Wandel und Kontinuität in der US-amerikanischen

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Wandel und Kontinuität in der US-amerikanischen
I. Faktoren erweiterter Sicherheit
1. Globalisierung und Weltprobleme
Patrick Keller
W andel und Kontinuität in der US-am erikanischen Außenpolitik
Barack Obama wurde Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, weil er so
überzeugend wie kein anderer Kandidat für eine Veränderung der amerikanischen
Politik stand. Hope und Change waren die zentralen Begriffe seines Wahlkampfes, in
dem er in die Rolle des Anti-Establishment-Kandidaten schlüpfte. Dies gelang ihm
insbesondere durch eine markante Abgrenzung von den außenpolitischen Positionen
seiner Konkurrenten Hillary Clinton und John McCain sowie denen des scheidenden
Präsidenten George W. Bush. Dazu gehörte sein Versprechen, als Präsident ohne
Vorbedingungen das direkte diplomatische Gespräch mit feindseligen Diktatoren wie
Irans Mahmud Ahmadineschad und Venezuelas Hugo Chavez zu suchen und das
umstrittene Gefangenenlager Guantanamo zu schließen.1 Kern seiner Glaubwürdigkeit
als „Anti-Bush“ war seine frühe Ablehnung des Irak-Krieges und seine Forderung,
diesen Krieg so bald wie möglich zu beenden.2
Hohe Erwartungen
Die hohen Erwartungen an einen Wandel, die Obama erzeugte und von denen er
wahlpolitisch profitierte, riefen im Laufe seiner Präsidentschaft jedoch linke wie rechte
Kritiker auf den Plan, die Obamas Außen- und Sicherheitspolitik in großer Kontinuität
zu der seines Vorgängers verorteten: Guantanamo wird auch im sechsten Jahr der
Präsidentschaft Obamas genutzt; der sogenannte Drohnenkrieg im afghanischpakistanischen Grenzgebiet wurde sogar ausgeweitet; die Bemühungen um eine
Verbesserung der Beziehungen zu Gegnern wie Iran und schwierigen Partnern wie
Russland sind gescheitert.
Diese Mischung aus Kontinuität und Wandel ist typisch für die Außenpolitik
amerikanischer Präsidenten. Sie ergibt sich aus der Spannung zwischen der individuellen
1
Vgl. Democratic Presidential Debate, 23. Juli 2007, unter
http://edition.cnn.com/2007/POLITICS/07/23/debate.transcript/
2
Obama war zum Zeitpunkt der Abstimmung über den Irak-Krieg allerdings noch nicht Senator
in Washington und auch noch nicht Kandidat für einen landesweiten Posten. Seine Ablehnung
hatte daher keine unmittelbaren Konsequenzen und er stand nicht unter solchem politischen
Druck wie Clinton und andere aktive Senatoren.
1
Agenda der jeweiligen Regierung und den strukturellen Beharrungskräften sowohl des
amerikanischen als auch des internationalen Systems. Ohne einen äußeren Katalysator
(zum Beispiel die Aggression zwischen Großmächten oder die Terrorangriffe von 9/11)
kommt es in der Außenpolitik nicht zu transformativen Präsidentschaften.3
Kontinuität und Wandel
Doch wie genau lässt sich die Außenpolitik Obamas erfassen? Ist die Mischung aus
Kontinuität und Wandel zufällig, also von unkontrollierten Ereignissen geprägt, oder ist
sie das Ergebnis einer konsequent implementierten Strategie? Dieser Essay nähert sich
diesen Fragen in drei Schritten: Zunächst werden die Rahmenbedingungen der
Außenpolitik Obamas beleuchtet. Dann wird der Versuch unternommen, eine "ObamaDoktrin" zu skizzieren, also die Verschränkung von Prämissen zu benennen, welche das
außenpolitische Handeln Obamas bestimmen. In einem dritten Schritt wird schließlich
untersucht, was dies nun für die verbleibenden Jahre der Präsidentschaft Obamas – und
damit auch für Deutschland – bedeutet.
Zusammenarbeit:
Afghane mit US-Soldaten in Lash-e
Juwayn (Provinz Farah, Afghanistan).
