Du sollst dir kein Bildnis machen

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Du sollst dir kein Bildnis machen
reformierte akzente 5
Die Hauptversammlung des Reformierten Bundes 2002 tagt unter
dem Thema „,Du sollst dir kein Bildnis machen‘. Von der Weisheit
des Bilderverbotes“. Mit dieser Themenstellung erinnert der Reformierte Bund an eine Besonderheit seiner Tradition: Im Gegensatz zur
landläufigen Wiedergabe der Zehn Gebote, in der das zweite Gebot
zum ersten gezogen und die Zehnzahl durch eine Teilung des achten
Gebotes erreicht wird, folgt der Heidelberger Katechismus der biblischen Zählung.
Nun ist ein Akzent konfessioneller Tradition noch nicht automatisch
ein interessanter Akzent in der theologischen Debatte der Gegenwart.
Dass und wie allerdings das Bilderverbot weitreichende Konsequenzen
hat, zeigt Jörg Schmidt in seinem Beitrag, der das Thema der Hauptversammlung des Reformierten Bundes aufnimmt. Grundsätzlicher
widmet sich Martin Filitz in seinem Beitrag „Nicht mache dir Schnitzgebild“ dem biblischen Hintergrund des Bilderverbotes und seiner
reformierten Auslegung bzw. seiner Bedeutung für Theologie und
Kirche. Georg Plasger schließlich reflektiert „Das Bild und die Bilder“
im Gespräch mit Karl Barth.
ISBN 3-932735-60-9
„Du sollst dir kein Bildnis machen“
Von der Weisheit des Bilderverbotes
herausgegeben von Jörg Schmidt
foedus-verlag
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reformierte akzente 5
„Du sollst dir kein Bildnis machen“
Von der Weisheit des Bilderverbotes
herausgegeben von Jörg Schmidt
foedus-verlag
© 2002 foedus-verlag, Wuppertal
Satz und Lay-out: j.s.
Druck und buchbinderische Verarbeitung:
Breklumer Druckerei Manfred Siegel
Printed in Germany
ISBN 3-932735-60-9
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
„Du sollst dir kein Bildnis machen“ : von der Weisheit des Bilderverbotes / hrsg. von
Jörg Schmidt. - Wuppertal : Foedus, 2002
(Reformierte Akzente ; 5)
ISBN 3-932735-60-9
Vorwort
VON JÖRG
SCHMIDT
Die Hauptversammlung des Reformierten Bundes 2002 tagt
(vom 13. bis zum 15. Juni in Nürnberg) unter dem Thema „Du
sollst dir kein Bildnis machen“. Von der Weisheit des Bilderverbotes. Mit dieser Themenstellung erinnert der Reformierte
Bund an eine Besonderheit seiner Tradition: Im Gegensatz zur
landläufigen Wiedergabe der 10 Gebote folgt etwa der Heidelberger Katechismus ihrer biblischer Zählung, während Luthers
Kleiner Katechismus das zweite Gebot zum ersten zieht und
eine Trennung im achten Gebot vornimmt, um wieder auf die
Zehnzahl zu kommen.
Nun ist ein Akzent konfessioneller Tradition noch nicht autoDie Beiträge
matisch ein interessanter Akzent in der theologischen Debatte
zeigen in
der Gegenwart. Dass und wie allerdings das Bilderverbot weitverschiedenen
reichende Konsequenzen hat, zeigt Jörg Schmidt in seinem BeiFacetten auf,
trag, der das Thema der Hauptversammlung des Reformierten
dass das zweite
Bundes aufnimmt (S. 7 ff.). Grundsätzlicher widmet sich Martin Gebot auch heute
Filitz in seinem Beitrag „Nicht mache dir Schnitzgebild“ (S.
von eminenter
15 ff.) dem biblischen Hintergrund des Bilderverbotes und
Bedeutung ist.
seiner reformierten Auslegung bzw. Bedeutung für Theologie
und Kirche. Georg Plasger schließlich reflektiert „Das Bild und
die Bilder“ (S. 49 ff.) im Gespräch mit Karl Barth.
Die Beiträge dieser Ausgabe der „reformierten akzente“ sollen
den Teilnehmenden an der Hauptversammlung eine Einführung
in das Thema erleichtern. Dass sie darüber hinaus von Interesse
sind, davon sind Herausgeber wie Autoren überzeugt.
Der Herausgeber
„Du sollst dir
kein Bildnis machen“
Von der Weisheit des Bilderverbotes – Einige vorläufige Anmerkungen
VON JÖRG
SCHMIDT
Vor etwas mehr als einem Jahr legte das Moderamen (der Vorstand) das Thema der Hauptversammlung des Reformierten
Bundes 2002 fest (13. bis 15. Juni in Nürnberg). Sehr schnell
und fast ohne andere Themenvorschläge zu diskutieren waren
sich die Mitglieder des Moderamens einig, das – in biblischer
Zählung – zweite Gebot, das Bilderverbot aufzugreifen.
Im öffentliAuf den ersten Blick mag das für manche eine etwas überraschende Entscheidung gewesen sein. Denn im öffentlichen chen Bewusstsein
der 10 Gebote
Bewusstsein der 10 Gebote dominiert das „lutherische” Verdominiert das
ständnis, in dem das Bilderverbot zum ersten Gebot gezogen
„lutherische”
und in seiner eigenständigen Bedeutung relativiert wird. Zudem
Verständnis,
hat manchmal eine seltsame „reformierte” Auslegung dieses
in dem das
Gebotes eher für Abwehr gesorgt, denn für Interesse: In der
Bilderverbot
Auslegung mancher – noch nicht einmal so alter – „Väter
zum ersten
des Glaubens” ging es häufig um die Legitimität bzw. die
Gebot gezogen
Illegitimität der Kerzen auf dem Abendmahlstisch oder darum,
und in seiner
dass natürlich keine Bilder den reformierten Gottesdienstraum
eigenständigen
zu schmücken haben. (Weswegen es auch vorgekommen ist,
dass alte Fresken, die bei Renovierungsarbeiten auftauchten, Bedeutung relativiert wird.
übermalt werden sollten und schließlich hinter Blenden verdeckt wurden.)
Alles das hat dazu beigetragen, dass das Bilderverbot in
seiner Bedeutung für Theologie und Kirche eher unterschätzt
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worden ist. Denn in seiner Perspektive liegen Fragestellungen,
die in der gegenwärtigen Situation von Kirche und Gesellschaft einiges an Sprengkraft haben können. Zwei Bereiche
seien genannt:
1. In einer bildertrunkenen Umwelt spitzt das zweite Gebot die
Frage nach Funktion und „Definitions-Macht” der Bilder zu.
Mit der TeilZerstörung von
Skulpturen wollten die
reformierten
Reformatoren
auch Machtkonstellationen in
Frage stellen.
Den reformierten Reformatoren wird manchmal vorgeworfen,
sie hätten mit der Betonung des Bilderverbotes barbarischer
Kulturzerstörung das Wort geredet. Denn in nicht wenigen Kirchen wurden im Zuge der „reformierten” Reformation sämtliche
Bilder entweder zerstört oder schlichtweg entfernt und damit –
in unserer Perspektive – wertvolle Kulturgüter unwiederbringlich zerstört.
Nun ging es den reformierten Vätern und Müttern aber nicht
um einen einfachen Akt der Zerstörung um der Zerstörung
willen, oder genauer: nicht darum, gewissermaßen in einer Art
Trotzautonomie vom Überkommenen sich abzusetzen. Vielmehr, das hat etwa Hannelore Erhart für Genf aufgezeigt1,
waren es nicht unwesentlich Akte der bewussten Auseinandersetzung mit den existierenden gesellschaftlichen Machtstrukturen. Denn die oftmals gestifteten Altarbilder kündeten nicht nur
von der Ehre Gottes, sondern auch wesentlich von der Ehre und
der Macht ihrer Stifter. Und sehr oft spiegelten die die Bibeltexte auslegenden Bildern die Macht- und Rechtsverhältnisse,
die zur Zeit ihrer Stifter für eine hierarchische Gesellschaftordnung sorgten. Mit der Teil-Zerstörung etwa von Skulpturen in
der Rivekirche in Genf wollten die „Reformierten” auch diese
Machtkonstellationen in Frage stellen2.
Mit Bildern stellt sich also immer auch die Machtfrage. Und
die zu stellen ist nicht nur im Hinblick auf – im weitesten Sinne
– „religiöse” Bilder von Interesse. Gerade in einem Umfeld, in
dem davon auszugehen ist, dass für viele nur das real ist, was
in den (bewegten) Bildern der Nachrichtensendungen (oder in
J. Schmidt, „Du sollst dir kein Bildnis machen“
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anderen Sendungen) im Fernsehen wiedergegeben wird, ist das
von eminenter Bedeutung.
1.1 Angesichts der Berichterstattung über die letzten Kriege (in
Angesichts der
Afghanistan, im ehemaligen Jugoslawien, am Golf ) stellt sich Berichterstattung
dann beispielsweise sofort die Frage nach den beabsichtigten über die letzten
Wirkungen auf eine (kritische) Öffentlichkeit. So hatte die Kriege stellt sich
offensichtliche Zensur, wie sie – so verlässliche Hinweise – sofort die Frage
nach den
stattgefunden hat, das Ziel, Kriege heute als „sauber” führbar
beabsichtigten
darzustellen. Das Leid (nicht nur) der Zivilbevölkerung kam
Wirkungen.
und kommt in diesen Berichten fast nur dann vor, wenn es
Journalistinnen und Journalisten gelingt, die ihnen gesetzten
Grenzen zu überschreiten. Vergleichbares gilt für die Darstellung der „Nachkriegssituation” in Afghanistan. Die jetzt zugelassenen bzw. geförderten Berichte lassen zumindest fragen,
ob sie nicht auch so abgefasst werden, dass sie nachträglich
legitimieren, was an Kriegseinsatz durchgeführt wurde.
Die Reformierten tun gut daran, gerade auch in diesem
Zusammenhang sich der eigenen Tradition zu erinnern und kritisch die Frage nach der Definitions-Macht über die Bilder zu
stellen: Wer hat welches Interesse, politische Zusammenhänge
so und nicht anders darzustellen, wie sie dargestellt werden?
Gerade angesichts einer nicht zu leugnenden Naivität in der
Wahrnehmung und Einschätzung von (Nachrichten-)Bildern
einerseits und der umfassenden Möglichkeit der Manipulation
der Bilder andererseits liegt hier eine Chance wie eine Verpflichtung gerade reformierter reformatorischer Tradition.
1.2 Die Machtfrage stellen heißt aber auch danach zu fragen,
wie bzw. nach welchem Bilde Männer und Frauen „gemacht”
werden. Auch diese Fragestellung ergibt sich zunehmend angesichts der Bilderflut, die direkt und indirekt die (Selbst-)Darstellung von Männern und Frauen betrifft. So formt etwa die
bildhafte Darstellung in der Werbung ein Ideal, dem viele Menschen dann auch zu entsprechen suchen. Was einer bzw. eine
„ist”, hängt stark ab von dem, wie er bzw. sie sich darstellt,
10
Nach welchem
Bilde werden
Mann und Frau
gemacht?
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wie sie sich selbst „schafft”, immer wieder neu er-schafft. Was
zurückliegenden Generationen gewissermaßen durch den sozialen Zusammenhang vorgegeben, zumindest weitgehend vorgestaltet war, wird nun zur Chance, aber auch zur Aufgabe
der Einzelnen: durch äußere Merkmale sich zu definieren.
Das reicht von der Ausstattung mit Kleidung einer bestimmten Marke über das „Bodystyling” in Fitness- und WellnessCentern bis hin zur Gestaltung des eigenen Körpers durch
Tätowierungen oder durch Piercing3.
Auch in diesem Zusammenhang schärft das Bilderverbot die
Frage nach der Definitions-Macht der Bilder bzw. der Vorstellungen von Rolle und Identität von Mann und Frau ein:
Wer legt fest, wie ein Mann, eine Frau auszusehen hat? Nicht
nur in der Perspektive der Genforschungsdebatte ist das eine
Fragestellung, deren Bedeutung sich noch steigern wird. Nach
welchem Bilde werden Mann und Frau gemacht? Wie stehen
die Bilder von Mann und Frau, die uns selbst immer wieder
neu zu „machen” uns anregen wollen, im Verhältnis zum Bilde
Gottes wie des Menschen, wie es sich zeigt in der Person und
im Werk Jesu Christi? Und auch hier gilt deshalb: Reformierte
reformatorische Tradition kann sich diesen Fragestellungen auf
der Grundlage ihrer eigenen Tradition getrost stellen – sie sollte
es allerdings auch tun.
2. In einer Zeit der Entdeckung und Hochschätzung sinnlicher
Wahrnehmung auch für den Glauben und seinen Vollzug hält das
Bilderverbot einen Raum offen für den, der sich in seinem Wort
als der Lebendige zeigt und erweist.
Den Reformierten wirft man immer wieder einmal Kargheit
ihrer Liturgie wie ihrer Gottesdiensträume vor. In diesem Zusammenhang wird ihnen zudem auch ein gewisser rationaler Zug
nachgesagt, der sich dem „Erleben”, dem „Erfühlen” verschließt.
Den reformierten Reformatoren ging es mit ihrem Rückgriff
auf eher karge, den Bibeltext in den Vordergrund stellende Got-
J. Schmidt, „Du sollst dir kein Bildnis machen“
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tesdienstformen, wie sie sie etwa im oberdeutschen Predigtgottesdienst der katholischen Kirche fanden, und der Zerstörung
bildhafter Darstellungen biblischer Texte allerdings nicht um
eine leibfeindliche Reduktion des „Glaubenserlebens”. Allerdings war die Teilzerstörung von Skulpturen der Rivekirche in
Genf in der Nacht auf das Pfingstfest 1534 schon Ausdruck
„unüberbrückbare(r) Distanz zwischen Materie und Geist”4,
genauer: des Protestes gegen das kirchenoffizielle Verständnis,
das im Kultbild ein beschränktes, aber notwendiges Mittel
zur Erkenntnis Gottes sah. „Im Bilderverbot der reformierten
Reformation wird dieser religiöse Protest festgeschrieben und
damit die Vergewisserung eines Erkenntnis- und Heilsweges aus
dem sinnlich Erfahrbaren und Vorfindlichen – zu dem gerade
auch kirchliche Hierarchie in ihrer Machtausübung gehört –
ausgeschaltet.”5
Das Bilderverbot, so verstanden, sichert also auch die Frei- Das Bilderverbot
sichert die
heit der Selbstoffenbarung Gottes, dem ein kirchlich-hierarFreiheit der
chisches Auslegungsmonopol biblischer Texte jedenfalls nicht
Selbstoffenentspricht. Oder anders: Das Bilderverbot erinnert an die Selbst6
barung Gottes.
offenbarung Gottes , der sein Volk wissen lässt „Ich werde sein,
der ich sein werde” (2. Mose 3,14), und es schützt zugleich den
Weg des Nachbuchstabierens der Zeugnisse dieser Selbstoffenbarung vor einer Manipulation, die dem freien Wirken des Geistes
Gottes im Prozess gemeinsamen Auslegens entgegenstünde.
2.1 Der Fragehorizont des zweiten Gebotes, der sich hier
eröffnet, ist also weniger im Hinblick auf die Bedeutung von
Kerzen oder das Verdecken alter Fresken zu sehen. Wohl schwerlich wird man etwa lutherischen Christinnen und Christen
vorwerfen, in ihrer Tradition seien Kerzen oder Altarbilder als
heilsnotwendig zu verstehen, wie es W. Niesel noch meinte
indirekt tun zu sollen7.
Allerdings ist umgekehrt auch zu fragen, ob die Übernahme
von Kerzen und bildhaften Darstellungen in den gottesdienstlichen Rahmen in reformierten Gemeinden nicht eine Stärke
reformierter Tradition – manchmal zu schnell – vergessen
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Das sogenannte
Alte Testament
redet von Gott
in vielen
Bildern.
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macht. Auch eine weiße Kirchenwand redet, um es einmal so
zu formulieren: In einer bildersatten Zeit macht sie auf einen
Weg sowohl der Gottes- wie der Selbsterkenntnis aufmerksam,
in dem die Erkennenden in radikaler Weise von sich selbst
und ihren Wahrnehmungen weg gewiesen werden und dessen
spirituelle Tiefe weithin noch der Entbergung harrt. Und eine
Gottesdienstliturgie, die das biblische Wort in den Mittelpunkt
stellt, wie es etwa die Reformierte Liturgie tut8, steht in einer
biblischen Tradition, die sehr wohl von der Vielfalt und der
Bedeutung gerade auch der sprachlichen Bilder weiß. Das sogenannte Alte Testament redet von Gott in vielen Bildern, sei es
als König (z.B. Ps 47,9), als Hirte (z.B. 1. Mose 48, 15; Ps 23)
oder auch als Mutter (z.B. Ps 131,2), um nur einige zu nennen.
Es ist das ganz offensichtlich die Kehrseite jener oben genannten Schutzfunktion des zweiten Gebotes, dass es geradezu zu
Bildern einlädt, dass es eine Vielfalt von Bildern erst ermöglicht,
deren Relativität den sie Gebrauchenden immer bewusst zu
sein hat und die erst und nur in der Vielzahl legitim und
„offenbarend” von Gott zu sprechen verstehen.
2.2 Von hier aus liegt dann allerdings auch ein kritischer Blick
auf jeden Gebrauch von sprachlichen Gottesbildern nahe, auch
wie er heute zu finden ist. In der Perspektive dieses Blickes
liegt sowohl der Gebrauch der Anrede „Gott” ohne jede weitere Prädikation (Sollen Bilder vermieden werden? Warum und
welche?) wie auch die Tatsache, dass wohl die meisten gebrauchten Bilder für Gott immer noch eher männlich sind9. Auch
hier gilt: Die reformierte Tradition, die den Perspektiven des
Bilderverbotes sich stellen will, ermöglicht den kritischen Blick
auf Absicht und Funktion des Gebrauches von Gottesbildern.
Und es hält einen Raum offen für den, der sich in den Bildern
und jenseits der Bilder als der Lebendige zeigt und erweist.
J. Schmidt, „Du sollst dir kein Bildnis machen“
Anmerkungen
1 H. Erhart, Von der Zeichenhandlung im Bildersturm zum Bilderverbot. Das Beispiel Genf, in: Die Evangelisch-reformierte Kirche in
Nordwestdeutschland. Beiträge zu ihrer Geschichte und Gegenwart, hg.
v. E. Lomberg, G. Nordholt u. A. Rauhaus, Weener 1982, S. 403-408.
2 „Die Beschädigungen der Sinnesorgane, des Kopfes und der Glieder bezeichnet die Stelle, an denen Folter und Strafe der angegriffenen
Sozietät sich auswirkten und kehrt beide gegen die in ihren Symbolen
intendierte Macht.” Erhart, a.a.O., 406. Zum Gesamten vgl. auch den
Beitrag von Dietrich Neuhaus, Wort und Bild, in: E. Mechels / M.
Weinrich (Hg.), Die Kirche im Wort. Arbeitsbuch zur Ekklesiologie,
Neukirchen-Vluyn 1992, S. 86 ff.
3 Vgl. dazu Jörg Schmidt, Von Piercing bis Branding – der Körper
als Leinwand, in: die reformierten.upd@te 02.1, S. 18 ff.
4 Vgl. Erhart, S. 407 f. „Die Offenheit der Bruchstelle in der
Deformation der Skulptur legt die Leere der Materie frei und verdeutlicht damit, daß Materie keinen Weg zur Erkenntnis Gottes anbieten
kann”. (ebd.)
5 Erhart, S. 408.
6 S. zu diesem Zusammenhang Christian Link, Das Bilderverbot
als Kriterium theologischen Redens von Gott, in: ders. (Hg.), Die
Spur des Namens. Wege zur Erkenntnis Gottes und zur Erfahrung der
Schöpfung, Neukirchen-Vluyn 1997, S. 3 ff.
