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Heft 5 / 2005 / Gerhard Hickisch
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Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz
“Naturstudien mit elektronischen Medien” / Gerhard Hickisch
Leonardo da Vinci hat beobachtet und beschrieben, dass die Fliegen sechs Beine
haben. Die Fliegen waren zu dieser Zeit als minderwertige Tiere eingestuft und
selbst die Vertreter der Wissenschaften hielten es nicht für die Mühe wert, die
übernommene Fehlmeinung, die Fliegen hätten nur vier Beine, durch genaue
Betrachtung aufzuheben. Heute wissen wir etwas über den Lauf der Fliegen auf der
Zimmerdecke, das Leonardo nicht wissen konnte. Was wissen wir Wertvolles?
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Das fliegende Klassenzimmer - Heft 5
”Studie vor dem Objekt unter Zuhilfenahme von elektronischen Medien”
Fünf Modellstundenplanungen für Naturstudien aus dem Fach BE
geplant für die Mittelstufe des AHS Unterrichts
erprobt in der Georg von Peuerbachschule
unter Einsatz der Forschungsressource “Fliegendes Klassenzimmer” der
Studienrichtung Bildnerische Erziehung der Kunstuniversität Linz
Sommersemester 2005
Unterrichtspraxis 2 / Seminarbetreuung O.Univ.Prof. Gerhard Hickisch
alle Rechte bei den Autorinnen
2
2005
Fliegendes Klassenzimmer
ein Unterrichtsbehelf der Studienrichtung Bildnerische Erziehung der
Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz
Gerhard Hickisch / Julia Knollmayr / Maria-Anna Niedermayr
Karin Niggler / Tanja Obernberger / Franziska Thurner / Beate Wieland
Oktober 2005
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Studie vor dem Objekt: Imitation des Gesehenen
oder Abbild einer “Entdeckung”?
Fünf Modellstunden aus fünf Flügen des “fliegenden Klassenzimmers” aus dem Sommersemester 2005
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Inhalt
IN HALT
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Nicht die Natur kopieren, sondern aus den Formprinzipien die Inspirationen schöpfen!
Begleitwort von Univ.Prof.Dipl.Ing. Axel Thallemer
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Die Studie vor dem Objekt: Eine Fallgrube für unreflektierten Naturalismus oder eine
Positionierungschance für das Fach Bildnerische Erziehung?
Univ.Prof. Gerhard Hickisch
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5 Modellstunden für den sinnvollen Einsatz elektronischer Medien bei
schulischen Naturstudien
Univ.Prof. Gerhard Hickisch
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Alles verkehrt und daher richtig
Beate Wieland / Maria-Anna Niedermayr
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Perspektive mit Perspektive
Tanja Obernberger
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Da Vinci`s Weit(en)sicht
Julia Knollmayr
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Drachen platt machen
Karin Niggler
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Rosige Einsichten
Franziska Thurner
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Abbildungsverzeichnis
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Nicht die Natur kopieren, sondern aus den Formprinzipien die Inspirationen schöpfen!
Univ.Prof.Dipl.Ing. Axel Thallemer
Spätestens seit den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts ist eine Strömung entstanden, die aus
Vorbildern der Natur versucht, Ideen für neue Gestaltung zu finden. Dabei wird aber die Natur nicht kopiert,
sondern versucht durch Vergleiche mit unseren menschgemachten Dingen Verbesserungen zu erzielen.
Als Beispiel kann die Haut des Haifisches dienen, welche umgesetzt in neue Schwimmanzüge
Weltrekorde bei den Olympischen Spielen in Australien brachte. Oder beispielsweise die Reinigungskraft
der Lotuspflanze, die übertragen auf Fassadenfarben und Dachziegel, Verschmutzungen bei Regenfällen
leicht herunterspült, ohne zusätzliche Verwendung von künstlichen Reinigungsmitteln.
Aber nicht erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts diente die Natur als Vorbild, auch bereits zum Ende
des 19. Jahrhunderts wurde im Jugendstil versucht, aus den Wachstumsgesetzen der Natur Gestaltprinzipien abzuleiten. Lediglich der Begriff BIONIK, ein zusammengesetztes Kunstwort aus BIOlogie und
TechNIK fand erst in den letzten Jahrzehnten weitere Verbreitung.
In Zukunft werden mehr und mehr Flugzeuge, Autos aber auch Häuser nach natürlichen Prinzipien
gestaltet werden. So wird den Gestaltungsaufgaben künstlich erzeugter Dinge für die Menschheit eine
immer größere Verantwortung beigemessen, wenn Aspekte der Rohstoff-, Energie- und
Arbeitszeitersparnis in das Zentrum des Produktneuheitenentwicklungsprozesses rücken.
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Die Studie vor dem Objekt: Eine Fallgrube für unreflektierten Naturalismus oder
eine Positionierungschance für das Fach Bildnerische Erziehung?
Univ.Prof. Gerhard Hickisch
Die Fähigkeit der Menschen sich im Laufe von tausenden von Jahren erkenntnisorientiert mit der Welt, in
der sie sich zurechtzufinden haben, auseinander zu setzen, hat zu einer Vielzahl von Disziplinen und
Methoden der Anwendung von menschlichen Forschungs- und Entwicklungsstrategien geführt. Die
Evolution des menschlichen Geistes hat in der Ausfaltung der Wissenschaftsfelder ebenso ihren Ausdruck
gefunden wie in der künstlerischen Reaktion auf die Rahmenbedingungen menschlichen Seins auf dieser
Welt. Der Wissensdurst der Menschen hat zu riesigen Bibliotheken faktischen Wissens und zur
Sammlung von Wissensmodellen geführt, deren Expansion Spezialistinnen voraussetzt, die vernetzt und
als globale Forschergemeinde an der objektivierbaren Verifikation der unterschiedlichsten Thesen
mitarbeiten.
In allen diesen wissenschaftlichen Arbeitsfeldern spielen Studien eine bedeutende Rolle. Seit der Zeit der
Höhlenmenschen hat der menschliche Geist seine Umwelt studiert und das Ergebnis seiner Studien für
die Entwicklung von Überlebenskonzepten ausgewertet. Der Lauf der Sterne wurde ebenso studiert wie
die Gezeiten der Meere. Das Verhalten der Tiere und der Anbau von Getreide wurden studiert. Die
Kulturgeschichte der Menschheit ist auch eine Kulturgeschichte des menschlichen Studierverhaltens, das
in den unterschiedlichsten Bereichen mit den unterschiedlichsten Absichten zur Anwendung gebracht
wurde. Die zweckfreie und die zweckgebundene Erforschung der Welt hat das Leben der Menschen seit
jeher mitbestimmt. Die Entwicklung von Technologien und Medien spiegelt die Leistungsfähigkeit des
menschlichen Studiums von Sachzusammenhängen ebenso wie die Spezialisierung der
Wissenschaftsfelder, die mit enormer Geschwindigkeit in noch ungeahnte Dimensionen expandieren.
Alle diese Studienaktivitäten haben gewisse Grundstrukturen gemeinsam, die die Funktionstüchtigkeit
des Studienprozesses gewährleisten und die in der Folge ein wenig beschrieben werden sollen. So ist
zum Beispiel die Absicht einen Erkenntniszugewinn zu erfahren eine unverzichtbare Voraussetzung jeder
Form menschlichen Studiums. Diese Absicht manifestiert sich in einem beschreibbaren Motiv, in einer
deklarierten Fragestellung, die eine plausible Antwort einfordert. Der Mensch beginnt zu studieren, wenn
er exakt definieren kann, was er wissen möchte. Das Ausmaß seiner Chancen die Antworten auf seine
Fragestellungen zu finden hängt direkt proportional von seinem Kompetenzprofil ab, das ihn ermächtigt,
seinen Arbeitsprozess so zu strukturieren, dass er zum Erfolg führt. Genauer gesagt verweist bereits die
Fähigkeit sinnvolle Fragen zu stellen auf die jeweiligen Kompetenzen. So könnten also
Repräsentantinnen von vier unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen mit ein und demselben
Phänomen konfrontiert ganz unterschiedliche Frageketten zu diesem Phänomen entwickeln, um sich
dann konzentriert der Beantwortung dieser Fragen zu widmen. Es wäre wenig sinnvoll die von den
jeweiligen Spezialistinnen kompetent aufgerufenen Fragen dann in der Folge innerhalb der kleinen
Wissenschaftsgemeinde zu vertauschen, damit die Biologin die Fragen der Mathematikerin beantwortet
usw.. Die sinnvollste Frage ermächtigt die inkompetente Behandlerin dieser Fragestellung nicht zur
zielführenden Auseinandersetzung mit und Erstellung von Antworten. Hingegen kann es für alle
Spezialistinnen sehr anregend und informativ sein, den jeweiligen anderen Spezialistinnen bei ihrer Arbeit
über die Schulter zu schauen bzw. mit ihnen interdisziplinär zusammenzuarbeiten.
Der ideale Fall eines Studienprozesses baut auf die Motivation einer kompetenten Persönlichkeit auf sich
einem bestimmten Phänomen erkenntnisorientiert zu widmen. Im besten Fall verfügt diese Person über
die Fähigkeit der Methodenauswahl und ein reiches und strukturiertes Vorwissen. Natürlich kann eine
derartige Person auch absichtslos einem Phänomen begegnen und durch Beobachtung und scheinbar
unstrukturierte Wahrnehmungsprozesse auf Ideen kommen, die sich in Erkenntnissen niederschlagen
können. In diesem Falle kann man nicht davon ausgehen, dass diese Person zu Beginn ihrer zufälligen
Begegnung mit einem Phänomen bereits eine klar definierte Fragestellung formuliert hätte. Und dennoch
setzt auch diese spontane und ungeplante Beobachtung die Kompetenz der Beobachterin voraus, damit
etwas in Bewegung geraten kann. Und in den meisten Fällen wird es nicht zur blitzartigen Erkenntnis
kommen, sondern eine bewusste Studieraktivität ausgelöst werden, an deren Beginn ja wieder die
Ausformulierung von gezielten Fragen stehen wird. Der Gewinn einer Erkenntnis kann durch ausgefeilte
Methoden und Medien des Studierprozesses entscheidend begünstigt werden. Die Menschen haben die
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Kontrastmittel-Magnetresonanzangiographie
Einzelschichte aus einem 3-D-Datensatz einer KM-MRA.
Diese Einzelschicht hat idealerweise eine Dicke, die der Pixelgröße
entspricht (isotrope Auflösung), um verlustfreie Rekonstruktionen zu
erlauben. (Der komplette Datensatz ermöglicht eine 3D Abbildung.)
Bild 1
Röntgenfotos, Magnetresonanzbilder, Thermofotos und ähnliche
Bilddaten erweitern die menschliche Wahrnehmung.
Grenzen ihres Beobachtungsvermögens durch die Entwicklung entsprechender Technologien erweitert.
Sie sind dadurch in der Lage über den Einsatz von künstlichen Wahrnehmungssensoren zu Informationen
zu kommen, deren Interpretation und Auswertung zu Erkenntniszugewinnen führt. Elektronische Medien
ermöglichen die Erstellung und Analyse von Datenmengen, deren kompetente Auslegung die
Wissensfelder der Spezialistinnen kontinuierlich ausdehnt. Bei vielen wissenschaftlichen Studien spielen
Visualisierungsmedien eine bedeutende Rolle, die bei der wissenschaftlichen Arbeit in unterschiedlichen
Phasen und mit unterschiedlichen Zielsetzungen zum Einsatz gebracht werden. Visualisierungen können
eingesetzt werden um eine wissenschaftliche Hypothese sinnlich fassbar zu vermitteln, und das zu einem
Zeitpunkt, an dem die Stichhaltigkeit dieser Hypothese noch nicht feststeht und die Hauptarbeit der sich
auf dieselbe beziehenden Studie darin besteht die Richtigkeit oder Falschheit dieses Ansatzes zu
ermitteln.
Ebenso gut können Visualisierungen Abläufe (Testreihen, Experimente usw.) dokumentieren und
Bilddaten ergeben, deren gezielte Analyse im Nachhinein Auswertungen ermöglicht, die zu den
angestrebten Erkenntnissen führen können. Diese erworbenen Erkenntnisse können anschließend
wiederum durch Visualisierungsmedien veranschaulicht werden, um das erworbene Wissen so klar wie
möglich zu vermitteln. Visualisierungsmedien können somit in interessant unterschiedlichen Relationen
bezüglich des Zeitpunktes des Wissenserwerbes verwendet werden und in unterschiedlicher Weise
denselben begünstigen bzw. abbilden. Allen Anwendungen von visuellen Medien ist in wissenschaftlichen
Zusammenhängen zumeist eines gemeinsam: es existiert eine deklarierte und objektiv beschreibbare
Absicht, mit der ihr Einsatz begründet werden kann. Zum Teil sind ja derartige Visualisierungen auch mit
enormen Kosten verbunden, wodurch sich auch im Vorfeld der Anwendung ein entsprechender Nachweis
der Notwendigkeit ergibt.
Es ist bemerkenswert festzuhalten, dass bei wissenschaftlichen Studien der Moment des eigentlichen
Erkenntniszugewinns sehr häufig nach der Erstellung der Visualisierungsmedien und bei der Auswertung
derselben einsetzt, und zwar in den Köpfen jener Expertinnen, die das entsprechende Kompetenzprofil
aufweisen können. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die hervorragendsten visuellen Unterlagen und
Dokumente allen jenen Rezipientinnen nicht weiterhelfen würden, die das für eine sinnvolle Auswertung
vorauszusetzende Wissen nicht verfügbar haben.
Alles in allem führen diese Überlegungen zu einigen ganz interessanten Schlussfolgerungen über die
Rahmenbedingungen von Studienprozessen, die zu Erkenntniszugewinnen führen können:
Oberstes Ziel einer Studie ist jedenfalls ein Erkenntniszugewinn. Dieser kann von Anfang an angestrebt
worden sein oder auf dem Weg des Erstrebens einer mehr oder weniger anders gelagerten Einsicht
aufgetaucht sein. Auf jeden Fall muss ein Erkenntniszugewinn am Ende einer Studie formuliert werden
können, und sei es, dass diese Erkenntnis darin besteht, dass man mit Hilfe dieses konkreten
Studienansatzes die gewünschte Erkenntnis nicht gewinnen konnte.
Im Regelfall steht am Beginn einer Studie eine beschreibbare Absicht, die einen intendierten
Erkenntniszugewinn definiert. Dieses Motiv rechtfertigt ja auch zumeist erst den finanziellen Aufwand, der
mit der Durchführung der Studie verbunden ist. Diese Absicht kann durch eine gezielte Fragestellung
abgebildet werden, die die Suche nach einer Antwort provoziert. Derartige Fragestellungen erlauben
bereits Rückschlüsse auf die Kompetenz der Fragesteller bzw. auf das gewünschte Kompetenzprofil der
Studienbetreibenden.
Für die Durchführung von Studien wurden Methoden (z.B. Statistik bei Studien zu Wählerstromanalysen
und dergleichen) und Medien entwickelt, die Datenkapazitäten und Informationen ermöglichen, die das
Wahrnehmungs- und Leistungsvermögen eines einzelnen Menschen deutlich übersteigen. Die
Handhabung dieser Methoden und Medien und die Entscheidungen bezüglich ihres Einsatzes und ihrer
Auswertung setzen adäquate Kompetenzprofile voraus, die zu den im Vorfeld definierten Motiven des
8
1997-98 Temperatures Beneath Sea
Views of sea surface height (represented by
the bumps) and sea temperature (represented
by the color). Red is 30 degrees C, blue is 8
degrees C.
