Bestattungen_Masermann-Neumann_Jubileumsbroschuere
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Bestattungen_Masermann-Neumann_Jubileumsbroschuere
Herzlich Willkommen Vorwort Seit meine Urgroßmutter Maria am 1. Januar 1940 das Beerdigungsinstitut und Sarglager Masermann gegründet hat, ist viel passiert: Schönes und weniger Schönes, Lustiges und Ernstes, Großes und Kleines – in der Welt, in Essen und bei uns. Ich möchte mich herzlich bedanken bei allen, die den Weg gemeinsam mit uns gegangen sind: bei Familie, Freunden und Nachbarn, bei Kunden und Geschäftspartnern, bei Vertretern von Kirchen und Ämtern. Danke für die Unterstützung, die gute Zusammenarbeit, das Vertrauen und die Treue. Ich möchte mich auch bei denjenigen bedanken, die uns geholfen haben, 75 Jahre Familien- und Firmengeschichte aufzuschreiben. Wir sind in Archive gestiegen, haben historische Fakten gesichtet, Anekdoten und Erinnerungen gesammelt und Hunderte von Fotos gesichtet. Und weil wir so viel Spannendes gehört, gelesen und gesehen haben, ist aus der kleinen Jubiläumsbroschüre schließlich fast ein richtiges Buch geworden ... Sabine Sanheim im Namen von Maria, Ursula und Ulrike. “ Die Pflege von Traditionen ist nicht einfach ein stures Festhalten an Altem – es ist nicht das Aufbewahren von Asche, sondern das Aufrechterhalten einer Flamme. “ Übersicht Eine Familien- und Firmengeschichte von 1940 bis 2015 Bestattungskultur im Wandel der Zeit 4 12 Sargträger – Ein Amt mit Tradition 24 Nachbarn & Freunde 30 Tradition bewahren – und mit der Zeit gehen 38 Vorwort 1 Telefongeschichten Teil 3 23 Telefongeschichten Teil 1 7 Ulrikes Geschichte 26 Marias Geschichte 8 Telefongeschichten Teil 4 29 Wussten Sie schon ...? 11 Sabines Geschichte 32 Ursulas Geschichte 18 Erfolgreiche Frau und emanzipierte Männer 34 Telefongeschichten Teil 2 22 Telefongeschichten Teil 5 37 19.09.1941 Die Kennzeichnungspflicht für Juden durch Tragen des “Judensterns” in der Öffentlichkeit tritt in Kraft 1941 1940 01.01.1940 Gründung des ‘Beerdigungsinstituts’ Masermann 27.04.1940 Mit der Abwrackung von Graf Zeppelin I LZ 127 und Graf Zeppelin II LZ 130 endet die Ära der großen Luftschiffe 26.02.1941 Großes Grubenunglück in Essen, Schlagwetterexplosion Schachtanlage Zollverein 6/9, 29 Bergleute kamen ums Leben, Gedenkstein am Friedhof Am Hallo 75 Jahre Masermann-Neumann Eine Familien- und Firmengeschichte von 1940 bis 2015 75 Jahre Bestattungen Masermann-Neumann – das sind vier Generationen von Frauen: Maria (Jahrgang 1908), Ursula (Jahrgang 1937), Ulrike (Jahrgang 1959) und Sabine (Jahrgang 1982) haben den Familienbetrieb seit der Gründung im Jahre 1940 auf-, aus- und umgebaut, geleitet, durch schwere Zeiten geführt und modernisiert. Ihr traditionsreicher Meisterbetrieb ist geprägt von Werten und Grundsätzen. Seit 75 Jahren lautet ihr Leitspruch: “ „Dem Leben einen würdigen Abschluss geben.“ “ Die Frauen von Masermann-Neumann nehmen sich Zeit für die Angehörigen, stellen das Menschliche den finanziellen Aspekten einer Bestattung voraus, sind zuverlässig, fair und serviceorientiert. Diskretion ist Ehrensache. „Für mich und meine Mutter war die Schweigepflicht so selbstverständlich, dass wir kein Gesetz brauchten“, sagt Ursula Kraus und bekommt Zustimmung von Tochter Ulrike und Enkelin Sabine. „Das Vertrauen der Kunden ist in unserem Beruf durch nichts zu ersetzen.“ Und Vertrauen haben die Kunden. Das zeigt sich auch daran, dass viele Familien dem Unternehmen seit Jahrzehnten verbunden sind: Wer einmal Masermann-Neumann beauftragt hat, wendet sich auch beim nächsten Trauerfall an das Bestattungsunternehmen. 1948 Marianne, Maria und Ursula Masermann am Sarglager 2013 Ulrike Markner, Ursula Kraus und Sabine Sanheim mit den Töchtern Alice und Maia 05.03.1943 In Essen beginnen die schweren Luftangriffe auf Ruhrgebietsstädte; das sog.“Battle of the Ruhr” dauert bis Juli 1943 an 1943 1942 01.01.1942 Gründung der Vereinten Nationen 10.06.1943 Der Kugelschreiber wird patentiert Da erscheint es fast selbstverständlich, dass sich die junge Chefin auch nach der Beerdigung um die Menschen kümmert, die mit ihrer Trauer alleine bleiben – genau wie es ihre Mutter, Großmutter und Urgroßmutter getan haben. „Die Nachsorge gehört dazu. Das ist selbstverständlich. Und es gibt immer mal Sorgenkinder, da fährt man mal hin, um nach dem Rechten zu sehen.“ Denn das Menschliche hatte und hat immer den höchsten Stellenwert! Davon zeugen auch die Karten, Briefe und E-Mails der Angehörigen, die sich herzlich „für den Beistand in unserer schwersten Stunde“, für „Ihr wohltuendes Mitgefühl und Ihren unermüdlichen Einsatz“ oder für „Ihre anteilnehmende Art und Weise“ bedanken. Vielleicht sind es ihre Werte, vielleicht ihre Erscheinung als Frauen – vermutlich aber eine Kombination aus beidem. Maria Masermann hatte sich schnell Respekt verschafft und das Vertrauen der Essener gewonnen. Eine gute Grundlage für die nachfolgenden Generationen, die das Geschäft in der Tradition der Gründerin weiterführten und bis heute führen. Dabei waren und sind sie nicht nur fachkundige Bestatterinnen, sondern auch Beraterin, Helferin und Ansprechpartnerin für die Trauernden: Sie begleiten die Menschen durch die schwere Zeit des Abschieds, nehmen ihnen einen Teil der Last ab und begegnen Verstorbenen wie Angehörigen mit Würde und Respekt. 11.04.1945 Die Stadt Essen wird offiziell an die Allierten übergeben 02.08.1945 Erster kriegerische Kernwaffeneinsatz auf Hiroshima 1945 1944 20.07.1944 Claus Schenk Graf von Stauffenbergs Attentat auf Adolf Hitler scheitert 28.01.1944 In Berlin wird der Film “Die Feuerzangenbowle” mit Heinz Rühmann uraufgeführt 08.05.1945 Kapitulation der Deutschen; Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa 19.10.1945 Gründung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 5 “ 75 Jahre, das sind 27.375 Tage, in denen sie rund um die Uhr für ihre Kunden da waren – “ kompetent, empathisch und würdevoll. Frauen gehen mit Tod und Trauer – meist – anders um als Männer. Das gilt auch für Bestatterinnen. Während ihre männlichen Kollegen unter anderem den Vorteil haben, dass sie ohne Probleme schwere Eichensärge tragen können, sind die Frauen von Masermann-Neumann pragmatisch in ihrer Arbeit und bringen gleichzeitig viel Empathie mit für diejenigen, die einen lieben Menschen verloren haben. „Das liegt in unseren Genen“, vermutet Sabine Sanheim. „Frauen haben mehr Verständnis für die ganze Gefühlsebene und für die Störung der gesunden Psyche durch die Trauer. Deshalb werden wir von den Angehörigen oft besser angenommen.“ Das bestätigt auch Thomas Starke. Er führt in der vierten Generation das Essener Familienunternehmen „Starke Söhne“, das seit fast 100 Jahren Bestattungswäsche fertigt und den Fachhandel beliefert: „In Bestattungsunternehmen, in denen Damen die Geschäfte führen, findet man eine andere, persönlichere Handschrift. Damen können eher Brücken bauen zu den Angehörigen. Sie haben oft ein besseres Gefühl für Ausstattung, Blumen und Bilder und achten irgendwie mehr auf Sauberkeit und Ordnung.“ Zur fast gleichaltrigen Ulrike Markner und zu ihrer Tochter Sabine Sanheim, die er schon von Kindesbeinen an kennt, kommt er besonders gerne: „Das ist noch ein richtiges Familienunternehmen. Man kennt sich, man nimmt sich Zeit und redet auch mal über Themen, die nichts mit dem Geschäft zu tun haben. Und es gibt immer noch die Tasse Kaffee. Das alles ist heutzutage nicht selbstverständlich.“ Seit 75 Jahren kümmern sich Maria, Ursula, Ulrike und Sabine um die Verstorbenen und die, die zurückbleiben. 75 Jahre, das sind 27.375 Tage, in denen sie rund um die Uhr für ihre Kunden da waren – kompetent, empathisch und würdevoll. 75 Jahre Bestattungen Masermann-Neumann, das ist Trauerkultur mit Tradition. 2015 Sabine Sanheim 15.12.1947 Die Stadt Essen und der Folkwang Museumsverein beschließen den Wiederaufbau des Museum Folgwang Essen 1947 1946 30.10.1946 Gustav Heinemann, späterer Bundespräsident, leitet als Essener Oberbürgermeister den Wiederaufbau ein 05.04.1947 Hungerstreik und erste Großdemonstrationen nach dem Krieg der Zechenbelegschaften in Essen Telefongeschichten Teil 1 So um 1950 herum – niemand erinnert sich an das genaue Datum – gab es eine „Revolution“ im Hause Masermann-Neumann: Das erste Telefon zog ein, ein schlichtes, schwarzes Tischgerät. Die Nummer 0201/21 18 05 überlebte sämtliche Umzüge und existiert bis heute, seit einigen Jahren allerdings nur noch als Faxnummer. Tischfernsprecher W48 aus Bakelit Damals, in den 50ern, war ein Telefon noch etwas ganz Besonderes. Kein Wunder, dass die Lkw-Fahrer, die an der Koks-Verladestelle schräg gegenüber von Masermann-Neumann auf ihre Fuhre warteten, die Gelegenheit nutzen und „mal eben“ in ihrer Firma anriefen – auf Kosten des Bestattungsunternehmens. Erst gab es Ärger, auch weil die Laster ständig die Einfahrt versperrten. Aber darüber konnte man reden. Und dann notierte Maria Masermann, ganz Geschäftsfrau, die Einheiten, die die Lkw-Fahrer vertelefonierten, und holte sich das Geld von ihren Chefs wieder zurück. Um 1950 Die Gute Stube in der Ernestinenstraße 73 13.05.1949 In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es ab jetzt: “Männer und Frauen sind gleichberechtigt.” 03.04.1948 Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) wird gegründet 1949 1948 23.04.1948 Gründung des Bundesverband Deutscher Bestatter e.V. 21.06.1948 Die Deutsche Mark löst die Reichsmark ab 23.05.1949 Gründung der Bundesrepublik Deutschland 7 Marias Geschichte Dass sie einmal ein Bestattungsunternehmen gründen würde, war Maria Masermann quasi in die Wiege gelegt worden: Vater Peter arbeitete in der Schreinerei „Hoven“, zu der ein Sarglager gehörte. Schreiner und Tischler stellten nicht nur Särge her, sondern führten, wie es in der damaligen Zeit üblich war, auch Bestattungen durch. Peter Richerzhagen war verantwortlich für den Verkauf der Särge. Vor allem aber besorgte er das Waschen und Einkleiden der Verstorbenen, machte die Terminabsprachen mit dem Pfarrer und dem Friedhofsgärtner für das Ausheben des Grabes, kümmerte sich um alle Formalitäten und die Überführung zum Friedhof. „Was noch alles zu seinen Aufgaben gehörte, weiß ich nicht genau“, erzählt Marias Tochter Ursula. „Ich kenne ja vieles nur vom Hörensagen.“ Maria ging ihrem Vater früh zur Hand und wuchs ganz langsam in ihren späteren Beruf hinein. Mit 22 Jahren heiratete sie Josef Masermann, elf Monate später kam Töchterchen Marianne zur Welt. 1935 fing sie an, mehr oder weniger viel als Bestatterin zu arbeiten – neben ihrem „Hauptberuf“ als Hausfrau und Mutter. Tochter Ursula, geboren am 17. Januar 1937, war noch nicht ganz drei Jahre alt, als Peter Richerzhagen starb. „Und es fand sich niemand, der bereit war, den Part meines Großvaters bei Hoven zu übernehmen“, weiß seine Enkelin. „Meine Mutter hatte man nicht gefragt, sie war ja nur eine Frau.“ Aber Maria war eine kluge Frau, eine die zupackt, wenn ihr das Schicksal über den Weg läuft. Und eine Frau mit viel Einfühlungsvermögen. Ihre jahrelange Beschäftigung mit Verstorbenen und deren Angehörigen hatten sie das gelehrt, was später zum Leitgedanken der Bestatter wurde: „Dienst an den Lebenden, Ehre den Toten.