7 Vgl. Wilhelm Niesel, Sind Kerzen heilsnotwendig?, in: RKZ 1951,
S. 179 ff.
8 Peter Bukowski u.a. (Hg.), Reformierte Liturgie, Wuppertal /
Neukirchen-Vluyn 1999.
9 Vgl. hierzu Magdalene Frettlöh, Wenn Mann und Frau im Bilde
Gottes sind ... Über geschlechtsspezifische Gottesbilder, die Gottesbildlichkeit des Menschen und das Bilderverbot, Wuppertal 2002.
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Nicht mache dir Schnitzgebild
Überlegungen zum biblischen Bilderverbot
VON
MARTIN FILITZ
Nicht mache dir Schnitzgebild, und alle Gestalt,
die im Himmel oben,
die auf Erden unten,
die im Wasser
unter der Erde ist,
neige dich ihnen nicht,
diene ihnen nicht,
denn ICH dein Gott bin ein eifernder Gottherr,
zuordnend Fehl von Vätern ihnen an Söhnen,
am dritten und vierten Glied,
denen die mich hassen,
aber Huld tuend ins tausendste
denen die mich lieben,
denen die meine Gebote wahren.
2. Mose 20,4-6; Übersetzung: M. Buber / F. Rosenzweig
Die Flut der Bilder – Vorbemerkungen
Wir sind von Bildern umzingelt. Bilder bestimmen unsere
Das Bild
Wirklichkeit. Das Bild gilt uns als Wahrheitsbeweis, selbst wenn
gilt uns als
es eine Lüge ist. Selbstredend sind wir aufgeklärt. Wir wollen Wahrheitsbeweis,
selbst wenn es
nur das glauben, was wir auch sehen. Und: wir haben geglaubt,
eine Lüge ist.
was wir gesehen haben.
In den Zeiten des Golfkrieges wurden uns Bilder einer Anhörung
vor dem Kongress der Vereinigten Staaten gezeigt, die uns die Not-
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Kriterium für
Wirklichkeit
scheint die
Sichtbarkeit
geworden zu
sein.
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wendigkeit dieses Krieges unausweichlich machen sollten. Eine
junge Frau wurde uns vorgeführt, die mit tränenerstickter Stimme
berichtete, wie die Soldaten Saddam Husseins in Kuwait eingefallen seien, auf der Neugeborenenstation des Krankenhauses die
Babies aus den Brutkästen herausgerissen und auf den Boden
geworfen hätten. Erst viel später kam heraus, dass diese Frau, die
Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington, zu Zeiten
des Überfalls auf Kuwait gar nicht in Kuwait war. Die Bilder
gingen um die Welt, und sie machten Stimmung.
Noch einmal Golfkrieg: Die totale Nachrichtensperre, die die
USA verhängt hatten, und die nur Material zuließ, das durch die
Militärzensur gegangen war, ließ uns alle Bilder gierig aufsaugen.
Und so zeigte man uns Bilder, von einer in eine Bombe implantierten Kamera gefilmt, die die angebliche Präzision zeigen sollte,
mit der die USA zwischen Zivilbevölkerung und Militär unterscheiden könnte. Man witzelte damals: Wenn die Bombe in ein
öffentliches Gebäude fällt, könne sie sich aussuchen, ob sie auf der
Damen- oder auf der Herrentoilette explodieren sollte. Die wirklichen Bilder hat man uns bis heute nicht gezeigt. Man munkelt
von Uran-Geschossen, aber Genaues weiß man nicht. Die Macht
der Bilder hat uns einen „sauberen“ Krieg vor Augen geführt und
wie in der Medizin sprach man von „chirurgischen Schnitten“
wenn man Bombenangriffe meinte. So haben die Bilder Macht
über die Wahrheit gewonnen.
Gerade wird bekannt, dass auch die angeblichen Massaker der
Serben an den Albanern im Kosovo, mit denen der Luftkrieg der
NATO begründet wurde, so nicht stattgefunden hat. Untersuchungen haben ergeben, dass die vorgezeigten Leichname keine
Spuren von Massenmord oder Folter aufwiesen. Es handelte sich
dabei um Albaner, die im Kampf ums Leben gekommen waren.
Kriterium für Wirklichkeit scheint die Sichtbarkeit geworden
zu sein – vor allem die Sichtbarkeit, wie sie uns das Fernsehen
vorführt: Wichtiges und Unwichtiges fallen ineinander und
durcheinander – nicht mehr zu unterscheiden, wenn die Trennung der Beckers tagelang die Top-Meldung in den Nachrich-
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ten der Privatsender ist, wenn nach und nach die Öffentlichrechtlichen Sendeanstalten ihr Programm mehr und mehr nach
Einschaltquoten ausrichten: die völlige Dominanz der Volksmusik, des Sports, der Talk-Shows und – nicht zu übersehen, der
Werbung. Denn, so sagt man uns: nur wenn die Industrie bereit
ist, Werbung zu schalten, ist es finanziell möglich, bestimmte
Filme, Dokumentationen etc. zu produzieren. Und wir wissen,
dass in den USA auch Religion mit einigem Erfolg auf dem
Wege der Bilder vermittelt wird. Neill Postman1 hat in seiner
schonungslosen Analyse die erschreckenden Dimensionen dieser
Tele-Diktatur beschrieben zu einer Zeit, als es Big Brother und
die Millionen-Gameshows noch nicht gab.
Andererseits entkommen wir den Bildern nicht. Begriffe
ohne Anschauung sind leer – sagt Immanuel Kant. Unsere Sprache ist ein Netzwerk von Bildern, von Metaphern: kein Mensch
„blüht auf“ im wörtlichsten Sinn; wer hat schon einmal einen
„gerissenen Geduldsfaden“ gesehen? Es geht nicht ohne Bilder
– schon gar nicht in der Theologie: „Gott ist mein König von
alters her“ (Ps. 74,12) – „Er weidet seine Herde dem Hirten
gleich“ (Jes. 40,11] – „Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass
Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht
haben“ (Ps. 36,8).
Jeder mag die Liste nach dem Maß seiner Bibelkenntnis fortschreiben. Und es wird auffallen, dass der Bilderreichtum besonders in poetischen Texten erheblich anwächst, in Liedern, Psalmen, wo die Sprache sich neue Wege sucht, wo sie schöpferisch
wird, um das Neue Lied des Lobes Gottes singen zu können.
Der Konflikt scheint unausweichlich. Bilderverbot gegen
Bildersprache: der Gott, der in Israel zur Welt kommt, und
dessen Zur-Welt-kommen von wahrnehmbaren und auch sichtbaren Zeichen begleitet wird (Wolkensäule und Feuerschein,
Ex.14, 19f. der brennende Dornbusch, Ex. 3,2.) und der Gott,
dessen Lob auch in Bildern gesungen wird? Ist er gestern und
heute und derselbe in Ewigkeit, oder muss er sich resignierend
auf Bilder einlassen, weil seine Geschöpfe nun einmal nicht
ohne Bilder leben können?2 Und ist so das Bilderverbot zur
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Unsere Sprache
ist ein Netzwerk
von Bildern,
von Metaphern.
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Konkursmasse des religiösen Zeitalters zu schlagen, auf den
Müllhaufen der Gesetzlichkeiten zu werfen oder der archaischen
Überbleibsel, mit der der nach sich selber fragende Mensch einfach nichts mehr anfangen kann? Und: haben es die Römische
Kirche und die Ostkirchen nicht schon immer gewusst, dass es
ohne Bilder nicht geht?
Das sind Fragen, die sich eine an der Bibel orientierte Theologie und Kirche immerhin stellen muss, will sie nicht zur
reinen Kulturideologie verkommen.
Du sollst dir kein Bildnis machen
In der nomadischen Kultur
des Nahen
Ostens haben
offensichtlich
Götterfiguren
einen wichtigen
Stellenwert
gehabt.
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Das Bilderverbot der Hebräischen Bibel stammt aus anderem
Kontext. Es ist nicht auf dem kulturellen Boden der Fernsehkultur gewachsen. In der nomadischen Kultur des Nahen Ostens
haben offensichtlich Götterfiguren einen wichtigen Stellenwert
gehabt. Wir erinnern uns an Rebekka und ihre Hausgötter, die
sie gern mit nach Westen genommen hätte.
1. Mose 31,19. 26-36
19 Laban aber war gegangen, seine Herde zu scheren. Und Rahel
stahl ihres Vaters Hausgott. 26 Da sprach Laban zu Jakob: Was
hast du getan, daß du mich getäuscht hast und hast meine Töchter
entführt, als wenn sie im Krieg gefangen wären? 27 Warum bist du
heimlich geflohen und hast mich hintergangen und hast mir‘s nicht
angesagt, daß ich dich geleitet hätte mit Freuden, mit Liedern, mit
Pauken und Harfen?
28 Und hast mich nicht einmal lassen meine Enkel und Töchter
küssen? Nun, du hast töricht getan. 29 Ich hätte wohl so viel Macht,
daß ich euch Böses antun könnte; aber eures Vaters Gott hat diese
Nacht zu mir gesagt: Hüte dich, mit Jakob anders zu reden als
freundlich. 30 Und wenn du schon weggezogen bist und sehntest
dich so sehr nach deines Vaters Hause, warum hast du mir dann aber
meinen Gott gestohlen? 31 Jakob antwortete und sprach zu Laban:
Ich fürchtete mich und dachte, du würdest deine Töchter von mir
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M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild
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reißen. 32 Bei wem du aber deinen Gott findest, der sterbe! Hier
vor unsern Brüdern suche das Deine bei mir und nimm‘s hin. Jakob
wußte aber nicht, daß Rahel ihn gestohlen hatte. 33 Da ging Laban
in die Zelte Jakobs und Leas und der beiden Mägde und fand nichts.
Und ging aus dem Zelte Leas in das Zelt Rahels. 34 Rahel aber hatte
den Hausgott genommen und unter den Kamelsattel gelegt und sich
darauf gesetzt. Laban aber betastete das ganze Zelt und fand nichts.
35 Da sprach sie zu ihrem Vater: Mein Herr, zürne nicht, denn
ich kann nicht aufstehen vor dir, denn es geht mir nach der Frauen
Weise. Daher fand er den Hausgott nicht, wie sehr er auch suchte.
36 Und Jakob wurde zornig und schalt Laban und sprach zu ihm:
Was hab ich Übles getan oder gesündigt, daß du so hitzig hinter mir
her bist?
Diese Traditionen gehören zur Väterzeit und sind durch den
Sinai-Bund aufgehoben. So spiegelt das biblische Bilderverbot Das Bilderverbot
spiegelt einen
einen hohen Grad an theologischer Reflexion. In einem langen
Überlieferungsprozess ist es zu der Gestalt gewachsen, die wir hohen Grad an
theologischer
im Dekalog finden:
Reflexion.
Exodus 20,4-6
4 Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen,
weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten
auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: 5
Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR,
dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die
mich hassen, 6 aber Barmherzigkeit erweist an vielen tausenden,
die mich lieben und meine Gebote halten.
Walter Zimmerli ist dem Überlieferungsprozess nachgegangen und hat schon im Text selbst auf seinen unterschiedlichen
Bearbeitungsstufen zwei Tendenzen gleichberechtigter Interpretationen ausgemacht, die bis heute die Auslegung des Textes
bestimmen3:
1. Zuerst ist das Bemühen festzustellen, das Bilderverbot strikt
„nach vorn“ an das Fremdgötterverbot anzubinden und beide
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„Vielmehr wird
auch beim
zweiten Gebot
von einer
Antastung des
alleinigen
Herrenrechtes
Jahwes geredet,
die seine Eifersucht wecken
kann."
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als eine Einheit zu sehen. So interpretiert das Bilderverbot die
Ausschließlichkeit der Anbetung Gottes für Israel. In dieser Richtung des Verstehens liegen sowohl die jüdische Tradition (die
allerdings die Selbstvorstellung Gottes: „Ich bin der Herr, dein
Gott, der ich dich aus Ägyptenland aus der Knechtschaft geführt
habe“ als 1. Gebot zählt) – bei Buber/Rosenzweig ist die Zusammengehörigkeit im Druckbild sichtbar gemacht –, als auch
die Tradition der römisch-katholischen Kirche, wie die Auslegung Martin Luthers, die meinen, dieses Bilderverbot deshalb
übergehen zu können. In diesem Falle ist das Fremdgötterverbot
durch das Gebot der kultischen Verehrung von Bildern aller Art,
vor allem auch von Abbildern des Lebendigen, der Geschöpfe,
konkretisiert. Für die Auslegung selber stellt Zimmerli fest:
Das zweite Gebot aber ist nach Anweisung der alten Interpreten
hart neben diesem ersten zu sehen. Hier wird also offenbar nicht
auf die ganz andere gedankliche Linie der Mahnung zu einem geistigen Gottesdienst und der Entgegensetzung des Sinnlichen gegen
das Geistige umgeschaltet. Das wäre eine völlig neue Gedankenreihe, die sich nur schwer im Schatten des vom ersten Gebot
Ausgeführten verstehen ließe. Vielmehr wird auch beim zweiten
Gebot von einer Antastung des alleinigen Herrenrechtes Jahwes
geredet, die seine Eifersucht wecken kann. Es geht auch hier nicht
um ein bloßes Fehlverständnis der wirklichen Wesenheit Jahwes,
das aus einer mangelhaften Belehrtheit des Menschen herrührte,
sondern um ein Streitigmachen seiner Herrschaft. Das Gebot ist
dynamisch gemeint, nicht weltanschaulich. ...
Wohl aber erkennen wir auf der ganzen Linie ein scharfes Wachen
darüber, dass der Mensch dieses Hereintreten Jahwes in die ungeschützte Sphäre menschlicher Geschichte nicht eigenmächtig missbrauche und zu seinem Eigenen, dessen er habhaft sein könne,
mache. Das dritte Gebot (Ex.20,7) wird vom Namen Jahwes
reden, dessen reale Offenbarung nicht abgeleugnet wird. Im
Gegensatz zu all den durch die Religionsgeschichte hin wahrnehmbaren Schutzmaßnahmen, die den wirklichen Namen des Gottes
zu verheimlichen suchen, kündet das Alte Testament offen von der
Offenbarung des Namens Jahwes, der nicht nur ein vorgeschützter
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M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild
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Deckname ist. Aber weh dem, der nun diesen Namen unnütz,
d.h. in eigener Willkür brauchte: Jahwe wird ihn nicht ungestraft
lassen, sagt das Dekaloggebot in der uns vorliegenden, wohl auch
wieder paränetisch erweiterten Form. Das zweite Gebot liegt hart
neben dem dritten. Jahwe hat die Sphäre echter Geschichtlichkeit
nicht verschmäht. In dieser Sphäre will er Israel begegnen. Aber
weh dem, der meint, dieses offenbar hereintretenden Gottes im
Bilde habhaft zu werden. Im Gottesbild, das der Mensch sich fertigt, ist Jahwes Freiheit angetastet.
2. Die andere Interpretationstendenz zielt darauf ab, das Bilderverbot als eigenständiges Dekalog-Gebot zu sehen, das im
Zusammenhang mit dem Verbot des Missbrauchs des einzigartigen Namens zu verstehen ist. Bild und Name machen den
Gott Israels unverfügbar. Hier führt Zimmerli vor allem die
Bibelstelle Dt. 4 an, die er als authentische Interpretation des
Bilderverbotes sehen möchte. (Text der Übersetzung von Buber/
Rosenzweig)4
Bild und Name
machen den
Gott Israels
unverfügbar.
Versammle mir das Volk, daß ich sie meine Rede hören lasse,
damit sie lernen mich fürchten alle Tage, die sie selbst auf dem
Boden leben,
und ihre Söhne lehren, –
ihr nahtet,
ihr standet
unterm Berg,
der Berg entzündet im Feuer bis an das Herz des Himmels:
Finsternis, Wolke, Wetterdunkel.
ER redete zu euch mitten aus dem Feuer –
ihr hört Erschallen von Rede,
doch ihr seht keine Gestalt,
Schall allein.
Er meldete euch seinen Bund,
den er euch zu tun gebot,
die Zehnwortrede,
er schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln.
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Hütet euch, ihr
möchtet sonst
SEINEN eures
Gottes Bund
vergessen, den er
mit euch schloß,
euch Schnitzgebild machen,
Abgestaltung all
dessen wovon ER
dein Gott dir
gebot.
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Mir aber gebot ER zu jener Frist euch Gesetze und Rechtsgeheiße
zu lehren,
daß ihr sie tut, in dem Land, dahin ihr schreitet, es zu ererben.
Hütet euch sehr um eure Seelen, denn nicht saht ihr allirgend
Gestalt
am Tag, da ER zu euch redete am Choreb mitten aus dem Feuer:
ihr möchtet sonst verderben euch Schnitzgebild machen,
Abgestaltung von allerart Form,
Bau eines Männlichen oder Weiblichen,
Bau allerart Getiers, das auf der Erde ist,
Bau allerart Zwitschernden, Befittichten, das am Himmel hinfliegt,
Bau allerart am Boden Kriechenden,
Bau allerart Fischvolks, das im Wasser ringsunter der Erde ist,
du möchtest deine Augen himmelwärts heben, ansehn die Sonne,
den Mond und die Sterne, alle Schar des
Himmels, abgesprengt werden, dich ihnen neigen, ihnen dienen,
die ER dein Gott zuteilte allen Völkern unter allem Himmel,
euch aber nahm ER und führte euch
aus dem Eisenschmelzofen, aus Ägypten,
ihm zu einem Eigentumsvolk zu werden,
wies nun am Tag ist.
ER erzürnte über mich um Eure Reden,
er schwor, nie würde ich den Jordan überschreiten,
nie in das gute Land kommen, das ER dein Gott dir als Eigentum
gibt;
ja, ich sterbe in diesem Land, nicht überschreite ich den Jordan,
ihr aber schreitet hinüber und werdet dieses gute Land ererben.
Hütet euch, ihr möchtet sonst SEINEN eures Gottes Bund vergessen,
den er mit euch schloß,
euch Schnitzgebild machen, Abgestaltung all dessen wovon ER dein
Gott dir gebot,
denn ER dein Gott, ein verzehrendes Feuer ist er, ein eifernder
Gottherr.
Wenn du Söhne und Sohnessöhne zeugst, ihr im Land einaltert,
verderbet, machet Schnitzgebild, Gestaltung allerart,
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M. Filitz, Nicht mache dir Schnitzgebild
machet das in SEINEN deines Gottes Augen Böse, ihn zu verdrießen:
zu Zeugen nehme ich heuttags wider euch den Himmel und die
Erde,
daß ihr dann schwinden, hinschwinden müßt
rasch vom Land weg, dahin ihr den Jordan überschreitet es zu
ererben.
Nicht werdet ihr darauf Tage längern,
ja, getilgt werdet ihr, fortgetilgt,
streuen wird ER euch unter die Völker,
zählbare Leute, restet ihr unter den Erdstämmen,
dort wohin er euch treibt,
dort werdet ihr Göttern dienen.
Gemächt von Menschenhänden, Holz und Stein,
die nicht sehn und nicht hören, nicht schmecken und nicht riechen.
Verlangen werdet ihr von dort nach IHM deinem Gott,
dann wirst du ihn finden,
weil du ihn mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele suchst:
in deiner Drangsal, da all diese Dinge dir sich einfinden, in der
Späte der Tage
kehrst du um zu IHM deinem Gott, hörst auf sein Stimmerschallen.
Denn ein erbarmender Gottherr ist ER dein Gott, er entzieht sich
dir nicht, läßt dich nicht verderben,
er vergißt nicht den Bund deiner Väter, den er ihnen beschwor.
Denn frage doch nach bei frühen Tagen, die vor dir waren,
nach vom Tag, da Gott einen Menschen schuf auf der Erde,
nach vom Rande des Himmels bis zum Rande des Himmels,
ob etwas geschah wie dieses große Ding,
oder ob etwas erhört ward wie es:
ob ein Volk Gottes Stimmenschall hörte redend mitten aus dem
Feuer,
wies hörtest du,
und blieb leben,
oder ob ein Gott erprobt hat zu kommen,
sich zu nehmen einen Stamm aus dem Innern eines Stammes
mit Proben, mit Zeichen, mit Erweisen, mit Kampf,
mit starker Hand, mit gestrecktem Arm,
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Gemächt von
Menschenhänden, Holz
und Stein,
die nicht sehn
und nicht hören,
nicht schmecken
und nicht
riechen.
