Fernsehprogramm zwischen Qualität und Quote

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Fernsehprogramm zwischen Qualität und Quote
D e r T V-A l l t a g e n t s c h e i d e t ü b e r d e n S e n d e r e r f o l g
Fernsehprogramm zwis
Das TV-Angebot wächst. Die Zuschauer lassen sich nicht mehr so leicht in Zielgruppen einteilen. Filmisch hochwertige Programme sind keine Garantie für den
breiten Zuspruch des TV-Publikums. Aber nicht nur Publikumswünsche machen eine
Qualitätsdebatte schwierig.
»Der Wurm muss dem Fisch schme-
hundert ausländische Fernsehmärkte
Kinoqualität folgen. Wenige Jahre
cken, nicht dem Angler«, hatte Helmut
verkauft werden. Um solche interna-
später war das Erfolgsprinzip aber be-
Thoma 1990 erklärt. »Qualität ist für
tionalen Zweitverwertungen sicherzu-
reits zum Erzählmuster verkommen:
uns Quote«, sagt Guillaume de Posch
stellen, muss freilich bereits in der
In der Fernsehsaison 2005 / 6 strahlten
dieser Tage. Eine Fernsehära, eine
Buchentwicklung und beim Casting
RTL, Sat.1 und das ZDF kurz hinter-
Wirtschaftskrise und eine digitale Re-
penibel darauf geachtet werden, dass
einander drei Teamworx-Produktionen
volution liegen zwischen den beiden
das fertige Produkt am Ende nicht allzu
aus, bei denen jeweils vor historischer
Äußerungen. Und doch meinen der
»deutsch« aussieht. Was für die kom-
Kulisse kitschige Dreiecksromanzen
damalige RTL-Boss und der derzeitige
merzielle Kosten-Nutzen-Rechnung
inszeniert wurden. Zwar erzielten auch
ProSiebenSat.1-Chef letztlich immer
gilt, stimmt längst auch für das öffent-
»Die Sturmflut«, »Die Luftbrücke« und
noch das Gleiche: Eine Qualitätsdebat-
lich-rechtliche Fernsehen: Aufwändige
»Dresden« Millionenquoten. Zugleich
te jenseits von Publikumswünschen
Historiendramen wie »Dresden« oder
löste der Teamworx-Hattrick aber eine
und Shareholder-Interessen kann sich
»Die Flucht« wären ohne den Auslands-
Diskussion über den adäquaten Um-
das Privatfernsehen nicht leisten. Oder
markt kaum refinanzierbar.
gang mit historischen Stoffen aus. Wie
etwa doch?
Die Produktionsfirma Teamworx
weit, so fragen sich die Historiker, darf
machte der Branche 2001 vor, wie
sich das Fernsehen um der Einschalt-
markt in den letzten Jahren in rasan-
man »weltmarktfähig« (Teamworx-Chef
quote willen von der historischen Wahr-
tem Tempo segmentiert und speziali-
Nico Hofmann) produziert und dabei
heit entfernen. Als das Produktions-
siert hat, macht es sicher nicht leichter,
Quote und Qualität selbst für einen
unternehmen Spiegel TV im dctp-
das Binnenverhältnis von Quote und
renditeorientierten Privatsender in Ein-
Kiosk nach der Sat.1-Eventproduktion
Qualität zu bestimmen. So kann es aus
klang bringt. Das von Regisseur Roland
»Der geheimnisvolle Schatz von Troja«
ökonomischer Sicht durchaus heute
Suso Richter inszenierte Sat.1-Mauer-
eine Dokumentation über den Archäo-
Sinn machen, für das vergleichsweise
drama »Der Tunnel« hatte einen für
logen Heinrich Schliemann ausstrahlte,
überschaubare Zielgruppenpublikum
damalige Verhältnisse sensationellen
musste dem Publikum zunächst klar
von ProSieben hochwertige und also
Schauwert. Andere Produzenten ließen
gemacht werden, wie wenig die
extrem kostenintensive Katastrophen-
mit »Das Wunder von Lengede« oder
Geschichte des »echten« Schliemann
filme wie »Tornado«, »Tsunami« oder
»Der Untergang«, der schon beim Dreh
»Das Inferno« herzustellen – voraus-
für die Großleinwand zur Weiterver-
gesetzt diese können dann wie in den
wertung im Fernsehen produziert wur-
oben genannten Fällen in mehr als
de, bald ähnliche Geschichtsstücke in
Dass sich der deutsche Fernseh-
chen Qualität und Quote
mit dem Indiana-Jones-Abenteurer
chen. Um der öffentlich-rechtlichen
man wieder näher ran ans (weibliche)
aus dem Sat.1-Film gemein hatte.
