von der verfassungsmäßigen Macht verloren hatte. Die Tätigkeit des Staates und der wirtschaftlichen Organisationen durfte nicht kritisiert werden. Das Parlament verlernte zu tagen, die Regierung zu regieren und die Direktoren zu dirigieren. Die Wahlen verloren ihren Sinn, die Gesetze verloren an Bedeutung. Wir konnten unseren Abgeordneten in keinem Ausschuß mehr vertrauen, und wenn wir es gekonnt hätten, hätten wir von ihnen nichts verlangen können, weil sie sich nicht hätten durchsetzen können. Noch schlimmer aber war, daß wir einander, einer dem anderen, so gut wie gar nicht mehr vertrauen konnten. Die persönliche und die gemeinsame Ehre ging verloren. Zur Anständigkeit reichte es einfach nirgends mehr, und von der geringsten Wertung der Menschen nach ihren Fähigkeiten zu reden, wäre müßig gewesen. Daher hat die Mehrheit der Menschen das Interesse an der öffentlichen Sache verloren, sie kümmerten sich nur mehr um sich selbst und um Geld, obwohl zur Schlechtigkeit der Verhältnisse auch der Umstand gehört, daß man nicht einmal auf dieses Geld sich heute noch verlassen kann. Die Beziehungen zwischen den Menschen verdarben, die Freude an der Arbeit ging verloren, kurz, für das Volk sind Zeiten angebrochen, die die seelische Gesundheit des Volkes und seinen Charakter bedrohen. Für den heutigen Zustand sind wir alle verantwortlich, mehr freilich aber die Kommunisten unter uns: die Hauptverantwortung jedoch tragen die, welche Teilhaber an der unkontrollierten Macht oder deren Instrumente waren. Es war das die Macht einer kleinen Gruppe, die mit Hilfe des Parteiapparats von Prag aus hineinwirkte in jeden Bezirk und in jede Gemeinde. Dieser Apparat bestimmte, wer was tun durfte oder nicht, er befand über die Genossenschaften für die Genossenschaftler, über die Fabriken für die Arbeiter, für die Staatsbürger über die Nationalausschüsse. Keine Organisation, auch keine kommunistische, gehörte in Wirklichkeit ihren Mitgliedern. Die Hauptschuld und der allergrößte Betrug dieser Herrscher ist es, daß sie ihren Willen für den Willen der Arbeiterschaft ausgegeben haben. Wenn sie diesen Betrug mitmachen wollten, dann müßten wir heute den Arbeitern den Ruin unserer Wirtschaft vorwerfen, die Verbrechen an unschuldigen Menschen, die Einführung der Zensur, die verhinderte, daß über dies alles geschrieben werden konnte: die Arbeiter wären schuld an den fehlerhaften Investitionen, an der Zerrüttung des Marktes, am Fehlen der Wohnungen. Kein vernünftiger Mensch wird allerdings an solche Schuld der Arbeiterschaft glauben. Wir wissen alle, und vor allem weiß das jeder Arbeiter, daß die Arbeiterschaft über nichts zu entscheiden hatte. Die Auswahl der Arbeiterfunktionäre wurde von anderswoher besorgt. Während viele Arbeiter sich einbildeten, sie regierten, regierte in ihrem Namen eine auserwählte Clique von Funktionären des Partei- und Regierungsapparates. Diese usurpierte in Wirklichkeit den Platz der entrechteten Klasse und installierte sich selbst zu einer neuen herrschenden Schicht. Der Gerechtigkeit halber müssen wir allerdings sagen, daß einige unter ihnen sich dieses falschen Spieles seit langem bewußt waren. Wir erkennen sie heute daran, daß sie das Unrecht wieder gutzumachen versuchen, die Fehler ausgleichen, den Ausgeschlossenen die Mitgliedschaft (der Partei) und die Bürgerlichen Ehren wieder verleihen und die Vollmacht und Allgewalt des Beamtenapparates einschränken. Ein großer Teil der Funktionäre stemmt 13 sich aber gegen alle Änderungen und hat bis jetzt Einfluß. Er vereinigt immer noch einen Teil der Gewalt in seinen Händen, vor allem in der Provinz, in den Bezirken und Gemeinden, wo er sie geheim ausübt und ohne zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Vom Beginn dieses Jahres an befinden wir uns in einem gewaltigen Prozess der Demokratisierung. Er hat in der Kommunistischen Partei begonnen. Wir müssen das anerkennen, und das wissen auch die Nichtkommunisten unter uns, die von dort her schon nichts Gutes mehr erwartet haben. Allerdings muß man hinzufügen, daß dieser Prozeß auch nirgends sonst hätte begonnen werden können. Denn nur die Kommunisten hätten durch ganze zwanzig Jahre ein politisches Leben führen können, nur die kommunistische Kritik war nahe an der Sache, die jeweils verhandelt wurde, nur die Opposition innerhalb der Kommunistischen Partei besaß das Privileg, in Fühlung mit dem Gegner zu sein. Die Initiative und die Anstrengung der demokratischen Kommunisten ist nur die Ratenabzahlung auf die Schuld, die die ganze Partei bei den Nichtkommunisten hat, die sie im Zustande der Nichtgleichberechtigung hat. Den Kommunisten gebührt daher keinerlei Dank, es muß aber anerkannt werden, daß sie sich ehrlich bemühen, die letzte Gelegenheit wahrzunehmen, die eigene Ehre und die Ehre der Nation zu retten. Der Erneuerungsprozeß tritt mit nichts Neuem auf den Plan. Er steuert Gedanken und Einwände bei, von denen viele älter sind als die Irrtümer des Sozialismus, und andere Gedanken, die seit langem hätten ausgesprochen werden sollen, die aber unterdrückt worden sind. Wir sollten keine Illusionen darüber hegen, daß jetzt diese Gedanken durch die Kraft der Wahrheit notwendig siegen müssen. Über ihren Sieg hat allein die Schwäche des alten Systems entschieden, das sich natürlicherweise abnutzen mußte im Laufe der zwanzigjährigen Herrschaft, in der es niemand nennen konnte. Selbstverständlich mußten alle die entscheidenden Grundmomente dieses Systems sich zur vollen Überreife entwickeln, die schon in seinen ideologischen Grundlagen verborgen lagen. Wir sollten daher die Bedeutung der Kritik aus den Reihen der Schriftsteller und Studenten nicht überschätzen. Das Instrument der gesellschaftlichen Veränderungen ist die Wirtschaft. Ein richtiges Wort hat nur dann Wirksamkeit, wenn es unter Bedingungen ausgesprochen wird, die richtig vorbereitet sind. Richtig vorbereitete Bedingungen – damit muß man bei uns leider unsere ganze Armseligkeit bezeichnen, der totale Zusammenbruch des Systems der zentralen Leitung, indem in Frieden und Ruhe und auf unsere Kosten die Politiker eines besonderen Schlages sich miteinander kompromittierten. Die Wahrheit nämlich siegt bei uns nicht von alleine (eine Anspielung des Autors auf den jetzt viel zitierten Wappenspruch der tschechoslowakischen Republik „Die Wahrheit siegt!“, Anm.), die Wahrheit kommt einfach zum Vorschein, wenn alles andere vertan ist! Es gibt daher hier keinen Anlaß zu nationalen Siegesfeiern, es ist lediglich ein Grund zur Hoffnung. Wenden wir uns an diesem Punkt zurück zu dieser Hoffnung, die dennoch weiterhin bedroht ist. Es hat einige Monate gebraucht, bis viele von uns daran zu glauben begannen, dass sie nun ungestraft ihre Meinung aussprechen konnten, viele allerdings glauben es bis heute noch nicht. Aber wir haben schon so viel ausgesprochen, und so viele haben sich ausgesprochen, daß wir mit unserem Entschluß, das alte Regime zu vernichten, bis zum Ende gehen müssen. Sonst fiele die Rache der alten Gewalten grausam aus. Wenden wir uns hauptsächlich jenen zu, die bisher nur abgewartet haben. Die Zeit, die jetzt anbricht, wird für viele Jahre entscheidend sein. Die Zeit, die jetzt anbricht, ist ein Sommer, mit Urlaub und Ferien, in denen wir nach altem Brauch uns wünschen werden, alles liegenund stehen zu lassen. Wir müssen uns aber bewußt sein, daß unsere lieben Gegner sich dieser sommerlichen Entspannung nicht hingeben werden; sie werden ihre Anhängerschaft mobilisieren, und sie werden schon jetzt versuchen, sich geruhsamer Weihnachtsfeiertage zu versichern. 14 Geben wir daher nicht auf. Versuchen wir zu verstehen, was geschehen wird, und dementsprechend zu handeln. Begeben wir uns des unmöglichen Anspruchs, daß uns immer irgendein Höherer zur Sache die einzig mögliche Erklärung, die einzig richtige Schlußfolgerung vorsage. Jeder wird seine Schlüsse selber nach eigener Verantwortung ziehen müssen. Brauchbare gemeinsame Beschlüsse kann man nur in der Diskussion fassen, zu der jene Freiheit des Wortes die Voraussetzung ist, die womöglich unsere einzige demokratische Errungenschaft dieses Jahres bleiben wird. Den kommenden Tagen müssen wir aber mit besonderer Initiative und mit besonderer Tatkraft begegnen. Vor allem werden wir allen Ansichten widersprechen, falls sie auftreten sollten, daß es möglich wäre, irgendeine demokratische Erneuerung ohne die Kommunisten, eventuell sogar gegen sie durchzusetzen. Es wäre dies ebenso ungerecht wie unvernünftig. Die Kommunisten besitzen eine wohlgebaute Organisation, innerhalb derer es den fortschrittlichen Flügel zu unterstützen gilt. Sie besitzen erfahrene Funktionäre, sie haben nicht zuletzt die Ordnung in ihren Händen, die entscheidenden Hebel und Knöpfe. Vor der Öffentlichkeit steht ihr „Aktionsprogramm“, das nicht zuletzt auch das Programm der ersten Wiedergutmachung der gröbsten Ungerechtigkeiten ist, und niemand sonst kann ein ähnlich konkretes Programm vorweisen. Es muß aber verlangt werden, daß die Kommunisten mit ihren lokalen Aktionsprogrammen in jedem Kreis und in jedem Bezirk sich der Öffentlichkeit stellen. Hier geht es plötzlich um sehr einfache und schon lange erwartete Angelegenheiten. Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei bereitet sich auf den Kongreß vor, der ein neues Zentralkomitee zu wählen haben wird. Wir müssen fordern, daß es ein besseres sein wird als das jetzt amtierende. Wenn jetzt die Partei behauptet, daß sie ihre führende Rolle in Zukunft auf das Vertrauen der Bürger aufbauen will und nicht auf Gewalt, so können wir das nach dem Maß der Glaubwürdigkeit akzeptieren, die jene Leute besitzen, die die Partei schon jetzt auf den Bezirks- und Kreiskonferenzen delegiert. In letzter Zeit ist das Volk beunruhigt, weil der Fortschritt der Demokratisierung abzunehmen scheint. Dieses Gefühl kommt teilweise von der Ermüdung nach dem aufregenden Geschehen der letzten Monate, teilweise entspricht es aber der Wirklichkeit: Die Saison der bestürzenden Offenbarungen, der allerhöchsten Demissionen und berauschenden Proklamationen von noch nie da gewesener Kühnheit ist jetzt vorbei. Der Kampf der Kräfte hat sich jedoch nur ein wenig unter die Oberfläche verzogen, es wird jetzt um den Wortlaut der Gesetze gerungen, um das Ausmaß praktischer Maßnahmen. Darüber hinaus muß man den neuen Leuten, den Ministern, Prokuratoren, Vorsitzenden und Sekretären Zeit lassen, um sich einzuarbeiten. Sie haben ein Anrecht auf diese Zeit, um sich entweder zu bewähren oder sich als unfähig zu erweisen. Die eigentliche Qualität der zukünftigen Demokratie hängt jetzt davon ab, was mit den Fabriken und in den Fabriken geschehen wird. Bei allen unseren Diskussionen entscheiden zuletzt die Wirtschaftler über unser Schicksal. Es gilt jetzt, qualifizierte Ökonomen zu suchen und an die geeigneten Stellen zu setzen. Es ist zwar wahr, daß wir alle, verglichen