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mit großen Furchtbarkeiten,
allwie ER euer Gott für euch tat in Ägypten, vor deinen Augen!
Du wurdest sehen gemacht,
zu erkennen,
daß ER der Gott ist,
keiner sonst außer ihm.
Vom Himmel ließ er seinen Schall dich hören, dich in Zucht
zu nehmen,
auf der Erde ließ er dich sein großes Feuer sehen, seine Reden
hörtest du mitten aus dem Feuer. Darum daß er deine Väter
liebte, erwählte ihren Samen nach ihnen,
führte dich mit seinem Antlitz, mit seiner großen Kraft, aus
Ägypten,
Stämme, größer und markiger als du, vor deinem Antlitz zu
enterben,
dich herkommen zu lassen, dir ihr Land als Eigentum zu geben,
wies nun am Tag ist.
Erkenne heuttags, laß ins Herz dir einkehren,
daß ER der Gott ist,
im Himmel oben,
auf Erden unten,
keiner sonst.
Wahre seine Gesetze und seine Gebote, die ich heuttags dir gebiete,
daß gut es ergehe dir und deinen Söhnen nach dir,
und damit du Tage längerst auf dem Boden, die ER dein Gott
dir gibt alle Tage.
Das Bilderverbot Das Bilderverbot als die Grenze, sich Gottes zu bemächtigen,
als die Grenze,
ihn zum Geschöpf der eigenen Phantasie, der Träume, der Einsich Gottes zu
zel- und Gruppenegoismen zu machen. Zimmerli resümiert:
In diesen Ausführungen wird nun vor allem auffallen, daß die
bemächtigen.
Unabbildbarkeit Jahwes nicht durch den Hinweis auf sein Geistwesen, das aller irdischen Leiblichkeit entgegen ist, belegt wird,
sondern daß der Verfasser auf die Stelle der geschichtlichen Begegnung Jahwes mit seinem Volke Israel deutet. Nicht von einer allgemeinen Erwägung der Überweltlichkeit Jahwes, sondern von dem
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gehorsamen Nachdenken über jenes Geschehen der Begegnung
her soll Israel die ihm gegebene Ordnung begreifen. „Ihr kamt
heran und tratet unten an den Berg. Und der Berg brannte im
Feuer, bis mitten in den Himmel hinein, bei Finsternis, Gewölk
und Wolkendunkel. Und Jahwe redete mit euch mitten aus dem
Feuer heraus. Den Schall der Worte hörtet ihr, eine Gestalt aber
saht ihr nicht — nur den Schall (hörtet ihr)“ (4,1 lt.).
Beides ist in dieser eigenartig lehrhaften Auslegung der Horebgeschichte ganz klar festgehalten: die königliche Überlegenheit des ... die königliche
Überlegenheit
Gottes, der sein Bild nicht an die Menschen ausliefert — und
des Gottes, der
dann doch wieder die volle Nähe Gottes zu seinem Volk unter der
sein Bild nicht
Hülle der erschreckenden Erscheinungen am Berge und vor allem
an die Menschen
in dem allen hörbaren Wort.
ausliefert.
So vermag auch diese Auslegung der scheinbar stärker weltanschaulichen Aussage von 4b in ihrer besonderen Weise sichtbar
zu machen, daß das zweite Gebot nicht zu Erwägungen über das
ewige Wesen des unsichtbaren Gottes führen will, sondern zur
gehorsamen Hinwendung zu dem Gott, der auch in seiner den
Menschen nahe berührenden Offenbarung der souveräne Herr
bleiben will und über den kein Menschenwille, auch kein frommer Menschenwille, verfügt.5
Gott offenbart sich in der Geschichte – aber er liefert sich nicht
an die Geschichte aus. Und weil er sich in der Geschichte zu
Wort meldet, kann seine Offenbarung geschichtlich nivelliert,
missverstanden, missdeutet werden. Sie wird es vor allem dann,
wenn sie auf ein Prinzip reduziert und festgelegt wird. Dies
kann im mißbräuchlichen Wort (Verbot des Namensmissbrauchs) und es kann es in der Darstellung, der Abbildung (Bilderverbot) geschehen. Missbrauch ereignet sich in den menschlichen Ebenen der Kommunikation (Verbot des Namensmissbrauchs) und der Ästhetik (Bilderverbot). Beide Gebote sind
negativ formuliert, beide sind strafbewehrt. Und indem sie
– wie später die Formel von Chalkedon – dem Missbrauch
wehren, eröffnen sie einen Raum, indem die Ästhetik und die
Kommunikation legitimen Ort in der Anrufung Gottes bekom-
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Gott macht
sich in der
Geschichte
erkennbar,
den menschlichen Sinnen
wahrnehmbar,
aber er gibt sich
menschlichem
Erkennen nicht.
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men. Denn: Im Lob Gottes wird der Name des Herrn in
aller Freiheit angerufen, und wenn es das Lob des Gottes
Israels sein soll, dann muss sein Name – wie auch immer –
unmissverständlich zur Sprache kommen. Das gilt analog für
die Ästhetik, für den Tanz der Mirjam, der eben deutlich etwas
anderes ist als der Tanz der Baalspriester auf dem Karmel. Der
Jerusalemer Tempel ist ein gottesdienstliches Kunstwerk, das
sich eben darin von anderen Kultstätten unterscheidet, dass
hier das Götterbild fehlt. – So wird das Bilderverbot zu einem
äußerst kreativen ästhetischen Akt für die bildende Kunst selber.
Insofern hat der Versuch Ernst Langes, von den 10 Geboten
als von den 10 Freiheiten zu reden, ein Recht, das über den
konkreten Versuch hinausgeht. Ebenso halten es der Heidelberger Katechismus und auch die Katechismen Martin Luthers,
indem sie in der Auslegung der Gebote immer auch nach
ihrem positiven Gehalt fragen. So wird der durch die Verbote
eröffnete Raum durchmessen und kreativ erschlossen – eine
Aufgabe, die immer wieder neu in Angriff zu nehmen ist.
Gott macht sich in der Geschichte erkennbar, den menschlichen Sinnen wahrnehmbar, aber er gibt sich menschlichem
Erkennen nicht. Seine Offenbarung ist kein Offenbarungsprinzip, wie die Theologia naturalis glauben machen möchte.
Es gehört zum Wesen der Theologia naturalis, dass sie den Ort
der Offenbarung Gottes systematisch festschreibt. Sämtliche Gottesbeweise funktionieren daher nur in einem System, das über
die Gegenwart Gottes in Natur, Geschichte, Kunst, Logik, Religion etc. verlässliche Aussagen machen kann. In dem Moment,
als dieser verlässliche Bezugsrahmen verlorenging, als die Welt
auch ohne Gott denkmöglich wurde, mussten auch die Gottesbeweise fallen. Daher auch der konsequente Versuch Karl Barths,
den ontologischen Gottesbeweis als die denkende Selbstvergewisserung des Glaubens zu verstehen und nicht als die voraussetzungslose Suche nach Gotteserkenntnis.6
Insofern hängen das Bilderverbot und das Namensgebot eng
miteinander zusammen. Denn auch in der Offenbarung seines
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Namens (Ex.3) nennt Gott den Namen, der unnennbar ist, der
aus der Gegenwart in die Zukunft weist, aus der Zeit auf die
Gerade die
Ewigkeit. Gerade die Offenbarung Gottes als Offenbarung in
Offenbarung
der Zeit des Menschen verhüllt Gottes Sein. Er macht sich
dem Menschen nicht zuhanden wie ein Götterbild, erfüllt die Gottes als Offenbarung in der
menschliche Phantasie, aber liefert sich ihr nicht aus, entzieht
Zeit des Mensich allem Zauber und aller Bemächtigung, die immer dann
schen verhüllt
geschieht, wenn Bilder sich verselbständigen, wenn sie sich von
Gottes Sein.
den sie deutenden Worten gelöst haben.
Charakteristisch hierfür ist das aus dem „hoc est corpus meum“ der
Messe als verballhornt hervorgegangene „Hokuspokus“ als Inbegriff aller Zauberei. So auch das Kreuz als apotropäischer Ritus,
vor dem sogar Vampire zurückschrecken oder auch das Kreuzschlagen des Radrennfahrers Jan Ullrich vor jedem Start als magisches Zeichen gegen Unfall und Niederlage.
Die christliche Kirche und mit ihr die Theologie hat diese Freiheit Gottes in seiner Offenbarung zu wahren.
Allerdings kann die christliche Kirche und Theologie bei
ihrem Umgang mit Bildern nicht auf die Hebräische Bibel
beschränkt bleiben. Auf anderer Ebene aber nichtsdestoweniger
deutlich hat auch die Griechische Bibel einiges zu Bild und Bildern zu sagen: Die Frage nach der Steuer für den Kaiser beantwortet Jesus mit dem Hinweis auf das kaiserliche Abbild auf der
Münze.
Und sie sandten zu ihm einige von den Pharisäern und von den
Anhängern des Herodes, daß sie ihn fingen in Worten. 14 Und sie
kamen und sprachen zu ihm: Meister, wir wissen, daß du wahrhaftig bist und fragst nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen, sondern du lehrst den Weg Gottes recht. Ist‘s
recht, daß man dem Kaiser Steuern zahlt oder nicht? Sollen wir sie
zahlen oder nicht zahlen? 15 Er aber merkte ihre Heuchelei und
sprach zu ihnen: Was versucht ihr mich? Bringt mir einen Silbergroschen, daß ich ihn sehe! 16 Und sie brachten einen. Da sprach
er: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie sprachen zu ihm: Des
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Kaisers. 17 Da sprach Jesus zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was des
Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! Und sie wunderten sich über
ihn. (Markus 12,13-17)
Traditionelle Auslegung verweist auf die Entsprechung: Das Kaiserbild zeigt ein Besitzverhältnis an. Gottes Ebenbild – also der
Mensch – ist ebenfalls durch ein Besitzverhältnis – eben zu
Gott – bestimmt. In jüdischem Kontext wird diese Auslegung so
kaum verständlich. Kann es wirklich sein, dass Jesus Kaiserbild
und Gottesbild schiedlich-friedlich nebeneinander gelten lässt?
Pinchas Lapide deutet anders. Er sagt: das Kaiserbild auf der
Münze ist ein Götzenbild. Durch die Frage: Wer ist abgebildet?
entlarvt Jesus das römische Geld als Götzengeld: „Gebt dem
Kaiser sein verdammtes Geld zurück, und gebt dem Kaiser vor
allem nicht, was Gott gehört, gebt ihm nicht euch selber!“ – ein
deutlicher Aufruf an die Jünger, sich über das Geld nicht mit
diesem Götzendienst einzulassen. Auch diese Antwort könnte
ein Hinweis darauf sein, warum die Tempelpartei der Sadduzäer
und vor allem der römische Prokurator in Jesus eine konkrete
Gefahr für den inneren Scheinfrieden zum Pessachfest sahen
und ihn so schnell wie möglich öffentlich ans Kreuz brachten.
Im Gleichnis
kommt die
Gottesherrschaft
als Gleichnis zur
Sprache.
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Wesentlich bedeutsamer für das theologische Verständnis vom
Bild sind die Gleichnisse Jesu. Hier wird den Bildern aus dem
alltäglichen Leben, den Bildern von Saat und Ernte, vom verlorenen Groschen, vom Schatz im Acker, auch so grotesken Bildern wie das vom ungerechten Haushalter, vom barmherzigen
Vater, von den Arbeitern im Weinberg immerhin zugetraut, in
ihrem Gleichnis- und also in ihrem Bildcharakter etwas vom
Geheimnis der Gottesherrschaft enthüllen zu können. Nie so,
dass sie greifbar wäre: schon jetzt ist sie, und sie ist doch noch
nicht, mitten unter euch und doch euch meilenweit voraus, so
einfach, dass jedes Kind es versteht, und so ungeheuerlich, dass
es fassen kann, wer es fassen mag.
Im Gleichnis kommt die Gottesherrschaft als Gleichnis zur
Sprache7 – als Gleichnis, nicht als Abbild, als Bild, aber doch
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so, dass die Unähnlichkeit mit dem Urbild größer ist als die
Ähnlichkeit. Paulus schreibt, wohl denselben Sachverhalt meinend:
Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber
von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber
werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. 13 Nun aber bleiben
Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte
unter ihnen. (1.Kor.13,12f.)
Das ist eine neutestamentliche Interpretation des alttestamentlichen Bilderverbotes. Wir sind nicht blind für Gottes Wirklichkeit, aber unsere Erkenntnis bleibt immer Stückwerk. Die Bilder
haben ihre Grenze an der nicht abbildbaren Wirklichkeit.
Noch deutlicher wird es, wenn der 2. Korintherbrief (4,4),
der Kolosserbrief (1,15) und der Hebräerbrief (1,3) Christus als
das Ebenbild Gottes beschreiben, das Ebenbild seines Wesens
(Hebr. 1,3), oder anders gesagt: Christus ist für sie die rechte
Entsprechung Gottes, die sich auf der Welt finden lässt. Wer
Gott sehen will, der wird Christus sehen, der in Ewigkeit war,
in der Krippe zur Welt kam, die Wege der Menschen mitging,
die Ausgegrenzten in die Nähe Gottes holte – dieser nimmt die
Sünder an und isst mit ihnen – der unsern Tod starb, fluchbeladen, wie Paulus sagt, und der von den Toten auferstand und in
Ewigkeit bei Gott ist und bei uns. Er, das „Eikon Theou“ (Bild
Gottes) unvermischt und ungetrennt, ungeschieden und unvereint, er, bei dem Gott und Mensch beieinander und zu Hause
sind, ohne dass der sezierende Verstand das säuberlich auseinanderlegen könnte. Christus, das Bild Gottes, bedeutet eben Gott
am Kreuz zu sehen, wie Friedrich Spee von Langenfeld8 gedichtet hat:
O große Not,
Gott selbst ist tot
Am Kreuz ist er gestorben.
Wir sind
nicht blind
für Gottes
Wirklichkeit,
aber unsere
Erkenntnis
bleibt immer
Stückwerk.
Und Christus, das Bild Gottes, bedeutet den Menschensohn
zu sehen am Ostermorgen, wo das Sehen keinen Zugang mehr
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schaffen kann, und wo das Wort den Bann bricht: „Maria“ sagt
er, und sie erkennt, aber wo auch die Worte ins Leere gehen
können, wo Augen und wohl auch Ohren gehalten sind, bis er
sich zu erkennen gibt als der, der das Brot bricht und den Wein
teilt. Christus, das Bild Gottes: das Bild Gottes von sich selbst
und vom Menschen – unabbildbar und darum immer wieder
zu erzählen: denn erzählen, das ist wie Kino im Kopf mit vielen
Wiederholungen. Und auf jeder Stufe des Verstehens wird man
neu hören, wird die Bilder korrigieren, und wenn man meint:
jetzt hast du es!, dann entzieht sich die Geschichte wieder.
Ich halte das für den schöpferischen Prozess des Heiligen
Geistes, Bilder zu brauchen und sie doch immer wieder zu
überholen, aufzuheben bis wir kein Bild mehr brauchen, nicht
mehr sehen wie im Spiegel, sondern von Angesicht zu Angesicht. Wenn es anders wäre, was sollte Predigen dann noch für
einen Sinn haben?
Der reformatorische Bilderstreit
Dass die
Bilder fromm
missbraucht
werden können,
steht für Luther
außer Frage.
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Martin Luther hat in seiner Auslegung der Gebote das Bilderverbot übergangen. Die Gründe dafür sind schwerwiegend.
Während seiner Abwesenheit auf der Wartburg hat Andreas
Bodenstein, genannt Karlstadt, in Wittenberg den Bildersturm
inszeniert. Nur mit Mühe gelingt es Luther diesem Treiben mit
seinen Invocavit-Predigten Einhalt zu gebieten. Dass die Bilder
fromm missbraucht werden können, steht für Luther außer
Frage. Daran sind aber nicht die Bilder schuld sondern die Menschen, die diesen Missbrauch inszenieren. Es darf daher nicht
geschehen, dass mit der radikalen Ablehnung der Bilder ein
neues, die Gewissen verpflichtendes Gesetz aufgerichtet wird.
Ganz anders in der oberdeutschen und schweizerischen
Reformation. Die bildlichen gottesdienstlichen Darstellungen
der Heilsgeschichte bilden hier deutlich den soziologischen und
frömmigkeitsgeschichtlichen Hintergrund für die Skepsis den
Bildern gegenüber. Zwingli kommt aus der humanistischen
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Schule, und der Humanismus ist ein Versuch europäischer
Aufklärung gewesen wie die Scholastik vor ihm und die so
bezeichnete Aufklärung „the area of enlightenment“ nach ihm.
Der Ernst des reformatorischen Strebens, das also vor Messe und
Bildern noch gehemmt wurde, setzte sich unterdessen an zahlreichen anderen Stellen durch, auch dort, wo er spürbare Verzichte
verlangte. Seit Weihnachten 1523 kehrte sich das Volk vom mittelalterlichen Kultus ab. Am folgenden Lichtmessfest gab es keine
Umgänge und geweihten Kerzen mehr. Die Fastenzeit 1524 wurde,
trotz erneuerter Mandate, nur noch von wenigen Leuten eingehalten, womit bemerkenswerterweise zugleich der Zusammenbruch
der Beichtinstitution begann. Am Palmsonntag fiel der große Aufzug auf den Lindenhof mit Christus auf dem Esel und Palmensegen
aus, und zum Ablaß am »Ölberg« fand sich am Gründonnerstag
niemand mehr ein. Am Karfreitag wurde kein Christusbild mehr zu
Grabe getragen‘ .Die alljährliche Pfingstmontag-Wallfahrt von über
15000 Zürchern nach Einsiedeln wurde durch Ratsmandat aufgehoben, und der Pfingstmittwoch sah nicht mehr die große Prozession von Klerisei und Zünften mit den Reliquien der Stadtheiligen
auf den Lindenhof — als Grund wurde der an diesen Volksfesten
eingerissene Unfug angegeben, aber statt ersterer wurde von jeder
Haushaltung ein Batzen im Armenstock der Wasserkirche erwartet
Schließlich wurde der »Fronleichnam« aufgehoben. Zwinglis Gutachten hatte mitgeholfen, einen Teil der üblichen Kreuzgange durch
kurze Frühandachten im Frauenmünster zu ersetzen, nach denen
jeder nach Belieben arbeiten oder feiern durfte.9
Am Karfreitag
wurde kein
Christusbild
mehr zu Grabe
getragen.
Viel stärker als in dem landesherrlich bestimmten Mitteldeutschland sind in den freien Städten und Kantonen die Bilder in den
Kirchen Ausdruck von Reichtum und Macht. – Wer sich in der
Kirche abbilden lassen kann auf einer Stiftertafel oder auf einem
Epitaph, der verfügt über Macht. So gehört das Bilderverbot
zumindest in Zürich auch in den Kontext der Eindämmung des
Luxus und der Verschwendung.
Zwingli begründet sein kompromissloses Einschreiten mit
dem für ihn charakteristischen pneumatologischen Gottes-
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dienstverständnis. Gott will im Geist und in der Wahrheit angebetet werden (Joh.4), darum darf die vera religio nicht in den
fleischlichen Bereichen gefangen bleiben.
Gott will im
Geist und in der
Wahrheit angebetet werden.