Verpflichtung zum gesellschaftlichen
Publikum. »Passt dieser Stoff, dieser
Diskurs dennoch nachzukommen, imple-
Regisseur, diese Hauptdarstellerin wirk-
rechtliche wie private – brauchen in
mentieren ARD und ZDF die »Problem-
lich zu uns?«, will sich Szezinski bei der
regelmäßigen Abständen millionen-
themen« in aller Regel in einer populä-
Durchsicht der neuen Skripte gefragt
schwere Leuchtturm-Produktionen, um
ren Krimireihe oder einem Genrethriller.
haben. Konsequenter denn je setzt der
Alle Programmanbieter – öffentlich-
auf sich aufmerksam zu machen. Aber
über den Sendererfolg entscheidet letztlich der TV-Alltag. »Wir verfügen über
Sat.1-Produktionen peilten zu oft Wenigseher an
Sender 2008 auf den von Marketingfachleuten ermittelten »Unique Selling
Point«, das Alleinstellungsmerkmal: Mit
probate Rezepte, um unser Stamm-
Das versiert konstruierte Genrestück ist
einer klaren auf frauenaffine Stoffe aus-
publikum zu erreichen«, gibt ZDF-Fern-
allerorten zum gut gepflegten Quoten-
gerichteten Strategie und einer Handvoll
sehspiel-Chef Hans Janke unumwun-
garanten avanciert. So konsequent wie
hauseigener »Quoten-Gesichter« wie
den zu und nennt mit »Traumschiff«,
kein anderer Sender setzt derzeit der
Sophie Schütt, Christoph M. Ohrt oder
»Rosamunde Pilcher« und »Wilsberg«
Berliner Privatsender Sat.1 auf Populä-
Alexandra Neldel will man mit dem
oder »Stubbe« die entsprechenden
res: Um der anhaltenden Senderkrise
»Großen Sat.1 Film« die Quotenerfolge
Chiffren. Im Dutzend grundversorgt der
endlich zu entkommen – Ende 2007
aus der Vergangenheit in die Zukunft
Mainzer Sender sein älteres und wenig
war der Marktanteil von Sat.1 mit 10,6
fortschreiben. »Im Seichten kann man
experimentierfreudiges Publikum mit
Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen auf
nicht ertrinken«, provozierte Helmut
dieser wenig innovativen Programm-
einem historischen Tiefstand angekom-
Thoma einst seine Kritiker. Heute kann
ware. »Wenn man originell und interes-
men –, optimierte die Programmdirek-
man immerhin mit einem ästhetisch zu
sant sein will«, so Janke, »riskiert man
tion alle anstehenden TV-Movie-Projek-
dürftigen Programm baden gehen: Beim
sofort die Reichweite, ohne dabei das
te im Hinblick auf ihre Verträglichkeit
ZDF weiß man, dass das Publikum in-
junge Publikum zu erreichen.« Gesell-
mit der Sat.1-Kernzielgruppe: Frauen
haltlich viel Schlichtes akzeptiert, wenn
schaftsrelevante Themen seien beim
zwischen 29 und 49 Jahren. Bisher
es nur gut aussieht. »Umgekehrt«, so
ZDF gerade noch quotensicher genug,
habe der Sender mit seinen Eigenpro-
Hans Janke, »funktioniert das nicht.«
um sie überhaupt realisieren zu können.