“ Den Menschen zu helfen, lag ihr immer besonders am Herzen. Sie ging zu den Angehörigen, hörte zu, ließ sie spüren, dass sie nicht alleine sind in ihrem Schmerz, hatte Verständnis für ihre Trauer. „Für meine Mutter stand das Menschliche bei Bestattungen immer an erster Stelle. Diesen Grundsatz hat sie uns vorgelebt – und wir haben es später genau so gemacht.“ 1938 Maria und Josef Masermann mit ihren Töchtern Ursula und Marianne 03.12.1950 Die ersten Lichterwochen finden in Essen statt 1951 1950 19.07.1950 Der Zentralrat der Juden in Deutschland wird gegründet 23.03.1950 Wiedereröffnung der “Lichtburg” 13.09.1950 Erste Volkszählung in der BRD 29.07.1951 Erste “Bayreuther Festspiele” nach dem Zweiten Weltkrieg “ „Meine Mutter hatte man nicht gefragt, sie war ja nur eine Frau.“ “ Aber Maria Masermann hat auch ein Händchen fürs Geschäftliche. Das Gehalt ihres Ehemanns als Lokomotivführer auf der Zechenbahn war nicht wirklich pompös. Und die Zeiten waren hart. Bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 war die „Verordnung über die vorläufige Sicherung des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes“ in Kraft getreten. Lebensmittel und wichtige Verbrauchsgüter wurden rationiert und nur noch über Karten und Bezugsmarken abgegeben. Und so beschloss sie: „Dann melde ich eben ein Gewerbe an und mache mich als Bestatterin selbstständig.“ Also wurde die „gute Stube“ als Büro zweckentfremdet, der Stall hinter dem Haus zum Sarglager umfunktioniert. Am 1. Januar 1940 gründete sie in der Ernestinenstraße 73 in Essen-Stoppenberg das Beerdigungsinstitut und Sarglager Masermann – als erste Frau in Essen. Auf dem Gewerbeschein vom 23. Januar 1940 steht: „Masermann Josef Ehefrau Maria“, Art des Gewerbes: „Leichenbestatterin“. Als Bestatterin war der Tod für Maria Masermann ein ständiger Begleiter. Nur gab es im Krieg viel mehr Tote, als es Särge gab. Allein der erste schwere Angriff auf Essen am 5. März 1943 kostete 482 Menschenleben. Bis zum März 1945 erlebte die Stadt mindestens 30 weitere schwere Bombenangriffe; mehr als 50 Prozent des gesamten Wohnbestands wurden zerstört. Maria hatte Glück: Sie und ihre Lieben überlebten, das Haus in der Ernestinenstraße blieb unversehrt. Weil das Bargeld knapp war in den Kriegs- und Nachkriegszeiten, blühte das Tauschgeschäft – in beide Richtungen: Die Sarghersteller bezahlte Maria Masermann mit Koks und Kohle aus dem Deputat, das Lokführer Josef als Zechenangehörigem jährlich zustand. Für den Sarg und die Beerdigung samt aller Formalitäten bekam sie von den Angehörigen oft Naturalien statt Geld: Im Rucksack brachte sie dann Kartoffeln, Speck, Gemüse oder manchmal sogar eine Flasche Wein mit nach Hause. 1940 Gewerbeschein “Masermann Josef Ehefrau Maria” 21.01.1953 Erste Fernsehausstrahlung der “Augsburger Puppenkiste” mit der Geschichte “Peter und der Wolf” 1953 1952 30.10.1952 Einweihung der Marktkirche nach dem Wiederaufbau (älteste protestantische Kirche Essens) 26.12.1952 Erstausstrahlung der “Tagesschau” 17.06.1953 “Aufstand des 17. Juni” in der ehemaligen DDR 9 1960 Maria Masermann mit Enkelin Ulrike Neumann 1969 Hinterhof Elisabethstraße 88 1960 Ursula und Ulrike Neumann Das Unternehmen wuchs stetig – dank tatkräftiger Unterstützung der großen Familie: Ab 1945 half Willi Rottmann, zukünftiger Ehemann von Marias Tochter Marianne, seiner Schwiegermutter in spe. Nachdem Marias Brüder Willi und Karl 1946 bzw. 1949 aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt waren, sprangen auch sie ein, wann immer Not am Mann war. Ihre Schwester Wilma war Schneiderin und nähte die Stoffe, mit denen die Särge ausgeschlagen wurden. Das Unternehmen florierte, und das Beerdigungsinstitut Masermann wurde immer bekannter. 1956 stieg Tochter Ursula mit ins Geschäft ein, kurz darauf auch Werner Neumann, der ein Jahr später Marias Schwiegersohn wurde. Ab 1959 arbeiteten Senior- und Juniorchefin als gleichberechtigte Inhaberinnen mit- und nebeneinander. Im Laufe der Zeit übergab Maria immer mehr Aufgaben an ihre Tochter. Mit dem Umzug von Ursula, Werner, Ulrike und Claus 1967 in die Elisabethstraße 88 verlagerte sich die Hauptarbeitsstätte nach Frillendorf. Maria behielt noch das Sarglager in der Ernstinenstraße, bis sie zusammen mit Josef in den Turnerweg 21 nach Stoppenberg zog. Nicht ganz freiwillig übrigens: Das Unternehmen war durch städtische Planungsmaßnahmen in die Gruppe der „Planungsverdrängten“ geraten. Und im Zuge dieser Entwicklung wurden die alten Zechenhäuser in der Ernestinenstraße abgerissen. Bis 1966 firmierte das Bestattungsunternehmen unter dem Namen von Maria Masermann. Am 22. Februar 1966 wurde die BGB-Gesellschaft Maria Masermann und Ursula Neumann als Bestattungsgewerbe in das „Verzeichnis der handwerksähnlichen Gewerbe“ bei der Handwerkskammer Düsseldorf eingetragen. Josef Masermann starb 1972, Maria folgte ihm zehn Jahre später. Aber den Umzug „ihrer“ Firma von der Elisabethstraße 88 zum endgültigen Standort „Auf dem Bretzberg 28“ im Jahr 1974 erlebte sie noch mit – genau wie die Geburt ihrer ersten Urenkelin und heutigen Firmeninhaberin Sabine. 1966 Gesellschaftervertrag von Maria Masermann und Ursula Neumann November 1954 Beginn der Verlegung der Grabstätten des Friedhofes am Kettwiger Tor, da dieser aus städtebaulichen Gründen aufgegeben wird; darunter auch die Gräber der Familie Krupp 08.05.1955 Eheschließung Willi und Marianne Rottmann geb. Masermann 1955 1954 1954 Beginn der Elektrifizierung des Eisenbahnverkehrs 26.06.1955 Rot-Weiß Essen wird Deutscher Fussballmeister Wussten Sie schon...? Historische Fakten „Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs gab es mehr als 245 Luftangriffe auf Essen, bei denen fast 95.000 alliierte Flugzeuge ihre Bomben auf die Stadt abwarfen. Neben den ungezählten Schäden an Häusern und Industrieanlagen verloren bei diesen Angriffen mindestens 6.384 Menschen ihr Leben, unter ihnen 1.418 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, wobei die in die Hunderte gehenden Toten unter den alliierten Bomberbesatzungen nicht mitgezählt sind. Hatte die Stadt bei Kriegsbeginn noch rund 650.000 Einwohner gezählt, so war deren Zahl bei Kriegsende auf etwa 285.000 zurückgegangen.“ Bis in die 1960er Jahre galt in Deutschland gemäß dem Leitbild der Familienpolitik die Rolle der Hausfrau und Mutter als der „natürliche Beruf der Frau“. So wurde in der Einleitung zum (zivilrechtlichen) Gleichberechtigungsgesetz von 1957 festgeschrieben: „Es gehört zu den Funktionen des Mannes, dass er grundsätzlich der Erhalter und Ernährer der Familie ist, während die Frau es als ihre vornehmste Aufgabe ansehen muss, das Herz der Familie zu sein.“ Bis 1957 durften Frauen ohne Zustimmung ihres Ehemannes noch nicht einmal ein eigenes Konto eröffnen. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) schrieb es vor: Wollte eine Frau arbeiten, musste das ihr Ehemann erlauben. Er konnte den Anstellungsvertrag der Frau ohne deren Zustimmung fristlos kündigen lassen. Und auch wenn er seiner Frau erlaubte zu arbeiten, verwaltete er ihren Lohn. Das änderte sich erst 1976 mit dem „1. Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts“, sodass auch die Frau unterschriftberechtigt war und z. B. über ihre eigene Berufstätigkeit selbst bestimmen konnte. Eine Bestattungspflicht besteht in Deutschland seit dem Mittelalter. Aber erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts werden Bestattungen von den einzelnen Bundesländern per Gesetz geregelt. Generell existiert in Deutschland – anders als z. B. in Italien oder den Niederlanden – der „Friedhofszwang“: Jede Bestattung, ob Sarg oder Urne, muss auf einem kirchlichen oder öffentlichen Friedhof stattfinden. Ausnahmen: die Seebestattung von Urnen und das Urnenbegräbnis auf einem dafür ausgewiesenen Waldstück. 2003 wurde in NRW der Sargzwang aufgehoben. So können Muslime jetzt ihre Angehörigen in Tüchern beisetzen, wie es der Glaube vorschreibt. Allerdings liegt die Zulassung solcher „sargloser“ Bestattungen im Verantwortungsbereich der Gemeinden und Kirchen. 04.03.1957 Essens erster Karnevalszug nach dem Zweiten Weltkrieg 18.05.1957 Das Gesetz zur Gleichberechtigung von Mann und Frau wird verabscheidet. 1957 1956 26.08.1956 Die Zeitschrift “Bravo” erscheint zum ersten Mal 15.12.1956 In Deutschland wird das erste “SOS-Kinderdorf“ in Dießen am Ammersee erbaut 24.08.1957 Eheschließung Werner und Ursula Neumann geb. Masermann 11 Bestattungskultur Im Wandel der Zeit Ende 1940 Beerdigung eines Bergmanns der Zeche Zollverein, Schacht3, am Hallofriedhof War der Tod während des Zweiten Weltkriegs noch allgegenwärtig, ist er seit den 50er Jahren immer mehr zum Tabu geworden. Gestorben wird meistens im Krankenhaus, nur in Ausnahmefällen noch zu Hause und im Kreis der Familie. Bis weit in die 60er Jahre hinein war die Hausaufbahrung üblich, zu der auch Geistliche und Messdiener ans Totenbett kamen. Heute ist sie eher die Ausnahme. „Früher wurden die Verstorbenen meist im Sarg in der Wohnung aufgebahrt. Manchmal auch im Schlafzimmer. Und es kam sogar vor, dass dann der Mann neben seiner toten Frau im Ehebett schlief“, weiß auch Ursula Kraus. „Die Wände wurden mit schwarzem Tuch verkleidet, das über langen Eisenstangen hing. Der Sarg stand auf Hocker oder Böcken, die ebenfalls mit schwarzem Tuch bedeckt waren. Am Fuß befand sich ein Kreuz oder auch ein Palmwedel. Waren die Verstorbenen katholisch, gab es neben dem Sarg noch ein Höckerchen, auf dem ein Gefäß mit Weihwasser stand.“ Das gemeinsame Beten mit den Angehörigen gehörte nicht zwingend zu den Aufgaben der Bestatter. Aber für Maria Masermann und später ihre Tochter Ursula gehörte die „Vorabtrauerfeier“ zu den freiwilligen Leistungen, die das Frauen-Unternehmen ausmachte: „Wir sind abends oder auch nachts zum Trauerhaus gegangen und haben mit den Angehörigen den Rosenkranz und ’Gegrüßest seist du, Maria’ gebetet und das ’Vaterunser’ gesprochen. Es war uns schon immer sehr wichtig, die Angehörigen zu begleiten.“ In den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren hatte kaum jemand ein Auto, auch Maria Masermann nicht. Damals war es selbstverständlich, dass der Schreiner in handwerklichem Geschick auch Särge anfertigte und diese den Familien zur Bestattung ihrer Angehörigen lieferte. Und so wurde der leere Sarg per Sackkarre vom Sarglager in der Ernestinenstraße zum Trauerhaus transportiert – bedeckt mit einem schwarzen Tuch und begleitet von Klein-Ursula, die ihrem Vater mit einer Petroleumlampe den Weg leuchtete. 21.01.1959 Erstaustrahlung von “Unser Sandmännchen” 1959 1958 01.01.1958 Abschluss der Gründung des Bistum Essen durch die Ernennung von Franz Hengsbach zum ersten “Ruhrbischof” 28.10.1958 Zur Eröffnung der Grugahalle (25.10.1959) findet das legendäre Konzert von Bill Haley and His Comets statt 24.06.1959 Geburt Ulrike Markner geb. Neumann 21.12.1959 Der Spielehit ”Malefiz” wurde von Werner Schöppner in Essen erfunden “ „Heute ist das üblich. Aber damals gab es nicht viele Bestattungsunternehmen, die so gearbeitet haben.“ “ Vom Trauerhaus zum Friedhof ging es dann ebenfalls per Sackkarre – manchmal auch mit einem Pferdewagen oder einer Kutsche. Doch diese Form der Trauerumzüge, wie man sie heute noch in Filmen sieht, endete, als sich immer mehr Menschen ein Auto leisten konnten. Ursula Kraus: „Sie waren glücklich, endlich aus dem ganzen Schlamassel raus zu sein, und dass es nach langen, schweren Jahren wieder bergauf ging. Sie freuten sich, dass man die Straßen benutzen konnte, die von den Schuttbergen befreit waren. Und sie zeigten stolz ihr Auto.