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Es bleibt höchst erstaunlich, daß sogar das Beten zum Erwerbsmittel abgesunken ist. Wenn die recht haben – und sie haben recht
–, die behaupteten, das Gebet sei eine Erhebung des Herzens zu
Gott, ist es dann nicht geradezu schamlos, diese Verbindung des
Herzens mit Gott zum öffentlichen Gewerbe zu entwürdigen? Es
ist doch klar: Ein Gebet, das wir um Geld verkauft haben, ist
nie ein Gespräch des Herzens mit Gott, sondern reine Heuchelei
gewesen. Da man sich erdreistete, die Andacht des Herzens als verdienstliches Werk auszugeben und dafür Geld einzunehmen, so ist
es notwendig, daß ich über das Gebet spreche. Augustinus und
andere haben das Gebet als eine Erhebung des Herzens zu Gott
umschrieben. Diese Begriffsbestimmung ist zutreffend, und zwar
nicht schon deshalb, weil sie von Augustinus und anderen stammt,
sondern weil diese Männer sie gehörig begründet haben und weil
jeder Gottes-fürchtige von sich aus spürt, daß sie richtig ist. Ich
rede nun zuerst von der Anbetung; dabei wird der Ursprung jener
Definition des Gebetes sichtbar werden. >Anbeten< ist bei den
Hebräern so viel wie >verehren<. >Schahah< ist nämlich die Verehrung, die sich im Kniebeugen und Verneigen ausdrückt. Auch
bei den Lateinern wird »Menschen anbeten« zuweilen im Sinn
von »hochachten« und »verehren« gebraucht. Von dieser Anbetung sprechen die Hebräer in 2. Mose Kapitel 20,5, wo wir lesen:
»Du sollst die Götzenbilder nicht anbeten und sie nicht verehren.«
Besser übersetzt:
»Du sollst sie nicht verehren und ihnen nicht dienen«. Das wäre
genau übersetzt; denn unter >Anbetung< im Sinn der Hebräer
darf nicht die Andacht des Herzens verstanden werden.
Demnach bedeutet >anbeten<: den Geist an Gott, das heißt an
den Herrn und Vater, der alles kann und will, hingeben. Diese
Anbetung als Andacht des Herzens haben die fleischlich gesinnten Israeliten an Elemente dieser Welt angebunden. Denn sie forderten, wie die Samariterin Jesus klagte, Johannes 4,20, daß die
Andacht in Jerusalem verrichtet wird.10
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Für Zwingli ist die Unterscheidung fleischlich-geistlich in vielen
Zusammenhängen grundlegend. Sein humanistischer Ansatz
der Reformation markiert über die Unterschiede in den sozialen
und politischen Bedingungen hinaus den Gegensatz zu Martin
Luther, bei dem alles auf die Dialektische Einheit und Unterschiedenheit von Gesetz und Evangelium zielt. Merkwürdig
konkret ist bei Zwingli dagegen die Gestaltung der Abendmahlsfeier. Der Zwingli-Biograph Gottfried W. Locher schreibt:
Die Action oder bruch des Nachtmahls, gedechtnus oder dancksagyng Christi, wie sy uf osteren zuo Zürich angehebt wirt im jar als
man zait 1525« ist auf Einfachheit gestimmt Das Vorwort betont
Johannes
die Freiheit zu mehr und ändern Zeremonien je nach Umständen;
Calvin legt in
der Verzicht auf Gesang ist nicht prinzipiell gemeint Es wird seiner Auslegung
ein richtiger Tisch gedeckt, darauf stehen hölzerne Brotteller und
des biblischen
Becher. »Verordnete diener«, auch Laien, sollen die Lesungen Bilderverbots das
übernehmen und tragen Brot und Wein zur Gemeinde; die sitzende Gewicht auf die
Kommunion betont das Handeln der Gemeinde. Jeder bricht ein
Ehre und die
Stück vom Brot und trinkt vom Wein: ein Gedächtnismahl voll Majestät Gottes.
Freude und Dank. Die Feier soll viermal jährlich stattfinden: zu
Ostern, Pfingsten, »Herbst« und Weihnachten.11
Aber wie dem auch sei: Zwingli selbst ist es gewesen, der seine
Entscheidungen wohl mit dem Zeugnis der Bibel begründet
hat, der sich aber mit diesen Entscheidungen auch am Zeugnis
der Bibel messen lassen wollte. Auf ihn geht zurück, dass
in vielen Bekenntnisschriften reformierter Provenienz dieser
Schriftvorbehalt zu finden ist.12
Johannes Calvin legt in seiner Auslegung des biblischen Bilderverbots das Gewicht auf die Ehre und die Majestät Gottes,
die durch Bilderverehrung nicht angetastet werden darf. Er
erliegt nicht der Versuchung zu meinen, die Heiden und andere
irre geleitete Menschen würden die von ihnen verfertigten Figuren anbeten – das hatte schon das Ikonoklastenkonzil von Ephesus anathematisiert – seine Argumentation ist subtiler:
Wenn Skulpturen, Statuen und Bilder ohne weiteres „Götter“
heißen, so erkennt man daraus Absicht und Hauptinhalt des zwei-
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ten Gebots. Es soll nämlich eingeprägt werden, dass man Gott
verunehrt, wenn man ihn unter irgend einer körperlichen Gestalt
vorstellt. „Götter“ sind ja die Götzen nur nach verkehrter heidnischer Meinung. Freilich wähnten selbst die Ungläubigen die
Gottheit nicht in dem vergänglichen Stoff eingeschlossen, aber sie
glaubten sich ihr doch näher, wenn sie ein irdisches Symbol ihrer
Gegenwart vor Augen hatten, In diesem Sinne wurde dann das
Götterbild selbst zum Gott, weil man ohne das Götterbild selbst
nicht zur Höhe der Gottheit aufzusteigen vermochte.13
Zunächst bleibt Calvin auf der von Zwingli aufgezeigten pneumatologischen Linie, dass Gott, der Geist ist, auch im Geist
und in der Wahrheit angebetet sein will.
Hauptinhalt des zweiten Gebotes ist nun der, dass Gott entsprechend seinem Wesen auf geistliche Weise angebetet werden muss.
Freilich spricht Mose ausdrücklich nur von Götzenbildern: ohne
Zweifel wird aber, wie bei allen Geboten, durch die ausdrücklich
genannte Einzelheit eine ganze Sinnesrichtung getroffen, und es
wird also hier alle selbstgemachte Anbetung, wie sie Menschen
nach ihrem Sinne sich auszudenken pflegen, verworfen. Stammen doch alle fleischlichen Beimischungen, mit welchen man
die Anbetung Gottes verfälscht, eben daher, dass man Gott nach
seinen eigenen Gedanken misst und ihm dadurch gewissermaßen
eine andere Gestalt gibt.14
Im zweiten
Gebot geht es
Calvin um die
Ideologiekritik.
Schon hier wird eine zweite Stoßrichtung deutlich. Im zweiten
Gebot geht es Calvin zudem um die Ideologiekritik. Gott nach
dem eigenen Bilde schaffen – als ob hier der Feuerbachsche
Angriff gegen die Religion schon pariert wäre.
Dass aber Gott verbietet, ein Gleichnis zu machen weder des, das
oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im
Wasser unter der Erde ist, wird im Blick auf die damals geläufigen
Formen des Götzendienstes gesagt. Denn wie der Aberglaube niemals ein einfacher ist, sondern in den verschiedensten Formen
sich darstellt, so wähnten einige unter dem Bilde eines Menschen,
andere unter dem Bilde von Fischen, Vögeln oder wilden Tieren
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Gott zu finden, und wir wissen aus der Geschichte, in welch
beschämend verrückten Götzendienst namentlich die Ägypter
verfallen sind. Man erkennt daraus, wie hohl die menschlichen
Gedanken sind, die, wohin man auch das Auge wendet, nur Anlass
zum Irrtum finden. Und doch strahlt überall Gottes Herrlichkeit,
und alles, was wir über und unter uns sehen, will uns zum wahren
Gott locken. Da also die Menschen derartig in die Irre gehen,
dass sie aus dem Anblick aller Dinge sich nur einen Anlass zum
Irrtum entnehmen, so hebt jetzt Mose unsere Sinne über das
ganze Weltgebäude und alle irdischen Elemente empor. Denn wir
werden alsbald sehen, dass er unter dem, „was im Himmel ist“,
nicht die Vögel allein, sondern auch Sonne, Mond und Sterne versteht. Er will sagen, dass man in der ganzen Welt nichts findet,
was als ein wahres Abbild Gottes dienen könne, und dass man also
seiner Majestät Schmach antut, wenn man ihn unter einer sichtbaren Gestalt vor Augen stellt.15
Götzendienst ist Majestätsbeleidigung Gottes – Crimen laesae
majestatis – das todeswürdige Verbrechen, dessen die frühen
Christen im römischen Reich angeklagt wurden, wenn sie sich
weigerten, vor der Götterstatue im Stadion Weihrauchkörner in
die Opferschale zu werfen. Nur dass es hier nicht um die usurpierte Majestät eines römischen Imperators geht, sondern um die
Majestät Gottes, die im Denken Calvins einen zentralen Rang
einnimmt. Hierin ist er deutlich alttestamentlich geprägt.
Götzendienst bedeutet: Schöpfer und Geschöpf miteinander
zu verwechseln, und das gilt wahrlich nicht nur für hölzerne,
steinerne oder gemalte Bilder. Das gilt für die Bilder im Kopf,
für die Bilder der Kinderbibel, der Karikaturen, der Filme etc.
Götzendienst
ist Majestätsbeleidigung
Gottes.
Als wir im Unterricht in meinen ersten Amtsjahren die Passionsgeschichte besprachen, wurde ich ständig dahingehend korrigiert,
dass das im Fernsehen [der Jesus-Film von Zefirelli] aber ganz
anders war.
Im ersten Buch der Institutio setzt sich Calvin noch einmal in
aller Ausführlichkeit mit Bild und Bilderdienst in der Kirche
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Die Bilder als
Gegenstand von
Verehrung oder
gar Anbetung
ablehnen, heißt
nicht, die Kunst
verdammen.
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auseinander: Die bekannten Argumente ergänzt er um subtile
Auseinandersetzungen. Selbst Horaz und Seneca führt er an, um
die Lächerlichkeit der Gottesabbildungen zu zeigen. Wie kann
man zwischen Verehrung und Anbetung wirklich unterscheiden? fragt er, wie kommt es, dass bestimmte Bilder [schwarze
Madonna von Tschenstochau] vor anderen Bildern ausgezeichnet sind und Menschen bereit sind, für sie Kriege zu führen?
Wenn eine Kirche die Bilder als „der Laien Bücher“ braucht,
wie Papst Gregor I. das formuliert hat, dann stellt sich diese
Kirche hinsichtlich ihrer Verkündigung ein großes Armutszeugnis aus. Die lebendige Predigt vom Heilswerk Christi kann kein
Kreuz aus Holz, Silber oder Gold ersetzen.16
Aber wiederum ist Calvin nicht so töricht, aus dem Bilderverbot ein Prinzip, eine Ideologie zu machen. Bloß keinen
neuen Aberglauben und diesmal auch keinen Aberglauben der
Bildlosigkeit! Kein Prinzip der totalen Transzendenz Gottes.
Wie könnte es sonst sein, einen prinzipiell transzendenten Gott
zu glauben, der in der Krippe zur Welt kommt, und der am
Kreuz selbst zu Tod und Teufel geht? – Vielleicht das theologisch schwierigste Problem zwischen Juden, Christen und Moslems, wobei hier Juden und Christen vermutlich näher beieinander sind als Juden und Christen den Moslems.
Die Bilder als Gegenstand von Verehrung oder gar Anbetung ablehnen, heißt nicht, die Kunst verdammen. Viel mehr
heißt das, die Kunst aus dem Gefängnis der Kirche zu befreien,
ihr die Welt als Entfaltungsraum zu öffnen.
Man vergisst leicht, dass die „alten Niederländer“ einschließlich
Rembrandt Harmez van Reijn Künstler waren, die im kulturellen
Umfeld reformierter Kirchen und Gemeinden arbeiteten. Die
Genre- und die Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts, und vor
allem die Portraitkunst sind auch auf diesem religiösen Boden
gewachsen. Man war frei von dem Zwang, „fromm“ malen
zu müssen. Der Kunst eröffnete sich durch das aufstrebende
Bürgertum in den Niederlanden und in Frankreich ein neuer
Markt, der um etliches vielgestaltiger war als die Bischofsund Fürstenhöfe des ausgehenden Mittelalters. Es scheint nicht
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zufällig, dass von den reglementierenden Fesseln kirchlicher
Ansprüche, Regeln etc. befreit, Rembrandt damit beginnen kann,
die Geschichte Jesu auf seine Weise und also ganz neu zu
erzählen.
Der Heidelberger Katechismus fasst zusammen, was über
das Bilderverbot zu lernen und zu lehren ist:
Frage 96:
Was will Gott im zweiten Gebot?
Dass wir Gott
In keiner Art abbilden
noch auf irgendeine andere Weise,
als er in seinem Wort befohlen hat,
verehren sollen.
Frage 97:
Soll man denn gar kein Bild machen?
Gott kann und soll
keineswegs abgebildet werden;
die Kreaturen aber
dürfen wohl abgebildet werden,
doch verbietet Gott,
ihre Bilder zu machen und zu haben,
dass man sie verehre
oder ihm damit diene.
Frage 98:
Dürfen aber nicht die Bilder
als der Laien Bücher
in den Kirchen geduldet werden?
Nein;
denn wir sollen nicht weiser sein als Gott,
welcher seine Christenheit
nicht durch stumme Götzen,
sondern durch die lebendige Predigt
seines Wortes
unterwiesen haben will.
... denn wir
sollen nicht
weiser sein
als Gott ...
Eine zum Puristischen neigende Deutung und Praxis des Bilderverbots erliegt genau dem Aberglauben, dem sie eigentlich
wehren wollte. Ein Verständnis des reformatorisch-reformierten
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Bilderverbotes, das von dem historischen und auch kunst- und
kulturhistorischen Kontext des 16. Jahrhunderts absieht, läuft
Gefahr, sich aus der Diskussion der Gegenwart auszuklinken
und so einfach nicht mehr verständlich zu sein: weder für die
anderen Kirchen und Konfessionen, noch für die säkularen und
säkularisierten Menschen, noch vor allem für die ästhetische
Diskussion der Gegenwart. Ein reines Beharren auf vor 500
Jahren bezogenen Positionen trägt nicht nur abergläubische
Züge, es verschließt sich dem Wirken des Heiligen Geistes, der
viva vox evangelii.
Man wird schlicht und einfach festhalten und erklären müssen,
dass die mittelalterliche Ästhetik, die den Wert des Abbildes nach
seiner Ähnlichkeit mit dem Urbild ermisst, die Wirklichkeit und
auch die Theorie der bildenden Kunst seit der Renaissance nicht
mehr präzise beschreibt. Man wird – soweit laienhafter Verstand
das notieren darf – eine Entwicklung von einer Abbildästhetik
hin zu einer Ausdrucksästhetik notieren können bis dahin, dass
gerade die Verfremdung des Abbildes das Urbild neu sehen lehrt:
So etwa die kubistisch aufgelösten Portraits von Pablo Picasso bis
dahin, dass die Suche nach Farbe und Form zum bestimmenden
Ziel bildender Kunst werden und am Ende das Bild selbst in Frage
steht. Auf diesem Wege hat es Abirrungen gegeben, angesichts
derer evangelische Theologie offen erklären wird, dass sie die Verwandlung des Kunstwerks zum Gegenstand religiöser Verehrung
in der Romantik nicht nachvollzieht und nicht nachvollziehen
kann.17
Anstöße
Bilder verbieten
hieße, Leben
verbieten.
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Bilder sind unser Leben. Sobald wie sehen, sehen wir in Bildern,
in Netzhaut-Projektionen. Bilder verbieten hieße, Leben verbieten – das kann nur der Tor ernstlich wollen, nur der Fanatiker
kann das zum Gesetz machen wollen. Und wo die Bilder verboten sind, das beginnen wir langsam zu lernen, dort machen sich
noch viel mächtigere Bilder breit, Hassbilder und Rachebilder.
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Wir leben damit, dass wir in Bildern sehen, hören und denken
und auch verstehen, und wir müssen damit leben, dass es in der
uns als Christen konstituierenden Tradition dieses widerständige
Bilderverbot gibt, das Anbetung und Verehrung von Bildern bis
auf den heutigen Tag nicht hat verhindern können (mir vermag
niemand genau zu erklären, wo der Unterschied zwischen Idolodulie und Idolatrie liegt – was ich in Rom und Jerusalem gesehen habe, lässt mich zweifeln – und Tschenstochau liegt auch
nicht fern in der Heiden Lande, sondern mitten im christlichen
Abendland.) Man hat es sich dennoch schwer gemacht mit den
Bildern, Augustin war sowenig für die Bilder wie er für die Musik
war, die Reformatoren Zwingli, Calvin, Buzer und Bullinger
waren beileibe keine staubtrockenen Biblizisten, die einer Lehre
von der Verbalinspiration etc. gehuldigt hätten, und es ist – so
denke ich – kein Zufall, dass die großen Bilderstürze dieses Jahrhunderts nach dem Weltkrieg I und nach dem Weltkrieg II von
einer Theologie nachgedacht wurden, die bei und vor allem ideologiekritisch war und statt aller möglichen Offenbarungsquellen
an der Theologie des Wortes Gottes (Barmen) festhielt.
Wir leben in anderen Zeiten, dennoch bleibt uns das Bilderverbot als Stachel im Fleisch theologischer Landläufigkeiten
und Beliebigkeiten. Längst bevor das Bilderverbot die gemalten und gestalteten Bilder trifft, wendet es sich gegen die Bilder
im Kopf, gegen die Fixierungen des Wahrnehmens und des
Denkens. Das Bilderverbot ist die ideologiekritische Spitze der
jüdisch-christlichen Überlieferung. Denn das tun Bilder, sie
halten fest, fixieren und damit sind sie – anders als das eher
flüchtige Wort und der ebenso flüchtige Film – dem Leben
und dem lebendigen Gott äußerst unähnlich. Sie lassen den
Moment gefrieren. Die BetrachterInnen ändern sich, das Bild
nicht. Es kann andere Wirkungen entfalten, wenn man es
anderswo ausstellt, anders beleuchtet, andere Bilder daneben,
darüber oder darunter hängt, wenn man es einige Zeit entfernt
und dann wieder aus dem Magazin in die Galerie holt, es bleibt
dasselbe Bild – gefroren ein Moment der Liebe, des Schmerzes,
der Freude, der Landschaft, des Sterbens.
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Wir leben
damit, dass
wir in
Bildern
sehen, hören
und denken
und auch
verstehen.
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Bild ist nicht
gleich Bild.
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Das Bilderverbot fragt nach unseren Kopfbildern und Kopfgeburten – wo hast du dein Denken eingefroren, dass dich
nichts mehr von deinen Vorurteilen abbringen kann? Die Frage
der Ausländerfeindlichkeit und des Antisemitismus ist theologisch gesprochen auch eine Frage nach dem 2. Gebot!
Unser Umgang mit Bildern verlangt ein ständiges ästhetisches
Urteilen. Bild ist nicht gleich Bild. Bild kann entarten zum
Kitsch, zur Pornographie, zur Verherrlichung von Gewalt, zur
Propaganda, es kann aber auch Zeichen sein, Hinweis, Anstoß,
auch Gebet und Lob.
Zum Kitsch wird Kunst dann, wenn sie die Welt schöner machen
will als sie ist. Der Kitsch kennt auf Landschaftsdarstellungen
keine Umweltverschmutzung, nicht einmal ein Auto oder eine
Straßenbahn stört die Idylle und in den Bergen ist niemals ein Skifahrer zu sehen. Das Bild belügt seine Betrachterin. Es spiegelt ihr
eine Harmonie vor, die es nie so gegeben hat. Dazu bedient sich
der Kitsch immer derselben Muster, derselben Stoffe. Dabei kann
Kitsch durchaus kunstfertig sein. Aber sein Kennzeichen ist wohl
auch dies, dass er mir nichts sagt, was ich nicht selbst schon
wüsste.
Ein Bild kann aber auch Anteil an Wahrheit haben.
