BESCHLUSSEMPFEHLUNG

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BESCHLUSSEMPFEHLUNG
LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN
6. Wahlperiode
Drucksache
13.04.2016
6/5345
BESCHLUSSEMPFEHLUNG
des Ausschusses für Europa- und Bundesangelegenheiten, Justiz, Verfassung,
Geschäftsordnung, Wahlprüfung und Immunitätsangelegenheiten
(Europa- und Rechtsausschuss, 3. Ausschuss)
gemäß § 42 Absatz 3 GO LT (Unzulässige Vorlagen)
Einspruch gegen die Zurückweisung eines Antrages
Der Landtag möge beschließen:
Der Einspruch der Fraktion der NPD vom 11. März 2016 gegen die Zurückweisung ihres
Antrages vom 10. März 2016 „Kein Fußbreit der Intoleranz! - Politischer Diskriminierung im
Landtag entgegentreten!“ wird zurückgewiesen.
Schwerin, den 6. April 2016
Der Europa- und Rechtsausschuss
Detlef Müller
Vorsitzender
Drucksache
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Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode
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Begründung:
1. Tatbestand
Am 10. März 2016, dem Tag der 115. Sitzung des Landtages, legte die Fraktion der NPD
einen Dringlichkeitsantrag mit der Kurzbezeichnung „Kein Fußbreit der Intoleranz! - Politischer Diskriminierung im Landtag entschieden entgegentreten!“ vor. Der Antrag enthält in
der Beschlussempfehlung an den Landtag Text zu den Ziffern 1 bis 3 und eine Begründung.
Ziffer 3 des Antrages der Fraktion der NPD lautet: „Der Landtag fordert seine Präsidentin auf,
jedwede Form von politischer Diskriminierung bei der Ausübung ihres Amtes zu unterlassen
und sich bei ihrer Amtsführung ausschließlich von Gesetz und Recht leiten zu lassen.“
Der Antrag ist von der Präsidentin des Landtages als unzulässige Vorlage zurückgewiesen
und nicht als Landtagsdrucksache veröffentlicht worden (§§ 42, 44 der Geschäftsordnung des
Landtages - GO LT). Nach § 44 GO LT werden nur „zulässige Vorlagen“ als Landtagsdrucksachen erstellt und verteilt.
Die Zurückweisung erfolgte durch ein Schreiben der Ersten Vizepräsidentin an den Vorsitzenden der Fraktion der NPD, nachdem im Ältestenrat das Benehmen über die Zurückweisung mit Zustimmung seitens der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN gegen die Ablehnung vonseiten der Fraktion der NPD hergestellt wurde.
Zur Begründung der Zurückweisung wurde in dem Schreiben darauf abgestellt, dass der
Antrag in der Ziffer 3 sowie in seiner Begründung gegen die Geschäftsordnung und gegen die
parlamentarische Ordnung verstoße. Die Ziffer 3 und die Begründung enthielten Kritik
gegenüber der Amtsführung der Präsidentin. Dies sei nach allgemeinem Parlamentsbrauch
und nach durchgehender parlamentarischer Praxis in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig und werde deswegen in der Praxis aller Parlamente des Bundes und der Länder als Verstoß gegen die Geschäftsordnung und gegen die parlamentarische Praxis mit Ordnungsmaßnahmen geahndet. Im Hinblick darauf werde der Antrag in Bezug auf Ziffer 3 und die
Begründung gemäß § 42 Absatz 1 GO LT zurückgewiesen. Ferner wurde darauf aufmerksam
gemacht, dass die Zurückweisung gemäß § 42 Absatz 2 GO LT im Benehmen mit dem
Ältestenrat erfolgt sei und dass gegen die Zurückweisung die Erhebung eines Einspruches
möglich sei, über den der Rechtsausschuss entscheide, der dem Landtag eine Beschlussempfehlung vorlege. Dieser entscheide in einer Beratung.
Hiergegen wendet sich die Fraktion der NPD mit einem Schreiben ihres Parlamentarischen
Geschäftsführers unter dem 10. März 2016 an die Präsidentin des Landtages, eingegangen am
11. März 2016, dem Tag der 116. und damit letzten regulären März-Sitzung des Landtages.
Unter der Kurzbezeichnung „Einspruch gegen die Zurückweisung eines Antrages“ werde
gegen die Zurückweisung des Dringlichkeitsantrages zum Thema „Kein Fußbreit der Intoleranz - Politischer Diskriminierung im Landtag entschieden entgegentreten“ form- und fristgerecht Einspruch im Namen der Fraktion eingelegt. Entgegen der Ausführung im Schreiben
vom 10. März verstoße der Antrag weder gegen die Geschäftsordnung noch gegen die parlamentarische Ordnung. Insbesondere enthalte der Antrag keine Kritik an der Amtsführung der
Präsidentin. Vielmehr richte sich der Antrag gegen den Missbrauch der Hausordnung des
Landtages.
