Das ewige Leben

Transcription

Das ewige Leben
 PRODUKTION
Vorsicht,
Münchner
Platte!
Mit »Das ewige Leben« kehrt Privatdetektiv Simon Brenner
alias Josef Hader zurück auf die Leinwand. Ein Set-Besuch in München,
wo die Bürgersteige anders aussehen als in Graz.
TEXT Tina Rausch
M
ünchen-Neuaubing, Drehtag 24: Im hintersten Eck
einer brachliegenden Industriehalle befindet sich ein
Altwarenladen, in dem Brenner (Josef Hader) auf
seinen Jugendfreund Köck (Roland Düringer) trifft. Das
Motiv ist eines von acht Sets in München für Das ewige
Leben, die vierte Verfilmung eines Brenner-Romans von Wolf
Haas durch Regisseur Wolfgang Murnberger. Das Drehbuch
entstand in der bewährten Zusammenarbeit von Haas, Hader
und Murnberger, für die Produktion zeichnet wieder die Dor
Film Wien verantwortlich. Neu ist, dass der Film sowohl vom
FFF Bayern als auch von der FFA in Berlin gefördert wird
und die in Schwabing ansässige Dor Film West als Koproduzent eingestiegen ist. Elf der insgesamt 37 Drehtage sind in
München angesetzt: Das Kreisverwaltungsreferat in der Poccistraße verwandelt sich in die Grazer Rentenversicherungsanstalt, Büros in Riem mutieren zur Grazer Polizeistation, der
Keller der Musikhochschule zum Polizeiarchiv; weitere Sets
sind der Richard-Strauss-Tunnel, ein Loft in Bogenhausen
sowie zwei Wohnungen in Neuperlach.
Schließlich haben mit Barbara Rudnik in Komm süßer Tod,
Joachim Król in Silentium und Josef Bierbichler im Knochenmann in jedem Brenner-Film große deutsche Schauspieler in
Hauptrollen mitgewirkt“, sagt Gerd Huber von der Dor Film
West. „Und mit der Majestic haben wir zum zweiten Mal
einen deutschen Verleih, der auch die Fernsehrechte besitzt.“
Dass die bayerische Landeshauptstadt als Drehort eines
österreichischen Films dient, der komplett in Graz spielt,
empfinden weder Koproduzent noch Regisseur als Widerspruch: „Wir wollten schon früher in Koproduktion gehen.
Wie einem wiederum der Originalschauplatz einen Strich
durch die Rechnung machen kann, erlebte das Filmteam Mitte
März. Nachdem Der Knochenmann Brenner 2009 aufs Land
lotste, geht’s in Das ewige Leben zurück in die Stadt, in der er
Sogar von Beginn an mit dabei war der Münchner Kameramann
Peter von Haller. Er verfilmte jeden Brenner – und warnte
Murnberger nun vor dem hiesigen Bodenbelag, der sogenannten
Münchner Platte. Diese 35 mal 35 Zentimeter großen Betonplatten gibt’s angeblich nur hier, jeder Kameramann oder Ausstatter
und sicher auch einige Kinobesucher würden die Stadt daran
erkennen. Angesichts der vielen Innendrehs ist das Risiko vergleichsweise gering, Murnberger sieht das Location-Thema
pragmatisch: „Ohne die Förderung des FFF hätten wir gar nicht
drehen können, denn mit der österreichischen Förderung allein
wäre der Film nicht finanzierbar gewesen. Insofern nehme ich es
gerne in Kauf, in München Graz zu erzählen.“
19
Detektiv Brenner (Josef Hader) ermittelt wieder.