In der Kunstsammlung von Yad Vashem in Jerusalem hängt ein
Holzschnitt. Man sieht, wie gefangene Juden von Soldaten weggebracht werden. Im Vordergrund holt ein bewaffneter Soldat
Jesus vom Kreuz, um ihn mitzunehmen. Dieses Bild stellt nicht
Wirklichkeit dar im herkömmlichen Sinne. Niemand hat Jesus
vom Kreuz geholt und ihn nach Auschwitz gebracht. Dennoch
beschreibt das Blatt den Antijudaismus und den Antisemitismus,
der im Judenmord gipfelt als ein Vergehen, das auch den
Juden Jesus Christus nicht unangetastet lässt. Das Bild ist ein
Verkündigungsbild, über dem man ins Gespräch über die Bibel
kommt, über den Römerbrief, über den Satz „Das Heil kommt
von den Juden“ etc. Dieses Bild ist darum so beredt, weil es in
einem sprechenden Kontext ausgestellt ist, an anderer Stelle fiele
es vielleicht gar nicht so auf.
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Es kann auch geschehen, dass ein Bild – ein Symbol, eine Geste
ein Zeichen im Laufe der Zeit einem Bedeutungswandel unterliegt, der es in der Gegenwart problematisch werden lässt.
Man muss dabei nicht nur auf das Hakenkreuz verweisen, das
ursprünglich mit dem Nationalsozialismus wirklich nichts zu tun
hatte. Aber wenn heute ein solches Zeichen in die Eingangstür der
Mühlhauser Synagoge geritzt wird, dann ist das ein eindeutiges
Zeichen, dem man nur entschiedenen Widerstand entgegensetzen
kann. Ähnlich ist es mit dem Kreuz als dem christlichen Symbol.
Für die Römer war das Kreuz außerhalb jeder ästhetischen Wahrnehmung. Über das Kreuz redete man nicht. „I ad crucem“ sagten
die Soldaten, wenn sie jemanden zum Henker wünschten. Cicero
nennt diese Hinrichtungsart „mors turpissima crucis“18. Erst im
4. Jahrhundert nach der Konstantinischen Wende wird aus diesem
Schandzeichen das Siegeszeichen, das bald auch die Insignien
der weltlichen Macht zieren sollte. Als die französischen Protestanten den abergläubischen Kreuzeskult kritisierten, wurden sie bei
Todes- oder Galeerenstrafe gezwungen, den Kruzifixus zu küssen
und damit die Treue zur römischen Kirche zu dokumentieren.
Ähnliches hat sich während der Gegenreformation in Ungarn, in
Polen etc. abgespielt. Für die Reformierten hat es konkrete Bedeutung, dass sie in ihren Kirchen keine Kreuze aufgehängt haben.
Für sie war das Kreuz nicht Zeichen der Wahrheit sondern der
Lüge und der missbrauchten kirchlichen Macht. Mittlerweile hat
das Kreuz auch diese Bedeutung eingebüßt. Es hat viele Bedeutungen angenommen. Für viele ist es das Todes- und Friedhofszeichen,
für andere ein Halsschmuck, für wieder andere ein apotropäisches
Zeichen, ein Glücksbringer, für andere das Zeichen des Christus.
– Ist es nicht bezeichnend, dass viele Christenmenschen einen
Fisch auf ihr Auto kleben – offensichtlich ist dieses ICHTYS-Zeichen derzeit sprechender als das Kreuz?
Wer mit Bildern
umgehen will,
muss Zeit haben
und Zeit lassen
Wer mit Bildern umgehen will, muss Zeit haben und Zeit
können.
lassen können. Nur schlechte Bilder erschließen sich beim ersten
Hinsehen. Nur Bilder, die etwas verkaufen wollen, lassen keine
Zeit zum Betrachten und zum ansehen, denn ließen sie Zeit,
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würden die Betrachterinnen ihnen viel schneller auf die Schliche
kommen. Also muss in weniger als einer halben Minute alles
vorbei sein und der nächste Spot über den Bildschirm rollen.
Das bedeutet nicht, dass Filme keine Kunstwerke sind. Natürlich
ist die „Blechtrommel“ von Volker Schlöndorff ein Kunstwerk
wie die „Bleierne Zeit“ von Margarethe von Trotta, „Berlin Alexanderplatz“ von Rainer Werner Fassbinder und Hitchcocks „Der
unsichtbare Dritte“, Tom Tykwers „Lola rennt“! Aber auch diese
Filme zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie Zeit lassen. Hitchcock lässt James Steward unheimlich viel Zeit auf der einsamen
Straße zwischen den Maisfeldern, bis dann das Flugzeug kommt
und den einsamen Mann durch die Felder zu jagen beginnt.
Dreimal wird die Lola-Geschichte erzählt, jedes Mal mit anderen
Nuancen, die völlig unterschiedliche Folgen haben. Kann es einen
deutlicheren Hinweis auf das Bilderverbot als ästhetisches Leitmotiv geben?
Hier gibt es durchaus Interessantes zu entdecken über die Welt
wie sie ist und wie sie sein kann, wie sich die Menschen
das Leben zur Hölle machen oder wie sie ihr Leben gemeinsam bestehen, wie sie weinen oder lachen. Filme können
verschüttete Gefühle wieder an die Oberfläche bringen. Sie
können Geschichten erzählen, die sehr viel mit unseren Glaubensgeschichten oder auch mit unseren Unglaubensgeschichten
zu tun haben.
Eine evangelische
Eine evangelische Ästhetik wird immer eine Ästhetik des BilÄsthetik wird
derverbots19 sein, weil sie weiß: Die Wahrheit lässt sich weder
immer eine
auf Leinwand, noch auf Zelluloid bannen noch in eine Partitur
Ästhetik des Bil- einschließen, aber der Christenmensch kann darauf gefasst sein,
derverbots sein.
dass ihm die eine Wahrheit an all diesen Orten begegnen kann:
Im Kunstmuseum wie auf der Dokumenta, im Kino wie im Konzert, in der Disko und im Theater. Und diese Wahrheit wird
immer mit dem zu tun haben, was wir aus dem Zeugnis der Heiligen Schrift wissen, wird uns die Bibel verstehen lehren, ganz
direkt wie in den Bildern Marc Chagalls oder auch sehr gebrochen wie in den Arbeiten von A. Paul Weber oder Joseph Beuys.
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Was lange verschüttet war: auch der reformierte Gottesdienst hat eine Ästhetik – in unserer Reformierten Liturgie kann
man eine Menge darüber lernen. Zu dieser Ästhetik gehören
Stimmigkeit und Formbewusstsein ebenso wie Bewegungen,
Gesten. Diese Ästhetik folgt nicht einem bestimmten „kanonischen“ Modell wie die Form der Messe – sie kann ihm auch
folgen – in der Regel ist der auszugestaltende Rahmen längst
nicht so eng gezogen wie in anderen gottesdienstlichen Traditionen. Das verlangt vom handelnden Menschen im Gottesdienst ein großes Maß an Form- und Gestaltempfinden, das zu
vernachlässigen leicht alle möglichen Peinlichkeiten nach sich
ziehen kann. Natürlich gehören zu jeder reformierten Ästhetik
auch Bilder, auch gottesdienstliche Bilder. Der bilderlose Raum,
wenn er denn bilderlos ist, ist auch ein Bild und gibt ein Bild
ab. Und auch ein bilderloser Raum kann auf diese Bilderlosigkeit fixieren. Bei der Gestaltung von gottesdienstlichen Räumen
halte ich es für sehr wichtig, zu entscheiden, wie die Gestalt
des Raumes sein soll. Welche Gestaltung könnte reformierter
Prägung entsprechen?
Nur einige Hinweise für gegenwärtige Bilder, also nicht für
Ererbtes. Manches überkommene Kunstwerk kann ein Segen
sein, manches ist aber auch ein Fluch
– es kann kein „ewiges Bild“ sein. Auch Bilder können ihre
Sprache verändern oder verlieren.
– es darf kein Bild sein, das die Wirklichkeit verklärt, kein
Bild, das Lügen verbreitet, kein Bild, das so laut ist, das
neben ihm das Wort und das Lob kein Gehör mehr findet
– es kann kein Bild sein, das die Geschichte Gottes mit Israel
und mit Jesus Christus fixiert. Es muss offen sein für die
Gegenwart. Es muss konzentrieren, nicht zerstreuen.
– Vieles spricht für ein ungegenständliches Bild, das frei
ist von barocken Ausschmückungen oder naturalistischen
Manierismen.
– Das Bild muss offen sein für die Wahrheit, die in der Liebe
Gestalt gewinnen will und soll.
– Es muss der Freundlichkeit Gottes Raum lassen.
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Auch der
reformierte
Gottesdienst hat
eine Ästhetik.
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Daneben habe ich keine Probleme mit vergänglichen Bildern
von Kindern und Erwachsenen aus der Gemeinde. Das sind
vergängliche Bilder, die nicht dauerhafter sind als das gepredigte
Wort, aber die gemeinsam mit dem gepredigten Wort manches
verständlicher machen. Nur glaube ich nicht, dass Bilder ein
Allheilmittel für Gottesdienste und gegen den Unglauben sind.
Wenn der Gebrauch von Bildern zur Masche geworden ist, vielleicht es dann einmal wieder mit erzählen versuchen?
Ich habe auch keine Probleme mit Kerzen im Gottesdienstraum. Probleme bekomme ich an der Stelle, wo diese von
Luther und Melanchthon mit Recht so genannten Adiaphora
plötzlich theologisch schwerwiegend belastet werden. Wenn
die Kerze plötzlich zum „Licht der Welt“ wird oder dieses
doch immerhin repräsentiert, oder wenn sie an passendem Ort
angezündet wird, damit sie für mich weiterbetet, währen ich
schon wieder aus der Kirche gehen muss, dann denke ich an
Calvin und Zwingli, oder wenn auf dem Abendmahlstisch bzw.
auf dem Altar nur Schnittblumen stehen dürfen, weil doch die
Blumen sich hingeben, sich opfern müssen und vom Altar dann
direkt auf den Komposthaufen wandern – solches Theologisieren mit den Bildern fällt mir schwer, weil es den Gott Israels an
Vergänglichkeiten binden will und ihn damit der Beliebigkeit
ausliefert, denn Bilder und Symbole sind, mehr noch als alle
Worte, mehrdeutig. Das ist ihre Chance, das ist aber auch die
theologische crux. Wenn die Anschauung der Bilder aus dem
Wenn die
Hören des Wortes kommt und wieder ins Hören des Wortes
Anschauung
mündet – das möchte wohl sein, aber wenn die Bilder anfangen
der Bilder aus
angeblich tiefer zu reden und die Wahrheit umfassender auszudem Hören des
loten, wenn die Meditation jenseits des Wortes zum Zentrum
Wortes kommt
der Praxis pietatis wird, dann scheint die Sache aus dem Ruder
und wieder ins
gelaufen. Denn hier geschieht wieder genau das, was die ReforHören des
Wortes mündet – matoren – mit Abstrichen auch Luther – verhindern wollten:
dass aus schönen und gerade pluriform und polykontextuell
das möchte
aussagefähigen Symbolen feste Doktrinen gezimmert werden,
wohl sein.
die ihr Heil in der fundamentalen Unterscheidung von heilig
und profan suchen, indem sie den Hügel Golgotha, die Müll-
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kippe der Stadt Jerusalem in die Kirche holen. Bei allen Zeichen
Bei allen
und Symbolen haben wir uns darüber klar zu werden, ob sie
Zeichen und
nicht vielleicht offen oder heimlich gegen uns predigen, ob sie Symbolen haben
wir uns darüber
einem Verständnis Vorschub leisten, das wir so nicht haben.
Also: Können und sollen wir mit Bildern umgehen? Wir tun klar zu werden,
ob sie nicht
es längst, und wir tun es immer. Nur sollten wir uns darüber
vielleicht offen
klarsein, mit welchen Bildern und wie wir mit ihnen umgehen.
oder heimlich
Es kann nicht unsere Sache sein, die unselige Bilderflut noch
gegen uns
religiös zu überhöhen.
Sagte man früher in aufgeklärten Kreisen: Ich glaube nur, was ich
predigen.
sehe, so kann man gegenwärtig und wohl auch künftig angesichts
der weltweit angezettelten optischen Täuschungen und visuellen
Betrügereien nur sagen: Du darfst nicht glauben, was du siehst! Sie
zu, dass du den einen Glauben findest, der dir die Augen öffnet
und du überhaupt erst sehen lernst!
Auch im Umgang mit Medien gilt der paulinische Satz: Haben,
als hätte man nicht. Das Fernsehen, das angeblich so viele Menschen erreicht hat mit seinen Gottesdienstübertragungen und
seinen Worten zum Sonntag, den Papstmessen und Urbi et
Orbi, hat die Säkularisierung nicht aufgehalten: im Gegenteil.
Deshalb werden wir es nicht verteufeln, aber auch nicht glorifizieren. Deshalb wird uns die Bilderflut nicht Maß aller Dinge
sein, sondern wir haben Zeit, uns mit den Bildern Zeit zu
lassen, genau hinzusehen – wie man Musik hören mag, nicht
nebenbei, sondern auf der Suche, dass auch dort ein Schatten
des Gerichtes Gottes oder mehr noch: seiner Herrlichkeit aufleuchten mag.
Ein durchaus weltlicher Hinweis auf den Umgang mit
Bildern
Von dem Schweizer Autor Max Frisch stammt ein höchst
gegenwärtiger Hinweis zu dem Umgang mit Bildern in einem
Kontext, der zumindest aufhorchen lässt. Die Kinder der Welt
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haben den Kindern des Lichtes manches zu sagen: auch über
Bilder.
Du sollst dir kein Bildnis machen
Die Liebe
befreit aus
jeglichem
Bildnis.
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Es ist bemerkenswert, daß wir gerade vom Menschen, den wir
lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn
einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der
Liebe, daß sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der
Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen
Entfaltungen. Wir wissen, daß jeder Mensch, wenn man ihn liebt,
sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und daß auch dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles
sieht er zum ersten Male. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich
Spannende, daß wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden: weil wir sie lieben; solange wir sie lieben. Man höre
bloß die Dichter, wenn sie lieben; sie tappen nach Vergleichen, als
wären sie betrunken, sie greifen nach allen Dingen im All, nach
Blumen und Tieren, nach Wolken, nach Sternen und Meeren.
Warum? So wie das All, wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit,
schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, unfassbar ist der Mensch, den man liebt - Nur die Liebe erträgt ihn
so. Warum reisen wir? Auch dies, damit wir Menschen begegnen,
die nicht meinen, daß sie uns kennen ein für alle mal; damit wir
noch einmal erfahren, was uns in diesem Leben möglich sei - Es ist
ohnehin schon wenig genug. Unsere Meinung, daß wir das andere
kennen, ist das Ende der Liebe, jedes Mal, aber Ursache und Wirkung liegen vielleicht anders, als wir anzunehmen versucht sind nicht weil wir das andere kennen, geht unsere Liebe zu Ende, sondern umgekehrt: weil unsere Liebe zu Ende geht, weil ihre Kraft
sich erschöpft hat, darum ist der Mensch fertig für uns. Er muss
es sein. Wir können nicht mehr. Wir kündigen ihm die Bereitschaft, auf weitere Verwandlungen einzugehen. Wir verweigern
ihm den Anspruch alles Lebendigen, das unfassbar bleibt, und
zugleich sind wir verwundert und enttäuscht, daß unser Verhältnis
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nicht mehr lebendig sei. „Du bist nicht“, sagt der Enttäuschte oder
die Enttäuschte: „wofür ich Dich gehalten habe.“ Und wofür hat
man ihn denn gehalten? Für ein Geheimnis, das der Mensch ja
immer ist, ein erregendes Rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind.
Anmerkungen
1 Neill Postman, Wir amüsieren uns zu Tode, Frankfurt.
2 Vgl. Karl Barths berühmter Satz aus dem frühen Vortrag, Das Wort Gottes als Aufgabe
der Theologie
3 Walter Zimmerli, Das zweite Gebot [1950] in, Walter Zimmerli, Gottes Offenbarung,
gesammelte Aufsätze, Theologische Bücherei 19, München 1969, S.234-248.
4 Die fünf Bücher der Weisung verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz
Rosenzweig, 10. verbesserte Auflage der Neuausgabe von 1954, Heidelberg 1981.
5 Ebd. S.248
6 Karl Barth, Fides quaerens intellectum, Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms, [1931] hg. Von E, Jüngel und I. U. Dalferth,
Karl Barth GA II, Zürich 1981.
7 Eberhard Jüngel, Paulus und Jesus, Tübingen 5. Auflage 1979, S.135
8 EG
9 Gottfried W. Locher, Huldrych Zwingli im Rahmen der europäischen Kirchengeschichte, Göttingen und Zürich 1979, S.142
10 H.Zwingli, de vera et falsa religione, Zwingli Schriften III, S.367f.
11 Locher ebd. S.146.
12 Locher ebd. S.213.
13 Calvin, Auslegung der Heiligen Schrift, Neukirchen-Vluyn s.a. S. 398, zu Ex 34,17
14 Ebd. S.392 zu Ex 20,4-6 und Dt 5,5-10
15 Ebd. S.392.
16 Johannes Calvin, Institutio Christianae Religionis 1559, I, 11.
17 So etwa die „Kunsttheologie“ Johann Heinrich Wackenroders.
18 Vgl. den Aufsatz von Martin Hengel, „mors turpissima crucis“ in der Käsemann-Festschrift Rechtfertigung und Recht, Hg. Von J.Friedrich, W.Pöhlmann und P.Stuhlmacher,
Göttingen-Tübingen 1976, S.125-184.
19 Vgl. Albrecht Grötzinger, Praktische Theologie und Ästhetik, München 2.Auflage
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1991. Grözinger fasst seine These vom Bilderverbot als Zentrum theologischer Ästhetik
folgendermaßen zusammen: „Die Tatsache, dass Gott `uns eigenhändig ein Bild seiner
selbst setzt’, ist Grund und Voraussetzung aller theologischer Ästhetik. Damit ist a limine
ausgeschlossen, dass die Ästhetik selbst zum Offenbarungsträger oder die Kunst zum Ort
der Offenbarung wird, wie es vor allem im Deutschen Idealismus – und dort in äußerster
Zuspitzung bei Schelling – der Fall ist, oder dass in der Kunst – wie es die Kunsttheorie
der Romantik sah, eine `unmittelbare Versöhnung des Bedingten und des Unbedingten´
möglich wäre. Theologische Ästhetik zeichnet demgegenüber den Weg von Gottes Offenbarung nach und ist so ständiger Begleiter der christlichen Lebenspraxis. Dabei allerdings
ist sie unentbehrlich, denn die Offenbarung Gottes ist selbst ein ästhetisches Ereignis ,
wovon die Dornbusch – Geschichte und die Emmaus-Perikope beredt Zeugnis ablegen.
Die menschliche Ästhetik antwortet auf dieses Ereignis. Dies zu tun ist ihre Würde und
ständig neue Aufgabe zugleich.“ S.104.
20 Max Frisch, Tagebücher 1946-1949, Frankfurt 1950.
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Das Bild und die Bilder
Im Gespräch mit Karl Barth zum Bilderverbot
VON
GEORG PLASGER
„Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen.“
Dieses biblische Gebot kennzeichnet reformierte Kirchen und
reformierte Traditionen, und zwar sowohl in der Reformationszeit wie auch noch im 20. Jahrhundert. Präsent war und ist das
Bilderverbot in den reformierten Kirchen, die sich dadurch von
anderen evangelischen Kirchen unterschieden und unterscheiden und im Wesentlichen Schlichtheit ausstrahlen. Das Festhalten an diesem Gebot und das Ernst nehmen dieser Tradition hat
dazu geführt, dass manchen Reformierten auch der pädagogische
Umgang mit Bildern im Gottesdienst schwer fiel und fällt.
Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass der Gebrauch von BilDer Gebrauch
dern in der Sprache weitgehend unproblematisch stattfindet –
von Bildern
und ja in der Bibel auch durchgehend geschieht. Da wird von
findet in der
Gott als Quelle, Licht, Sonne, ja sogar Mutter geredet; zahlreiSprache
che Anthropomorphismen prägen vor allem das Alte Testament.
weitgehend
Wie kann angesichts dieser zahllosen Bilder von Gott noch ernst- unproblematisch
haft vom Bilderverbot geredet werden? Ist es noch theologisch
statt.
begründbar oder ist es vor allem eine Tradition, welche die Reformierten kennzeichnet, letztlich aber nicht nötig ist?