Photo: U.S. Navy/Josh Ives
Rahmenbedingungen der US-amerikanischen Außenpolitik
Mit zwei verfahrenen Kriegen – im Irak und in Afghanistan – sowie der Finanz-,
Wirtschafts- und Schuldenkrise hat Obama ein schwieriges Erbe angetreten. Allerdings
hat auch er selbst zur Staatsverschuldung erheblich beigetragen: Seinen
Konjunkturprogrammen in Gesamthöhe von über 1,8 Billionen US-Dollar und den
Kosten seiner Gesundheitsreform von etwa einer weiteren Billion US-Dollar stehen nur
3
Für grundsätzliche Überlegungen zu Kontinuität und Wandel in der amerikanischen
Außenpolitik vgl. Christian Hacke, Zur Weltmacht verdammt. Die amerikanische Außenpolitik
von John F. Kennedy bis George W. Bush, München 2005, S. 22-76.
2
sehr geringe Sparmaßnahmen und Mehreinnahmen gegenüber.4 Hinzu kommt, dass die
Generation der Baby-Boomer nun allmählich in den Ruhestand tritt – mit
entsprechenden Folgen für die Rentenkasse. In der Summe beträgt das Haushaltsdefizit
der USA im Jahr 2012 daher 1,3 Billionen US-Dollar, bei einem Schuldenberg von derzeit
15,2 Billionen US-Dollar (das entspricht annähernd 100 Prozent des BIP von geschätzten
15,6 Billionen US-Dollar für 2012).
Kabinettsmitglieder
beobachten Präsident Barack
Obamas TV-Statement zum
möglichen Government
Shutdown.
Photo: White House/David Lienemann
Damit hat die Verschuldung eine Dimension erreicht, die die Handlungsfähigkeit des
amerikanischen Staates, nicht zuletzt durch strategische Abhängigkeit von
ausländischen Gläubigern, beeinträchtigt. Diese kritische Lage wird sich nur ändern
lassen, indem bei den drei größten Haushaltsposten – Rente (1,4 Billionen US-Dollar),
Gesundheit (908 Milliarden US-Dollar) und Verteidigung (700 Milliarden US-Dollar) –
gespart wird. Über das richtige Verhältnis von Einsparungen und Steuererhöhungen
wird im tief gespaltenen Kongress erbittert gestritten, bislang mit wenig Erfolg.
Die haushalterische Überdehnung in Verbindung mit der Kriegsmüdigkeit nach
jahrelangen, kostenreichen und im Ergebnis nicht eindeutigen Einsätzen zieht Obamas
Außen- und Sicherheitspolitik enge Grenzen. Zwar sind die Unkenrufe von einem
machtpolitischen Niedergang Amerikas (wieder einmal) verfehlt5, aber diese
Rahmenbedingungen erzwingen einen stärkeren Fokus auf die Grundlagen der
amerikanischen Außenpolitik, nämlich die innere Konsolidierung des Landes. In
Abgrenzung zu den ehrgeizigen Projekten seiner Vorgänger George W. Bush und Bill
4
Siehe zu diesen und den folgenden Zahlen auch: Patrick Keller, Die neue
Verteidigungsstrategie der USA und ihre Auswirkungen auf Europa, Mittler-Brief Nr. 2/2012.
5
Vgl. Robert J. Lieber, Power and Willpower in the American Future. Why the United States is
Not Destined to Decline, New York 2012 und Michael Beckley, "China's Century? Why America's
3
Clinton zur Stabilisierung und zum Aufbau anderer Staaten erklärt Obama daher
nation-building at home6 zur Priorität. Das führt zu einem Wandel der amerikanischen
Außenpolitik, weil das Pendel von einer ambitionierten globalen Führungsrolle
zurückschlägt zur Selbstbeschränkung.
In Obamas Nationaler Sicherheitsstrategie ist daher von einem moment of transition 7
die Rede. Gemeint ist damit nicht zuletzt der oft konstatierte Wandel der
internationalen Ordnung von einem unipolaren zu einem multipolaren System. Der
Begriff spiegelt aber auch Obamas außenpolitische Überzeugung wieder, wonach
Amerika nicht als exceptional nation 8 nach Vorherrschaft streben soll, sondern es auf
multilaterale Diplomatie und die Stärkung internationaler Institutionen ankommt.
Die Obama-Doktrin
Barack Obama hat seine außenpolitische Gesamtstrategie nie griffig formuliert. Seine
außenpolitischen Berater lehnen die Idee einer Doktrin ab, weil die Weltpolitik im 21.