mit den Bedingungen in entwickelten Ländern, schlecht bezahlt sind, und einige von uns noch schlechter. Wir können jetzt mehr Geld verlangen – das sich beliebig drucken und damit entwerten läßt. Fordern wir daher lieber von den Herren Direktoren und Vorsitzenden, uns Zahlen vorzulegen, Rechnung zu legen darüber, was und zu welchem Preis sie zu produzieren gedenken, wem und um wie viel sie es zu verkaufen beabsichtigen, welcher Gewinn dabei herausgewirtschaftet werden soll, welcher Teil davon investiert werden soll in Modernisierung der Produktion und was davon aufgeteilt werden soll. Unter scheinbar langweiligen Überschriften ist jetzt in unseren Zeitungen der Widerhall des harten Kampfes zwischen der Demokratie und den Futtertrögen zu verfolgen. Hier können die Arbeiter ebenso eingreifen wie die Unternehmer, indem sie wissen, wen sie in die Betriebsverwaltungen und in die Betriebsräte wählen. Ebenso können die Angestellten für sich selbst jetzt nur das Beste bewirken, wenn sie als ihre Delegierten in die Gewerkschaften 15 die Vertreter ihrer natürlichen Interessen wählen, fähige und anständige Menschen, ohne Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit. Wenn jetzt in dieser Zeit von den eigentlichen Führern der zentralen politischen Organisationen nicht mehr zu erwarten ist, so muß um so mehr in den Bezirken und Kreisen umgesetzt werden. Wir fordern den Rücktritt jener Leute, die ihre Macht mißbraucht haben, die das öffentliche Eigentum geschädigt haben, die ehrlos und grausam gehandelt haben. Es ist jetzt möglich, Methoden zu entwickeln, um sie zum Rücktritt zu zwingen. Zum Beispiel: öffentliche Kritik, Resolutionen, Demonstrationen, demonstrierende Arbeitseinsätze, Geldgeschenksammlungen für sie, um sie mit einer Rente abzufinden, Streik und Boykott. Es müssen aber Aktionen verhindert werden, die nach dem Gesetz nicht erlaubt, die unanständig oder grob sind, sonst könnten sie zur Beeinflussung Alexander Dubceks missbraucht werden. Unser Widerstand gegen das Schreiben vulgärer anonymer Briefe muß so allgemein werden, daß hinfort jeder solcher Brief, den diese Leute noch vorzeigen können, als einer gelten kann, den sie sich selbst haben schreiben lassen. Beleben wir die Tätigkeit der Nationalen Front. Verlangen wir öffentliche Sitzungen der Nationalausschüsse. Zu den offenstehenden Fragen, die niemand beantworten will, wollen wir eigene Bürgerausschüsse und Kommissionen bilden. Es ist das sehr einfach: Es treten einige Leute zusammen, sie wählen sich einen Vorsitzenden, sie führen Protokoll, sie veröffentlichen ihr Anliegen, verlangen dessen Lösung und lassen sich nicht niederschreien. Die Bezirks- und lokale Presse, die in ihrer Mehrheit zu einer amtlichen Trompete degeneriert ist, müssen wir in eine Tribüne aller positiven politischen Kräfte verwandeln. Verlangen wir die Gründung von Redaktionsräten aus Vertretern der Nationalen Front. Oder gründen wir neue Zeitungen, begründen wir Ausschüsse zur Verteidigung der Freiheit des Wortes. Organisieren wir bei unseren Zusammenkünften einen besonderen Ordnungsdienst. Wenn uns anrüchige Nachrichten über bestimmte Personen zur Kenntnis gelangen, sollten wir sie auf deren Wahrheitsgehalt prüfen, dann eine Delegation an die zuständigen Stellen senden und deren Antwort dann veröffentlichen, wenn es nicht anders geht, indem wir diese an den Toren anschlagen. Unterstützen wir die Organe der Polizei bei der Aufklärung wirklicher Straftaten; unser Wunsch ist es nicht, die Anarchie oder den Zustand allgemeiner Unsicherheit zu bewirken. Hüten wir uns von nachbarlichen Zänkereien, lassen wir uns nicht zu politischen Denunziationen verführen. Aber entlarven wir die Spitzel! Die belebte sommerliche Bewegung in der gesamten Republik entwickelt das Interesse auch für Neuordnung der staatsrechtlichen Beziehungen zwischen Böhmen und der Slowakei. Wir betrachten die Föderalisierung als eine Möglichkeit, die nationale Frage zu lösen, darüber hinaus ist das aber nur eine von den bedeutenderen Maßnahmen zur Demokratisierung der Verhältnisse. Diese Maßnahme für sich allein braucht aber der Slowakei keineswegs ein besseres Leben bringen. Die Probleme der Regierung – getrennt für die Slowakei und die böhmischen Länder – werden damit noch nicht gelöst. Das Regime der parteistaatlichen Bürokratie könnte auch unter diesen Bedingungen an der Macht bleiben, in der Slowakei um so eher, als man dort „sich eine größere Freiheit erkämpft hat“. Außerordentliche Beunruhigung geht in der letzten Zeit von der Möglichkeit aus, daß sich ausländische Mächte in unsere Entwicklung einmischen könnten. Im Angesicht aller Übermächte bleibt uns lediglich übrig, ruhig auf unserem Standpunkt zu beharren und niemanden herauszufordern. Unserer Regierung müssen wir zu verstehen geben, daß wir hinter ihr stehen, wenn nötig in Waffen, so lange sie das tun wird, wofür wir ihr unser Mandat gegeben haben. Und unseren Verbündeten können wir versichern, daß wir unsere vertraglichen, freundschaftlichen und wirtschaftlichen Abkommen einhalten werden. Gereizte Vorwürfe von unserer Seite, unsere nicht ausgesprochenen Verdächtigungen, können nur den Stand unserer Regierung erschweren, ohne dass sie uns Hilfe bringen. 16 Beziehungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung können wir ohnehin erst dadurch erlangen, daß wir unsere inneren Zustände verbessern und unseren Reformprozeß so weit vorantreiben, daß wir dereinst bei den Wahlen uns Politiker wählen können, die soviel Standfestigkeit, Ansehen und Weisheit besitzen werden, daß sie uns solche Beziehungen aushandeln und einhalten können. Das übrigens ist ein Problem der Regierungen aller kleineren Staaten der Welt. In diesem Frühling ist uns von neuem, wie nach dem Kriege, eine große Chance geschenkt worden. Wir haben jetzt aufs neue die Möglichkeit, unsere gemeinschaftliche Sache, die den Arbeitstitel „Sozialismus“ trägt, in unsere eigenen Hände zu nehmen und ihr ein Profil zu verleihen, das besser unserem ursprünglichen, einst vortrefflichen Vorstellungen entspräche und der einigermaßen guten Meinung, die wir ursprünglich von uns selber hatten. Dieser Frühling ist soeben zu Ende gegangen und kehrt schon nimmer wieder. Im Winterwerden wir wissen, woran wir sind. Und damit endet dieser unser Aufruf an die Arbeiter, Landwirte, Beamten, Künstler, Wissenschaftler, Techniker und an alle. Geschrieben wurde er auf Anregung der Wissenschaftler. Die siebzig Unterzeichner dieses Manifestes stammen aus allen Schichten und Betätigungsbereichen des Volkes. Unter anderem sind es: Rudolf Hrusinsky, Schauspieler; Karel Kosik, Philosoph; Otomar Krejca, Regisseur; Karel Krautgartner, Dirigent; Jiri Menzel, Regisseur; Adolf Radok, Regisseur; Jaroslav Seifert, Dichter; Oldrich Stary, Rektor der Karlsuniversität; Nationalkünstler Jiri Trnka, Autor der Puppenfilme; Josef Topol, Schriftsteller; Nationalkünstler Jan Werich, Schauspieler; Jan Zatopek, Olympiasieger.“ Datum 09/08 - Seiten der Zeit: Alte Texte http://www.datum.at/0908/stories/5152401/ Zugriff: 21.05.2009 4.3. Audivisuelle Quellen: 4.3.1. Austria Wochenschau 35/68, Beitrag 1 (Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in Prag) Das Transkript zu dieser Wochenschau ist auf dieser Seite abgedruckt: http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=422&index=348 4.3.2.Morgenjournal Ö1 21.8.1968 (Einmarsch) http://www.mediathek.at/akustischechronik//Popups_2/Prag_1968_2h_frue h 17 4.3.2.1. Morgenjournal Ö1 21.8.1968, Sendeteil Nr. 3 http://www.mediathek.at/oe1_journale/popup/popup_media_manager.php?fileId=1123416 Sendeteil Nr. 3: Statement des Bundeskanzlers Klaus Das waren die Nachrichten. Vor wenigen Minuten ist Bundeskanzler Dr. Josef Klaus im Funkhaus in Wien eingetroffen. Er sitzt jetzt im Nebenstudio und wird Erklärung abgeben: „ Liebe Mitbürger! Österreich hat Dank seiner immerwährenden Neutralität und Dank einer konsequenten Neutralitäts- und Unabhängigkeitspolitik, sich das Vertrauen aller vier Signatarmächte des Staatsvertrages, aber auch das Vertrauen seiner Nachbarstaaten erworben. Diese Politik hat sich bewährt und unserem Land eine glückliche Entwicklung in Freiheit, Sicherheit und Wohlstand gebracht. Das bedeutet aber nicht, dass uns das Schicksal anderer Länder und Völker gleichgültig ist. Wir sind am Frieden und an der friedlichen Entwicklung unserer Nachbarländer interessiert und haben daher mit großer Aufmerksamkeit die Vorgänge und die Entwicklungen in der Tschechoslowakei in den letzten 18 Wochen und insbesonders in der heutigen Nacht verfolgt. Angesichts der Ereignisse in der Tschechoslowakei hat die Bundesregierung daher alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Noch während dieser Nacht habe ich mit dem Herrn Außenminister, dem Herrn Staatssekretär im Inneren und Vertretern des Innenministeriums und des Landesverteidigungsministeriums eine Besprechung durchgeführt. Noch in aller Früh habe ich auch den Herrn Bundespräsidenten über die Maßnahmen der Bundesregierung an seinem Urlaubsorte informiert. Gegenwärtig suche ich auch den Kontakt mit den Obmännern der beiden Oppositionsparteien, der Sozialistischen Partei und der Freiheitlichen Partei, herzustellen. Die Bevölkerung und die in unserem Lande befindlichen Besucher, können versichert sein, dass die Bundesregierung alle zur Stunde notwenigen Maßnahmen getroffen hat. Ich habe ferner veranlasst, dass jene Regierungsmitglieder, die derzeit auf Urlaub sich befinden, sich sofort nach Wien begeben sollen. Liebe Mitbürger! Ich glaube, dass wir diese Politik, die sich auf das Vertrauen, aber auch auf das Verständnis mit allen Nachbarn und mit allen Signatarmächten seitens Österreich stützt, uns gerade in dieser Stunde eine wertvolle Hilfe für die Fortsetzung unserer konsequenten Neutralitäts- und Unabhängigkeitspolitik sein wird.