duktionen zu oft »Leute anvisiert, die
Aber das »ungemütliche«, weil sozial-
kaum Fernsehen gucken«, gibt Volker
produktion scheint die Kluft, die sich
kritische Fernsehspiel ist schnell nicht
Szezinski, Leiter der Sat.1-Programm-
zwischen dem
mehr behaglich genug, um mehr als
planung, zu. Künftig will
vier Millionen Zuschauer zu errei-
Vor allem im Bereich der Serien-
Hans Janke, Leiter Fernsehspiel beim
ZDF, sagt: »Wenn man originell und interessant sein will, riskiert man sofort die
Reichweite, ohne dabei das junge Publikum zu erreichen.«
Anspruch der Kreativen und dem
auf sein Publikum zugehen, muss
Geschmack der Zuschauer aufgetan
es sich zwangsläufig von der gesell-
hat, inzwischen unüberbrückbar groß.
schaftlichen Wirklichkeit entfernen.
Mit durchschnittlich 5,6 Millionen Zuschauern in der Gesamtbevölkerung
ist die betulich eskapistische Hospital-
Help-TV-Formate
sind Gratwanderung
serie »In aller Freundschaft« im ARD-
Interessanterweise hat sich im Bereich
Programm in absoluten Zahlen immer
der non-fiktionalen Fernsehunterhal-
noch erfolgreicher als die sperrige
tung zeitgleich der entgegengesetzte
US-Kultserie »Dr. House« bei RTL. Im
Mechanismus etabliert: Begonnen hat
letzten Jahr scheiterten viele deutsche
alles vor vier Jahren, als RTL die Mün-
Qualitätsserien an mangelndem Publi-
chner Produktionsfirma Tresor TV be-
kumszuspruch: Die RTL-Serien »Die
auftragte, eine deutsche Adaption des
Anwälte« und »Herzog« wurden nach
britischen Coaching-Formats »Super-
nur einer beziehungsweise drei Folgen
nanny« zu erarbeiten. Mit der Diplom-
abgesetzt. Sat.1 stoppte »Deadline«
Pädagogin Katja Saalfrank entwickelte
nach neun Sendeterminen, als der
RTL binnen kurzem eine televisionäre
Marktanteil in der Zielgruppe der 14-
Erziehungsberatung, in der »echte«
bis 49-Jährigen auf 6,6 Prozent abge-
pädagogische Problemfälle vor einem
sunken war. Ein Jahr zuvor waren die
Millionenpublikum gelöst werden. Für
teuer gemachten Prestigeproduktionen
die Teilnahme an der Dokutainment-
»Bis in die Spitzen« und »Blackout«
Show »Die Super Nanny« zahlt die
grandios gefloppt. Die ARD stellte
Produktionsfirma jeder Familie eine
»Elvis und der Kommissar« und »Ein Fall
Aufwandsentschädigung von 2000
für die Diskussion, wie viel wir zeigen
für Nadja« ein, das Zweite »schenkte«
Euro. Dafür lassen sich die Mitwirken-
dürfen«, erklärt RTL-Unterhaltungschef
den High-End-Serien »KDD – Kriminal-
den zwei Wochen lang dabei beobach-
Tom Sänger, hält aber mit dem Argu-
dauerdienst« und »Dr. Martin« zweite
ten, wie Familienhelferin Saalfrank mit
ment dagegen, die Verhältnisse vor Ort
Staffeln, obwohl die Quoten in beiden
ihnen an ihren pädagogischen Defiziten
nicht zu zeigen, bedeute letztlich, vor
Fällen eher unbefriedigend gewesen
arbeitet. Im Kern funktioniert die Super-
der Realität die Augen zu verschließen.
waren. Lediglich RTL konnte mit der
Nanny wie die Vorher-Nachher-Shows
Nicht zuletzt weil die familiären Pro-
Pathologenserie »Post Mortem« einen
»Einsatz in vier Wänden« oder »Woh-
bleme nach Sängers Beobachtung in
erfolgreichen Neustart verzeichnen.
nen nach Wunsch« – nur, dass es hier
den letzten Jahren zugenommen haben,
Noch mehr Quote macht der Sender
nicht um verwahrloste Wohnungen,
räumte RTL diesen sozial relevanten
aber mit den amerikanischen Origina-
sondern um ungezogene Kinder geht.
