Carmina Burana (vertont von Carl Orff) Carmina - Schulen

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Carmina Burana (vertont von Carl Orff) Carmina - Schulen
Carmina Burana (vertont von Carl Orff)
Carmina Burana, d.h. Lieder aus Benediktbeuren, weil sich die grosse mittelalterliche Sammlung
lateinischer Dichtung und deutscher Verse im Besitz des bayerischen Klosters Benediktbeuren fand, ehe
sie im Jahre 1803 nach München gebracht wurde. Sie kam damals, wie der grösste Teil der
Handschriftenschätze, der säkularisierten (verweltlicht) bayerischen Klöster in die Kurfürstliche
Hofbibliothek. In deren Nachfolgerin, der bayerischen Staatsbibliothek, befindet sich der Kodex heute
unter der Signatur clm4660 und 4660a. Die meisten C.B. sind im 12. und im frühen 13. Jahrhundert
entstanden. Wie der Kodex (die Handschrift) nach Benediktbeuren kam, weiss man nicht; Aber es steht
fest, dass er nicht dort geschrieben wurde. Er dürfte vielmehr in der Steiermark, vielleicht am Hof eines
Bischofs von Sekau zwischen 1220 und 1250 entstanden sein (andere Theorie (neuere): Neustift bei
Brixen als Entstehungsort). Hinweise auf die Datierung ergeben sich vor allem aus der Schrift und dem
Bilderschmuck der Handschrift. Diese Handschrift ist als Auftragsarbeit eines grossen Herrn entstanden –
und nicht etwa als Liederbuch eines Vaganten (umherziehender Student oder Kleriker im MA), wie man
einmal vermutet hatte. Mit einem Wort charakterisiert könnte man sie als "Bänkelbuch (Liederbuch) des
Mittelalters" bezeichnen. Erstmals gedruckt wurde der Buranus im Jahre 1847 von Johann Andreas
Schmeller.
Die Gedichte des Buranus, dieser mittelalterlichen Sammelschrift sind in vier grosse Abteilungen
geordnet:
1. Satirische Dichtungen
2. Liebeslieder
3. Trink- und Spielerlieder
4. Geistliche Spiele
Nicht ganz unwahrscheinlich ist, dass es auch eine Abteilung geistlicher Dichtung gab, die in dem
verlorenen Anfangsteil der Handschrift gestanden haben könnte.
Die meisten Lieder sind mittellateinisch abgefasst, in der Sprache der gebildeten Leute dieser Zeit.
Dieses Latein unterscheidet sich von der "klassischen" Sprache Caesars und Ciceros durch eine grössere
grammatische und stilistische Freiheit (aber nicht Regellosigkeit) und durch die Möglichkeit neuer
Wortbildungen. Diese Sprache war sehr flexibel: Ob in der Wissenschaft oder Poesie oder der schlichten
Erbauungs- und Erhaltungsliteratur, als Sprache der Kirche und der hohen Politik, des Gebets und der
Lyrik, überall, von Irrland bis Kalabrien und von Portugal bis Polen, diente dieses Mittellateinisch als
übernationales Ausdrucks- und Verständigungsmittel.
Diese Sprache ist es gewesen, die der mittelalterlichen Welt über Nationalitäten und Volkssprachen
hinweg ihre geistige Einheit bewahrt hat. Neben die vorwiegend mittelalterlichen Gedichte, treten solche,
die mittelhochdeutsch abgefasst sind (Orff 8, 9, 10) oder sich einer Mischsprache Mittelhochdeutsch –
Latein bedienen (Nr. 7, 18), wobei die mittelhochdeutsche Strophe die vorangehende lateinische
paraphrasierend übersetzt (Nr. 7) oder den Gedanken selbständig (selbstständig) weiterführt (Nr. 18) oder
aber das Latein verschmilzt mit dem ihm noch nahestehenden Altfranzösisch (Nr. 16) zu einer amüsanten
Einheit. Diese Eigenheit zusammen mit der unterschiedlich mit der sorgfältigen Behandlung der
lateinischen und der mittelhochdeutschen Sprache und der Metrik zeigen, dass die Lieder nach Zeit und
Herkunft sehr verschieden sind.
Formen
Die Carmina Burana enthalten sowohl rhythmische (Rhythmi) als auch metrische (Versus) Gedichte.
Die metrische Dichtung misst die Silben nach Längen und Kürzen. Dieses quantitierende System ist der
antiken Dichtung eigen. In den Carmina Burana treten nur Hexameter und Distichen (Hexameter +
Parameter) auf, eine der Neuerungen der mittelalterlichen metrischen Dichtung war der Reim. (Die
Hexameter wiesen vor allem den leoninischen Reim auf, in dem die Penthemimeres (= Zäsur nach der
dritten Hebung) mit dem Versschluss reimt; Daher nennt man einen Hexameter mit dieser Art von
Binnenreim „leoninischen Vers“ (nach dem 9. Jahrhundert)).
