Schlepp-Netz

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Schlepp-Netz
Automobiltechnik
Tr a n s p o r t
Schlepp-Netz
Wer Fahrzeuge birgt, abschleppt oder transportiert,
verfängt sich schnell im Netz von Gesetzen und
Verordnungen, die nicht explizit für dieses Gewerbe
erlassen wurden. Ein Einblick, kein Überblick.
G
esetze und Verordnungen
zum Bergen, Abschleppen
und Transportieren von Fahrzeugen
füllen im Büro von Josef Waldschütz
40 Aktenordner. Der Inhaber einer
freien Werkstatt im oberbayerischen
Irschenberg an der Autobahn A8 ist
zugleich Pannenhilfs-, Bergungs- und
Abschleppdienstleister. „Zuerst will
ich einen falschen Sprachgebrauch
aufklären“, beginnt das Gespräch mit
AUTO SERVICE PRAXIS: „Wer ein
defektes oder verunfalltes Fahrzeug
auf einem Plateaufahrzeug überführt
(vgl. Bild oben; Anm. d. Red.), schleppt
nicht ab, sondern transportiert.“
In der Tat ist ein Abschleppwagen
eine selbst fahrende Arbeitsmaschine
mit Kran oder Hubbrille, allerdings
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ohne Ladefläche und auch ohne die
Option, einen Anhänger mitzuführen. Abschleppwagen sind steuerbefreit, werden versicherungsrechtlich
gesondert eingestuft und unterliegen
weder Sonn- und Feiertagsfahrverbot
noch Güterkraftverkehrsgesetz.
Ausnahmegenehmigungen
Die exakte Bezeichnung von Plateaufahrzeugen mit oder ohne Bergekran
lautet Lkw zur Fahrzeugbeförderung.
Mit mehr als 3,5 Tonnen zulässigem
Gesamtgewicht gilt für sie das
Güterkraftverkehrsgesetz. Auch beim
regelmäßigen Transport von nicht
zum Unternehmen gehörenden Mietwagen greifen die Bestimmungen die-
ses Gesetzes mit umfangreichen Verpflichtungen auch für Werkstattunternehmer. Unter anderem dürfen nur
Fahrer mit bei der IHK abgelegter
Fachkundeprüfung diese Transporte
ausführen. Der Transport von Fahrzeugen zu einer Lackiererei und zurück
mit Plateaufahrzeugen gilt hingegen
als zwar anmeldepflichtiger, aber von
den Bestimmungen des Güterkraftverkehrsgesetzes ausgenommener, so
genannter Werkverkehr.
Ausnahmegenehmigungen der
unteren Verwaltungsbehörde (Landratsamt, Stadtverwaltung) benötigen
Plateaufahrzeuge mit mehr als 7,5
Tonnen oder Anhängerzüge zwischen
3,5 und 7,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht, wenn sie auch sonnund feiertags eingesetzt werden sollen.
Bei der Anerkennung als Pannenhilfsfahrzeug mit den Folgen Befreiung von Einbau und Benutzung so genannter EG-Kontrollgeräte und Ausstattung mit gelben Rundumleuchten
widersprechen sich EU-Vorgaben,
deutsche Auslegungen und nationale
Sondervorschriften (vgl. ASP 8/2002,
ab Seite 58). Im August 2003 sorgte die
Antwort des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau und Wohnungswesen
auf eine Anfrage des Verbands der Bergungs- und Abschleppunternehmen
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Relevante Regelungen
Als Pannenhilfsfahrzeug
nach § 52 Abs. 4 StVZO
anerkannt: Plateaufahrzeug mit oder ohne Kran
Bilder: Diehl
(VBA) für Klarheit: „Gemäß Richtlinie über die Mindestanforderungen an
Bauart oder Einrichtung von Pannenhilfsfahrzeugen sind als Pannenhilfsfahrzeuge im Sinn von § 52 Abs. 4
StVZO anzuerkennen 1. Abschleppwagen, 2. Bergungsfahrzeuge, 3. Kraftfahrzeuge mit entsprechender Einrichtung zur Behebung vornehmlich
technischer Störungen an Ort und
Stelle mit Bordmitteln. Die Richtlinie
... zur Benutzung eines Plateaufahrzeugs über 7,5 Tonnen zul. GG
im 24-Stunden-Dienst:
■ § 30 Abs. 3 StVO
■ § 1 Abs. 1 Ferienreiseverordn.