Themen mehr und mehr Sendezeit ein.
len »CSI Miami« und »CSI – Den Tätern
Wenn Saalfrank »Monster in Muster-
auf der Spur«.
kinder« verwandelt, wie es die Presse
an die Super-Nanny der Berliner Schul-
ausdrückt, sehen dabei regelmäßig
denberater Peter Zwegat auf Sendung.
fünf bis sechs Millionen Menschen zu.
Auch dieses, von der Kölner Firma
Ob Historienepos oder Serienkrimi,
ob frauenaffines Privatfernsehen oder
Im letzten Jahr ging im Anschluss
bildungsbürgerliches Gebühren-TV –
Der unerwartet große Quotenerfolg
Probono produzierte Coaching-Format
eines zeigt die Branchenentwicklung
zog bald diverse Me-Too-Projekte nach
»Raus aus den Schulden« ist eine stän-
der letzten Jahre überdeutlich: Das
sich, rief aber auch die Kritiker auf
dige Gratwanderung. Wer sich von
Publikum meidet widerständige Pro-
den Plan: Bereits nach Ausstrahlung
Zwegat helfen lässt, muss anschließend
grammangebote längst nicht mehr
der zweiten Folge kritisierte der Kinder-
damit leben, dass ihm halb Fernseh-
nur im Nachmittagsprogramm. Auch
schutzbund, die Darstellung hilfloser
deutschland ins Portemonnaie geschaut
in den filmisch hochwertigen Qualitäts-
Eltern und tobender Kinder in der
hat. Zudem macht der Schuldenberater
programmen der Primetime gilt in-
Super-Nanny sei »in besonderer Weise
seinen Klienten vor laufender Kamera
zwischen: Will das Erzählfernsehen
entwürdigend«. Er habe »Verständnis
unmissverständlich klar, dass sie sofort
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TENDENZ 1
2008
T I T E LT H E M A
Tom Sänger, Bereichsleiter Unterhaltung
ihre Konsumgewohnheiten
Show & Daytime bei RTL Television,
ändern müssen. Handy-
steht hinter seinem TV-Coaching-Konzept:
vertrag kündigen, Auto ab-
»Hohe Quote heißt in diesem Fall ja auch,
melden, Plasmabildschirm
dass sich viele Menschen für ein Problem
verkaufen: Zwegats Heils-
interessieren.«
botschaft ist mit dem werbefinanzierten Fernsehen letzt-
tung für Straßenkids untergebracht,
ohne Folgen für unsere Gesellschaft« sein
lich nur schwer vereinbar.
wo der Jugendliche den Plan fasste,
könne und forderte RTL-Geschäftsführerin
Super-Nanny Katja Saalfrank
seinen Hauptschulabschluss nachzu-
Anke Schäferkordt auf, »mit der Multipli-
hatte sich in der Anfangszeit
machen. Kurz vor seinem 18. Geburts-
katorenrolle ihres Senders verantwor-
schon mal darüber beklagt,
tag wurde David tot in seiner Woh-
tungsvoller umzugehen«. Derart mit öffent-
dass keines ihrer Beratungs-
nung aufgefunden, die Polizei geht
licher Aufmerksamkeit gesegnet, gelang
gespräche, in denen sie den
von Suizid aus. Nun lebt der »Fernseh-
der Castingshow dann ein besonders guter
exzessiven Fernsehkonsum
star« David im Internet weiter: Die
Start: Insgesamt schalteten 6,2 Millionen
der Familie kritisierte, je den
Homepage, die seine Mutter für ihren
Zuschauer ein. In der jungen Zielgruppe
Weg in die Sendefassung fand.
toten Sohn einrichtete, zählt mehr als
(14 bis 29 Jahre) registrierten Bohlen und
13 000 Klicks.