Jahrhundert zu komplex sei, um auf eine Formel verkürzt zu werden. Dennoch erfordert
Außenpolitik gerade in unübersichtlichen Zeiten Orientierung, und aus den öffentlichen
Dokumenten, den Reden des Präsidenten und dem Handeln der Regierung Obama
lassen sich drei Prinzipien ableiten, die in ihrer Gesamtheit den Rahmen der
gegenwärtigen amerikanischen Außenpolitik beschreiben:
Erstens reduziert Obama das bestehende amerikanische militärische Engagement im
Ausland. So hat er sein Wahlversprechen gehalten, den amerikanischen Krieg im Irak zu
beenden, und auch den Abzug der US-Kampftruppen aus Afghanistan bis Ende 2014
beschlossen. Man kann darüber streiten, ob dies langfristig den Interessen der USA
nützt und ob der Übergang klug gestaltet wurde. Es ist aber unzweifelhaft, dass diese
Entscheidungen zumindest mittelfristig den amerikanischen Haushalt entlasten und
Obama mehr innenpolitischen Handlungsspielraum geben – sie sind also eine direkte
Antwort auf die oben beschriebenen Zwänge. Die Reduzierung des amerikanischen
Engagements beschränkt sich im Übrigen nicht nur auf das Militärische. Auch die
Edge Will Endure", International Security (Vol. 36, Nr. 3), Winter 2011/12, S. 41-78.
6
Barack Obama, "Remarks by the President on the Way Forward in Afghanistan", 22. Juni 2011,
unter http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2011/06/22/remarks-president-way-forwardafghanistan
7
The White House, National Security Strategy, Mai 2010, S. i., unter
http://www.whitehouse.gov/sites/default/files/rss_viewer/national_security_strategy.pdf
8
Vgl. James Kirchick, "Squanderer in Chief", Los Angeles Times, 28. April 2009.
4
ambitionierten Entwicklungshilfeprogramme der Regierung Bush, etwa zur
Bekämpfung von HIV in Afrika, werden nicht fortgeführt.
Zweitens vermeidet Obama neue kostspielige Verwicklungen in ausländische Krisen.
Typisch war seine Zurückhaltung, zur Partei im Libyen-Krieg zu werden. Selbst nach
Erteilung eines VN-Mandats zum militärischen Schutz der Bevölkerung vor den Truppen
des Machthabers Muammar al-Gaddafi überließ Obama den NATO-Verbündeten
Frankreich und Großbritannien die Federführung im Einsatz. Leading from behind9
wurde zum Schlagwort für diese ungewohnte Zurückhaltung der USA, die nur dadurch
aufgeweicht wurde, dass die europäischen Verbündeten nicht in der Lage waren, den
Einsatz ohne Unterstützung der amerikanischen Streitkräfte (zum Beispiel bei der
Munitionsversorgung) durchzuführen. Die Politik der Zurückhaltung wiederholte sich
angesichts der Krisen in Mali und Syrien.
Generalleutnant Charles
Bouchard, Kanadischer
Commander der Operation
Unified Protector, nannte die
abgeschlossene Mission eine
Erfolgsstory, sowohl für die
NATO, als auch für Libyen.
Foto: NATO/Marine Nationale
Auffällig ist, dass militärisches Eingreifen unter Obama, so es denn überhaupt
stattfindet, stets dem Prinzip der humanitären Intervention oder der internationalen
Schutzverantwortung folgt und kaum mit kalkulierter Interessenpolitik begründet wird.
Die stärksten Befürworter dieser liberalen Interventionspolitik sind Obamas ehemalige
Außenministerin Hillary Clinton, die Professorin und ehemalige Leiterin des
Planungsstabes im State Department, Anne-Marie Slaughter, Obamas neue Nationale
Sicherheitsberaterin Susan Rice und ihre Nachfolgerin im Amt der VN-Botschafterin,
Samantha Power. Sie sind es, die Obama zum Eingreifen drängen. Er selbst neigt eher
9
Ryan Lizza, "The Consequentialist. How the Arab Spring Remade Obama's Foreign Policy", The
New Yorker, 2. Mai 2011.
5
zur militärischen Zurückhaltung, wie sein Tanz um die "roten Linien" im syrischen
Bürgerkrieg verdeutlicht.