The thermocline is the border between the
dark blue at the bottom and the cyan. The
thermocline exists at 20 degrees C.
Bild 2
Bild 3
angestrebten Wissenszuwachses passen müssen.
-
Visualisierungsmedien (Handzeichnungen, Fotografien, Filme, virtuelle Bilddarstellungssysteme, Hologramme usw.), die im Zuge von Studien zum Einsatz kommen, können
unterschiedlichste Funktionen erfüllen. Sie können Vorschläge für Antworten auf Fragen
veranschaulichen, um damit zu bewirken, dass die Richtigkeit dieser Antworten durch
entsprechende Studienprozesse geprüft wird. Sie können zur Grundlage für eine Auswertung im
Nachhinein werden und sie können nach dem Gewinn einer Erkenntnis herangezogen werden,
um dieselbe optimal zu vermitteln und zu dokumentieren.
-
Der eigentliche Erkenntniszugewinn findet in den Köpfen der Studienbetreiberinnen statt, auch
wenn sie Hilfesysteme wie Computerprogramme dafür heranziehen können, die ihnen bei der
Erstellung und Auswertung von enormen Datenmengen behilflich sein können (siehe etwa die
vernetzten Computersysteme für die aufwendige Entschlüsselung der menschlichen DNA).
Möglicherweise wird die Entwicklung von künstlichen Intelligenzen die Kapazitäten der
zielgerichtet schlussfolgernden Analyse von Datenfeldern in Zukunft entscheidend vorantreiben.
Bis dato ist in den meisten Fällen nach wie vor das Gehirn der Menschen der Ort, in dem der Funke
des Erkenntnisgewinns zündet und die erleuchtende Flamme des Wissenszuwachses auflodern
lässt.
-
Der Zeitpunkt des Erkenntniszugewinns kann an unterschiedlichen Positionen des Studienablaufes platziert sein. Manchmal kann der Großteil des Erkenntniszugewinns beim Formulieren
einer Fragestellung zu einem Phänomen möglich werden und die eigentliche Leistung dann eben
in der innovativen Kreation eines ungewöhnlichen Interesses, eines überraschenden Zuganges
bestehen. Niemand zuvor hat eine derartige Frage gestellt und alleine die Fragestellung als
solche impliziert Lösungen und Antworten, deren Erstellung vielleicht nur mehr eine einfach zu
bewältigende Formsache ist. Manchmal passiert eine Erkenntnis, ohne dass man sie angestrebt
hat, im Zuge des Studierens eines anderen Zusammenhanges. Manchmal wird Erkenntniszugewinn während des Anwendens von Methoden und Medien urplötzlich möglich. Ein anderes
Mal wiederum führt erst die hartnäckige und langwierige Auswertung von durch Studien möglich
gewordenen Datenmengen zu einer Erkenntnis.
-
Kompetenzen stellen unverzichtbare Voraussetzungen für ergebnisorientierte Studien voraus. Es
ist mehr als interessant, dass auch Fragestellungen von fachlich inkompetenten Personen
hervorragende Potenziale für kompetente Sucherinnen der entsprechenden Antworten anbieten
können. In jedem Falle aber ist es unmöglich, dass inkompetente Sucherinnen Antworten auch
kompetente Fragestellungen entwickeln werden. Die stimmigste Kombination und die am
häufigsten in wissenschaftlichen Arbeitsprozessen anzufindende Kombination von Qualifikationen besteht aber jedenfalls in der Symbiose aus der fachlichen Kompetenz zur aussichtsreichen Formulierung von Fragestellungen und der wissensbasierten Kompetenz zur methodisch
und medial optimierten Durchführung der notwendigen Studienprozesse, sowie der Kompetenz
zu deren fachlich korrekten Auswertung. Kompetenzanalysen stellen somit eine wichtige Basis für
die Bildung von Studienteams und Arbeitsgruppen dar.
-
Studien können erfolgen, ohne dass die durch sie möglich gewordenen Wissenzugewinne sofort
auf ihre wirtschaftliche Auswertbarkeit geprüft werden. Sie können aber auch von Anfang an der
Optimierung von Anwendungen dienen, die von direktem Nutzen sind.
Dieser kleine Exkurs in die Welt der Funktionen und Rahmenbedingungen von Studien in den Feldern der
Wissenschaften dient in der Folge vor allem einem Zweck: der Reflexion der Bedeutung von Studien von
bzw. vor den Objekten in der bildenden Kunst. Kaum ein Begriff in der bildenden Kunst wird so
missverständlich verwendet wie eben der Begriff des Studiums vor dem Objekt. Würde man eine
9
?
?
Könnten Sie die fehlenden Buchstaben einzeichnen?
Oder müssten Sie
eine Studie vor dem
Objekt durchführen,
um Klarheit über die
fehlenden Formbestände zu erhalten?
Zeichnen Sie, um
Formen zu lernen?
entsprechende Studie starten, die das Begriffsverständnis der Schülerinnen von allgemein bildenden
höheren Schulen überprüft, so würde mit Sicherheit das Ergebnis dieser Studie darin bestehen, dass die
meisten Schülerinnen die Zielsetzungen von „Studien vor dem Objekt“ (oder auch „Naturstudien“) in der
zeichnerischen oder malerischen Wiederspiegelung eines real gesehenen Ausschnittes der sichtbaren
Wirklichkeit beheimaten würden.
Das Treffen von Maßverhältnissen, die korrekte Darstellung der Korrelationen von Winkeln und
Richtungen, das Wiederspiegeln von Lichtwirkungen und Farbstellungen machen in diesem Sinne die
Zielsetzungen einer qualitätvollen Studie vor dem Objekt aus. Die jugendlichen Zeichnerinnen bewerten
ihre eigenen Leistungen und die der Klassenkolleginnen nach den Kriterien der fotonaturalistischen
Abbildung des Gesehenen. Wer am verblüffendsten die sichtbare Wirklichkeit in der Zeichnung imitiert,
der verfügt nach Meinung der Schülerinnen über das beste Talent für das Zeichnen. Dieses
Bewertungsverhalten wird auch auf die Wahrnehmung von Studien vor dem Objekt übertragen, die von
historischen und aktuellen Repräsentantinnen der bildenden Kunst erstellt wurden und werden. Die
Naturstudien eines Albrecht Dürer werden ebenso geschätzt wie die Malereien des amerikanischen
Fotorealismus aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Die Wiederspiegelung des Erscheinungsbildes von
Objekten der sichtbaren Wirklichkeit wird als Parameter von Qualität in einem dominanten Sinn zur
Anwendung gebracht, der die künstlerische Übertragung der wahrgenommenen Welt in eine
eigenständige Zeichen- und Bildsprache weder thematisiert noch wertschätzt.
Die Kinder und Jugendlichen messen ihre eigenen Fähigkeiten zur Abbildung je nach Talent zur Imitation
unterschiedlich gerne und intensiv an zeichnerischen Auseinandersetzungen mit Studien vor dem Objekt.
Sie werden sich unabhängig vom Motiv mit immer gleich bleibenden Vorgangsweisen mit den jeweiligen
Objekten befassen, über die sie durch ihr eigenes Zeichnen wenig erfahren, indem sie das Darstellen von
Richtungsverhältnissen, Maßverhältnissen, Hell-Dunkel und Farbverhältnissen zu ihrer Hauptarbeit
erklären und sich vor allem darin üben, die zeichentechnischen Qualifikationen zur erfolgreichen
Bewältigung dieser Arbeit zu optimieren.
All diesen Studien ist meist eines gemeinsam: es gibt nach aller Wahrscheinlichkeit keinen Erkenntniszugewinn der Schülerinnen, weil sie ja auch in keiner Weise ihre Zeichnungen nach der Formulierung
einer Frage begonnen haben, die sie durch die Methodenvielfalt des Zeichnens zu beantworten versucht
hätten. Die meisten Jugendlichen wären überrascht, wenn man sie am Beginn einer Naturstudie fragen
würde, was sie durch das Zeichnen zu erkennen trachteten. Sie wollen abzeichnen, was sie sehen und
nicht erkennen, was sie vor sich haben. Erkenntniszugewinn ist verbal beschreibbar. Das wäre schon eine
spannende Studie die Schülerinnen nach traditionellen und mehr oder weniger durch die Lehrerinnen
unbetreuten Naturstudien aufzufordern ihren Erkenntniszugewinn verbal zu vermitteln. Im besten Fall
würden die meisten Jugendlichen wahrscheinlich über ihre Erfahrungen bzw. Schwierigkeiten mit dem
Abbilden von Größen, Formen, Lichtwirkungen, Stofflichkeiten und Farbmodulierungen sprechen. Bei
unbetreuten Naturstudien werden sich die Schülerinnen kaum auf andere Motivationen und
Zielsetzungen als die der imitativen Abbildung einlassen. Von Lehrerinnen betreute und didaktisch
strukturierte Studien vor dem Objekt sollten sich daher durch sachlogische Erklärungen von
Problemstellungen und Frageketten vor dem Zeichenprozess der Schülerinnen von unbetreuten
Naturstudien unterscheiden. Die Vorbereitung der Schülerinnen sollte dazu führen, dass sie alle eine klar
verständliche Motivation, eine deutlich formulierte Fragestellung vor und in sich haben, die sie in der Folge
unter anderem durch Zeichnen behandeln möchten.
Eine didaktisch gerechtfertigte zeichnerische Studie vor dem Objekt muss eine geklärte Relation von
Aufgabenstellung, kindgerecht gestarteter Suche, auf das Objekt stimmig bezogenem und erkenntnisorientiertem Problemlösungsverhalten und zeichnerischer Aktivität aufweisen. Der Knackpunkt jeder
qualitätvollen Naturstudie liegt in der zielorientierten Anwendung des Zeichnens und im kontrollierten
Einsatz von zeichnerischen Aktivitäten. Wann beginnen die Schülerinnen was wozu zu zeichnen? Haben
die Kinder und Jugendlichen bereits vor dem Zeichnen ihren Erkenntniszugewinn als Antwort auf die zu
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Bild 4
Bild 5
Bild 6
Beginn formulierte Fragestellung erworben oder gewinnen sie ihre Einsichten durch das Zeichnen
beziehungsweise während des Zeichnens? Oder führt erst die kompetente Analyse ihrer eigenen
zeichnerischen Dokumente zur angestrebten Auflösung des Rätsels? Zeichnen sie überhaupt?
Fotografieren sie? Filmen sie, oder schauen sie nur motiviert und konzentriert, um im Anschluss ihre
Erkenntnisse ins Heft zu schreiben? Wie lauten die Entscheidungen der Lehrerin auf diese alles
entscheidenden Fragestellungen? Kennt die Lehrerin die Frage, nach deren Beantwortung sie die
Schülerinnen auf die Suche schickt? Hat sie sich entschieden zu welchen Zeitpunkt und nach welchen
Aktivitäten die Schülerinnen zeichnen oder fotografieren oder filmen, und was sie durch diese ihre
Visualisierungsmaßnahmen entwickeln beziehungsweise dokumentieren sollen? Kennt die Lehrerin die
Antworten auf die vorauszusetzenden Fragen zu den Objekten und kann sie den durch die Naturstudie
ermöglichten Erkenntniszugewinn verbal zusammenfassen? Kann sie die Prüfungsfragen definieren, die
sich die Schülerinnen zur Unterrichtseinheit ins Heft schreiben sollen? Hat sie das Kompetenzprofil genau
durchdacht, das zur Beantwortung der von ihr initiierten Fragen notwendig sein wird? Wird durch die von
ihr geplante Studie vor dem Objekt das Bewusstsein der Schülerinnen nachhaltig erweitert, was die
Zielsetzungen, Methoden und Medien des bildnerischen Studierens von Objekten (der Natur) betrifft?
Wird es der Lehrerin gelingen, den Schülerinnen ein Angebot zu machen, wie sie bildnerische Studien von
zeichnerischen Aktivitäten in Studienprozessen unterscheiden können, die nicht bildnerisch motiviert
sind?
Wenn fünf Spezialistinnen Studien zu einer bestimmten Eiche erstellen und jede der fünf im Verlauf dieser
Studie Visualisierungsmedien einsetzt, sollte man dann nicht in der Lage sein, den Einsatz dieser Medien
in den Grundzügen zu verstehen? Wenn eine Biologin, eine Chemikerin, eine Försterin, eine
Sägewerksbesitzerin und eine bildende Künstlerin im Zusammenhang mit ihrer Studie zu dieser Eiche
zeichnen, fotografieren, filmen usw., gibt es dann nicht eine Gemeinsamkeit in der Anwendung von
Visualisierungsmedien, die die Lehrerin des Faches Bildnerische Erziehung klar herausbilden sollte? Und
sollten nicht die Schülerinnen darüber aufgeklärt werden, dass Bilderstellungsmaßnahmen bei Studien in
den unterschiedlichsten Fachdisziplinen angewandt werden und daher Grundkompetenzen für derartige
Visualisierungsnutzungen für die unterschiedlichsten Berufszweige sinnvoll sein können? Profitiert die
Biologin nicht ebenso wie die bildende Künstlerin oder die Chemikerin, die Försterin und die
Sägewerksbesitzerin von der erworbenen Fähigkeit der sachlogischen Medienanwendung zur
Unterstützung beziehungsweise Ermöglichung von Studienprozessen? Kann nicht bei allen diesen
Spezialistinnen der Erwerb von Kompetenzen in Medienanwendungen und Visualisierungsstrategien von
Nutzen sein? Und ist es nicht eine außergewöhnlich spannende Fragestellung die jeweiligen
Überschneidungen und Unterscheidungen in den Kompetenzprofilen der fünf Spezialistinnen zu
definieren? Angenommen alle fünf bewegen sich im Bereich der sinnfälligen Visualisierung zielstrebig und
gekonnt (weil sie eine gute Ausbildung in Bildnerischer Erziehung genossen haben), wodurch
unterscheiden sie sich dann bei ihren Befassungen mit ein und demselben Phänomen (Baum)?
Ihre unterschiedlichen Fachkompetenzen werden zu unterschiedlichen Fragestellungen führen, die sie
dann in der Folge in ihren unterschiedlichen Studien zu den jeweiligen Antworten zuführen wollen. Was sie
gemeinsam haben könnten wäre ihr Vermögen Visualisierungstechniken sinnvoll zu nutzen, um ihre
jeweiligen Zielsetzungen zu verfolgen beziehungsweise zu dokumentieren. Es ist zu hoffen, dass die
bildende Künstlerin über besonders differenzierte Kapazitäten für die Anwendung dieser
Visualisierungsmedien verfügt, da dieselben einen Kernbereich ihrer spezifischen Fachkompetenz
darstellen könnten. Die Gretchenfrage aber stellt sich in dem Moment, in dem man die spezifischen
Kompetenzprofile der fünf Spezialistinnen zu artikulieren versucht.