seine Kritiker einen Marktanteil von be-
Seit RTL mit dem Streetworker Thomas Sonnenburg (»Die
Auch die junge Alkoholikerin Jenny
Ausreißer«) und der Familien-
ist seit »ihrer« Sendung eine lokale Be-
therapeutin Annegret Fischer
rühmtheit geworden. Wurde sie früher
Noble (»Teenager außer Kontrol-
von Passanten häufiger getreten, kann
le«) noch zwei weitere Einzelfall-
sie sich nun »beim Schnorren im Mc-
helfer engagiert hat, spricht die
Donalds vor Cheeseburgern kaum noch
Presse anerkennend vom »Sozial-
retten«, wie TV-Streetworker Sonnen-
staatsfernsehen allererster Güte«
burg die Wirkmacht seiner Sendung
(Spiegel). RTL-Unterhaltungschef
recht plastisch beschreibt. Was wäre
Sänger weist den damit formu-
das Sozialstaatsfernsehen ohne Ein-
lierten Anspruch zurück: »Soziale
schaltquote? »Ich finde es aufrichtig,
Relevanz ist eine grundlegende
was wir da tun«, verteidigt TV-Manager
Kategorie in unserem Programm.
Sänger sein TV-Coaching-Konzept.
Wir greifen gesellschaftlich relevante
»Hohe Quote heißt in diesem Fall ja
Themen auf und gehen dabei im Ein-
auch, dass sich viele Menschen für ein
zelfall sehr nah ran. Wir gehen diesen
Problem interessieren.«
Weg gemeinsam mit kompetenten
merkenswerten 45,1 Prozent.
Bevor sich die RTL-Zuschauer für die
Experten wie Frau Saalfrank oder Herrn
Probleme jugendlicher Ausreißer interes-
Sonnenburg. Es irritiert mich ein we-
sierten, haben sie sich freilich für die
nig, wenn man von uns als Fernseh-
vielen Hoffnungsvollen und Unbegabten
sender deshalb gleich erwartet, die so-
interessiert, die sich vergeblich bei der
ziale Verantwortung für gesellschaft-
RTL-Castingshow »Deutschland sucht
liche Missstände zu schultern.«
den Superstar« (DSDS) bewarben. Mehr
Zumindest im Einzelfall des 17-jäh-
als je zuvor war das Format zum Staffel-
rigen Davids könnte da aber schon ein
start im letzten Jahr in die Kritik geraten.
direkter Zusammenhang bestehen: Der
Mit abfälligen Bemerkungen gegenüber
Jugendliche war der erste gewesen,
den jungen Bewerbern wie »Wisst ihr, was
dessen Schicksal der Streetworker Tho-
der Unterschied zwischen euch und einem
mas Sonnenburg in dem neuen RTL-
Eimer Scheiße ist? Der Eimer«, hatte DSDS-
Format »Die Ausreißer« vorgestellt hat-
Juror Dieter Bohlen den Jugendmedien-
te. In 45 Minuten zeigte die Dokusoap
schutz auf den Plan gerufen. Der evangeli-
eine Entwicklung, die sich in Wahrheit
sche Bischof Wolfgang Huber warf dem
über Monate hinweg erstreckt hatte:
Pop-Produzenten »Verletzung der Menschen-
Sonnenburg hatte David in Hamburg
würde« vor. Der Deutsche Kulturrat prophe-
auf der Straße kennen gelernt und in
zeite anlässlich der aktuellen Staffel, dass
Berlin in einer pädagogischen Einrich-
»diese Form medialer Massenverrohung nicht
7
TENDENZ 1
2008
T I T E LT H E M A
Sehdauer von ARD, ZDF, ARD III, RTL,
Sat.1 und ProSieben nach Bildung
überziehen, ihn lächerlich zu
TV« noch ein klar umrissenes
machen und dies als gesell-
Programmfeld, das in seiner Bereit-
schaftlich gewollt darzustellen.
schaft zum Tabubruch von der soft-
Was bei DSDS gezeigt wird, ist
pornografischen Busenshow »Tutti-
eine rücksichtslose Selektion
Frutti« bis zum jugendgefährdenden
von Bewerbern, die im Alltag
Konfrotalk reichte und von den Auf-
unüblich ist. Es ist also keines-
sichtsbehörden auf die Kriterien des
wegs so, dass hier übervorsich-
Rundfunkstaatsvertrages hin geprüft
30
tige Medienwächter das Fern-
werden konnte.