Drittens bekämpft Obama Bedrohungen der amerikanischen Sicherheit mit großem
Nachdruck – aber aus der Distanz. Obamas Außenpolitik ist nicht neo-isolationistisch
oder naiv. Sie bevorzugt allerdings diskretere und weniger kostspielige Mittel
gegenüber großangelegten Bodenoffensiven. Typische Beispiele dafür sind der massive
Einsatz bewaffneter Drohnen zur gezielten Bekämpfung von Terroristen, insbesondere
im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, und die Entwicklung und Verbreitung von
Schadsoftware zur Sabotage des iranischen Nuklearprogramms. Beide Maßnahmen
wurden schon unter George W. Bush eingeleitet, sind aber unter Obama erheblich
ausgeweitet worden.10 Gerade im Kampf gegen den internationalen Terrorismus lässt
Obama große Härte walten. So hat er die Operation befohlen, die zur Tötung Osama
bin Ladens führte, am Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba festgehalten und die
weitreichenden Überwachungsprogramme der NSA angeordnet.
Chinas Präsident Xi Jinping
begrüßt US-Präsident Barack
Obama auf dem G20 Treffen
in St. Petersburg.
Photo: White House/Pete Souza
Auf anderen außenpolitischen Feldern dominiert jedoch der Eindruck der
Selbstbeschränkung, wenn nicht sogar der Schwäche. So muss Obamas vielbeschworene
"Politik der ausgestreckten Hand" als gescheitert angesehen werden: Die Beziehungen
zu Russland, China, Iran und anderen problematischen Akteuren sind keineswegs besser
als zu Beginn der Präsidentschaft Obamas. Im Gegensatz zum angekündigten
"Neustart" der Beziehungen mit Russland scheint im Zuge der Snowden-Affäre und der
10
Siehe dazu ausführlich: David E. Sanger, Confront and Conceal. Obama's Secret Wars and
Surprising Use of American Power, New York 2012.
6
Absage eines Gipfeltreffens durch Obama sowie der anhaltenden Uneinigkeit bezüglich
des Syrien-Konflikts inzwischen ein neuer Tiefpunkt erreicht zu sein.
Neuausrichtung: Blick nach Asien
Auch ein anderer vielbesprochener Baustein der Außenpolitik der Regierung Obama,
die Neuausrichtung nach Asien ("Asia Pivot")11, hat bislang kaum substantielle Wirkung
entfaltet. So richtig die Einschätzung ist, dass die Region Asien-Pazifik an
sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Bedeutung gewinnt, so wenig hat Obama die
Ankündigung bislang mit Inhalten gefüllt.12 Zudem ist auch hier eher von Kontinuität
als von Wandel zu sprechen, schließlich hat die Regierung Bush intensive Diplomatie in
der Region betrieben und beispielsweise zu Japan, Australien und Indien ein besonders
enges Verhältnis aufgebaut.13
US-Vizepräsident Joe Biden besucht
Tara Gandhi Bhattacharjee, die ein Bild
ihres Großvaters Mahatma Ghandi signiert.
Photo: White House/David Lienemann
11
Vgl. Hillary Clinton, "America's Pacific Century", Foreign Policy, November 2011, S. 56-63 und
Barack Obama's Defense Strategic Guidance ("Sustaining U.S. Global Leadership: Priorities for
st
21 Century Defense") aus dem Januar 2012, unter
http://www.defense.gov/news/defense_strategic_guidance.pdf
12
Zur mangelhaften Ausgestaltung des "Pivot" am Beispiel der Sicherheitspolitik siehe Charles
Morrison, "The Asia Pivot in Theory and Practice", in Focus Quarterly (Vol. 7, Nr. 2), Sommer
2013, unter http://www.jewishpolicycenter.org/4406/asia-pivot
13
Vgl. Patrick Keller / Dustin Dehez, "Bush Got The Big Things Right. History Will Be Kind to the
Forty-Third President", Weekly Standard, 16. Januar 2009, unter
7
Die große Lücke zwischen rhetorischem Anspruch und tatsächlich Erreichtem lässt sich
auch bei anderen Initiativen Obamas konstatieren, zum Beispiel beim arabischisraelischen Friedensprozess oder der Kampagne zur Abschaffung aller Nuklearwaffen
("Global Zero"). In der Gesamtschau offenbart sich daher – mit der wichtigen Ausnahme
der Terrorismusbekämpfung – ein Ungleichgewicht in der Obama-Doktrin: Während die
Motive Rückzug und Zurückhaltung akzentuiert werden, kommen Führung und
Gestaltungsanspruch zu kurz. Es bleibt strittig, ob dies allein eine Folge der
haushalterischen und innenpolitischen Rahmenbedingungen ist, oder ob es das Ergebnis
der politischen Überzeugungen des Nobelpreisträgers ist.14
US-General Martin E. Dempsey,
(li.) Vorsitzender des Joint
Chiefs of Staff, mit dem
chinesischen General Fang
Enghui, Chef des
Generalstabes, in Peking.