“ In den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren wurden auch nur selten Drucksachen verschickt. Ursula Kraus erinnert sich daran, wie sie als Schulmädchen zu Fuß unterwegs war und Trauerbriefe und -karten verteilt hat: „Ich weiß noch, dass ich einmal vom Besitzer einer Weinhandlung eine Flasche Wein als Dankeschön bekommen habe.“ In den 50er Jahren fuhr sie mit der Straßenbahn zur WAZ, um die Todesanzeigen aufzugeben. Bis Ende der 80er Jahre gab Masermann-Neumann alle Einladungen zu Beerdigungen, sowie die Trauerbriefe und Danksagungen an eine Druckerei. 1989 wurde der erste Computer samt Drucker angeschafft. „Das war revolutionär“, sagt Ulrike Markner. Sie selbst hatte damals gerade den Lehrgang zum Thema „Trauerdruck“ gemacht, den auch Mutter Ursula kurz danach absolvierte. Ab sofort konnten alle Drucksachen am eigenen Rechner gestaltet und ausgedruckt werden. „Heute ist das üblich. Aber damals gab es nicht viele Bestattungsunternehmen, die so gearbeitet haben.“ Seit 1985 Bestattungskraftwagen Mercedes Benz W123 02.10.1961 Die Telefonseelsorge nimmt in Essen ihren Dienst auf 13.10.1961 Bau der “Berliner Mauer” 1961 1960 18.01.1960 Einzelhandelserlaubnis Ursula Neumann 12.04.1961 Der russische Kosmonaut Juri Alexejewitsch Gagarin ist der erste Mensch im Weltraum 12.09.1961 Die Kokerei Zollverein, die größte Kokerei der Welt, nimmt den Betrieb auf 13 Während in den 90er Jahren der Firmen-Computer ausschließlich für den Trauerdruck benutzt wurde, vollzog sich mit dem Einstieg von Tochter Sabine in das Unternehmen Anfang des neuen Jahrtausends ein Wandel: Die Korrespondenz wurde per E-Mail erledigt. 2003 gab es die erste Website für das Familienunternehmen; 2009 gestaltete Sabines Ehemann Martin Sanheim die Firmen-Homepage neu; seit 2013 ist Masermann-Neumann auch in sozialen Netzwerken vertreten. Der Trauerdruck spielt heute, so die Erfahrung von Ulrike Markner, eine wesentlich größere Rolle als früher: „Früher waren die Karten weiß mit schwarzem Rand und hatten evtl. noch ein Kreuz. Heute bieten wir ganz unterschiedliches Papier und eine große Auswahl von Bibelsprüchen, Gedichten und Zitaten an. Die individuelle Gestaltung einer Trauerkarte ist für die Angehörigen auch immer ein Stück Trauerbewältigung.“ Moden unterworfen ist auch die Grabgestaltung. Früher fanden sich auf den Friedhöfen schlichte Holzkreuze und einfarbige Grabsteine oder Grabplatten aus dunklem Stein. Wer über den Tod hinaus ein Zeichen setzen wollte, ließ pompöse Säulen, Statuen oder Grabhäuser aufstellen. „Heute gehen Familiengrabstätten oder Gruften stark zurück“, weiß der Essener Architekt und Steinmetz Axel Kalenborn, dessen Familienunternehmen seit über 80 Jahren Grabmale herstellt. „Abgesehen vom Finanziellen ist ein Grund sicher die fehlende Verbundenheit mit der Kirche, ein weiterer, dass die Menschen immer weniger Kinder haben. Und die zieht es oft weg aus ihrer Heimatstadt, und sie haben keine Beziehung zum Grab und dem Friedhof.“ Der Trend geht hin zu individuell gestalteten Steinen in verschiedensten Farben und Formen. Steinmetze wie Axel Kalenborn oder Steinbildhauer wie Stefan Brinkmann verarbeiten heute auch Granit oder Sandstein in Kombination mit Bronze oder Edelstahl, Holz und Glas. Individuelle Schriftarten, persönliche Sprüche und Ornamente verdrängen immer mehr die Kreuze, Engel, Kränze oder Palmwedel. Zu den kuriosesten Geschichten, die Kalenborn erlebt hat, gehört die des Unternehmers, der für seine eigene Beerdigung alles selber vorbereiten wollte: „Das war ein ganz lustiger Kerl mit viel Humor. Für seinen Grabstein wünschte er sich die Inschrift ’Ich guck mal woanders’.“ Sein „schönster Entwurf“ steht auf dem Rellinghauser Friedhof. „Ein sehr strenger, klarer Architekten-Entwurf, mit Engel, dezent und schön.“ Entwickelt hat er den Grabstein zusammen mit den Hinterbliebenen in intensiven Gesprächen. Manchmal dauert die Vorbereitung über ein halbes Jahr. „Manchmal aber springen Kunden auch in ihrer Mittagspause rein, wollen ganz schnell einen Grabstein für die Mutter und haben nur eine Viertelstunde Zeit.“ Kalenborns Grabstein am Rellinghauser Friedhof 1963 1962 05.07.1963 Anerkennung der Feuerbestattung durch die katholische Kirche 11.10.1962 In Rom beginnt das Zweite Vatikanische Konzil (Ende 1965) 28.08.1963 Martin Luther King hält seine berühmte Rede “I have a dream” in Washington V. l. n. r. Stiefmütterchen, Begonie, Chrysantheme und Nelke Ein Grabstein ist der wichtigste und häufigste Grabschmuck. Dazu kommen Grablichter und -laternen sowie kleine Statuen, die immer schon als Schmuck dienten. Heute findet man auf Gräbern immer häufiger Erinnerungsstücke an den Verstorbenen: Fotos, aber auch Fußbälle oder Spielzeug. Beinahe unverzichtbar sind Bodendecker, kleine Sträucher, blühende Blumen und frische Schnittblumen in Vasen, dazu Kränze, Schalen oder Gestecke, die zu bestimmten Anlässen am Grab niedergelegt werden, etwa an Allerheiligen oder am Totensonntag. Dann haben Friedhofsgärtner wie Kai Conrad Hochkonjunktur. Vor 15 Jahren hat er das Familienunternehmen übernommen, das seit 1948 in Essen ansässig und seit Urgroßmutter Marias Zeiten mit Masermann-Neumann verbunden ist. Seit Generationen, so erzählt er, gehören Stiefmütterchen und (Eis-)Begonien zu den beliebtesten Grabbepflanzungen. Typische „Friedhofsblumen“ sind seit Jahrzehnten die Chrysanthemen, als Schmuck für die Vase auf dem Grab. Manche, wie die Sorte „Spinnen“ gibt es ganzjährig, andere nur zu Allerheiligen. Als Conrad den Fachbetrieb von seinem Vater im Jahr 2000 übernahm, waren Nelken in Rot und Weiß plus blaue Iris die Klassiker für Kränze und Bouquets. Über Jahrzehnte gehörten auch weiße Lilien zu einem „Muss“ bei Beerdigungen. „Aber diese Sorten verkaufe ich seit Jahren nicht mehr.“ Heute sind vor allem Rosen gefragt. Ich habe immer sieben oder acht Sorten im Angebot.“ Zu Kränzen verarbeitet der Gärtner die Königin der Blumen immer weniger – weil viel weniger Kränze bestellt werden als früher. Und statt aufwendiger Sarggestecke wünschen Kunden heute meist nur noch einzelne Rosen. „Als es noch die D-Mark gab, haben wir mal einen Sarg über zwei Meter komplett mit roten Rosen im Wert von mindestens 1.000 Mark geschmückt. Und das nur für die Trauerfeier. Direkt danach wurde der Sarg eingeäschert. Das ist schon Wahnsinn, so viel Geld. Da hätte man auch 1.000 Mark in Scheinen auf das Sargoberteil kleben und verbrennen können.“ 1965 1964 29.04.1965 Eröffnung der Essener Bundesgartenschau 17.06.1964 Eröffnung des Grugabades 16.06.1965 Eröffnung der Fussgängerzone “Kettwiger Straße” 15 Einäscherungen gab es zwar schon in der Antike, aber erst im letzten Jahrhundert wurden sie von den christlichen Kirchen akzeptiert, von der katholischen Kirche offiziell erst 1963. Und es dauerte noch lange, bis die Urnenbestattung „normal“ wurde – und schließlich die Erdbestattung immer mehr ablöste. Als Ulrike Markner, damals noch „Fräulein Neumann“, im Sommer 1979 zusammen mit Freundin Anke die Urlaubsvertretung für Mutter Ursula machte, wünschte kein einziger Kunde eine Einäscherung. „Gottseidank. Ich hätte auch gar nicht gewusst, was ich da machen soll.“ Vier Jahre später – Ulrike war gerade in den mütterlichen Betrieb eingestiegen – verzeichnete Masermann-Neumann bereits zwölf Prozent Einäscherungen. Als das Sterbegeld der Krankenkassen 1989 halbiert wurde, stieg die Zahl auf 19 Prozent; und bis 1997 hatten sich die Feuerbestattungen mit 41 Prozent mehr als verdoppelt. Wahrscheinlich, weil das Sterbegeld 2004 gänzlich gestrichen wurde, entschieden sich 56 Prozent aller Kunden für die oft preiswertere Urnen-Variante; und 2013 nahmen Einäscherungen mit 73 Prozent fast drei Viertel aller Bestattungen ein. Viele Menschen wollen oder können für eine Beerdigung ihrer Verwandten nicht mehr so viel Geld ausgeben. Da wird dann am Sarg oder bei der Urne, beim Blumenschmuck oder am Grabstein gespart. Dazu kommt, dass vieles, zum Beispiel die städtischen Gebühren, teurer geworden ist. „Früher deckte das Sterbegeld einen Großteil ab“, sagt Ulrike Markner. „Wer heute nichts gespart oder eine Sterbegeldversicherung abgeschlossen hat, kann seinen Angehörigen häufig keine – in seinen Augen – standesgemäße Bestattung ausrichten.“ Diese Entwicklung tut ihr persönlich sehr leid, weil sie die Beerdigung wichtig für den Trauerprozess hält. „Und ich finde es traurig, wenn sich Leute das, was sie sich für ihren Partner, die Eltern oder die Oma erträumt haben, einfach nicht leisten können.“ Prozentualer Vergleich von Erd- und Urnenbeisetzungen auf Friedhöfen der Stadt Essen Stand 2015 Jahr 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 Urnenbestattungen 13,7 % 12,8 % 12,2 % 19,3 % 16,9 % 17,9 % 20,0 % 20,5 % 20,3 % 20,5 % 22,0 % 23,9 % 26,0 % 29,6 % 31,1 % 32,9 % 34,9 % 36,5 % 38,4 % Jahr 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Erdbestattungen 86,3 % 87,2 % 87,8 % 80,7 % 83,1 % 82,1 % 80,0 % 79,5 % 79,7 % 79,5 % 78,0 % 76,1 % 74,0 % 70,4 % 68,9 % 67,1 % 65,1 % 63,5 % 61,6 % Erdbestattungen 59,8 % 57,8 % 56,6 % 55,8 % 54,4 % 55,1 % 51,2 % 48,2 % 44,2 % 41,8 % 41,0 % 38,8 % 39,0 % 35,0 % 32,3 % 31,8 % 29,9 % 29,2 % 28,4 % 17.05.1967 Mitglied im “Fachverband des Deutschen Bestattungsgewerbes e.V.” 1967 1966 22.02.1966 Eintragung der “BGB-Gesellschaft Maria Masermann und Ursula Neumann” als Bestattungsgewerbe bei der HWK Düsseldorf Urnenbestattungen 40,2 % 42,2 % 43,4 % 44,2 % 45,6 % 44,9 % 48,8 % 51,8 % 55,8 % 58,2 % 59,0 % 61,2 % 61,0 % 65,0 % 67,7 % 68,2 % 70,1 % 70,8 % 71,6 % 30.07.1967 Ende der Ära der Familie Krupp durch die Abdankung von Arndt von Bohlen und Halbach Die meist gespielten Lieder auf Trauerfeiern Stand 2015 Platz Dafür waren Bestattungen nie persönlicher als heute. Lied Sänger/in oder Komponist 1. I Will Always Love You Whitney Houston 2. Time to Say Goodbye Sarah Brightman 3. Geboren um zu leben Unheilig 4. Ave Maria Franz Schubert 5. My Way Frank Sinatra 6. The Rose Bette Midler So wird seit den 90er Jahren am Grab immer häufiger die Lieblingsmusik des 7. Tears in Heaven Eric Clapton Verstorbenen gespielt. „Das können 8. Abschied ist ein scharfes Schwert Roger Whittaker Schlager, Countrysongs oder Hits aus 9. So wie du warst Unheilig den Charts sein“, sagt Ulrike Markner. Besonders im Gedächtnis geblieben 10. Tage wie diese Die Toten Hosen ist ihr die Urnenbestattung eines jungen Mannes, auf der „Hells Bells“ von AC/DC erklang: „Und alle Trauergäste brachten eine Flasche Bier mit. Einen Schluck hat jeder ins Grab gegossen, und dann haben sie vor Ort die Flasche leer getrunken. Das war der Wunsch des Verstorbenen. Und der Pfarrer fand das gut.