Contra vim mortis non est medicamen in hortis.
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1
[Gegen die Gewalt des Todes gibt es kein Kraut (Heilmittel) in den Gärten.]
Amor medicabilis nullis herbis.
[Die Liebe ist durch keine Kräuter heilbar.]
Die rhythmische Dichtung ordnet den Vers nach der Folge betonter und unbetonter Silben
(akzentuierendes System). Die Worte werden mit dem natürlichen Wortakzent gelesen – oder, besser
gesagt, gesungen.
Denn weitaus der grösste Teil der rhythmischen Dichtung war gesungen. Alle von Orff ausgewählten
Gedichte zählen Silben, nicht Quantitäten. Die bekannteste der rhythmischen Strophen ist die
Vagantenstrophe. Ihren Namen hat die Strophe daher, dass sie besonders in der "Vagantendichtung"
benutzt wurde. Sie besteht aus vier Vagantenzeilen mit Endreim. Die Carmina Burana enthalten
zahlreiche Beispiele, als berühmtestes die Vagantenbeichte der Archipoeta (1163), Carmen Nr. 11 bei
Orff: vier gleichreimende Langzeichen (a a a a) mit steigendem Siebensilbler, fallendem Sechssiblbler.
Beispiel: Aestuans interius, ira vehementi.
Inhalte der Dichtung
1) moralisch – satirische Gedichte
Das häufigste Thema der moralisch-satirischen Gedichte ist der Tadel der Habgier und eine erstaunlich
weitgehende Kritik an der kirchlichen Obrigkeit. Besonders harte Hiebe musste dabei die römische Kurie
einstecken, die allzu willig vom Aufschwung der Geldwirtschaft im 12. Jahrhundert profitierte.
Besonders attackiert wird die Simonie (Ämterkauf), der Kauf geistlicher Ämter; erwähnt werden auch
Zeitereignisse wie die Niederlage der Christen im heiligen Land im Jahre 1187, die Eroberung Jerusalems
durch Saladin im selben Jahr (1187) und die Kreuzzüge (1095-1291).
Geistige Unabhängigkeit und der Mut zu Meinungsfreiheit sind nicht erst Erfindungen der Renaissance,
der Aufklärung oder des 19. Jahrhunderts, sondern seit der Antike konstitutive Züge des Abendlandes.
Aber so scharf die mittelalterliche Satire, Päpste und Kirchenleute auch angriff, stets galt der Angriff den
Personen, die ihr Amt missbrauchten, in keinem Fall aber der Institution an sich. Diese war sakrosankt
(unantastbar). Hierin liegt ein grundsätzlicher Unterschied zur Kritik der Reformatoren, zum Beispiel
Luthers.
2) Liebeslieder
Die grösste Abteilung der Carmina Burana bilden die Liebeslieder. Die Fülle unbedenklicher, erotischer
Dichtung ist erstaunlich. Die mittellateinische Liebesdichtung hat im 12. Jahrhundert noch keine lange
Tradition. Schüchtern sind die Anfänge im 10. Jahrhundert, im 11 Jahrhundert stellt sich ein vereinzeltes
Aufblühen ein, aber erst nach der Mitte des 12. Jahrhunderts tritt uns ihre Fülle entgegen. Das steht sicher
im Zusammenhang mit einer Wandlung des Lebensgefühl, die gefördert wurde durch eine verstärkte
Beschäftigung mit dem römischen Dichter Ovid einem Meister der lateinischen Liebeselegie
(Selbstaussage Ovid: "tenerorum lusor amorum" einer, der mit zarter Liebesdichtung spielt).
a) Frühling und Liebe
Der Winter war für die Menschen des Mittelalters etwas schreckliches: Die Fenster schlossen nicht dicht,
es mangelte an warmen Öfen, hellem Licht, ausreichender Ernährung und Kleidung. Um so begeisterter
wurde der Einzug des Frühlings mit seinen lauen Lüften, dem frischen Gras und dem belebenden
Vogelgesang gefeiert. All diese Frühlingsschönheiten sind so viel besungen worden, dass sie zu Formeln
erstarrten. Die Schilderung des Frühlings am Gedichtanfang ist so stereotyp geworden, dass man einen
Fachausdruck prägte: Man spricht vom Frühlingseingang. Der Frühling weckt die Liebe und ihre
Freuden werden bald ganz allgemein besungen, bald werden auch mindestens vordergründig, ganz
persönliche Liebeserlebnisse in Verse umgesetzt. Der individuelle Erlebnisgehalt der mittelalterlichen
Liebesgedichte darf im allgemeinen nicht als sehr hoch veranschlagt werden. Die meisten Namen sind,
wie in der antiken Liebeselegie, fingiert. Am häufigsten wird der Name der Flora erwähnt.