20
sehprogramm beschneiden
10
wollen.« Ausschlaggebend bei
angebote sind nun in viele Richtungen
der Beurteilung der KJM war,
hin deutungsoffen, auch das Millio-
70
dass es bei DSDS nicht nur um
nenpublikum, das sie einschaltet, ist
60
singuläre Entgleisungen einer
nicht so leicht ausrechenbar wie bisher
50
Einzelperson geht, sondern um
gedacht. Die langjährige Annahme,
40
eine bewusste Inszenierung
das Privatfernsehen bediene mit seinen
30
durch RTL. Außerdem kritisier-
oft geschmacklosen Unterhaltungs-
20
te die KJM, dass der TV-Sender
programmen vor allem bildungsferne
10
trotz wiederholter Aufforde-
Schichten, während die gut gebildeten
0
rungen das Format nicht vor
Mittelschichtzuschauer in die öffentlich-
der Ausstrahlung der Freiwilli-
rechtliche Röhre gucken, ist seit dem
gen Selbstkontrolle Fernsehen
letzten Jahr endgültig wissenschaftlich
zur Prüfung vorgelegt hatte.
widerlegt. In ihrer Langzeituntersu-
40
»Fünf Jahre KJM haben ge-
chung kommen die Medienwissenschaf-
30
zeigt, dass sich das Modell der
tler Jörg Hagenah und Heiner Meu-
20
Ko-Regulierung zwar bewährt
lemann zu einem eindeutigen Ergebnis:
10
hat, die Selbstkontrolle aber nur
Das »Unterschichtfernsehen« gibt es
dann wirksam ist, wenn ord-
nicht. Vielmehr sehen letztlich alle alles
nungspolitische Steuerungs-
– und sei es nur, um am nächsten Tag
instrumente zur Verfügung ste-
bei der Arbeit mitreden zu können. Ein-
hen«, betont Ring.
zige Ausnahme ist ProSieben, dem die
von 1988 bis 2007 pro Tag in Minuten
0 1 2 3 4 5 6 7
88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 00 00 00 00 00 00 00
19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 2 2 2 2 2 2 2 2
Sehdauer in Minuten / Tag
70
60
Personen mit Abitur /Hochschulstudium
50
40
Sehdauer in Minuten / Tag
0
Personen mit mittlerer Reife
Sehdauer in Minuten / Tag
70
60
Personen mit Hauptschulabschluss
50
0
0 1 2 3 4 5 6 7
88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 00 00 00 00 00 00 00
19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 2 2 2 2 2 2 2 2
ARD
ZDF
ARD III
RTL
Sat.1
ProSieben
Geschmacksfragen sollen
Und nicht nur die neuen Fernseh-
Forscher aufgrund einer leichten Zunah-
seiner Auffassung nach nicht
me der Abiturienten im Publikum eine
(2007) AGF/ GfK Fernsehforschung, pc#tv, Fernsehpanel (D),
unter dem Thema »Senkung
»schwache Bewegung vom Unter-
BRD gesamt ab 1.1. 2003, Erwachsene ab 14 Jahre, die Jahre
von Jugendschutzstandards«
schichtsender zum Oberschichtsender«
2005 bis 2007 ergänzt durch BLM
behandelt werden: Jugend-
bescheinigen. Die meisten Zuschauer
medienschutz und Programm-
haben sich aber ein »duales Nutzungs-
Quelle: Hagenah J. / Meulemann H.: Unterschichtfernsehen ?
Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) verhängte gegen RTL
ein Bußgeld in Höhe von 100 000 Euro.