Und: Das Grazer Pflaster unterscheidet sich
eindeutig vom Münchner.
aufgewachsen ist. „Die Geschichte ist sehr konzentriert“, sagt
Josef Hader. „Brenner trifft seine alten Freunde, mit denen er
vor vielen Jahren eine Bank überfallen hat und die jetzt bei
der Polizei sind. Der gesamte Konflikt ist fokussiert auf Graz,
er kommt da im ganzen Film nicht heraus.“
Dem melancholischen Stoff entsprechend wollte man ein tristes, verregnetes Graz in Szene setzen. Doch das Wetter spielte
nicht mit und präsentierte sich von seiner besten Seite, sprich:
strahlender Sonnenschein und blühende Bäume. „Anfangs
haben wir noch versucht, irgendwelche Blüten herunterzuraspeln, damit ein paar karge Zweige in die Kamera ragen“,
erzählt Hader. „Nach ein paar hilflosen Versuchen haben wir
uns überlegt, dass es noch tragischer ist, wenn wirklich
schlimme Dinge im Frühling geschehen. Jetzt haben wir
einen interessanten Bruch: von der Witterung her eine liebliche Stimmung und als Gegenfarbe dazu die Charaktere.“
Die Anekdote verrät einiges über den für die Brenner-Filme
charakteristischen kreativen Umgang mit der Romanvorlage.
„Natürlich gibt uns Wolf Haas etwas vor“, sagt Hader. „Doch
beim Drehbuchschreiben überlegen wir noch mal ganz
genau, welche Atmosphäre unser Film haben soll und welche
Welt wir darin schildern wollen.“
Dass das gemeinsame Schreiben zum vierten Mal gut
geklappt hat, liegt Hader zufolge daran, dass alle Beteiligten
keine Alpha-, sondern Betatiere sind: „Niemand versucht, zu
dominieren, wir streiten zu dritt sehr freundlich, und es ist
leicht, Entscheidungen zu treffen, weil es immer zwei zu eins
steht – irgendwie und irgendwann.“
Ähnlich geht es am Set zu. Murnberger sei den Schauspielern
und dem gesamten Team gegenüber sehr offen, so Hader:
„Wir alle reden uns kräftig in die Kompetenzen. Der Tonmeister bringt einen glänzenden Formulierungsvorschlag, der
Kameramann sagt, was er nicht so gut findet, ich frage auch,
ob wir das anders machen könnten, und der Regisseur entscheidet dann. Das ist fein, so schön kenne ich das bei keinen
Dreharbeiten.“ Sicher liegt das auch an den über 15 Jahren,
die das Team dank Haas und Brenner mittlerweile verbunden
ist – wenn auch in zeitlich großen Abständen. Auf der
gemeinsamen Erfahrung könne man aufbauen, so Murnberger,
man kenne die Figur, wisse genau, was Brenner tun und was
er niemals tun würde. Und nun, beim vierten Film, ist es
endlich soweit: „Josef Hader ist heute in dem Alter, in dem
Brenner gedacht war, als Wolf Haas in den Neunzigern über
ihn zu schreiben begonnen hat“, sagt Murnberger. Als optisches Vorbild für die Romanfigur diente dem Autor der
Tiroler Schauspieler Hans Brenner, Vater von Moritz Bleibtreu.
„Ich hab mir das genau angeschaut, der Josef Hader ist jetzt
genau dort. In den ersten drei Filmen war er eigentlich zu jung.“
Die langen Pausen zwischen den Dreharbeiten, aber auch die
Abwärtsspirale, in der sich die Figur befindet, verhindern bei
Hader ein Gefühl des Nachhausekommens, wenn er in die Rolle
schlüpft: „Brenners Leben ist ja generell wenig gelungen, und je
älter er wird, desto geringer wird seine Aussicht auf Glück. Jetzt
ist ein neuer Tiefpunkt erreicht, er befindet sich auf dem
Sprung vom einsamen Cowboy zum Mindestrentner – irgendwann verliert sich der Coolnessfaktor.“
Da ist es schon bitter, mit Aschenbrenner (Tobias Moretti)
einen alten Freund wiederzutreffen, der es zum Polizeichef, zu
einem Jaguar und einer schönen jungen Frau (Nora von Waldstätten) gebracht hat.
