PDF herunterladen

Transcription

PDF herunterladen
JAN W EIL ER
M EIN LE BEN AL S M EN SCH
FOL GE 413
Faule Kompromisse
M
an muss in der Ehe hier und da Kompromisse eingehen. Das
beginnt bei der ersten Einrichtung, die aus zwei Beständen etwas
ziellos kombiniert wird und gegenseitige Toleranz erfordert und
endet bei der Anschaffung von Klamotten. Ich zum Beispiel
trennte mich ganz freiwillig ziemlich rasch von einem sehr
aparten schwarzen Oberhemd aus Polyester. Sara hörte im
Gegenzug irgendwann damit auf, den roten Regenmantel zu
tragen, mit dem sie immer aussah wie der Zwerg in „Wenn die
Gondeln Trauer tragen.“ Ich bekam bei jedem Spaziergang eine Höllenpanik, wenn sie das
Ding anhatte.
Mit den Jahren haben wir uns in fast allen Lebensbereichen sehr angenähert. Da gibt es
keine großen Überraschungen mehr. Es wäre aber auch sehr merkwürdig, wenn mir nach
zwanzig Jahren und dem 3461. Fenchel-Risotto auffiele, dass Sara überhaupt keinen Fenchel
mag. Nur in einem einzigen Punkt gelingt uns wirklich überhaupt kein gemeinsamer
Nenner: Meine Frau mag Musicals. Und ich nicht. Ich kann Musicals nicht ausstehen.
Es hat sich mir nie erschlossen, warum man mitten im Film ständig lossingen muss. Und
die meisten Lieder sind auch so wahnsinnig scheußlich. Sehr seltsam ist es, wenn ein Song zu
Ende geht. Niemals sagt dann jemand, was man eigentlich in so einem Moment sagen
müsste, nämlich: „Entschuldigung, aber haben wir da gerade wirklich ernsthaft gesungen?“
Wobei ich sagen muss, dass eine schöne Gesangseinlage durchaus den Reiz eines Filmes
erhöhen kann. Bei „Shining“ würde ich zum Beispiel sehr gerne zwischendurch ein Liedchen
hören. Oder bei „Alien.“ Das würde mir gefallen, wenn das Monster auf dem Gesicht des
Astronauten säße und darüber sänge, dass es acht Beine, aber kein Herz besitze. Aber die
meisten Musicals sind ja eher romantischen Inhalts. Da geht es immer nur um Sehnsucht und
so etwas.
Für unser Zusammenleben spielt Saras Musical-Vorliebe zum Glück keine Rolle und das
wird auch so bleiben, es sei denn, sie beginnt eines Tages damit, Musicals zu schreiben und zu
komponieren. Das könnte einen Keil in unsere ansonsten harmonische Paarbeziehung
treiben. Aber bisher nahm sie Rücksicht auf meine ästhetischen Gefühle und kündigte
rechtzeitig an, wenn sie Freundinnen einladen wollte, um mit ihnen „Mamma Mia“ oder
„Evita“ anzusehen. Ich ging dann einfach für drei Stunden bei Schneeregen in den Wald und
kratzte Moos von den Bäumen, das ich langsam kaute, um mich lebendig zu fühlen.
Neulich war es jedoch mit ihrer feinen Zurückhaltung vorbei. Da kam sie mit zwei
Eintrittskarten in der Hand in mein Büro und verkündete freudestrahlend, dass ein MusicalEnsemble in der Stadt gastiere. „Phantom der Oper“. Und dann sagte sie, wir würden zu
wenig miteinander unternehmen. Ich jammerte, das sei einfach zu viel verlangt. Daraufhin
versprach sie, mich im Gegenzug beim Besuch eines Stock Car-Rennens zu begleiten.
Das Phantom war dann wirklich ganz, ganz schlimm. Der Inhalt, das Bühnenbild. Das
fanatische Publikum. Der Typ mit dem halben Teller im Gesicht. Furchtbar. Aber auch
irgendwie sehr lustig, denn es handelte sich um ein amerikanisches Ensemble. Die Darsteller
deklamierten ihre Texte deshalb mit einem starken US-Akzent, überdies wurde ich den
Verdacht nicht los, dass die Leute auf der Bühne eigentlich gar keine Ahnung hatten, was sie
da genau sagten, denn sie betonten praktisch jede einzelne Silbe ihrer Dialoge falsch.
Das Phantom sagte zum Beispiel in einer wirklich eindringlichen Passage: „Furr Dick bin
ickdock nur eine Scheusel!“ Und als es später romantisch wurde, rief der Betellerte: „Horst Du
wie die Touben görrn? Horst Du wie die Vogel switchen?“ Ich bog mich vor Lachen, so etwas
Lustiges habe ich auf einer Theaterbühne wirklich noch nie gehört. Nachdem sie mir zwei
Mal aufs Bein gehauen hatte, fiel Sara auch auf, was das für ein unglaublicher Käse war. Wir
lachten dann gemeinsam, wenn auch nicht die ganze Zeit, denn das war ein sehr langer
Abend mit viel Musik und sehr schrecklichen Liedern. Ich wurde dann doch sehr müde und
war froh, als ich nach Hause durfte.
Und erst auf dem Heimweg bemerkte ich, dass Sara mich über den Tisch gezogen hat. Ich
mag nämlich überhaupt keine Stock-Car- Rennen. Und jetzt muss ich da auch noch hin. •
9. MÄRZ 2015