Begründung: Bei der Ausstrahlung im
Tagesprogramm kommt es aufgrund
qualität müssten unbedingt differen-
verhalten« angewöhnt: Man informiert
ziert betrachtet werden.
sich bei ARD, ZDF oder den Dritten und
Heutiges Fernsehen
nicht mehr trennscharf
entspannt bei den Privaten. Auch deshalb schalten alle alle Programme ein.
Allein die Sehdauer ist tatsächlich über
der Inszenierung durch RTL zu einer
Ob Familienzwist in der Super-Nanny
die Jahre hinweg bildungsspezifisch
Entwicklungsbeeinträchtigung von
oder Catwalk-Dramen bei »Germany’s
messbar unterschiedlich. Ansonsten
Kindern unter 12 Jahren. »Antisoziales
Next Topmodel«, ob Lebenshelfer Bruce
teilen sich die Sender mit nicht weit
Verhalten einer vermeintlichen Identifi-
Darnell in der ARD oder Dschungel-Dar-
auseinander liegenden Anteilen und mit
kationsfigur wird als Normalität darge-
ling Bata Illic bei RTL – die Grenzen zwi-
von Bildungsgruppe zu Bildungsgruppe
stellt. Das wirkt Erziehungszielen wie
schen U und E, zwischen bitterem Ernst
nur leicht variierender Rangfolge den
Toleranz und Respekt entgegen und
und postmoderner Unterhaltung, sind
Markt: Während Zuschauer mit Abitur
wirkt desorientierend auf Kinder«, er-
im modernen Zielgruppen-Fernsehen
oder Hochschulstudium länger öffent-
klärt der KJM-Vorsitzende Wolf-Dieter
längst nicht mehr so trennscharf auszu-
lich-rechtlich fernsehen, liegen bei
Ring. »Es ist alles andere als normal,
machen wie zu Helmut Thomas Zeiten.
den Zuschauern mit mittlerer Reife, bis
einen Bewerber mit Schimpfwörtern zu
In den neunziger Jahren war das »Pfui-
auf eine führende Nutzung von RTL,
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TENDENZ 1
2008
T I T E LT H E M A
Schneider in seinem
Inhalte,
die RTL nicht aus eigenem
FAZ-Papier, passe eine solche Stiftung Medientest viel besser »zu der
die Öffentlich-Rechtlichen täglich nur
Interesse distribuiert, machen im Netz
anschwellenden Mutation von Fern-
knapp vor den Privaten. Beim Publikum
Quote. So war das Video, auf dem
sehinhalten zu Produkten – vor allem
mit Hauptschulabschluss haben ins-
Dschungelcamp-Kandidat DJ Tomekk
dort, wo Fernsehen seine Funktion der
gesamt die öffentlich-rechtlichen Pro-
zu sehen war, wie er den Hitlergruß
Beratung – im guten wie im denkbar
gramme einen deutlichen Vorsprung vor
zeigt und die erste Strophe der deut-
übelsten Sinne – ausübt«.
den privaten, ähnlich wie bei den Abitu-
schen Nationalhymne singt, bei Bild.de
rienten. Das heißt: Bildung ist auch im
abrufbar und wurde an dem Tag, an
Institut wurde bereits beauftragt, eine
Fernsehkonsum nicht alles. Viele andere
dem RTL DJ Tomekk aus der Live-
erste Machbarkeitsstudie für eine Stif-
lebensweltliche Faktoren, so bilanzieren
Sendung warf, zum meistgeklickten
tung Medientest vorzulegen. Gerne
Hagenah und Meulemann, beeinflussen
Bewegtbild des Jahres.