„Was ist das allgemein verständliche und vermittelbare Kompetenzprofil einer bildenden
Künstlerin und welche Fragestellungen ermöglicht dieses Profil, die von den Repräsentantinnen
der anderen vier Berufsgruppen nicht zu erwarten sind?“
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Bild 7
„Auf Grund welcher spezifischen Fachkompetenz kann die bildende Künstlerin Antworten auf ihre Fragen
zum Motiv Baum finden beziehungsweise auch Angebote von Antworten auf die Fragen der anderen
Spezialistinnen entwickeln, die sie aus ihrer Kompetenz heraus in ihr Fachgebiet einbindet?“
„Welche Fragestellungen kann eine bildende Künstlerin formulieren, die zu interessanten Antworten der
anderen vier Spezialistinnen führen können, da sie aus einer Sichtweise resultieren, die die Routine der
anderen Fachrichtungen sprengt und somit überraschende Befassungen der anderen Kernkompetenzen
mit dem Motiv Baum nach sich zieht?“
Die Wechselwirkungen von Motiv, Motivation und Kompetenz der fünf Spezialistinnen sollten für jede
Bildnerische Erzieherin von größtem Interesse sein. Es gilt klar zu erkennen und zu vermitteln, dass ein
qualitätvoller Unterricht aus bildnerischer Erziehung allen fünf Expertinnen bei der Anwendung von
Visualisierungen von Nutzen sein könnte. Es gilt klar hervorzuheben, dass Grundkompetenzen in der
Anwendung von zeichenbildenden Studienmaterialien für alle Berufe von Vorteil sein können und die
Schülerinnen daher durchaus ohne Schaden ein Verständnis von Studien vor dem Objekt vermittelt
bekommen könnten, das deren grundsätzliche Nutzbarkeit in den unterschiedlichsten Wissenschaften
eindrucksvoll belegt.
Die schwierigste Vermittlungsarbeit betrifft die künstlerisch motivierte Studie vor dem Objekt und das nicht
zuletzt deshalb, weil es heute so schwierig ist künstlerische Kompetenz objektiv zu beschreiben. Dessen
ungeachtet sollte der Versuch des Erklärens künstlerischer Studien von Objekten und Phänomenen der
sichtbaren Wirklichkeit durchaus zum Gegenstand von Unterricht aus Bildnerischer Erziehung werden. Es
empfiehlt sich jedoch vor der Behandlung der schwierigsten Aspekte die klar definierbaren
Grundstrukturen des Erwerbens und Anwendens von Fertigkeiten für die Anwendung und Erstellung von
Visualisierungsmedien zu thematisieren.
Jede Nutzung und Erstellung von visuell wahrnehmbaren Zeichen- und Bildstrukturen setzt voraus, dass
die Erstellerin und Anwenderin derselben Grundkompetenzen für die Erzeugung optimal wahrnehmbarer
visueller Informationen besitzt. Die Fähigkeit zur Auswahl und Kombination ideeller und materieller
bildnerischer Mittel muss ebenso ausgebildet sein wie das Wissen um die Rahmenbedingungen der
menschlichen Wahrnehmung von Zeichengefügen aller Art auf planen Bildträgersystemen. Alle
standardisierten Projektionstechniken für die Erstellung von Raumillusionen auf Bildflächen sollten zur
Verfügung stehen. Die wichtigsten Gestaltungsmaßnahmen zur Hierarchiesierung von Bildfiguren
bezüglich der Staffelung derselben in ihren Raumpositionen und Auffälligkeitswerten sollten ebenso
bekannt sein wie die elementarsten Steuerungsmaßnahmen der formalen Zusammenfassung
beziehungsweise Unterscheidung von Inhalten. Das Schlagwort der Medienkompetenz, die an die
Schülerinnen vermittelt werden soll, beschreibt die anzustrebende und zu gewährleistende Kompetenz
der Schülerinnen die Leistungskapazitäten der Medien zu kennen und befähigt zu sein, je nach
Visualisierungsabsicht die dafür heranzuziehenden Medien logisch begründet auswählen zu können.
Diese Grundeinsichten in Gestaltungsmaßnahmen werden durch die unterschiedlichsten praktischen und
theoriebezogenen Unterrichtssequenzen im Fach Bildnerische Erziehung vermittelt und können daher für
alle Formen des Darstellens und Abbildens von visuell fassbaren Informationen vorausgesetzt werden.
Die wichtigsten Strategien zur intellektbezogenen Verdichtung von visuellen Informationen müssen
vorausgesetzt werden dürfen und müssen als basale Visualisierungsstrategien den Schülerinnen erklärt
und zugänglich gemacht worden sein. Dabei muss klar vermittelt worden sein, dass die Fähigkeit zum
stringenten Einsatz dieser intellektbezogenen Visualisierungsstrategien quer durch die
unterschiedlichsten Berufsbilder eine sinnvolle Ergänzung der in diesen Berufsfeldern
vorauszusetzenden Kompetenzen darstellt. Es kann eine sehr sinnvolle didaktische Entscheidung sein,
gerade bei der zumeist sehr unklar durchgeführten Studie vor dem Objekt die Schülerinnen eine
außerkünstlerische Problemstellung behandeln zu lassen. Wenn die Schülerinnen außerkünstlerische
Antworten auf außerkünstlerische Fragestellungen finden und auf ihrem Weg zum jeweiligen
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Bild 8
Die rhythmischen Bewegungen der Meereswellen werden zum
Motiv einer Bilderfindung aus Rhythmen von Senkrechten und
Waagrechten. Die Einfühlung des Bildgestalters ( in diesem
Falle von Piet Mondrian) in das Motiv Meer wird zur Basis für
eine Bilderfindung, die nicht auf imitativem Weg die
bildnerische Repräsentanz für ein Sujet der realen Welt zu
finden sucht, sondern vielmehr die Übersetzung des Erlebten
durch eine empfundene Formfindung ins Bild einfließen lässt.
Erkenntniszugewinn die hohe Bedeutung von visualisierungstechnischen Maßnahmen erfahren, dann
besteht Grund zu der Annahme, dass sie den Wert des Erschließens von Visualisierungstechniken über
das Feld der Kunst hinaus erkennen.
Die Schülerinnen sollen auf dem Weg zu ihren Problemlösungen keine sogenannten schönen
Zeichnungen oder Fotos (Filme) erstellen, sondern klare Zeicheninformationen, die ihren Funktionen
allgemein verständlich dienen und unmissverständliche Informationen transportieren. Derartige
Zeichnungen sind nicht der Niederschlag einer imitationsorientierten Begabungslage, sondern vielmehr
der Spiegel einer intellektuellen Einsicht in Wissenszusammenhänge. „Ich weiß, wo ich wohne, und daher
kann ich rasch aufzeichnen, wo ich wohne.“ Dieser Satz sollte nach gut geplanten und durchgeführten
Studien vor dem Objekt ergänzt werden durch Sätze wie: „Ich weiß, wie diese oder jene Sache funktioniert.
Daher kann ich mein Wissen zeichnerisch zum Ausdruck bringen. Ich weiß, dass diese Studie eines
Objektes die Antwort auf eine klar gestellte Frage darstellt. Ich erkenne den Sinn der Frage und die
Korrektheit der Antwort, die ich auch mit Hilfe von Zeichnungen (Fotos, Filmen) entwickelt beziehungsweise dokumentiert habe.“
Die Schülerinnen sollen aber auch erkennen, dass diesen intellektbezogenen Aussagen zu Objekten, mit
denen sie sich auch zeichenbildend befasst haben, emotionsbezogene Aussagen und Auseinandersetzungen gegenüberstehen können, deren Inhalte nicht so klar objektiviert werden können, wie das bei
intellektbezogenen Inhalten der Fall ist. Emotionsbezogene Befassungen von bildenden Künstlerinnen
mit Objekten der sichtbaren Wirklichkeit können sich auch in Form von emotionsbezogenen
Visualisierungen niederschlagen, deren making off nicht so klar analysiert und beschrieben werden kann
wie das making off von intellektbezogenen Visualisierungen.
So könnte etwa eine bildende Künstlerin durch ihre visuell fassbaren Gestaltungen zum Ausdruck bringen
wollen, wie sie das Wesen einer Eiche empfindet (etwa im Unterschied zum Wesen einer Birke) und für die
Artikulation ihrer Empfindungen Studien zur Umsetzung ihrer Gefühle in Strukturen aus Formen und
Farben erstellen. Derartige Naturstudien sind durch die jeweilige Fähigkeit der Künstlerin eine individuelle
Einfühlung in ein Objekt der sichtbaren Wirklichkeit zeichensetzerisch nach außen zu vermitteln
gekennzeichnet. Die Empfindungen der Künstlerin führen zu Erfindungen von Form- und Farbstrukturen,
die zum einen charakteristische Qualitäten der äußeren Formenwelt einer Eiche zu Superzeichen führen
können, die aber zum anderen auch das durch die Künstlerin subjektiv erfühlte innere Wesen einer Eiche
einer fassbaren Gestalt zuführen wollen. Dabei steht es der Künstlerin frei, ob sie in ihrer Studie beide
Zeichensetzungswege zugleich betreuen möchte oder aber auch auf einen der beiden Wege verzichtet.
So könnte die Künstlerin auf ihrem Weg zur Erstellung eines für sie subjektiv stimmigen Farbklanges
(Formklanges) für das Motiv Eiche völlig auf jede optische Imitationsqualität verzichten. Dennoch könnte
sie eine Reihe von Studien zur Entwicklung ihres Farbklanges durchführen. Eine solche Reihe setzt die
Einfühlung der Betrachterin in das Motiv der Künstlerin und in ihr Kunstwollen voraus und ist nicht so ohne
weiteres didaktisch zu erschließen.
Formklang, Rhythmus, Maß und Farbklang stellen einige Register der Gefühlsumsetzung der bildenden
Künstlerin dar, die sich an Schülerinnen nicht so klar vermitteln lassen wie etwa die Werkzeuge der
intellektbezogenen Informationsverdichtung. Daher sollten alle praktischen Eigenleistungen der
Schülerinnen zu diesen nicht ohne weiteres objektivierbaren Gestaltungsmaßnahmen ohne Beurteilung
durch die Lehrerin erfolgen. Die Sensibilisierung der Schülerinnen für diese schwierigen Umsetzungsprozesse sollte im Vordergrund stehen. Die Schülerinnen sollten fairerweise darüber aufgeklärt werden,
dass gefühlsbezogene Studien sowohl auf die Empfindungsfähigkeit für das studierte Objekt aufbauen
wie auch von der Empfindungsfähigkeit der Studierenden für die eingesetzten Mittel des Gestaltens
abhängen. Und da jeder Mensch individuell empfindet, sollte man mit Beurteilungen der Empfindungen
von vielen durch das Empfinden eines einzelnen vorsichtig sein. Es schadet nichts, wenn die Lehrerin
diese Sachlage den Schülerinnen erklärt und daher auf Urteile verzichtet, wenn die Schülerinnen sich
praktisch mit der Frage befassen, wie sie ihre Empfindungen für ein vorgegebenes Objekt in Form- und
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Bild 9
Bild 10
Farbstrukturen umsetzen können. Die intellektbezogene Artikulation von Studien vor dem Objekt
hingegen eignet sich hervorragend für Beurteilungen, wenn im Vorfeld die Kriterien derselben klar
vermittelt worden sind.
Ein wesentliches Bildungsziel ist in der differenzierten Annäherung der Schülerinnen an Studien vor den
Objekten von bildenden Künstlerinnen der Geschichte und Gegenwart gegeben. Die Schülerinnen sollten
erkennen, dass oberflächliche Betrachtungen dieser Studien die Regel darstellen und dass sie diese
Oberflächlichkeit durch die Anwendung von Frageketten vermeiden können. Diese Frageketten könnten
zum Beispiel folgendermaßen lauten:
- „Welche verstandesbezogene Einsicht in die gezeichneten (fotografierten, gefilmten) Objekte der
sichtren Wirklichkeit wollte die Künstlerin in ihrer Studie gewinnen beziehungsweise dokumentieren?“
- „Welche gefühlsbezogene Einsicht in die gezeichneten (fotografierten, gefilmten) Objekte der
sichtbaren Wirklichkeit wollte die Künstlerin durch ihre Studie entwickeln beziehungsweise an die
Betrachterinnen vermitteln?“
- „Handelt es sich bei dieser Studie um eine Zeichnung zur Abklärung außerkünstlerischer
Interessen (zum Beispiel naturwissenschaftlicher oder ingenieurwissenschaftlicher Interessen)
oder verfolgte die Künstlerin vorrangig künstlerische Ziele?“
- „Welches Kompetenzprofil muss die Künstlerin gehabt haben, um diese Studie vor dem Objekt zu
erstellen?“
- „Welche Fragestellungen, die welche Kompetenzen voraussetzen, hat die Künstlerin in ihrer
Studie behandelt? Über welche außerkünstlerischen beziehungsweise künstlerischen
Kompetenzen muss die Künstlerin verfügen (verfügt haben), um die Antworten auf die gestellten
Fragen in Form von Zeichnungen zu vermitteln? Kann man überhaupt durch ausschließliches
Betrachten einer Zeichnung objektiv auf potentielle Fragestellungen, die in derselben behandelt
wurden, rückschließen oder sollte man sich um Selbstzeugnisse der Künstlerin bemühen?“
- „Über welche handwerklichen Kompetenzen muss die Künstlerin verfügt haben (verfügen), um
eine derartige Studie ausführen zu können?“
- „Liegt der Schwerpunkt der Studie auf der verstandesbezogenen Artikulation des Wissens der
Künstlerin über einen bestimmten Sachzusammenhang oder liegt dieser Schwerpunkt in der
gefühlsbezogenen Umsetzung der Empfindungen der Künstlerin in subjektive Form- und
Farbstrukturen? Bearbeitet die Künstlerin in ihrer Studie zu gleichen Teilen beide Wege der
Zeichenartikulation?“
- „In welchem Verhältnis steht diese Studie zum Zeitpunkt des anzunehmenden Erkenntniszugewinns oder kann diese Studie nicht als Medium der Entwicklung oder Dokumentation von
Erkenntnis aufgefasst werden? Setzt die Durchführung dieser Studie den im Vorfeld geleisteten
Erkenntniszugewinn voraus oder spiegelt sie den Prozess des Suchens nach Erkenntnis? Ist es
überhaupt zulässig von dieser Studie Rückschlüsse auf möglicherweise intendierte
Erkenntniszugewinne zu ziehen oder fallen alle diese Überlegungen in den Bereich der
Spekulation? Gibt es überlieferte oder aktuelle Aussagen der Künstlerin zu diesen Themen?“
- „Welche verstandesbezogenen Visualisierungsstrategien hat die Künstlerin zum Einsatz
gebracht, um welche Informationen eindeutig zu vermitteln?“
- „Welche gefühlsbezogenen Visualisierungsstrategien hat die Künstlerin benutzt, um welche
gefühlsbezogenen Wirkungen bei den Betrachterinnen hervorzurufen?“
Bringt man derartige Frageketten etwa bei der Betrachtung von unterschiedlichen Studien vor dem Objekt
von Leonardo da Vinci zur Anwendung, wird sich das breite Kompetenzprofil dieses universellen Genies
erst gerecht darstellen lassen. An Hand der Studien dieses Meisters lässt sich ohne Mühe nachweisen,
dass viele Zeichnungen ohne das vorauszusetzende Kompetenzprofil des Künstlers gar nicht möglich
gewesen wären. Dieses Kompetenzprofil stellt einen Fächer vieler Kompetenzen dar, die naturwissenschaftliches Wissen und Interesse ebenso umfassen wie ingenieurwissenschaftliches Wissen und
Interesse. Es gibt anatomische Studien, die ein für die damalige Zeit umfassendes medizinisches Wissen
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Bild 11
abbilden und Studien zur Lösung von technischen Problemen bei der Erfindung neuer Geräte. Es gibt
Zeichnungen zur Strömungsforschung und zur Gewitterforschung. Und selbstverständlich gibt es eine
Fülle von Studien, in deren Zentrum sein künstlerisches Interesse an der sichtbaren Welt und an ihrer
Übersetzung ins Bild steht. Da Vinci stellt den prototypischen Fragensteller in unterschiedlichsten
Richtungen und Disziplinen dar und seine vielseitigen Studieninteressen weisen einen gemeinsamen
Nenner auf, der uns noch heute stark beeindruckt: seine souveräne Handhabung der ihm zur Verfügung
stehenden Visualisierungsmedien. Zum Glück gibt es eine Menge von schriftlichen Selbstzeugnissen
dieses universellen Forschers und Studierenden. Ein aufschlussreiches Zitat soll in der Folge Zeugnis
davon geben, wie wenig seine Zeichnungen nach der Natur aus dem imitativen Abbilden des Gesehenen
abgeleitet wurden.