“ Was auf ihrer eigenen Beerdigung gespielt werden soll, weiß sie auch schon: Auf der Trauerfeier soll Orgelmusik erklingen: J. S. Bachs „Air“ und das „Largo“ von G. F. Händel. Und am Grab etwas Modernes: „Ich wollte nie erwachsen sein“ aus dem Musical „Tabaluga“ von Peter Maffay und „Yesterday“ von den Beatles. Aufwendige Zeremonien wirken heute oft wie Relikte aus vergangenen Epochen, die allenfalls noch bei Staats- oder Prominentenbegräbnissen ihre Wirkung entfalten. „So eine Promi-Beerdigung ist natürlich ein ganz anderer Aufwand und bedarf einer größeren Logistik“, sagt Sabine Sanheim: „Je prominenter der Verstorbene war, desto mehr Menschen kommen. Sie müssen erst einmal per Karte und über Anzeigen in überregionalen Zeitungen informiert werden. Und wenn weit über 300 Trauergäste Abschied nehmen wollen, brauchen wir eine größere Trauerhalle samt Parkplätzen und entsprechende Räumlichkeiten für das Kaffeetrinken. Oft werden Musiker gewünscht, die Dekoration ist viel aufwendiger, manchmal müssen wir auch die Straße sperren lassen.“ Im Laufe der Jahrzehnte haben die Frauen von Masermann-Neumann viele Menschen des öffentlichen Lebens beerdigt. Namen werden nicht genannt: „Die Anonymität muss gewahrt bleiben.“ Aber egal, ob die Trauerfeiern für hochrangige Geistliche, Sport-Funktionäre, bekannte Musiker oder die Lokal-Prominenz ausgerichtet werden oder der Verstorbene in einem Armengrab beerdigt wird, ob Kunden eine Erdbestattung, Feuerbestattung, Seebestattung, ein Wiesengrab, ein naturnahes Baumgrab oder eine anonyme Bestattung wünschen – immer gilt der gleiche Leitspruch: „Dem Leben einen würdigen Abschluss geben.“ 21.07.1969 Erste bemannte Mondlandung 1969 1968 27.11.1968 Gründung der “Ruhrkohle AG” in Essen 25.09.1968 “Internationale Essener Songtage” 06.06.1969 Ursula Neumann; Prüfung zum “Fachgeprüften Bestatter” 17 Ursulas Geschichte Ursula Kraus war erst knapp drei Jahre alt, als ihr Großvater starb. Aber sie erinnert sich genau an diesen Tag im Dezember 1939: „Ich sehe ihn noch vor mir, wie er im Sarg lag. Er hatte seine eigene Kleidung an und hielt den Rosenkranz in den Händen. Auf einem Höckerchen neben seinem Sarg stand Weihwasser mit einem Palmzweig. Und ich habe zusammen mit meiner Schwester Marianne, meiner Mutter und meiner Großmutter gebetet.“ Peter Richerzhagen war der erste Tote, den das Mädchen bewusst erlebte. Ursula wuchs zusammen mit ihrer Schwester Marianne im Schatten der Zeche Friedrich Ernestine auf. Hier wurde von 1873 bis 1963 Kohle gefördert, und hier stand ab 1929 die modernste Kokerei Europas. In der Ernestinenstraße wohnten nur Zechenmitarbeiter und ihre Familien. Die Zechenhäuser standen dicht an dicht und waren durch schmale Fußwege miteinander verbunden. Im Hof befanden sich die Ställe und Gärten, in denen Gemüse, Kartoffeln und Obst angebaut wurden. Und direkt hinter dem Gartenzaun dampfte die Werksbahn von Ernestine vorbei. „Marianne und ich fanden das ganz spannend. Und wir waren stolz, dass unser Vater der Lokomotivführer war.“ „Heute ist das Ruhrgebiet wunderschön und grün“, freut sich Ursula Kraus. „Aber damals war es in Essen fürchterlich dreckig. In der Kokerei wurde ja rund um die Uhr gearbeitet. Und der Dreck setzte sich überall fest. Wenn man an einem Tag die Fenster putze, waren sie am nächsten Tag wieder schwarz. Und die Wäsche, die wir zum Bleichen auf die Wiese legten, konnten wir nach anderthalb Stunden wieder reinholen und noch einmal waschen. Für uns war das alles normal, aber Besucher von außerhalb mussten sich dauernd ihre schwarzumrandeten Augen reiben.“ Trotzdem spielten Klein-Ursula und ihre Freunde gerne auf der Straße und vor allem im Garten in der „wunderschönen Laube“. Ihre Kindheit verbrachte Ursula zwischen Kokerei, Sarglager – und Himmighausen bei Altenbeken im Weserbergland. Hier, bei Oma und Tante Wilma, war es im Krieg sicherer als in Essen. „Ich war in den ganzen Jahren nur ein paar Mal zu Hause. Und ausgerechnet bei den schlimmsten Bombenangriffen. Aber meine Mutter hat meine Oma, ihre Schwester Wilma und mich häufig auf dem Land besucht und nutzte die Gelegenheit zu Hamsterkäufen. Zurück fuhr sie dann mit einem Rucksack voller Lebensmittel auf dem Trittbrett des Zugs.“ 1948 Marianne, Maria, Josef und Ursula Masermann 15.09 1971 Gründung der Umweltschutzorganisation “Greenpeace” 1970 1971 17.05.1970 Verkürzung der Vorwahl von 02141 zur heutigen 0201; Einrichtung einer neuen Hauptvermittlungsstelle in Essen 25.09.1970 Einweihung des Ruhrschnellweg-Tunnels durch Bundespräsident Gustav Heinemann 1971 Erstmals wird das Wort des Jahres gekührt; Sieger ist “aufmüpfig” 22 Um 1940 Essen-Stoppenberg, Zeche Friedrich Ernestine Dass Ursula erst 1946 endgültig zurück zu ihrer Familie kam, hatte einen „traurigen Grund“: Am Tag ihrer Einschulung 1943 brach sie zusammen. Die Diagnose: Scharlach und Diphterie – Krankheiten, an denen ihr Bruder als Kleinkind mit zwei Jahren verstorben war. Im Krankenhaus stellten die Ärzte auch noch eine komplizierte Ohrenentzündung fest. Das kleine Mädchen wurde, begleitet von Tante Wilma, nach Paderborn überwiesen. Doch die Operation musste wegen eines Bombenalarms unterbrochen werden. Und lange Zeit verheilte die Wunde nicht richtig: „Fast 40 Jahre habe ich mich damit rumgeplagt. Mein linkes Ohr war ständig entzündet und vereitert.“, erinnert sich Ursula Kraus. Erst Anfang der 80er Jahre fand ein Spezialist den Grund für die Probleme: Das Trommelfell war kaputt. Und nach einer letzten Operation hatte Ursula endlich ein „trockenes Ohr“. 1946 wurde Ursula eingeschult – direkt in die 3. Klasse. Ihre Tante Wilma hatte sich jahrelang um sie gekümmert, ihr alles beigebracht, was ein Schulkind wissen musste. „Und so klappte alles ganz großartig.“ Schon als Zehnjährige ging sie nach dem Unterricht ihren Eltern im Bestattungsunternehmen zur Hand. Sie half auch, die Särge, die angeliefert wurden, ins Sarglager im Hof zu tragen. „Das war ganz schön schwer, aber ich war stark und ein Pummelchen, weil unser Essen immer so gehaltvoll war.“ Weil in den 40er und 50er Jahren nur wenige Familien ein Telefon hatten, machte Klein-Ursula alle Botengänge zu Fuß und lief auch zu den Sargträgern, um nachzufragen, wer Zeit für eine Überführung oder Beerdigung hatte. Und sie unterstützte ihren Vater beim Ausschlagen der Särge: „Ich war handwerklich sehr geschickt und wusste immer, welches Werkzeug mein Vater benötigt, noch bevor er ein Wort sagen konnte.“ Zunächst kam – sofern vorhanden – Ölpapier in den Sarg. „Dabei musste man ganz vorsichtig sein und aufpassen, dass es nicht beschädigt wurde.“ Darauf wurde eine dicke Schicht Sägespäne geschüttet und schließlich der Sarg „hübsch gemacht“. Manchmal konnten Ursulas Eltern dafür weißen Stoff organisieren, manchmal aber auch nur Krepppapier mit gehäkelter Spitze. Das „Tuch“ wurde dann mit ebenfalls organisierten Heftzwecken am Sarg befestigt. Mit den Verstorbenen selber hatte Ursula damals nur indirekt zu tun. Das sollte erst später kommen. Winter 1973 Abriss des zweiten Wasserturms von Essen-Frillendorf 1973 1972 November 1972 Das erste muslimische Grabfeld entsteht auf dem Friedhof am Hallo 01.08.1972 Gründung der UniversitätGesamthochschule Essen 03.05.1973 Der erste Anruf mit einem Mobilfunktelefon 19 1952 verließ das junge Mädchen die Schule, begann als 15 Jährige eine Ausbildung in einer Drogerie und verkaufte Seife und Parfümerien. Schon in jungen Jahren leitete sie eine Filiale. Als sie mit 18 Jahren Werner Neumann kennenlernte, war es „Liebe auf den ersten Blick“. Bald darauf wurde sie entlassen, „weil klar war, dass ich heiraten würde.“ Doppelverdiener-Haushalte waren in den 50er Jahren nicht vorgesehen. Tatsächlich hatte bis Ende 1950 in Nordrhein-Westfalen bereits jede 20. Frau ihren Arbeitsplatz verloren, in manchen Ruhrgebietsstädten wuchs die Frauenarbeitslosigkeit sogar doppelt so schnell. 1960 Einzelhandelserlaubnis 1969 Ursula Neumann; Prüfungsbescheinigung “Fachgeprüfter Bestatter” Am 24. August 1957 heirateten Werner und Ursula Neumann. Zu dem Zeitpunkt arbeitete die junge Ehefrau bereits im mütterlichen Familienbetrieb und war – sehr ungewöhnlich für eine Frau in dieser Zeit – stolze Besitzerin eines Führerscheins. Anfangs wohnte das junge Paar bei Maria und Josef Masermann in der Ernestinenstraße 73. Als Tochter Ulrike zwei Jahre später geboren wurde, hatte die kleine Familie ein Zimmer in der Stadt. Im Januar 1960 erhielt Ursula die „Erlaubnis zum Einzelhandel für den Warenzweig „Waren aller Art“ von der Stadt Essen und zog mit Mann und Kind in die Elisabethstraße 48 nach Frillendorf. Im Laufe der Jahre baute sie, tatkräftig unterstützt von Ehemann Werner, das Bestattungsunternehmen aus und zog zum 1. Januar 1967 wieder um: in die Elisabethstraße 88 – den neuen Hauptsitz des Unternehmens. Das Sarglager und eine kleine Dependance blieben bei Mutter Maria in Stoppenberg, die sich mehr und mehr aus der Firma zurückzog. Im gleichen Jahr wurde das Familienunternehmen Mitglied im „Fachverband des deutschen Bestattungsgewerbes e.V.“. Und am 6. Juni 1969 legte Ursula vor dem „Bundesverband Deutscher Bestatter“ ihre Prüfung als „Fachgeprüfter Bestatter“ ab. 01.01.1975 Kettwig wird in die Stadt Essen eingemeindet 1975 1974 24.01.1974 Tod Josef Masermann 1968 Ursula & Werner Neumann mit ihren Kindern Ulrike, Claus & Barbara 06.02.1974 Hauptsitz wird zu “Auf dem Bretzberg 28” verlegt 01.03.1975 Mit der DIN 1355-1 (heute ISO 8601) wird der Montag als erster Tag der Woche festgelegt (Wirkung ab 1976) “ „Die Firma läuft mir hinterher. Ich träume heute noch von früher.” “ Werner Neumann arbeitete Anfang der 70er Jahre noch in seinem Hauptberuf als Stuckateur in Essen-Heidhausen, als seine Frau eines Tages ganz aufgeregt zusammen mit Tochter Ulrike auf seiner Arbeitsstelle erschien: Das Haus ganz in der Nähe des städtischen Friedhofs Frillendorf, auf das sie schon lange ein Auge geworfen hatten, stand jetzt zum Verkauf. „Ich hatte mir einfach ein Herz gefasst und die damalige Besitzerin Hildegard Mecklenburg angesprochen“, erinnert sich Ursula. Über die Finanzierung wurde man sich schnell einig. Und am 6. Februar 1974 wurde der Firmensitz des „Beerdigungsinstituts“ Masermann offiziell von der Elisabethstraße 88 zu „Auf dem Bretzberg 28“ verlegt. Das Haus war umgebaut, ein Büro und ein kleiner Ausstellungsraum eingerichtet. Und zwei Jahre später gab Werner Neumann seinen Beruf auf und stieg als Angestellter in die Firma seiner Frau ein. Im Mai 1978 mietete Ursula ein größeres Sarglager außerhalb der Geschäftsräume an. Jetzt gab es in der Huckarderstraße auch eine Außenwerbung – genau wie an der Ecke Ernestinenstraße/Auf dem Bretzberg: „Wir mussten natürlich Werbung machen. Die Kunden sollten uns ja finden.“ Am 7. September 1978 wurde die GbR in eine „Offene Handelsgesellschaft“ umgewandelt: Masermann & Neumann Beerdigungsinstitut, Gesellschafterinnen: Maria Masermann und Ursula Neumann. 1972 Auf dem Bretzberg 28 Und das Unternehmen wuchs weiter: Sohn Claus und Schwager Willi Rottmann halfen im Geschäft mit. Tochter Ulrike stieg Ende 1982 mit ins Geschäft ein und wurde 1990 Teilhaberin, ab 1987 arbeitete auch deren Ehemann Hans-Peter voll mit. Ein Jahr später starb Werner Neumann mit nur 55 Jahren und hinterließ eine riesige Lücke – menschlich und in der Firma. Doch das Leben musste weiter gehen. Zum 50. Firmenjubiläum am 1. Januar 1990 wurden die Familienmitglieder von sechs Teilzeitkräften unterstützt. An ihre letzte Bestattung erinnert sich Ursula noch genau: am 21. August 1996 auf dem Friedhof „Am Hallo“. Im gleichen Jahr heiratete sie Kilian Kraus und zog zu ihrem Ehemann nach Bad Orb. Aber Masermann-Neumann wird immer ein Teil von ihr bleiben: „Die Firma läuft mir hinterher. Ich träume heute noch von früher.