Photo: DOD/D. Myles Cullen
Schlussfolgerungen für Deutschland und Europa
Abgesehen von seiner harten Linie in der Bekämpfung des Terrorismus steht Obama für eine
außenpolitische Trendwende in den USA, die durch militärische Zurückhaltung, liberalidealistische Rhetorik sowie geringeren und stärker priorisierten Einsatz von Ressourcen
gekennzeichnet ist. In der Kombination lässt diese Politik Zweifel entstehen, inwieweit die
USA auch in Zukunft ihre Rolle als globale Ordnungsmacht wahrnehmen können und wollen.
Herausforderer und states of concern15 werden sich ermutigt fühlen, bestehende rote Linien
auszutesten – mit gefährlichen Folgen für die Stabilität des liberalen internationalen Systems,
von dem beipielsweise Deutschland als Exportnation mit seiner "Kultur der militärischen
http://www.weeklystandard.com/Content/Public/Articles/000/000/016/014byqxz.asp?page=1
14
Ein ebenso starkes wie kritisches Argument für die letztere Sichtweise ist Elliott Abrams, "The
Citizen of the World Presidency. And Why It's a Disaster", Commentary Magazine, September
2013, S. 12-20.
15
Den Begriff etablierte Außenministerin Madeleine Albright im Jahr 2000 als Beschreibung für
die bisher so genannten "Schurkenstaaten".
8
Zurückhaltung"16 überproportional profitiert. Vor diesem Hintergrund drängen sich drei
Schlussfolgerungen zur Bedeutung der Außenpolitik Obamas für Deutschland und Europa auf.
Vitale Transatlantische Partnerschaft
Obama ist kein instinktiver Transatlantiker, der in Europa geradezu reflexhaft den
naheliegendsten und nützlichsten Partner für Amerikas Politik sieht. Das unterscheidet ihn von
seinem Außenminister John Kerry und anderen Figuren des amerikanischen außenpolitischen
Establishments, deren Weltbild durch den Kalten Krieg geprägt wurde. Damit repräsentiert
Obama ein neues Zeitalter, in dem Verbündete nicht nur aufgrund gemeinsamer Erfahrungen
und Werte ausgesucht werden, sondern vor allem ihre Nützlichkeit beweisen müssen.
Zugleich kann auf europäischer Seite kein Zweifel daran bestehen, dass das Bündnis mit
den USA immer noch von existentieller Bedeutung für Zusammenhalt und Sicherheit auf
dem Kontinent ist. Gerade in Mittel- und Osteuropa wird die Schutzgarantie der USA
weiterhin als maßgebliche Versicherung gegen Krieg und Knechtschaft gesehen.
Deswegen ist es wichtig, dass die Europäer den USA deutlich machen, welch großen
Nutzen beide Seiten aus einer vitalen Partnerschaft ziehen. Das ist so herausfordernd
nicht, schließlich erfahren die USA gerade in diesen Tagen, wie schwierig es ist,
anderswo in der Welt effektive, verlässliche und dauerhafte Partner zu finden. Eine
lebendige transatlantische Partnerschaft geht weit über enge sicherheitspolitische
Kooperation hinaus. Daher ist auch das Projekt einer transatlantischen Freihandelszone
von solch überragender politischer Bedeutung.
Pressekonferenz des USVerteidigungsministers
Robert M. Gates
im Juni 2011 in Brüssel.
Photo: Nato Multimedia
16
Guido Westerwelle im Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, 30. März 2012,
unter http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Interviews/2012/120330BM_WAZ.html
9
Allerdings wird die Partnerschaft ohne eine gerechtere Lastenteilung im militärischen
Bereich auch nicht funktionieren. In seiner Abschiedsrede in Brüssel hat Obamas
Verteidigungsminister Robert Gates den Europäern sehr deutlich gemacht, dass
Sparzwänge und neue geopolitische Prioritäten den Willen der amerikanischen Politik
untergraben, weiterhin übermäßig Ressourcen für die Sicherheit Europas
bereitzustellen. In der Tat ist es kaum vermittelbar, dass die USA derzeit ca. 75 Prozent
des NATO-Budgets bestreiten, während es im Kalten Krieg nur durchschnittlich 50
Prozent waren.17 Europa muss finanziell, politisch und militärisch mehr Verantwortung
übernehmen, wenn verhindert werden soll, dass die Amerikaner den transatlantic
bargain schleichend aufkündigen.