“Die Gewänder, die deine Figuren bekleiden, sollten so gefältelt sein, dass sie mit den Körperteilen
übereinstimmen, die sie bedecken: das heißt, sie sollen weich darüber fallen und die Körperteile sich
abzeichnen lassen und niemals mit harten Linien in sie tiefer als bis in die Körperoberfläche einschneiden.”
Aus diesem Zitat lässt sich hervorragend die Notwendigkeit eines Umsetzungsprozesses von real
gesehenen Hell-Dunkel (Licht-Schatten) Verhältnissen in stimmig illusionierte Bildräumlichkeit ableiten.
Der Zeichner einer entsprechenden Studie hat also darauf zu achten, in welche Raumzone er die Teile
seiner Studie durch die von ihm getroffenen Hell-Dunkelwerte bewegt. Die Visualisierungsstrategie der
Prägnanzschichtung (der Schichtung der illusionierten Positionen im Raum) muss einem geistigen
Konzept entsprechend zur Anwendung gebracht werden. Eine Hell-Dunkelstudie eines Faltenwurfes
verlangt eben mehr als die imitative Abbildung der beobachtbaren physikalischen Ausleuchtung. Wie
präzise Leonardos Vorstellungen von gut gemalten Faltenwürfen entwickelt waren, lässt sich auch aus
dem folgenden Zitat ableiten.
“Die Gewandfalten müssen so gezeichnet sein, dass der Betrachter, welche Bewegung die Figur auch
vollführt, keinen Zweifel darüber hat. Stellst du die Figuren so dar, dass sie mit mehreren Gewändern eines über das andere - bekleidet sind, sollte das oberste nicht so wirken, als bedecke es bloß ein Skelett;
es sollte die Gewandmasse wie auch das Fleisch darunter erkennen lassen.”
Zwei abschließende Beispiele von Zitaten geben Aufschluss über Leonardos Position bezüglich der Natur.
(Alle Zitate aus Leonardos Schriften entstammen dem Buch “Leonardo da Vinci - Zeichnungen” von
Emery Kelen, DuMont Buchverlag Köln, 1979.)
“Befrage die Natur in allem und schreib alles nieder. Wer immer meint, er könne die unendlichen Lehren
der Natur in Erinnerung behalten, gibt sich einer trügerischen Hoffnung hin. Das Gedächtnis ist nicht so
gewaltig.” (zu beachten: Befrage die Natur ...)
“Wähl dir nur einen einzigen Lehrmeister: die Natur.”
Leonardo da Vinci ist ein Meister der Anwendung der Visualisierungsmedien gewesen, die es zu seiner
Zeit gegeben hat. Viele seiner Studien weisen als Ergänzung seiner klaren Zeichnungen und Illustrationen
Texte auf, die in Korrelation zu den Grafiken seine Notizen, Hypothesen und Dokumente seines Wissens
vervollkommnen. Aus diesen Gründen scheint die Frage zulässig, welche Medien ein Geist wie da Vinci
heutezutage nutzen würde, wenn er die Gelegenheit dazu hätte. In welcher Weise würde er sich der
Medien Film, Fotografie und Computer bedienen, um in welchen wissenschaftlich beziehungsweise
künstlerisch motivierten Arbeiten voranzukommen?
Kann man heute die elektronischen Medien nicht nur in wissenschaftlichen sondern auch in
künstlerischen Studien einsetzen? Die meisten Studien der Spezialistinnen der unterschiedlichen
Wissensfelder sind in den meisten Fällen ohne Einsatz elektronischer Medien nicht mehr denkbar. Welche
Formen von künstlerisch motivierten Studien von Objekten setzen digitale Medien voraus und werden
nicht mehr ohne dieselben durchgeführt?
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Bild 12
Bei der Optimierung von Designprozessen und bei Visualisierungen von architektonischen Entwürfen
werden die Computer auch eingesetzt, um in Form von Simulationen die praktische Tauglichkeit
beziehungsweise die ästhetische Valenz von Objekten zu überprüfen. Es gibt computergestützte Studien
zur maßlichen Abstimmung von Gebrauchsgegenständen zu menschlichen Proportionen. Es gibt
Veranschaulichungen von zu erwartenden Beleuchtungsverhältnissen bei angenommenen Fensterausbrüchen und künstlichen Lichtquellen. Viele dieser Studienvorgänge setzen die Handhabung aufwendiger
Programme voraus, die sich nicht für didaktisch motivierte Erprobungen durch Kinder und Jugendliche
eignen.
Gibt es überhaupt didaktisch einwandfreie Stundenplanungen, in deren Verlauf digitale Medien als
unverzichtbare Medien zum Einsatz gelangen müssen, damit die Schülerinnen Erkenntnisse zu Studien
vor dem Objekt gewinnen können, die ohne diese digitalen Medien nicht möglich wären?
Die folgenden fünf Unterrichtsplanungen sollen die fachdidaktisch legitime Einbindung der digitalen
Medien in Unterrichtsprozesse zu Studien vor dem Objekt vorbildlich belegen. Bei allen diesen Planungen
wird darauf Wert gelegt, dass die elektronischen Medien nicht als schmückendes Medienbeiwerk in den
Unterrichtsverlauf eingefügt werden, sondern die eigentlichen und unaustauschbaren Trägersysteme von
Schülerinnenaktivitäten darstellen, deren Anwendung den Gewinn von Erkenntnissen von Schülern und
Jugendlichen hochgradig begünstigt. Bei der Planung der Stunden haben sich die Studierenden an
folgenden Fragestellungen orientiert, an Hand derer sie ihre eigenen Planungen überprüft haben:
- „Kann man in zwei Sätzen den Erkenntniszugewinn definieren, den die Schülerinnen durch die
Studie, dStudie, die mit Hilfe elektronischer Medien durchgeführt wird, erhalten sollen?“
- „Wie sieht das Kompetenzprofil der Schülerinnen aus? Reicht es für die erfolgreiche Bewältigung
der Aufgabenstellung? Welche computertechnischen Voraussetzungen müssen an die
Schülerinnen vermittelt werden, damit sie die digitalen Medien bei ihrer Studie eines Objektes
einsetzen können?“
- „Könnte man den angestrebten Erkenntniszugewinn in der gleichen Zeit ohne die Anwendung
elektronischer Medien gewährleisten?“
- „Was sollen die Schülerinnen durch ihre eigene praktische Arbeit über das Studieren eines
Objektes lernen? Wie lauten die Einsichten in Methoden und Medien des Studiums vor dem
Objekt, die die Schülerinnen im Verlauf der Stunde gewinnen sollen?“
- „Wodurch kann man die Schülerinnen für die Suche nach einer bestimmten Erkenntnis
motivieren? Weshalb sollten sie sich um Antworten auf Fragen bemühen, die sie sich nicht selbst
gestellt haben, sondern die ihnen von der Lehrerin vorgegeben wurden?“
- „Wie lauten die beiden wichtigsten Prüfungsfragen, die am Ende der Stunde dieselbe in knappster
Form zusammenfassen werden?“
Die folgenden fünf Stundenplanungen entsprechen diesen Überlegungen. Alle Materialien zur Abhaltung
der Stunden sind als downloadmaterial verfügbar: www.fliegendes-klassenzimmer.ufg.ac.at
5 Modellstunden für den sinnvollen Einsatz elektronischer Medien bei schulischen Naturstudien
Alles verkehrt und daher richtig (Das Mohnflesserl - der Film)
In aller Kürze:
In der ersten Hälfte der Doppelstunde werden an alle Kinder (vierte Klasse Unterstufe) Mohnflesserl
ausgeteilt. Die Kinder sollen die Mohnflesserl rein linear darstellen. Wenn sie wollen, können sie mit
Bleistift vorzeichnen, um anschließen ihre Zeichnung mit einem dünn und schwarz schreibenden Filzstift
klar rein zu zeichnen. Nach der Pause werden an Schülerinnengruppen mohnflesserlartig geflochtene
Seilobjekte ausgegeben. Die Schülerinnen sollen die Seilobjekte langsam dekonstruieren und halten
schließlich ein etwa 60 Zentimeter langes Seilstück in den Händen. Sie sollen anschließend versuchen
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Bild 13
aus dem Seil wieder das ursprünglich “Mohnflesserlobjekt” zu flechten. Obwohl sie kurze Zeit vorher
selbst die Form zerlegt haben, werden sie es nicht schaffen diese Form zu bilden. Zu diesem Zeitpunkt
erfahren die Schülerinnen auch, dass ihr eigener Zeichenprozess der vorigen Stunde ihnen nicht helfen
kann das Problem des “Mohnflesserlflechtens” zu lösen. Es stellt sich die heilsame Frage, was sie denn in
der einen Stunde ihres Abzeichnens des Flesserls über den Aufbau desselben wirklich gelernt haben. Die
Schülerinnen lernen dadurch, dass die Fragestellung nach dem Produktionsablauf eines Flesserls wohl
ihr zeichnerisches Verhalten verändert hätte, weil sie zu einem Studierverhalten geführt hätte.
Absichtloses und zielloses Abbilden von vorgegebenen Formen führt in den seltensten Fällen zu
brauchbaren Erkenntnissen über diese Formbestände. Erst die Formulierung einer Fragestellung und die
Definition eines Motives, einer Motivation führen zu einem Interesse, das dicht genug ist, um das
Studieren eines Objektes mit Sinn und Gehalt auszurüsten.
Nachdem die Schülerinnen eingesehen haben, dass sie keine klare Vorstellung davon haben, wie man
aus einem Seil die Form eines Mohnflesserls formen kann, erhalten sie ein weiteres fertig geflochtenes
“Seilflesserl”. Erneut sollen sie diese Form entflechten. Dieses Mal sollen sie aber den Vorgang der
Dekonstruktion digital filmen. Sie sollen darauf achen, dass sie beim Zerlegen der Form ihre Hände so
halten, dass sie den Prozess der Dekonstruktion nicht verdecken. Anschließend wird der Film im
Programm Premiere derart umgewandelt, dass er von hinten nach vorne abläuft. Auf diese Weise wird aus
der verkehrt gezeigten Dokumentation der Dekonstruktion eine Art filmische “Bauanleitung” für das
Flechten der Flesserlfigur.
Die Schülerinnen dürfen sich den Film mehrmals ansehen. Sie dürfen den Film stoppen und parallel zur
Betrachtung des Filmes aus den Seilen, die ihnen zur Verfügung stehen, die Flesserlform flechten. In
wenigen Minuten wird jede Schülerin im Besitz einer Flechtroutine sein. Abschließend zeichnen die
Schülerinnen eine rein lineare Flechtanleitung, um ihren Erkenntnisstand zu überprüfen und zu vermitteln.
Auf Grund der abschließenden Besprechung sollen die Schülerinnen erkennen, dass ihr Naturstudium
erfolgreich war, weil es im zweiten Teil der Stunde mit einer Fragestellung verknüpft war, und sie die
richtige Visualisierungstechnologie und Strategie angeboten erhielten. Der Zeitpunkt des Erkenntniszugewinns ist nicht als Moment des Abfilmens der Dekonstruktion einzuordnen, sondern ist in der Phase
der Datenauswertung (in der Betrachtung des rückläufig gespielten Filmes) zu diagnostizieren. Das
Medium der Visualisierung liefert die Basis der Erkenntnis. Die Erkenntnis entspringt der motivierten
Analyse eines Dokumentes einer Zerstörung, das rückläufig gespielt zum Bauplan einer Konstruktion
wird. Die Erkenntnis geschieht während der konzentrierten Betrachtung eines Visualisierungsmediums.
Die Schülerinnen erkennen in einer Phase des problemlösungszentrierten Wahrnehmens, das nicht mit
einer zeichenerstellenden Aktivität verbunden ist.
Aus diesen Gründen lernen die Schülerinnen, dass Studie vor dem Objekt im Kopf passieren kann, wenn
eine entsprechende Motivation diese Kopfarbeit herausfordert und passende Bildmedien dieselbe
unterstützen.
Perspektive mit Perspektive
Die Modellstunde “Perspektive mit Perspektive” ist ebenfalls für eine Mittelstufenklasse der AHS gedacht.
In diesem Alter (etwa 15 Jahre) beginnt die intellektuelle Hinterfragung der Unterrichtsinhalte durch die
Schülerinnen. Analytisches Denken wird geschätzt und die eigene zeichnerische Aktivität an der Fähigkeit
zur objektiv richtigen Wiedergabe der sichtbaren Wirklichkeit gemessen. Die Schülerinnen neigen in
diesem Alter dazu in den Werken der Gotik und der Renaissance fotorealistische Abbildungen der
entsprechenden Motive zu erkennen, ein Umstand, der dadurch begünstigt wird, dass sie von mehreren
Seiten die Erkenntnis vermittelt erhalten, dass eine große Leistung der Renaissancebildkunst darin
bestünde, dass die Bildbaumeister dieser Epoche die Gesetzmäßigkeiten der zentralperspektivischen
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Bild 14
Projektion erfasst und in ihren Bildwerken zum Einsatz gebracht hätten. Die simplifizierende Identifizierung der Renaissancekunst als Bühne der Befolgung mathematischer und geometrischer Vorgaben
soll durch die Stunde “Perspektive mit Perspektive” nachhaltig in Frage gestellt werden.
In einem ersten Schritt sollen die Schülerinnen einen Vergleich betrachten, der zwei Fassungen des
berühmten Bildes “Die Beweinung des toten Christus” zeigt. Neben der Abbildung des Originales können
die Schülerinnen eine Computermanipulation wahrnehmen, die die Füße der liegenden Figur in der
zentralprojektionstechnisch korrekten Größe vermittelt, wenn man die starke Verkürzung in Betracht zieht,
in der Andrea Mantegna die Leiche des Christus ins Bild gestellt hat. Dieser Vergleich veranschaulicht
unter Zuhilfenahme von elektronischen Medien, dass Andrea Mantegna eben nicht die von ihm
intellektuell vollinhaltlich erfassten Gesetzmäßigkeiten der Zentralprojektion zum Regelwerk seiner
Proportionsentscheidungen erhoben hat. Vielmehr hat Mantegna diese Gesetzmäßigkeiten außer Kraft
gesetzt und versucht durch die Erfindung einer Verschmelzung aus Verkürzungsillusion und Erhaltung
von Massrelationen (Verhältnis der Größe einer Hand zur Größe eines Fußes zur Größe eines Kopfes
usw.) ein Bildzeichen zu schaffen, das möglichst dicht und überzeugend die zu vermittelnden
Informationen auf der Bildfläche präsentiert. Eine Progression der Maße, wie sie die Zentralprojektion
vorschreiben würde, hat er nicht akzeptiert, weil dieselbe ja auch eine fragwürdige Wirkung der Figur zur
Folge gehabt hätte.