“ 01.01.1976 Einführung der Gurtpflicht für PKW-Vordersitze in der BRD 26.10.1977 Die Deutsche Bundesbahn mustert ihre letzte Dampflokomotive aus 1977 1976 1977 Inbetriebnahme des noch heute bestehenden Krematorium am Hellwegfriedhof 1978 Sarglager in der Huckarderstraße 28.05.1977 Der U-Bahnbetrieb in Essen wird aufgenommen 21 Telefongeschichten Teil 2 Das erste Handy kam erst 1998. Bis dahin musste immer mindestens ein Familienmitglied im Haus bleiben, um das Telefon zu hüten – fast 50 Jahre lang. „Wir haben uns manchmal kaum getraut, aufs Klo zu gehen“, erinnert sich Ulrike Markner, „das Telefon hätte ja genau in dem Moment klingeln können. Und wir waren und sind doch rund um die Uhr für unsere Kunden da.“ Als erste Maßnahme wurden längere Kabel angeschafft. Die kosteten zwar extra, aber jetzt konnte man das Telefon aus dem Büro wenigstens mit sich herumtragen – sogar bis in den ersten Stock. Bald gab es Zweit- und Dritt-Apparate: im Wohnzimmer, neben dem Bett und sogar in der Kellerbar, die einen Ausgang zum Garten hatte. Und hier hing eine Schelle mit einer Direktverbindung zum Telefon. „Die schepperte so laut, dass wir uns fühlten wie auf dem Schrottplatz.“ Aber so konnte wenigstens niemand überhören, wenn ein Kunde anrief – auch nicht bei den vielen Straßenfesten, die „Auf dem Bretzberg“ gefeiert wurden. „Meine Mutter saß immer mit Ursel Reuter zusammen an der Bon-Kasse. Die war direkt an der Haustür. So konnte sie beim ersten Klingeln schnell aufspringen und zum Telefon laufen.“ 1982 Transiphon 1983 Fernsprechtischapparat FeTAp 611-2 1972 Fernsprechtischapparat FeTAp 611-2 07.09.1979 Eintrag von Masermann-Neumann ins Handelsregister “HRA 5195 1979 1978 25.07.1978 In London wird das erste “Retortenbaby” geboren Mai 1978 Anmietung eines größeren Sarglagers ausserhalb der Geschäftsräume 07.11.1979 Eröffnung des heutigen Essener Rathauses, mit 106 Metern das höchste in Deutschland Telefongeschichten Teil 3 Das enge und gute Verhältnis zu Nachbarn und Freunden „Auf dem Bretzberg“ hatte auch Einfluss auf den „Telefondienst“: Im Herbst 1979 spannte Werner Neumann ein langes Kabel über den Hof zu Emmi und Franz. Die wohnten direkt nebenan in Haus Nr. 30, Ulrikes späterem Wohnhaus. Das war sehr praktisch damals: Wenn wieder einmal alle gleichzeitig einen Termin außer Haus hatten, das Telefon also unbesetzt geblieben wäre, ging jemand rüber und sagte Bescheid. Es wurde ein Hebel am Telefon umgelegt – und alle Anrufe landeten im Haus der Nachbarn. Emmi und Franz notierten alles Wichtige und piepsten die Chefin per „Eurofunk“ an. Außerdem, so erinnert sich Ulrike Markner heute, gab es eine Art Rufumleitung zum Haus von Senior-Chefin Maria Masermann, die im Turnerweg wohnte, und später auch zur Ernestinenstraße 283, wo Ulrike damals mit ihrer Familie lebte: „Das war so ähnlich wie bei den Handys heute. Man musste das bei der Telekom anmelden. Und dieses Mietkabel kostete natürlich extra.“ 1979 Euro-Signal Werbung 1979 Euro-Signal Gerät 1981 1980 20.08.1980 Als erster Bergsteiger bezwang Reinhold Messner im Alleingang und ohne Sauerstoffgerät den Mount Everest 01.08.1980 Eheschließung Hans-Peter und Ulrike Richardt geb. Neumann 04.09.1981 Die CD (Compact Disc) wird bei der Funkausstellung in Berlin erstmals vorgestellt 23 Sargträger Ein Amt mit Tradition Bei Masermann-Neumann gehören die Sargträger zur Familie – auch wenn sie gar nicht verwandt sind. Aber wer einmal in dem Familienunternehmen angefangen hat, wird gleich „assimiliert“, weiß Martin Sanheim, der seit 2009 aushilft und als Sargträger arbeitet. Den Rekord hält Kurt Weber: 40 Jahre, von 1957 bis zu seinem Tod 1997, trug er regelmäßig die schmucke Uniform, die sich seit Maria Masermanns Zeiten nie verändert hat. „Der Kurt kannte mich schon als Baby, als Kind, als Jugendliche, dann als Juniorchefin und schließlich als Chefin“, erinnert sich Ulrike Markner an das „freundschaftlich-familiäre Verhältnis“. Ulrich Markner ist schwere Arbeit gewohnt: 30 Jahre hat der heutige Ehemann von Ulrike unter Tage gearbeitet: auf den Zechen Zollverein, Hugo, Ewald und im Bergwerk West. Jetzt ist er Frührentner – und muss immer noch schwer tragen. Manchmal zumindest. Denn die Männer der Familie Markner arbeiten seit drei Generationen als Sargträger für Masermann-Neumann. Vater Manni hat vor fast 50 Jahren damit begonnen, Bruder Rainer trat auch in die Fußstapfen und Sohn Dennis hilft seit 2008 mit. Ulrich übt seinen Nebenjob seit 1990 aus: „Die Särge sind unterschiedlich schwer, je nachdem, wer drin liegt. Normalerweise verteilt sich das Gewicht auf sechs Männer. Aber manchmal hat der Sarg Übergröße. Dann tragen wir ihn zu acht. Und bei Feuerbestattungen kümmern sich zwei Träger um die Urne.“ Sargträger tragen den Sarg übrigens üblicherweise nicht auf den Schultern. „Das gibt es nur im Film.“ Und auch die Wege sind nicht weit: nur von der Trauerhalle bis zum Grabwagen. Den ziehen Ulrich Markner und seine Kollegen dann bis zum Grab, wo sie den Sarg vorsichtig hinunterlassen und dem Verstorbenen die letzte Ehre erweisen. Ihre Arbeit beginnt aber schon vorher: „Wir assistieren bei der Dekoration der Trauerhalle und setzen den Sarg auf eine Art Podest, den sogenannten Katafalk. Dann platzieren wir die angelieferten Blumen und Kränze, Kerzen, Tücher und Bilder und sorgen dafür, dass alles ein schönes Bild ergibt.“ Die Sargträger kümmern sich um die Lautsprecheranlage, stehen am Kondolenzbuch, begrüßen die Trauergemeinde und verteilen Liedzettel. Während der Trauerfeier selbst halten sie sich „dezent im Hintergrund“ und warten draußen vor der Tür – auch bei Regen, Schnee und Sturm. Die schicke Uniform samt Hut, „fast wie im Schützenverein, nur in Schwarz“, schützt bei schlechtem Wetter, ist praktisch und hat einen hohen Wiedererkennungswert: „Die Angehörigen wissen sofort, wer wir sind und wenden sich auch mit organisatorischen Fragen an uns. Wir Sargträger sind auf Beerdigungen der ruhige Pol inmitten aller Emotionalität.“ 23.09.1983 In Berlin wird die deutsche Aidshilfe e.V. gegründet 1983 1982 06.08.1982 Geburt Sabine Sanheim geb. Richardt 22.08.1982 Tod Maria Masermann 25.04.1983 Der “Stern” veröffentlicht exklusiv die HitlerTagebücher, die kurz darauf als Fälschung entlarvt werden “ „Natürlich bin ich traurig, wenn ich die Person gut kenne. Aber es ist eine Ehre für mich, ihren Sarg zu tragen. Ich bringe dem Menschen damit meine Ehrerbietung.“ “ Emotionaler – aber nicht weniger professionell – ist eine Beerdigung, wenn Ulrich Markner dem Verstorbenen nahe steht. Bestattungen von Freunden, Bekannten und Nachbarn sind für den 54Jährigen trotz seiner langen Erfahrung etwas Besonderes: „Natürlich bin ich traurig, wenn ich die Person gut kenne. Aber es ist eine Ehre für mich, ihren Sarg oder die Urne zu tragen. Ich erbringe dem Menschen damit meine Ehrerbietung.“ Während Ulrich Markner im ersten Jahr bei Masermann-Neumann nur bei Beerdigungen geholfen hat und erst später bei Überführungen, fing Jörg Jasper so an: Der heute 52 Jährige arbeitete als Bäcker, als ihn sein Freund und früherer Arbeitskollege Hans-Peter Richardt im Sommer 1990 fragte, ob er bei einer Überführung von auswärts aushelfen könne. Eine ältere Dame musste aus dem Krankenhaus, in dem sie gestorben war, abgeholt und in einem schweren Eichensarg nach Essen zum Friedhof gebracht werden. „Ich war schon ein bisschen aufgeregt“, erinnert sich Jörg Jasper. „Das war das erste Mal, dass ich einer Verstorbenen so nah gekommen bin. Wir mussten sie ja auch anfassen und umziehen.“ Auf der Rückfahrt erklangen plötzlich komische Geräusche aus dem Sarg. Und während Hans-Peter Richardt anfing zu lachen, erschrak Jörg Jasper fürchterlich: „Die Verstorbene hatte wohl noch Luft in der Lunge. Und die wollte raus. Aber das wusste ich damals ja nicht.“ In diesem Jahr feiert Jörg Jasper Jubiläum: Seit 25 Jahren verdient er sich nebenbei ein Taschengeld als Sargträger. Er hat für Ursula gearbeitet, dann für ihre Tochter Ulrike. Und heute ist Sabine, die er seit ihrer Kindheit kennt, seine Chefin. Auf die Idee, eine von ihnen mit „Sie“ anzusprechen, ist er übrigens nie gekommen. Mit der ganzen Familie Masermann-Neumann fühlt er sich freundschaftlich verbunden. „Es gab nie Stress oder Streit. Wir arbeiten miteinander, wir feiern miteinander, und wir freuen uns jedes Jahr auf das traditionelle Trägerfest.“ 2015 Dienstältester Sargträger Jörg Jasper 16.12.1985 Anschaffung des Bestattungswagen Modell: Mercedes Benz W123; existiert bis heute 1985 1984 03.08.1984 Die erste E-Mail erreicht Deutschland 1984 Der Roman “1984” von George Orwell erschien im Juni 1949 01.09.1985 Forscher entdecken das Wrack der Titanic in 4.000 m Tiefe vor der Küste Neufundlands 16.12.1985 Erstaustrahlung “Lindenstraße” 25 Ulrikes Geschichte „Ich kenne seit meiner Geburt nichts anderes, als dass Oma und Mutter als Bestatterinnen gearbeitet haben“, sagt Ulrike Markner. „Das war nichts Besonderes.“ Genau so wenig, wie die Mitarbeit im Familienbetrieb. Schon als Jugendliche verdiente sie sich ein Taschengeld, in dem sie das Telefon hütete und Gespräche entgegennahm, einen Spaziergang zur Post machte und Briefmarken kaufte oder bei den Angehörigen Drucksachen abgab. In die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten und auch Bestatterin zu werden, stand trotzdem nicht ganz oben auf der Liste ihrer Berufswünsche. „So eine Entscheidung kann man noch nicht mit 16 oder 17 Jahren treffen. Wir wollten erst die Welt sehen. Und sind dann alle gerne zurückgekommen.“ Bereits als junges Mädchen wusste Ulrike, dass sie einmal viele Kinder haben wollte, am liebsten sechs. „Das hat leider nicht geklappt.“ Aber sie suchte sich einen Beruf, in dem sie viel mit Kindern zu tun hatte: Sie wurde Erzieherin und trat damit in die Fußstapfen von „Tante Ulla“, die in einem Kindergarten arbeitete. „Ich habe sie ganz oft besucht, bin mit in die Gruppen gegangen und wusste irgendwann: Das will ich auch machen.“ Die Eltern unterstützten ihre Tochter bei der Berufswahl. Vater Werner sagte: „Geh erst einmal los und sieh dir die Welt an.“ Und Mutter Ursula, die selbst erst über Umwege zu ihrem Traumberuf gefunden hatte, verstand, dass ihre Tochter im Teenager-Alter noch nicht daran dachte, im Bestattungsunternehmen zu arbeiten. Mit 17 fing Ulrike ihre Ausbildung an und arbeitete anschließend im katholischen Kindergarten in Frillendorf, bevor sie mit 21 Jahren Essen den Rücken kehrte und frisch verheiratet nach Hessen zog. In Rückers, dem Heimatdorf ihres Ehemannes Hans-Peter Richardt, und später im nahen Fulda hatte man Bedarf an leidenschaftlichen Erzieherinnen. Das junge Ehepaar wollte bleiben, ein Haus bauen, eine Familie gründen. Ein Grundstück gab es schon. Aber letztendlich sprachen doch zu viele Gründe dagegen, und Ulrike und Hans-Peter zogen zurück nach Essen, wo Freunde und Familie warteten. Werner Neumann hatte 1979 ein Haus in der Ernestinenstraße 283 gekauft – der Hauseingang ging zur Straße „Auf dem Bretzberg“ – und Tochter und Schwiegersohn angeboten, eine Wohnung zu beziehen. „Wir haben uns das reiflich überlegt. Noch war das Haus ja im Bau. Aber Ende 1981 haben wir dann diese Wohnung in Essen bezogen.