“ 4.3.2.2. Morgenjournal vom 21.08.1968: Sendeteil Nr. 7 http://www.mediathek.at/oe1_journale/popup/popup_media_manager.php?f ileId=1123416 Sendeteil Nr. 7: Situation und Reaktion in den US [Das Gespräch mit Moskau ist noch immer nicht angekommen. Wir wissen nicht, ob die Leitung gestört ist, jedenfalls unser Moskauer Korrespondent hat sich noch immer nicht gemeldet.] Dafür ist aber in der Zwischenzeit das Gespräch aus Washington angekommen. Ich bitte, es mir herein zuschalten. Hier ist der österreichische Rundfunk, guten Morgen! Herr Stoiber, welche Reaktion gibt es in Amerika auf den Einmarsch der sowjetischen Truppen in der Tschechoslowakei? Die Invasion der Tschechoslowakei durch Truppen aus fünf kommunistischen Ländern hat, wie Washington erklärt, die amerikanische Regierung und das Pentagon vollkommen unvorbereitet und ohne jede Vorwarnung überrascht. Hier sind die ersten Entwicklungen und die jüngsten Ereignisse in den USA im Zusammenhang mit der Krise in der ČSSR: Der Pressechef von Präsident Johnson, George Christian gab knapp vor fünf Uhr MEZ bekannt, dass der sowjetische Botschafter in Washington Anatolij Dobrynin sich einige Stunden vorher persönlich ins Weiße Haus begeben hatte, um dem Präsidenten über die Entwicklung in der ČSSR und die sowjetische Haltung dazu Bericht zu erstatten. Präsident Johnson berief darauf hin den nationalen Sicherheitsrat ein, der seit dem Juli Krieg im Nahen Osten des Vorjahres zu keiner Krisensitzung mehr zusammengetreten war. Der internationale Sicherheitsrat trat um 3 Uhr 15 MEZ zusammen. Wie George Christian weiter erklärte, wurde der heiße Draht zwischen Washington und Moskau bisher nicht aktiviert. Die Nachrichten aus Prag sind hier fragmentarisch. Der amerikanische Rundfunk hat mehrmals Nachrichten aus dem österreichischen Außenamt und dem österreichischen Innenministerium wiederholt, demzufolge die Grenzen nach der Tschechoslowakei und nach Ungarn gesperrt sind. Die erste Reaktion der Rundfunkkommentatoren ist, dass die USA in der Falle des Vietnamkrieges gefangen sind und keine, oder nicht genügend Bewegungsfreiheit haben, um sich moralisch - geschweige denn militärisch - in die Ereignisse in der ČSSR einschalten zu können. Allerdings wird in diesen ersten Kommentaren nicht verschwiegen, dass die USA, was die 19 Entwicklung in der ČSSR betrifft, eine „Vogel-Strauß-Politik“ verfolgt und versäumt hat, zumindest die amerikanische Öffentlichkeit auf Seite der Liberalisierungsbemühungen der Bevölkerung der ČSSR zu mobilisieren. Aber die amerikanische Öffentlichkeit ist einmischungsmüde. Durch das Land geht eine Welle des Isolationismus, die noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre. Und so besteht die Gefahr, dass die USA – wie die amerikanischen Kommentatoren es ausdrücken – die ČSSR ausverkaufen, also auf gut Deutsch fallen lassen. Herr Stoiber, welche Nachrichten hat man konkret von der Tschechoslowakei in Amerika? Die letzte Nachricht, die man hier hat, ist eine Reuter Meldung, dass in Prag Schüsse gefallen sind und dass das Zentralbüro der kommunistischen Partei von russischen Panzern, die mit weißen Kreuzen gezeichnet sind, umstellt ist. Danke vielmals, Herr Stoiber, Sie werden uns sicher im Mittagjournal weiter berichten. 4.3.2.3. Morgenjournal vom 21.08.1968: Sendeteil Nr. 8 http://www.mediathek.at/oe1_journale/popup/popup_media_manager.php?f ileId=1123416 Sendeteil Nr. 8: Situation und Reaktion in der Sowjetunion [Nach diesem Bericht von der Grenze und den Telefongesprächen mit Belgrad und Washington erwarten wir jetzt das Telefonat mit Moskau. Ist dieses Telefonat schon da? Technik, bitte herein schalten!] Österreichischer Rundfunk, Dr. Bock. Ja, guten Tag, Herr Dr. Bock. Hier Löwe. Guten Morgen, Herr Löwe. Herr Löwe, wie ist die Reaktion in Moskau auf den Einmarsch sowjetischer Truppen in die Tschechoslowakei? Ich kann Ihnen mitteilen, dass TASS eine offizielle Erklärung dazu abgegeben hat, die man eigentlich in elf Punkten zusammenfassen kann. Der erste Punkt ist, dass die tschechoslowakische Regierung und die tschechoslowakischen Führer der Partei – genannt werden sie nicht bei Namen – um die dringende Hilfe der übrigen sozialistischen Länder gebeten hätten, also eine Besetzung auf Wunsch der Führung, wer immer sie sein mag. Intern habe ich hier bereits erfahren, dass in der vergangen Nacht, die Führung in der Tschechoslowakei, in Prag gewechselt hat. Die Namen der neuen Spitze konnte man mir nicht nennen, ich weiß nur, dass der Chefredakteur von Rudé Právo, der ja als ein Gegner von Dubček galt, eine wesentliche Rolle dabei gespielt hat. Die Besetzung der Tschechoslowakei begann um Mitternacht und ist wohl jetzt ziemlich abgeschlossen, sagt man in Moskau. In dem Kommunikee heißt es, jetzt im offiziellen Kommunikee heißt es weiter, die Besetzung diene dem Zweck konterrevolutionären Kräften zu begegnen. Drittens: Es ginge um die Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften. Dies sei eine heilige Pflicht aller sozialistischen Länder, dies sei auch im Pressburger Kommunikee eindeutig festgelegt worden. Viertens: Eine Verschärfung der Situation berühre, in der Tschechoslowakei, berühre die lebenswichtigen Interessen der Sowjetunion und der übrigen sozialistischen Länder. Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. Fünftens: Die Entwicklung der Tschechoslowakei bedeute eine Gefährdung des Friedens in Europa. 20 Sechstens: Die notwendige Hilfe für das brüderliche tschechoslowakische Volk sei also, so sei diese Maßnahme zu bewerten. Siebtens: Die Warschauer-Pakt Streitkräfte würden sofort zurückgezogen werden, so wie die Gefahr für die Tschechoslowakei und die übrigens sozialistischen Länder gebannt sei. Herr Löwe, bringt der sowjetische Rundfunk schon Berichte von der Besetzung der ČSSR? Nein, nein. Es ist interessant, also die westlichen Korrespondenten sind hier durch Gewährsleute im Laufe der Nacht, also in den frühen Morgenstunden des heutigen Tages vorgewarnt worden. Bereits um vier Uhr morgens wussten viele von ihnen, dass die Tschechoslowakei besetzt worden ist. Der sowjetische Rundfunk spielte bis 6 Uhr 15 Moskauer Zeit Wiener Walzer und um 6 Uhr 15 begann das Frühsportprogramm und dann die ersten Nachrichten. Das Kommunikee war in den 7 Uhr Nachrichten zu hören. Herr Löwe, herzlichen Dank für diesen kurzen Bericht. Wir werden uns beim Mittagsjournal wieder hören. Auf Wiederhören. Auf Wiederhören. Das war also das Telefongespräch mit Moskau, das in letzter Minute bei unserer Sendung jetzt eintraf. 4.3.3. Mittagsjournal Ö1 21.8.1968 (Grenze in Berg) http://www.mediathek.at/akustische-chronik//Popups_2/Grenze_Berg Mittagsjournal Ö1 21.8.1968 (Grenze in Berg) Und wieder steh ich an der Grenze in Berg, an der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze, ganz nahe von Pressburg entfernt, und ich muss sagen, hier geht es zu, als ob es keine Vorfälle zur Slowakei gäbe. Es kommen immer viele Autos herüber und es fahren auch viele hinüber. Die Autos, die aus der Tschechoslowakei kommen, stammen zumeist aus Rumänien. Wie mir die Leute erzählten, wollten sie heute Nacht bzw. heute Früh über Ungarn nach Hause fahren, aber die ungarische Grenze ist für alle geschlossen. Sie wurden hierher nach Berg geschickt, damit sie über Österreich dann weiterfahren, wie sie dann weiterkommen, sagten sie, das wüssten sie nicht. Aber unter diesen vielen Autos befand sich auch ein Wagen aus Deutschland und ich habe ein Glück, es ist sogar ein Journalistenkollege. Sie haben die Nacht in Pressburg verlebt, was war ihr Eindruck heute Morgen? „Heute Morgen war eine große Aufregung in den Straßen, die Menschen liefen unkontrolliert durcheinander, man hatte den Eindruck, dass etwas Ähnliches wie eine Panik entstehen könnte. Dennoch muss ich sagen, war die Bevölkerung der Situation entsprechend relativ ruhig.“ Und haben Sie gesehen… ich habe gehört, Leute haben angeblich auch geweint? „Leute haben geweint, ich habe es selbst gesehen, meine Wirtin hat geweint, wo wir übernachtet haben – privat.“ Ja. „Und auf den Straßen habe ich viele Menschen getroffen, die gesagt haben <sowjetische Schweine>“ Und waren viele Panzer zu sehen? „Es waren sehr viele Panzer zu sehen, ich kann die Zahl leider nicht angeben, weil wir mitten drin steckten.“ Ich war bereits heute Morgen hier an Grenze und da hörte ich einige Feuerstöße, die aus Maschinengewehren stammten. Konnten Sie vielleicht eruieren was das für ein Vorfall gewesen sein könnte? „Als Augenzeuge kann ich nichts berichten, aber mir wurde erzählt, dass junge Studenten an der Nationalbank ihre Jacken ausgezogen haben und haben diese Jacken über die 21 Sehschlitze der Panzer oder Schützenpanzer hinübergeworfen und dann soll geschossen worden sein. Über Verletzte oder Tote weiß ich nichts.“ Ja, es kann sein, dass die Russen in die Luft geschossen haben, das wäre auch möglich. „Das wäre durchaus möglich.“ Und wie war die Fahrt über die Brücke? War die abgesichert? „Die Brücke war abgesichert durch Soldaten der Warschauer Pakt Staaten. Ich kann nicht sagen, welche Nation es war und sie verwehrten uns die Überfahrt über die Brücke mit einer roten Flagge. Die gesamte Brückenauffahrt war umlagert von Menschen aus Bratislava und als diese Menschen merkten, dass uns die Soldaten nicht hinüber lassen wollten, haben sie uns eine Gasse gebahnt und haben gejohlt, haben die Soldaten vorbeigedrängt. Ich war zuerst etwas unschlüssig, was ich tun sollte, denn ich wollte keinen Zwischenfall provozieren, habe aber dann doch Gas gegeben, bin unter den Hurra-Rufen der Slowaken oder der Bevölkerung von Bratislava über die Brücke gefahren und ab diesem Moment war die Fahrt frei für uns.“ Also die Menschen in der Stadt drüben sind eindeutig gegen die Russen eingestellt? „Soweit ich es beurteilen und was ich gesehen habe, ja.“ Aber trotzdem sind sie der Situation entsprechend ruhig und sie sind nicht unbesonnen? „Sie sind nicht unbesonnen, soweit ich es gesehen habe.“ Und nun kommen auch zwei Wiener über die Grenze, mit einem Volkswagen. Und wie sie mir eben gesagt haben, haben sie das Ganze von allem Anfang an mitgemacht. Wollen Sie kurz erzählen? „Ja, es war so 11 Uhr, so gegen 11 Uhr sehen wir mitten am Hauptplatz, also vor dem Staatstheater drei Panzer und es hat so ausgeschaut, als ob sie sich verirrt hätten oder was. Wir machen ein Theater, sag ich, schau dir das an und in dem Moment seh ich einen Schweden, der sagt ‚Komm, ab mit uns, weil Russen sind hier. ‘ Weil sie haben sich nicht gezeigt, und wie wir schon auf die Brücke kommen, war schon alles versperrt und…“ Ach, sie wollten schon in der Nacht herüber fahren? „Schon um 11 Uhr. Wir waren schon am Herüberfahren und natürlich sind wir bis jetzt gestanden. So, jetzt ist eine Manifestation, die Russen haben so herumgeschossen unten. Panzer haben sie angezündet, die Tschechen von ihnen und dann dieses Glanda [Geländer], das haben sie zwischen die Ketten gegeben, also dass den Panzern praktisch die Ketten runterfallen, haben sie vom Fenster schon runter geschossen und jetzt ist eine große Manifestation unten bei der Universität. Und da haben uns die Tschechen gesagt, also wir ringen so um die Russen, dass sie nicht aus können, da haben sie alles umringt, sagt da Ausländer fort, was nur geht. Und da ist der Tankwagen als erster nachgefahren, also von dem von der Firma…“ Ja, ein Ölwagen. „Natürlich, ein Ölwagen. Und wir natürlich drei Ausländer hintennach. Ein Westdeutscher, ein Franzose und wir aus Österreich.