Historische Reminiszenzen
Aus den Kirchen der reformierten Reformation sind im 16. Jahrhundert zu großen Teilen die Bilder und Skulpturen entfernt
worden. Der Begriff der „Bilderstürmer“ führt historisch allerdings zu problematischen und simplifizierenden Konnotationen.
Hannelore Erhart1 hat die Komplexität des Bilder zerstörenden
50
Die bilderstürmerischen
Aktivitäten
stehen also nicht
für sich selber,
sondern wollen
Zeichenhandlungen sein.
reformierte aktente 5
Handelns am Beispiel Genfs in der Zeit von 1533 bis 1536
exemplarisch verdeutlichen können. Eine Gruppe um den nach
1536 gemeinsam mit Johannes Calvin tätigen Wilhelm Farel hat
einzelne Skulpturen teildeformiert, indem ihnen Köpfe, Arme,
Hände und andere Gliedmaßen abgehauen wurden.
Am Beispiel von neun teilzerstörten Skulpturen am Portal der
Genfer Rivekirche wird nach Hannelore Erhart erkennbar, dass
es sich nicht um eine blinde oder gar von Wut gesteuerte MobAktion handelte, sondern dass es eine Zeichenhandlung mit verschiedenen voneinander unterscheidbaren Dimensionen war.
Zum einen sind durch das gezielte Zerstören von Kopf und
Gliedern die Stellen am Menschen gekennzeichnet, die durch
Folter und Strafe getroffen werden. Das Abhauen von Kopf und
Armen einer als Symbol für die Macht der Gerichtsbarkeit stehenden Skulptur bezieht sich also politisch-juristisch auf die
römisch-katholische Kirche, die in Genf Inhaberin der Gerichtsbarkeit war.
Der Figur des Antonius von Padua wurden die Augen ausgestochen. Die Metzger und Fleischer Genfs waren in der Bruderschaft des Antonius von Padua organisiert, in der Rivekirche befand sich auch der Altar dieser Bruderschaft. Das Ausstechen der Augen war die damalige Strafe für Wucherei – und
indem der Symbolfigur die Augen ausgestochen wurden, wurde
„zugleich die oekonomische Macht der Bruderschaft dechiffriert, die von den marktabhängigen Genfern als Wucherei
erfahren wird.“2
Neben der politisch-juristischen und der ökonomischen
Dimension ist drittens theologisch die Teilzerstörung der Heiligenfiguren als Entlarvung der Machtlosigkeit der Materie zu
bewerten, weil „Materie keinen Weg zur Erkenntnis Gottes
anbieten kann“3. Dieser von der römisch-katholischen Kirche
verkörperte Heilsweg über die sinnliche Erfahrung wird damit
zugunsten einer Betonung des Wortes verneint.
Die bilderstürmerischen Aktivitäten stehen also nicht für sich
selber, sondern wollen Zeichenhandlungen sein. Das Bilderverbot in den reformierten Kirchen geht zu wesentlichen Teilen auf
G. Plasger, Das Bild und die Bilder
diese bilderstürmerischen Aktionen zurück. Es ist deshalb nötig
und geboten, das reformierte Bilderverbot immer wieder neu
der theologischen Reflexion und Überprüfung zu unterziehen,
um es nicht zu einer bloßen reformierten Eigenart verkommen
zu lassen. Dieser Reflexionsarbeit dient dieser Beitrag.
Er stellt zunächst eine Predigt Barths vor, die er 1935 zum
Bilderverbot gehalten hat. Die Aussagen dieser Predigt stehen in
deutlicher dogmatischer Entsprechung zur Religionsthematik, die
Barth in Paragraf 17 der Kirchlichen Dogmatik verhandelt.
Mit diesen Ergebnissen wird dann ein Gespräch zwischen
dem jüdischen Erziehungswissenschaftler und Religionsphilosophen Micha Brumlik geführt. Brumlik behauptet in seiner
Studie zum Bilderverbot aus jüdischer Sicht, dass sich Christentum und Judentum hinsichtlich des Umgangs mit dem Bild
unterscheiden, weil sie unterschiedliche Referenzsysteme haben.
Es ist spannend zu sehen, wie sich Barth mit seiner (reformierten) Haltung zum Bilderverbot in einen fruchtbaren Dialog mit
Brumlik begeben kann; Leitbegriffe sind hier „Erfahrung“ und
„Nachfolge“.
Karl Barths Predigt auf der Siegener Synode 1935
Auf der zweiten Freien Reformierten Synode vom 26.-28. März
1935 in Siegen hält Karl Barth am Abend des 26. März eine Predigt zum Bilderverbotsabschnitt in 2. Mose 20, 4-6.4 Sie enthält
deutliche und den damaligen Hörern verständliche Bezüge auf
die Situation in Kirche und Staat 1935.5 Ziel, so Barth in der
Einleitung, ist die Klärung, Vertiefung und Verschärfung der
Erkenntnisse, die das zweite Gebot nahelegt. Dass gerade von
diesem biblischen Abschnitt viel erwartet werden kann, hat
auch darin seinen Grund, dass es ein in der reformierten Tradition sprechender Text gewesen sei – Barth benennt hier in nuce
sein Verständnis von Schrift und Tradition.6
In der Predigt thematisiert Barth dann verschiedene Ebenen
des Bilderverbots – und er geht gleichsam jeweils eine Stufe tiefer.
51
Es ist nötig
und geboten,
das reformierte
Bilderverbot
immer wieder
neu der
theologischen
Reflexion und
Überprüfung zu
unterziehen,
um es nicht
zu einer bloßen
reformierten
Eigenart
verkommen
zu lassen.
52
Gott spricht
durch sein
Wort. Das ist
entscheidend.
reformierte aktente 5
Die erste Dimension des Bilderverbots betrifft nach Barth
zunächst die Dinglichkeit – „sichtbare Bilder Gottes ... herzustellen und ihnen göttliche Verehrung zu erweisen, das ist’s,
was uns durch dieses Gebot verwehrt ist.“7 Diese dingliche
Ebene steht aber nicht für sich selber, sondern kann und muss
nach Barth in einen Bezug zur gesamten biblischen Botschaft
gebracht werden. Das Bilderverbot wurzelt nämlich positiv im
Wortgeschehen, durch das Gott sich offenbart, so Barth mit
Hinweis auf Frage 98 des Heidelberger Katechismus.8 Dieses
Wortgeschehen ist nach Barth begründet im Alten und im
Neuen Testament, weil Gott sich selber durch sein Wort mitteilt. Die reformierte Praxis, die Kirchen nicht mit einem Kruzifix auszustatten, ist also begründet in der Weise der Mitteilung
Gottes, die sich im Bilderverbot fokussiert: Gott spricht durch
sein Wort. Das ist entscheidend. Und nur von daher ist dann
auch die Abwehr der Differenzierung zwischen Verehrung und
Anbetung der Bilder – ein in der Reformationszeit geläufiges
Argument gegen die reformierte Position – gegründet.
Auf Grund der Argumentation von Gottes Wort her votiert
Barth auch nicht gesetzlich für die Abschaffung aller kirchlichen
Darstellungen, sondern fragt umgekehrt, welchen Gewinn die
Gemeinde von Bildern hat und ob sie damit „eine Erhöhung
der Schönheit und Erbaulichkeit ihres Gottesdienstes“9 erwartet. Sollte das der Fall sein, dann wäre es nötig, „sich gründlich
darüber zu besinnen, was diese Pracht in ihrer Mitte nun eigentlich solle.“10
Es wird also deutlich, dass nach Barth die reformierte Tradition der Anwendung des Bilderverbots in der Kirchraumgestaltung nicht allein auf eine buchstäbliche (und damit vielleicht
gesetzliche) Anwendung des zweiten Gebots zurückgeht, sondern
auf eine gesamtbiblisch begründete Sicht göttlichen Handelns.
Aber es wäre nach Barth zutiefst problematisch, wollte man
die Geltung des Bilderverbots auf die dingliche Dimension
eingrenzen. Vielmehr geht es nach Barth nie um die Bilder
oder Kunstwerke als solche, sondern um ihre Ursache. Und die
G. Plasger, Das Bild und die Bilder
ist darin zu sehen, dass Menschen sich (innere) Gottesbilder
machen, die dann zu (äußerlichen) Bildern werden. So ist hinsichtlich des goldenen Kalbes zu sehen, dass es den Israeliten
„zuerst in ihren Herzen und Köpfen ... als die eigenmächtig
geformte Gestalt Gottes“11 gestanden hatte. Deshalb kann
Barth auch formulieren, dass sich „der göttliche Unwille“12
gerade gegen diese Gestalt des unsichtbaren Gottesbildes richtet, das im menschlichen Herzen existiert und die äußeren
Gottesbilder erst hervorbringt.13 Deswegen könnten sich auch
weder die Reformierten noch die Juden, die beide den Verzicht
auf die äußeren Bilder lehren und praktizieren, von der aktuellen Geltung des Gebots dispensieren, da andere und nicht so
offensichtliche Gottesbilder vorhanden sind, die „in Prinzipien,
in Gedankengebäuden und Systemen, in Plänen und Programmen, in Träumen und Ideologien, die wir zur Ehre Gottes entwerfen“14, zum Ausdruck kommen, die aber letztlich doch nur
menschlich geformte Festlegungen Gottes seien.
Das Bilderverbot richtet sich gegen den ständig stattfindenden menschlichen Versuch, Gott anderswo zu suchen, als er sich
selber zu erkennen gegeben hat und „an die Stelle der göttlichen
Wirklichkeit, die sich uns in der Offenbarung darbietet und
darstellt, ein Bild von Gott, das der Mensch sich eigensinnig
und eigenmächtig selbst entworfen hat“15, zu setzen.
Das Bilderverbot als Religionskritik
Mit dem zuletzt genannten Zitat befinden wir uns im Bereich
der Religionskritik Barths. Der Paragraf 17 der Kirchlichen
Dogmatik mit dem Titel: „Gottes Offenbarung als Aufhebung
der Religion“ ist die dogmatische Verortung der Predigtaussagen zum zweiten Gebot.
Es ist deshalb an dieser Stelle sinnvoll, Barths Aussagen zur
Religion im Hinblick auf das Bilderverbot zu durchdenken.
Barth selber formuliert in Paragraf: „Das Gottesbild ist
immer diejenige angeschaute oder gedachte Wirklichkeit, in der
53
»Er (der Text)
ist an Jesus und
seine Botschaft
vom Gottesreich
gebunden
und ist weit
entfernt davon,
Ausdruck allgemeiner theologischer Weisheit
zu sein.«
54
Unter den
möglichen
Gottesbildern,
die der Mensch
sich machen
kann, ist die
Religion an
vorderster Stelle
zu nennen.
reformierte aktente 5
der Mensch jenseits oder auch in seiner eigenen Existenz ein
Eigentliches, Letztes, Entscheidendes annimmt und behauptet,
von dem her er wiederum sich selbst für gesetzt oder doch
für bestimmt und bedingt hält. Von der Offenbarung her gesehen, ist die menschliche Religion schlecht und recht ein solches
Annehmen und Behaupten und als solches ein ihr selbst, der
Offenbarung, widersprechendes Tun.“16 Unter den möglichen
Gottesbildern, die der Mensch sich machen kann, ist die Religion an vorderster Stelle zu nennen. Die Religion, so formuliert Barth, ist eine menschliche Setzung, in und mit der er sich
selber eine Autorität wählt.
Die Diskussion um Barths Religionsverständnis ist breit
und sehr differenziert.17 Die Grundgedanken Barths lassen sich
jedoch in etwa wie folgt darstellen.
1. Thema von Barths Religionskritik ist nicht die Auseinandersetzung mit anderen Religionen, sondern Barths weitestmöglicher Religionsbegriff meint alle menschlichen Versuche, selber eine Gottesvorstellung zu entwickeln.
2. Wesentlicher Adressat sind deshalb auch nicht die Angehörigen anderer „Religionen“, sondern Barth zielt ab auf die
Religion innerhalb des Christentums bzw. der Kirche.
3. Religion ist nun der menschliche und letztlich erfolglose
Versuch, sich ein Gottesbild zu entwerfen.
4. Entlarvt wird dieses menschliche Handeln durch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus, der sich in diesen Bereich
menschlicher Religion hineinbegibt. Diesem Weg Gottes
aber setzt der Mensch eigene Gottesvorstellungen entgegen.
5. Diese der Bewegung Gottes entgegen gerichteten Wege des
Menschen nennt Barth deshalb Unglaube.
6. Die Offenbarung ist also auf Religion nicht angewiesen;
zwei für Barth tragende Kennzeichen des Religionsbegriffs
sind „Nicht-Notwendigkeit“ und „Schwäche“.18 Die Religion ist nicht stark genug, um Gottes Offenbarungsfülle zu
beschreiben. Und theologisch ist von der Religion zu sagen,
dass sie nicht der Offenbarung Gottes vorgeschaltet werden
muss oder kann.
G. Plasger, Das Bild und die Bilder
55
Dem Bilderverbot in der Siegener Predigt entspricht Barths
Religionskritik. Und wenn in der Kirchlichen Dogmatik der
Religion die Prädikate „nicht notwendig“ und „schwach“ zuerkannt werden, so gilt das auch hinsichtlich der Gottesbilder.
Barth unternimmt in der Siegener Predigt nicht eine moralische
Abqualifizierung der Bilder mit dem Ziel eines wie auch immer
gearteten schlechten Gewissens, sondern Ziel ist die Entlarvung
selbst produzierter Gottesbilder. Ebenso wie im Religionsparagrafen hat Barth in der Predigt nicht in erster Linie die Menschen außerhalb von Kirche und Theologie vor Augen, sondern gerade diejenigen innerhalb des Christentums. Hier ist die
Gefahr der Religion viel größer, weil sie das eigene Produkt mit
dem lebendigen Gott zu verwechseln droht.
Gottesbilder sind also „nicht-notwendig“ und „schwach“.
Sie sind nicht das, was sie vorgeben, nämlich Abbildungen
Gottesbilder
Gottes. Sondern sie sind eigene Projektionen. Und die größte
sind nicht das,
Gefahr ist es, dass der Mensch diese Projektionen mit Gott was sie vorgeben,
selber verwechselt. Die Religionskritik ebenso wie das Bilderver- nämlich Abbilbot sind also Hilfen, dieser Verwechslung zu entgehen; beiden dungen Gottes.
geht es um die Entlarvung und Aufdeckung problematischer
Sondern sie
Strukturen. Und beiden ist es wesentlich, dass deshalb nicht
sind eigene
geboten ist, den Zeigefinger mahnend zu erheben, sonder vielProjektionen.
mehr einzuladen. So formuliert Barth in der Predigt: „Es steckt
in dem harten ‚Du sollst nicht!‘ dieses Gebotes wie in allen Verboten Gottes ein überaus süßes, freundliches: Du mußt nicht,
du brauchst nicht, du hast es nicht nötig, du sollst dich nicht
damit mühen“19 . Am Schluss der Predigt, Barth nennt es ein
persönliches Wort, deutet er an, dass jede Theologie und eben
auch die seine zur Produktionsstätte von Gottesbildern werden
kann. „Gefangene eines Prinzips oder Systems, heiße es, wie es
wolle, sind dem Kampf gegen den Götzendienst nicht gewachsen, weil sie selber noch Götzendienst treiben.“20
56
reformierte aktente 5
Jesus Christus als Ebenbild Gottes und die wahre
Religion
In Barths Religionskritik ist mit der Argumentation „Religion
als Unglaube“, die dem Verbot, sich Gottesbilder zu machen,
parallelisiert werden konnte, das Kapitel noch nicht zu Ende.
Vielmehr folgt ein weiterer Abschnitt, der oft in den Interpretationen wenig berücksichtigt wird: „Die wahre Religion“ (§
17.3). Indem Barth das theologisch brisante Wort der „vera
religio“ aufnimmt, macht er jedoch keine Kehrtwendung und
stellt nun doch das Christentum als wahre Religion den anderen Religionen gegenüber. Vielmehr lautet seine These, dass die
Religion nur „von außen“ wahr werden kann. Die christliche
Religion ist nicht von sich aus wahr, sie hat anderen Religionen
von sich aus nichts voraus, sie ist nicht „besser“ als andere Religionen21. Sie unterscheidet von anderen Religionen schlicht
nur dies, dass sie als einzige Religion Jesus Christus bekennt. Sie
ist 1. an Christus gebunden, sie lebt 2. von der Treue Gottes
und 3. von der Rechtfertigung, weil ihre eigenen Gottesbilder
nicht zutreffen, sie lebt schließlich 4. von göttlicher Heiligung,
die den Christen ermöglicht, Gott recht zu antworten, ihn zu
bekennen und zu loben.22
Alleine das
Allein das Kommen Gottes in Jesus Christus macht die
Kommen Gottes Kirche zur „wahren Religion“. Wenn sie Jesus Christus bekennt,
in Jesus Christus bekennt sie die Wahrheit. Es ist also möglich, Religion positiv
macht die Kirche zu verstehen, wenn sie nicht eigenmächtig Gottesbilder produzur „wahren
ziert. Weil Jesus Christus in die Welt gekommen ist und die
Religion“.
Kirche rechtfertigt, darum kann die Kirche auch recht antworten und Jesus Christus als Herrn und Heiland bekennen.
Von außen ist dieses Verhalten der Kirche durchaus mit
anderen religiösen Verhaltensweisen verwechselbar, deswegen
kann sie für empirische Maßstäbe auch keine Besonderheit
oder gar Höherwertigkeit beanspruchen. Darin ist die Kirche
dem, den sie bekennt, gleich. Jesus Christus ist mit empirischen
Maßstäben gemessen keine herausragende Figur. Ja, es ist gerade
das Kennzeichen Gottes, sich verwechselbar zu machen, indem
G. Plasger, Das Bild und die Bilder
57
er selber Mensch wurde. Die Kirche lebt von dieser Menschwerdung Gottes. Sie ermöglicht der Kirche, wahre Religion
zu werden. Und eigentlich ist gerade dies der Höhepunkt der
Barthschen Religionskritik: Das Nein zur menschlichen Religion ist nicht selbständig, sondern bekommt ihr Licht vom Ja
der Kirche zur Kondeszendenz Gottes.
Genau diesem Gedankengang innerhalb des Paragrafen 17
entspricht Barths letzter argumentativer Teil der Siegener PreDas
digt. Das „Entscheidende zu diesem Gebot“23 ist nicht das
Nein, sondern die Erkenntnis, dass Jesus Christus das Ebenbild
Entscheidende
des unsichtbaren Gottes ist: Gott selbst hat sich zu erkennen
am zweiten
gegeben. Diesem Sich-zu-erkennen-geben Gottes entspricht der
Gebot ist nicht
das Nein,
menschliche Glaube, der in Jesus Christus das Ebenbild Gottes
sondern die
„sieht“ und deshalb also nicht auf andere Bilder Gottes angewiesen ist. Es ist kein Sehen mit den natürlichen Augen, es ist Erkenntnis, dass
Jesus Christus
das Sehen des Glaubens: „verborgen im Kreuz, eingeschlossen
24
im Wort.“ In Person und Werk Jesu Christi ist Gott selber das Ebenbild des
erschienen. Das Nein zu den Gottesbildern steht nach Barths
unsichtbaren
Auffassung in der Predigt deshalb so kräftig da, weil Gott „uns
Gottes ist.
25
in Jesus Christus gnädig ist“ .