■ § 21 Abs. 2 StVO
■ § 16 Ordnungswidrigkeiteng.
■ § 22 StVO
■ § 23 StVO
■ § 38 StVO
■ § 57a Abs. 1 StVZO
■ § 52 Abs. 4 Nr. 2 StVZO
■ §§ 2 ff. Güterkraftverkehrsges.
■ EWG 3821/85 (EG-Kontrollg.)
■ EWG 3820/85 (Lenk-/Ruhez.)
■ BGV D6, D8, D29 und D1
enthält bestimmte technische Voraussetzungen, die Fahrzeuge erfüllen
müssen, um als Pannenhilfsfahrzeuge zu gelten. Liegen diese Voraussetzungen bei der Zulassung vor, wird im
Fahrzeugschein ein entsprechender
Vermerk angebracht. Das von Ihnen
beschriebene Bergungsfahrzeug mit
dem Eintrag im Kfz-Schein ,Lkw zur
Fahrzeugbeförderung‘ ist als Pannenhilfsfahrzeug einzuordnen, wenn es
dazu bestimmt ist, mittels technischer
Einrichtungen beschädigte oder liegen
gebliebene Fahrzeuge auf die Ladefläche zu heben oder zu ziehen und
dann abzubefördern. Der Eintrag im
Kfz-Schein ,So.Kfz-Pannenhilfe‘ weist
ein Fahrzeug grundsätzlich als Pannenhilfsfahrzeug aus.“
Lenk- und Ruhezeiten
Nachsatz zu Lenk- und Ruhezeiten:
„Sind die Fahrzeuge ... weder mit einem EG-Kontrollgerät noch mit einem
nationalen Fahrtschreiber auszurüsten (zul. Gesamtgewicht unter 7,5
Tonnen), müssen auch keine Aufzeichnungen über die Lenk- und Ruhezeiten geführt werden.“
„Stillschweigend wird der Anbau
von Hubbrillen an Plateaufahrzeugen hingenommen, obwohl weder
Fahrzeughersteller noch Gesetzgeber
sie freigeben“, setzt Josef Waldschütz
die Aufzählung der verfänglichen
Regelungen fort. Hintergründe: Der
Fahrzeugrahmen ist an den Anbaustellen nicht auf zusätzliche Belastung
ausgelegt und geprüft, Überschreitungen der zulässigen Hinterachslast
und des zulässigen Gesamtgewichts
Das Ziel einer solchen
Kombination kann nur der
nächste Abstellplatz sein
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Ebenfalls als
Pannenhilfsfahrzeug anerkannt: Unfallhilfswagen
Der Einsatz der
Hubbrille von
Plateaufahrzeugen ist nur
als Notbehelf
zulässig
Ohne Plateau
und Anhänger:
ein echter Abschleppwagen
Keine Besserung in Sicht?
osef Waldschütz, Inhaber einer freien KfzWerkstatt sowie Pannenhilfs-, Bergungsund Abschleppdienstleister aus Irschenberg
in Oberbayern, ist seit 33 Jahren zweiter Vorsitzender des Verbands der Bergungs- und Abschleppunternehmen (VBA). Zwei werkstattund autohausspezifische Fragen an ihn:
J
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen
zum Bergen, Abschleppen und Transportieren sind sehr unübersichtlich.
Wird sich diese Situation in absehbarer Zeit ändern?