“ 4.3.3.1. Mittagsjournal vom 21.08.1968 http://www.mediathek.at/oe1_journale/popup/popup_media_man ager.php?fileId=1152010 Kommentar über die Mobilmachung beim österreichischen Bundesheer und die strategische Lage Das österreichische Bundesheer, seit seiner Aufstellung im Jahr 1955 ein Zankapfel der politischen Parteien, wird vielleicht in wenigen Stunden wieder einmal, so wie 1956, bereit sein müssen, die Neutralität an den Grenzen Österreichs zu schützen. Wenn auch für Österreich keine akute militärische Gefahr besteht, so muss doch die bewaffnete Macht des neutralen Österreichs einen verstärkten Grenzaufsichtsdienst organisieren. Die Vorkehrungen der Führung des österreichischen Bundesheeres sind soweit gediehen, dass in kürzester Zeit an der tschechoslowakischen Grenze die militärisch notwendigen Maßnahmen getroffen werden können, um eventuelle bewaffnete Überläufer, 22 marodierende Truppenteile und bewaffnete Zivilpersonen aufzufangen, zu entwaffnen und zu internieren. An den nördlichen Grenzen unseres Landes sind zum sofortigen Einsatz, im sogenannten grenznahen Raum, zwei Truppenkörper in der Stärke von je drei Bataillonen verfügbar. Diese sofort greifbare militärische Sicherung kann nach Maßgabe des Spannungszustandes innerhalb von 24 Stunden verdoppelt werden. Für die tatsächliche Sicherung des Grenzraumes, das heißt unmittelbare Verstärkung der Zollwache, stehen territorial gebundene Einheiten, besser bekannt unter dem Namen Grenzschutzkompanien, zur Verfügung. Diese Kompanien, welche sich aus Reservisten zusammensetzen, können aufgrund eines vorbereiteten Alarmsystems, in kürzester Zeit mobil gemacht werden und stellen eine beachtliche Aufwertung der Sicherheitsstreitkräfte dar. Hier wird neben der politischen Neutralität auch die bewaffnete Neutralität demonstriert. Österreich könnte mit seiner kleinen Armee vor der ganzen Welt beweisen, dass wir die uns selbst auferlegte, immerwährende Neutralität sehr ernst nehmen und bereit sind, jede Verletzung unserer Grenzen zu verhindern. 4.3.4. Abendjournal 21.8. 1968 http://www.mediathek.at/oe1_journale/popup/popup_media_manager.php?f ileId=1152015 Hilferuf aus Brünn Liebe Freunde in Österreich! Ich spreche jetzt aus Brünn. Wir sind vielleicht die einzigen in der ganzen Tschechoslowakischen Republik im Fernsehen, die noch senden können. Ich weiß nicht, wie lange. Ich bitte alle: informieren sie die ganze Welt, besonders den Generalsekretär und Amt- und Sicherheitsrat. Wenn die Situation kommt, dass mit der Sendung im Fernsehen und Rundfunk Schluss wird, dann bitte ich die Kollegen aus Fernsehfunk in Wien, damit sie die kurzen Informationen von der Situation in der tschechischen Sprache senden. Ich danke aus dem ganzen Herzen. Ich bin, liebe Freunde, Kommunist, aber in dieser schweren Situation geht es nicht, ob jemand Kommunist oder Unkommunist ist. Es geht um alles in der Tschechoslowakischen Republik. Ein Hilferuf aus Brünn, den wir heute Nachmittag auffingen. 4.3.4.1. Abendjournal vom 21.08.1968 http://www.mediathek.at/oe1_journale/popup/popup_media_manager.php?f ileId=1152015 UNO zur Lage in der ČSSR Und in diesem Augenblick erreicht uns eine Leitung von den Vereinten Nationen New York. Wird sich der Weltsicherheitsrat mit der Besetzung der ČSSR beschäftigen? Diese Frage richte ich an Rudolf Stoiber. Hektische Tätigkeit hinter der Kulisse der Vereinten Nationen und die Initiative der Westlichen Gruppe des Sicherheitsrates, Großbritannien, USA, Frankreich, Dänemark und Kanada, scheinen auf ein sich langsam entwickelndes Aktionsprogramm der Vereinten Nationen hinzuweisen und es scheint nun festzustehen, dass sich der UNOWeltsicherheitsrat mit der Besetzung der Tschechoslowakei durch Sowjetische und Warschauer-Pakt-Truppen befassen wird, voraussichtlich noch heute. Allerdings wurde noch kein genauer Termin festgelegt. Präsident Johnson jedenfalls appellierte um 17 Uhr MEZ vom Weißen Haus aus, wie er sagte, 23 im Namen der Friedenshoffnung der Menschheit an die Sowjetunion, ihre Invasionstruppen aus der Tschechoslowakei zurückzuziehen und gab bekannt, dass er den amerikanischen UNO-Vertreter George Ball beauftragt hat, gemeinsam mit Vertretern anderer Staaten, die tschechische Krisensituation vor den UNO-Sicherheitsrat zu bringen und darauf zu bestehen, dass die Rechte des tschechischen Volkes, wie sie in der UNO-Charta verankert sind, erhalten bleiben. Fast gleichzeitig mit der Erklärung aus dem Weißen Haus gab ein Sprecher U Thant‘s die erste offizielle Reaktion des UNO-Generalsekretärs bekannt. U Thant hatte im Verlauf des Vormittags den stellvertretenden sowjetischen Außenminister Jakow Malik, den britischen UNO-Delegierten Lord Caradon, den derzeitigen Präsidenten des Sicherheitsrates den Brasilianer de Araújo Castro und den tschechischen UNO-Vertreter Jan Mužik zu Besprechungen empfangen. U Thant ließ durch seinen Sprecher bekannt geben, dass er an die sowjetische Regierung appelliert hat, sich in ihrem Verhalten zur tschechischen Regierung und zum tschechischen Volk äußerste Zurückhaltung aufzuerlegen. Gleichzeitig sagte U Thant seine bevorstehende Reise nach Europa ab. Er hätte sich morgen nach Prag und anschließend zur Weltraumkonferenz nach Wien und zur Konferenz der Nichtnuklearen Staaten nach Genf begeben sollen. Wörtlich erklärte der Sprecher es UNOGeneralsekretärs im Namen U Thants: The Secretary-General regards the developments in Czechoslovakia as yet another serious blow to the concepts of international order. Die Entwicklungen in der Tschechoslowakei stellen einen weiten, schweren Schlag für das Konzept internationaler Ordnung und Moral dar, die die Basis der UNO-Charta bilden und um deren Verwirklichung die Vereinten Nationen während aller dieser Jahre gekämpft haben. Außerdem bedeuten die Ereignisse einen schweren Rückschlag für die Ost-West Détente, die sich während der letzten Monate neuerlich anzubahnen schien und der der Generalsekretär größte Bedeutung zumisst. Niemand im UNO-Hauptquartier kann zurzeit voraussagen, welche Früchte eine Debatte im Sicherheitsrat zeitigen kann, ob sie sich lediglich als Propagandagefecht erweisen wird oder ob tatsächlich unter dem Druck der Weltöffentlichkeit konkrete Resultate erzielt werden können. Auf jeden Fall ist es gut, uns während wir auf den Beginn der Sitzung des Weltsicherheitsrates warten, daran zu erinnern, dass der Sicherheitsrat, obwohl er die gesamte UNO-Mitgliedschaft vertreten soll, in der Praxis im Grunde nichts anderes darstellt, als die Summe der nationalen Interessen der derzeitigen 15 Mitgliedstaaten. Rudolf Stoiber berichtete von den Vereinten Nationen in New York. 5. Texte zur Aufarbeitung der Ereignisse 5.1. Tagesecho - 35 Jahre nach Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen – Erste Verurteilung [ 2003-06-10 ] Autor: Gerald Schubert „Der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968 gilt auch heute noch als der wohl schwärzeste Moment in der tschechoslowakischen Nachkriegsgeschichte. Und als solcher beschäftigt er hierzulande nicht nur Historiker und die politisch interessierte Öffentlichkeit, sondern bisweilen auch die Justiz. Am Montag wurde im Zusammenhang mit der Okkupation, die vor 35 Jahren die Reformbewegung des "Prager Frühlings" niederwalzte, erstmals ein ehemaliger kommunistischer Funktionär verurteilt. Gerald Schubert berichtet: 24 Eigentlich lautete die Hauptanklage ja auf Vaterlandsverrat. Der ehemalige kommunistische Parteifunktionär Karel Hoffmann habe, so die Staatsanwaltschaft, im August 1968 als damaliger Direktor der Zentralen Kommunikationsverwaltung den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die ehemalige Tschechoslowakei aktiv unterstützt. Der konkrete Vorwurf: der heute 79-jährige Hoffmann habe in der schicksalhaften Nacht zum 21.8. angeordnet, die Sendeanlagen des Tschechoslowakischen Rundfunks abzustellen23. Jene "Funkstille" hätte garantieren sollen, dass die erste Radiomeldung über die dramatischen Ereignisse erst später über den Äther ging - und zwar bereits von jenen Kräften in der Partei, die mit den Sowjets kollaborierten und den Einmarsch im Nachhinein rechtfertigten. Zum Vaterlandsverrat gehört allerdings auch eine aktive Zusammenarbeit mit den fremden Armeen oder ihrer politischen Führung. Und die konnte man Hoffmann nicht nachweisen. Daher gab es in diesem Punkt, der ein Strafmaß von bis zu 15 Jahren vorsehen würde, einen Freispruch. Hoffmann in einer ersten Reaktion: "Für positiv und entscheidend halte ich, dass das, was hier im Laufe von Jahren behauptet wurde, nun durch das Gericht widerlegt ist. Nämlich, dass ich des Hochverrates schuldig bin. Ich meine, das Gericht hat nun gezeigt, dass das eine Lüge war. Eine zweckgerichtete Lüge." Dass man Hoffmann keine direkte Kooperation mit den Invasionstruppen vorwerfen konnte bedeutet jedoch nicht, dass er von jeder Schuld freigesprochen wurde. Das Gericht sah es nämlich als erwiesen an, dass Hoffmann mit seiner Anordnung die Verlautbarungen des zu diesem Zeitpunkt noch legitimen und von den Reformkräften des "Prager Frühlings" dominierten Vorstandes der Kommunistischen Partei unterdrücken wollte. Urteil: Vier Jahre unbedingte Haft wegen Missbrauchs der Amtsgewalt. Die Rechtfertigung Hoffmanns, er habe das Verstummen des Rundfunks nur auf indirekte Anweisung des damaligen Präsidenten Ludvik Svoboda befohlen, sah das Gericht als nicht glaubwürdig an. Hoffmann legte sofort Berufung ein. Er habe seine Kompetenzen nicht missbraucht: "Auch das entspricht nicht den Tatsachen. Aber ich verstehe das: Der politische und mediale Druck ist so groß, dass es derzeit offensichtlich noch nicht die entsprechenden Bedingungen für einen Freispruch gibt." 23 Hervorhebung im Orginal 25 Was Hoffmann dabei übersieht: Es handelt sich nach zwei Schuldsprüchen im Jahre 1990 und 1992 erst um die dritte Verurteilung eines ehemaligen kommunistischen24 Spitzenfunktionärs überhaupt. Und im Zusammenhang mit dem August 1968 waren erst voriges Jahr zwei andere, ehemals hochrangige Angeklagte freigesprochen worden. Source: Czech Radio © Copyright 1996, 2009 http://www.radio.cz/de/artikel/41626 Zugriff 22.5.2009 5.2. Erinnerung an polnische Solidarität Persönliche Erinnerung an polnische Solidarität 1968 20-09-2008 00:55 | Jitka Mládková Am 7. September 1968 legte er spät abends seine Armbanduhr auf den Nachttisch seines ältesten Sohnes und verließ das Haus. Mit dem Zug fuhr er nach Warschau. Einen Tag später hat er sich im dortigen „Stadion des Jahrzehnts“, wo das Erntefest gefeiert wurde, vor den Augen tausender Menschen und der anwesenden Staats- und Parteispitze verbrannt hat: Ryszard Siwiec. Nicht nur ihm hat Jitka Mládková ihr heutiges Feuilleton gewidmet. Ryszard Siwiec Es war ein radikaler politischer Protest gegen die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Warschauer Paktstaaten. An dieser beteiligten sich auch fast 30 000 polnische Soldaten. Ein Teil der polnischen Bevölkerung hat das als eine Schande für die gesamte Nation empfunden. Auch Ryszard Siwiec, dessen Tat trotz öffentlicher Durchführung die kommunistische Macht für ganze 20 Jahre streng geheim zu halten wusste. Dass über ihn auch die Tschechen nichts wussten, steht außer Zweifel. Sein Name ist aber bis heute auch für die breite Öffentlichkeit hierzulande eher unbekannt. Dass es auch eine polnische Fackel gab, der nur vier Monate später die tschechische namens Jan Palach folgte, wissen leider nur wenige. Daran konnte auch Siwiec´ Auszeichnung mit dem hohen tschechoslowakischen Tomáš-Garrigue-Masaryk-Staatsorden, den ihm 2001 Präsident Václav Havel in memoriam verliehen hatte, offenbar wenig ändern. 