Es ist also deutlich zu erkennen, dass sich Barths Auslegung des
Bilderverbots sachlich im Umfeld der Religionsthematik befindet. In doppelter Hinsicht ist das deutlich. Einmal negativ: Die
Gottesbilder besitzen in sich keine Stärke oder Notwendigkeit,
vielmehr sind sie wie alle menschlichen Versuche, an Stelle der
Offenbarung Gottes eigene Vorstellungen zu setzen, „nicht-notwendig“ und „schwach“. Barths Predigt will die Gottesbilder
entlarven helfen. Und positiv ist auch gleiches zu sehen: Ebenso
wie die Kirche zur wahren Religion werden darf, wenn sie durch
Jesus Christus ermächtigt ihn als Herrn und Heiland anerkennt
und bekennt, so ist diese Selbstkundgabe Gottes in Kreuz und
im Wort das, was der Glaube an Stelle der Gottesbilder von
Gott „zu sehen“ bekommt.
58
reformierte aktente 5
Christlicher und jüdischer Umgang mit dem Bild und
dem Bilderverbot. Karl Barth im Gespräch mit Micha
Brumlik
Eine
christologische
Interpretation
des Bilderverbots
scheint der
vermuteten
Nähe zum
Judentum im
Wege zu stehen.
Während man das Bilderverbot zu den Konstitutiva des Judentums rechnen kann, so keineswegs zu den Charakteristika des
Christentums. Frühe dogmatische Entscheidungen in der Alten
Kirche haben dazu geführt, dass die Bilderstürmer der bilderverehrenden Tradition unterlegen waren. Auch die lutherische Reformation hat diesbezüglich nur kleinere Änderungen
vorgenommen. Die reformierte Konfession ist ihrerseits davon
geprägt, dass sie ebenso wie das Judentum das Bilderverbot
in ihrer Mitte hochhält. Von daher lassen sich inhaltliche
Annäherungen zwischen Judentum und reformierter Kirche
vermuten. Hinsichtlich Karl Barths ist aber ebenso zu sehen,
dass seine Argumentation hinsichtlich des Bilderverbots strikt
christologisch ist. Eine christologische Interpretation des Bilderverbots scheint aber der vermuteten Nähe zum Judentum im
Wege zu stehen.
Es erscheint mir deshalb reizvoll, eine neuere jüdische Interpretation des Bilderverbots mit Barth ins Gespräch zu bringen.
Micha Brumliks Arbeit zum Bilderverbot ist 1994 unter dem
Titel: „Schrift, Wort und Ikone. Wege aus dem Bilderverbot“26
erschienen. Nach ihm unterscheiden sich Christentum und
Judentum nicht nur zufällig in Sachen Bilderverbot. Vielmehr
bringt der Umgang mit dem Bild unterschiedliche kulturelle
Grundprinzipien ans Licht, die sich vom Ansatz her gegenüberstehen. Seine These ist, dass sich die Kulturen entweder auf den
grundlegenden „Modus der Rede und Wechselrede, des Lesens
und Schreibens“27 beziehen oder aber auf den des „Bildens
und Schauens“28. Das erste Referenzsystem ist nach Brumlik
im jüdischen Denken vorhanden, das zweite im christlichen
Abendland, Brumlik nennt es „Philosophie“, weil es auf den
Monotheismus Platos zurückgeht. Während das Christentum
in seiner Begegnung mit griechischer Philosophie und deren
G. Plasger, Das Bild und die Bilder
59
Übernahme das philosophische Denken Platos integriert hat,
geht das Judentum historisch auf den in der gleichen Zeit entstandenen Monotheismus zurück, wie er in der josianischen
Reform des siebten vorchristlichen Jahrhunderts erkennbar ist:
dort steht das Buch der Gesetze Gottes im Mittelpunkt. Der
platonische Monotheismus zielt darauf, Gott nicht als handelndes Subjekt zu verstehen, sondern als Idee, als Inbegriff des
Das jüdische
Wahren und Guten, als Prinzip. Das jüdische Denken hingegen
sieht in Gott den handelnden, den barmherzigen und gerechten Denken sieht in
Gott den
Herrn, der sich in die Geschichte hinein begibt. Gott im platonischen Monotheismus ist in Begriffen benennbar, von Gott handelnden, den
barmherzigen
in jüdischem Denken kann nur in Geschichten und Berichten
und gerechten
erzählt werden. Einher mit der Möglichkeit, von Gott erzählen
zu können, geht nach Brumlik die Aufwertung der Schrift – das Herrn, der sich
Judentum ist zur Buchreligion geworden. Plato hingegen sieht in die Geschichte
hinein begibt.
in der Schrift im Wesentlichen die Funktion der „Erinnerung“
an der Schrift vorgängige und übergeordnete Dimensionen, die
auch anders als schriftlich wiedergegeben werden können, so
etwa im Bild. Entscheidend für Plato ist nach Brumlik nicht die
Schrift, sondern ihre Funktion; sie soll der Seele helfen, sich der
Ewigkeit zu vergewissern. Das aber kann auch ein Bild.
In der frühen Kirche nun fand nach Brumlik die Integration
der platonischen Philosophie ins Christentum statt. Im byzantinischen Bilderstreit im achten und neunten Jahrhundert wird
deutlich, dass mit der Frage, was Ikonen abbilden, nicht das
Ereignis und die Geschichte als solche, sondern die Frage nach
der hinter den Bildern und hinter den Geschichten liegenden
eigentlichen Wirklichkeit, also nach dem Prinzip, relevant wird.
Damit aber sieht Brumlik den Siegeszug platonischer Philosophie im Christentum beginnen, der es bis heute mit seinem Bilderreichtum bestimmt.
Brumlik stellt jüdisches Denken und griechische Philosophie einander gegenüber und damit auch Judentum und Christentum.
Und in seinem Buch beschreibt er nach der grundsätzlichen
Gegenüberstellung beider Formen des abendländischen Mono-
60
reformierte aktente 5
theismus einzelne wesentliche Züge, die das jüdische Bilderverbot kennzeichnen.
Es ist hier nicht der Ort, Brumliks Geschichtsentwurf im
Detail darzustellen. Er sieht einen Gegensatz zwischen Judentum
und Christentum. Gleichzeitig ist Barth ein christlicher Theologe,
der dem Bilderverbot einen hohen Stellenwert einräumt. Zu fragen
ist also, ob Brumliks geistesgeschichtliche Gegenüberstellung
so pauschal zutrifft. Hier lautet meine These, dass Brumlik in
wesentlichen Erkenntnissen zuzustimmen ist; hinsichtlich der
Person und Theologie Barths jedoch ist diese Regel durchbrochen und es ist eine größere Annäherung jüdischer und christlicher Theologie erkennbar.
In der inhaltlichen Ausführung der jüdischen Eigenart des
Bilderverbots charakterisiert Brumlik zwei Bedeutungen des
jüdischen Bilderverbot-Verständnisses stark. Einmal sei das Bilderverbot nicht dazu da, die Bilder zu verbieten, sondern sie
zu schützen. Und zum zweiten sei der Mensch als Bild Gottes
nicht ontologisierend zu verstehen, sondern als sich in der Spur
Gottes befindend – das Bilderverbot habe also eine antimetaphysische und ethische Stoßrichtung. Auf beide Bedeutungen
gehe ich im Folgenden näher ein.
Zur ersten These: Das Bilderverbot als Schutz der Bilder
„Gerettet
wird das Recht
des Bildes
in der treuen
Durchführung
seines Verbots.“
Brumlik greift hier auf Bemerkungen von Max Horkheimer
und Theodor Adorno zurück, die in ihrer „Dialektik der
Aufklärung“29 formuliert haben: „Gerettet wird das Recht des
Bildes in der treuen Durchführung seines Verbots.“30 In diesem
paradox klingenden Satz sieht Brumlik die „Lehre von der
Unverfügbarkeit des Gestaltlosen“31 ausgedrückt – das Verbot,
sich die Unverfügbarkeit Gottes zu Nutz machen zu wollen. Die
Freiheit Gottes ebenso wie die menschliche Hoffnung stehen
nach Brumlik auf dem Spiel, wenn Gottes „Barmherzigkeit
und Menschenfreundlichkeit“32 in optischer Weise dargestellt
werden. Das Bilderverbot schützt Gottes Freiheit ebenso wie
G. Plasger, Das Bild und die Bilder
die menschliche Hoffnung, indem gerade die Unverfügbarkeit
im Mittelpunkt steht. Adorno und Horkheimer nennen das
„Entmächtigung der Magie vermöge ihrer eigenen Kraft“33.
Aber worin besteht das „Recht des Bildes“? Wie soll
angesichts des Bilderverbotes das Bild gerade zu seinem
Recht kommen? Adorno und Horkheimer formulieren: „Die
bestimmte Negation verwirft die unvollkommenen Vorstellungen des Absoluten, die Götzen, nicht wie der Rigorismus,
indem sie ihnen die Idee entgegenhält, der sie nicht genügen
können. Dialektik offenbart vielmehr jedes Bild als Schrift.“34
Damit wird das Bild in seine wahre Funktion eingesetzt. Bilder
sind zu interpretierende Bilder, die nicht höher zu bewerten
sind als Schrift, die nicht eindeutiger sind als Schrift. Das
Bilderverbot verwehrt den Bildern, mehr zu sein, als sie sein
können. Sie können nämlich gar nicht eindeutig sein. „Daß
man sich kein Bild, nämlich keines von etwas machen soll, sagt
zugleich, kein solches Bild sei möglich.“35 „Du sollst dir kein
Bildnis machen“ heißt dann letztlich: „In Wirklichkeit kannst
du dir kein Bildnis machen, also mühe dich nicht ab mit letztlich aussichtslosen Versuchen.“
Das Bilderverbot schützt die Bilder davor, mehr zu sein, als
sie sein können; es will die Menschen davor bewahren, sich vergeblich abzumühen – und es möchte die Menschen auch davor
schützen, zu meinen, sich Gott verfügbar zu machen.
Deshalb ist mit Brumlik auch das im Alten Testament
erwähnte Bilderverbot nicht damit erklärt und letztlich darum
ausgehebelt, weil dort anthropomorphe Gottesaussagen zu
finden sind. Vielmehr sind die vorhandenen „Bilder“ Gottes im
Alten Testament nicht Gottesbilder im definierenden Sinn.
Gott handelt wie ein Mensch, ohne das Aussehen eines
Menschen zu tragen. „Ohne sich ein Bild von Gott zu machen,
beteten die Juden zu ihm als einer der Gefühle mächtigen
Person.“36 Die für das Alte Testament anthropomorphe Sprache identifiziert Gott „nicht als leibliche, sichtbare und endliche Person“, aber er erscheint doch „als ein der Gefühle fähiger,
beeinflußbarer Akteur.“37
61
Das
Bilderverbot
schützt die
Bilder davor,
mehr zu sein,
als sie sein
können.
62
Barths Theologie
ist geprägt von
der Betonung
der Freiheit
Gottes.
reformierte aktente 5
Diese Paradoxie ist gar nicht so schwer nachvollziehbar.
Wenn wir beispielsweise Geschichten lesen oder hören, formen
sich beim Lesen oder Hören innere Bilder der Phantasie. Wenn
nun eine Verfilmung eines Buches stattgefunden hat, so wird
der Leser bzw. Hörer im Regelfall eine Einschränkung seiner
vorher gemachten inneren Phantasie empfinden; eine Normierung der Wirklichkeit findet durch den Film statt, der man sich
nur im Ausnahmefall wird entziehen können.38
Diese von Brumlik gemachte Differenzierung von Antropomorphismen im Alten Testament und Gottesbildern wird in
exegetischen Studien bestätigt. So weist Jürgen Ebach beispielsweise darauf hin, dass das Bilderverbot die Unverfügbarkeit
Gottes betont, die mit Bildern, aber beispielsweise auch mit
dogmatischen Sätzen negiert werden kann. Biblische Gottesbilder seien statt dessen als „Gottesbilder im Wandel“ zu verstehen, weil sie Gott nicht festlegen oder einengen wollen.39
Ist das bei Barth auch so? Geht es dort auch um den Schutz
der Bilder? In der Siegener Predigt jedenfalls klingt es nicht so,
dort wird ein anderer Akzent gelegt. Aber es gibt sachlich doch
deutliche Entsprechungen. Barths Theologie ist geprägt von der
Betonung der Freiheit Gottes. Das eint ihn auf den ersten Blick
schon einmal mit der Intention des Bilderverbots in Brumliks
Sicht. Es lässt sich nun ausgehend von dieser Betonung die gleiche Denkfigur bei Barth auch finden, wie sie Brumlik ausgehend von Horkheimer und Adorno benennt: Die Bilder werden
geschützt durch das Bilderverbot.
Diese Entsprechung findet sich bei Barth im Zusammenhang mit dem Begriff der Erfahrungen, die Menschen mit Gottes Wort machen. Brumlik und Adorno betonen, dass Gottesbilder nur als Gott nicht festlegende Bilder verstanden werden
dürfen. Bei Barth gilt dies entsprechend für Erfahrungen. Erfahrungen werden dann dogmatisch problematisch, wenn sie zu
Definitionen Gottes werden. Wenn Erfahrungen aber gar nicht
als Definitionen dienen, werden sie gewürdigt, Erfahrungen
und nicht mehr zu sein. Erfahrungen vom Worte Gottes werden
geschützt, wenn sie nicht überhöht werden.
G. Plasger, Das Bild und die Bilder
Im ersten Teilband der Kirchlichen Dogmatik diskutiert
Barth nach der grundsätzlichen Aussage, dass Gott sich dem
Menschen in seinem Wort offenbart und also zu erkennen
gibt, die Frage, wo denn Menschen diese Offenbarung erfahren
können, wo sie also in ihrem Leben eine Begegnung mit dem
Worte Gottes erfahren. Und auffällig ist hier, dass Barth, anders
als vielleicht vermutet, nicht die Erfahrung generell ausschließt,
sondern sie weitest möglich freigibt. Ausdrücklich wendet er sich
gegen bestimmte Festlegungen von Erfahrungsmöglichkeiten.
Eine Präferenz für irgendeine Erfahrung, sei es im Gewissen
oder im Willen, sei es im Intellekt und also im Verstand oder
sei es im Gefühl, ist nicht möglich – kein Ort wird von Barth
ausgeschlossen, an dem eine Gotteserfahrung möglich ist, auch
nicht die Mystik. Vielmehr kann Barth die Möglichkeit der
Erfahrung des Wortes Gottes auf alle nur denkbaren menschlichen Bereiche ausdehnen, „ohne grundsätzliche Hervorhebung und ohne grundsätzliche Zurückstellung dieser oder jener
menschlichen Möglichkeit.“40 Menschen können Gott auf allen
Ebenen und in allen Bereichen erfahren, nichts darf ausgeschlossen sein. Auch die Mystik beispielsweise wird hier als
möglicher, aber zugleich nicht exklusiver Ort gewürdigt. Das
heißt insgesamt gesehen, dass Barth den Bereich der Gotteserfahrung so weit wie nur möglich öffnet – jedem Menschen ist
eine Erfahrung des Wortes Gottes möglich.
Aber eine Frage schließt sofort daran an. Gibt es Möglichkeiten, hier eine echte von einer unechten Erfahrung zu scheiden? Kann mit Sicherheit gesagt werden, ob eine Erfahrung
wirklich eine Erfahrung des Wortes Gottes ist oder doch nur eine
Erfahrung eigener Vorstellungen und Gedanken? Und Barth
argumentiert strikt: Nein, es kann hier nicht mit Sicherheit das
Echte von Unechtem geschieden werden. Verwechslungen sind
möglich und finden statt. Nicht jede Erfahrung, die der Mensch
als Erfahrung des Wortes Gottes ausgibt, ist auch eine solche.
Deshalb ist die Betonung, dass Menschen alle nur denkbaren
Gotteserfahrungen machen können, nicht ausreichend. „Nein,
gerade die Sicherheit, deren die Dogmatik, die kirchliche Ver-
63
Kein Ort
wird von Barth
ausgeschlossen,
an dem eine
Gotteserfahrung
möglich ist,
auch nicht
die Mystik.
64
„Das Wort
Gottes wird
erkennbar,
indem es sich
erkennbar
macht.“
reformierte aktente 5
kündigung und die Kirche selbst hinsichtlich der Möglichkeit
der Erkenntnis des Wortes Gottes bedarf, wird hier nicht zu
erreichen sein.“41 Menschen machen Erfahrungen des Wortes
Gottes; diese sind und bleiben aber zweideutig. Das heißt auf
der anderen Seite, dass die Erfahrungen, die Menschen machen,
nicht zur Verifikation des Wortes Gottes herangezogen werden
können. Es geht kein Weg von den Erfahrungen hin zum Wort
Gottes, weil der (sündige) Mensch nach Barth nicht in der Lage
ist, das Wort Gottes zu umfassen und vollständig zu erfassen:
„homo peccator non capax ... verbi divini“42. Wenn die menschliche Erfahrung aber nicht die Sicherheit bieten kann, die die
Kirche benötigt, um verkündigen zu können, braucht sie etwas,
das mehr ist als menschliche Erfahrung. Dieses „mehr“ sieht
Barth im Glauben und dem dem Glauben entsprechenden
Bekenntnis. Im „Glauben haben Menschen wirkliche Erfahrung
vom Worte Gottes“43. Glaube ist aber nicht zu identifizieren
als menschliche Erfahrung, auch wenn der Mensch im Glauben
Erfahrungen macht. Die Erfahrung als solche bleibt zweideutig. Sicherheit gibt es für die Kirche und ihre Verkündigung
dann, wenn der Gegenstand des Glaubens verkündigt wird.
„Der Beweis des Glaubens besteht in der Verkündigung des
Glaubens. Der Beweis der Erkennbarkeit des Wortes besteht im
Bekenntnis dazu.“44 Das heißt letztlich, dass die nötige Sicherheit für die Kirche nicht in der Erfahrung, sondern im Bekenntnis zum Worte Gottes besteht. Sicherheit hat die Kirche dann,
wenn sie auf Jesus Christus verweist. „Das Wort Gottes wird
erkennbar, indem es sich erkennbar macht.“45
Damit sind die Erfahrungen, die Menschen von Gott
machen, keineswegs unmöglich. Sie müssen auch nicht unechte
Erfahrungen sein – von vornherein misstrauisch zu sein ist hier
nicht angesagt. Nur zweierlei vermögen die Erfahrungen nicht.
Sie vermögen weder das Wort Gottes zu fassen noch vermögen
sie den Beweis zu geben, ob sie zutreffende und also verlässliche
Erfahrungen sind. Erfahrungen bleiben zweideutig. Indem sie
aber zweideutig bleiben, werden sie von Barth nicht ausgeklammert, sondern geschützt.
G. Plasger, Das Bild und die Bilder
65
Das Bilderverbot in der Interpretation von Adorno und
Horkheimer bedeutet den Schutz der Bilder, den Schutz aller
Bilder – weil sie nicht den Anspruch haben, Definition bieten
Gotteszu können, grenzen sie Gott und seine Freiheit nicht ein. Goterfahrungen
teserfahrungen sind menschliche Gottesbilder; Barth würdigt
sie darin, dass sie möglich sind. Ihre Grenze besteht darin, dass sind menschliche
Gottesbilder;
sie keine Definition Gottes bieten können, dass Gott nicht
Barth würdigt
von ihnen erschlossen werden kann. Wer von den Erfahrungen
her dogmatische und also verbindliche Aussagen machen sie darin, dass sie
möglich sind.
will, kommt zu problematischen und zuweilen häretischen
46
Schlüssen . Weil aber das Wort sich im Wort selber zu erkennen gibt, darum werden die Erfahrungen geschützt, indem sie
nicht überhöht werden. Gerade indem sie der Sphäre des Zweideutigen und also Überholbaren nicht entrissen werden, bleiben
sie menschliche Erfahrungen. Das Verbot, aufgrund menschlicher Erfahrungen Gott erkennen und benennen zu können,
schützt die Erfahrung davor, mehr zu sein als sie sein können.