Brenner hat hingegen nicht mal mehr Freund Berti (Simon
Schwarz) an der Seite, der ihn bisher durch alle Filme begleitet
hat. Diese Nebenfigur stammt aus dem Roman Komm, süßer
Tod und entwickelte sich in den Verfilmungen zum Gegenüber
der Hauptfigur. Auf Berti zu verzichten sei den Drehbuchautoren nicht leicht gefallen, berichtet Hader: „Das tut uns schon
leid, aber wir haben diesmal eine Geschichte, in der Brenner in
starke Verbindungen zu anderen Figuren tritt. Für Berti war da
kein Platz mehr.“
Ob und wie viel Raum der Ich-Erzähler der Romane bekommt,
ist noch offen. Dieser Part ist nicht Bestandteil des Drehbuchs,
sondern das literarische Sahnehäubchen, mit dem Wolf Haas
bislang jede Verfilmung garnierte: „Er schaut sich den Film
zum Schluss an und schlägt dann vor, wo seiner Meinung nach
der Erzähler passt“, so Hader. „Es kann auch sein, dass wir ihn
gar nicht brauchen.“
Genau darin liegt ein eklatanter Unterschied: Die Romane sind
ohne die Erzählerstimme undenkbar, ihr von Austriazismen
durchsetzter, liederlich-flapsiger Ton ist eine höchst verdichte
Kunstsprache, der die Reihe ihren Kultstatus verdankt. In einem
furiosen Coup opferte Wolf Haas den Erzähler am Ende von
Das ewige Leben, um Brenner das Leben zu retten. „Diese sehr
literarische Form, den Erzähler mundtot zu machen und ihn
dadurch am Weitererzählen zu hindern, ist filmisch nicht
umsetzbar“, meint Hader dazu. „Außer man würde den Kameramann erschießen und dann das Filmteam herzeigen, das
wollten wir aber nicht.“
DIE ROMANVORLAGEN
Mit dem sechsten Brenner-Roman „Das ewige
Leben“ (Hoffmann und Campe, 2003) wollte Wolf
Haas die Reihe abschließen. Daher jagte er zu
Beginn Brenner eine Kugel in den Kopf – und ließ
am Ende statt der Hauptfigur den Erzähler sterben.
Sechs Jahre später meldete sich dieser in „Der
Brenner und der liebe Gott“ furios zurück: „Meine
Großmutter hat immer zu mir gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen.“
Der neueste Roman „Brennerova“ erscheint im
September. Die Verfilmungen folgen einer eigenen
Chronologie. So fehlt neben dem fünften und siebten Roman bis heute auch die Geschichte, mit der
1996 alles begann: „Auferstehung der Toten“.
Murnberger entwickelte eine adäquate Filmsprache, in der er
jegliche Ästhetisierung und Spielereien weglässt und Haas‘
scheinbar nachlässigen Satzbau in eine schlampige Bildgestaltung überträgt. Da kann es am Set in Neuaubing schon mal
passieren, dass ein Pressefotograf die Requisiten für Müll hält
und aus dem Bild haben will ...
Drei weitere Brenner-Romane harren noch einer möglichen Verfilmung – ob es dazu kommt, hängt, so Murnberger, von zwei
Faktoren ab: „Wir machen weiter, solange es nicht bergab geht
und uns das Ganze auch noch künstlerisch interessiert.“ Tatsächlich übertraf bislang jeder Brenner-Film seinen Vorgänger sowohl
in der kreativen Umsetzung als auch kommerziell. Ob Das ewige
Leben daran anknüpfen kann, wird sich ab 5. März 2015 zeigen –
nicht zuletzt an der Kinokasse, wenn Majestic den Film auf die
Leinwand bringt. Und vielleicht hält es das Filmteam doch mit
Wolf Haas: „Aber ich sage, man muss nicht immer alles vom
Ende her betrachten“, heißt es in Das ewige Leben. „Man kann
auch einmal eine gute Sekunde gelten lassen. Einfach nicht zu
weit in Richtung Ende schauen, dann geht es schon.“