Im VBA arbeiten wir seit Jahrzehnten an der
Verbesserung dieser Situation. Unser Problem:
Die Gesetze und Verordnungen, denen wir
unterliegen, wurden nicht ausdrücklich für
unser Gewerbe erlassen, so dass wir uns mit
Änderungswünschen gegenüber dem Gesetzgeber sehr schwer tun. Auf dieser Basis
sind kurz- und mittelfristig leider keine gravierenden Änderungen in Sicht.
?
Können auch Werkstätten und Autohäuser an den Weiterbildungsmaßnahmen des VBA teilnehmen?
Die Weiterbildungsmaßnahmen des VBA
sind in erster Linie Mitarbeitern von Mitgliedsbetrieben vorbehalten. Bei Interesse
können jedoch auch Werkstatt- und Autohausmitarbeiter teilnehmen. Der VBA vergibt
unter Telefon 0202/26656-0 freie Plätze.
?
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sind vor Ort nicht prüfbar. Der Einsatz der Hubbrille ist jedoch ausnahmsweise eindeutig geregelt. Josef
Waldschütz: „Beim Einsatz der Hubbrille an Plateaufahrzeugen liegt der
so genannte Notbehelfsgedanke zu
Grunde. Dabei geht es darum, unnötige Gefährdungen zu vermeiden und
verunfallte oder beschädigte Fahrzeuge so schnell wie möglich aus den Gefahrenzonen von Autobahn oder Bundesstraße zu verbringen. Da an einem
Unfall meist zwei Fahrzeuge beteiligt
sind, gelingt das in solchen Fällen mit
nur einer Fahrt (vgl. Bild Seite 15; Anm.
d. Red.), die jedoch auf dem nächstgelegenen Abstellplatz enden muss.
Dort wird das kurzzeitig auf der
Hubbrille transportierte Fahrzeug ,zwischengelagert‘, um es später einzeln
abzuholen und auf dem Plateau in die
Werkstatt oder zum Sicherstellungsplatz zu transportieren.“
Notbehelfsgedanke
Der Notbehelfs- und Sicherheitsgedanke muss natürlich auch für die Insassen verunfallter oder beschädigter
Fahrzeuge gelten. Hier stellt sich die
Frage, ob Insassen, wenn sie im Transportfahrzeug keinen Platz finden, auf
Autobahnen oder stark befahrenen
Bundesstraßen zurückgelassen werden sollen oder im auf dem Plateau
befindlichen und ordnungsgemäß
ladungsgesicherten Fahrzeug mitgenommen werden dürfen.
Rechtfertigender Notstand
In der Antwort auf eine entsprechende Anfrage des VBA verweigerte das
Bundesverkehrsministerium jedoch
die generelle Anerkennung eines
„rechtfertigenden Notstands“ (§ 16
Ordnungswidrigkeitengesetz) und verwies auf die Prüfung jedes Einzelfalls.
Dazu Josef Waldschütz: „Liegt meines
Erachtens ein rechtfertigender Notstand vor, beispielsweise nachts auf der
A8 bei zehn Grad unter Null und fernab einer Raststätte oder des ÖPNVs,
informiere ich die Polizei über mein
Vorhaben – fernmündlich genügt –
und setze nicht im Transportfahrzeug
unterzubringende Insassen in das ordnungsgemäß ladungsgesicherte Fahrzeug auf dem Plateau. Meine Betriebsund Fahrzeug-Haftpflichtversicherung
ist diesbezüglich angepasst.“
Abschließend warnt Josef Waldschütz: „Das Bundesamt für Güterverkehr hat hunderte neue Mitarbeiter zur Maut-Überwachung eingestellt. Weil diese Tätigkeit noch nicht
ausgeführt werden kann, werden die
Mitarbeiter derzeit verstärkt zur Überwachung des Verkehrs eingesetzt.“
Peter Diehl