Zur zweiten These Brumliks: Die ethische Absicht des
Bilderverbots
Neben der vorhin thematisierten Dimension des Bilderverbots,
das die vorhandenen Bilder schützt, weil es sie nicht überhöht,
betont Brumlik einen weiteren Akzent als jüdische Eigenart des
Umgangs mit dem Bild. Hier greift Brumlik auf Überlegungen
des 1995 verstorbenen französischen jüdischen Philosophen Emanuel Levinas zurück. Ich erinnere an die Grundthese Brumliks,
das Christentum sei durch platonische metaphysische Bewegrichtung charakterisiert, wohingegen das Judentum aus einer
anderen Quelle trinke. Hinsichtlich der Anthropologie werde
diese Unterscheidung auch erkennbar, wenn vom Menschen als
Bild Gottes gesprochen werde. Bild Gottes, verstanden in platonischen Denkstrukturen, heißt, dass der Mensch Abbild Gottes
und Gott selber somit Urbild ist. Wenn der Mensch aber Abbild
eines Urbildes ist, oder anders gesagt: wenn er Gottes Ikone
66
Der christliche
Ikonenglaube
setzt nach
Brumlik die
christliche
Inkarnationstheologie voraus.
reformierte aktente 5
ist, dann ist Gottes Abbildbarkeit im Menschen möglich. In
der christlichen Kirche wurde im Ikonenstreit zu Gunsten der
Ikonen votiert und für die Abbildbarkeit Gottes gerade als Argument gebracht, dass Gott selber in Jesus Christus Mensch geworden ist und dieser Mensch ja abbildbar ist. Der christliche Ikonenglaube setzt nach Brumlik deshalb die christliche Inkarnationstheologie voraus47. Historisch ist diese Begründungsstruktur
zutreffend, und gerade Martin Luther hat in seiner Diskussion
um das Bilderverbot die Inkarnation als Beleg für die NichtGültigkeit des Bilderverbots gebraucht.48
Dieser metaphysischen Spekulation stellt der jüdische Philosoph Levinas nun – in Brumliks Augen das Bilderverbot radikalisierend – eine dynamische und ethisierende Anthropologie
entgegen: „Der Gott, der vorbeigegangen ist, ist nicht das
Urbild, von dem das Antlitz das Abbild wäre. Nach dem Bilde
Gottes sein heißt nicht, Ikone Gottes sein, sondern sich in
seiner Spur befinden. ... Zu ihm hingehen heißt nicht, dieser
Spur, die kein Zeichen ist, folgen, sondern auf die Anderen
zugehen, die sich in der Spur halten.“49
Nach Levinas geht es in der Rede vom Menschen als Abbild
Gottes nicht um eine ontologische Aussage über die menschliche Natur, sondern sie zielt auf des Menschen Handeln: Der
Mensch ist in eine bestimmte Funktion eingewiesen.50 Aber es
ist auch nicht möglich, daraus einen ontologischen Rückschluss
auf Gott und Gottes Sein zu ziehen – Levinas ist Kritiker jeglicher Metaphysik. Und doch ist bei Levinas – das hat Brumlik
schön herausgearbeitet – damit keine Beschränkung auf eine
reine immanente Ethik vorhanden. Denn er entwickelt in seiner
Ethik beispielsweise keine Theorie der Gerechtigkeit, die dann
bestimmte Ableitungen ermöglichte oder forderte. Vielmehr
sieht Levinas im Gesicht des Anderen einen Anspruch, ein
Gebot entstehen: „Das Gesicht des Nächsten bedeutet mir eine
unabweisbare Verantwortung, die jeder freien Zustimmung,
jedem Pakt, jedem Vertrag vorausgeht.“51 Von daher sieht
Brumlik wohl zu Recht Levinas in den Spuren des biblischen
und rabbinischen Judentums.52 Und so kann er resümierend
G. Plasger, Das Bild und die Bilder
67
sagen: „Letzten Endes beglaubigt er (sc. Levinas) aber nur die
Erfahrung des Judentums, daß Gott im geschriebenen und
gemeinsam zu lesenden Buch seinen Ort hat.“53
Levinas beruft sich nicht auf Gott, den Brumlik aber in
der Unbedingtheit des Anspruchs bei Levinas im Hintergrund
anwesend erkennt. Levinas entwickelt aus dem Bilderverbot
und dem vorhandenen Anspruch an den Menschen, Bild Gottes
zu sein, ein ethisches Verständnis: Bild Gottes sein heißt, auf
den Wegen Gottes zu wandeln.
Es ist nun zu fragen, ob sich hier wie im vorher genannten
Fall der Bewahrung des Bildes im Bilderverbot eine Analogie
bei Barth finden lässt. Levinas zufolge ist das Christentum im
Unterschied zum Judentum daran interessiert, aufgrund der
Inkarnation das Bilderverbot aufzugeben. Wir haben Barth als
jemanden kennen gelernt, der in Aufnahme reformierter Tradition das Bilderverbot anerkennt und beibehalten will. In der
Predigt zu Exodus 20 ist zu sehen, dass bei Barth die Erkenntnis
Jesu Christi als Ebenbild Gottes nicht zur Aufhebung, sondern
zur Bekräftigung des Bilderverbots dient: Weil Gott erschienen
ist, weil Jesus Christus Gottes Ebenbild ist, kann kein anderes
Bild an diese Stelle treten. Aber die Rede von Jesus Christus als
dem Ebenbild Gottes hat noch andere Implikationen. Denn in
Jesus Christus als dem Ebenbild Gottes wird anderen Bildern
nicht nur die Fähigkeit abgesprochen, Gott abzubilden. Sondern darüber hinaus ist das auch eine positive Aussage hinsichtlich der Anthropologie. Denn als Mensch bildet Jesus Christus
Gott ab. „Er ist im menschlichen Raum im gleichen Sinn ...
auf dasselbe Ziel ausgerichtet wie sein Vater im himmlischen.
In ihm geschieht dessen Wille auf Erden, wie er im Himmel
geschieht. In seiner Lebenstat siegt, behauptet und offenbart
sich der Friede der Schöpfung. ... In Ihm siegt, behauptet und
offenbart sich aber darüber hinaus der Friede des Bundes, die
Solidarität Gottes mit dem Menschen. ... er tut, was im Bunde,
der Treue Gottes entsprechend, vom Menschen als Tat seiner
Treue gefordert und erwartet ist“54. Jesus Christus ist der gehor-
Weil Jesus
Christus Gottes
Ebenbild ist,
kann kein
anderes Bild
an diese Stelle
treten.
68
reformierte aktente 5
same, der wahre Mensch. Er ist derjenige, der die Thora erfüllt,
der dem Gebot Gottes entsprechend lebt und handelt, der als
Mensch ganz in den Spuren Gottes wandelt. Er ist der wahre
Mensch. Das sind die begnadigten Sünder bei Barth nicht, sie
sind Menschen, die aufgrund ihrer Sünde nicht in der Lage
sind, die Thora zu erfüllen. Aber die Betonung der Differenz ist
die eine Seite. Darüber hinaus ist nämlich zu fragen, inwiefern
dieses eine Bild eine Entsprechung bei den anderen Menschen
hat. Dies bejaht Barth ausdrücklich: „Ist dieser Eine ihr Heiland und Erretter – er, dessen Menschlichkeit darin besteht, an
ihre Stelle zu treten, sein Leben für sie hinzugeben – und ist
er eben darin das geschöpfliche Bild Gottes selber, wie sollten
diese dann Wesen sein, in deren Menschlichkeit dieses Bild einfach abwesend, nicht mindestens vorgebildet und angezeigt wäre
– sie, die doch desselben Gottes Geschöpfe und als solche zur
Bundesgenossenschaft mit ihm bestimmt sind?“55 Es besteht
nicht nur eine Differenz zwischen dem Sohn Gottes und den
anderen Menschen. Vielmehr ist bei allen Menschen, weil er an
die Stelle aller anderen Menschen getreten ist, das Bild Gottes
da, wenn auch nicht in gleicher Weise. „Hier ist ein gemeinsames, eine Gleichheit trotz und in aller Ungleichheit vorausgesetzt: zwischen Jesus und den anderen Menschen nicht nur,
sondern ... auch zwischen Gott und den Menschen überhaupt
und im allgemeinen.“56 Daraus entwickelt Barth aber keine
ontologische Spekulation, sondern er akzentuiert hier den Menschen als Mitmenschen, der darin dem Bild Gottes entspricht,
Mitmensch zu sein. Auch die ethischen Dimensionen erwachJesus Christus
sen hieraus, die wahre Humanität des Menschen gerade in
als das eine
Ebenbild Gottes seiner Mitmenschlichkeit zu sehen.
Damit ist eine vielleicht überraschende Analogie zu Gedanlädt nicht zur
Spekulation über ken von Levinas aufgestellt. Dieser hatte gesagt, die Rede vom
Seinsfragen ein, Menschen als Bild Gottes verweise den Menschen an die Spur
sondern ruft den Gottes. Und letztlich ist es bei Barth ebenso: Jesus Christus als
Menschen in die das eine Ebenbild Gottes lädt nicht zur Spekulation über Seinsfragen ein, sondern ruft den Menschen in die Nachfolge Jesu.
Nachfolge Jesu.
Jesus Christus als Ebenbild Gottes zu sehen heißt ihn als den
G. Plasger, Das Bild und die Bilder
zu sehen, der der wahre Mitmensch ist. Seine Nachfolger sind
eingeladen und aufgefordert, diese Mitmenschlichkeit zu leben,
ohne sie kopieren zu können. Damit aber weist die Rede von
der Ebenbildlichkeit Gottes bei Barth auch auf den Weg, den
Menschen nicht isoliert, sondern im Miteinander zu sehen: „Ein
Mensch ohne Mitmensch oder ein Mensch, der dem Mitmenschen von Haus aus gegensätzlich oder neutral gegenüberstünde,
oder ein Mensch, für den die Mitexistenz seines Mitmenschen
nur untergeordnete Bedeutung hätte, wäre ein solches Wesen,
das dem Menschen Jesus eo ipso radikal fremd gegenüberstehen
würde, dessen Heiland und Erretter er nimmermehr sein
könnte.“57 Fast bis in Formulierungen hinein zeigen sich hier
frappante Übereinstimmungen zwischen Barth und Levinas,
auch wenn andere grundlegende Differenzen nicht geleugnet
oder nivelliert werden dürfen. Aber beide sehen die Aussage
des Menschen als Bild Gottes und das Bilderverbot nicht im
Widerspruch zueinander stehen, sondern in deutlicher Zuordnung. Der Mensch als Bild Gottes ist keine ontologisch zu verstehende Abbildung Gottes, sondern ruft zur Nachfolge Gottes
auf.
Es hat sich also gezeigt, dass die von Brumlik behauptete
Differenz von Judentum und Christentum zumindest hinsichtlich Barths Auslegung des Bilderverbots nicht bestätigt werden
kann. Stattdessen finden sich bei Barth überraschende und oft
auch frappante Übereinstimmungen und Entdeckungen mit
jüdischen Anliegen und Interpretationen.
Sowohl bei Barth wie auch bei der jüdischen Deutung
Brumliks geht es nicht in erster Linie um das Nein, das das Bilderverbot auf den ersten Eindruck beinhaltet. Beide kommen
her vom Ja, von der Verheißung. Das Bilderverbot will dem
Menschen helfen, ihn nicht einengen.
Das wird in mehreren Schritten bei Barth erkennbar.
Der Mensch als Bild Gottes ist nicht so zu verstehen, als
sei damit das Bilderverbot aufgehoben. Der im Christentum
immer wieder verbreiteten Auffassung, als sei mit dem abbild-
69
Der Mensch
als Bild Gottes
ist keine
ontologisch zu
verstehende
Abbildung
Gottes, sondern
ruft zur
Nachfolge
Gottes auf.
70
reformierte aktente 5
baren Jesus Christus das zweite Gebot zu verabschieden, widerspricht Barth: Der Gedanke vom Menschen als Bild Gottes zielt
auf Mitmenschlichkeit, nicht auf Spekulation über das Sein des
Menschen oder Gottes.
Die alttestamentlich vorhandene scheinbare Spannung zwischen Bilderverbot und Anthropomorphismen ist bei Barth in
der Diskussion des Erfahrungsbegriffs aufgenommen worden:
Gotteserfahrungen sind dann problematisch, wenn sie zu Definitionen Gottes werden; in prinzipiell jeder Gotteserfahrung
eine Handlung Gottes erkennen zu können dagegen eine theologische Tugend.
Den Tenor des Bilderverbots kann Barth deshalb in Zusammenhang mit der Diskussion des Religionsbegriffs aufnehmen.
Wenn Bilder Gottes zu definitorischen Aussagen verkommen,
sind sie Ausdruck des Unglaubens. Gott redet in seinem Wort –
und deshalb ist den Bildern Nicht-Notwendigkeit und Schwäche
hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Gottesbilder zu sein, zu testieren.
Das Bilderverbot ist nicht einzugrenzen auf die Frage, ob
in der Kirche Bilder sein dürfen oder nicht – diese Frage kann
einen gesetzlichen Anstrich bekommen. Vor allem dann, wenn
sie aus den theologischen Zusammenhängen herausgelöst isoliert verstanden wird. Hier hat Barth sehr bedachtsam das Bilderverbot als evangelisches Gebot herausgearbeitet, dem bleibende Weisheit zukommt.
Anmerkungen
1 H. Erhart, Von der Zeichenhandlung im Bildersturm zum Bilderverbot. Das Beispiel
Genf, in: Die Evangelisch-reformierte Kirche in Nordwestdeutschland. Beiträge zu ihrer
Geschichte und Gegenwart, hg. v. E. Lomberg, G. Nordholt u. A. Rauhaus, Weener 1982,
403-408.
2 AaO., 407.
3 AaO., 407.
4 Zur historischen Einordnung der Synode vgl. Sigrid Lekebusch, Die Reformierten im
Kirchenkampf, Köln 1994, 222-244.
G. Plasger, Das Bild und die Bilder
71
5 So interpretiert beispielsweise Friedrich Middendorf die Predigt als politisch gegen
„Hammer und Meissel“ und theologisch gegen Gottesbilder „mit Pinsel und Farben“
gerichtet. Vgl. Lekebusch, aaO., 225.
6 Vgl. ausführlich dazu G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl
Barth, Neukirchen 2000, 197-211.
7 K. Barth, Predigt über 2. Mose 20,4-6, in: Karl Barth, Vier Predigten (=ThExh 22),
München 1935, 36-45, 36.
8 Im Heidelberger Katechismus heißt es in Frage und Antwort 98: „Dürfen aber nicht die
Bilder als der Laien Bücher in den Kirchen geduldet werden? Nein; denn wir sollen nicht
weiser sein als Gott, welcher seine Christenheit nicht durch stumme Götzen, sondern durch
die lebendige Predigt seines Wortes unterwiesen haben will.“ Zitiert nach: Der Heidelberger
Katechismus. Neubearbeitung der Jubiläumsausgabe 1963, Detmold / Leer 1979.
9 AaO., 37.
10 Ebd.
11 AaO., 38.
12 Ebd.
13 Es ist interessant, dass Luther hier ganz anders als Barth argumentiert. Luther relativiert
das Bilderverbot mit dem Hinweis, dass der Mensch in seinem Herzen immer Bilder produziere, Barth bezieht es gerade darauf. Vgl. E. Busch, Das Bilderverbot und die MedienWelt, in: C. Maier, R. Liwak, K.-P. Jörns (Hgg.), Exegese vor Ort. FS für Peter Welten zum
65. Geburtstag, Leipzig 2000, 47-63, 47.
14 K. Barth, Predigt über 2. Mose 20,4-6, aaO., 39.
15 K. Barth, Kirchliche Dogmatik I/2, 329.
16 AaO., 330.
17 Vgl. zur Diskussion z.B. K. Nürnberger, Glaube und Religion bei Karl Barth. Analyse
und Kritik der Verhältnisbestimmung zwischen dem christlichen Glauben und den anderen christlichen Religionen in § 17 der ‚Kirchlichen Dogmatik‘ Karl Barths, Diss. Marburg
1967; W. Krötke, Der Mensch und die Religion nach Karl Barth (ThSt 125), Zürich 1981;
O. Herlyn, Religion oder Gebet. Karl Barths Bedeutung für ein ‚religionsloses Christentum‘, Neukirchen 1979; C. Link, Das menschliche Gesicht der Offenbarung. Bemerkungen zum Religionsverständnis Karl Barths, in: KuD 26, 1980, 277-302; C. Dahling-Sander / G. Plasger, Hören und Bezeugen. Karl Barths Religionskritik als Hilfestellung im
Gespräch mit den Religionen, Waltrop 1997.
18 Vgl. KD I/2, 344ff. Dazu siehe auch C. Dahling-Sander / G. Plasger, Hören und
Bezeugen, aaO., 19-24.
19 K. Barth, Predigt über 2. Mose 20,4-6, aaO., 41.
72
reformierte aktente 5
20 AaO, 45. Sachlich ist hier übrigens eine Parallele mit dem vieldiskutierten Spruch
Barths zu sehen, dass er statt der Christologie Christus meint. Vgl. E. Busch. Karl Barths
Lebenslauf, München 1975, 426.
21 Hier spielt Barth auf die Diskussion an, dass das Christentum als die „beste“ aller Religionen anzusehen sei, eine im 19. Jahrhundert weitverbreitete Auffassung.
22 Barth nennt diese vier Verhältnisse: creatio continua, electio continua sowie Akte
göttlicher Rechtfertigung und Heiligung. Vgl. Karl Barth, Kirchliche Dogmatik I/2,
379-397.
23 K. Barth, Predigt über 2. Mose 20,4-6, aaO., 41.
24 AaO, 42.
25 AaO, 42.
26 Frankfurt 1994.
27 M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 8.
28 Ebd.
29 M. Horkheimer / T. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente,
Frankfurt a.M. 1969.
30 AaO., 24.
31 M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 28.
32 Ebd.
33 Bei M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 29.
34 M. Horkheimer / T. Adorno, Dialektik der Aufklärung, aaO., 30.
35 T. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt a.M. 1973, 106. Vgl. G. Koch, Medientheorethische Anmerkungen zum Bilderverbot, in: M.J. Rainer / H.-G. Janßen (Hgg.), Bilderverbot (Jahrbuch Politische Theologie 2), Münster 1997, 106-120, Bilderverbot, 118.)
36 M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 60.
37 AaO., 64.
38 Hier ist wohl auch ein Grund dafür zu finden, dass Adorno und Horkheimer dem
Medium des Films skeptisch gegenüberstanden.
39 Vgl. Jürgen Ebach, Gottesbilder im Wandel. Biblisch-theologische Aspekte, in: Michael
J. Rainer / Hans-Gerd Janßen (Hg.), Bilderverbot (Jahrbuch Politische Theologie 2),
Münster 1997, 22-35.
40 KD I/1, 213.
41 KD I/1, 228.
42 KD I/1, 231.
43 KD I/1, 250.
44 KD I/1, 254.
G. Plasger, Das Bild und die Bilder
73
45 KD I/1, 260.
46 Bei Barth wird das im Herbst des Jahres 1933 augenfällig, als er es ablehnt, ein
Bekenntnis zu verabschieden. Vgl. G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei
Karl Barth, aaO., 150-165.
47 Vgl. M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 97.
48 Vgl. M. Luther, Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament,
in: M. Luther, Ausgewählte Werke (= Münchener Ausgabe) Bd. IV, München 1937²,
95-258. 117f.
49 E. Levinas, Die Spur des Anderen, Freiburg 1983, 235, zitiert nach Brumlik aaO., 97.
50 Es ist interessant zu sehen, wie gerade die neueren Deutungen in Gen 1,26f., dem klassischen Text für die Rede vom Menschen als Ebenbild Gottes, den Herrschaftsauftrag des
Menschen erkennen. Vgl. z.B. M. Weippert, Tier und Mensch in einer menschenarmen
Welt. Zum sogenannten dominium terrae in Genesis 1, in: H.-P. Mathys (Hg.), Ebenbild
Gottes – Herrscher über die Welt. Studien zu Würde und Auftrag des Menschen, Neukirchen 1998, 35-55.
51 Levinas, Jenseits des Seins, 201, zitiert nach M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone,
aaO., 104.
52 Vgl. M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 104.
53 M. Brumlik, Schrift, Wort und Ikone, aaO., 115.
54 K. Barth, KD IV/2, 186.
55 K. Barth, KD III/2, 268.
56 AaO., 269.
57 AaO., 271.