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Dieses Schreiben wurde noch am 11. März mit dem Antrag und der Zurückweisung dem Vorsitzenden des Europa- und Rechtsausschuss zur Verfügung gestellt. In einem Gespräch mit
den Obleuten aller Fraktionen wurde am Rande der Plenarsitzung einvernehmlich vereinbart,
die Angelegenheit in der nächsten regulären Sitzung des Ausschusses zu beraten, da mit einer
Beschlussempfehlung ohnehin erst die April-Sitzung des Landtages erreicht werden könne.
Mit Schreiben vom 16. März hat die Präsidentin des Landtages den Vorgang dem Vorsitzenden des Europa- und Rechtsausschusses mit der Bitte zugeleitet, dem Landtag in dieser
Angelegenheit eine Beschlussempfehlung vorzulegen.
In seiner Sitzung am 6. April hat der Europa- und Rechtsausschuss die vorliegende
Beschlussempfehlung mehrheitlich mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, CDU, DIE
LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimme der NPD erarbeitet und
beschlossen.
2. Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist zulässig, aber unbegründet.
Gegen die Zurückweisung ihres Antrages hat die antragstellende Fraktion der NPD schriftlich
und damit den Erfordernissen des § 42 Absatz 3 Satz GO LT entsprechend bei der Präsidentin
des Landtages Einspruch eingelegt.
Der Einspruch ist jedoch unbegründet. Der Antrag ist zu Recht von der Landtagspräsidentin
im Benehmen mit dem Ältestenrat zurückgewiesen worden. Denn der Antrag der Fraktion der
NPD vom 10. März 2016 „Kein Fußbreit der Intoleranz! - Politischer Diskriminierung im
Landtag entgegentreten!“ verstößt gegen die Geschäftsordnung des Landtages und gegen die
parlamentarische Ordnung.
Die Möglichkeit der Abgeordneten, im Landtag Anträge zu stellen, ist ein grundlegendes Verfassungsrecht der gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter, vgl. Artikel 22 Absatz 2
der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (LVerf). Damit korrespondiert der
Anspruch der Abgeordneten, dass ihre Anträge im Landtag beraten und einer Beschlussfassung zugeführt werden.
Dieses Recht grundsätzlich jedes Abgeordneten gilt allerdings nicht schrankenlos. Einzelne
Schranken, etwa in Bezug auf Quoren für bestimmte Anträge, enthält bereits die Verfassung
des Landes. Weitere Schranken ergeben sich aus der Rechtsordnung, einschließlich der auf
Artikel 29 Absatz 1 beruhenden Geschäftsordnung des Landtages. Konkretisiert werden
solche Schranken in § 42 Absatz 1 der GO LT. Nach § 42 Absatz 1 GO LT werden Vorlagen
im Sinne des § 41 GO LT - mithin auch Anträge - durch den Präsidenten zurückgewiesen,
wenn sie gegen Formvorschriften der Landesverfassung, gegen die Geschäftsordnung oder
gegen die parlamentarische Ordnung im Übrigen verstoßen, wenn sie durch ihren Inhalt den
Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllen oder wenn sie ein Eingreifen in die richterliche
Unabhängigkeit bedeuten und der Mangel nicht behoben wird. Die Zurückweisung solcher
Anträge erfolgt nach § 42 Absatz 2 GO LT im Benehmen mit dem Ältestenrat.
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Im vorliegenden Fall erfolgte die Zurückweisung gemäß § 42 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 GO LT zu
Recht wegen eines Verstoßes gegen die Geschäftsordnung und die parlamentarische Ordnung
im Übrigen.
Unter dem unbestimmten Rechtsbegriff der parlamentarischen Ordnung wird verstanden „die
Gesamtheit der Normen, deren Befolgung nach den im Parlament herrschenden - nur selten
und ungern wechselnden - Anschauungen als Vorbedingungen einer gedeihlichen, das
Staatsleben fördernden Beratung der Abgeordneten und als Grundlage des innerparlamentarischen Lebens gilt“ (Bücker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, §
34 Rn. 7). Darunter fallen insbesondere auch Verständigungen im Ältestenrat und interfraktionelle Vereinbarungen sowie ungeschriebene, außerrechtliche Bräuche und Werte, die durch
die historische und politische Entwicklung in der parlamentarischen Praxis geformt worden
sind (Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20 Rn. 60; LVerfG
M-V, Urteil vom 29.01.2009, LVerfG 5/08, unter I.).