würde die LfM ein stimmiges Konzept
wesentlich deutlicher das Konsumverhalten von TV-Zuschauern. So wird in
Ostdeutschland deutlich mehr fern-
Ein Lösungsansatz:
Stiftung Medientest
Das renommierte Adolf-Grimme-
zum Kölner Medienforum im Sommer
präsentieren. Viele Fragen müssen freilich noch geklärt werden, bevor das
gesehen als im Westen, und auch die
Aber auch das Fernsehen selbst ist in
»hochriskante Unterfangen« (Norbert
individuellen Lebensstile der Zuschauer
seinen (digitalen) Nischen zum Tum-
Schneider) der Öffentlichkeit vorgestellt
sind für ihr Medienverhalten von ent-
melplatz für allerlei dubiose Anbieter
werden kann. Soviel ist für den LfM-
scheidender Bedeutung.
geworden. Die wachsende Vielfalt stellt
Direktor aber schon jetzt klar: »Wir
die Aufsichtsbehörden vor immer grö-
werden an derjenigen Stelle des Pro-
der Zuschauer zu einer Ware gewor-
ßere Herausforderungen, zweifelhafte
gramms anfangen, wo das Fernsehen
den, deren Wert nicht mehr allein auf
Waren und Inhalte zu prüfen. Nachdem
am meisten ›Produkt‹ ist.« Das heißt
dem Fernsehmarkt gehandelt wird.
die Frankfurter Allgemeine Zeitung im
bei den kommerziellen Lebenshilfean-
Auch in diesem Punkt haben sich alte
Sommer 2007 eine ausführliche Repor-
geboten in den Programmnischen wie
Grenzen aufgelöst, seit die TV-Veran-
tage über die »Geschäfte mit der Astro-
Help-TV oder Astro-TV, wo die Zuschau-
stalter ihr Programm als begehrtes »Be-
logie im Fernsehen« druckte, regte
er die angebotenen guten Ratschläge
wegtbild« auf divesen Internetportalen
Norbert Schneider, Direktor der Lan-
mit Telefon-Hotlines teuer erkaufen
wie MyVideo oder YouTube vermarkten.
desanstalt für Medien Nordrhein-West-
müssen.
Mit rund einer Milliarde Videoabrufe ver-
falen (LfM) an, über die Einrichtung
zeichneten die Plattformen von RTL.de,
einer »Stiftung Medientest« nachzu-
schenverachtenden Sprüchen Quote
Vox.de, Clipfish.de und RTLnow.de
denken. Sie solle, so Schneider, »eine
macht, ein Historiendrama um der bes-
zum Beispiel im letzten Jahr eine Stei-
permanente Produktbewertung vor-
seren internationalen Verkäuflichkeit
gerung von 670 Prozent. Die populären
nehmen« und »die Medien mit der
ahistorisch erzählt oder ein populäres
hauseigenen Fernsehproduktionen wie
Frage nach Qualität behelligen«. Be-
Verbrauchermagazin wie »Die Abzocker
»Deutschland sucht den Superstar«
reits 1994 hatte die so genannte Weiz-
– Das sind ihre Tricks« sich zum Teil mit
oder »Ich bin ein Star – Holt mich hier
säcker-Kommission in ihrem Bericht
Telefongewinnspielen zu erhöhten Ein-
raus!« haben dort selbstverständlich
»Zur Lage des Fernsehens« die Grün-
wahlgebühren refinanziert, wird daran
eigene prominent beworbene Foren, in
dung eines hochkarätig besetzten Me-
auch eine wie immer ausgestaltete Stif-
denen die »Highlights« der Programme
dienrates oder einer Stiftung Medien-
tung Medientest so bald nichts ändern
– vom schimpfenden Dieter Bohlen bis
test nach dem Vorbild der »Stiftung
können. Denn »mit dem klassischen
zur Känguruhoden essenden Barbara
Warentest« angeregt. Damals war das
Fernsehen«, so Schneider, »wird sich
Herzsprung – für jedermann auf Abruf
Ansinnen aber von allen Seiten abge-
die Stiftung Medientest sicher nur am
bereitgehalten werden. Aber auch
lehnt worden. Dieser Tage, so Norbert
Rande beschäftigen.« Klaudia Wick ●
Mit Web 2.0 ist die Aufmerksamkeit
9
TENDENZ 1
2008
T I T E LT H E M A
Wenn also Dieter Bohlen mit men-