“ 1975 Marianne Rottmann, Maria Masermann und Ulrike Neumann 23.12.1986 Die Zeche Zollverein wird stillgelegt 01.04.1987 Einführung maschinenlesbarer Personalausweise in der BRD 1987 1986 Seit 1986 Existiert die Kindernotaufnahme “Spatzennest” in Essen 26.04.1986 Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 02.05.1987 Papst Johannes Paul II. besucht das Bistum Essen “ „Geh erst mal los und sieh dir die Welt an.“ “ Hans-Peter fand schnell wieder eine Anstellung als Bäcker. Und auch Ulrike suchte sich Arbeit als Erzieherin. Als Tochter Sabine im Sommer 1982 zur Welt kam, war sie zwar noch nicht geplant, aber sehr willkommen. Eigentlich wollte die junge Mutter drei Jahre ganz zuhause bleiben und sich nur um das Baby zu kümmern. Doch bei Masermann-Neumann gab es viel zu tun. Um ihre Mutter ein wenig zu entlasten und nebenbei ein wenig Geld zu verdienen, half Ulrike stundenweise aus – und blieb dann ganz: „Ich habe plötzlich gemerkt, dass das Bestattungsgewerbe doch etwas für mich ist.“ So lernte sie ihren neuen Beruf „learning by doing“ und übernahm mit der Zeit immer mehr Verantwortung. Am 1. Dezember 1982 fing sie offiziell als Angestellte im elterlichen Betrieb an; 1987 gab Ehemann Hans-Peter seine Anstellung als Bäcker auf und wurde ebenfalls Angestellter bei Masermann-Neumann. In den 80er Jahren war Bestatter immer noch kein offizieller Lehrberuf. Es gab allerdings den „Fachgeprüften Bestatter“ – den Ursula Neumann schon 1969 gemacht hatte – und Fachseminare, ebenfalls angeboten vom „Bundesverband Deutscher Bestatter“. Ulrike machte viele Seminare: Sie lernte alles über Buchführung, Rhetorik und marktorientierte Unternehmensführung, über das Personenstandsrecht für Bestatter und den richtigen Umgang mit Trauernden, über Trauerdruck und Trauerfloristik und über die Kosmetik am Verstorbenen in Theorie und Praxis. Vor allem aber schaute sie ihrer Mutter über die Schulter. Und die brachte ihr alles bei, was sie wusste und was sie selbst von ihrer Mutter gelernt hatte. 1990 Claus Neumann, Ursula Neumann, Ulrike und Hans-Peter Richardt 12.03.1989 Das Word Wide Web (WWW) wird erstmals vorgestellt 01.04.1989 Anschaffung des ersten Computers zur Erstellung von Drucksachen im Hause Masermann-Neumann 1989 1988 29.05.1988 Der erste Bischof von Essen, Franz Hengsbach wird zum Kardinal ernannt 23.11.1988 Tod Werner Neumann 01.01.1989 Halbierung des Sterbegeldes der Krankenkassen 09.11.1989 Fall der “Berliner Mauer” 27 1990 Betriebsfest 50 Jahre Masermann-Neumann: Ursula Neumann und Ulrike Richardt mit den Sargträgern Heinz Neumann, Paul Rommerskirchen, Herbert Reger, Heinz Nolte, Günter Schmidt, Werner Uphoff, Alois Hochhaus, Hanz-Peter Richardt, Claus Neumann, Kurt Weber und Karl-Heinz Rüffer (v. l. n. r.) „Mir hat die Arbeit Spaß gemacht“, sagt Ulrike Markner. „Und der Plan war immer, richtig mit in den Betrieb einzusteigen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass mein Vater krank war und meine Mutter nicht mehr so unterstützen konnte.“ Im Oktober 1989 schließlich war sie fertig, hatte alle Seminare besucht und konnte genug Qualifikation und Praxiswissen nachweisen. Drei Monate später, am 1. Januar 1990, stieg Ulrike als Mitinhaberin bei Masermann-Neumann ein. Im April 1991 wurde das Sarglager vergrößert und von der Huckarderstraße in die Elisabethstraße (Zeche Katharina Schacht Emil) verlegt. Nach Ursulas Ausstieg und Umzug nach Bad Orb war Ulrike ab 1997 alleinige Inhaberin von Masermann-Neumann, konnte aber weiter auf die Unterstützung von Familienmitgliedern, Freunden und Mitarbeitern setzen. Nach der Trennung von Ulrike 1998 stieg Hans-Peter Richardt aus der Firma aus und ging zurück in sein Heimatdorf Rückers in der Nähe von Fulda. Ulrike und Ulrich Markner heirateten 1999. Ihr zweiter Ehemann war der Familie bereits seit vielen Jahren durch seine Tätigkeit als Sargträger verbunden. Und nach dem Wegzug von Mutter Ursula aus Essen wechselte Ulrike mit ihrer Familie zum Firmensitz „Auf dem Bretzberg 28“. Fünf Jahre später zog sie mit Ehemann Ulrich Markner ein Haus weiter in die Nr. 30, damit das Haus Nr. 28 für die zukünftige Chefin Sabine frei wurde. Als 2003 endlich die Ausbildung für Bestattungsfachkräfte eingeführt wurde, durfte Ulrike sogar ausbilden – ohne eine offizielle sogenannte Ausbildungseignung. Ausschlaggebend waren ihre langjährige Berufspraxis und ihre pädagogischen Erfahrungen als Erzieherin. Ihre nachgewiesene fachliche Kompetenz führte dazu, dass sie als erste Bestatterin in Essen und Umgebung die „Zuerkennung der fachlichen Eignung zur Ausbildung“ für den Ausbildungsberuf der Bestattungsfachkraft erhielt. Und so war der „Umweg“ zur Bestatterin dann doch genau der richtige Weg für Ulrike. 01.12.1991 Eröffnung Multiplexkino “Cinemaxx”, infolge dessen mussten in der Essener Innenstadt 10 Lichtspielhäuser schließen 01.01.1990 Ulrike Markner wird Teilhaberin 1991 1990 03.10.1990 Deutsche Wiedervereinigung 01.04.1991 Verlegung des Sarglagers in die Elisabethstraße (Zeche Katharina Schacht Emil) 20.06.1991 Hauptstadtbeschluss; Berlin löst Bonn als Hauptstadt ab Telefongeschichten Teil 4 Im Sommer 1979 wollten Ursula und Werner Neumann endlich einmal gemeinsam Urlaub machen. Den Dienst im Familienunternehmen übernahm Tochter Ulrike (damals 18), den Telefondienst ihre Freundin Anke Sievert heutige Große-Segerath (noch 17). Die erinnert sich: „Ich kam drei Wochen nicht vor die Tür – und habe drei Kilo zugenommen.“ Denn während Ulrike, die bereits einen Führerschein besaß, mit dem Auto alle Erledigungen machte, hütete ihre beste Freundin das Telefon. Und ausgerechnet in dieser Zeit gab es „unfassbar viel zu tun“: unzählige Telefonate mit Angehörigen, mit dem Pfarrer, den Friedhöfen, der Gaststätte, der Druckerei etc. „Ich hatte das Gefühl, es gab im ganzen Jahr nicht so viele Sterbefälle, wie in diesem Sommer.“ Der Höhepunkt eines jeden Tages war der Besuch des Eismanns. Der hielt direkt vor der Haustür: „Ich habe sehnsüchtig auf das Klingeln gewartet, bin dann ganz schnell raus, mit einem Ohr immer am Telefon, und habe mir mein Eis geholt.“ Ab und zu gab es ein Verwöhnprogramm: einen Krokantbecher oder Bananensplit. Schuld am „Übergewicht“ war aber auch die Tiefkühltruhe, die Ursula Neumann bis oben gefüllt hatte, damit die Mädchen nicht verhungern. Den anschließenden Urlaub hatten sich die beiden Mädchen redlich verdient. Sie flogen nach Gran Canaria. Und hier lernte Ulrike Neumann Hans-Peter Richardt kennen – den sie ein Jahr später heiratete. 1981 1. Hochzeit Ulrike Richardt mit Trauzeugin Anke Sievert 01.01.1993 Große Kundgebung gegen Menschenfeindlichkeit in Essen; über 300.000 Menschen entzünden “Lichter der Menschlichkeit” 1993 1992 01.04.1992 Radio Essen geht auf Sendung 1975 Anke Sievert und Ulrike Neumann 01.07.1993 Einführung der fünfstelligen Postleitzahlen 29 Nachbarn & Freunde Feiern und helfen Das Leben ist endlich – und kann von einem Moment auf den anderen zu Ende sein. Mit dieser Gewissheit sind die Frauen von Masermann-Neumann groß geworden. Vielleicht feiern sie deshalb so gerne. (Runde) Geburtstage und Jubiläen, Polterabende und Hochzeiten sind seit Generationen ein guter Grund, Familie und Freunde, Mitarbeiter und Nachbarn einzuladen. Dabei sind die Grenzen fließend: Ein Teil der Familie wohnt in der Nachbarschaft, Mitarbeiter sind auch Familienmitglieder; Nachbarn gehören zum engen Freundeskreis und helfen aus, wenn jemand gebraucht wird. „Tod und Trauer sind unser tägliches Brot“, sagt Sabine Sanheim. „Wir setzen uns damit auseinander, und uns ist bewusst, dass wir morgen vom Bus überfahren werden können.“ So wird die kostbare Freizeit mit Familie und Freunden zu einem wichtigen Gegenpart zum ernsten und seriösen Alltag. Mutter Ulrike glaubt, „dass wir so fröhlich sind und so gerne feiern, weil wir damit unsere Arbeit kompensieren.“ Gemeinsam tanzt man in den 1. Mai, verkleidet sich zu Halloween, feiert im Sommer ein großes Straßenfest und trinkt beim „Babypinkeln“ auf den Nachwuchs. Tradition seit Urgroßmutter Marias Zeiten hat das „Trägerfest“: Einmal im Jahr sagt die Chefin offiziell Dankeschön und lädt alle Sargträger zum Essen und Trinken ein. Alle fünf Jahre sind auch die Partnerinnen mit dabei. Und zwischendurch gibt es immer mal Fleischwurst, Brötchen und Kaffee im Wohnzimmer. 1980 Polterabend Auf dem Bretzberg 01.01.1995 In Deutschland wird die Pflegeversicherung eingeführt 1995 1994 08.07.1994 Weltweit einziger Lehrfriedhof für Bestatter in Münnerstadt wird eröffnet 06.05.1994 Der “Euro-Tunnel” im Ärmelkanal wird offiziell eröffnet 24.06.1995 “Verhüllter Reichstag” als Kunstprojekt des Künstlerpaares Christo & Jeanne-Claude Mitte 80er Straßenfest Auf dem Bretzberg, Spielmannszug Kray 1991 Straßenfest Auf dem Bretzberg, Die Ruhe vor dem Sturm Seit den 70er Jahren wird „Auf dem Bretzberg“ gefeiert – und alle mach(t)en mit. Anke (heute verheiratete Große-Segerath) war Trauzeugin, als ihre Freundin Ulrike im August 1980 Hans-Peter Richardt das Ja-Wort gab: „Onkel Willi, der Schwager von Ulis Mama Ursula, hat mich genötigt, mit ihm den Leierkasten zu spielen. Wir haben uns ganz verrückt verkleidet und alte Berliner Lieder gesungen – aber absichtlich in der falschen Tonart. Das war sehr lustig. Und alle hatten ihren Spaß.“ 1983 wurde Werner Neumann 50 und lud zur großen Party auch alle Sargträger samt Partnerinnen ein. „Dabei wären mehr als die Hälfte der Leute sowieso eingeladen worden, weil sie mit uns verwandt sind oder zum Freundeskreis gehören“, sagt Tochter Ulrike. „Bei uns verschwimmen Arbeit und Privatleben einfach.“ Und so war es selbstverständlich, dass auch zu ihrem 50. Geburtstag 2009 die ganze „Familie“ Masermann-Neumann mitfeierte. Doch nicht nur beim Feiern zeigen sich der Zusammenhalt und das „Clan-Denken“, sondern auch in ganz alltäglichen Dingen – im Privatleben und in der Firma: Die Oma kocht, bringt das Essen mit und hütet die Kinder. (Nenn-)Tanten und Cousinen übernehmen den Babysitter-Dienst. Nachbarn hüten das Telefon. Freunde helfen als Sargträger aus. Das war schon so zu Marias Zeiten. Und das ist bis heute so: Wenn Mama nachmittags oder am Wochenende arbeiten muss, gehen „Junior-Junior-Chefin“ Alice und Schwesterchen Maia nach nebenan zu Anne Köhler. Für ihre Mutter Sabine ist das ganz normal: „Anne ist eine gute Freundin der Familie. Sie hat schon auf mich aufgepasst, als ich klein war. Und dann gibt es noch Tante Anne, eigentlich Marianne, die Schwester meiner Großmutter. Sie hat sich erst um meine Mutter und ihre Geschwister Barbara und Claus gekümmert und später auch um mich.“ Auch Ulrike Markner schätzt diesen „sehr engen Familienzusammenhalt in Freud und Leid“. Sie kann es sich gar nicht vorstellen, anders zu leben: „Wir hatten und haben ’Auf dem Bretzberg’ ein großes, sehr gut funktionierendes Netzwerk. So etwas ist ganz selten.