Andrea Mantegna hat sich also durchaus die Freiheit genommen, seine gestalterischen Bildbaupläne
über die ihm bekannten Gesetze der Fluchtung von Figuren zu stellen. Die Schülerinnen sollen erkennen,
dass die Illusionierung von Raum auf der Bildfläche nicht einfach durch die Übernahme von
geometriebezogenem Wissen zum Bildraum führt, sondern die gestalterisch motivierte Integration von
projektionstechnischen Erkenntnissen voraussetzt, die im gegebenen Fall jederzeit durch bildzeichensetzerische Motivationen überregelt werden können.
In der Folge sollen die Schülerinnen beim Vergleich einer Fotomanipulation von Herrn Mag.art. Leo
Kislinger mit dem Bildnis des Kardinals Albergati von Jan van Eyck erkennen, dass die Vermischung von
charakteristischen Ansichten wichtiger Unterzeichen von komplexen Figuren (etwa Augen, Nase und
Mund eines Kopfes) auch in der Malerei der Gotik und der Renaissance eine bedeutsame Rolle gespielt
hat. Als praktische Übung zur Strategie der Informationsverdichtung durch Perspektivfusion können die
Schülerinnen im Programm Photoshop verschiedene Ansichten dreier Objekte verschmelzen und diese
neu erfundenen und informationsverdichtend formulierten Figuren auf einer Tischfläche zu einem
Stillleben kombinieren. Abschließend sollen sie dann ihre Arbeit mit einem Stillleben von Pablo Picasso
vergleichen und feststellen, dass Picasso ähnliche Visualisierungsstrategien zur Anwendung gebracht
hat, wie sie sie im Computer eben erprobt hatten.
Das wichtigste Ziel der Doppelstunde “Perspektive mit Perspektive” besteht darin die Schülerinnen
darüber aufzuklären, dass Projektionstechniken der darstellenden Geometrie Hilfsmittel der Bildersteller
sein können, aber deren Bildkreationsprozesse nicht definieren müssen. Die Bildersteller spielen mit der
Illusion der Perspektive, nutzen deren Gesetzmäßigkeiten zum Zweck der Informationsverdichtung,
mischen Perspektiven nach Gutdünken auf der Suche nach dem “Mehrwert” der visuellen Botschaft und
pfeifen auf die mathematische Korrektheit der perspektivischen Darstellung, wenn die künstlerische
Darstellung das einfordert.
Da Vinci`s Weit(en)sicht
Auch die Stundenplanung “Da Vinci`s Weit(en)sicht” widmet sich Illusionierung von Raum auf einer
Bildfläche. Nur geht es in dieser Stunde nicht um die Anwendung von Perspektivillusionen sondern um die
Schichtung von Prägnanzen von Gestalten auf Bildflächen zur Gewährleistung der korrekten Raumlagenillusion derselben. Ein berühmtes Gestaltungsbeispiel Leonardos öffnet in diesem Zusammenhang im
wahrsten Sinne des Wortes weite Räume des Erkennens von Gestaltungsstrategien.
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Bild 15
Leonardo beschreibt in kurzen Sätzen die Problemstellung für einen Maler, die darin besteht, dass zwei
gleich groß erscheinende Häuser, deren untere Hälfte von einer Mauer überschnitten wird und die sich in
zwei unterschiedlichen Raumzonen befinden, auf einer Bildfläche so dargestellt werden sollen, dass der
Betrachter keine Probleme bei der korrekten Zuordnung der Raumlage dieser Häuser hat.
Da Vinci beschreibt in der Folge das Abnehmen der Kontrastdichte bei der Wahrnehmung des weiter
hinten liegenden Hauses und empfiehlt diese unterschiedliche Kontrastdichte (den Prägnanzwert) im Bild
zu berücksichtigen. Er empfiehlt sozusagen eine Prägnanzhierarchiesierung, eine Schichtung der Raumlagen durch eine entsprechende Abstufung der Prägnanzen der in den Raumlagen positionierten Objekte.
Die Stunde ist aber nicht als Frontalinformation der Schülerinnen über diese Gestaltungsstrategie geplant.
Vielmehr starten die Schülerinnen mit dem digitalen Abfotografieren eines Raummodelles, das zwei
unterschiedlich helle Kartonflächen hinter einer halbhohen Fläche im vordersten Vordergrund und vor
einer schwarzen Fläche im Hintergrund zeigt. Die Abstufung der Flächen entwickelt sich also wie folgt:
ganz vorne befindet sich eine halbhohe mittelgraue Fläche, die die unteren Hälften der hinter ihr
positionierten Flächen überschneidet. Dahinter folgt eine dunkelgraue Fläche und ein ordentliches Stück
weiter hinten ist eine weiße Fläche positioniert. Ganz hinten befindet sich dann die schwarze Fläche. Die
Schülerinnen fotografieren diese Anordnung von Flächen von dem Punkt, aus dem die beiden Flächen in
der Mittelzone gleich groß erscheinen. In der stereoskopischen Wahrnehmung der Anordnung der
Flächen ergibt sich für die Schülerinnen eine zwingende Klarheit der Raumlagenidentifizierung. Bei der
Wahrnehmung der Digitalfotos in den Laptops werden die Schülerinnen dann mit dem Eindruck
konfrontiert, dass der in Wahrheit weiter hinten befindliche weiße Karton auf Grund seiner hohen
Prägnanz vor dem dunkelgrauen Karton zu liegen scheint.
Die Schülerinnen erkennen somit bei der studienbezogenen Auswertung ihrer Fotos die hohe Bedeutung
der Prägnanz für die Raumlagenillusion von Figuren auf Bildflächen aus eigener Anschauung.
Nachdem sie also die Visualisierungsstrategie der Prägnanzschichtung theoretisch verstanden haben,
sollen sie nun das Gelernte anwenden. Sie sollen zwei Türme im Programm Photoshop derart hinter einer
Mauer zur Geltung bringen, dass unmissverständlich klar vermittelt wird, welcher der beiden Türme näher
zur Mauer platziert ist. Anschließend übertragen die Schülerinnen diese erfolgreiche Anwendung der
Prägnanzhierarchiesierung in die Vektorgrafik. Im Programm Corel-Draw schichten die Schülerinnen
mehrere gleich groß wirkende Kugeln auf Grund ihrer unterschiedlichen Helligkeiten im Raum. Dasselbe
können sie wahlweise auch mit Ufos vor einem hellblauen Himmel tun.
Zum Abschluss der Stunde werden die Schülerinnen mit hervorragenden Beispielen von Schichtungen
von Prägnanzen von Bildfiguren auf Bildflächen bekannt gemacht (nicht zuletzt auch mit hervorragenden
Beispielen der Malkunst von Leonardo da Vinci).
Drachen platt machen
Die Anwendung digitaler Medien erleichtert die Herstellung von schwarz gefüllten Silhouettenfiguren ganz
entschieden. Noch nie war es so einfach ausgehend von einer fotografischen Abbildung eine Gestalt auf
eine schwarz gefüllte Fläche zu reduzieren. “Scherenschnitt leicht gemacht!” könnte das Motto dieser
Stunde lauten, wenn sie auf einen billigen Naturalismus der Gewinnung von Flächenformen setzen würde.
“Scherenschnitt bewusst gemacht!” lautet stattdessen der Untertitel der Stundenplanung “Drachen platt
machen”. Die Schülerinnen sollen im Verlauf dieser Unterrichtsplanung erfahren, dass ein gutes und
informatives Flächenzeichen mehr erfordert als die Reduktion eines Fotos auf zwei Helligkeitswerte.
Am Beginn der Stunde konfrontiert der Lehrer die Schülerinnen mit einer Playmobil Figur, einem
Spielzeugdrachen. Der Lehrer baut aus einem weißen Karton einen Hintergrund und fordert die
Schülerinnen auf die Drachenfigur aus den unterschiedlichsten Perspektiven digital zu fotografieren. Die
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Bild 16
Schülerinnen fotografieren die Drachenfigur auf und vor dem weißen Kartonhintergrund aus
verschiedenen Ansichten und übertragen in der Folge die eben entstandenen Fotos in den Computer. Sie
lernen, mit welchen Programmbefehlen die Digitalfotos auf Schwarz und Weiß reduziert werden können.
Diese digitale Bildbearbeitung ermöglicht es den Schülerinnen ihre Fotozeichen als Schwarz-Weiß
Flächenzeichen wahrzunehmen. Die Umwandlung der Farbfotos in Schwarz-Weiß Zeichen, die mit den
Farbfotos nur mehr den Umriss gemeinsam haben, ansonsten aber keine Gliederung mehr vermitteln,
was etwa Farb- oder Hell-Dunkel-Strukturen betrifft, soll von den Schülerinnen schriftlich kommentiert
werden. Welcher Verlust an Informationsvermittlung tritt ein, wenn ein Farbfoto auf diesem Weg in ein
schwarzes Silhouettenzeichen transformiert wird? Die Schülerinnen studieren diesen Informationsverlust
und fassen den Erkenntnisgewinn ihrer Beobachtungen schriftlich zusammen.
Nachdem die Schülerinnen den Kommentar zu ihren aus Digitalfotos gewonnenen Flächenzeichen
abgeschlossen haben, teilt der Lehrer ein Arbeitsblatt aus, das eine schlecht erkennbare Fotozeichenform
eines Drachen auf einem Ritterschild zeigt. Etliche unterschiedliche Ansichten derselben Drachenfigur
(der mitgebrachten Playmobil Spielfigur) ergänzen das Arbeitsblatt. Alle Flächenzeichen wurden auf dem
gleichen Weg erstellt, den die Schülerinnen vor kurzem selbst praktisch erprobt hatten. Die Schülerinnen
sollen nun beschreiben, warum sie das Zeichen auf dem Schild nicht gut finden. (Die Figur des Drachen
wird aus einer für eine Flächenform denkbar ungünstigen Ansicht gezeigt. Viele Unterformen fallen zu
einer unklaren Gesamtform zusammen und werden daher in ihrer Zeichenbedeutung nicht mehr
verständlich vermittelt.)
Die Schülerinnen lernen die wichtigsten Kriterien für eine funktionstüchtige Flächenzeichenform kennen:
Auswahl und Verschmelzung aussagestarker Ansichten von bedeutenden Detailformen, Vermeidung von
Verunklärungen durch Überschneidungen und Vermeiden von Raumillusionen, die Binnenzeichnungen
voraussetzen (also flächenhaftes Aufklappen und Ausfalten der Detailformen in die Zeichenfläche usw.).
Im Anschluss an die Vermittlung bzw. Wiederholung dieser Gestaltungsprinzipien für das Ausformen von
Flächenzeichen sollen die Schülerinnen im Programm Photoshop die jeweils am besten geeigneten
Ansichten der einzubringenden Unterzeichen (Beine, Krallen, Flügel, Schwanz, Hörner, aufgerissenes
Maul und Drachenzähne) auswählen und zu einer Zeichenerfindung (Zeichenfusion) verschmelzen.
Dieser Auswahlprozess setzt das problemlösungsorientierte Studium der vorhandenen Fotofiguren und
auch der realen Drachenfigur voraus. In dieser Phase studieren die Schülerinnen das vorgegebene
Datenmaterial und werten es auf der Suche nach den charakteristischesten Unterfigurdarstellungen aus.
Erneut wird sich der Studierprozess in der Analyse und Bewertung von Daten (Informationswerten von
Zeichenfiguren) ausfalten. Die Ertestung der getroffenen Auswahl der optimale Zeicheninformation
gewährleistenden Unterfiguren und deren überzeugende Kombination wird jedoch im elektronischen
Medium in der präzisesten und zeitsparendsten Form durchgeführt.
Zu diesem Zweck werden die am besten geeigneten Elemente aus allen zur Verfügung stehenden Fotos
digital ausgeschnitten und im Computer zu einer neuen Zeichenfigur zusammengefasst.
Die Schülerinnen sollen am Schluss ihre Zeichenerfindung elektronisch in das vorgegebene Ritterschild
einfügen und nachprüfen, ob ihr frisch geschaffenes Zeichen einen höheren Informationswert besitzt als
das schlechte Zeichen auf dem Arbeitsblatt. In der Folge werden die Schülerinnen hervorragende
Flächenzeichen aus der Geschichte der Heraldik und dem Anwendungsbereich der Gebrauchsgrafik
unter Anwendung der gelernten Kriterien für klare Flächenzeichengestaltung analysieren.
Rosige Einsichten
Im Zentrum der Stundenplanung “Rosige Einsichten” steht eine Rose, die die Lehrerin den Schülerinnen
mitbringt, um ihnen zu erklären, dass sie sich eine Doppelstunde mit dieser Rose beschäftigen werden.
Und zwar ausschließlich mit ihrer Farbstellung, und in keiner Weise mit ihrem formalen Aufbau.
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Bild 17
Der Lehrer fordert die Schülerinnen auf die Farbe eines beliebigen Elementes der Rose mit Wasserfarbe
nach zu mischen. Sie sollen sich die Farben zu ihrer Mischprobe dazu notieren, die sie für die Erstellung
ihrer Mischung verwendet haben. Anschließend arbeiten die Schülerinnen mit den Laptops. Die
Schülerinnen öffnen die Bilddatei “Rose” und lernen das Werkzeug “Pipette” kennen, mit dessen Hilfe sie
die Farbstellung jedes einzelnen Pixels des Rosenfotos als Füllfarbe aufnehmen und definieren können.
In der Folge sollen die Schülerinnen versuchen einfache Flächengliederungen aus einigen wenigen,
harmonisch wirkenden und aus dem Rosenfoto aufgenommenen Farben zu entwickeln. Dabei können sie
sowohl die Deckkräfte der Ebenen manipulieren, die sie für jede einzelne aufgerufene Farbe eingerichtet
haben, wie auch die Formenwelten der Farbfelder in den Ebenen neu definieren, wenn sie Lust dazu
haben. Grundsätzlich gilt jedoch, dass eine einfache Orthogonalgliederung durchaus ausreicht, um der
Frage nachzugehen, ob man aus den Pipettenproben des Rosenfotos ansprechende Farbgliederungen
generieren kann. Durch Verschieben der Ebenen können die Schülerinnen jedoch ganz entscheidend die
Gesamtwirkung des von ihnen betreuten Farbklanges bestimmen. Sie definieren auf diese Weise
Mengenverhältnisse und Proportionen und können die verschiedenen Fassungen ihrer Farbgefüge unter
unterschiedlichen Bezeichnungen abspeichern. Das ermöglicht den Vergleich dieser Fassungen und
somit die vertiefte Auseinandersetzung mit den eigenen Studien. Somit lernen die Schülerinnen eine
weitere sehr brauchbare Dienstleistung der elektronischen Medien für alle Studierenden von
Farbordnungen kennen: die rasche Variation von Daten und das völlig unproblematische Festhalten
unterschiedlicher Fassungen des gleichen Rohmaterials.