Es entspricht dem parlamentarischen Brauch und der parlamentarischen Praxis, dass grundsätzlich jede Frage, die einer Fraktion oder auch nur einem Mitglied des Ältestenrates erörterungsbedürftig erscheint, im Ältestenrat thematisiert werden kann (Tebben, in:
Classen/Litten/Wallerath, Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Art. 30, Rn. 4).
Dies gilt insbesondere für Fragestellungen, für die kein anderes Verfahren in der Geschäftsordnung oder der Verfassung des Landes geregelt ist oder sich in der parlamentarischen Praxis herausgebildet hat. Vor diesem Hintergrund ist der Ältestenrat das angemessene Forum für
die Beratung zu sämtlichen Themen die Binnenorganisation des Landtages betreffend, die
potenziell dazu geeignet sind, die Würde des Landtages zu beschädigen. Die Würde des
Landtages manifestiert sich in Ansehen und Respekt vor dem Verfassungsorgan (LVerfG MV, Urteil vom 27.01.2011, LVerfG 4/09). Die besondere Stellung der Präsidentin und der
Vizepräsidenten des Landtages wird auch dadurch verdeutlicht, dass ein Antrag auf Abberufung nur zulässig ist, wenn er durch die Mehrheit der Mitglieder des Landtages eingebracht
wird und dass er der Zustimmung einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages bedarf.
Der zurückgewiesene Antrag der Fraktion der NPD enthält Kritik an der Amtsführung der
Präsidentin. In Ziffer 3 wird die Präsidentin dazu aufgefordert, jedwede Form von politischer
Diskriminierung bei der Ausübung ihres Amtes zu unterlassen und sich bei ihrer Amtsführung
ausschließlich von Gesetz und Recht leiten zu lassen. Für sich allein genommen enthält dieser
Satz eine Selbstverständlichkeit, die nicht in Frage gestellt werden kann, vgl. auch § 3
Absatz 1 Satz 2 GO LT, wonach der Präsident die Würde und die Rechte des Landtages
wahrt, seine Arbeiten fördert und die Verhandlungen gerecht und unparteiisch führt. In
Verbindung mit den weiteren Ziffern des Antrages und der Antragsbegründung wird deutlich,
was die Antragsteller mit dem Antrag tatsächlich aussagen wollen: Sie unterstellen der
Landtagspräsidentin politische Diskriminierung sowie Verstöße gegen Gesetz und Recht im
Rahmen ihrer Amtsführung. Besonders deutlich wird dies unter anderem in einem Satz, mit
dem in der Begründung des Antrages ein Verhalten der Landtagspräsidentin bewertet wird:
„Ein solcher Angriff auf die Menschenwürde einer Person allein wegen ihrer politischen
Anschauung gibt zu großer Besorgnis Anlass, verletzt die Würde des Hohen Hauses und darf
sich keinesfalls wiederholen.“
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Von der obersten Repräsentantin eines Verfassungsorgans wird zu Recht erwartet, sich streng
an Recht und Gesetz zu halten und politische Diskriminierung zu unterlassen. Entsprechende
Vorwürfe fallen auf das Parlament als Ganzes zurück, dessen oberste Repräsentantin die Präsidentin gemäß Artikel 29 der Verfassung des Landes ist. Dies gilt umso mehr, als die in dem
Antrag geäußerte Kritik insbesondere auf unterstellte Verfehlungen der Landtagspräsidentin
im Rahmen ihrer Amtsausübung abstellt. Entsprechende Kritik gegenüber der Landtagspräsidentin ist daher geeignet, das Ansehen und den Respekt vor dem Verfassungsorgan als
Ganzes und somit die Würde des Landtages zu beschädigen. Diese negativen Auswirkungen
würden durch die Zulassung des Antrages, die Verteilung als Landtagsdrucksache (vgl. § 44
GO LT) und die Beratung des Antrages im Landtagsplenum im Hinblick auf die Öffentlichkeitswirksamkeit noch intensiviert. Das Forum für die Diskussion entsprechender Unterstellungen wäre allenfalls der Ältestenrat, nicht jedoch das Plenum. Wenn sich die Fraktion
der NPD von der Landtagspräsidentin nicht hinreichend vertreten sieht, hat sie die Möglichkeit, die erforderlichen Mehrheiten nach Artikel 29 Absatz 2 Satz 2 LVerf zu suchen.
Der zurückgewiesene Antrag verstößt daher in seiner Ziffer 3 und der Begründung gegen die
Geschäftsordnung und gegen die parlamentarische Ordnung. Er ist zu Recht von der Landtagspräsidentin im Benehmen mit dem Ältestenrat zurückgewiesen worden.
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