Europa muss selbst für Stabilität sorgen
Die Staaten Europas werden zumindest in ihrer Nachbarschaft häufiger selbst für
Stabilität sorgen müssen, ohne sich hinter der amerikanischen Führungsrolle verstecken
zu können. Es ist eine der Lehren aus dem Libyen-Konflikt, dass aus der
Selbstbeschränkung und proklamierten neuen Prioritätensetzung der USA eine Art
geographische Arbeitsteilung erwächst. Europa muss sich darauf einstellen, im
Mittelmeerraum, aber auch anderswo an seiner Peripherie, zum Beispiel im Kaukasus,
handeln zu müssen, gegebenenfalls auch mit militärischen Mitteln. Das erfordert
sowohl eine verbesserte politische Koordination innerhalb der EU als auch wirksamere
militärische Fähigkeiten auf Seiten der einzelnen europäischen Staaten. Nur in
äußerster Not oder sofern amerikanische Interessen direkt betroffen sind, kann Europa
fest mit der militärischen Unterstützung der USA rechnen. Angesichts der Prognosen
einer schwindenden Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von den Energieimporten
aus dem Nahen und Mittleren Osten – vor allem aufgrund von Fracking – ist allerdings
davon auszugehen, dass Konflikte in der Region amerikanische Interessen seltener
berühren werden.
Europas eigene strategische Haltung
Um dieser neuen Situation gerecht werden zu können, muss Europa eine eigene
strategische Haltung zu den weltpolitischen Problemen entwickeln. Bislang ist das in
einem zu geringem Maße der Fall. Insbesondere die Bundesrepublik, der aufgrund ihrer
17
Vgl. Robert M. Gates, "The Security and Defense Agenda (Future of NATO)", Rede in Brüssel,
Belgien, 10. Juni 2011, unter http://www.defense.gov/speeches/speech.aspx?speechid=1581.
10
Größe, Wirtschaftskraft und geographischen Lage dabei eine herausgehobene
Verantwortung zukommt, hat bislang nicht ausreichend erkennen lassen, wie sie die
strategischen Herausforderungen bewältigen will.
o
Wie soll Europa mit dem verwelkenden Arabischen Frühling umgehen?
o
Welche Rolle soll Europa in der weltpolitischen Schlüsselregion Asien-Pazifik,
jenseits seiner Handelsinteressen, spielen?
o
Wie sieht gegenüber dem schwierigen Partner Russland die richtige Mischung
aus Einbindung und Abgrenzung aus?
Solche Fragen sind nicht aus der Tagespolitik heraus zu beantworten, sondern bedürfen
eines tiefschürfenden Abwägungsprozesses, aus dem dann klare Positionen und
konkretes Handeln erwachsen.
Es liegt auf der Hand, dass dies auch eine Stärkung der außenpolitischen Instrumente
der Europäischen Union – also zunächst eine engere Abstimmung ihrer Mitglieder
untereinander – verlangt. Im Zeitalter der globalen Machtverschiebung und
Machtdiffusion, also sowohl der veränderten Verteilung von Macht zwischen Staaten als
auch des zunehmenden Einflusses nicht-staatlicher Akteure, werden die Europäer ihre
Interessen und Werte nur durchsetzen und schützen können, wenn sie diesen Aufgaben
geschlossener und mit mehr Ernsthaftigkeit begegnen.18 Denn ungeachtet der
ständigen Spannung zwischen Kontinuität und Wandel in der amerikanischen
Außenpolitik werden die hier skizzierten Herausforderungen an die europäische
Außenpolitik auf absehbare Zeit bestehen bleiben.1 9
Autor
Dr. Patrick Keller, Jahrgang 1978, ist Koordinator für Außen- und Sicherheitspolitik der
Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Zuvor war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Lehrstuhl für Politik und Zeitgeschichte sowie am Nordamerikastudienprogramm der
Universität Bonn tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der USamerikanischen Außenpolitik und internationaler wie transatlantischer
Sicherheitspolitik.
18
19
Vgl. Joseph S. Nye, Jr., The Future of Power, New York 2011.
Ich danke Stefan Krümpelmann für seine Unterstützung bei der Recherche für diesen Beitrag.
11
Hinweise
https://dgap.org/de/think-tank/schwerpunkte/usa-transatlantische-beziehungen
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Schwerpunkt USA/Transatlantische
Beziehungen
http://www.swp-berlin.org/de/swp-themendossiers/die-usa-weltmacht-im-wandel.html
Stiftung Wissenschaft und Politik, Themendossier Die USA: Weltmacht im Wandel
12