Die Schülerinnen sollen die Erfahrung machen, dass die Farben dieser Rose zueinander harmonisch
artikuliert sind und daher die elektronischen Farbprobenzusammenführungen in ihren Studien im
Regelfall eben diese Harmonie ausstrahlen. Sie sollen erkennen, dass die Natur eine nie versiegende
Quelle von Anregungen für Farbstellungen darstellt und dass die digitale Entnahme von Farbrelationen
auch ohne die Berücksichtigung der Formausprägungen eine zielführende Studie darstellen kann.
Im Anschluss an ihre eigene praktische Befassung mit der Herstellung von Farbordnungen lernen die
Schülerinnen Beispiele einer derartigen Auseinandersetzung von bildenden Künstlern mit Werten der
Natur kennen.
Einblicke und Ausblicke
Seit jeher haben sich die bildenden Gestalter mit den mannigfaltigen Erscheinungsformen der Natur in
Form von Studien beschäftigt. Jede Gestalterin von visuellen Informationen ist gut beraten, wenn sie sich
die Gestaltung des Transfers und der Nutzung von visuellen Informationen in der Natur genauer ansieht.
Nicht nur die Formerfindungen der Natur an und für sich können ins Zentrum der künstlerisch motivierten
Studien gerückt werden (Proportionsstudien, Rhythmusstudien, Aufbau- und Strukturstudien, Form- und
Farbstudien usw.), auch die vielfältige Anwendung von Visualisierungsstrategien zur Sicherung der
Arterhaltung bei organischen Lebensformen können als prall gefüllte Schatzkiste für potentielle Naturstudien wertgeschätzt werden.
Auf welche Weise signalisieren Tiere und Pflanzen unter Anwendung hochentwickelter Visualisierungsstrategien einander Warnungen, Täuschungen, Tarnungen und Lockungen, und wie könnte eine bildende
Künstlerin diese Forschungsfelder der Biologie in zukünftige Forschungsfelder der bildenden Kunst
integrieren? Und auf welche Weise wird diese Einbindung die Anwendung elektronischer Medien voraussetzen? Welche Erkenntnisse, die aus einer künstlerischen Zuwendung entspringen, wird ein derartiges
Studium der Natur ermöglichen?
Welche zeitgemäßen Fragestellungen, die welche zeitgemäßen Motivationen abbilden, sind von welchen
zeitgemäßen Repräsentantinnen des künstlerischen Schaffens zu erwarten, die sich den Regelsystemen
der Natur widmen und ihren evolutionären Lösungswegen der Kommunikation durch visuelle Signale?
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Bilderserie 18
Dekonstruktion
Bilderserie 19
Konstruktion
ALLES VERKEHRT UND DAHER RICHTIG
Beate Wieland / Maria-Anna Niedermayr
Jeder von uns hat in der Schule schon einmal Naturstudien erstellt bzw. erstellen müssen (steht ja auch im
Lehrplan). Großteils wird unter Studie vor dem Objekt in diesen Zusammenhang das imitative Abbilden
eines mehr oder weniger interessanten Objektes verstanden. So ging es auch unseren 15-jährigen
SchülerInnen, denn sie wussten sofort, was sie zu tun hatten, als wir ihnen die Mohnflesserl austeilten und
ihnen auftrugen, eine Naturstudie zu zeichnen. Die fertigen Zeichnungen strotzten vor Desinteresse.
Unser Ziel war es, den SchülerInnen den Begriff „Studie vor dem Objekt“ verständlich zu machen, indem
sie die Unterschiede zwischen “sinnloser” und “sinnvoller” Studie selbst erlebten. Der Sinngehalt einer
Studie sollte sich für die Schülerinnen aus dem erworbenen Erkenntniszugewinn ableiten. Die imitativen
Studien, die sie am Beginn der ersten Stunde gezeichnet hatten, hatten ja so gut wie keinen
Erkenntniszugewinn nach sich gezogen. Das sollte allen Schülerinnen bewusst werden.
Nachdem wir die SchülerInnen eigentlich absichtlich zum Misserfolg geführt hatten, erklärten wir ihnen die
Wichtigkeit einer Motivation, d.h. einer Fragestellung im Vorhinein und eines Erkenntniszugewinns im
Nachhinein. Und dann gaben wir ihnen einen Motivationsvorschlag: Sie sollten den Aufbau des Flesserls
erfassen. Erst ab diesem Zeitpunkt betrieben sie ein sinnvolles Naturstudium. Das Interesse der
SchülerInnen war auch ein ganz anderes als beim bloßen Abbilden des Gebäcks. Mit großer
Aufmerksamkeit begegneten sie nun den Flesserln, die zwanzig Minuten zuvor noch so unglaublich fad
waren, den Umstand ausgenommen, dass sie sie später essen durften.
Für uns war sehr bedeutend, dass der Erkenntniszugewinn der SchülerInnen nicht schon beim einmaligen
Zerlegen des Seilflesserls und auch nicht beim Filmen der Dekonstruktion, sondern erst beim Anschauen
der Konstruktion (bei der rückwärts abgespielten Dekonstruktion am Laptop) eintrat. Der entscheidende
Moment trat also bei der Auswertung der zuvor selbst erstellten Visualisierung ein.
Als alle SchülerInnen auswendig ein Flesserl aus Seil knüpfen konnten, visualisierten sie ihre gerade
gewonnene Erkenntnis in Form einer linear gezeichneten Bauanleitung. Es war erstaunlich, wie sehr sie
sich bemühten die Anleitung auch richtig und nachvollziehbar darzustellen. Sie kontrollierten sich immer
wieder selber und auch gegenseitig. Keine/r wollte sein/ihr neues Wissen durch eine schlechte oder
falsche Zeichnung als Beleg eines Nichtwissen ausgeben.
Wir freuten uns wirklich sehr, als wir die Bauanleitungen im Nachhinein kontrollierten, denn alle waren
richtig! Unser Unterrichtskonzept erklärt und problematisiert Studie vor dem Objekt emanzipatorisch,
denn die SchülerInnen erleben selber klar den Sinn von Studien und werden nicht zu sehr vom imitativen
Abbilden abgelenkt. Das Mohnflesserl für sich genommen ist auch sehr interessant. Es ist nämlich auf das
Flechtwerk der Germanen und Kelten zurückzuführen und stellt ein Symbol für ein langes Leben dar.
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I N I T I AT I O N
Zeichnen einer Bauanleitung
Theorie zu Studie vor dem Objekt:
- Motivation
- Medieneinsatz
- Kompetenz
- Zeitpunkt der Erkenntnis
Sprache
Seilweckerl
A4 Blätter
Bleistift und schwarzer Fineliner
Tafel
Seilweckerl
Kamera
Laptop und Film
Sprache
Sprache
Mohnweckerl
A4 Blätter
Bleistift und schwarzer Fineliner
MEDIUM
Einzelarbeit
Frontaler Unterricht
Lehrer - Schüler Gespräch
Lerhrer - Schüler Gespräch
Gruppenarbeit
Gruppenbesprechungen
Gelenktes Lehrer - Schüler Gespräch
Frontaler Unterricht
METHODE
O B J E K T I VAT I O N
O B J E K T I VAT I O N
I N T E G R AT I O N
BEATE WIELAND, MARIA-ANNA NIEDERMAYR / ALLES VERKEHRT UND DAHER RICHTIG / STUDIE VOM OBJEKT / 5. KLASSE
Die SchülerInnen sollen ihre eben
gewonnene Erkenntnis durch eine
Bauanleitung visualisieren.
Die SchülerInnen können in kurzen
Sätzen Motivation, Medieneinsatz,
Kompetenz und Zeitpunkt des
Erkenntniszugewinns im Bezug auf ihre
Studie vor dem Objekt erklären.
E X P L O R AT I O N
Studie vor dem Objekt mittels digitaler
Medien
Erkenntniszugewinn
Aufbau des Mohnweckerls
- Motivation
- Fragestellung
- Erkenntniszugewinn
Problematisierung des Begriffes “Studie
vor dem Objekt”
“Naturstudie”
unstrukturiertes imitatives Abbilden
eines Mohnweckerls
mit dem Mittel Linie
I N H A LT
E X P L O R AT I O N
Die SchülerInnen sollen durch das
Studium ihrer filmischen Dokumentation
der Dekonstruktion eines Mohnweckerls
den Aufbau und das Flechtprinzip eines
Mohnweckerls erkennen.
Die SchülerInnen sollen eigenständig
ein Mohnweckerl aus einem Seil
knüpfen können.
Die SchülerInnen sollen in kurzen
Sätzen erklären können, dass
erkenntnisorientierte Zielsetzungen für
ein Studium vor dem Objekt wichtiger
sind, als imitatives Abbilden des
Objekts.
Die SchülerInnen sollen das
Mohnweckerl rein linear darstellen
(ohne Details und ohne Schatten).
Sie können verbal beschreiben, welche
Ziele sie in ihrer Studie verfolgt haben.
ZIEL
I N I T I AT I O N
I N T E G R AT I O N
Hochwimmer
vorher: unmotiviertes Zeichnen ohne Erkenntniszugewinn
nachher: Erkenntniszugewinn wird motiviert in Flechtanleitung veranschaulicht
Peter Affenzeller
Schenk
25
Bild 21
zu groß wirkende Elemente verlieren den Zusammenhang
Bild 20
Bild 22
Bild 23
Bild 24
26
Die Fusion der informativsten Ansichten:
eine sehr alte Visualisierungsstrategie
Die geometrisch exakte Perspektivprojektion kann zu Bildfiguren führen, die in der Bildfläche eine
seltsame Wirkung entfalten. Unter Umständen sprengen sie die bildliche Einheit der Bildelemente. Aus
diesem Grund und um die Aussage von Zeichenfiguren zu verdichten, haben viele Bildgestalter die
Gesetze der Perspektivprojektion zugunsten wirksamer und klarer Bildzeichen außer Kraft gesetzt.
Bild 25
PERSPEKTIVE MIT PERSPEKTIVE
Tanja Obernberger
Ich habe in meiner Stunde verschiedene Teilbereiche von Perspektive genauer unter die Lupe genommen
und mit ihnen Sprünge von der Kunst des alten Ägypten bis in die Renaissance, von Jan Van Eyck bis
Pablo Picasso geschafft, natürlich immer in Hinsicht auf die Studie vor dem Objekt, dem eigentlichen
Thema dieser Lehrveranstaltung.
Meine perspektivbezogene Reise durch die Zeit beginnt im Alten Ägypten mit Wandmalereien. An diesem
Beispiel ist die Bedeutungsperspektive in Hinsicht auf die Größe der dargestellten Figuren sehr gut zu
erklären. Auch das Verschneiden und Fusionieren von unterschiedlichen Perspektiven kann hier schon
thematisiert werden.
Als nächsten sprangen wir in der Zeit und in der Kulturgeschichte zu Jan Van Eyck. Hier wird die
Verschneidung und Kombination von unterschiedlichen Perspektiven am Beispiel einer Portraitmalerei
konkretisiert. Nachdem das Verständnis der Schülerinnen und Schülern in Hinsicht auf Perspektive ein
wenig durcheinander gebracht und vor allem erweitert wurde, kann ein Beispiel dienlich sein, das weniger
komplexe Formen bietet.
Ein Stillleben von Pablo Picasso wird dazu genützt die frisch erworbene Einsicht der Schülerinnen durch
eine praktische Übung mit elektronischen Medien zu festigen. Die Gegenstände eines realen Stilllebens
(eine Kanne, ein Kerzenständer, ein Emailletopf) wurden aus verschiedenen Ansichten fotografiert und als
digitale Bausteine für die Verdichtung einer visuellen Information mit Hilfe des Einsatzes eines Laptops
angeboten.
Die Schülerinnen und Schüler haben aus 2-3 Bildern der drei verfügbaren und thematisierten
Gegenstände Teile ausgeschnitten und zu einer Bildzeichenerfindung vereint, die besonders aussagestark charakteristische Ansichten verschmolz . Die Auswahl der Bildteile und deren Kombination war den
Schülerinnen mit der Zielsetzung überlassen, dass die Perspektivfusionen einen Mehrwert an Information
über die behandelten Zeichenfiguren gewährleisten. Interessant dabei ist der unkomplizierte und
spielerische Umgang der Schülerinnen und Schüler mit der Strategie der Perspektivenfusion und der
daraus folgenden Einsicht, dass diese Strategie bis heute eine gültige Steigerung der Aussagekraft von
Bildzeichen bietet.
man. Foto: links und rechts mehr dazu
manipuliertes Foto: links mehr dazu
unmanipuliertes Foto
Um möglichst viele Informationen durch Bildfiguren zu transportieren, muss man sich über die wichtigsten
Visualisierungsstrategien im Klaren sein, deren Anwendung von professionellen Bildgestaltern der
Geschichte und der Gegenwart nachgewiesen werden kann. Das heißt, dass ein erkenntnisorientiertes
Studium dieser Strategien eine elementare Vorraussetzung für das gelungene Vermitteln von visuell
fassbaren Informationen nach sich ziehen kann.
Bild 26
Wie man einer Kopfzeichensetzung (-erfindung) auf der planen Bildfläche das nötige Volumen verschafft?
27
28
I N I T I AT I O N
E X P L O R AT I O N
O B J E K T I VAT I O N
I N T E G R AT I O N
PC, Beamer, Bildmaterial, Arbeiten der
SchülerInnen
TANJA OBERNBERGER / PERSPEKTIVE MIT PERSPEKTIVE / 4. KLASSE
Vergleich des ursprünglichen
Fotos mit
· entstandenen Arbeiten der
SchülerInnen und
· Portraits der Künstler
PC, Photoshop, vorbereitetes digitales
Material
PC, Beamer, Bildmaterial
PC, Beamer, Bildmaterial
das Programm Photoshop
MEDIUM
L/S Gespräch
Selbständiges Arbeiten, paarweise
zusammenarbeiten
L/S Gespräch
Gespräch
METHODE
O B J E K T I VAT I O N
Die SchülerInnen sollen ihre Erkenntnisse
auch auf andere Werke übertragen können,
bewusst Unterschiede zur Realität
wahrnehmen und Unterschiede von
fotografischen Darstellungen zu
naturalistischen Abbildungen gemeinsam in
der Klasse besprechen können.
Durch Zusammenstellen von
unterschiedlichen Ansichten von
Gegenständen auf verschiedenen
Ebenen (Photoshop) entsteht ein
vollständiges Stillleben.
Portraits von Künstlern der Renaissance
werden analysiert. Die Verschmelzung
verschiedener Perspektiven und die
dadurch optimierte Lesbarkeit als dreidimensionaler Körper werden
veranschaulicht.
Erklärung der konstruktionstechnisch falschen Anwendung der
Zentralperspektive durch einen
bedeutenden Künstler der Renaissance.
Hinterfragung seiner möglichen
Beweggründe für einen derartigen
“Fehler” in der Perspektive.
I N H A LT
E X P L O R AT I O N
Die SchülerInnen sollen eigenständig
Theorie erproben, vergleichbare
kompositorische Arbeitsschritte unter
Zuhilfenahme von elektronischen
Medien durchführen und ihre
Erkenntnisse mitteilen können.
Die SchülerInnen sollen die
Gestaltungsmotivation der Künstler
erklären können und begründen, warum
nicht naturgetreu abgezeichnet, sondern
die durch vorgeschaltete Studien
gewährleisteten Erkenntnisse vermittelt
wurden.