24 Hervorhebung im Orginal 26 Ryszard Siwiec verbrannte sich auf dem (sic!) Stadion in Warschau Die heutige Erinnerung an den Polen, der durch seine Tat nicht nur gegen die Okkupation der Tschechoslowakei protestierte, sondern auch vor dem totalitären Regime warnen wollte, möchte ich mit der Erinnerung an ein persönliches, für „Außenstehende“ etwa banales Erlebnis verbinden. Seit 40 Jahren kehrt es hie und da in mein Gedächtnis zurück. Und so war es auch diesmal, als ich vor wenigen Tagen aus aktuellem Anlass Neues über Ryszard Siwiec gelesen und gehört habe. Ein paar Monate nach dem 21. August 1968 fuhr ich nach Polen, nach Katowice / Katowitz, um dort in einem Krankenhaus am Rande der Stadt einen Besuch abzustatten. Als ich das Krankenhaus etwas später verlassen hatte, stieg ich - in Gedanken vertieft - fast automatisch in ein dort wartendes Taxi ein. Der Gesichtsausdruck des Taxifahrers verriet sofort, dass ich kein erwarteter Fahrgast war. Ich durfte aber bleiben, bis eine Klientin kam, und gemeinsam mit ihr in das Stadtzentrum fahren. Unterwegs kam dies und jenes zur Sprache, darunter auch die Okkupation der Tschechoslowakei. Doch bei diesem Thema hat unsere gemeinsame Fahrt nicht geendet. Als aber die Polin, vom Typ her eine Normalbürgerin würde ich sagen, später aus dem Auto ausstieg, spuckte sie kräftig auf den Boden mit den Worten: „Die Schweine!“ Eine Erläuterung kam unmittelbar danach. Mit Schweinen meinte sie die polnischen Politiker, die ihre Soldaten in die Tschechoslowakei geschickt hatten. Auch sie hat das als eine Schande empfunden. Für mich war es ein unsagbar starker Ausdruck der Solidarität, den ich bis heute nicht vergessen habe. http://www.radio.cz/de/artikel/41626 Zugriff 22.5.2009 5.3. Gespräch mit Jiří Gruša Heute am Mikrophon Prager Frühling unter Sowjetpanzern begraben: Lektion für westliche Intellektuelle 07-09-2008 00:55 | Jitka Mládková Vor etwa zwei Wochen wurde in Tschechien der Besetzung der ehemaligen Tschechoslowakei vor 40 Jahren gedacht. Unter den rollenden Panzern endete damals die weltweit als Prager Frühling bezeichnete Reformbewegung. Ihre Träger schrieben sich das 27 Motto „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ auf die Fahne. Trotz großer Euphorie über das plötzliche Tauwetter im Lande haben viele nicht an den erfolgreichen Ausgang der Reformbewegung hierzulande geglaubt, vielmehr aber gehofft. Auch heute stößt man immer noch auf recht unterschiedliche Bewertungen des damaligen Geschehens, wie es bereits 1969 bei der Polemik zwischen Milan Kundera und Václav Havel der Fall war. In der heutigen Ausgabe der Sendereihe „Heute am Mikrophon“ bringen wir ein Gespräch mit dem ehemaligen tschechoslowakischen und tschechischen Botschafter in Bonn und Wien, Jiří Gruša. Jiří Gruša Elf Monate politische Krise und zugleich die interessanteste Zeitperiode in der Geschichte der ehemaligen Tschechoslowakei, in der es keine Sieger gab – so sieht der international bekannte tschechische Schriftsteller und Diplomat Jiri Gruša den so genannten Prager Frühling. Gorbatschow und seine Perestroika bezeichnet er als einen verpäteten Versuch, auf einem Reformweg etwas Ähnliches zu erreichen. Das „formlose“ sei aber nicht zu „reformieren“, sagt Gruša gerne mithilfe eines Wortspiels. Der Ausgang des Prager Frühlings hatte bekanntlich nicht nur für die Tschechoslowakei allein weitreichende Konsequenzen. Immerhin, als „Versuchskaninchen der europäischen Zukunft“ waren die Tschechen nicht schlecht, sagte Jiří Gruša mit einem Schuß Ironie in einem Interview. Über Europa rollte 1968 eine Welle der Revolution. Wie haben Sie persönlich die damaligen Ereignisse wahrgenommen? „Ehrlich gesagt haben wir damals unsere eigene Lage intensiver wahrgenommen, als die in den umliegenden Ländern. Ich durfte 1967 das erste Mal in den Westen, nach Westberlin, fahren. Dort musste ich plötzlich feststellen, dass sich da eine ganz andere Mentalität entwickelte, die eigentlich das, was wir so bezweifelten, begeistert wahrgenommen hat. Die jungen Leute von der Technischen Universität in Berlin fuhren nicht nach Prag, obwohl das ziemlich einfach war. Es waren ja nur 250 oder 300 Kilometer. Die flogen aber lieber nach Nicaragua, anstatt sich den Sozialismus bei uns anzuschauen. Das war der Unterschied zwischen uns und den Westlern. Es war ähnlich wie bei uns eine Explosion der jungen Generation, die sich ebenso wie wir mit den verkrusteten Verhältnissen in ihrem Land beschäftigte. Nach der Invasion und der Besetzung von Prag war das natürlich auch eine Lektion für die Wessis. Endlich haben sie gesehen, dass der Sozialismus mit einem menschlichen Antlitz eine Illusion war. Wenn man so etwas behauptet, dann sagt man eigentlich: ´Der Sozialismus hat ansonsten eine tierische Fratze. Zehn Jahre nach dem Prager Frühling war der Westen nicht mehr rot, sondern grün.“ 28 Prager Frühling 1968 (Foto: www.68.usd.cas.cz) Daher haben Sie auch heute bei der Diskussion auf dem Prager Schriftstellertreffen gesagt, dass der Prager Frühling eine brüderliche Hilfe für die linken Intellektuellen gewesen sei. Noch einmal kurz zurück zu der Reise nach Westberlin. Sind Sie damals mit Rudi Dutschke zusammengetroffen? „Damals noch nicht. Aber ich wusste schon, dass es ihn gab. Beim Treffen mit den jungen Leuten von der Technischen Universität ereignete sich Folgendes: Stellen Sie sich vor, eine Dame hat mich gefragt, was die Aufgabe der Literatur sei. Ich habe mir gedacht: Was? Die Aufgabe der Literatur? Das klang wie eine Überschrift von der Titelseite aus Rudé právo, dem Parteiorgan der tschechoslowakischen Kommunisten. Die Literatur hat doch nur eine Aufgabe, und zwar diejenige, die man sich selbst individuell stellt und beantwortet. Und dann ist einer der Studenten aufgestanden und hat gesagt: ´Junger Mann, was reden Sie da für einen bourgeoisen Stuss?´ Ich war damals das erste Mal im Westen, vorher wurde ich schon einmal strafrechtlich verfolgt. Wir haben hart diskutiert. Nach dieser Diskussion, es war zwanzig Minuten vor zehn Uhr abends, musste ich zurück nach Prag, weil ich die Ausreisegenehmigung nur für 24 Stunden bekommen hatte. Um 0.00 Uhr musste ich wieder zurück sein. Wir haben den Saal verlassen, die Stundenten sind in ihre Autos gestiegen und waren schnell weg. Ich stand alleine auf der Treppe und war total verdattert, denn bei uns ein Auto zu haben, war nicht einmal den Söhnen der Parteibosse erlaubt. Ich habe mir gesagt: In dieser Welt stimmt etwas nicht.“ 1. Mai 1968 (Foto: www.68.usd.cas.cz ) Das war also in 1967. Im Januar 1968 kam es zu einem Umsturz. Präsident Novotný wurde abgesetzt und in die Position des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch) Alexandr Dubček emporgestiegen. „Er war sozusagen ein neues Gesicht für die kommunistischen Verhältnisse. Er hatte nicht so ein Mördergesicht wie die alten Stalinisten. Es lag an seiner Austrahlung, außerdem hat er hat auch niemanden ermordet oder einen Befehl in diesem Sinne erteilt. Da war so eine große Kraft in seinem Gesicht, Charisma nennt man das heute. Aber gleichzeitig war er auch kein begabter Politiker. Er war ein Zufallsprodukt der Streitigkeiten der damaligen politischen Situation. Politisch war er der Zeit nicht gewachsen. Es kam zu einer seltsamen 29 Entwicklung, in der auch Zufälle eine Rolle spielten und den so genannten Prager Frühling herbeiführten.“ Sehen Sie jetzt Dubček in einem klareren Licht mit 40 Jahren Zeitabstand oder auch schon 1968? Alexandr Dubček „Ich habe ihn schon damals als ein Zufallsprodukt betrachtet und als jemanden, der etwas hineinbringt, was diese unerwartete Entwicklung ermöglicht. Er war für mich keine große Persönlichkeit, und für meine ganze Generation auch nicht. Das war der Unterschied zwischen uns und den Wessis. Nachdem er im Herbst 1968 die so genannten Knüppelgesetze unterschrieben hatte, war er politisch ruiniert. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht glücklich gewesen wären, als er 1989 wieder aufgetaucht war. Als Botschafter habe ich später Dubček, der Parlamentspräsident wurde, getroffen und habe dann zwei oder drei Mal mit ihm auch gesprochen. Bei dieser Gelegenheit habe ich dann meine Gefühle aus der Jugend bestätigt bekommen. Es war etwas Spontanes in ihm, aber keine politische Reife. Und eigentlich war das Göttliche an der ganzen Geschichte die Unvorhersehbarkeit der gesamten Entwicklung um den Prager Frühling.“ Haben Sie vor der sowjetischen Invasion 1968 daran gedacht, wie der ganze politische Prozess enden könnte? „Jeder hat gespürt, dass etwas in der Luft hing. Aber meine Generation und ich selbst auch, wir haben die Russen für klüger gehalten. Diese Invasion war das Dümmste, was sie machen konnten, denn die hat sie letztendlich ruiniert. Es hat natürlich gedauert, aber es war eine imperiale Dummheit und das verzeiht die Geschichte nicht.“ Jiří Gruša Worin sehen Sie persönlich den Vedienst des Prager Frühlings und sein Vermächtnis? „Ich habe es ja schon gesagt: Es war die brüderliche Hilfe an die westlichen Intellektuellen, endlich mal mit dem Unfug der angestrebten Reparatur des Kommunismus aufzuhören. Sie sind nicht rot, sondern grüner geworden. Und das war schon eine andere, intelligentere 30 Ideologie. Und Dutschke war, wenn ich mich richtig erinnern kann, später auch nicht mehr rot sondern grün.“ Was sagen Sie dazu, wenn Sie hierzulande am 1. Mai einen Umzug mit jungen Leuten sehen, die rote Fahnen mit dem Hammer- und Sichel-Emblem schwenken? „Wir sind eine dumme Nation. Das heisst, wir sind die einzige Nation der Welt, die sich 1948 einen sowjetischen Sozialismus mit dem Stimmzettel in der Hand ins Haus geholt hat. Das war kein Zufall, weil es unsere alte Tradition ist. Ich wundere mich nicht darüber. Ich wundere mich nur, dass sie so zahlreich sind.“ Sehen Sie da eine Gefahr für die Zukunft? „Nein, denn wir sind endlich Teil einer intelligenteren Völkergemeinschaft.