b) Militia Veneris, Kriegsdienst für Venus
Der Apostel Paulus spricht vom "Streiter Christi" (2. Timotheusbrief 2.3: "Sicut bonus miles Christi
Jesu." ("Wie ein guter Soldat von Jesus Christus.")). Dieses Bild vom Kriegsdienst wurde auf die Liebe
übertragen ("Militat omnis amans et habet sua castra Cupido." (Ovid, amores 1.9.1) ("Im Kriegsdienst
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steht jeder, der liebt und sein Kriegslager hat Cupido (= Amor)"). Wer für Amor oder Venus Ritterdienst
tut, erhofft sich Sold (stipendium) oder einen Siegespreis (brarium).
Die fünf Stufen der Liebe
In manchen der Carmina Burana ist ein Schema zu erkennen, nach dem eine Liebesbeziehung sich zu
entwickeln habe.
1.
2.
3.
4.
5.
Anblick
Gespräch
Berührung
Kuss
actus, agere
Im Gegensatz zu höfischen Minnedichtung steht der körperliche Genuss durchaus im Vordergrund. In
manchen Schilderungen der Liebe geht die Verführung des Mädchens gewaltsam zu und her.
In den Carmina Burana fällt ein diesseits gerichteter Sinn auf, der sich mit erstaunlicher Freiheit
ausspricht. Dass ein Mensch im 12. und 13. Jahrhundert keine moralischen und religiösen Schranken
gelten lassen will –und sei es auch nur in einem Gedicht–, läuft mancher gewohnter Vorstellung zum
Mittelalter zuwider. "Natur befiehlt, ihn nicht zu folgen wäre ein Verbrechen: Dieser Satz Serlos von
Wilton spricht aus vielen Carmina Burana mitunter mit ausdrücklichen Worten. Petrus von Blois bekennt,
dass er in jungen Jahren gemeint habe: Alles ist erlaubt!" ("Nichil est exclusum!"). Ein anderer ruft aus:
"Machen wir es den Göttern gleich...tun wir, was uns gefällt." ("Imitemur superos! Voto nostro
serviamus!"). Unbezähmbare Weltlust spricht aus der Beichte des Archipoeta.
Ständiger Widerstreit zwischen Idealität und Realität, darunter zwischen Geist und Materie, darunter
zwischen Weltverachtung und Weltlust.
animus + anima = animal
Asketische Weltauffassung: Cui mundus est iucundus, suam perdit animam. ("Wem die Welt
willkommen, verliert sein Geist.")
(Bernhardt von Clumi im 12. Jahrhundert)
Hedonismus: Venter deus meus erit. ("Der Bauch wird mein Freund sein.")
(Anonymus im 13. Jahrhundert)
3) Trink und Spielerlieder
Neben den Liebesliedern sind es die bekanntesten Gedichte der Carmina Burana. In ihnen zeigt sich die
Kehrseite einer Welt der festgefügten Ordnung. Hemmungslos wird gespielt, bis der Spieler bis aufs
Hemd ausgezogen ist, hemmungslos wird getrunken, bis der Trinker auf der Strasse liebt.
4) Die geistlichen Spiele
Die Spiele bilden die letzte grosse Abteilung. Zwei von ihnen gehören zum ursprünglichen Bestand der
Handschrift, vier weitere sind nur wenig später, jedenfalls noch im 13. Jahrhundert, hinzugefügt worden.
Die Geschichte dieser Spiele begann spätestens im 10. Jahrhundert mit einer kurzen dialogischen
Erweiterung zum Text des österlichen Frühgottesdienstes.
Mythologie
Ein auffallender Zug vieler Gedichte ist der unbefangene Umgang mit den heidnischen Gestalten der
antiken Mythologie, man betet sogar zu den antiken Götter, feiert ihre Feste und verspricht ihnen Opfer.
Die alten Götter werden als Gefahr nicht mehr ernstgenommen, als Bildungsgut und als poetisches
Kunstmittel dafür um so höher geschätzt.