Die Schüler sollen Gründe nennen
können, weshalb Andrea Mantegna in
seinem Bild Beweinung Christi die
Konstruktionsgesetze der Perspektive,
die ihm ja bestens bekannt waren, nicht
befolgt hat.
ZIEL
I N I T I AT I O N
I N T E G R AT I O N
Bild 27
Mathias Wenzel / Georg Reiter
Bild 28
Bild 29
Bild 30
29
Dieses Stereobilderpaar kann mit Hilfe eines Taschenspiegels zu einer Stereowahrnehmung fusioniert werden.
Bild 31
Versuchsanordnung von Kartonflächen im realen Raum (das Modell ist ca.1 Meter breit)
Wenn man das Modell im realen
Raum wahrnimmt, wird man
ohne Zweifel die Raumlagen der
Kartonflächen korrekt zuordnen.
In der Projektion auf eine Bildfläche kann sehr leicht der Eindruck entstehen, dass die weiße
Fläche weiter vorne liegt als die
weniger prägnante dunkelgraue
Fläche. In der Stereowahrnehmung kann diese Fehlzuordnung
durch Prägnanzeffekte nicht zur
Wirkung kommen.
Nimm an, du wolltest eine Anzahl von Gebäuden hinter einer Mauer platzieren, und jedes soll etwa gleich
hoch darüber sichtbar sein; doch einige musst du weiter entfernt zeigen als die anderen. Dann musst du
annehmen, dass die Luft zwischen den weiter entfernten Gebäuden und dem Auge etwas dichter sei.
Durch dichte Luft gesehen, erscheint -wie du beispielsweise im Fall von Bergen erkennst- jeder
Gegenstand bläulich.
Du wirst das erste Gebäude hinter der Mauer in der richtigen Kontur und der richtigen Farbe malen; das
erste der weiter entfernten Gebäude wird im Umriss etwas weniger genau sein und mehr an der bläulichen
Färbung teilhaben. Ein weiteres, viel weiter zurückgesetztes ist weit blauer gemalt.
Auf diese Weise heben sich Gebäude, die in Wirklichkeit in derselben Größe gezeichnet sind und auf
derselben Linie stehen, deutlich so voneinander ab, als befänden sie sich verschieden weit vom Auge
entfernt.
Vom Auge weiter entfernte Gegenstände erscheinen kleiner, als sie in Wirklichkeit sind, und weil sich eine
große Menge an Luft dazwischen befindet, ist die Erscheinung der Gegenstände abgeschwächt, und wir
sind daran gehindert, sehr kleine Einzelheiten zu erkennen.
Aus: Emery Kelen: Leonardo Da Vinci, Zeichnungen
Du Mont Buchverlag, Köln 1979. Seiten 134 – 135
30
DA VINCIS WEIT(EN)SICHT
Julia Knollmayr
Wie kann ich also Raum auf einem planen Zeichenträger stimmig illusionieren? Wie kann ich die von da
Vinci`s beschriebenen Gebäude so darstellen, dass sie räumlich voneinander entfernt wirken? Wie wurde
in der Geschichte der Kunst versucht, Raumillusion auf planen Bildträgern zu kreieren?
Diese Problemstellung schwebte über unseren Köpfen, als die Stundenplanung begann. Und genau
dieser Problemstellung wollten wir entgegentreten - mit Erkenntniszugewinn, Kreativität und Leonardo da
Vinci.
Wie die Schüler da Vinci`s versuchten wir die Aufgabenstellung zu lösen und um besser zu begreifen,
konnte an einem nachgebauten Objekt aus Karton getestet werden, wie die Problemstellung zu verstehen
war. Wir verstanden, dass viele Faktoren bei der Wahrnehmung von Räumlichkeit eine Rolle spielen. Um
die eigene Wahrnehmung besser zu begreifen, wurde zuerst unser eigenes stereooptisches Sehvermögen mittels Stereofotos und Spiegel getestet. Dass die Wahrnehmung von Räumlichkeit in der Realität
durch stereooptisches Sehen massiv unterstützt wird, war uns allen klar. Doch wie schaffte man es,
Räumlichkeit auf ein Medium zu übertragen, das in sich keine echte stereooptische Information vermitteln
kann? Wie soll man verständliche Raumillusionen auf einer planen Bildfläche erzeugen?
Es gibt bei der Gestaltung von Bildinformationen mehrere Möglichkeiten Raum zu illusionieren: Zum einen
alle Faktoren, die in den Projektionslehren berücksichtigt werden, wie etwa das Zusammenspiel von
Projektionsflächen und Projektionsstrahlen, die Größen- und Überschneidungsverhältnisse und die
Schrägführungen und zum anderen Raumwerte, die Bildfiguren auf Grund ihrer Farbe, ihrer Prägnanz und
ihrer Hell- Dunkelrelationen auf der Bildfläche entfalten.
Um das Ganze auf möglichst anschauliche und rasche Art und Weise selbst erfahrbar und erprobbar zu
gestalten, wurden Laptops ausgeteilt, deren Anwendung verschiedene Übungen ermöglichten.
Alle diese Übungen hatten im direkten Sinne mit Leonardo da Vinci`s Aufgabenstellung zu tun. Bei zwei
gleichen Objekten versuchten wir, eines davon durch Transparenz, Farbe, Helligkeit und Weichzeichnen
in den Hintergrund zu stellen. Dank modernen Medien war der Ablauf dieser Erkenntnisübungen
unkompliziert und anschaulich. Auch in der Kunstgeschichte fanden sich viele Beispiele, wie das Problem
Raum auf einer Bildfläche zu illusionieren, unter Anwendung der gleichen Visualisierungsstrategie gelöst
wurde.
Die von Da Vinci beobachtete „Verblauung“ beschäftigt sich mit weiter entfernten Objekten und
Landstrichen. Je weiter weg diese Objekte im realen Raum positioniert sind, desto bläulicher erscheinen
sie. Außerdem erfahren ihre Umrisse eine Art Weichzeichnung. Nicht nur Künstler aus vergangenen
Jahrhunderten wandten sich dem Thema Raumillusionierung zu. Auch in vielen Bereichen der modernen
Medien (Grafikdesign, Film- und Fernsehen, ..) werden diesbezügliche Erkenntnisse angewendet.
Elektronische Medien helfen dabei Raumillusionen optimal ins Bild zu bringen.
Die gehaltene Stunde ist eine Möglichkeit Grunddispositionen für überzeugende Raumillusionen
eigenpraktisch zu studieren. Wir haben uns dem Problem „Räumlichkeit“ gestellt und sehr positive
Ergebnisse errungen.
Bild 32
31
32
I N I T I AT I O N
E X P L O R AT I O N
O B J E K T I VAT I O N
I N T E G R AT I O N
Medienpaket: Kunstgeschichtliche Beispiele
(Leonardo Da Vinci, Altdorfer, Seurat,
Beispiele aus Grafikdesign, ..)
JULIA KNOLLMAYR / DA VINCIS WEIT(EN)SICHT / VIERTE KLASSE
Formulierung des Erkenntniszugewinnes
Kunstgeschichtliche Problemstellungen zum
Thema „Räumlichkeit“
Kopien mit Text von Leonardo da Vinci,
Laptop + Beamer zum Vorzeigen der
Programme Photoshop und Corel Draw,
Photo von Objekt mit Türmen, Papier A4,
weißer und schwarzer Farbstift
Lehrer - Schüler - Gespräch
MEDIUM
Lehrervortrag,
schülerzentriertes Gespräch
Lehrervortrag; Auftrag an die Schüler
Einzelarbeit
Lehrer – Schüler – Gespräch
Lehrer - Schüler – Gespräch,
Gruppenübung
METHODE
O B J E K T I VAT I O N
Die SchülerInnen sollen die im Unterricht
vermittelten Visualisierungsstrategien für die
Erstellung unmissverständlicher
Raumillusionen anhand von vorgelegten
Bildbeispielen erläutern können.
Nutzung der digitalen Medien zur Erzeugung
von Hell- Dunkel
Darstellung von räumlich von einander
entfernt liegenden Objekten
Bildnerische Mittel: Farbe, Hell – Dunkel
Gestaltungsstrategie: Prägnanzschichtung
Die stereooptische Wahrnehmung von
Räumlichkeit beim realen Raumsehen
I N H A LT
E X P L O R AT I O N
Die SchülerInnen sollen unter Anwendung
der digitalen Medien und der entsprechenden
Programme Räumlichkeit darstellen können.
Die Schülerinnen sollen erklären können,
warum die wenigsten stereooptisch
wahrgenommenen Hell- Dunkel- Verhältnisse
von realen Raumgegebenheiten für stimmige
Raumillusionen auf plane Zeichenträger
unverändert übernommen werden können.
Sie sollen die Gestaltungsmaßnahmen der
Steuerung von Hell-Dunkel- Verhältnissen
von klaren Raum-lnformationen auf
Bildflächen verbal erläutern können.
Die Schüler sollen ein Kartonmodell
stereooptisch wahrnehmen.
ZIEL
I N I T I AT I O N
I N T E G R AT I O N
Bild 33
Christoph Wimmer
Bild 34
Julia Nimmervoll
Felix Reichör
Bild 35
33
Bild 36
Bild 37
Bild 38
Bild 39
?
Bild 40
34
DRACHEN PLATT MACHEN
Karin Niggler
Ein Flächenzeichen ist zwar flach, muss aber deswegen nicht seicht sein. Ganz im Gegenteil. Im Meer der
Zeichen kann ein Flächenzeichen enormen Tiefgang entwickeln. Und genau um diesen Tiefgang dreht
sich die Stundenplanung “Drachen platt machen”.
Die Schülerinnen sind in dieser Unterrichtseinheit Eroberer und Ritter der guten Form und es gilt für sie das
Wappen ihres Ritterordens mit einem neuen Flächenzeichen zu schmücken. Dafür ist der Vorschlag des
Hofnarren (Bild 37) wenig geeignet. Höchstens als schlechtes Beispiel, denn man erkennt schließlich in
diesem Schattenbild kaum ein Drachenzeichen. Doch zum Glück haben die Schülerinnen auch Zugriff auf
umfangreiches Ausgangsmaterial, das ihnen eine Menge an digitalen Fotos eines (Spielzeug)Drachens
bietet. Es gibt verschiedene als schwarze Silhouetten definierte Fotoansichten zur Auswahl: Drachen von
oben, Drachen von links, Drachen von rechts, Drachenköpfe, ja sogar einen Drachen ohne Flügel, damit
seine Rückenzacken besser zu erkennen sind (siehe die Bildergruppe 39). Drachen einfach überall.
Die Schülerinnen studieren also Fotos eines Drachens, der selbstverständlich auch als reales Objekt
(Kunststoffdrache) anwesend ist (siehe Bilderreihe 40). Und da eine Studie immer in Beziehung zu ihrer
Zielsetzung stehen sollte, die in diesem Fall ein gutes Flächenzeichen erstrebenswert macht, studieren
die jugendlichen Ritteraspiranten erst einmal das Mittel Fläche an sich.
Rein flächenhafte Zeichen sollten ganz flach gehalten werden und parallel zum Hintergrund ausgebreitet
werden. Das Mittel Fläche verlangt nach der Flachheit der in ihm artikulierten Zeichen. Und wo keine
Räumlichkeit ist, dort hat es auch eine Selbstüberschneidung schwer. Die Schülerinnen kämpfen also, wie
es sich für jugendliche Helden der guten Piktogrammform gehört, mit dem Schwert der Flachheit gegen
verunklärende Überschneidungen und unleistbare Rauminformationen an. Als weiteres Rüstzeug für
ihren Feldzug zur klaren Zeichenfigur erobern sich die Schülerinnen einige Grundbefehle aus dem
Bildbearbeitungsprogramm Photoshop. Mit dem Schwert ihres Wissens über wirksame Flächenzeichen
und die Handhabung einiger Befehle zur Auswahl und Kombination von Pixelbilddaten schneiden die
Schülerinnen alle Detailformen aus, die im Mittel Fläche klar die Zeichenform vermitteln, die sie
gegenständlich darstellen sollen. Alle charakteristischen Unterfiguren des Drachens werden eingesammelt und bilden die Basis für die krönende Abschlussarbeit: das Zusammenfügen der gut lesbaren
Unterzeichen zu einem neu entwickelten Gesamtzeichen, das so reichhaltig und so unmissverständlich
wie möglich Auskünfte über die Drachenfigur gewährleistet.
Die Schülerinnen sollen dabei die Erfahrung machen, dass die Gestaltung eines klaren Flächenzeichens
Auswahl und erfinderische Freiheit voraussetzt und nicht einfach dadurch erfolgreich behandelt werden
kann, dass man eine Ansicht (ein Bild, zum Beispiel eine Fotografie) eines komplexeren Formbestandes
als schwarze Silhouette definiert. Das schwarz Ausmalen einer Ansicht einer Figur wird nicht ausreichen
um das Mittel Fläche funktionstüchtig einzusetzen. Die Auswahl und die Kombination (Komposition) der
charakteristischen Unterfiguren eines komplexen Gestaltbestandes setzen die Übersetzung der
dreidimensional wahrgenommenen Objektwelt in plane Zeichenfiguren voraus. Die Konsequenzen dieser
Übersetzungsarbeit der realen Figuren in Zeichenwerte des Mittels Fläche sollen den Schülerinnen im
Gedächtnis bleiben und bei der Würdigung von hochwertigen Flächenformen mithelfen (Vermeiden von
Überschneidungen und Raumillusionen, Vereinfachung und Geometriesierung, Ausbreiten in der Fläche).
Bild 41
35
36
Die SchülerInnen sollen praktisch
erfahren, dass es oft nötig ist
verschiedene Ansichten
miteinander zu vermischen, um ein
klares planes Superzeichen zu
schaffen.
I N I T I AT I O N
E X P L O R AT I O N
O B J E K T I VAT I O N
I N T E G R AT I O N
Sprache / Laptops oder Pcs /
Beamer / Bildbeispiele von Drachen
und Tierzeichen (Löwe, Adler) aus
der Heraldik / Bildbeispiele zu
Flächenzeichen (Piktogrammen)
aus dem Bereich Grafikdesign
Bildvergleich / Bildbetrachtung
Partnerarbeit bzw. Einzelarbeit mit
den verfügbaren Laptops oder Pcs
Bildbetrachtung / gelenktes LehrerSchülergespräch / Einzelarbeit
Vergleich / gelenktes LehrerSchülergespräch
METHODE
KARIN NIGGLER / DRACHEN PLATT MACHEN / STUDIE ZU EINER FLÄCHENFORMERFINDUNG / 4. KLASSE
Beispiele zu Flächenzeichen aus
Heraldik und Grafikdesign
Sprache / Laptops oder Pcs /
vorbereitetes Medienpaket
Sprache / Bildbeispiele aus der
ägyptischen Malerei /
Spielzeugdrache /
Belichtungsfläche / Arbeitsblatt mit
Schattenbildern des Drachens /
Stifte
Sprache / Bildbeispiele zu
unklaren und klaren Verkehrsschildern / Klebestreifen
Merkblatt mit den besprochenen
Verkehrszeichen
MEDIUM
O B J E K T I VAT I O N
Die Schülerinnen sollen den
zeitübergreifenden Sinn der
Geometriesierung und planen
Artikulation von superzeichenhaften
Flächenfiguren beschreiben und
erläutern können.