“ 01.01.1997 Ulrike Markner als Alleininhaberin 1997 1996 17.04.1996 Eheschließung Kilian und Ursula Kraus geb. Masermann 22.08.1996 Ausstieg Ursula Neumann Seit 1997 Existiert der “Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V.” (VEID) 31 Sabines Geschichte Jahrelang ging Sabine Sanheim „Kojak“ nicht aus dem Kopf. Denn der Schauspieler Telly Savalas, der den Titelhelden in der Krimiserie „Einsatz in Manhattan“ spielte, hatte eine markante Glatze – genau wie der erste Tote, den sie als Fünfjährige sah: „Es war schon dämmerig. Mein Vater musste noch zum Friedhof, einen Sarg schließen. Ich sollte im Auto warten, bin aber ausgestiegen und zur Friedhofshalle gegangen. Die Tür stand offen. Und dahinter war der Mann aufgebahrt. Er sah genau aus wie Kojak. Ich habe mich fürchterlich erschrocken, bin zu meinem Vater gerannt und habe mich hinter seinem Rücken versteckt. Und Papa hat nur gelacht.“ Als Kind fürchtete sich Sabine vor Gespenstern und sang laut im Wald, um die Geister zu vertreiben. Friedhofshallen waren ihr nicht geheuer, weil sie „immer so düster“ waren – und sie an den Mann mit der Glatze erinnerten. Trotzdem begleitete sie häufig ihre Mutter, sah sich die Verstorbenen genau an und durfte sie sogar kämmen. Und dann ging sie rückwärts wieder raus: „Damit mir der Tote nicht in den Nacken springen kann.“ Der Umgang mit Verstorbenen war ihr als Tochter einer Bestatterin früh vertraut. Und dass Menschen überhaupt sterben müssen, „war mir klar, und das fand ich auch ganz normal.“ Aber als ihr Großvater Werner Neumann 1988 starb, wurde der Tod plötzlich persönlich. Und die damals Sechsjährige erlebte zum ersten Mal, wie sich Trauer anfühlt. Was dieses Gefühl wirklich bedeutet, begriff die junge Frau aber erst im Laufe der Zeit. „Ich habe dann auch eine Weile darauf verzichtet, direkten Kontakt mit Verstorbenen zu haben. Das war mir irgendwie zu viel Tod.“ Das Thema „Trauer“ spielt heute für Sabine Sanheim eine sehr wichtige Rolle. Doch bevor sie sich beruflich damit beschäftigten konnte, musste sie erst einmal weg – weg aus Essen und weg von allem, was mit Bestattungen zu tun hatte. Mit 17 ging eine langjährige Freundschaft in die Brüche. Und als sie Weihnachten 1999 ihren Vater besuchte, der mittlerweile wieder im hessischen Rückers lebte, blieb sie einfach da. Ihren Realschulabschluss hatte sie in der Tasche, und so machte sie sich auf Jobsuche. Anke, die Freundin ihrer Mutter und in vielen Punkten Vorbild für das junge Mädchen, war Zahntechnikerin und hatte immer viel von ihrem Job erzählt. Und so suchte sich Sabine im fernen Hessen einen Ausbildungsplatz in diesem Beruf. Doch mit der Zeit kam das Heimweh. Die Sehnsucht nach dem Ruhrpott wurde immer größer. Und 2002 zog die 20Jährige zurück in die vertraute Umgebung, wo die Familie, Freunde und ihr altes Kinderzimmer warteten. Noch immer wusste sie nicht genau, was sie für den Rest ihres Lebens machen sollte. Einfach nichts zu tun, das war nicht ihr Ding. Und als Mutter Ulrike Unterstützung brauchte, half sie ihr. Erst nur ein wenig, dann immer mehr. Und irgendwann im Laufe des Jahres begriff Sabine: „Hier sind meine Wurzeln. Hier gehöre ich hin.“ An ihre erste Verstorbene, die sie auch richtig angefasst hat, erinnert sie sich noch genau: „Das war 2002. Eine Opernsängerin war gestorben. Ich habe sie geschminkt, ihr die Nägel lackiert und die Haare gemacht. Da hatte ich keine Berührungsängste mehr.“ 01.01.1999 Der Euro wird als Buchgeld in 11 Staaten der EU eingeführt 1999 1998 01.01.1998 Anschaffung des ersten Handys 01.08.1998 Inkraftreten der neuen deutschen Rechtschreibreform 03.12.1999 Eheschließung Ulrich und Ulrike Markner geb. Neumann Und als zum 1. August 2003 die „Bestattungsfachkraft“ endlich ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf wurde, gehörte sie zum ersten Jahrgang mit insgesamt 68 Schülerinnen und Schülern. Im Bundesausbildungszentrum für Bestatter (BAZ) in Münnerstadt und in der Berufsschule in Bad Kissingen lernte sie u. a. Bergung, Überführung, Versorgung, Einkleidung und Einbettung von Verstorbenen, Grabtechnik, Warenkunde, Dekoration und Trauerdruck, aber auch Beratungsgespräch, Trauerpsychologie und ganz viel Kaufmännisches. Praktische Erfahrungen sammelte Sabine vor allem aber im heimischen Betrieb bei Mutter Ulrike. Sie feierte gerne und ging tanzen, ohne aber dabei ihre Arbeit zu vernachlässigen. Das Lernen fiel ihr leicht und machte ihr großen Spaß: „Ich fand das alles superspannend, vor allem die sozialen und wirtschaftlichen Themen. Besonders gerne mochte ich schon damals alles, was mit Marketing zu tun hatte, mit Zahlen zu jonglieren und Trauerpsychologie. Und weil ich gleichzeitig aufpassen, zuhören und mitschreiben konnte, musste ich auch nie viel nacharbeiten.“ Am 18. Juli 2005 – noch während der Ausbildung – kam Tochter Alice zur Welt, die „Junior-Junior-Chefin“. Fleißig gelernt hat die junge Mutter trotzdem. Und weil sie nur gute Noten schrieb und auch in der Praxis überzeugte, wurde ihr die Ausbildung wegen „herausragender Leistungen“ von drei auf zweieinhalb Jahre verkürzt. Im Februar 2006 bestand Sabine ihre Prüfung vor der Handwerkskammer – als erste (weibliche) staatlich anerkannte Bestattungsfachkraft in ganz Essen! Aber das reichte der damaligen Juniorchefin noch nicht: Ab 2010 drückte sie noch einmal die Schulbank: Sie wollte ihren Meister machen. Und dann wurde sie wieder schwanger. „Vielleicht lag’s an der guten Luft von Bad Kissingen, wo schon Elisabeth von Österreich, besser bekannt als Sissi, mehrfach zur Kur geweilt hatte.“ Als Töchterchen Maia am 17. August 2011 geboren wurde, wohnte Sabine mit ihrem Martin und Tochter Alice in einer zufällig freigewordenen Wohnung „Auf dem Bretzberg 25“ – im einzigen Haus mit „Mietwohnungen“ in der ganzen Straße – bevor sie ins Haupthaus von Masermann-Neumann zog. Das Firmengebäude „Auf dem Bretzberg 28“ wurde umgebaut, das Büro vorübergehend ins Nachbarhaus zu Ulrike und Ulrich Markner verlegt. Die Arbeit im Familienbetrieb teilen sich Mutter und Tochter bis heute. Aber seit dem 1. Januar 2013 heißt die Chefin Sabine Sanheim. Im gleichen Jahr bestand die neue Firmeninhaberin ihre Prüfung als „Bestattermeisterin“. Und seit dem Jubiläumsjahr 2015 lebt Sabine Sanheim mit ihrer Familie im frisch renovierten Firmensitz: Nur eine Treppe trennt die Privaträume vom Bestattungsinstitut Masermann-Neumann. 2014 Meisterfeier der HWK in Düsseldorf 01.06.2000 Die Weltausstellung “Expo 2000” wird in Hannover eröffnet 14.12.2001 Die Zeche Zollverein wird zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt 2001 2000 01.01.2001 Eröffnung des “Babyfenster” in Essen 01.05.2001 Eröffnung der im traditionellen Baustil erbauten Fatih-Moschee in Essen-Katernberg 01.08.2001 Inkraftreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes in der BRD 33 Erfolgreiche Frauen und emanzipierte Männer Seit vier Generationen ist im Hause Masermann-Neumann der Chef eine Chefin. Das ist ungewöhnlich für Familienbetriebe – und ziemlich einmalig in der Bestattungs-Branche. Nicht nur, weil die Firma jeweils von der Mutter auf die Tochter vererbt wurde. Vor allem aber konnten sich alle „Chefinnen“ immer 100 Prozent auf ihre (Ehe-)Männer verlassen. Ohne den Rückhalt, die Unterstützung und die tatkräftige Hilfe der Männer an ihrer Seite hätten sie das Geschäft nie so erfolgreich führen können. Da sind sich Sabine Sanheim, Ulrike Markner und Ursula Kraus einig: „Die Männer haben die Frauen nicht nur im Geschäft unterstützt, sondern auch alle auf ihre Weise zur Haushaltsführung und Erziehung der Kinder beigetragen“. “ Maria und Josef “ Als Maria, geb. Richerzhagen, Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts ihren Josef kennenlernte, fuhr der als Lokomotivführer die Zechenbahn von der Zeche Ernestine zur Kokerei und zurück. 1940, da war sie schon zehn Jahre „Frau Masermann“, gründete Maria das Beerdigungsgeschäft Josef Masermann Sarglager. Warum und wieso der Name ihres Ehemannes auf dem Firmenschild steht, weiß heute niemand mehr so genau. Fest steht aber, dass Josef hinter der Entscheidung seiner Frau stand, sich selbstständig zu machen. Denn auch, wenn in Kriegszeiten viele Frauen „ihren Mann“ stehen mussten, war es doch nicht selbstverständlich, dass ihre Ehemänner ihnen den Rücken frei hielten. Josef Masermann war – nach seinem Dienst – der „Repräsentant nach außen“, erinnert sich seine Tochter Ursula. Dabei half ihm, dass er in Stoppenberg nicht nur sehr bekannt, sondern auch sehr beliebt war. „Aber meine Mutter managte den Betrieb nach innen.“ Maria und Josef Masermann waren ein gutes Team. Und Josef unterstützte seine Frau moralisch, praktisch – und mit seinem guten Namen. 08.07.2003 Der letzte VW Käfer läuft vom Band 2003 2002 2002 Essen feiert Geburtstag: 1150 Jahre Stift und Stadt Essen 01.01.2002 Der Euro löst die Deutsche Mark ab 1948 Marianne, Maria, Josef und Ursula Masermann 09.07.2002 Erstes Gräberfeld für fehl- und totgeborene Kinder am Essener Ostfriedhof wird eröffnet 01.08.2003 Die “Bestattungsfachkraft” wird ein anerkannter Ausbildungsberuf “ Ursula und Werner “ In den 60er Jahren waren die Rollen von Mann und Frau klar verteilt: Er ging arbeiten, sie kümmerte sich um Haus und Kinder. Bei Ursula und Werner Neumann sah das anders aus: Als sie 1957 heirateten, verdiente der junge Ehemann sein Geld als Stuckateur – und half bereits seit einem Jahr im Betrieb seiner (zukünftigen) Frau aus. Als „Mann für alle Fälle“ machte er Fahrten und Telefondienst, schlug Särge aus und war immer da, wenn Not am Mann war. „Werner ging mir viel zur Hand, auch als er noch nicht fest angestellt war. Und dabei war er ein so lustiger, fröhlicher Mann. Manchmal stand er einfach auf und hat laut gesungen,“ blickt Ursula Kraus zurück auf die 60er und 70er Jahre. Und statt wie viele seiner Geschlechtsgenossen nach Feierabend die Füße hochzulegen, übernahm Werner Neumann zusätzlich zu seinem Job auch einen Teil der sogenannten Hausfrauenpflichten. „Mein Vater war nie so ein Macho. Für ihn war es ganz normal, das er einkaufen ging und das Kochen übernahm“, erinnert sich Tochter Ulrike. Und Freundin Anke, heutige Frau Große-Segerath, ergänzt: „Das war für die damalige Zeit ja nicht so üblich, dass die Männer in einem Unternehmen im Hintergrund agierten und ihren Frauen den Kontakt zu den Kunden überließen. Aber bei Uli zogen alle an einem Strang. Und ganz ehrlich, anders geht das auch nicht in Familienbetrieben.“ 1976 schließlich gab Werner Neumann seine Arbeit als Stuckateur auf. Bis zu seinem Tod 1988 war er hauptberuflich bei Masermann-Neumann angestellt – und übernahm weiterhin zusätzlich einen großen Teil der Hausarbeit. “ Ulrike und Hans-Peter “ Hans-Peter Richardt und Ulrike Neumann heirateten 1980. Sie teilten sich von Anfang an den Haushalt – und die Erziehung von Sabine, die zwei Jahre später zu Welt kam. Das klappte gut, denn der junge Vater war Bäcker und musste mitten in der Nacht aufstehen, hatte dafür aber nachmittags Zeit. Wenn Klein-Sabine ihren Mittagschlaf hielt, legte sich auch Hans-Peter noch einmal hin und übernahm anschließend den „Familiendienst“. Ulrike kümmerte sich vormittags um ihre Tochter und unterstützte nachmittags ihre Eltern im Betrieb. Mit drei Jahren kam Sabine in den Kindergarten, und ihre Mutter arbeitete mehr oder weniger Vollzeit im Familienunternehmen. Hans-Peter versorgte aber nicht nur die Tochter. „Mein erster Mann hat auch viel im Haus gemacht, zum Beispiel Fensterputzen“, erzählt Ulrike. „Und er liebte die Gartenarbeit. Das war gut, denn weder meine Mutter noch ich haben dafür viel übrig.