Die Kleriker und Vaganten
In den Carmina Burana begegnet uns recht oft die Bezeichnung "clerici". Dass sind oft keine Kleriker in
unserem heutigen Sinn, keine geistlichen Herren sondern "literati", akademisch Gebildete und Studenten,
die sich die Grundlagen der damaligen lateinischen Bildung und etwas von den höheren Wissenschaften
angeeignet haben oder die dabei sind, es zu tun. Vielfach besassen sie die niederen Weihen, doch nicht
einmal das war unbedingt erforderlich, um Kleriker zu sein. Es genügte, wenn ein Bischof "Habit" und
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"Tonsur" verlieh. (Rest der alten Würde des Schreibenkönnens: franz. clerc, engl. clerk; Schreiber). Sein
Auskommen fand der Kleriker, wenn er es zu einer Pfründe (praebenda) brachte. Sie bestand in den
Einkünften aus dem mit einem Kirchenamt verbundenen Vermögen. Das Amt bestand zum Beispiel in
der Mitgliedschaft in einem Domkapitel und war im günstigsten Fall mit kleinen weiteren Pflichten
verbunden, als mit der Teilnahme am Chorgebet und der Verpflichtung, am Sitz des Kapitels Wohnung
zu nehmen (Residenzpflicht). Selbst hiervon konnte man sich durch eines Vikars befreien und sich ganz
den Wissenschaften –oder der Verwaltung des Pfründenvermögens widmen. Dass eine Jagd auf fette
Pfründen einsetzte, versteht sich von selbst. Wem es nicht gelang zu einer Pfründe zu kommen, wer keine
Stelle als Vikar oder Kaplan fand, der konnte auf der Landstrasse enden. Dann blieb nur noch die Bettelei
übrig. Zu diesen abgesunkenen Klerikern (Gelehrtenproletariat) gesellten sich gescheiterte vergammelte
Studenten. Man hatte für sie die Bezeichnung "vagantes", "Goliarden" und andere. Nur ein ganz kleiner
Teil der sogenannten Vagantendichtung dürfte auf sie zurückkehren. Die grosse Menge der Liebes-,
Trink-, Spielerpoesie, d.h. der Studenten und Studierten, aber wohl solcher, die nicht zum Vaganten
abgesunken sind.
Die Dichter
Die Carmina Burana sind, wie ein grosser Teil der mittelalterlichen Dichtung, ohne die Namen ihrer
Verfasser niedergeschrieben. Angaben in der Parallelüberlieferung und die bisherige Erforschung der
mittelalterlichen Literatur haben es aber ermöglicht, dass man das Gedicht seinem Autor zurückgegeben
werden konnte. So findet man einige der bedeutensten Dichter des lateinischen Mittelalters in der
Sammlung vertreten. Der grösste Teil der Carmina Burana gehört der literarischen Epoche an, die man
die "Renaissance des 12. Jahrhunderts" genannt hat. Die berühmtesten unter ihnen sind Hugo von Orléans
(um 1160) mit dem Beinamen Primas, der Archipoeta ("Seine Dichtung verdient ihren Platz in der
Weltliteratur.") und Walter von Châtillon (geb. 1135 in Lille).
Die Musik
Die Carmina Burana sind nur zum kleinen Teil mit Melodien überliefert und diese Melodien erst noch in
der Form von Neumen, die ohne Linien auszukommen habe, also nur den ungefähren Melodienverlauf
angeben, nicht aber die genauen Tonschritte, so dass aus ihnen die Weisen nicht gelesen werden können.
Das ist um so bedauerlicher, da die Musik dieser Dichtungen ein wesentlicher Teil des Kunstwerks war.
Zum Glück bieten zeitgleiche Parallelhandschriften zu einzelnen Liedern lesbare Noten. Diese zum Teil
mehrstimmigen Aufzeichnungen bewahren die genaue Tonfolge der Melodien. Man kann sie mit den
linienlosen Neumen vergleichen und dabei mit einiger Wahrscheinlichkeit die Übereinstimmung oder
Verschiedenheit der Weisen feststellen. Das Ergebnis: Immerhin knapp ein halbes hundert Lieder (von
rund 300, die der Kodex enthält), die mehr oder weniger mittelbar zu erschliessen waren. Diese Melodien
kann man in Aufführungen und Aufnahmen wieder hören. Wie nah diese den Liedern des 12. und 13.
Jahrhunderts nahekommen, lässt sich kaum sagen.
Hingegen versuchen die Carmina Burana Carl Orffs nicht, die überlieferten Melodien zu verwenden. Sie
historisieren nicht. Carl Orffs Werk ist es zu verdanken, dass die Carmina Burana bis heute weit über den
Kreis der Kenner mittelalterlicher Literatur und Kultur hinaus bekannt sind.
Quelle: http://www.hausarbeiten.de/rd/archiv/latein/latein-carminaburana-theorie.shtml
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