“ Quelle: Radio Prag Zugriff 22.5.2009 © Copyright 5.4. Augenzeugenbericht Truppen in Prag 1968 1996–2009, vom http://www.radio.cz/de/artikel/108000 Einmarsch der Warschauer Pakt Der Vater des wieninternational.at-Korrespondenten in Prag, Jan Krcmar, der langjährige ČTK-Redakteur und spätere Osteuropa-Korrespondent für die britische Weltagentur Reuters in Wien, Jan „Johnny“ Krcmar, berichtet exklusiv, wie er vor 40 Jahren den Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in Prag miterlebt hat. „Die letzte Nachricht der freien ČTK Nachrichtenagentur“ Der kleine Sowjet-Soldat mit einem Helm, zu groß für ihn, stürmte in den Newsroom, kauerte sich in der Eingangstür nieder, den Finger am Abzug seines automatischen Gewehres, und machte den Eindruck, mehr verängstigt zu sein als Angst zu machen. Hinter ihm war ein Mann in Zivilkleidern, der auf Russisch schrie: "Alles stoppen", und anfing, Telex Streifen aus Übertragungsmaschinen herauszureißen, in die sie tickerten. Es war um 22:30 Uhr des 21. August 1968. Nachdem die einmarschierenden Sowjettruppen den Großteil des Tages nach dem Gebäude der Tschechoslowakischen Nachrichtenagentur ČTK gesucht hatten, fanden sie uns schließlich. Aber bevor sie unser Stockwerk erreichten, gelang mir noch, die Nachricht abzusetzen, dass wir besetzt würden. Die zweite Meldung begann mit dem Satz: "Das ist die letzte Nachricht der freien ČTK Nachrichtenagentur". Sie wurde mitten im Satz abgebrochen. Damit hatte ein langer und außergewöhnlicher Tag begonnen. Es begann etwa um 2:30 Uhr morgens mit dem Dröhnen schwerer Maschinen, die im Tiefflug über das Zentrum von Prag hinwegdonnerten. Das Radio war verstummt. Aber plötzlich verlas ein Mann auf Tschechisch mit einem schweren deutschen Akzent eine Meldung, wonach die Armeen des Warschauer Paktes gekommen wären, "brüderliche Assistenz" zu leisten und die Tschechoslowakei vor einer Konter-Revolution zu retten. 31 Panzer walzen Widerstände nieder Die Russen marschieren ein Ich rief die ČTK an, keine Antwort. Dann rief ich einen Freund an und sagte ihm, die Russen würden einmarschieren. "Hör' auf, dumme Witze zu reißen, und ruf mich wieder an, wenn Du nüchtern bist", sagte er schlaftrunken und knallte den Hörer auf die Gabel. Dann ging Radio Prag wieder mit einer Erklärung des Präsidiums der Kommunistischen Partei auf Sendung, das Land werde illegal besetzt, die Bevölkerung solle Ruhe bewahren und keinen Widerstand leisten, um ein Blutbad zu verhindern. Im frühen diffusen Morgengrauen steuerte eine lange Kolonne gepanzerter Autos voll mit Soldaten in typischen russischen Uniformen auf das Gebäude des Rundfunks zu, nur wenige Häuserblöcke entfernt, wo ich damals wohnte. Ein Busfahrer, der den gepanzerten Autos entgegen fuhr, riss plötzlich sein Fahrzeug herum und blockierte mit seinem Bus die Straße zum Radio. Ein zweiter und dritter Bus taten dasselbe. Als die Truppen-Transporter zum Stillstand kamen, liefen Menschen gegen sie zusammen und ballten ihre Fäuste. Dann rollten die ersten Panzer die Hauptstraße hinunter, machten bei der Bus-Barriere kurzen Halt, krachten hinein und zwangen die Busse zur Seite. Aufgebrachte Tschechen kletterten auf die Panzer und schlugen mit bloßen Händen auf die Luken ein. Einige versuchten, die Panzer mit ihren vollen Reservetanks hinten in Brand zu setzen. Schüsse wurden in die Luft gefeuert und die Panzer erzwangen sich langsam durch die Mengen Zufahrt zum Radio Gebäude. Bald darauf verstummten Lautsprecher und das Rundfunkgebäude. Radio Prag ging von Sendung. Freiheits-Symbole, Endlos-Diskussionen mit Besatzern 32 Als Invasoren verachtet Ein Panzer fing Feuer. Die Flammen griffen auf ein nahes Geschäft über. Überall war totale Konfusion. Die Sowjettruppen waren verwirrt, feuerten immer wieder Schüsse ab und waren völlig überrascht, nicht als Befreier willkommen, sondern als Invasoren verachtet zu werden. Der Wenzelsplatz im Zentrum von Prag war voll gepackt mit Panzern, auf denen russische Soldaten bedrückt saßen, umgeben von Menschenmengen, einige in Tränen, andere versuchten den Russen zu erklären, dass sie nicht willkommen wären. Während das Radio bald wieder Sendungen von einer Untergrundstation aufnahm, setzten wir in ČTK unsere Berichterstattung fort. Uns war aber nicht klar, wie lange unsere gesamte Redaktions-Mannschaft noch Zeit haben würde, bis die russischen Truppen auch uns besetzen würden. Kurz nachdem dann der erste Soldat in unseren Newsroom kam, folgte ihm ein anderer, und wir 30 Journalisten saßen alle da, trauten uns kaum zu sprechen und überlegten, was nun mit uns weiter geschehen würde. Prager Wenzelsplatz von Panzer-Kolonnen umzingelt „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ Das Eis wurde durch eine dralle Kollegin gebrochen, die laut verkündete, sie müsste zur Toilette, und verlangte, von einem der Soldaten begleitet zu werden, weil sie nicht auf dem Korridor unter Beschuss kommen wollte. Einer der Soldaten ging mit ihr, wartete auf sie und begleitete sie wieder zurück. Wir begannen mit den Soldaten zu reden und fragten sie, warum sie in Prag wären. Sie antworteten, ihnen sei gesagt worden, der Grund liege darin, dass sie einen Bürgerkrieg verhindern sollten, aber überrascht wären, auf derart große Feindschaft zu treffen. Wir haben ihnen umgekehrt erklärt, dass wir uns in den vergangenen acht Monaten bemüht hätten, ein System zu kreieren, in dem alle Menschen frei leben, arbeiten und reden könnten, und versuchten klar zu machen, was unter dem Begriff "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" gemeint war. Die jungen Russen standen in der Eingangstür zum Newsroom, hörten uns zu und versuchten zu verstehen, was wir ihnen sagen wollten. Dann warf einer einen Blick aus der Tür in den Korridor und deutete mit seinen Händen, wir sollten ruhig sein und auf unsere Plätze zurückkehren. Augenblicke später kam ein Offizier, schaute herum und ging wieder. Worauf der junge Soldat schmunzelte und uns deutete, dass wir wieder reden könnten. 33 Alexander Dubček, 1968 gescheitert, nach der Wende rehabilitiert Zurück blieben Einschüsse und Narben Nach Mitternacht wurde uns plötzlich gesagt, wir müssten das Gebäude verlassen und nach Hause gehen. Wir fanden uns in dunklen Straßen und auf dem Wenzelsplatz wieder, wo es noch immer nach Rauchschwaden von Schießpulver roch, die russische Kanonen über die Köpfe von Demonstranten abgefeuert hatten, die auf der Rampe des Nationalmuseums standen. Noch Jahre später waren am Museum Einschüsse zu sehen. So endete der Tag, der die Niederwerfung von acht Monaten einer Bewegung markierte, die versucht hatte, zu reformieren, was sich als unreformierbar erwiesen hatte und als der Prager Frühling bekannt wurde. Und noch lange Zeit später, als die Einschuss-Narben am Nationalmuseum bereits repariert waren, blieben die Narben, an denen 15 Millionen Menschen noch für mindestens weitere 20 Jahre zu leiden hatten. Am Nachmittag des 27. August 1968 verkündete die emotionale Stimme des reform-kommunistischen Parteiführers Alexander Dubček, die zeitweise in Tränen erstickte, dass alles vorbei war. (Johnny Krcmar) Fotos © Josef Koudelka/Magnum Photos; Archiv Národního muzea. Autor: B. Novotný; Franz Goëss erstellt am: 2008-08-20 http://www.wieninternational.at/de/node/9942 Zugriff 22.5.2009 6. Glossar Hier finden Sie kurze Erläuterungen zu Abkürzungen und Begriffen, die in diesem Dossier vorkommen. APA: Die Austria Presseagentur ist die Österreichische Nachrichtenagentur.25 AFP: Agence France-Presse ist die älteste der internationalen Nachrichtenagenturen, sie wurde 1835 von Charles-Louis Havas als "Agence des feuilles politiques, correspondence générale" gegründet. Am 20.August 1944 zog eine Gruppe von Journalisten in das Gebäude der Agentur ein und gab ihr den heutigen Namen.26 25 26 vgl. http://www.apa.at/cms/site/standard.html?channel=CH0003 Vgl. http://www.afp.com/afpcom/de/content/afp/uber-afp 34 Austria Wochenschau: (1949-1982) Österreichische Nachrichtenschau, die wöchentlich in den Wochenschaukinos und den wichtigsten Programmkinos aktuell lief. Kleiner Kinos brachten die Kopien mit Zeitverzögerung.27 ČSR: Tschechoslowakische Republik (Československá republika) Offizieller Staatsname 1918-1938 bzw. 1945-196028 ČSSR: Tschechoslowakische Sozialistische Republik socialistická republika) Offizieller Staatsname 1960-199029 (Československá ČTK: Nachrichtenagentur der Tschechoslowakei.30 DDR: Ist am 7.10.1949 aus der sowjetischen Besatzungszone entstanden. Nach dem Beschluss der Volkskammer über den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland, wurde die Wiedervereinigung am 3.10.1990 vollzogen.31 DPA: Deutsche Presseagentur, Agenturen gegründet.32 1949 durch Zusammenschluss dreier Häresie: Bedeutet bezeichnet im Religiösen eine Lehre, die von der herrschenden (z.B. einem Dogma) abweicht. Im Kommunismus, insbesondere im Stalinismus ist es ein Kampfbegriff zur Verfolgung und Verurteilung von Personen, die von der herrschenden Parteidoktrin abweichen. Parallele Begriffe sind Renegatentum, Revisionismus oder Opportunismus.33 Neues Deutschland: Tageszeitung, Zentralorgan der SED34 Newsroom: dtsch. Nachrichtenredaktion, Redaktion, Redaktionsraum35 NVA: Die Nationale Volksarmee war die Armee der DDR. Die Gründung erfolgte im Zuge des Beitritts der DDR zum -> Warschauer Pakt durch den Gesetzesbeschluss der Volkskammer vom 18.1.1956.36 Quisling: Bezeichnung für einen Landesverräter, geht auf Vidkun Quisling (1887-1945) zurück. Der ehemalige Offizier und Politiker stand an der Spitze einer faschistischen Partei in Norwegen, kollaborierte mit dem Deutschen 27 Ballhausen, Thomas, Maragh-Ablinger Renate (2007) Das audiovisuelle Gedächtnis einer Nation: Zur Geschichte der Austria Wochenschau, in: Medienimpulse Nr. 59, März, S. 69-71, http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/ballhausen_aw_01.pdf Zugriff: 8.9.2009 28 http://de.wikipedia.org/wiki/Tschechoslowakei 29 http://de.wikipedia.org/wiki/Tschechoslowakei 30 vgl. http://www.ctk.eu/about_ctk/ 31 Deuerlein, Ernst (Hg.) (1966) DDR. Geschichte und Bestandsaufnahme.dtv dokumente Bd. 347, München, S.86ff, Jordan, Bernd, Lenz, Alexander (Hg.) (1996) Weltpolitik im 20. Jahrhundert. Lexikon der Begriffe. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, S. 99 32 http://www.dpa.com/Historie.54.0.html 33 http://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%A4resie#Weitere_Religionen_und_Weltanschauungsgruppen 34 BM für innerdeutsche Beziehungen (Hg.) (1975) DDR Handbuch. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, S.675 35 http://www.didactics.eu/index.php?glossar#N 36 BM für innerdeutsche Beziehungen (Hg.) (1975) DDR Handbuch. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, S.587ff 35 Reich nach dem Überfall von 1940. War seit 1940 Ministerpräsident und wurde nach dem Ende des WK II verhaftet und nach seiner Verurteilung zum Tod, hingerichtet.37 Reuters: Diese Agentur wurde 1850 von Paul Julius Reuter in Aachen gegründet. Ist seit 2008 durch Zusammenschluss mit dem Thomson Konzern, eine der bedeutendsten internationalen Agenturen mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsinformationen.38 Revisionismus: Bedeutet (a) im völkerrechtlichen Sinn den Versuch, für das eigene Land nachteilige Bestimmungen in internationalen Verträgen rückgängig zu machen. Ist (b) ein politischer Begriff, der ursprünglich eine Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie zu Beginn des 20. Jahrhunderts war und von der Idee ausging, die Transformation der Gesellschaft solle innerhalb des herrschenden Systems und nicht durch Revolution stattfinden. Wird zu einem Kampfbegriff der Kommunisten zur Verurteilung und Verfolgung von abweichenden Meinungen.39 Rudé Právo: Seit 1920 Tschechoslowakei, nach kommunistischen Partei.40 Organ der kommunistischen Partei der der Staatsteilung der tschechischen SED: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, entstand 1946 aus dem weitgehd erzwungenen Zusammenschluss der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Kommunistischen Partei Deutschlands in der sowjetischen Besatzungszone und in Berlin.41 TASS: TASS war die russische Nachrichtenagentur in der Zeit der UdSSR.42 Tomáš-Garrigue-Masaryk-Staatsorden: benannt nach dem ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk43 (1850-1937). Der Orden wurde 1990 in der ČSFR (Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik) gestiftet und 1994 nach der Staatsteilung in der Tschechischen Republik erneuert. Er wird an Einzelpersonen durch den Staatspräsidenten verliehen, die sich durch herausragende Leistungen um die Förderung der Demokratie, der Menschlichkeit und der Menschenrechte verdient gemacht haben44 37 Bernd, Lenz, Alexander (Hg.) (1996) Weltpolitik im 20. Jahrhundert. Lexikon der Begriffe. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, S.365 38 http://de.wikipedia.org/wiki/Reuters#Gr.C3.BCndungshaus_in_Aachen, http://thomsonreuters.com/about/ 39 Bernd, Lenz, Alexander (Hg.) (1996) Weltpolitik im 20. Jahrhundert. Lexikon der Begriffe. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, S.381 40 vgl. http://www.economicexpert.com/a/Rude:Pravo.htm 41 Deuerlein, Ernst (Hg.) (1966) DDR. Geschichte und Bestandsaufnahme.dtv dokumente Bd. 347, München, S.743ff 42 vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/ITAR-TASS 43 http://www.czecot.com/de/personlichkeit/105_tomas-garrigue-masaryk 44 http://de.wikipedia.org/wiki/Tom%C3%A1%C5%A1-Garrigue-Masaryk-Orden 36 UPI: Amerikanische Nachrichtenagentur, die 1907 von dem Zeitungsverleger Edward Willis Cripps als United Press (UP) gegründet worden war und 1958 mit dem 1909 entstandenen Internationals News Service (INS) des späteren Zeitungstycoons William R. Hurst zusammengeschlossen wurde.45 Warschauer Pakt: Das Militärbündnis der sozialistischen Länder Osteuropas wurde am 14.5.1955 in Warschau gegründet, um ein ein militärisches Gegengewicht zum westlichen Verteidigungspakt (NATO) zu schaffen.46 ZK: Das Zentralkomitee ist in kommunistischen Parteien, nach den Parteitagen das nominell höchste Organ. Es bestimmt die Mitglieder des Politbüros (Leitung des Staates) und des (General)Sekretariats, des Vollzugsorgans, der eigentlichen politischen Führung.47 7. Didaktik Unterricht ist ein komplexes soziales Geschehen, das stets mit konkreten Personen stattfindet. Im Sinne der prozessorientierten Didaktik48 sind Kommunikation, didaktische Planung, thematische Abgrenzbarkeit sowie hinreichende zeitliche Ausdehnung49 wesentliche Merkmale. Vorrangig sollen Bildung bzw. Wissen aber auch Kompetenzen50 vermittelt werden. Eine Aufgabe für LehrerInnen des Faches GSK/PB besteht darin für die Politische Bildung Lernumgebungen zu schaffen, die es den SchülerInnen ermöglichen durch die Arbeit an konkreten Themen zu erkennen, dass Politik auch immer mit ihnen zu tun hat. Die ausgewählten Unterrichtsbeispiele knüpfen an der den SchülerInnen vertrauten Lebenswelt der audiovisuellen Medien bzw. der Neuen Medien und Print-Medien an. Die Beispiele sollen durch die Arbeit am Thema „Der Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in Prag 1968 und das Ende des Prager Frühlings“ den Erwerb sowie die Vertiefung der Medien-, politischen Methoden-, Sach- und Urteilskompetenz51 fördern. Ebenso haben die Unterrichtsvorschläge das Ziel ein reflektiertes und (selbst)reflexives politisches Bewusstsein bei den SchülerInnen zu entwickeln. Dieser Vorgang geht über die bloße Aneinanderreihung von Fakten und Daten, aber auch 45 http://de.wikipedia.org/wiki/United_Press_International, http://about.upi.com/ Jordan, Bernd, Lenz, Alexander (Hg.) (1996) Weltpolitik im 20. Jahrhundert. Lexikon der Begriffe. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, S.472f 47 Jordan, Bernd, Lenz, Alexander (Hg.) (1996) Weltpolitik im 20. Jahrhundert. Lexikon der Begriffe. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, S.493f 48 http://www.didactics.eu/index.php?id=37 49 Helmke, Andreas (2009) Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität, Klett, Kallmeyer, Seelze-Velber, S. 169f 50 http://www.didactics.eu/index.php?id=1211 51 Krammer, Reinhard, Kühberger, Christoph, Windischbauer, Elfriede (Hg) (2008) Die durch Politische Bildung zu erwerbende Kompetenzen, Hsg. v. Bundesministerium für Unterricht, Kunst, Kultur, Wien 2008, Seite 6. http://www.politik-lernen.at/politiklernen/resources/oldbin/_data/pdf/Kompetenzmodell_Politische_Bildung.pdf Zugriff 28.08.09 46 37 simple historische Fragestellungen hinaus und würde darauf reduziert auch zu kurz greifen. Daher sollen über die Beschreibung des historischen Geschehens hinaus, Erklärungsansätze sowie Handlungsanleitungen erarbeitet werden. 7.1 Arbeitsaufgaben 7.1.1. Vorbemerkung Die didaktischen Vorschläge sind keine fertigen Stundenbilder, da sich im Sinne der prozessorientierten Didaktik, die konkrete Umsetzung des Themas in der Klasse an den konkreten Adressaten orientiert. Die Vorschläge sollen helfen den Paradigmenwechsel des neuen Lehrplans 2008 von der Wissensvermittlung zum Kompetenzlernen52 auch konkret umzusetzen. Bei den auditiven Quellen werden für die Unterrichtsbeispiele nur jene berücksichtigt, zu denen eine Transkription vorliegt. Selbstverständlich sind auch alle anderen unter Quellen angeführten Journale einsetzbar, es sollte nur das Hörverständnis der SchülerInnen berücksichtigt werden. Es wird unter Umständen auch notwendig sein, die eine oder andere Textstelle für den konkreten Unterrichtseinsatz zu kürzen. 7.1.1.1. Lehrplanbezug Sekundarstufe I, 4. Klasse53 - Der Zweite Weltkrieg und die internationale Politik nach 1945 -Kalter Krieg, Blockbildung und … -Medien und deren Auswirkung auf das Politische; Manifestationen des Politischen (mediale Berichterstattung, politische Inszenierungen, Wahlwerbung). Sekundarstufe II (AHS)54 7. Klasse - das bipolare Weltsystem 1945-1990, sein Zusammenbruch und die Transformation des europäischen Systems (Folgen des Zweiten Weltkrieges, z.B. Vertreibungen; Ost-West-Konflikt; Bündnissysteme und internationale Organisationen; neuer Imperialismus; Zerfall der Sowjetunion; Entwicklung neuer Demokratien) - emanzipatorische, soziale Bewegungen und Gegenströmungen nach 1945 (Frauen-, Jugend- und Studentenbewegungen; Demokratisierungswellen; Friedens- und Anti-Atom-Bewegung; Neokonservativismus, Neoliberalismus) 52 53 54 http://www.didactics.eu/index.php?id=1045 http://www.geschichtsdidaktik.eu/index.php?id=83 http://www.geschichtsdidaktik.eu/index.php?id=88#c92 38 - politisches Alltagsverständnis - die verschiedenen Dimensionen und Ebenen von Politik, Formen und Grundwerte der Demokratie und der Menschenrechte, Motivationen und Möglichkeiten politischer Beteiligungs-, Entscheidungs- und Konfliktlösungsprozesse 8.Klasse - Rolle der Medien zwischen Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft (Medienpolitik, Medienstrukturen; Neue Medien; Cyberdemokratie) - Akteure der internationalen Politik, zentrale Konfliktfelder und neue Formen von Sicherheitskonzepten und -strukturen (Vereinte Nationen, Militär- und Wirtschaftsbündnisse; Weltwirtschaftsorganisationen; OSZE; aktuelle Konflikte; Formen nationaler und internationaler Friedensund Sicherheitspolitik Lehrplan HTL Geschichte und Politik V. Jahrgang55 Ost-West-Konflikt (Blockbildung, Krisenherde) Internationale Politik Lehrplan HAK56 Geschichte IV. Jahrgang Ost-West-Konflikt, Blockbildung und Kalter Krieg; Krisenherde Teilung Europas IT Bereich: Einbeziehung des Internets, Tageszeitungen, Filme, Bilder Politische Bildung und Recht IV Jahrgang Zugang zum Recht, Grund- und Freiheitsrechte 7.1.1.2. Kompetenzen In einer Zeit, in der die offenen Grenzen innerhalb großer Teile der EU etwas Selbstverständliches, Krieg und Gewalt in den Medien allgegenwärtig sind, scheinen die Themen Kalter Krieg, Eiserner Vorhang oder die Ereignisse von 1968 in Prag in eine unwirkliche Ferne entrückt. Gleichzeitig sind sie ein 55 56 http://www.htl.at/fileadmin/content/Lehrplan/HTL_Anlage1.pdf http://www.abc.berufsbildendeschulen.at/upload/598_HAK LP 2004-Anlage1.pdf S.23, 48 39 wichtiger Teil der gemeinsamen Geschichte Österreichs und seiner inzwischen aufgeteilten Nachbarstaaten Tschechien und Slowakei. Die Auseinandersetzung mit den in diesem Dossier enthaltenen Medien ermöglichen den SchülerInnen ihre historischen und politischen bzw. Medien- Kompetenzen zu entwickeln. Durch die Arbeit mit den verschiedenen Quellen wird die historische Methodenkompetenz der SchülerInnen gefördert, indem sie Teile der Vergangenheit rekonstruieren und eine historische Narration bilden, in einem weiteren Schritt aber auch durch die Fragekompetenz in der Lage sind die Narration der Wochenschau zu dekonstruieren. Der Vergleich der Quellen, eventuell ergänzt durch entsprechende Einblicke in die vorhandene Literatur zum Thema ermöglicht es ihnen sich im Sinne der politischen Urteilskompetenz ein eigenes Urteil zu bilden. Mit der Anwendung von Begriffen und Kategorien stärken sie ihre politische Sachkompetenz. Die Arbeit mit der Wochenschau bzw. den Hörfunkberichten, -reportagen und die Erstellung einen eigenen Berichts fördert die Entwicklung ihrer Medienkompetenz. 7.1.2. Medienrecherche (Einsatzmöglichkeit 8. Schulstufe) Um festzustellen, was die SchülerInnen über die Vorgänge 1968 in Prag wissen, sollte am Beginn ein Brainstorming stehen. Als nächster Schritt holen die SchülerInnen in Einzelarbeit über das Internet) Grundinformationen zum Thema ein und erstellen eine Chronik der Ereignisse. (nützlicher Link: http://www.demokratiezentrum.org/wissen/wissenslexikon.html In der anschließenden Gruppenarbeit bearbeitet jeweils eine der drei Gruppen eines der folgenden Themen: • der Warschauer Pakt (welche Mitgliedsstaaten, Struktur) • die Sozialistischen Länder (Formal-, Realverfassung) • Prager Frühling Zur Ertragssicherung erstellen sie beispielsweise Plakate, Dossiers oder Power Point Präsentationen. Vorführung der Austria Wochenschau 35/68, Beitrag 1 (Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in Prag) http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=422&index=348 40 Daran anschließend folgt eine von der/dem LehrerIn moderierte Diskussion: “Widerstand - eine heroische Heldentat oder nutzlose Sache?“. 