“ Nebenbei arbeitete Hans-Peter Richardt als „Mini-Jobber“ in der Firma seiner Frau mit und übernahm vor allem Überführungen. 1987 hing er seinen Bäckerberuf an den Nagel und stieg fest in das Familienunternehmen mit ein. 01.01.2004 Das Sterbegeld der Krankenkassen wird gänzlich gestrichen 18.07.2005 Geburt Alice Selina Fee Sanheim 2005 2004 30.10.2004 Eröffnung des Unperfekthauses “Künstlerdorf” 19.04.2005 Als erster Deutscher wird Joseph Aloisius Ratzinger Papst (Benedikt XVI.) 35 “ Ulrike und Ulrich “ Auch Ulrich Markner, mit dem Ulrike seit 1999 verheiratet ist, kümmert sich ums Fensterputzen, die Wäsche und viele andere Dinge im Haushalt. Nur das Kochen überlässt er seiner Frau. Dafür packte er tatkräftig bei den Umbauarbeiten des Hauses mit an. Zeit hat der Frührentner inzwischen. Aber auch, als er noch unter Tage fuhr, unterstützte Ulrich seine Ulrike – zuhause und im Betrieb: 2015 feiert er sein 25jähriges Jubiläum als Sargträger für Masermann-Neumann. “ Sabine und Martin “ Martin Sanheim ist freiberuflicher Grafiker. Seinen Beruf und seine Leidenschaft nutzt der Ehemann von Sabine fürs Familienunternehmen: Er hat die neue Website www.masermann-neumann.de entworfen, pflegt die Firmen-Seiten in sozialen Netzwerken, fotografiert u.a. die Dekoration bei Trauerfeiern und bietet Post-Mortem-Fotografie an. „Nebenbei“ macht er Telefondienst und Botengänge, hilft als Sargträger und ist immer da, wenn er gebraucht wird. In den letzten Jahren hat er sich maßgeblich um den Umbau des Hauses „Auf dem Bretzberg 28“ gekümmert und viele Stunden täglich auf der Baustelle verbracht. Dass sich Martin und Sabine Sanheim die Erziehung von Alice und Maia partnerschaftlich teilen, das ist für beide so selbstverständlich, dass sie gar nicht drüber reden müssen. Genau wie die Tatsache, dass sie gemeinsam die Zukunft des Bestattungsunternehmens planen. Sie sind ein Team, ziehen an einem Strang, tragen Freud und Leid gemeinsam – genau wie die Frauen und Männer in den Generationen vor ihnen. 2013 Hochzeitsfeier Sabine & Martin Sanheim mit Ulrike & Ulrich Markner 25.08.2007 “Loveparade” in Essen 2007 2006 05.09.2006 Spatenstich Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg (Planungsbeginn: 1990; Eröffnung: noch offen) 11.02.2006 Sabine Sanheim hat die Ausbildung zur “Bestattungsfachkraft” abgeschlossen 09.06.2007 Auftakt “Wissenschaftssommer 2007” in Essen Telefongeschichten Teil 5 Telefonische Erreichbarkeit rund um die Uhr ist bei Masermann-Neumann bis heute selbstverständlich: 24 Stunden, 365 Tage im Jahr, ob Wochenende oder Feiertag, Weihnachten oder Ostern. Ein Stück Freiheit brachte das Jahr 1998: Ulrike Markner kaufte das erste Handy. „Ich habe mich so für Uli gefreut“, sagt Anke Große-Segerath. „Sie war ja die Chefin damals. Und das Handy brachte eine riesengroße Erleichterung für sie und ihre Arbeit.“ Jetzt war ihre Freundin nicht mehr ans Haus gebunden, konnte guten Gewissens auch mal weggehen oder einfach im Garten sitzen – und trotzdem für ihre Kunden da sein. Heute, im Jahr 2015, gibt es viele Handys im Hause Masermann-Neumann. Und 24 Stunden am Tag haben die Kunden einen verlässlichen Ansprechpartner – so, wie schon seit 75 Jahren. “ 24 Stunden am Tag haben die Kunden einen verlässlichen Ansprechpartner – “ so, wie schon vor 75 Jahren. 24.09.2008 Richtfest des Museum-Folkwang-Neubaus (Wiedereröffnung 30.01.2010) 15.09.2009 Inkrafttreten der Bestattermeisterverordnung 2009 2008 01.01.2008 Das Briefmonopol der “Deutschen Post AG” fällt 18.09.2008 Unbekannte Noten von Wolfgang Amadeus Mozart aus dem Jahr 1787 werden entdeckt 01.12.2009 Der U-Bahnhof “Porscheplatz” wird umbenannt in “Rathaus Essen” 37 Tradition bewahren und mit der Zeit gehen 2015 Eingangsbereich 2015 Besprechungsraum Anfang 2011 übernahm Sabine Sanheim ihr Elternhaus „Auf dem Bretzberg 28“, und Ulrike und Ulrich Markner zogen ins Nachbarhaus Nr. 30, das erst vermietet war und dann umgebaut wurde. Schon während ihrer Ausbildung hatte die heutige Chefin Pläne für einen Komplettumbau: „Ich habe das Haus übernommen, weil hier die Firma sitzt. Aber es war klar, dass wir diese verwinkelten Räumlichkeiten den heutigen Bedürfnissen anpassen müssen.“ Doch bis der erste Stein bewegt wurde, dauerte es: Ende 2011 ging es los mit dem Umbau. Vier Jahre wohnte Sabine Sanheim mit ihrer Familie gegenüber der Baustelle „Auf dem Bretzberg 25“. Pünktlich im Jubiläumsjahr 2015 erstrahlt der Firmensitz Masermann-Neumann in frischem Glanz. Jetzt sind Privaträume und Firmenräume klar voneinander getrennt: Oben wird gelebt, unten wird gearbeitet. Im Eingangsbereich finden Kunden eine kleine Bibliothek mit Trauerliteratur: Hier stehen Ratgeber zur Trauerbegleitung neben Büchern über verwaiste Eltern, Broschüren vom Bestatterverband und Bilderbücher über den Tod. Literatur zum Thema „Männer trauern anders“ findet sich ebenso wie Bücher über die psychologischen Ansätze der Trauer. Besonders der letzte Aspekt interessiert Sabine Sanheim: „Ich würde gerne die psychologische Schiene ausbauen. Trauerbegleitung und -bewältigung sind Themen, mit denen ich mich schon lange beschäftige. Denn Bestattungen sind ja mehr als die Frage, wie ich den Abschied eines Verstorbenen würdevoll gestalten kann.“ 01.11.2010 Einführung des neuen Personalausweises in Checkkartengröße mit Chip zur Speicherung persönlicher und biometrischer Daten 17.08.2011 Geburt Maia Sophia Fee Sanheim 2011 2010 2010 Essen wird “Kulturhauptstadt Europas” 18.07.2010 Kulturvolksfest “Still-Leben” auf der A40 Ende 2011 Beginn mit dem Umbau des Firmengebäudes Auf dem Bretzberg 28 Neu ist der Ausstellungsraum mit einer facettenreichen Auswahl an Särgen und Urnen. Er ist „wohnlich“ und zeigt, wie individuell eine Trauerfeier gestaltet werden kann: Ob begeisterter Motorradfahrer, leidenschaftliche Köchin, glühender Fußballfan oder begnadete Musikerin – Themenbestattungen bieten die Möglichkeit, den Abschied ganz persönlich zu gestalten, so, wie der Verstorbene in Erinnerung bleiben soll. Dazu können sich die Angehörigen passende Kerzen und Kreuze, Deko-Artikel und Deckengarnituren, aber auch Sterbewäsche aussuchen. „Man muss die Sachen anfassen, bevor man sich entscheidet. Ein Gefühl für einen Stoff oder einen Sarg zu bekommen, gehört zum Trauerprozess. Jeder Sarg sieht anders aus, fühlt sich anders an, riecht anders. Die Auseinandersetzung damit ist wichtig für das eigene Weiterleben nach dem Tod eines lieben Menschen.“ Das große Sarglager, das seit 1991 in der Elisabethstraße (Zeche „Katharina Schacht Emil“) untergebracht war, wurde am 01. Januar 2015 auf den „Zehnthof“ verlegt und weiter vergrößert. Hier haben Sabine und Martin Sanheim neben einem zweiten Ausstellungsraum auch eine Werkstatt eingerichtet, in der die Särge direkt vor Ort gestaltet werden können – mit individuellen Griffen, Stoffen oder einer besonderen Innenausstattung. „Zu Ausbildung einer Bestattungsfachkraft gehört auch das Ausschlagen eines Sarges. Und wenn es von Angehörigen gewünscht wird, verwenden wir hierfür auch roten Samt“, sagt Sabine Sanheim. „Särge lassen sich ganz persönlich gestalten. Nicht nur die Innenausstattung, sondern auch der Sarg selbst.“ Für die Zukunft plant sie deshalb Workshops, in denen Angehörige den Sarg nach eigenen Wünschen und mit eigenen Motiven bemalen können. 2015 Impressionen “Ausstellung” 01.01.2013 Geschäftsübernahme durch Sabine Sanheim 13.12.2013 Eheschließung Martin und Sabine Sanheim geb. Richardt 2013 2012 01.01.2012 Einführung der zusammenhängenden “Umweltzone Ruhrgebiet” 14.10.2012 Felix Baumgartner gelingt ein Rekordfallschirmsprung aus der Stratosphäre (ca. 39 km) 27.03.2013 Sabine Sanheim besteht die Prüfung zum “Bestattermeister” 39 “ Die Tradition von Masermann-Neumann bewahren – und mit der Zeit gehen. “ 2015 Impressionen “Ausstellung” Neue, moderne Särge und Urnen in knalligen Farben stehen jetzt im Ausstellungsraum neben klassischen Modellen, die immer wieder nachgefragt werden. Die Särge und die Individualisierung der Trauerfeiern sind erst der Anfang. Sabine Sanheim hat, unterstützt von Ehemann Martin, noch viel vor: „Wir wollen ein bisschen frischen Wind in den Familienbetrieb bringen.“ Ihre Devise lautet: „Die Tradition von Masermann-Neumann bewahren – und mit der Zeit gehen.“ Und wer weiß, vielleicht heißt zum 100jährigen Jubiläum im Jahre 2040 die Chefin Alice oder Maia. Dann läge das Bestattungsunternehmen Masermann-Neumann in der fünften Generation in den Händen einer Frau ... … 01.01.2015 Anmietung neuer/größerer Lagerfläche Am Zehnthof 171 2015 2014 19.01.2014 Essener Bürgerentscheid über die Modernisierung der Messe Essen (Entstehung 21. April 1913) 13.12.2014 Deutschlands bekannteste Familienfernsehshow “Wetten, dass..?” wird nach knapp 34 Jahren eingestellt 01.05.2015 Wiedereinzug in die Firmenräume Auf dem Bretzberg 28 “ In dieser Broschüre werden einige Unternehmen namentlich genannt. Dies ist keine Wertung! Vielmehr waren sie aufgrund ihrer langen Firmengeschichte, die zum Teil weiter zurückreicht als die von Masermann-Neumann, gute Ansprechpartner. Und wir freuen uns, dass sie uns an ihren Erfahrungen zur Geschichte des Bestattungswesens teilhaben lassen. Wir möchten an dieser Stelle noch einmal betonen, dass wir mit vielen Geschäftspartnern sowie Kolleginnen und Kollegen aus anderen Gewerken schon lange und gut zusammenarbeiten. “ Dafür an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank! Impressum Redaktion und Texte: Petra Berthold, www.leitwolf-consulting.de · Kreation und Satz: Martin Sanheim Recherche: Sabine Sanheim, Ulrike Markner, Ursula Kraus, Marianne Rottmann, Martin Sanheim Bildnachweis (nachfolgend werden Bestattungen Masermann-Neumann mit BMN und Martin Sanheim mit MS abgekürzt) Cover: Graphic river, BMN Seite 3: MS Seite 4: BMN, MS Seite 5: BMN, MS, Foto # NH 42024, CC-by-sa-2.0-de von Daniel Ullrich Seite 6: BMN, MS, CC-BY-SA-2.5 Seite 7: MS Seite 8: MS Seite 9: BMN, Bundesverband Deutscher Bestatter e.V., CC-BY-SA-2.5 von lordnikon, Seite 10: BMN Seite 11: BMN Seite 12: BMN, MS Seite 14: Geschichtskreis Stoppenberg, Bundesarchiv, Bild 183-1984-1126-312 / CC-BY-SA Seite 15: MS Seite 16: MS Seite 17: kyonnta, emer, Scisetti Alfio, Le Do - fotolia.com, MS Seite 18: Völsing, Bundesverband Deutscher Bestatter e.V. Seite 19: Luc Viatour, CC BY-SA 3.0 Seite 20: BMN Seite 21: Geschichtskreis Stoppenberg Seite 22: BMN, CC BY-SA 3.0 von hellbus Seite 23: BMN Seite 24: CC BY-SA 3.0 Seite 25: CC BY-SA 3.0 Seite 26: MS Seite 27: MS, Michael Kennard Seite 28: BMN, MS Seite 29: BMN Seite 30: BMN Seite 31: BMN, MS Seite 32: BMN Seite 33: BMN Seite 35: MS Seite 36: BMN, MS Seite 37: MS Seite 38: Kawai Ho Seite 39: CC BY-SA 3.0 von Basic.Master Seite 40: MS Seite 41: MS Seite 42: MS © 2015 Bestattungen Masermann-Neumann Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Vervielfältigung, Übersetzung oder Verwendung in elektronischen Systemen, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung durch die Herausgeberin. Diese Broschüre wurde aus 100% Altpapier hergestellt. Me ister b e trie b B e stattung en Ma s erma nn - Neuma nn Auf dem Bretzberg 28 · 45139 Essen · Telefon 0201. 21 02 71 · masermann-neumann.de Mitglied im Bundesverband Deutscher Bestatter e.V. 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