Auswahl der informativsten
Ansichten / Programmbefehle zum
Kombinieren der besten Ansichten
im Bildbearbeitungsprogramm
Photoshop
Optimierung von Ansichten /
Vermischung von Perspektiven /
Geometrisierung von
Flächenzeichen zum Zweck der
optimierten Weitenwirksamkeit und
Gestaltklarheit der Zeichenfiguren
Das Mittel Fläche und die
wichtigsten Kriterien der Gestaltung
von optimierten Flächenzeichen.
Ungewollte Gestaltbildungen durch
den misslungenen Versuch des
Transfers von räumlicher
Information im Mittel Fläche.
I N H A LT
E X P L O R AT I O N
Die SchülerInnen sollen durch die
Vermischung von Ansichten die
charakteristischesten Merkmale
eines Drachens zu einem planen
Superzeichen zusammenfügen.
Sie sollen Rauminformationen
vermeiden und Lesbarkeit
optimieren.
Die SchülerInnen sollen Kriterien
der Weitenwirksamkeit von
Flächenzeichen beschreiben
können. Sie sollen erläutern
können, dass das Medium Fläche
weder Binnenzeichnung noch HellDunkel-Differenzierungen bietet.
ZIEL
I N I T I AT I O N
I N T E G R AT I O N
Bild 42
Bild 43
Bild 44
Bild 45
EI
NE
Mark Heigl
Sebastian Rammelmüller
G
UN
P FU
S
NDIGE LÖ
Bild 46
Matthias Wenzel
Georg Reiter
37
Gabi Lukas / Selina Gut
Seidel / Kiesenhofer
Gabi Lukas / Selina Gut
38
ROSIGE EINSICHTEN
Wolfgang Schmidtgrabner
Franziska Thurner
Die Idee eine exemplarische Unterrichtseinheit für das Fach Bildnerische Erziehung unter Zuhilfenahme
elektronischer Medien zu gestalten und zu erarbeiten hat mich sehr angesprochen, weil ich glaube, dass
es nach wie vor dringend nötig ist den Computer als sinnvoll einsetzbares Mittel zu legitimieren.
Mit meinem Unterrichtsbeispiel möchte ich so manchen zukünftigen Kollegen Mut machen mit mir
gemeinsam die Fenster zu öffnen und frischen Wind in den Zeichensaal zu lassen. Es erwarten uns rosige
Einsichten.
Um mich mit dem Thema der Naturstudie auseinandersetzen zu können, musste ich mich erst mit dem
Begriff der Studie an sich beschäftigen. Nach einem Blick ins Lexikon - das Studium (v. lat.: studere =
streben (nach etw.), sich (um etw.) bemühen) - und mehreren Tassen Kaffee war klar, dass es keine leichte
Aufgabe sein würde, dem Begriff der Studie gerecht zu werden. Mir leuchtete ein, dass das Thema meines
Unterrichts zahlreiche Bereiche umfasst, also lenkte ich mein Hauptaugenmerk auf die Farbstudie. Und da
sich ja laut Franz Grillparzer die Kunst zur Natur wie der Wein zur Traube verhält, war der Bogen für mein
Unterrichtsthema gespannt: Farbstudien werden gewonnen werden, destilliert aus der Natur.
Um den Sinn des Einsatzes digitaler Mittel zu beweisen, studierten die SchülerInnen zuerst die Farben
einer mitgebrachten Rosenblüte, in dem sie versuchten diese mit Wasserfarben zu mischen und das
Mischverhältnis aufzuschreiben. Erst nach dieser Tätigkeit wechselten wir zu den Laptops, auf denen sich
ein Foto derselben Blüte befand. Der Mischvorgang wurde nun digital wiederholt und verglichen. Beide
Tätigkeiten, sowohl die analoge als auch die digitale, sind Formen von Studien - da ich in beiden Fällen das
genaue Mischverhältnis zu erforschen und anzugeben bestrebt bin.
Somit bin ich dem Begriff der Studie gerecht geworden und habe mein erstes Unterrichtsziel erreicht. In
der Folge sollten die SchülerInnen im Photoshop einen Farb-Zusammenklang von einigen Farben,
destilliert aus der Studie des Ganzen entwickeln und weiters durch Verschieben der Ebenen, eine für sie
spannende Raumaufteilung schaffen.
Das Schöne an dieser Aufgabenstellung ist unter anderem, dass man sich voll und ganz auf die Gabe der
Natur verlassen kann, da alle Farben aus der Blüte in harmonischen Verhältnissen zueinander stehen.
Nachdem die SchülerInnen ihre persönliche, subjektive Farb- und Raum Konstellation zusammengestellt
hatten, wollte ich ihren Blick auf das Detail schulen. Ich machte sie auf zwei wichtige
Gestaltungsmaßnahmen aufmerksam: auf die bewusste Reduktion auf einige wenige Farben und auf
einen komprimierten Bildausschnitt durch Zuschneiden der bisherigen Studien und separates
Abspeichern und Dokumentieren dieser Zuschnitte, um dadurch auch die verschiedenen Versionen
vergleichbar zu halten.
Die Schülerinnen sollten auf diese Weise eine Reise durch ihre Bilder machen und Fotos von den Orten
machen, an denen es ihnen am besten gefallen hat. Durch diese Form der Begegnung sollten sie ihre
Bilder auf die ihnen wichtig erscheinenden Ausschnitte reduzieren. Meiner Meinung nach haben sie ihre
Reise ganz spannend gefunden und ausserdem schöne Erinnerungen daran mitgebracht.
Paul Krepil
Oliver Kern /
Alexander Trefflinger
Oliver Kern /
Alexander Trefflinger
Seidel / Kiesenhofer
39
40
I N I T I AT I O N
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I N T E G R AT I O N
Beispielbilder für Wettbewerb
FRANZISKA THURNER / ROSIGE EINSICHTEN / PHOTOSHOP / 4. KLASSE
Zur Verdeutlichung von Reduktion:
Besprechung von Bildbeispielen
(kleine Ausschnitte von Farbstudien aus
Fotos)
Die SchülerInnen sollen raten, woher
der Ausschnitt sein könnte.
Laptop
Foto der Blüte
Blumenblüte
Malutensilien
Laptop
Foto der Blumenblüte
Fotos:
Militär Camouflage
MEDIUM
Wettbewerb
Lehrerin-SchülerInnen Gespräch
Frontaler Unterricht
Lehrerin-SchülerInnen Gespräch
paarweises Arbeiten am Laptop
Einzelbesprechung
Frontaler Unterricht
Selbstständiges Arbeiten
paarweises Arbeiten am Laptop
Einzelbesprechung
frontaler Unterricht
Lehrerin - Schülerinnen Gespräch
METHODE
O B J E K T I VAT I O N
Durch den Fotoinput den Blick auf das
Detail lenken und neugierig auf genaues
Sehen, Studieren und Entdecken
machen.
Die SchülerInnen sollen die Möglichkeit
des Bildausschnitts und der reduzierten
Farbgebung als positive und wichtige
Gestaltungsmaßname wiedergeben
können.
Raster von Orthogonalfeldern:
Farb-Zusammenklang destilliert aus der
Studie des Ganzen.
Farbstudie des gleichen Ausschnitts am
Laptop mit der Zuhilfenahme des
Pipettenwerkzeuges.
Einige Programmbefehle zur
Anwendung von Photoshop.
Farbstudie eines Ausschnitts einer
Blumenblüte mit Wasserfarben.
Aufschreiben des Mischverhältnisses.
Abbott Thayer:
Engl. Künstler, der durch eingehendes
Naturstudium für seine
Landschaftsbilder zum “father of
camouflage” wurde.
I N H A LT
E X P L O R AT I O N
Die SchülerInnen sollen durch ihre
eigene praktische Arbeit feststellen,
dass die bewusste Reduktion
auf einige wenige Farben und einen
komprimierten Bildausschnitt
verstärkt zu einer sehr dichten
Bildgestaltung führt und beide Punkte
wichtige Gestaltungsmaßnahmen sind.
Sie sollen erklären können, dass ihr
Erkenntniszugewinn durch die
Farbstudie deutlicher ausfällt, als nach
dem Abmalen der ganzen Blüte.
Die SchülerInnen sollen den Begriff der
Studie - im Sinne der Erforschung und
des erworbenen Erkenntniszugewinns einordnen können und erkennen.
Die SchülerInnen sollen durch das
gegebene Bildbeispiel auf den
Zusammenhang zwischen Naturstudie
und deren Einfluss auf die Umwelt
aufmerksam gemacht werden.
D.h.: Sie sollen feststellen, dass die
Naturstudie kein alleiniges Topic der
Malerei ist, sondern in den meisten
Berufen große Relevanz hat.
ZIEL
I N I T I AT I O N
I N T E G R AT I O N
Paul Krepil
Wolfgang Schmidtgrabner
Bild 47
Oliver Kern / Alexander Trefflinger
Melanie Jerlitschka / Bianca Müller
Oliver Kern / Alexander Trefflinger
41
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Seite
1
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3
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43
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42
Quellennachweis
Illustration Hickisch / Foto des Kindes: Schreibelmayr / Foto der Fliege: Hickisch
Illustration Hickisch
Illustration Hickisch / Hoffelner
School of Visual Arts New York / Eigenwerbung / Originaltext: “Since hundreds of years our
students are known for their imagination”
Illustration Hoffelner
Foto: Univ.Prof.Dipl.Ing. Axel Thallemer
Foto: Hickisch
Bild 1: Judmaier - Wetal / Journal für Kardiologie 2003 / 10 (1 -2): 36 - 42
Bilder 2 und 3: http://nsipp.gsfc.nasa.gov/enso/visualizations/
Logo der Firma Coca Cola / manipuliert
Bild 4: naturwissenschaftliche Illustration / Internetrecherge
Bild 5: Baum / Piet Mondrian
Bild 6: Zeichnung von Eicheln und Eichenblättern / Leonardo da Vinci / Internetrecherge
Bild 7: Explosionszeichnung / Internetrecherge
Bild 8: Meer / Piet Mondrian / Internetrecherge
Bild 9: Zypresse und Nachthimmel / Vincent van Gogh / Internetrecherge
Bild 10: Zypresse und toskanisches Haus / Internetrecherge
Bilderreihe 11: Leonardo da Vinci / Zeichnungen / Emery Kelen / DuMont Verlag / Köln
Bild 12: Logo der Firma Coca Cola
Bild 13: Crashtest / Internetrecherge
Bild 14: Zeichnung zur Handhabung von Zeichenhilfen / Albrecht Dürer / Internetrecherge
Bild 15: Gebirgsketten mit luftperspektivischer Verblauung / Internetrecherge
Bild 16: griechische Vasenmalerei / Internetrecherge
Bild 17: Blumenornament aus dem Ausschnitt eines Rosenfotos von Franziska Thurner
Bilderserie 18: Stills aus einem Dekonstruktionsfilm von Wieland und Niedermayr
Bilderserie 19: dieselben Stills in umgekehrter Reihenfolge als Flechtanleitung monitiert
Foto: Beate Wieland und Maria-Anna Niedermayr
Illustration Hickisch
Schülerinnenarbeiten
Bild 20: Die Beweinung des toten Christus / Andrea Mantegna / Internetrecherge
Bild 21: Manipulation von Bild 20 durch Tanja Obernberger
Bild 22: Foto Obernberger
Bild 23: Yugioh Karte
Bild 24: Kardinal Albergati / Internetrecherge
Bild 25: Dora Maar / Pablo Picasso / Internetrecherge
Bild 26: Fotomanipulation Hickisch
Bild 27: Fotos Hickisch
Bild 28: Bildbearbeitung: Mathias Wenzel und Georg Reiter
Bild 29: Stillleben /Pablo Picasso / Internetrecherge
Bild 30: Foto Hickisch
Bild 31: Vektorgrafiken Hickisch
Bild 32: Schülerarbeit (Vektorgrafiken)
Bild 33 / Bild 34 / Bild 35: Schülerinnenarbeiten
Bild 36: Verkehrzeichenreihe: Hickisch
Bild 37: Hickisch
Bild 38: Einbettung des Entwurfs von Mark Heigl / Hickisch
Bild 39: Silhouettenfotos Hickisch
Bild 40: Fotos Hickisch
Bild 41: Flächenzeichen / Internetrecherge
Bild 42 / Bild 43 / Bild 44: ägyptische Wandmalerei / Internetrecherge
Bild 45: Drachenwappen / Internetrecherge
Bild 46: Einpfundmünze / Foto Hickisch
Bild 47: Franziska Thurner
Illustration Hickisch
Illustration Hickisch
Illustration Hickisch
Leonardo da Vinci hat beobachtet und beschrieben, dass die Fliegen sechs Beine
haben. Die Fliegen waren zu dieser Zeit als minderwertige Tiere eingestuft und
selbst die Vertreter der Wissenschaften hielten es nicht für die Mühe wert, die
übernommene Fehlmeinung, die Fliegen hätten nur vier Beine, durch genaue
Betrachtung aufzuheben. Heute wissen wir etwas über den Lauf der Fliegen auf der
Zimmerdecke, das Leonardo nicht wissen konnte. Was wissen wir Wertvolles?
Im Zuge eines Forschungsprojektes des Max Planck Institutes für Metallforschung in
Stuttgart hat ein Forschungsteam um Direktor Prof.Dr. Eduard Arzt in Folge der
Auswertung von Superzeitlupenaufnahmen des Laufes von Fliegen auf Zimmerdecken und Tischflächen etwas sehr Bemerkenswertes herausgefunden:
Der Lauf der Fliege auf dem Tisch weist einen Dreipunktkontakt auf. Das heißt, dass
immer drei Beine der Fliege in jeder Phase des Laufes einen Kontakt mit dem Tisch
herstellen. Beim Lauf der Fliege auf der Zimmerdecke verstärkt die Fliege die Kräfte,
die sich aus dem Kontakt einer Unmenge von feinsten Haaren auf der Unterseite der
Fliegenbeine ergeben durch einen Vierpunktlauf. In jeder Phase des Laufes der
Fliege auf der Zimmerdecke berührt eine Fliege dieselbe mit mindestens vier
Beinen. Dieser Umstand ist deshalb bemerkenswert, als der Nachweis dieser
unterschiedlichen Lauftechniken der Fliege erst durch Medien möglich wurde, die
die sensorischen Wahrnehmungsmöglichkeiten des Menschen entscheidend
erweitert haben.
Superzeitlupenaufnahmen und Makrofotografie und Makrofilm erlauben Daten,
deren professionelle und kompetente Auswertung diesen Gewinn an Erkenntnis
ermöglichen. Technische Entwicklungen erweitern die verfügbaren Datenfelder.
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Heft 5 / 2005 / Gerhard Hickisch
Wie könnte eine zeitgemäße Lehre zum Thema
Studie vor dem Objekt heute aussehen?
… wenn man als Lehrerin / Lehrer dabei elektronische
Medien anwenden möchte?
… wenn die fachdidaktische Integration dieser Medien
im Vordergrund stehen soll?
… wenn man vermeiden möchte, dass zuviel Zeit
in die Programmlehre investiert wird?
Die Studienrichtung Bildnerische Erziehung der
Kunstuniversität Linz bietet mit dieser Broschüre
einige Antworten auf aktuelle Fragen.