7.1.3. Medienbericht57 (Sekundarstufe II: 7./8.Klasse AHS, 4. Jg. HAK, 5. Jg. HTL) Nach einem LehrerInneninput über die Funktion und den Einsatz von Wochenschauen, wird der Beitrag der Austria Wochenschau 35/68, Beitrag 1 (Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in Prag) http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=422&index=348 vorgestellt. In einer Gruppenarbeit erfolgt die Analyse58 des Films. Gruppe 1: Schreibt in das beigegebene Arbeitsblatt die Ergebnisse eurer Analyse. • Text: Notiert wesentliche Inhalte und Aussagen. • Ton: Wer spricht welche Passagen, Tonfall, Musik? Welche Musikstücke wurden ausgewählt, für welche Stellen? • Bild: Tschechische Bevölkerung: welche Schicht, Altersgruppe dominiert? Warschauer Pakt Truppen: wie verhalten sie sich? Welche Handlungen, Aktionen sind im Bild zu sehen? Arbeitsblatt Filmanalyse59 - Kopiervorlagen siehe Anhang Seite 45 ff Fügt Eure Beobachtungen in die Tabelle ein. Gruppe 2: Vergleicht die Austria Wochenschau 35/68, Beitrag 1 (Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in Prag) http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=422&index=348 mit den Journalen von Ö1.(http://www.didactics.eu/index.php?id=1138 Morgen-, Mittags-, Abendjournal 21.8) Leitfragen: • Wie wird im jeweiligen Medium informiert? • Was unterscheidet die Berichterstattung beider Medien ganz wesentlich? (abgesehen vom grundsätzlichen Unterschied Bildmedium/Tonmedium) • Welche Themen werden jeweils angesprochen? 57 Das Arbeitsblatt und eine Auflösung zu dieser Aufgabe finden Sie Zur Unterstützung können die Seiten von Didaktik online herangezogen werden http://www.didactics.eu/index.php?id=537, hilfreich kann ein Sequenzprotokoll bzw. Einstellungsprotokoll sein. 59 Eine Kopiervorlage für das Arbeitsblatt bzw. eine ausgefüllte Vorlage finden Sie unter 8. Anhang 58 41 Gruppe 3: Analysiert mit Hilfe der angeführten Leitfragen die Artikel im Neuen Deutschland (TASS Meldung) und der Presse 22.8. (Artikel: Sowjetpanzer überrollen „Prager Frühling“). (http://www.didactics.eu/index.php?id=1143) • • • Was unterscheidet beide Zeitungen grundsätzlich? Wie unterscheidet sich der Inhalt der beiden Artikel? Welcher Standpunkt wird im Neuen Deutschland/ in der Presse zu den Ereignissen in der ČSSR vertreten? Alle drei Gruppen präsentieren ihre Ergebnisse. Im anschließenden LehrerInnen-SchülerInnengespräch Ergebnisse der drei Gruppen miteinander verglichen. werden die Jede Gruppe gestaltet eine eigene Reportage . Zum Abschluss erfolgt die Präsentation der Reportagen. 7.1.4. Webquest (Einsatzmöglichkeit 8. Schulstufe) Das Redaktionsteam eurer Schülerzeitung hat beschlossen, einen Artikel zu den Ereignissen in Prag 1968 zu machen. Mit eurer Arbeit sollt ihr die Grundlagen für die Texterstellung liefern. Folgende Fragen sind dabei von Interesse: • • • • • • Was waren die Ursachen/Gründe für den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts? Wie verlief der Einmarsch? Wie reagierte die tschechoslowakische Bevölkerung? Welche unmittelbaren und längerfristigen Folgen hatte der Einmarsch? Welche medialen Reaktionen gab es im Ausland, insbesondere in Österreich? Wie reagierte die UNO? Benutzt bei eurer Recherche folgende Links: http://www.didactics.eu/index.php?id=1139 Austria Wochenschau Ö1 Journale http://www.didactics.eu/index.php?id=1143 Tass Mitteilung Presse 42 Präsentiert eure Ergebnisse (Plakate, Power Point) Verfasst zu den Ergebnissen einen Artikel für eure Zeitung. (möglicher fächerübergreifender Aspekt mit Deutsch) 7.1.5. Wiki (Sekundarstufe II: 7,8. Klasse AHS, 4. Jg. HAK, 5. Jg. HTL) Gruppenarbeit Verfasst einen Wiki Artikel60 zum Prager Frühling und dem Einmarsch der Warschauer Pakttruppen in Prag 1968. Die Gruppen könnten zu folgenden Kapiteln arbeiten: • Prager Frühling • Bewertung des Prager Frühlings • Führende Persönlichkeiten während des Prager Frühlings • Der Warschauer Pakt • Chronik der Ereignisse • Haltung der USA, UdSSR, UNO • Reaktionen in Österreich • Folgen des Einmarsches • Aufarbeitung des Geschehens nach dem Fall des kommunistischen Regimes Links und Quellen http://www.didactics.eu/index.php?id=1139 http://www.didactics.eu/index.php?id=1143 http://www.didactics.eu/index.php?id=1152 Versucht durch Verlinkungen und Einbeziehung von Medien einer Hypertextstruktur zu entsprechen. Vergesst aber nicht auf Quellenzitate! 7.1.6. Zeitungsanalyse (Sekundarstufe II: 7,8. Klasse AHS, 4. Jg. HAK, 5. Jg. HTL) Gruppenarbeit Analysiert die Seiten der Presse 1,2,3 der Ausgabe vom 22,8.1968. Diese findet Ihr als pdf in der online-Version des Dossiers. http://www.didactics.eu/index.php?id=1143 60 Über Wikis und der Arbeit mit ihnen siehe http://www.didactics.eu/index.php?id=223 43 Gruppe 1 Analysiert den Leitartikel von Otto Schulmeister • Was sind die wichtigsten Aussagen in dem Artikel? • Worum geht es in der Biafrafrage? (http://de.encarta.msn.com/Biafrakrieg.html) • Warum bezieht Otto Schulmeister diese Frage in seinen Leitartikel ein? Fasst Eure Ergebnisse für eine Präsentation zusammen (Plakate, Power Point). Gruppe 2 Analysiert die Titelseite der Presse vom 22.8.1968. • Welche verschiedenen Aspekte des Themas Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen werden angeschnitten? • Warum wird die Stellungnahme des rumänischen Staats- und Parteichefs Ceausescu besonders hervorhoben? • Wie unterscheidet sich die albanische Stellungnahme von jener Rumäniens oder Jugoslawiens? Fasst Eure Ergebnisse für eine Präsentation zusammen (Plakate, Power Point). Gruppe 3 Analysiert die Seite 2 der Presse vom 22.8.1968. • Fasst die internationalen Stellungnahmen in zusammengehörige Gruppen zusammen. (z.B. Nato – Mitgliedsländer, Kommunistische Parteien….) • Welche Begründung für den Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen taucht auf dieser Seite mehrmals auf? Wie ist diese zu bewerten? • Warum werden die Gespräche zwischen der BRD und der DDR bis auf weiteres blockiert? Stimmt die zu Grunde liegende Annahme? (Bezieht das Kapitel DDR in den Informationen in Eure Recherche ein ) Fasst Eure Ergebnisse für eine Präsentation zusammen (Plakate, Power Point). Gruppe 4 Analysiert die Seite 3 der Presse vom 22.8.1968. • Wie kam es zur Liberalisierung in der CSSR? • In welchen Schritten kündigt sich das Ende des „Prager Frühlings“ an? • Welche Auswirkungen hat der Einarsch der Warschauer Pakt Truppen auf die globale politische Lage? Fasst Eure Ergebnisse für eine Präsentation zusammen (Plakate, Power Point). 44 Gruppe 5 Analysiert die Seiten 1 und 2 der Presse vom 22.8.1968, bzw. den Leitartikel von Ludwig Marton vom 23.8.1968. • • • Was bedeutet die Überschrift „Nach Blitzaktion werden Marionetten gesucht“? Was soll die Überschrift „Quislinge gesucht“ zum Ausdruck bringen? Konnte die UdSSR solche Personen schließlich finden? 61 Fasst Eure Ergebnisse für eine Präsentation zusammen (Plakate, Power Point). In einem abschließenden LehrerInnen-SchülerInnengespräch werden die wichtigsten Punkte noch einmal zusammengefasst. 8. Übung Zur Überprüfung des erworbenen Wissens besteht die Möglichkeit die Übung in Didaktik online durchzuführen. http://www.didactics.eu/index.php?id=1241 9. Anhang: Arbeitsvorlagen 9.1. Einstellungsprotokoll / Kopiervorlage 61 Bezieht dafür auch das Kapitel Aufarbeitung in diesem Dossier ein 45 Filmtitel: ................................ Sequenz: ............................... Einstellung Länge Min:Sek Zeit fortlaufend Handlung Kamera Musik/Geräusche Sprache Bemerkung Nr. 46 Quelle: http://www.didactics.eu/index.php?id=797#c1243 9.2. Einstellungsprotokoll - Lösungsvorschlag Kopiervorlage Filmtitel: .Austria Wochenschau 35/68,............................ Sequenz: Beitrag 1 (Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in Prag) http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=422&index=348 Einstellung Länge Zeit Min:Sek fortlaufend Handlung Kamera Musik/Geräusche Sprache Bemerkung Nr. 1 0:18 0:18 Vorspann Signation Austria Wochenschau - Drehende Weltkugel 2 0:14 0:32 Kein Bild Les Preludes 3 0:04 0:36 Kein Bild Sprecher pathetisch Meldung OKW 4 0:07 0:43 Kein Bild Sprecherin bestimmt Korrektur der Meldung ..1968 5 0:07 0:50 Panzer rollen über Moldaubrücke GA Fahrgeräusch 6 0:15 1:06 Straßenszene Menschen Panzer GA Schwenk NA Sprecherin bestimmt Hinweis auf Hakenkreuze 7 0:12 1:18 Panzer Menschen Schwenks Nur Umgebungsgeräusche 8 0:18 1:36 Skandierende Menge, Panzer Schwenks,NA Sprecher Menschen tonlos WP Truppen unbewegt emotional Blick auf Hakenkreuze 47 und Appelle 9 0:12 1:48 Menschen GA Allgemeine Geräusche 10 0:21 2:09 Junge Menschen mit Fahnen, Maschierende GA Leises Einsetzen von Musik aus Ma Vlast (Mein Vaterland) (Smetana) 11 0:05 2:14 Wenzelsplatz Wenzel mit russ. Aufschrift, aber auch Dubcek GA Ma Vlast 12 0:09 2:18 Straße LKW GA Ma Vlast 13 0:13 2:31 Studenten skandieren NA Ma Vlast Sprecherin bestimmt Hinweis auf Widerstand 14 0:09 2:40 Rollende Panzer Schwenks NA Nur Geräusche 15 0:06 2:46 Panzer, Straßenszene Schwenks Sprecher Hinweis auf Jugend (vgl.Transkript) 16 0:21 3:07 Straßenszenen GA Leise wieder Ma Vlast Immer wieder Jugendliche zu sehen 17 1:18 4:25 Straßenszenen Unruhige Schwenks, GA, NA Ma Vlast (idyll. Musik in Kontrast zum Geschehen!) Brennende Fahrzeuge Jugendliche mit Fahnen 18 0:15 4:40 Laufende Jugendliche Diskussion mit Soldaten Schwenks, NA Ma Vlast 19 0:30 5:10 Menschen versuchen mit Soldaten zu reden, bleiben teilnahmslos NA Sprecher/Sprecherin 20 1:39 6:49 Soldaten marschieren, Leute fotografieren, Fahnen, Straßensperren Panzer rollen, Soldaten sitze auf. Blick auf Moldaubrücke GA,NA Ma Vlast Musik dramatischer 21 0:30 7:19 Rollende Panzer, Soldaten marschieren hinterher GA unruhige Kamera Übergang zu Les Preludes laut 22 0:07 7:26 Panzer bleibt NA,Schwenk stehen, schwenkt Rohr, aufsitzende Soldaten haben Waffen im Anschlag Jugendliche schwingen Fahne Les Preludes laut 23 0:07 7:33 Panzer NA Sprecher weiter Les Preludes unterlegt 24 0:28 8:01 Panzer, GA Les Preludes pathetisch appellierend 48 Straßensperren, Fahnenschwinger, an Soldaten appellierende Menschen, rollender Panzer 10. Literatur und Links Skilling, H. Gordon Princeton N.J. (1976) Czechoslovakia’s Interrupted Revolution, Hoensch, Jörg K. (1978) Geschichte der Tschechoslowakischen Republik, 1918-1978, Stuttgart Karner, Stefan, Tomilina, Natalja, Tschubarjan, Alexander, Bischof, Günter, Iščenko, Prozumenščikov, Viktor Michail, Ruggenthaler, Peter, Tůma, Ordrich, und Wilke, Manfred (Hg) (2008) Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968, Bd.1: Beiträge, Bd.2: Dokumente, Köln-Weimar-Wien Karner, Stefan (2008) Der "Prager Frühling" - Moskaus Entscheid zur Invasion, http://www.bpb.de/publikationen/T1MRZH,3,0,Der_Prager_Fr%FChling__Mo skaus_Entscheid_zur_Invasion.html#art3 Zugriff 21.5.2009 Williams, Kieran (1997) The Prague Spring and its Aftermath. Czechoslovak Politics, 1968-1970 Cambridge 49